Elektrodynamik kapazitiv gekoppelter Hochfrequenzplasmen

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Elektrodynamik
kapazitiv gekoppelter
Hochfrequenzplasmen
Habilitationsschrift
Thomas Mussenbrock
Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik
an der Ruhr-Universität Bochum
Bochum, 15. Dezember 2008
Für Kerstin.
Ohne Sie wäre alles nicht möglich gewesen.
Die vorliegende Habilitationsschrift mit dem Titel “Elektrodynamik kapazitiv gekoppelter
Hochfrequenzplasmen” fasst elf in wissenschaftlichen Journalen veröffentlichte Originalarbeiten zusammen. Im ersten Teil werden die Originalarbeiten kommentiert und in
das von mir angestrebte Lehrgebiet “Allgemeine und Theoretische Elektrotechnik” eingeordnet. Im zweiten Teil sind sie chronologisch ihrem Erscheinen nach zusammengestellt.1
Die Arbeit ist zwischen 2004 und 2008 im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theoretische Elektrotechnik der Fakultät für Elektrotechnik
und Informationstechnik an der Ruhr-Universität Bochum enstanden. Ich möchte vielen
Menschen danken, deren Dazutun diese Arbeit möglich gemacht haben.
Mein erster Dank gilt meinem Lehrer Herrn Professor Dr. Ralf Peter Brinkmann. Er
hat mich motiviert, meine Forschung auf nichtlineare und elektrodynamische Effekte in
Niedertemperaturplasmen zu fokussieren. Ich möchte mich insbesondere bedanken für sein
stetes Interesse an meiner Arbeit, seine freundschaftliche und tatkräftige Unterstützung
und viele gute Tipps.
Allen ehemaligen und aktiven Mitarbeitern am Lehrstuhl möchte ich danken für die
unwahrscheinlich gute Stimmung am Lehrstuhl, die kollegiale Unterstützung und viele
wissenschaftliche und unwissenschaftliche Gespräche.
Ich möchte mich außerdem bei allen bedanken, mit denen ich die Freude und Ehre hatte,
gemeinsam publizieren zu können; ich möchte mich bedanken bei Ralf Peter Brinkmann,
Dennis Ziegler, Martin Lapke, Torben Hemke, Uwe Czarnetzki, Brian Heil, Julian Schulze,
Dirk Luggenhölscher, Jörg Winter, Christian Scharwitz, Marc Böke, Michael Klick, Zoltan
Donko, Mike Lieberman, Allan Lichtenberg und Emi Kawamura.
Tiefer Dank ganz anderer Art, der sich nicht in Worte fassen lässt, gilt meiner Frau
Kerstin. Die Arbeit hat viel Zeit in Anspruch genommen, die eigentlich ihr gehört hätte.
Ich bin ihr für ihre Unterstützung, ihre Geduld und ihr Verständnis sehr sehr dankbar.
1
Aus urheberrechtlichen Gründen sind in der im Internet veröffentlichten Habilitationsschrift Verweise zu
den Originalpublikationen angegeben.
V
VI
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Zusammenfassung
1
2 Modellierung technischer Plasmen
2.1 Kinetische und makroskopische Plasmamodelle . . . . . .
2.2 Plasmaparameter und kollektive Phänomene . . . . . . .
2.3 Modellierung kapazitiv gekoppelter Hochfrequenzplasmen
2.4 Nichtlinearer Charakter der Plasmarandschicht . . . . . .
.
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.
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.
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.
.
3
. 3
. 9
. 12
. 15
3 Dynamik kapazitiver Hochfrequenzentladungen
17
3.1 Hochfrequenzmodelle für kapazitive Entladungen (Mu::05, Mu::06) . . . . . 17
3.2 Plasmaserienresonanzeffekte (Mu::03, Mu::07) . . . . . . . . . . . . . . . . 21
3.3 Elektronenheizung in kapazitiven Entladungen (Mu::01, Mu::10, Mu::12) . 23
4 Dynamik von Zwei-Frequenz-Entladungen
24
4.1 Funktionsweise von Zwei-Frequenz-Entladungen (Mu::02, Mu::11) . . . . . 24
4.2 Ionenenergieverteilungsfunktionen in symmetrischen Zwei-FrequenzEntladungen (Mu::08) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
5 Resonanz-basierte Plasmadiagnostikmethoden
27
5.1 Passive Resonanzspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
5.2 Aktive Resonanzspektroskopie (Mu::04, Mu::09) . . . . . . . . . . . . . . . 28
Verzeichnis der Originalpublikationen
31
Lebenslauf
33
VII
VIII
1
Einleitung und Zusammenfassung
Auf Grund ihrer Vielfalt und einzigartigen Eigenschaften haben sich Plasmen zu einem
bedeutenden Werkzeug für die High-Tech-Industrie entwickelt. Von den Anwendungen
in der Halbleitertechnologie aus haben plasmabasierte Prozesse ein weites Spektrum von
Einsatzfeldern erworben. Diese erstrecken sich von der Metallurgie über die Photonik
(Optik und Lichttechnik) bis hin zur Biotechnik, Medizin und Antriebstechnik für Satelliten. Innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeit wurde der Einsatz von Plasmen als
Hochtechnologie und Schlüssel zur Innovation anerkannt.2,3
Das Plasma ist neben dem festen, flüssigen und gasförmigen Zustand als der “vierte Zustand der Materie” definiert. Er ist gekennzeichnet durch frei bewegliche negative und
positive Ladungsträger (Elektronen, sowie positive und ggf. negative Ionen) neben den
Atomen oder Molekülen des neutralen Hintergrundgases. Trotz der vorhandenen freien
Ladungsträger stellt sich ein Plasma nach außen als elektrisch neutrales ionisiertes Gas
dar, dessen Eigenschaften durch kollektive Raumladungseffekte bestimmt werden.
Eine grundlegende Kategorisierung der vielen unterschiedlichen Plasmen erfolgt auf Basis des Erzeugungsmechanismus: In der Gasphase kann ein Plasma erzeugt werden durch
Ionisation neutraler Atome oder Moleküle über i) Einkopplung thermischer Energie, ii)
Einkopplung (optischer) elektromagnetischer Strahlung mittels Laser oder iii) Einkopplung elektromagnetischer Feldenergie. Bei Letzterer werden Elektronen auf Grund der
vergleichbar geringen Masse stark in den von außen eingeprägten elektromagnetischen
Feldern beschleunigt. Die gewonnene kinetische Energie der Elektronen wird schließlich
durch Stoßprozesse auf die Neutralteilchen übertragen, die auf diese Art ionisiert werden.
Man unterscheidet thermische Plasmen von nichtthermischen Plasmen. Während in thermischen Plasmen alle Teilchen dieselbe Temperatur besitzen, ist für nichtthermische Plasmen das thermodynamische Nichtgleichgewicht charakteristisch. Ionen und Neutralteilchen sind niederenergetisch und damit “kalt” — sie besitzen etwa Raumtemperatur. Elektronen hingegen sind hochenergetisch — sie besitzen typischerweise etwa 20.000 bis 50.000
Kelvin (etwa zwei bis fünf Elektronenvolt). Da diese Plasmen selten einen Ionisationsgrad
von mehr als einem Prozent aufweisen, sind die heißen Elektronen verglichen mit den
Neutralteilchen deutlich in der Unterzahl. Das Plasma erscheint insgesamt nach außen als
kalt. Diese Tatsache hat den Begriff “Niedertemperaturplasma” geprägt.
Niedertemperaturplasmen weisen neben dem thermischen Nichtgleichgewicht auch chemische Nichtgleichgewichtseigenschaften auf. Gerade die Kombination von beidem ist für
technische Anwendungen von hervorragender Bedeutung: Man ist in der Lage, hoch energetische Teilchen zu erzeugen, die ihrerseits chemische Reaktionen in Gang setzen können,
welche mittels gewöhnlicher chemischer Mechanismen unmöglich zu realisieren wären. Die
von Niedertemperaturplasmen erzeugten energetischen Teilchen können sein z.B. Elektronen, Ionen und Radikale, hoch reaktive neutrale Spezies, angeregte atomare Zustände oder
auch Photonen unterschiedlichster Wellenlängen. Die technischen Anwendungsmöglichkeiten sind somit nahezu unbegrenzt. Niedertemperaturplasmen werden daher auch als
technische Plasmen bezeichnet.
2
Bundesministerium für Bildung und Forschung, Plasmatechnik. Prozessvielfalt und Nachhaltigkeit
(BMBF, Bonn, 2000).
3
National Research Council (US), Plasma Science: Advancing Knowledge in the National Interest (National
Academic Press, Washington, 2007).
1
Gas−
einlass
Plasma
Randschicht
Wafer
Vakuum−
system
HF−Quelle
Abbildung 1: Schematischer Aufbau einer kapazitiven Hochfrequenzentladung zur Halbleiterprozessierung.
Insbesondere die Halbleitertechnologie hat von den einzigartigen Eigenschaften der Niedertemperaturplasmen entscheidend profitiert. Inzwischen sind mehr als 60 Prozent der zur
Herstellung hochintegrierter Schaltungen und Bauelemente eingesetzten Prozesse Plasmabasiert — Tendenz steigend. Es werden Plasmaprozesse eingesetzt wie z.B. Plasmaätzen,
Sputtern oder Veraschen. Oberflächenfunktionalisierung geschieht auf Längenskalen von
einigen Nanometern (bei der Herstellung von hochintegrierten elektronischen Bauelementen) bis zu einigen Metern (bei der Herstellung von Solarzellen).4
Die damit verbundenen Anforderungen der High-Tech-Industrie an Prozessuniformität
und Prozessreproduzierbarkeit setzen entsprechend hochentwickelte Plasmaquellen voraus.5 Eine Plasmaquelle, die in hohem Maße die Anforderungen der High-Tech-Industrie
erfüllt, ist die kapazitive Hochfrequenzentladung. Der typische Aufbau ist schematisch in
Abbildung 1 dargestellt. Das Plasma wird innerhalb einer Vakuumkammer zwischen zwei
parallelen Elektroden erzeugt. Die Betriebsfrequenzen liegen dabei zwischen einigen 100
Kilohertz und einigen 100 Megahertz. Der Neutralgasdruck im Reaktor liegt je nach Plasmaprozess zwischen einigen zehntel und einigen zehn Pascal. In modernen Entladungen
liegen die Elektonendichten im Bereich zwischen 1014 und 1018 pro Kubikmeter.
Mit zunehmender Komplexität der zu prozessierenden Werkstücke, steigen allerdings auch
die Anforderungen an das Plasmasystem — und damit die Komplexität des Systems. Um
den steigenden Anforderungen gerecht zu werden und neue effiziente Plasmasysteme entwickeln zu können (oder auch existierende Plasmasysteme zu verbessern), ist das Verständnis der fundamentalen Zusammenhänge und schließlich ihre konsequente technische
Ausnutzung erforderlich. Hier spielen nichtlineare und zunehmend auch elektrodynamische
Effekte eine wichtige Rolle.
Die vorliegende Habilitationsschrift widmet sich diesem Themenbereich indem drei Fragestellungen behandelt werden: i) Wie gelangt die Energie ins Plasma? ii) Wie kann durch
geschickte Energieeinkopplung direkter Einfluss auf Plasmaprozesse genommen werden?
iii) Wie können auf der Basis fundamentaler Effekte robust und kontaminationsfrei Informationen über den inneren Zustand des Plasmas — und damit indirekt über den Plasmaprozess — gewonnnen werden?
4
5
G. Franz, Niederdruckplasmen und Mikrostrukturtechnik (Springer, Berlin, 2004).
Lieberman, M.A. und Lichtenberg, A.J., Principles of Plasma Discharges and Materials Processing (Wiley,
Hoboken, 2005).
