1 16 Musik und Leadership? Was hat Musik, oder gar klassische Musik, mit Wirtschaft zu tun? Ein Blick hinter die Kulissen lohnt sich, um zu sehen, wie in einem Orchester aus vielen, einzelnen komplexen Abläufen auf zahlreichen Ebenen eine erlebte Einheit entsteht. Schon die Vielzahl von Redewendungen, die im allgemeinen Sprachgebrauch ihren Platz gefunden haben, zeigen die Kraft klassischer Musik für Metaphern: ein Projekt orchestrieren, ein Team dirigieren, andere Saiten aufziehen, die 1. Geige ­spielen, einen Kontrapunkt setzen, unter anderen Vorzeichen weitermachen, und vieles mehr. Das besondere sind dabei die Kompaktheit, die unmittelbaren Ergebnisse, die sofortige Wirkung – sodass ich von der Essenz sozialer Systeme spreche. Diese Essenz ermöglicht hervorragend neue Blickwinkel und Anregungen. Willkommen in der Welt der klassischen Musik! Ihr Florian Schönwiese Intensive, erfüllende und besonders interessante Sommer-Monate in meinem ursprünglichen Beruf als Orchestermusiker im Concentus Musicus Wien mit Konzerten bei den wichtigsten Sommer-Festivals (ua den Salzburger Festspielen) haben mir einmal mehr bestätigt, wie sehr das klassische Symphonie-Orchester als Essenz sozialer Systeme zu sehen ist – besonders das Verhältnis zwischen der Führungskraft und dem Team aus Spezialisten, in diesem Fall dem Dirigenten und seinem Orchester. Nikolaus Harnoncourt (1929–2016), prägendster österreichischer Dirigent der letzen Jahrzehnte, gründet 1953 sein Orchester „Concentus Musicus Wien“. Nikolaus Harnoncourt war für mich sowohl als Musiker als auch als Unternehmer eine prägende Persönlichkeit! Fast zwei Jahrzehnte habe ich als Geiger in seinem Orchester mitgewirkt, das ausschließlich er bis zu seinem Tod im März 2016 selbst leitete. So war es für uns nach seinem Tod völlig neu, die „normale“ Situation eines Gast-Dirigenten kennenzulernen. Dabei dauert die Zusammenarbeit meist nur wenige Tage! Umso interessanter war es zu erleben, wie in dieser kurzen Zeit, ähnlich einer Projekt- oder Wirtschaftsperiode, alle wichtigen Details, Phasen und Mechanismen auf engstem Raum unmittelbar zu Tage treten, die zum Gelingen eines Projekts wichtig sind. 3 Voraussetzungen guter Führung: Y überzeugende, verinnerlichte Vision Y universelle Kommunikation Y respekt- und vertrauens- volle Umsetzung Im Folgenden möchte ich drei grundsätzliche Punkte herausheben aus der Sicht eines Mitarbeiters/Orchestermusikers — denn wer kann besser sagen, ob die ­Führung „funktioniert“ als die Mitarbeiter. Wie jeder Mitarbeiter möchten auch meine Kollegen und ich im Orchester die Führungskraft unterstützen — wenn sie uns „lässt“, wenn wir von ihren Ideen überzeugt werden, wenn die Basis von gegen­ seitigem Vertrauen und Respekt gegeben ist. 1 1 16 1. Die Vision Ich verwende im ganzen Artikel die männliche Form, mir ist aber bewusst, dass es immer mehr erfolgreiche Dirigentinnen gibt! Die Notwendigkeit einer eindeutigen, verinnerlichten Vision ist uns allen klar. Wie wichtig sie ist zeigen nicht zuletzt Heerscharen von Strategen und Trainern, die in Unternehmen viele Tage und Wochen dafür investieren. Und wir alle kennen andererseits die Probleme von unvorbereiteten Führungskräften: sinnlose, zeit­ raubende Meetings, Perspektivenlosigkeit, Entscheidungsschwächen