2
Damit ist implizit nach spezialisierten mathematischen Modellen gefragt, die in der Lage
sind, das nichtlineare und elektrodynamische Verhalten kapazitiv gekoppelter Hochfrequenzplasmen zu beschreiben. Diese Modelle werden im ersten Teil der Zusatzschrift von
den “First Principles” abgeleitet und begründet. Der zweite Teil der Zusatzschrift fasst
die wichtigsten Ergebnisse der publizierten Originalarbeiten kommentierend zusammen.
Die Methoden, die in diesem Zusammenhang erfolgreich zur Anwendung kommen, liegen
in einer elektrotechnischen Sichtweise physikalischer Sachverhalte verwurzelt. Sie werden
getragen durch die “Allgemeine und Theoretische Elektrotechnik” als Kollektion von Methoden und Begriffen zur Beschreibung und Berechnung elektrodynamischer Phänomene.
2
Modellierung technischer Plasmen
Ein Plasma stellt sich als elektrodynamisches Vielteilchensystem dar. Je nach Gasdruck
findet man z.B. in einer kapazitiven Entladung typischerweise 1020 Teilchen pro Kubikmeter. Diese können sein: Atome und Moleküle im Grundzustand und angeregten Zuständen,
Elektronen sowie positive (und auch negative) Ionen. Darüber hinaus findet man sowohl
Nanopartikel, die sich unter bestimmten Bedingungen im Plasma bilden, als auch Strahlung, die in gewissen Grenzen Teilcheneigenschaften aufweist.
Ein Plasma ist auf Grund der großen Anzahl an frei beweglichen Ladungsträger ein sehr
guter elektrischer Leiter. Da elektrische Ströme Magnetfelder erzeugen und elektrisch geladene Teilchen ihrerseits von elektrischen und magnetischen Feldern beeinflusst werden,
wird ein Plasma nicht nur von äußeren elektromagnetischen Feldern beeinflusst, sondern
erzeugt selbst die so genannten selbstkonsistenten Felder. Ein Plasma kann daher mit sich
selbst in Wechselwirkung treten. Diese Tatsache deutet das mit der Beschreibung von Plasmen inhärent zusammenhängende Selbstkonsistenzproblem an. Die Maxwell-Gleichungen
zur Beschreibung elektromagnetischer Phänomene müssen selbstkonsistent an ein adäquates Modell der Dynamik aller im Plasma vorkommenden Teilchen gekoppelt werden. Hier
stehen unterschiedlichste Modelle zur Verfügung, die aber alle auf einer mikroskopischen
Beschreibung des Plasma basieren und für den konkreten Anwendungsfall abgeleitet und
begründet werden müssen.
2.1
Kinetische und makroskopische Plasmamodelle
Die Möglichkeit ein Plasma exakt zu modellieren, ist die Beschreibung der Trajektorien
aller im Plasma vorhandenen Teilchen unter dem Einfluss der Gesamtheit aller übrigen
Teilchen, sowie der von außen eingeprägten elektromagnetischen Felder. Die Gleichungen,
die dieser mikroskopischen Theorie zu Grunde liegen, sind schnell formuliert. Da in der
vorliegenden Arbeit der Fokus auf der Beschreibung von Niedertemperaturplasmen liegt,
in denen sowohl quantenmechanische als auch relativistische Effekte vernachlässigt werden
können, gelten für jedes Teilchen die Newton-Bewegungsgleichungen. Der dynamische
Zustand der Teilchensorte s kann daher durch die im µ-Raum — dem 6-dimensionalen
Phasenraum — definierte mikroskopische Verteilungsfunktion Fs beschrieben werden,
Fs (~r, ~v , t) =
Ns
X
δ (~r − ~rs,i (t)) δ(~v − ~vs,i (t)).
i=1
3
(1)
Dabei ist Ns die Gesamtzahl der Teilchen der s-ten Sorte und {~rs,i (t), ~vs,i (t)} die µ-RaumTrajektorie des i-ten Teilchens der s-ten Sorte. Ns ist in vollständig ionisierten Plasmen natürlich zeitlich konstant, in Niedertemperaturplasmen auf Grund von z.B. Ionisations- und
Rekombinationsmechanismen allerdings nicht. Die Dynamik der Verteilungsfunktion unter
dem Einfluss elektromagnetischer Felder ist somit durch eine modifizierte KlimontovichGleichung definiert, die sich aus der totalen zeitlichen Ableitung der Verteilungsfunktion
ergibt,6,7
Zs qs ~ m
∂F
∂Fs
s
m
~
.
+ ~v · ∇Fs +
· ∇ v Fs =
E + ~v × B
(2)
∂t
ms
∂t g,l
Zs und ms stellen die Kernladungszahl bzw. die Masse der Teilchen der s-ten Spezies
dar. Die rechte Seite der Gleichung symbolisiert die Änderung der Verteilungsfunktion
auf Grund von Teilchenerzeugung und -vernichtung. Die (mikroskopischen) elektrischen
~ m und B
~ m genügen den dynamischen Maxwell-Gleichungen,8
und magnetischen Felder E
~m
1
~ m = ~j m + 0 ∂ E ,
∇×B
µ0
∂t
m
~
~ m = − ∂B ,
∇×E
∂t
(3)
(4)
zusammen mit den Zwangsbedingungen
~ m = ρm ,
0 ∇ · E
~ m = 0.
∇·B
(5)
(6)
Um die Klimontovich-Gleichung als Materiemodell konsistent an das System der MaxwellGleichungen zu koppeln, werden die in den Maxwell-Gleichungen auftretenden Quellen,
die mikroskopische Ladungsdichte ρm und die mikroskopische Stromdichte ~j m , auf Basis
der Verteilungsfunktion Fs definiert,
Z
X
m
Zs qs Fs (~r, ~v , t)d3 v,
(7)
ρ (~r, t) =
s
~m
j (~r, t) =
X
Z
Zs qs
~v Fs (~r, ~v , t)d3 v.
(8)
s
Mit dieser Definition der Quellen ist automatisch die Kontinuitätsgleichung erfüllt,
∂ρm
+ ∇ · ~j m = 0.
∂t
(9)
Man gewährleistet so, dass bei beliebiger Dynamik des elektromagnetischen Feldes die
beiden Zwangsbedingungen (5) und (6) für alle Zeiten erfüllt bleiben.9
6
Y.I. Klimontovich, The Statistical Theory of Non-equilibrium Processes in a Plasma (MIT Press, Cambridge, 1967).
7
T.H. Dupree, Phys. Fluids 6, 1714 (1963).
8
S. Blume, Theorie elektromagnetischer Felder (Hüthig, Heidelberg, 1994).
9
N.A. Krall und A.W. Trivelpiece, Principles of Plasma Physics (McGraw Hill, Tokyo, 1973).
4
Da die Maxwell-Gleichungen für gegebene Quellen ρm und ~j m linear sind, handelt es sich
~ m und B
~ m um eine lineare Superposition des von außen
bei den mikroskopischen Feldern E
eingeprägten elektromagnetischen Feldes und aller elektromagnetischer Felder aufgrund
der Gesamtheit aller geladenen Teilchen. Letztere hängen natürlich von der Bewegung der
einzelnen Teilchen ab.
Die Klimontovich-Gleichung gekoppelt an die Mawxell-Gleichungen stellt eine exakte Beschreibung des Plasmas dar. Mit bekannten Anfangsbedingungen ist die Dynamik des
Systems determiniert und man ist prinzipiell in Lage, den Zustand für jeden beliebigen Zeitpunkt zu berechnen. Dies allerdings stellt eine praktisch unlösbare Aufgabe dar,
da größenordnungsmäßig 1020 gekoppelte Differentialgleichungen zu lösen wären, zu denen zusätzlich entsprechende Anfangsbedingungen formuliert werden müssten. Allein das
Speichern eines einzigen Zustands — z.B. des Anfangszustands — wäre erst unter Nutzung
von etwa 1010 Festplatten mit einer Speicherkapazität von 500 Gigabyte möglich.
Eine weitaus praktikablere Alternative zur Beschreibung des Vielteilchensystems erhält
man durch eine Ensemble-Mittelung der im µ-Raum “diskreten” mikroskopischen Verteilungsfunktion Fs ,
fs (~r, ~v , t) = hFs (~r, ~v , t)i .
Die gemittelte Verteilungsfunktion fs stellt die Anzahl der Teilchen der
Volumenelement des µ-Raums dar. Ihre Dynamik folgt direkt aus der
Ensemble-Mittelung der Klimontovich-Gleichung.10,11
Zum Zweck einer kompakten Schreibweise der dynamischen Gleichung
man Fluktuationen der mikroskopischen Verteilungsfunktion δFs , sowie
~ bzw. δ B
~ gemäß
magnetische Feldfluktuationen δ E
(10)
s-ten Sorte pro
entsprechenden
für fs definiert
elektrische und
Fs (~r, ~v , t) = fs (~r, ~v , t) + δFs (~r, ~v , t),
~ m (~r, ~v , t) = hE
~ m (~r, ~v , t)i + δ E(~
~ r, ~v , t),
E
(11)
~m
(13)
~m
~ r, ~v , t).
B (~r, ~v , t) = hB (~r, ~v , t)i + δ B(~
(12)
Man geht davon aus, dass der Ensemble-Mittelwert der Fluktuationen jeweils verschwin~ = hδ Bi
~ = 0. Mit den Abkürzungen E
~ = hE
~ m i und B
~ = hB
~ m i findet
det, hδFs i = hδ Ei
man schließlich die so genannte kinetische Gleichung,
∂fs
Z s qs ~
~ · ∇ v fs
+ ~v · ∇fs +
E + ~v × B
∂t
ms
*
+
E
∂Fs Zs qs D ~
~ · ∇v δFs . (14)
=
−
δ
E
+
~
v
×
δ
B
∂t g,l
ms
Es handelt sich hierbei um eine Gleichung, deren linke Seite die totale zeitliche Ableitung
der gemittelten Verteilungsfunktion fs darstellt. Sie besteht ausschließlich aus Termen,
die nur schwach im Phasenraum variieren und somit die “diskrete” Natur des Plasmas
ignorieren. Die linke Seite repräsentiert also kollektive Effekte. Die rechte Seite ist der
Ensemble-Mittelwert von im Phasenraum “diskreten” Größen und reflektiert somit die
10
11
D.R. Nicholson, Introduction to Plasma Theory (Wiley, New York, 1983).
F. Reif, Statistische Physik und Theorie der Wärme (Gruyter, Berlin, 1987).
5
“diskrete” Natur des Plasmas. Sie repräsentiert die Dynamik der Verteilungsfunktion auf
Grund von Wechselwirkungen der einzelnen Teilchen untereinander und kann als Stoßterm
bezeichnet werden. Dieser im Detail extrem komplizierte Term wird häufig verkürzt und
sinnbildlich dargestellt,
*
+
E
Zs qs D ~
∂f
∂f
∂f
∂f
∂Fs s
s
s
s
~ · ∇v δFs =:
=
+
+
.
−
δ
E
+
~
v
×
δ
B
∂t g,l
ms
∂t col
∂t el
∂t in
∂t ci
(15)
Er kann formal in drei einzelne Anteile aufgespalten werden.12 Der erste Summand repräsentiert alle elastischen Zwei-Körper-Wechselwirkungen, der zweite Summand beschreibt
alle anderen elastischen und inelastischen Mehrkörper-Wechselwirkungen (einschließlich
der Wechselwirkung von Teilchen mit Photonen oder Strahlung). Der dritte Summand
repräsentiert die Coulomb-Wechselwirkung der geladenen Teilchen untereinander.