etc.. Besonders stark sind die Aus­wirkungen in der komprimierten Situation einer Konzert-Projektphase, in der sich Dirigenten als Führungskraft nicht hinter Masken, Floskeln oder zurechtgelegten Führungsstrategien verstecken können. Wir Orchestermusiker erkennen nach wenigen Minuten das Wissen, den Grad der Vorbereitung und die Klarheit der Vision unseres Dirigenten. Stellen Sie sich die Situation im Orchester vor: 80–100 hochausgebildete und erfahrene Künstlerpersönlichkeiten kommen zu Beginn des Projekts zusammen, in der Regel gut vorbereitet und geübt – und vor allem: jeder mit seiner eigenen persönlichen Vision des Werkes! Es braucht also ein überzeugendes Konzept und klare Anweisungen, in welche Richtung es gehen soll, als Voraussetzung dafür, all unser Potential und die persönliche Kreativität zu entfalten und uns für dieses Konzept einsetzen zu wollen! Gibt es keine klare Führung, heben sich die Ideen der Musiker gegenseitig auf und das Ergebnis ist Mittelmaß ... Mittelmaß ist Gift für jede Kunst – ebenso für die Kunst des Führens! Die klare Vision der Führungskraft ist natürlich eine sehr persönliche – und immer eine Kombination aus Persönlichkeit und Erfahrung. Das ist auch der Grund, warum wir die 5. Symphonie von Ludwig van Beethoven nach dem 250. Mal noch immer hören wollen. Aber auch die Vorbereitung ist besonders wichtig und bei jedem Dirigenten anders! Es kann bis zu zwei Jahren dauern, bevor ein Dirigent überhaupt vor das Orchester tritt. So studiert ein Dirigent die Partitur, versucht zu verstehen, wie die unglaublich rigiden Vorgaben des Komponisten gemeint sind, was seine Idee, seine Aussage, seine Emotionen gewesen sein könnten, recherchiert, wie das Werk zur Zeit seiner Entstehung aufgenommen wurde, wie die sozialen, gesellschaft­ lichen Situationen und Entwicklungen zu dieser Zeit waren, ob es Aufzeichnungen des Komponisten gab, Skizzen oder verworfene Versuche etc., etc. – und erarbeitet und verinnerlicht so seine ganz persönliche Vision. Die Partitur enthält möglichst exakte Vorgaben des Komponisten zur Umsetzung seiner Ideen: für jeden einzelnen Mitspieler sind hier Tonhöhe, Lautstärke, Geschwindigkeit, die Kombinationen mit andere Instrumenten, die Spielweise und viele Details mehr notiert. Dennoch ist Exekution zu wenig! Nur intensive Beschäftigung ist das Tor zu Freiheit und Kreativität! 2 1 16 2. Die Kommunikation Wie muss die Vision eines Dirigenten sein, um uns Orchestermusiker, seine Mit­ arbeiter, zu überzeugen? Was ist es, was uns glauben lässt, er sei gut vorbereitet, hat genaue Vorstellungen und überzeugende Konzepte? Den ersten starken Eindruck erhalten wir naturgemäß, wenn er zu Beginn der ersten Probe vor das Orchester tritt: wie begrüßt er uns, wie spricht er uns an, beginnt er sofort mit der Musik, erklärt er uns zuerst noch, was er sich vorstellt, beginnt er gleich mit Details oder zuerst dem Gesamtbild etc. Wir Orchestermusiker sind grundsätzlich willig, aber doch skeptisch. Ein wenig Vorschuss an Vertrauen und Respekt bekommt er, aber viele Fehler kann er sich nicht erlauben. Das wissen Dirigenten natürlich – damit haben sie ihre ersten (leidvollen) Erfahrungen schon als Studierende gemacht, als sie in ihrer Studienzeit (das Studium „Dirigieren“, also Führung in