Im kinetischen Bild wird das Plasma somit beschrieben durch eine kinetische Gleichung
für jede Teilchensorte
Zs qs ~
∂f
∂fs
s
~ · ∇ v fs =
,
+ ~v · ∇fs +
E + ~v × B
(16)
∂t
ms
∂t col
gekoppelt an das System der Maxwell-Gleichungen,
~
1
~ = ~j + 0 ∂ E ,
∇×B
µ0
∂t
~
~ = − ∂B ,
∇×E
∂t
~
0 ∇ · E = ρ,
~ = 0.
∇·B
Die Ladungsdichte und die Stromdichte sind im kinetischen Bild definiert über
Z
X
m
Zs qs fs (~r, ~v , t)d3 v,
ρ(~r, t) = hρ (~r, t)i =
(17)
(18)
(19)
(20)
(21)
s
~m
~j(~r, t) = hj (~r, t)i =
X
Z
Zs qs
~v fs (~r, ~v , t)d3 v.
(22)
s
Die Lösung der kinetischen Gleichung beinhaltet naturgemäß sehr viel mehr Informationen über das Plasma, als man im Regelfall benötigt. Häufig ist man eher am makroskopischen Verhalten des Plasmas interessiert, das durch die räumliche und zeitliche Dynamik
makroskopischer Größen wie Teilchendichten, Teilchengeschwindigkeiten und Teilchenenergien beschrieben wird. Die makroskopischen Größen sind durch eine systematische Sequenz symmetrischer Tensoren vom Rang n gegeben, den so genannten Geschwindigkeits12
I.P. Shkarofski, T.W. Johnston und M.P. Bachynski, The Particle Kinetics of Plasmas, (Addison-Wesley,
Reading, 1966).
6
momenten der Verteilungsfunktion fs ,13,14
Z
(n)
Ms (~r, t) =
~v|~v {z
. . . ~v} fs (~r, ~v , t)d3 v,
(23)
n Faktoren
wobei jedem Moment n-ter Ordnung ein Moment n + 1-ter Ordnung zugeordnet ist,
Z
(n+1)
Ms
(~r, t) =
~v|~v {z
. . . ~v} ~v fs (~r, ~v , t)d3 v.
(24)
n Faktoren
Das Moment (n + 1)-ter Ordnung wird als jeweils zugehöriger Fluss bezeichnet. Die voll(n)
ständige Sequenz aller Geschwindigkeitsmomente {Ms , n = 0, 1, 2, 3, . . . } ist eine alternative Schreibweise der Verteilungsfunktion fs und beinhaltet nicht mehr und nicht weniger
Informationen als die Verteilungsfunktion selbst.
Die ersten Momente dieser Sequenz haben eine konkrete physikalische Bedeutung. Man
erhält als Moment nullter Ordnung (im Laborsystem) die Dichte der s-ten Teilchensorte,
Z
(25)
ns (~r, t) = fs (~r, ~v , t)d3 v.
Der zugehörige Fluss, das Moment erster Ordnung, ist die Teilchenflussdichte,
Z
~Γs (~r, t) = ns (~r, t)~us (~r, t) = ~v fs (~r, ~v , t)d3 v,
(26)
bzw. nach Multiplikation mit der Masse ms die Impulsdichte p~s = ms~Γs .
Die beiden ersten Momente der Verteilungsfunktion werden genutzt, um die Ladungsdichte
ρ und die Stromdichte ~j zu definieren,
X
Zs qs ns (~r, t),
(27)
ρ(~r, t) =
s
~j(~r, t) =
X
Zs qs~Γs (~r, t).
(28)
s
Als Moment zweiter Ordnung erhält man den Impulsdichtefluss, der auch als Spannungstensor bezeichnet wird,
Z
Ps (~r, t) = ms~v~v fs (~r, ~v , t)d3 v.
(29)
Nach Spurbildung folgt als kontrahiertes Moment zweiter Ordnung die Energiedichte,
Z
1
ms v 2 fs (~r, ~v , t)d3 v.
(30)
εs (~r, t) =
2
13
14
A. Sitenko und V. Malnev, Plasma Physics Theory, (Chapman and Hall, London, 1995).
S. Chapman und T.G. Cowling, The Mathematical Theory of Non-uniform Gases, (Cambridge, Cambridge, 1999).
7
Die Energiedichte kann nun dazu genutzt werden, die kinetische Temperatur Ts zu definieren. Im thermodynamischen Gleichgewicht entspricht sie der thermodynamischen Temperatur (gemessen in Energieeinheiten). In Situationen fernab dem thermodynamischen
Gleichgewicht kann Ts als mittlere thermische Energie interpretiert werden,
Z
1
Ts (~r, t) =
ms (v − us )2 fs (~r, ~v , t)d3 v.
(31)
3ns
Für die kinetische Energiedichte der Teilchensorte s ergibt sich damit
3
1
εs (~r, t) = ms ns~u2s + ns Ts .
2
2
(32)
Der zugehörige Fluss, als Moment dritter Ordnung, ist die Energieflussdichte,
Z
1
~ s (~r, t) =
Q
ms v 2~v fs (~r, ~v , t)d3 v.
2
(33)
Die Dynamik der Momente wird allgemein beschrieben durch die Momente der kinetischen
Gleichung. Man erhält eine Erhaltungsgleichung der Form
(n)
∂Ms
∂t
+∇·
M(n+1)
s
Z
=
Zs qs ~
~ · ∇ v f s d3 v
E + ~v × B
~v|~v {z
. . . ~v}
ms
n Faktoren
Z
∂fs d3 v
mit
+
~v|~v {z
. . . ~v}
∂t n = 0, 1, 2, . . . . (34)
col
n Faktoren
Es handelt sich hierbei um ein nicht abgeschlossenes hierarchisches System partieller tensorieller Differentialgleichungen, welches exakt dieselbe Information beinhaltet, wie die
kinetische Gleichung. Der erste Summand auf der linken Seite ist die zeitliche Änderung
des Moments n-ter Ordnung, der zweite Summand ist die Divergenz des zugehörigen
Flusses, dem Moment n + 1-ter Ordnung. Der erste Summand auf der rechten Seite repräsentiert den Einfluss elektromagnetischer Felder auf die Dynamik der entsprechende
Teilchensorte. Der zweite Summand auf der rechten Seite beschreibt die Änderung des
Moments auf Grund der Wechselwirkungen der Teilchen untereinander.
Die ersten drei Momentengleichungen des hierarchischen Systems können physikalisch
sinnvoll interpretiert werden. Sie sind gegeben durch die Kontinuitätsgleichung, die
Impulserhaltungsgleichung und das kontrahierte Moment zweiter Ordnung, die Energieerhaltungsgleichung,15
∂ns ∂ns
~
+ ∇ · Γs =
,
(35)
∂t
∂t col
∂~ps
∂~
p
s
~ + ~us × B)
~ +
,
+ ∇ · Ps = Zs qs ns (E
(36)
∂t
∂t col
∂εs
∂ε
s
~ s = Zs qs ns E
~ · ~us +
.
+∇·Q
(37)
∂t
∂t col
15
R.P. Brinkmann, Kinetic Description of Plasmas in K.H. Becker, U. Kogelschatz, K.H. Schoenbach und
R.J. Barker, Non-equilibrium Air Plasmas at Atmospheric Pressure (IOP, Bristol, 2005).
8
Es stellt sich nun die konkrete Frage, unter welchen Bedingungen und nach welchen
Moment die Gleichungshierarchie abgeschnitten werden darf: Bei der Beschreibung von
Niedertemperaturplasmen genügt häufig die Berücksichtigung der drei angegebenen Gleichungen, wobei bestimmte Annahmen bzgl. der Energieflussdichte das Abschneiden rechtfertigen. Dies gilt zumindest für die Beschreibung von thermalisierten Ionen und Neutralteilchen, die in guter Näherung einer Maxwell-Verteilung genügen. Zur korrekten Beschreibung der Dynamik von Elektronen ist diese Näherung häufig nicht ausreichend. Die
Beschreibung von Hochtemperaturplasmen (Fusionsplasmen) erfordert sogar nicht selten
die Berücksichtigung von mehr als vier Momentengleichungen.16
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die klassische Beschreibung des Ladungsträgertranports in Halbleitern auf Basis der ersten beiden Momentengleichungen im Rahmen einer Drift-Diffusionsnäherung erfolgen kann — hier spielen die so genannten vanRoosbroek-Gleichungen eine wichtige Rolle.17,18
2.2
Plasmaparameter und kollektive Phänomene
Plasmen unterscheiden sich wesentlich von gewöhnlichen ionisierten Gasen — ihre grundlegende Physik wird durch eine Reihe kollektiver Raumladungseffekte bestimmt. Ein wichtiger kollektiver Effekt ist die so genannte Quasineutralität. Das Plasma zeigt sich nach
außen als elektrisch neutral. Die Anzahl der im Mittel pro Volumeneinheit vorhandenen
positiven und negativen Ladungen ist annähernd gleich groß,
X
Zs qs ns − ene ene .
(38)
s
Wenn es im Plasma zu einer Störung der Quasineutralität kommt, sorgen extrem starke
elektrische Felder dafür, dass das elektrische Gleichgewicht wieder hergestellt wird.
Ein weiterer kollektiver Effekt ist das Abschirmen des Potentials eines geladenen Teilchens
durch die ihn umschließende “Raumladungswolke” aller übrigen im Plasma vorhandenen
Ladungsträger. Der Einflussbereich des geladenen Teilchens auf die übrigen Teilchen ist
daher auf einen räumlichen Bereich beschränkt, der durch die Dichte und die thermische
Energie der Ladungsträger bestimmt wird. Die entsprechende Längenskala wird als DebyeLänge bezeichnet.
Eine Punktladung q0 im Ursprung eines Koordinatensystems erzeugt im Vakuum das
Potential q0 /(4π0 r). Die die Ladung q0 im Plasma umgebende Raumladungswolke ρ(~r)
erzeugt ein zusätzliches Potential. Insgesamt gilt somit für das effektive Potential eine
Poisson-Gleichung der Form
0 ∇2 Φ = −q0 δ(~r) − ρ(~r).
Dabei kann ρ(~r) im Sinne einer Maxwell-Boltzmann-Statistik angegeben werden,
X
eΦ
.
ρ(~r) =
Zs qs ns − ene exp
T
e
s
16
(39)
(40)
R. Balescu,Transport Processes in Plasmas (North-Holland, Amsterdam, 1988).
W.V. van Roosbroeck, Bell Syst. Techn. J. 29, 560 (1950).
18
P.A. Markowich, C.A. Ringhofer und C. Schmeiser, Semiconductor Equations (Springer, Wien, 1989).
17
9
Wenn man davon ausgeht, dass die potentielle Energie viel kleiner ist als die mittlere
kinetische Energie, so kann ρ(~r) unter Annahme der Quasineutralität näherungsweise
durch e2 ne Φ/Te dargestellt werden. Mit dieser Näherung und der Randbedingung, dass
das Potential im Unendlichen verschwindet, erhält man als Lösung der Poisson-Gleichung
r
q0
exp −
(41)
Φ(r) =
4πε0 r
λD
Der Parameter λD wird als Debye-Länge bezeichnet,
r
0 Te
λD =
.
e2 ne
(42)
Man erkennt, dass für Abstände viel kleiner als λD das Potential im Wesentlichen dem
Coulomb-Potential entspricht, während für deutlich größere Abstände das Potential exponentiell mit dem Abstand abfällt. Das Potential der geladenen Teilchen im Plasma wird
also durch die vorhandene Raumladung der übrigen Teilchen effektiv abgeschirmt.19
Die Debye-Länge ist somit die Minimallänge für kollektive Raumladungseffekte im Plasma und die Maximallänge für individuelle Coulomb-Wechselwirkung unter den geladenen
Teilchen. Geladene Teilchen spüren den Einfluss anderer geladener Teilchen nur, wenn
ihr Abstand weniger als eine Debye-Länge beträgt. Geladene Teilchen, die weiter entfernt
sind als λD , werden als kontinuierliche Raumladungswolke wahrgenommen.
Es wurde bereits angedeutet, dass die Verschiebung einer Ladungsträgersorte vor dem stationären Hintergrund einer anderen Ladungsträgersorte zu sehr großen elektrostatischen
Kräften führt, so dass die Störung wieder ausgeglichen wird. Nimmt man an, dass das
Plasma homogen und unendlich ausgedehnt ist, und darüber hinaus, dass ne Elektronen pro Volumeneinheit derart vor dem homogenen Ionenhintergrund verschoben werden,
dass die Verschiebung de überall parallel zum daraus resultierenden elektrischen Feld E
ist, so ergibt sich, dass dieses sowohl proportional zu ne und als auch proportional zur Verschiebung de selbst ist. Nach Anwendung des Gauß-Gesetzes erhält man E = −ene de /0 .
Überlässt man die Ladungsträger sich selbst, so streben sie danach, das Ungleichgewicht
zu kompensieren. Sie beginnen, um ihre Gleichgewichtslage zu oszillieren. Diese Oszillation, die auch als Plasmaschwingung bezeichnet wird, kann unter Vernachlässigung von
Stößen und thermischer Bewegung durch eine Schwingungsgleichung beschrieben werden,
deren Lösung eine ungedämpfte Schwingung ist. Die Schwingung hat dabei die Frequenz
s
e2 ne
.
(43)
ωpe =
me 0
ωpe wird auch als Plasmafrequenz bezeichnet und stellt die Resonanzfrequenz des Systems
geladener Teilchen (hier Elektronen) dar.
Die Debye-Länge und die Plasmafrequenz können für eine spezielle Teilchensorte bestimmt
werden, wenn die Werte der Parameter ms , qs , n−1
s und Ts bekannt sind. Alle genannten
Parameter tragen dabei der diskreten Natur der individuellen Teilchen Rechnung, aus
denen sich ein Plasma zusammensetzt. Man kann nun eine formale Grenzwertbildung
durchführen, die die Individualität der einzelnen Teilchen unterdrückt und das Plasma als
19
P. Debye, Ann. Physik 39, 789 (1912).
10
106
Energie in Elektronenvolt
Fusionsreaktor
104
Magnetischer
Einschluss
Trägheits−
fusion
102
Prozess−
plasmen
Halbleiter
plasmen
100
Elektronengas
in Metallen
Hochdruck−
entladungen
Flammen
10−2
1010
1015
1020
1025
1030
Teilchen pro Kubikmeter
Abbildung 2: Parameterbereiche der Elektronendichte und Elektronentemperatur für verschiedene Arten von Plasmen.
kontinuierliches Medium erscheinen lässt: Stellt man sich einen fiktiven Prozess vor, der
jedes einzelne Teilchen in immer kleinere Stücke teilt, so erhält man im Grenzwert für die
genannten Parameter ms → 0, qs → 0, n−1
→ 0 und Ts → 0. Man kann nun fordern,
s
dass bei der Grenzwertbildung sowohl der Quotient qs /ms als auch die Ladungsdichte qs ns
konstant bleiben. In diesem Limit verschwindet die diskrete Natur des Plasmas und es
kann als kontinuierliches Fluid interpretiert werden.20,21
Es ist interessant festzustellen, dass sowohl die Debye-Länge als auch die Plasmafrequenz
im Fluid-Limit endlich bleiben. Beide Parameter können somit als makroskopische Parameter interpretiert werden. Aus diesem Grund spielen sie bei der Charakterisierung von
Plasmen hinsichtlich Längen- und Zeitskalen eine besondere Rolle .
Neben der Debye-Länge und der Plasmafrequenz kann ein zusätzlicher Parameter angegeben werden, der sich zur Charakterisierung von Plasmen eignet. Für eine gegebene thermische Energiedichte kann die mittlere quadratische Geschwindigkeit angegeben werden,
3
1
ns ms vs2 = ns Ts .
2
2
Als Parameter wird hier die thermische Geschwindigkeit vs,th identifiziert,
r
r
1 2
Ts
hvs i =
.
vs,th =
3
ms
(44)
(45)
Es ist sehr interessant zu sehen, dass die thermische Geschwindigkeit direkt an die Debye20
21
N. Rostoker und M.N Rosenbluth, Phys. Fluids 3, 1 (1960).
S. Ichimaru, Basic Principles of Plasma Physics: A Statistical Approach (Cummings, London, 1973).
11
Länge und die Plasmafrequenz koppelt. Es gilt z.B. für Elektronen
−1
Te e2 ne
v2
0 Te
2
= th
λD = 2 =
.
2
e ne
me 0 me
ωpe
(46)
Ein geladenes Teilchen der Geschwindigkeit vth schafft es innerhalb einer Periode der
Plasmaschwingung die Debye-Kugel zu durchqueren. Die inverse Plasmafrequenz kann
daher als obere Grenze für die mikroskopische Wechselwirkungszeit zwischen geladenen
Teilchen interpretiert werden.
Auf Grund ihrer geringen Masse sind Elektronen im Plasma die weitaus mobilsten geladenen Teilchen. Elektronen stehen aus diesem Grund häufig im Zentrum vieler Theorien. Die oben diskutierten Parameter zur allgemeinen Charakterisierung von Plasmen
und Entladungen werden daher im Allgemeinen auf Elektronen bezogen. In Abbildung 2
sind für verschiedene Arten von Plasmen die Parameterbereiche für Elektronendichte und
Elektronentemperatur angegeben.
2.3
Modellierung kapazitiv gekoppelter Hochfrequenzplasmen
Das Plasma einer kapazitiven Hochfrequenzentladung wird durch Einkopplung elektrischer
Feldenergie zwischen den parallelen Elektroden innerhalb einer Vakuumkammer erzeugt.
Die Betriebsfrequenzen liegen dabei im Bereich zwischen mehreren 100 Kilohertz und mehreren 100 Megahertz. Der Neutralgasdruck im Reaktor liegt zwischen einigen zehntel und
einigen zehn Pascal. Die Plasmadichte (oder besser die Elektronendichte) liegt im Bereich
zwischen 1014 und 1018 pro Kubikmeter. Der Ionisationsgrad überschreitet dabei selten 0.1
Prozent. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass das betrachtete Plasma fernab
des thermodynamischen Gleichgewichts ist. Während die schweren Neutralteilchen und
Ionen kalt sind und etwa Zimmertemperatur besitzen, sind die Elektronen heiß. Letztere
besitzen eine thermische Energie von zwei bis fünf Elektronenvolt.
Die typischen Zeitskalen und Längenskalen überstreichen viele Größenordnungen. Eine
sinnvolle und effiziente Modellierung kapazitiver Hochfrequenzentladungen kann somit
nur auf der Basis systematischer Skalenanalysen erfolgen: Ein Plasmareaktor, in dem
Strukturen von einigen zehn Nanometern prozessiert werden, besitzt bei einem Elektrodenabstand von einigen Zentimetern einen Radius von bis zu einem Meter. Ein typischer
Plasmaprozess dauert unter Umständen viele Minuten, während die Plasmafrequenz der
Elektronen im Bereich von einigen zehn Gigahertz liegt. Ein Plasmamodell, das in der
Lage ist, alle Effekte und Phänomene gleichzeitig zu beschreiben und darüber hinaus
numerisch handbar ist, wird nicht existieren. Ein Schlüssel zur Lösung dieses Problems
sind Multiskalenmethoden,22 die sich insbesondere bei der Modellierung von kapazitiven
Hochfrequenzentladungen als extrem mächtig erwiesen haben.
Es stellt sich nun die konkrete Frage, wann welche Beschreibung für die unterschiedlichen
Teilchensorten angemessen ist. Beschränkt man sich bei der Betrachtung zunächst auf das
Teilchen-Subsystem bestehend aus Ionen und Neutralteilchen — den Schwerteilchen — so
stellt man fest, dass elastische Zwei-Teilchen-Stöße alle anderen Stoßprozesse dominieren.
Die Schwerteilchen erreichen schnell ein lokales thermodynamischen Gleichgewicht und
genügen somit nahezu einer Maxwell-Verteilung.
22
J. Kevorkian und J.D. Cole, Multiple Scale and Singular Perturbation Methods (Springer, New York,
1996).
12
Diese Tatsache hat eine wichtige Konsequenz: Die (verschobene) Maxwell-Verteilung der
Schwerteilchen kann durch genau drei Parameter vollständig charakterisiert werden. Diese
sind durch die ersten drei Momente der Verteilungfunktion gegeben, nämlich die Teilchendichte ns , die Teilchengeschwindigkeit ~us , sowie die Temperatur (oder thermische Energie)
Ts . Zur Berechnung dieser drei Parameter findet man ein System aus genau drei gekoppelten Differentialgleichungen, formal identisch zu den angebenen drei ersten Geschwindigkeitsmomenten der kinetischen Gleichung (35) bis (37). Allerdings handelt es sich jetzt
um ein abgeschlossenes Gleichungssystem, in dem die makroskopischen Größen ~Γs , Ps und
~ s über die Gradienten von ns , ~us und Ts dargestellt werden können.
Q
Die im Vergleich zu Ionen und Neutralteilchen viel leichteren und viel heißeren Elektronen sind in der Regel weit davon entfernt, einer Maxwell-Verteilung zu genügen. Eine
Beschreibung ihrer Dynamik über eine handhabbare Zahl makroskopischer Gleichungen,
die durch direkte Momentenbildung aus der kinetischen Gleichung abgeleitet werden können, ist daher nicht ohne weiteres möglich. Streng genommen, muss die Dynamik der
Elektronen immer kinetisch beschrieben werden.
Um dabei der nur sehr schwer lösbaren kinetischen Gleichung aus dem Weg zu gehen, bietet sich die so genannte reduziert kinetische Theorie an.23,24 Sie basiert auf der Annahme,
dass Elektronen in einem schwach ionisierten Plasma fast ausschließlich mit Neutralteilchen wechselwirken und nur sehr selten mit den Ionen oder den übrigen Elektronen. Weiterhin wird angenommen, dass die charakteristischen Längen- und Zeitskalen des Plasmas
viel größer als die mittlere freie Weglänge der Elektronen bzw. der inversen Stoßfrequenz
für Elektronen-Neutralteilchen-Stöße sind.
Im Rahmen der reduziert kinetischen Theorie wird die Verteilungsfunktion der Elektronen
fe im Geschwindigkeitsraum nach Kugelflächenfunktionen entwickelt,
fe (~r, ~v , t) =
∞ X
l
X
(m)
fl
(~r, |~v |)Ylm (ϑ, ϕ).
(47)
l=0 m=−l
Geht man mit diesem Ansatz ein in die kinetische Gleichung für die Elektronen, so erhält
man formal partielle Differentialgleichungen für die unbekannten Koeffizientenfunktionen
flm . Unter den oben angegebenen Annahmen kann die Reihe in guter Näherung nach l = 1
abgebrochen werden. Man erhält so formal mit v = |~v | die Zwei-Term-Entwicklung,
~v ~
· f1 (~r, v, t).
(48)
v
Die Verteilungsfunktion der Elektronen setzt sich damit zusammen aus einem isotropen
skalaren Anteil f0 und einem anisotropen vektoriellen Anteil f~1 . Man erhält für f0 und
f~1 zwei partielle Differentialgleichungen, die auch als reduziert kinetische Gleichungen
bezeichnet werden,
∂f ∂f0 1
∂
1
e
1
0
2
~ · f~1 =
+ v∇ · f~1 −
v E
,
(49)
2
∂t
3
3 me v ∂v
∂t col
∂ f~1
e
∂f
0
~
~ × f~1 = −νeN (v)f~1 .