dieser Welt, gibt es schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts!) erstmals vor ein Orchester treten mussten! Das heißt aber auch, Dirigenten sammeln schon seit ihrer Studienzeit viele Erfahrungen: über sich selbst, über die Wirkung ihrer Aktivitäten, über ihre persönlichen Stärken, Schwächen und Möglichkeiten. Leadership ist ausschließlich und sehr persönlich! So findet jeder gute Dirigent im Lauf der Zeit seine persönliche Art und Weise, seine Vision zu vermitteln und zu erarbeiten. Der eine stellt uns seine Vision mit viel Phantasie und eindrücklichen Bildern verbal vor – wie es etwa Nikolaus ­Harnoncourt getan hat, der uns obendrein auch sehr ausführlich über seine Recherche-­Arbeiten berichtete, – der andere beginnt sofort zu arbeiten und die Vision zeigt sich erst im Laufe der Probenzeit, wieder ein anderer bezieht uns Musiker aktiv in bestimmte Bereichen ein, andere haben so klare Vorstellungen, dass sie uns gar nicht erst nach unserer Meinung fragen. Wir Mitarbeiter akzeptieren jede Heran­gehensweise, wenn sie inhaltlich überzeugend, stimmig und durchdacht ist! Zwei Grundsätze sind bei guten Dirigenten erkennbar: 1. die Kommunikation der Vision geht meist nicht ins technische Detail, sondern bleibt auf einer Meta-Ebene, die emotional verständlich ist, Interesse weckt und den Mitarbeitern Freude macht 2. die Vermittlung geschieht auf eine Weise, die potentiell jede Persönlichkeitsstruktur erreicht, egal ob strukturiert denkend oder völlig emotional handelnd Die Kunst der Führung besteht darin, als Führungskraft eine klare, stringente Vision verinnerlicht zu haben und sie so zu kommunizieren, dass sie den Mitarbeitern die Freiräume lässt, ihre Kreativität und Potentiale zu nutzen und Freude und Leidenschaft für die Sache zu entwickeln. 3 1 16 3. Die Umsetzung Die klare Vision ist die Voraussetzung für eine aktive Umsetzung, die effektiv und zielgerichtet sein muss – immerhin hat ein Dirigent nur 3-4 Tage Zeit bis zur Aufführung! Hier spielen neben der Kommunikation folgende Punkte eine wichtige Rolle: 1. Respekt & Vertrauen 2. das Feedback von außerhalb des Geschehens Heutigen erfolgreichen Dirigenten ist gemeinsam, mit ehrlichem Respekt und ­Vertrauen an das Orchester ihre persönliche Vision zu vermitteln – das gibt uns ­Mitarbeitern die Möglichkeit und Pflicht, ihnen auf die gleiche Weise zu begegnen! Grundvoraussetzung einer produktive Zusammenarbeit: gelebter Respekt und Vertrauen! Erfolgreiche Dirigenten sind sich im Kontakt mit ihren Mitarbeitern auch bewusst, dass sie es mit hochqualifizierten Spezialisten zu tun haben, für die sie sich oft auch selbst entschieden haben. Sie wissen, dass sie selbst zwar eine sehr verantwortungsvolle Rolle innehaben, aber ohne ihr High-Performance-Team nicht erfolgreich sein können. Bei einem Dirigenten ist das natürlich besonders offensichtlich – er erzeugt selber keinen einzigen Ton…! Dieses Bewusstsein scheint in der Realität anderer Welten eine große Hürde zu sein. Ähnlich problematisch ist auch der veraltete, aber nach wie vor viel zu oft zitierte und gelebte Spruch: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ Die Arbeit im Orchester zeigt deutlich, dass die Kontrolle Vertrauen von vornherein vernichtet – und damit Höchstleistungen und Exzellenz