+ v∇f0 −
E
+B
(50)
∂t
me
∂v
fe (~r, ~v , t) = f0 (~r, |~v |, t) +
23
I.P. Shkarofski, T.W. Johnston und M.P. Bachynski, The Particle Kinetics of Plasmas, (Addison-Wesley,
Reading, 1966).
24
V.E. Golant, A.P. Zhilinsky, I.E. Sakharov und S.C. Brown, Fundamentals of Plasma Physics (Wiley,
New York, 1980).
13
Die eckige Klammer in (49) bedeutet hier eine Mittelung über den gesamten Winkelbereich
im Geschwindigkeitsraum. νeN (v) ist die vom Betrag der Geschwindigkeit abhängige Frequenz für Stöße zwischen Elektronen und Neutralteilchen.
Aus den Verteilungsfunktionen f0 und f~1 können über Bildung von Geschwindigkeitsmomenten wieder makroskopische Größen berechnet werden. Als die ersten drei Momente
ergeben sich die Elektronendichte, sowie Flussdichte und Energiedichte der Elektronen,
Z ∞
f0 (~r, v, t)4πv 2 dv,
(51)
ne (~r, t) =
0
Z ∞
1 ~
v f1 (~r, v, t)4πv 2 dv,
(52)
Γe (~r, t) =
3
Z0 ∞
1
εe (~r, t) =
me v 2 f0 (~r, v, t)4πv 2 dv.
(53)
2
0
Wenn die Elektrodynamik kapazitiver Hochfrequenzentladungen im Vordergrund des Interesses steht, kann das Plasma sinnvoll über eine komplexe Leitfähigkeit beschrieben
werden. Das elektrische Feld und die elektrische Stromdichte sind dann über ein verallgemeinertes, zeitlich nichtlokales Ohmschen Gesetz gekoppelt.
Um diesen funktionalen Zusammenhang aus der reduziert kinetischen Theorie der Elektronen konsistent abzuleiten, setzt man für die elektrische und magnetische Feldstärke
~ r, t) = Re B(~
~ r) exp(iωt) an. Man geht außerdem da~ r, t) = Re E(~
~ r) exp(iωt) bzw. B(~
E(~
von aus, dass sowohl der hochfrequente Anteil von f0 als auch der Gleichanteil von f~1
verschwindet. Damit man nimmt an, dass die Elektronendichte im Plasma zeitlich unmoduliert und der elektrische Strom (getragen durch die Elektronen) gleichanteilsfrei ist.
Nach sukzessiver Ausnutzung von Orthogonalitätseigenschaften folgt aus (50) eine Gleichung für den anisotropen Anteil der Verteilungsfunktion f~1 ,
iω f~1 −
e ~ ∂ f¯0
E
= −νeN (v)f~1 .
me ∂v
(54)
Für den funktionalen Zusammenhang zwischen der Stromdichte ~j = −e~Γe und dem elek~ ergibt sich
trischen Feld E
2 Z ∞
1
∂ f¯0 3 ~
~j = − 4π e
v dv E.
(55)
3 me 0 νeN (v) + iω ∂v
Die komplexe Leitfähigkeit des Plasmas ist damit definiert über das Integral
Z
4π e2 ∞
1
∂ f¯0 3
σP = −
v dv.
3 me 0 νeN (v) + iω ∂v
(56)
Dieser Audruck stellt eine Verallgemeinerung der im Rahmen eine fluiddynamische Beschreibung des Plasmas aus der Impulserhaltungsgleichung hergeleiteten komplexen Leitfähigkeit des Plasmas dar, die gegeben ist über
σP =
e 2 ne
1
.
0
me νeN,eff + iωeff
14
(57)
Für den Zeitbereich folgt damit formal ein verallgemeinertes Ohmsches Gesetz — ähnlich
dem Drude-Modell zur klassischen Beschreibung des Ladungstransports in Metallen,25,26
e2 ne ~
∂~j
=
E − νeN,eff~j.
∂t
me
(58)
Das abgeleitete Modell auf Basis der reduziert kinetischen Theorie eignet sich zur Beschreibung der Hochfrequenzdynamik des Plasmabulks. Es bricht allerdings zusammen
für den Bereich der Randschicht, die sich vor jeder räumlichen Begrenzung eines Plasmas ausbildet. Da sich die Elektronen in der Randschicht im Boltzmann-Gleichgewicht
befinden, spielt der Elektronendruck eine entscheidende Rolle. Gerade dieser wird aber
durch das verallgemeinerte Ohmsche Gesetz vernachlässigt. Es müssen spezielle Modelle
zur Beschreibung der Randschicht formuliert werden.
2.4
Nichtlinearer Charakter der Plasmarandschicht
Gegeben sei zunächst ein unendlich ausgedehntes homogenes Plasma fernab dem thermodynamischen Gleichgewicht, wobei zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Teil des Plasmas
durch eine metallische Begrenzung in einen bestimmten endlichen Raumbereich eingeschlossen wird. Die Elektronen innerhalb der Begrenzung werden im Bereich der begrenzenden Wand auf Grund ihrer hohen thermischen Energie sehr schnell absorbiert. Die
kalten und schweren Ionen reagieren nur sehr langsam auf das plötzliche Vorhandensein
der Begrenzung. Im Bereich der Begrenzung entsteht so eine dünne positive Raumladungsschicht, was gleichzeitig zur Ausbildung eines starken elektrischen Feldes führt. In
diesem Feld werden einerseits die Ionen in Richtung Wand beschleunigt und andererseits
Elektronen “reflektiert”. Nach einer kurzen Relaxationszeit stellt sich ein Gleichgewicht
ein: die Plasmarandschicht.
Obwohl die Randschicht eine räumliche Ausdehnung von nur einigen Debye-Längen besitzt — und somit nur einen kleinen Teil der gesamten Entladung ausmacht — bestimmt
sie maßgeblich die Entladungsdynamik und ist inhärent verbunden mit zahlreichen technischen Anwendungen. Insbesondere die Plasmaprozessierung von Oberflächen wird erst
durch die besonderen Eigenschaften der Randschicht ermöglicht: Im Bereich der Randschicht können Ionen auf mehrere 100 Elektronenvolt beschleunigt werden. Diese sind so
in der Lage, z.B. bei sehr kleinen Gasdrücken extrem anisotrope Oberflächenprozesse zu
realisieren.27
Die räumliche Struktur der Teilchendichten für den Bereich der Randschicht einer kapazitiven Hochfrequenzentladung ist in Abbildung 3 dargestellt. Sowohl die Dichte der Elektronen als auch die der Ionen sind im Allgemeinen von der Zeit abhängig. Wenn allerdings
die anregende Frequenz groß genug ist, so kann die Ionendichte als statisch angenommen
werden. (Dies gilt schon bei der häufig zur Anwendung kommenden Anregungsfrequenz
von 13.65 MHz.) Die Ionen reagieren auf Grund ihrer großen Masse lediglich auf das zeitlich gemittelte elektrische Feld. Die Elektronen allerdings “sehen” die volle Dynamik. Sie
befinden sich mit dem elektrischen Feld im Boltzmann-Gleichgewicht. Es kommt zu einer
hochfrequenten Modulation der Elektronenkante.
25
A. Sommerfeld und H. Bethe, Elektronentheorie der Metalle (Springer, Berlin, 1967).
G.G. Lister, Y.M. Li und V.A. Godyak, J. Appl. Phys 79, 8993 (1996).
27
B. Chapman, Glow Discharge Processes (Wiley, New York, 1980).
26
15
Elektrode
unipolare Übergangs− ambipolare
Zone
zone
Zone
"Beginn"
des Plasmabulks
ni
ne (t)
maximale
Randschichtausdehnung
x
minimale
Randschichtausdehnung
(Schichtkollaps)
Abbildung 3: Schematische Darstellung der Dichteprofile in der Randschicht einer kapazitiven Hochfrequenzentladung. Die über eine Hochfrequenzperiode gemittelte Elektronendichte ist gestrichtet dargestellt.
Wie in Abbildung 3 dargestellt ist, kann die Randschicht durch drei Zonen charakterisiert
werden, die asymptotisch in einander übergehen. Diese sind die unipolare Zone, in der
im zeitlichen Mittel starke Elektronenverarmung herrscht, die ambipolare Zone, die im
Mittel quasineutral ist und die Übergangszone. Das damit zusammenhängende Problem
der mathematischen Beschreibung stellt sich als extrem kompliziert dar. Letztendlich hat
aber die Methode der asymptotischen Skalenentwicklung zum nahezu vollständigen Verständnis der Randschicht geführt.28,29,30,31
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird die Randschicht als nichtlineares elektrisches
Bauelement interpretiert. Da in der Randschicht auf Grund der fehlenden Elektronen der
Strom im Wesentlichen durch die dielektrische Verschiebung getragen wird, kann sie in
erster Näherung durch eine nichtlineare Spannungs-Ladungskennlinie beschrieben werden.
Nach zweimaliger Integration der Poisson-Gleichung für den Bereich der Randschicht erhält man in voller Allgemeinheit als Spannungsabfall über der Randschicht
Z
e s(t) 0 X
x
ns (x0 )dx0 .
(59)
VS (Q(t)) = ΦS (s(t)) =
0 0
s
Dabei ist die von der Modulation abhängige Randschichtweite s(t) durch ein von Brinkmann formuliertes Kriterium definiert,32
!
Z s(t)
Z ∞ X
ne dx =
ns − ne dx.
(60)
0
s(t)
s
Geht man in erster Näherung von einer konstanten Ionendichte innerhalb der Randschicht
aus, so erhält man aus (59) einen quadratischen Zusammenhang zwischen Spannungabfall
28
M.A. Lieberman, IEEE Trans. Plasma Sci. 16, 638 (1988).
V.A. Godyak und N. Sternberg, Phys. Rev. 42 2299, 1990.
30
K.U. Riemann, J. Phys. D: Appl. Phys. 24, 493 (1991).
31
J. Schulze, Z. Donko, B. G. Heil, D. Luggenhlscher, T. Mussenbrock, R. P. Brinkmann und U. Czarnetzki,
J. Phys. D: Appl. Phys. 41, 105214 (2008).
32
R.B. Brinkmann, J. Appl. Phys. 102, 093303 (2007).
29
16
und Ladung. In der Realität ist die Ionendichte allerdings nicht konstant, so dass man den
Spannungsabfall für Q(t) > 0 ohne Beschränkung der Allgemeingültigkeit als Potenzreihe
schreiben kann,
VS (Q(t)) =
∞
X
vk (t)Qk (t).
(61)
k=0
Die Entwicklungskoeffizienten vk = vk (t) sind dabei von der Zeit abhängig.
Hier manifestiert sich der Einfluss der nichtlinearen Randschicht auf die Dynamik einer
harmonisch angetriebenen kapazitiven Hochfrequenzentladung. Die parametrische Aussteuerung der nichtlinearen Randschicht führt zur Anregung von Harmonischen im hochfrequenten Strom. Gerade diese bislang weitgehend vernachlässigte Tatsache hat großen
Einfluss auf das Verständnis kapazitiver Hochfrequenzentladungen.
3
Dynamik kapazitiver Hochfrequenzentladungen
Seit ihrer Einführung Anfang der 1960er Jahre unterliegen kapazitive Hochfrequenzentladungen und ihre Anwendungen einer stetigen Weiterentwicklung. Um die Produktivität zu
steigern, geht z.B. die Halbleiterindustrie hin zu immer größeren Wafern und Substraten.