unmöglich werden! Für das Mittelmaß mag Kontrolle und Macht genügen. Bewegen können wir aber auf diesem Niveau nichts. Wir brauchen besondere Momente, um regelmäßige Konzertbesucher und somit den Erfolg eines Orchesters zu sichern! Kontrolle um der Kontrolle Willen vernichtet Vertrauen und damit für den Erfolg notwendige Kreativität. Dieses Vertrauen ist auch die Grundlage für das notwendige konstruktive Feedback an uns von „außen“, außerhalb des aktiven Geschehens. Ein Orchester ist ein sehr komplexes System, bei dem es um Nuancen, Hundertstel-Sekunden, minimale Schwingungen etc. geht. Und daher braucht es eine Person, den Dirigenten, der sich mit etwas Abstand auf den Gesamtklang, das große Ganze konzentrieren kann, ohne sich um die Herausforderungen seines eigenen Instruments kümmern zu müssen. Nur diese Freiheit, nicht aktiv mitarbeiten zu müssen, gibt ihm die Möglichkeit, seine Vision zu orchestrieren und zu überblicken. Daher nehmen wir ernst gemeinte und auf den Inhalt fokussierte Kritik gerne an! Ja, wir brauchen sie!! Führungskräfte brauchen die Freiheit, sich nicht um Details und Techniken kümmern zu müssen, um ihr Visionen erfolgreich orchestrieren zu können! 4 1 16 „Ein Werk muss mich total okkupieren“ Foto: © Marco Borggreve,Sony Music Auszug aus einem Gespräch von Florian Schönwiese mit Nikolaus Harnoncourt (25.2.2015) Florian Schönwiese: Wie bereiten Sie sich auf die Interpretation einer Komposition vor? Haben Sie ein großes Gesamtbild im Kopf, aus dem sich die Details herauskristallisieren oder erarbeiten Sie aus den einzelnen Details ein Gesamtes? gekannte habe und von dem ich überzeugt war: Es muss gut sein! Manchmal hat sich heraus­ gestellt, dass es dieses Niveau nicht hat. Nikolaus Harnoncourt: Also es fängt eigentlich mit der Wahl des Stückes an. Ich sehe mich nicht als einen „engagierbaren“ Dirigenten – das bin ich überhaupt nicht. Ich habe mich von Anfang an als jemanden gesehen, der bestimmte Werke realisieren will. Auch wenn ich diese Werke zum Teil gar nicht gekannt habe. Damit hab’ ich ein Risiko auf mich genommen: Ich halte diese Werke für sehr gut aufgrund ihres historischen Ruhmes oder weil ich sie gehört habe, aber oft auch nur vom Prinzip her, weil man weiß, dass an diesem Ort dieser Komponist diese Rolle gespielt hat. Da bin ich zu einem ganz geringen Prozentsatz hineingeflogen und habe etwas aufs Programm genommen, was ich nicht NH: Ein Stück muss mich vollständig ergreifen. Es muss mich mit allen Fasern ergreifen. Das heißt „gut“ für mich. Daher gibt es ganz bekannte Werke und ganz bekannte Komponisten, die sich für mich ausschließen, weil ich überhaupt keinen Anknüpfungspunkt finde. Und es gibt Werke, von denen ich von vorne herein so durchdrungen bin, so überzeugt! Ich mach’ zum Beispiel auch einen Unterschied, ob ein Werk historisch interessant ist oder ob es zeitlos ist. Ich betrachte zum Beispiel die ganz große Kunst als zeitlos. Das heißt, eine Statue von Praxiteles, die ist für mich in jedem Jahrhundert und in jedem Jahrtausend aktuell. Ein Werk von Shakespeare ist genauso modern FS: Was heißt „gut“ in dem Fall? 5 1 16 wie ein Werk des besten zeitgenössischen ­Dichters. Das bleibt immer modern. Das wird nie historisch. Es gibt in der Musik auch eine Handvoll