In der Halbleitertechnologie hat der Durchmesser von Wafern die 300-Millimeter-Grenze
längst überschritten. Bei der Herstellung von Plasma-Displays oder Solarzellen wurde sogar der Meterbereich erreicht. (Das bedeutet zwangsläufig, dass Plasmareaktoren ebenfalls
immer größer werden müssen.) Ein zweiter Trend ist, dass die anregenden Frequenzen immer größer werden — 200 MHz und darüber sind keine Seltenheit mehr. Häufig sind auch
mehr als nur eine Frequenz im Einsatz. Man regt das Plasma mit zwei oder drei Frequenzen an, was eine effizientere Energieeinkopplung, höhere Plasmadichten und damit höhere
Produktivität mit sich bringt.
Diese Trends erfordern zunehmend Entladungsmodelle, die sich von existierenden Modellen in zwei wesentlichen Punkten unterscheiden müssen: i) Die gleichzeitige Erhöhung
von Anregungsfrequenz, Plasmadichte und Entladungsgröße führt die Entladung in ein
Regime, in dem elektromagnetische Phänomene (z.B. der Skineffekt oder der so genannte
Standing-Wave-Effekt) eine wichtige Rolle spielen können. ii) Es hat sich gezeigt, dass
Resonanzeffekte, angeregt durch die nichtlineare Wechselwirkung zwischen Plasma und
Randschicht, einen großen Einfluss auf den Energiehaushalt der Enladung haben können.
Gefragt sind somit Modelle, die neben elektromagnetischen Effekten auch nichtlineare
Effekte berücksichtigen.
3.1
Hochfrequenzmodelle für kapazitive Entladungen
(Mu::05, Mu::06)
Die Entwicklung spezialisierter Modelle für kapazitive Hochfrequenzentladungen basiert
auf der systematischer Analyse von Längen- und Zeitskalen. Für eine typische Entladung, die schematisch in Abbildung 4 (links) darstellt ist, sind die typischen Längenskalen gegeben durch die Debye-Länge λD = (0 Te /e2 ne )1/2 , die mittlere Randschichtweite
s̄ = (0 VRF /ene )1/2 , die (stoßfreie) Skintiefe λSCF = (me /µ0 e2 ne )1/2 und die Skala der
Entladung L.
17
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die ersten drei der genannten Längenskalen
über einen dimensionslosen Faktor zusammenhängen, der nahezu konstant ist. Das Verhältnis von Debye-Länge zu mittlerer Randschichtweite skaliert mit der Wurzel aus dem
Verhältnis von thermischer Spannung zur angelegten Elektrodenspannung,
s
r
Te /e
3V
λD
∼
∼
= 0.1.
(62)
s̄
VRF
300 V
Das Verhältnis von mittlerer Randschichtweite zu Skintiefe skaliert mit der Wurzel aus
dem Verhälntnis von Randschichtspannung zu Elektronenruheenergie,
r
r
s̄
eVRF
300 eV
∼
= 0.025.
(63)
∼
2
λSCF
me c
5 × 105 eV
Die Skintiefe hängt allerdings von der Elektronendichte und der eigentlichen Größe der
Entladung ab. Das quadratische Verhältnis von Reaktordimension zu Skintiefe ist durch
eine dimensionslose Zahl gegeben, die gelegentlich auch als magnetische Reynolds-Zahl
bezeichnet wird, Rm = L2 µ0 e2 ne /me = L2 /λ2SCF . Sie ist ein Maß für den Einfluss elektromagnetischer Effekte: Wenn Rm klein ist, so können die Maxwell-Gleichungen durch ihre
~ = 0. Für moderate und große Rm
elektrostatische Näherung beschrieben werden, ∇ × E
müssen die vollen Maxwell-Gleichungen angesetzt werden. Für kapazitive Hochfrequenzentladungen gilt
1
λSCF
∼ 0.1 . . . 100.
≡√
L
Rm
(64)
Zwei prominente Beispiele sind an dieser Stelle genannt: Eine kapazitive Hochfrequenzentladung, die in Forschungslabors betrieben wird, besitzt die charakteristische Längenskala
L = 10−1 m bei einer Elektronendichte von ne = 1015 m−3 . Die magnetische Reynolds-Zahl
ist in diesem Fall ungefähr 3.54 × 10−1 . Die elektrostatische Beschreibung ist hier gerechtfertigt. Für eine große Entladung (z.B. ein Prozessplasma für 300-Millimeter-Wafer) mit
L = 0.3 m und ne = 2 × 1017 m−3 ist die magnetische Reynolds-Zahl ungefähr 6.37 × 102 .
Es ist damit klar, dass zur Beschreibung großer Entladungen die elektrostatische Näherung
der Maxwell-Gleichungen nicht mehr gerechtfertigt ist. Wenn man an der Dynamik großer
Entladungen interessiert ist, gilt die Skalierung
λD s̄ λSCF . L.
(65)
Die typischen Zeitskalen der Entladung sind definiert durch die Plasmafrequenzen der
einzelnen Spezies (Elektronen und Ionen), ωpe = (e2 ne /0 me )1/2 bzw. ωpi = (e2 ni /0 mi )1/2 ,
die Frequenz elastischer Stöße zwischen Elektronen und Neutralteilchen νeN , die Frequenz
der Plasmaserienresonanz ωPSR = (s̄/L)1/2 ωpe , sowie die Anregungsfrequenz ωRF . Dazu
kommt noch die Ionisationsrate νion , die die Zeitkonstante plasmachemischer Reaktionen
abschätzt.
Bei der Formulierung eines Hochfrequenzmodells ist ebenfalls die Trennung der Zeitskalen
sinnvoll: Man geht davon aus, dass die Anregungsfrequenz von z.B. 13.56 MHz deutlich
über der Plasmafrequenz der Ionen liegt, aber deutlich unterhalb der Plasmafrequenz
der Elektronen. Die Frequenz der Plasmaserienresonanz liegt knapp oberhalb der Anregungsfrequenz, während die Frequenz elastischer Stöße je nach Gasdruck im Bereich
18
I
VSB electrode
dielectric
Ie
VS
Ii
sheath
VRF
Ohmic and
stochastic
heating
bulk
VP
electron
inertia
grounded wall
VG
Abbildung 4: Schematische Darstellung eines Modells zur Beschreibung der Hochfrequenzdynamik asymmetrischer kapazitiver Entladungen.
oder unterhalb der Anregungsfrequenz liegt. Die Ionisationsrate liegt sogar häufig weit
unterhalb der Plasmafrequenz der Ionen. Insgesamt kann man schreiben
νion . ωpi νeN . ωRF . ωPSR ωpe .
(66)
Die strikte Trennung von Längenskalen einerseits und Zeitskalen andererseits hat unmittelbaren Einfluss auf die dem Entladungsmodell zu Grunde liegenden Gleichungen. Je
nach Interesse kann der Fokus auf bestimmte physikalische Effekte und Phänomene gelegt
werden: Wenn man sich — wie in der vorliegenden Arbeit — für die Elektrodynamik kapazitiver Hochfrequenzentladungen interessiert, kann zunächst ein räumliches Mehrskalenmodell formuliert werden. Die Plasmarandschicht kann modellmäßig vom Plasmabulk
getrennt und schließlich als “Randbedingung” an das Bulkmodell gekoppelt werden (und
umgekehrt). Man formuliert das Bulkmodell für den Volumenbereich V der Entladung,
während das Modell der Randschicht, sowie die Reaktorwand (getriebene Elektroden, geerdete Wände, Quarzfenster, etc.) auf dem Rand der Volumens ∂V formuliert werden. Interessiert man sich zudem für hochfrequente Phänomene oberhalb der Anregungsfrequenz,
so kann mittels einer Zeitskalenseparation die Dynamik der Ionen abgekoppelt werden.
Sie kann in erster Näherung vernachlässigt werden. Die hochfrequenten Effekte im Bulk
werden durch die Elektronen getragen. Die dynamischen Plasmagleichungen brauchen also
lediglich für Elektronen formuliert zu werden.
Für genau diesen Fall stellt das verallgemeinerte Ohmsche Gesetz in Kombination mit
der Kontinuitätsgleichung ein geeignetes Modell dar, den quasineutralen Plasmabulk zu
beschreiben. Es beschreibt in seiner ursprünglichen Form — ähnlich dem Drude-Model
für Metalle — die Dynamik der Elektronen in einem externen elektrischen Feld unter dem
Einfluss von elastischen Stößen mit den Atomen des neutralen Hintergrundgases,
e2 ne ~
∂~j
=
E − νeN~j,
∂t
me
∇ · ~j = 0.
19
(67)
(68)
Die Dynamik des elektromagnetischen Feldes wird durch die quasistationäre Näherung
der Maxwell-Gleichungen beschrieben, wobei der Verschiebungsstrom unter der Annahme
von Quasineutralität ρ = 0 vernachlässigt werden kann,
~ = µ0~j,
∇×B
~
~ = − ∂B ,
∇×E
∂t
~ = 0.
∇·B
(69)
(70)
(71)
In der Randschicht wird der hochfrequente Strom durch die dielektrische Verschiebung
getragen. Die Randschicht kann in erster Näherung als Kapazität mit einer nichtlinearen,
im Allgemeinen vom Ort abhängigen Spannungs-Ladungs-Kennlinie VS = VS (σ, ~r) interpretiert werden. Dabei stellt σ = σ(~r) eine Flächenladungsdichte auf ∂Ω dar.
Der Spannungsabfall über der Randschicht kann als Summe eines linearen Terms und
eines nichtlinearen Restterms geschrieben werden. Es gilt VS = σ/CS0 + VSN (σ), mit einem
im Allgemeinen von Ort und Zeit abhängigen Kapazitätsbelag CS0 und dem nichtlinearen
Anteil der Randschichtspannung VSN (σ). Die Oberflächenladungsdichte auf dem Rand
selbst ist dynamisch moduliert durch die lokale Stromdichte, ∂σ/∂t = ~n · ~j|∂Ω .
Für den Bereich der Elektrode auf ∂Ω ist das Potential an der Grenzfläche zwischen
Plasmabulk und Randschicht durch die Summe aus Randschichtspannung VS und Elektrodenspannung VRF gegeben,
Φ|E = VS + VRF =
σ
+ VSN (σ) + VRF (t).
CS0
(72)
An geerdeten Wänden ist das Potential allein durch die Randschichtspannung gegeben,
Φ|G = VS =
σ
+ VSN (σ).
CS0
(73)
An dielektrischen Wänden muss zusätzlich der Spannungsabfall über dem Dielektrikum
berücksichtigt werden. Nimmt man einen relativ kleinen Koppelkapazitätsbelag CD0 für
das Dielektrikum an, so ist das Potential gegeben durch
Φ|D = VS +
σ
σ
σ
= 0 + VSN (σ) + 0 .
0
CD
CS
CD
(74)
Für das elektrische und magnetische Feld müssen sinnvolle Randbedingungen gefordert
werden: i) Die Tangentialkomponente des elektrischen Feldes im Plasmabulk an der Grenz~ ∂Ω = −~n × ∇Φ|∂Ω gegeben. ii) Sowohl an metalfläche zur Randschicht ist durch ~n × E|
lischen als auch an dielektrischen Oberflächen verschwindet die Normalkompoente des
~ ∂Ω = 0.
magetischen Feldes, ~n · B|
Es scheint, als würde die Einführung eines skalaren Potentials auf dem Rand ∂Ω im
Widerspruch zum nicht verschwindenden Induktionsterm in den Maxwell-Gleichungen
stehen. Man kann allerdings auf Basis des Induktionsgesetzes und den Randbedingungen
zeigen, dass die formulierten Gleichungen ein konsistentes Gleichungssystem darstellen.33
33
T. Mussenbrock, Zur Theorie auf selbsterregter Elektronenresonanz basierender Diagnostikverfahren für
kapazitiv gekoppelte Niedertemperaturplasmen (Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, 2004).
20
~ auf ∂Ω verschwindet und somit
Man kann zeigen, dass die Normalkompontente von ∇× E
die Einführung eines skalaren Potentials auf ∂Ω gerechtfertigt ist.
Das formulierte nichtlineare, elektrodynamische Modell einer Hochfrequenzentladung gilt
für beliebige Reaktorgeometrien und macht keine einschränkende Annahmen über die
räumliche Struktur des Plasmas, der Plasmarandschicht und der Form der anregenden
Spannung. Man ist mit diesem Modell in Lage, sowohl nichtlineare Phänomene als auch
elektromagnetische Effekte in beliebig gearteten kapazitiven Hochfrequenzentladungen zu
beschreiben.
Eine weitere, sehr effiziente Möglichkeit der Beschreibung der Hochfrequenzdynamik kapazitiver Entladungen ist der Gebrauch eines globalen Modells. Dieses kann aus dem
vorgestellten räumlich aufgelösten Modell ableitet werden. Hierzu werden sämtliche dynamische Größen über das Entladungsvolumen gemittelt.34 Aus einem System mit verteilten
Parametern wird so ein System mit konzentrierten Parametern.
Konkret bedeutet dies für das oben formulierte Modell, dass die Randschicht durch eine
von der Ladung abhängige nichtlineare Kapazität unter Berücksichtigung einer Strombedingung beschrieben werden kann. Der Ionenstrom zur Elektrode muss gleich dem zeitlich gemittelten Strom der Elektronen sein. Dies wird im Rahmen eines globalen Modells,
wie in Abbildung 4 (rechts) dargestellt, durch die Einführung einer Diode (Elektronenstrom) und einer Konstantstromquelle (Ionenstrom) realisiert.35 Der Plasmabulk wird beschrieben durch eine Serienschaltung aus einem Ohmschen Widerstand, der u.a. die Stöße
der Elektronen mit dem Neutralgas modelliert, und einer Induktivität, die die Trägheit
der Elektronen repräsentiert. Insgesamt ergibt sich als nichtlineares globales Modell der
dargestellte (multifrequent) getriebene anharmonische Oszillator.
Mit Hilfe globaler Modelle lassen sich zwar keine Aussagen über räumliche Strukturen
machen, sie sind aber hervorragend geeignet, dynamische Phänomene zu beschreiben.
Insbesondere kann auf Basis globaler Modelle ein tiefes Verständnis der Hochfrequenzdynamik kapazitiver Entladungen erlangt werden.
3.2
Plasmaserienresonanzeffekte
(Mu::03, Mu::07)
Plasmen weisen eine Vielzahl möglicher kollektiver Resonanzen auf.36,37 Dies gilt im Besonderen für kapazitive Hochfrequenzentladungen, bei denen das Verhältnis der Flächen
von getriebener zu geerdeter Elektrode klein ist. Man spricht in diesem Fall von asymmetrischen Entladungen. Ein typischer Vertreter ist schematisch in Abbildung 4 (links)
dargestellt. Von besonderer Bedeutung für asymmetrische Entladungen ist die Plasmaserienresonanz. Diese durch die Nichtlinearität der Randschicht selbsterregte Resonanz, die
gekennzeichnet ist durch den periodischen Austauch von kinetischer Energie der Elektronen im Plasmabulk und elektrischer Feldenergie in der Plasmarandschicht, ist ein zentraler
Effekt in Hinblick auf die Energieeinkopplung ins Plasma.
Der Mechanismus der Resonanzanregung ist auf der Basis eines nichtlinearen globalen
34
P. Mertmann, Kopplung eines Randschichtmodells mit einem Bulkmodell für ein Niederdruckplasma (Diplomarbeit, Ruhr-Universität Bochum, 2007).
35
A. Metze, D. W. Ernie, and H. J. Oskam, J. Appl. Phys. 60, 3081 (1986).
36
L. Tonks, Phys Rev. 38, 1219 (1931).
37
P.E. Vandenplas, Electron Waves and Resonances in Bounded Plasmas (Wiley, London, 1968).
21
Abbildung 5: Darstellung zweier HF-Perioden des Entladungsstromes (oben) und dem
zugehörigen Fourier-Spektrum (unten) für einen Normalgasdruck von 0.66 Pascal (= 5
mTorr) und harmonischer Anregung (ωRF = 2π×13.56 MHz). Resonante Dynamik —
(), nicht-resonante Dynamik – – – (?).
Modells schnell erklärt: Die nichtlineare Dynamik der Hochfrequenzentladung kann beschrieben werden durch den in Abbildung 4 dargestellten Serienschwingkreis. Dabei wird
die Randschicht durch eine nichtlineare Spannungs-Ladungskennlinie modelliert. Wird
der Schwingkreis durch eine harmonische Spannung angeregt, so werden durch den parametrischen Betrieb der Nichtlinearität höhere Harmonische im Entladungsstrom erzeugt.
Bestimmte Harmonische liegen nun auf oder in der Nähe der Serienresonanzfrequenz des
Schwingkreises, die in linearer Näherung durch ωPSR = ωpe (s̄/L)1/2 gegeben ist. Für genau diese Harmonischen des Stromes ist die Impedanz des Serienschwingkreises minimal
und es kommt zu einer Resonanzüberhöhung. Ein typischer Verlauf des Stromes und das
zugehörige Fourier-Spektrum ist in Abbildung 5 dargestellt.
Dieser fundamentale Effekt, der massiven Einfluss auf die Dynamik asymmetrischer Entladungen hat, blieb bislang bei der Modellierung und Simulation vollständig vernachlässigt.
Man hat bisher häufig als anregende Größe den Plasmastrom als “sinusförmig” vorgegeben, was den Effekt von vorne herein ausschaltet. (Dies ist zudem unrealistisch ist, da
eine kapazitive Entladung tatsächlich über eine Elektrodenspannung getrieben wird und
nicht durch einen eingeprägten Strom.) Ein zweiter Grund für das Nichtauftreten des
Resonanzeffektes ist die Anwendung von Drift-Diffusionsmodellen, bei denen die Trägheit der Elektronen vernachlässigt wird. Im globalen Modell würde dies bedeuten, dass
22
Abbildung 6: Dissipation als Funktion des Neutralgasdrucks in kapazitiven Hochfrequenzentladung für den resonanten Fall (—) und den nicht resonanten Fall (– – –).
die Induktivität unberücksichtigt bliebe. Auch dies nimmt dem Modell von vorne herein die Schwingfähigkeit. Die resultierende Dynamik ist als nicht-resonante Dynamik in
Abbildung 5 (oben) gestrichelt dargestellt.
Insbesondere das seit mehr als 30 Jahren viel diskutierte Phänomen der Energieeinkopplung wurde somit nicht vollständig diskutiert. Zwar wurde neben der Ohmschen Heizung
das Konzept der stochastischen Heizung erfolgreich formuliert,38 aber erst in der letzten Zeit konnte auf Basis von nichtlinearen Modellen und numerischen Simulationen ein
weiterer Schritt in Richtung vollständigem Verständnis getan werden.
3.3
Elektronenheizung in kapazitiven Entladungen
(Mu::01, Mu::10, Mu::12)
Die beiden wichtigsten Mechanismen der Plasmaheizung sind die Ohmsche Heizung und
die stochastische Heizung. Während die Ohmsche Heizung durch Stöße der Elektronen
mit den neutralen Atomen oder Molekülen des Hintergrundgases getragen wird, kann
die stochastische Heizung als Quasi-Stöße der Elektronen mit der oszillierenden Randschicht verstanden werden. Im Bereich mittlerer und hoher Gasdrücke (größer 50 mTorr)
dominiert die Ohmsche Heizung, sie skaliert linear mit dem Gasdruck. Für sehr niedrige, technisch relevante Gasdrücke (kleiner 20 mTorr) dominiert die im Wesentlichen vom
Druck unabhängige stochastische Heizung. Dieser Sachverhalt wurde bereits in den frühen
1980er Jahren in Experimenten gezeigt39 und später mittels selbstkonsistenter numerischer
Simulationen prinzipiell bestätigt.40
Es hat sich allerdings auch gezeigt, dass die numerischen Simulationen unter bestimmten
Umständen die Dissipation im Vergleich zu experimentell gewonnenen Ergebnissen deutlich unterschätzt haben. Schon Anfang der 1990 Jahre wurde die Vermutung geäußert,
38
M.A. Lieberman und V.A. Godyak, IEEE Trans. Plasma Sci. 26, 955 (1998).
V.A Godyak, Soviet Radio Frequency Discharge Research (Delphic, Falls Church, 1986).
40
E. Kawamura, M.A. Lieberman und A.J. Lichtenberg, Phys. Plasmas 13, 053506 (2006).
39
23
dass nichtlineare Effekte, initiert durch die nichtlineare Plasmarandschicht, der Grund
für dieses Problem sein könnte.41 Genau diese Vermutung konnte im Rahmen eines nichtlinearen effektiven Modell einer asymmetrischen Hochfrequenzentladung bestätigt werden.
Es konnte gezeigt werden, dass sowohl die Ohmsche als auch stochastische Heizung (und
somit auch die Gesamtdissipation) bei Berücksichtigung der durch die Nichtlinearität
der Randschicht erzeugten Harmonischen im Entladungsstrom drastisch zunimmt. Dieser
Sachverhalt in Abbildung 6 dargestellt. Der bislang nicht berücksichtigten Heizbeitrag
wurde als “Nonlinear Electron Resonance Heating” eingeführt und stellt einen wichtigen
Puzzlestein des vollständigen Verständnisses dar.
4
4.1
Dynamik von Zwei-Frequenz-Entladungen
Funktionsweise von Zwei-Frequenz-Entladungen
(Mu::02, Mu::11)
Für die meisten Plasmaprozesse ist die Wechselwirkung von energetischen Ionen mit der
zu prozessierenden Substratoberfläche von besonderer Bedeutung. Im Niederdruckregime
(kleiner fünf Pascal), in dem kapazitive Hochfrequenzentladungen häufig betrieben werden, ist die mittlere freie Weglänge der Ionen sehr viel größer als die Debye-Länge — die
Plasmarandschicht vor dem Substrat stellt sich für Ionen als quasi-stoßfrei dar. Die im
elektrischen Feld der Randschicht beschleunigten Ionen treffen daher mit einer sehr schmalen, Beam-artigen Energieverteilungsfunktion auf dem Substrat auf. Dies eröffnet z.B. die
Möglichkeit einer extrem anisotropen Oberflächenbehandlungen, wie z.B. das Ätzen moderner Deep-Trench-Strukturen für DRAMs mit Aspektverhältnissen von 70. Die Gräben
haben dabei eine Tiefe von sieben Mikrometern bei einer Breite von 100 Nanometern.
Der Nachteil konventioneller, monofrequent angeregter kapazitiver Entladungen ist in diesem Zusammenhang, dass die Energie der auf das Substrat auftreffenden Ionen nicht unabhängig vom Fluss der Ionen eingestellt oder gar geregelt werden kann. Diesem Problem
kann zu mindest in Grenzen durch die Einführung einer zweiten Anregungsfrequenz begegnet werden. Man spricht von Zwei-Frequenz-Entladungen. Die Ansteuerung mit zwei
Frequenzen ermöglicht eine gewisse Entkopplung von Ionenfluss (gesteuert durch die höhere Frequenz) und Ionenenergie (gesteuert durch die niedrigere Frequenz).42,43
Der zu Grunde liegende Mechanismus kann mit Hilfe eines einfachen elektrischen Ersatzschaltbildes der Entladung erklärt werden: Die Spannungsquelle mit der höheren Frequenz
“sieht” die Randschichtkapazität näherungsweise als Kurzschluss. Ihre Spannung fällt daher zum größten Teil über dem Plasmabulk ab, was zu Elektronenheizung führt — und
damit zu Ionisation und Ionenfluss. Die Spannung niedrigerer Frequenz hingegen fällt
hauptsächlich über der Randschicht ab. Der Spitzenwert dieser Spannung legt bei einer
asymmetrischen Entladung den DC-Spannungsabfall über der Randschicht fest — und
damit die Ionenenergie.