Komponisten, aber nicht viel mehr. Was „nur“ historisch interessant ist, interessiert mich dann eigentlich nicht. Weil ich finde, dass das eine Seminarfrage ist. Im Seminar soll der Musiker ­lernen, was es zu dieser und jener Zeit gab. Ein Werk muss mich total okkupieren. Es kommt vor, dass manche Künstler – und zwar in jeder Kunst, auch in der Bildhauerei und Malerei und Dichtung – so groß, so bedeutend sind, dass sie etwas Minderwertiges überhaupt nicht ­herauslassen. Das heißt, selbst wenn sie irgend so etwas mal machen würden, also scheitern ­würden an etwas, dann vernichten sie das. Ich versuche, alle Informationen zu kriegen, die ich überhaupt nur kriegen kann darüber, was das Werk sagen will. FS: Noch bevor Sie sich die Noten ansehen? NH: Nein, das ist schon in dem Moment, wo ich entschlossen bin, ein bestimmtes Werk zu machen. Da muss ich die Noten haben. Und das ist relativ lange bevor ich es aufführe. Ich kann nicht sagen: In zwei Monaten führe ich das auf. FS: Sondern länger - eher Jahre? NH: Heute eher Jahre. In der Anfangszeit vielleicht Monate. Aber da bin ich einfach mit jugendlichem Ungestüm darangegangen. Ich wollte ja weiterkommen. Es waren schon Jahre, bevor wir uns das erste Mal mit dem damals neugegründeten Ensemble in die Öffentlichkeit gewagt haben. Wir haben ja vier Jahre nur geprobt. Allerdings immer, fast immer, mit Publikum. Und diese Leute haben auch mitreden können. Ich will die musikalische Sprache, die Sprache, die in diesem Werk verwendet wird, auf meine Weise verstehen. Und will versuchen, sie so zu vermitteln, dass sie der Hörer verstehen kann. Beziehungsweise ist es mir bewusst, dass es bei jeder großen Kunst keine letzte Eindeutigkeit gibt. Darum bleibt immer ein Geheimnis. Das ist geradezu das, was die ganz große 6 Kunst ausmacht. Aber andererseits kann man nicht sagen: Alles, was von Geheimnis umgeben ist, ist große Kunst. Die ganz große Kunst ist nie vollkommen vergleichbar. FS: Wann sind Sie denn zufrieden? NH: Also: Ich studiere ein ganz großes Werk zuerst für mich bis ich glaube, ich habe das jetzt so weit, dass ich damit in die Probenarbeit gehen kann. Dann kommt’s zu einer Aufführung, mit der ich aber nie zufrieden sein darf und sein kann! Denn ein Ziel, das ich erreichen kann, ist ja kein Ziel. Ein Ziel kann man im höchsten Fall fast erreichen. Aber wenn ich ein Ziel erreichen kann, dann darf ich das nicht einmal Ziel nennen. Je bedeutender das Werk ist, umso mehr Zeit brauch’ ich, bevor ich dasselbe Werk wieder mach’. Ich bleibe überzeugt von dem Stück, und es geistert in meinem Hinterkopf herum, aber wenn ich wieder an das Stück herangehe, fang’ ich ganz von vorne an. Alice Harnoncourt: Jetzt möchte ich gerne wissen: Fängst du mit Details oder mit dem Ganzen an? NH: Das geht ineinander. Sehr oft mach’ ich mir eine Grafik von dem Stück – mit mehreren ­Farben. Und dann fügen sich die Details ineinander. Das ist ja eine ganz, ganz langwierige Sache. FS: Wenn Sie zur Probe kommen, gibt es so etwas wie ein ganzes Bild? NH: Ich darf nicht zu einer Probe kommen ohne Konzept. FS: Sie haben dann ein ganzes Bild bis ins letzte Detail? NH: Ja, bis ins Detail. Es ist allerdings so, dass die praktische Ausführung Details noch ändert. Ich habe sie bis dahin nur im Kopf gehabt. Jetzt habe ich vor mir zwischen zwanzig und hundert Musiker und es ist mir bewusst, – ich war ja selbst auch Musiker, ich habe ja siebzehn 1 16 Jahre im Orchester gespielt mit den tollsten Dirigenten –, dass praktisch jeder von diesen Musikern eine gewaltige Potenz an Wissen, an Ideen, an Phantasie hat, auf die ich auf keinen Fall verzichten kann. Ich muss auch ihnen das Gefühl geben können, dass ich sie brauch’ und dass sie nicht nur an meinen Fingern hängen und das machen sollen, was ich sag’. Das war so ein altes Dirigentenbild, das ich als Orchestermusiker sehr abgelehnt habe. Und wenn einer etwas ganz anders versteht, dann muss er das sagen können. Ich muss allerdings auch beharren können auf dem, was ich mir vorstelle. Ich habe natürlich durch die Beschäftigung einen Vorsprung. Es wird nicht viele geben, die sich mit diesem Stück so befasst haben wie ich. Aber immer wieder kommen Elemente von Musikern herein, mit denen ich nicht gerechnet habe. und sah mich da als „Leitung“ angeführt. Ich habe das natürlich geleitet, aber vom Cello aus, habe aber nie dirigiert. Das war um 1970. Er hat mich gefragt, ob ich in Mailand an der Scala mit dem Orchester der Scala etwas machen will. Und ich habe gesagt: Also, natürlich nur etwas, was mich interessiert. Und dann habe ich zugesagt. Das heißt, das erste Orchester, das ich in meinem Leben dirigiert hab — da hatten andere Dirigenten schon die ganze Palette von Schulorchestern bis zu den Provinzorchestern hinter sich — war das Orchester der Scala! Die Berliner Philharmoniker haben noch zu Lebzeiten von Karajan ihre Orchestervorstände zu mir geschickt, um einen guten Kontakt herzustellen. Weil, sobald es erlaubt war, wollten sie mit mir arbeiten. Nachdem er gestorben war, haben die Berliner sofort gefragt, ob ich ein Konzert machen will. Und ich habe zugesagt. Das war, glaub’ ich, ein Mozart-Programm. FS: Ein anderer Blickwinkel eines Musikers zum Beispiel? FS: Dort sind Sie dann fast gescheitert? NH: In seiner eigenen Phantasie hat er noch eine große Kammer, die ich überhaupt nicht geöffnet habe. Da würde ich nicht sagen: „Mach’s so wie ich’s sag.“ Aber es kann auch sein, wenn man ein Stück macht, dass das betreffende Orchester – das wäre jetzt ein Gastorchester, weil im Concentus Musicus ist das anders – ein Stück schon gut kennt und oft gespielt hat. Da habe ich schon die Antwort aus einem Orchester gekriegt: „Muss denn immer alles anders sein?“ Und ich sag’: „Überhaupt nicht. Aber wenn es anders ist, dann müssen wir schauen, dass wir einen gemein­ samen Weg finden.“ Das kann schwierig sein. Darf ich Ihnen ein Beispiel von einem erst­ maligen Gastdirigieren erzählen, wo ich an der Grenze des Scheiterns war, ist das interessant für Sie? FS: Ja, das ist sehr interessant! NH: Also, ich bin durch Zufall zum Dirigieren gekommen. Eigentlich durch einen Irrtum. Der Direktor der Mailänder Scala hat Schallplatten von mir mit Musik von Claudio Monteverdi gehört NH: Ich war total vorbereitet. Sie haben sich gewundert, weil ich habe mit ihnen gearbeitet, wie ich arbeite und habe überhaupt keine Devotion oder besondere Unterwürfigkeit gezeigt. Sondern ich habe so gearbeitet, dass ich mit wenigen Proben möglichst weit kommen kann. Ich war der Meinung, dass – wenn sie mich wollen – die Sympathie von vorne herein da ist. Zuerst habe ich dem Hornisten gesagt: Sie können an dieser Stelle ruhig ein bisschen Vibrato nehmen. Die böhmischen Hornisten in der Zeit Mozarts waren bekannt dafür, dass sie vibriert haben. Und das passte da sehr gut. Der Hornist ist aufgestanden und hat gesagt: „Nach meinem besten Wissen und Gewissen macht man am Horn kein Vibrato. Punkt.“ Heute machen sie natürlich Hornvibrato in allen Orchestern. Dann habe ich mir gedacht: Oje. Und dann murmelt mir Konzertmeister zu: „Der hat noch nie gegickst …“ (Anmerkung: „gicksen“ sind miss­lungene Töne – davor haben alle Hornisten Angst …). Das war ja ein ganz berühmter Hornist. Dann sag’ ich dem ersten Oboisten, ob er diese Stelle so oder so spielen könnte. Der hat wunderbar gespielt, aber ich habe ihn doch gefragt, ob er das auf eine 7 1 16 bestimmte Weise spielen könnte. Worauf er den Kopf gesenkt hat, mir nicht geantwortet hat und der Konzertmeister hat gesagt: „Der ist seit fünfundzwanzig Jahren im Orchester und noch nie kritisiert worden.“ Da habe ich mir gedacht: Aus jetzt – wie soll ich proben? Dann habe ich die Streicher weggeschickt und gesagt: Ich mach eine Bläserprobe. Die Streicher sind strahlend abgezogen. Ich habe ­ meinen Sessel genommen und mein Pult, mich direkt vor die Bläser gesetzt und angefangen mit ihnen zu proben. Die mussten dableiben. Ich war nie unfreundlich oder unhöflich, aber ich habe wirklich gearbeitet! Und ab dem Moment sind sie aufgetaut. Die haben sich wirklich während der Probe gefreut, das begeisterte sie, was ich da wollte. Und die spielten nicht einfach so wie immer, wie mir der Konzertmeister gesagt hat. Das Merkwürdige an dem Ganzen war: Es war ein tolles Konzert und ich habe in meiner Garderobe einen Strauß Lilien und eine Champagnerflasche von dem Oboisten vorgefunden. Das war Lothar Koch – er war eine Legende in Deutschland. Das war also meine erste Begegnung mit den Berliner Philharmonikern. Diese sowie andere Themen, Ansätze und Mechanismen sind als Essenz in der Arbeit eines klassischen Symphonieorchesters enthalten und komprimiert erlebbar. Sie sind auch die Grundlage für meine Dieses Magazin wird regelmäßig erscheinen und sich Leadership-Development Programme, Methoden rund um Führung, das System des Orchesters in denen wir uns diesen einzigartigen und Themen zur Erreichung von Exzellenz widmen. Vorteil zunutze machen (mehr dazu In jeder Ausgabe wird auch eine externe Person zur siehe www.schoenwiese.net). Sprache kommen, entweder Auszüge aus einer Vielzahl von Interviews, die ich mit erfolgreichen Führungskräften aus allen Bereichen (Wirtschaft, Musik, Sport, Pädagogik, etc.) geführt habe, oder mit Gastkommentaren. Die nächsten offenen Programme Nehmen Sie Kontakt mit mir auf! zum Kennenlernen meiner Methode: Gern spreche ich mit Ihnen über Möglichkeiten, 9.11.2016 erzähle von besonderen Erlebnissen und diskutiere in der Laeiszhalle in Hamburg mit Ihnen, wie Sie ein noch höheres Niveau einer 23.11.2016 konsequenten Leistungs- und Führungskultur im Wiener Konzerthaus in Ihrem Unternehmen erreichen! Impressum: Florian Schönwiese e.U. UID-Nr: ATU 5664 1815 | FN 415546 y | FB-Gericht: St.Pölten Wallnerstraße 11 | 3032 Eichgraben, Österreich | [email protected] Grafisches Konzept & Layout: Nele Steinborn