Diese einfache Erklärung gilt selbstverständlich nur in einem linearen Bild, in dem die
nichtlineare Dynamik der Randschicht unberücksichtigt bleibt. Es hat sich herausge41
B.P. Wood, M.A. Lieberman und A.J. Lichtenberg, IEEE Trans. Plasma Sci. 19, 619 (1991).
H.H. Goto, H.D. Löwe und T. Ohmi, J. Vac. Sci. Technol. A 10, 3048, (1992).
43
N. Nakano und T. Makabe, J. Phys. D: Appl. Phys. 28, 31 (1995).
42
24
HF−Quelle
HF−Quelle
Abbildung 7: Schematische Darstellung einer nahezu symmetrischen (links) und einer
asymmetrischen (rechts) kapazitiven Hochfrequenzentladung.
stellt, dass die nichtlineare Wechselwirkung zwischen Randschicht und Bulk von großer
Bedeutung für das Verständnis der fundamentalen Zusammenhänge in Zwei-FrequenzEntladungen ist. Dies gilt insbesondere für den Mechanismus der Energieeinkopplung.
Auch hier wird durch die Anregung der Plasmaserienresonanz die Dissipation drastisch erhöht. Es konnte gezeigt werden, dass dieser Effekt zeitlich an den Kollaps der Randschicht
gebunden ist, der seinerseits mit der niedrigen Frequenz synchronisiert ist, aber sehr stark
von der hohen Frequenz beeinflusst wird. Eine vollständige Entkopplung von Ionenerergie
und Ionenfluss ist damit durch eine Zwei-Frequenz-Anregung nicht gegeben.44,45
4.2
Ionenenergieverteilungsfunktion in symmetrischen
Zwei-Frequenz-Entladungen
(Mu::08)
Die im Plasmabulk erzeugten Ionen werden im elektrischen Feld der Randschicht zum Substrat hin beschleunigt. Im Allgemeinen ist diese Beschleunigung der Ionen abhängig vom
mittleren Spannungsabfall über der Randschicht, der so genannten Self-Bias-Spanung. Bei
asymmetrischen Entladungen (Abbildung 7, rechts) fällt die Spannung niedriger Frequenz
hauptsächlich über der Randschicht vor der getriebenen Elektrode ab, die im Vergleich zur
geerdeten Elektrode meist die kleinere Fläche aufweist. Es stellt sich insgesamt die SelfBias-Spannung ein, über den die Einstellung der Ionenenergie erfolgen kann. Dies ist bei
symmetrischen Entladungen (Abbildung 7, links) nicht der Fall. Die Self-Bias-Spannung
verschwindet, da sich die mittleren Spannungsabfälle über der getriebenen Randschicht
und der geerdeten Randschicht aufheben.
Aber gerade symmetrische Entladungen erlangen auf Grund ihres vergleichsweise kleinen
Volumens und der sehr guten Möglichkeit, die Plasmachemie zu steuern, immer größere
technologische Bedeutung. Beispielsweise bei die Prozessierung von großen Subraten, wie
etwa Solarzellen, gibt es keine vernünftige Alternative zu symmetrischen Entladungen. Es
44
T. Gans, J. Schulze, D. O’Connell, U. Czarnetzki, R. Faulkner, A.R. Ellingboe und M.M. Turner, Appl.
Phys. Lett. 89, 261502 (2006).
45
D. Ziegler, T. Mussenbrock und R.P. Brinkmann, Temporal structure of electron heating in asymmetric
single-frequency and dual-frequency capacitive discharges, Phys. Plasmas (2008) — eingereicht.
25
Abbildung 8: Darstellung der Ionenenergieverteilungen für eine Phasenverschiebung von
Θ = 0 und Θ = π/2. Für Θ = 0 ist oben die Ionenenergieverteilung vor der getriebenen
und unter vor der geerdeten Elektrode dargestellt, für Θ = π/2 umgekehrt.
ist daher mehr als wünschenswert, auch in symmetrischen Entladungen die Möglichkeit
einer gezielten Beeinflussung der Ionenenergieverteilung zu haben.
Eine Möglichkeit ist die Beaufschlagung der Elektrode mit einer zusätzlichen externen
Gleichspannung. Dies ist allerdings elektrisch aufwendig und teuer. Darüber hinaus sind
die zu prozessierenden Substrate häufig elektrisch nichtleitend, so dass die Anwendung
einer Gleichspannung prinzipiell nicht funktioniert.
Ein sehr einfache, aber bislang nicht in Betracht gezogene Möglichkeit, ist die Nutzung
einer Grundfrequenz von z.B. 13.56 MHz und einer ihrer geraden Harmonischen (z.B.
27.12 MHz). Die geometrisch symmetrische Entladung wird damit elektrisch asymmetrisch.46 Die Summe der beiden Spannungen weisen einen Gleichspannungsanteil auf, der
zur Einstellung der Ionenenergieverteilung genutzt werden kann.
Als Parameter dient die Phasenverschiebung Θ zwischen den beiden Harmonischen der
anregenden Spannung,
VRF = V̂ (cos (ωRF t + Θ) + cos (2ωRF t)) .
(75)
In Abbildung 8 ist die Ionenenergieverteilung vor der getriebenen und der geerdeten Elektrode für eine Phasenverschiebung von Θ = 0 und Θ = π/2 dargestellt. Für Θ = 0 ist
oben die Ionenenergieverteilung vor der getriebenen und unter vor der geerdeten Elektrode dargestellt. Für Θ = π/2 drehen sich die Verhältnisse um. Numerische Experimente haben gezeigt, dass die zur Einstellung der Ionenenergieverteilung heranziehbare
Self-Bias-Spannung in weiten Bereichen linear mit der Phasenverschieben skaliert. Durch
diese spezielle Art der Zwei-Frequenz-Anregung steht damit ein sehr mächtiges Werkzeug
zur Verfügung, auch in symmetrischen Entladungen die Ionenenergieverteilung gezielt einzustellen.
46
B.G. Heil, U. Czarnetzki, T. Mussenbrock und R.P. Brinkmann, Novel method of controlling ion energy
and flux in capacitively coupled radio frequency discharges (Patent PCT/EP2008/059133).
26
5
Resonanz-basierte Plasmadiagnostikmethoden
Die in-situ-Regelung von Plasmaparametern wird als viel versprechende Methode angesehen, die Schwankungen der Prozessbedingungen in industriell eingesetzten Plasmasystemen zu verringern und damit die Qualität der Plasmaprozesse zu erhöhen. Die technische
Realisierung einer solchen Regelung stand aber bisher vor dem Problem, dass nahezu
sämtliche entscheidende Plasmaparameter — insbesondere die Elektronendichte — in industriellen Anlagen messtechnisch kaum zugänglich sind. Die herkömmlichen Methoden
der Plasmadiagnostik sind entweder mit einer Störung der Prozessbedingungen verbunden
und bilden damit eine potentielle Gefährdung des Prozesserfolgs, erfordern einen hohen
apparativen Aufwand und sind damit ökonomisch untragbar, oder sind in ihrer Abhängigkeit so indirekt, dass nur sehr schwer eindeutige Rückschlüsse auf den Systemzustand
möglich sind.
Damit sind die so genannten Industrie-kompatiblen Plasmadiagnostikmethoden charakterisiert: Sie müssen sein: i) robust und stabil, ii) insensitiv gegen Kontamination durch den
Plasmaprozess, iii) weder elektrisch noch chemisch kontaminierend, iv) ohne vorangehende Kalibrierung einfach und eindeutig interpretierbar, v) in vorhandene Plasmasysteme
integrierbar und iv) ökonomisch in Bezug auf Investition, Betrieb und Wartung.
In diesem Zusammenhang sind Methoden aus der Gruppe der Resonanzspektroskopiemethoden von besonderem Interesse. Diese Methoden nutzen die Fähigkeit des Plasmas,
zu schwingen und in Resonanz zu gehen. Ist die Frequenz dieser Schwingung bekannt,
z.B. die Elektronen-Plasmafrequenz, so kann die Elektronendichte sehr einfach bestimmt
werden,
ne =
2
0 me
ωpe
2
≈ 1.24 fGHz
× 1010 cm−3 .
e2
(76)
Diese Idee ist zwar so alt wie die Plasmaphysik selbst,47,48 stellt aber eine vielversprechende Basis für eine Industrie-kompatible Plasmadiagnostikmethode dar. Die Methoden unterteilen sich dabei grundsätzlich in passive und aktive Resonanzspektroskopiemethoden.
5.1
Passive Resonanzspektroskopie
Zur Gruppe der passiven Resonanzspektroskopiemethoden gehört SEERS (Self-Excited
Electron Resonance Spectropscopy).49,50 Hierbei handelt es sich um ein Diagnostikverfahren, das weder chemisch noch physikalisch die Prozessbedingungen im Plasmareaktor
beeinflusst. Der Prozesserfolg wird somit durch SEERS nicht gefährdet.
Das Verfahren basiert auf der Erfassung eines Teils des durch das Plasma fließenden
hochfrequenten Stromes. Der Strom wird durch einen in die Reaktorwand integrierten
Sensor erfasst, der auf virtuellem Erdpotential gehalten wird, und bezüglich seines Spektrums analysiert. Man erhält dadurch mittels eines nichtlinearen Entladungsmodells Informationen über Frequenz und Dämpfung der durch die Nichtlinearität der Randschicht
47
L. Tonks und I. Langmuir, Phys. Rev. 33, 195 (1929).
L. Tonks, Phys. Rev. 38, 1219, (1931).
49
M. Klick, M. Kammeyer und W. Rehak, Jpn. J. Appl. Phys. 36, 4625 (1997).
50
T. Mussenbrock, Zur Theorie auf selbsterregter Elektronenresonanz basierender Diagnostikverfahren für
kapazitiv gekoppelte Niedertemperaturplasmen (Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, 2004).
48
27
Abbildung 9: Schematische Darstellung der Plasma-Absorptionssonde (oben) und der
Multipol-Resonanzsonde (unten) zur Industrie-kompatiblen Plasmadiagnosik.
angeregten Plasmaserienresonanz. Da die Frequenz dieser angeregten Schwingung in einem bestimmten Verhältnis zur Plasmafrequenz der Elektronen steht, kann auf für Plasmaprozesse entscheidende Parameter, nämlich die Elektronendichte und die ElektronenNeutralteilchen-Stoßfrequenz geschlossen werden.
In der Halbleiterindustrie ist SEERS bereits etabliert und wird zur Endpunktkontrolle und
in-situ-Prozessfehlerdetektion eingesetzt. Darüber hinaus ist mittels SEERS z.B. die kontrollierte Vorbereitung der Reaktorkammer für Plasmaprozesse nach einer Grundreinigung
der Anlage möglich. Was zuvor per “Trial and Error” vom Prozessingenieur durchgeführt
wurde und eine Vielzahl teurer Wafer bedurfte, ist mit SEERS systematisch und sehr
kostengünstig möglich.
5.2
Aktive Resonanzspektroskopie
(Mu::04, Mu::09)
Ein Prototyp einer aktiven Resonanzspektroskopiemethode, der die Kriterien einer
Industrie-kompatible Plasmadiagnostik erfüllt, ist die von Sugai vorgeschlagene PlasmaAbsorptionssonde.51 Sie besteht aus einer kleinen koaxialen Antenne, die von einem Dielektrikum umschlossen ist (Abbildung 9, oben). Die Sonde wird ins Plasma eingeführt
51
H. Kokura, K. Nakamura, I.P. Ghanashev und H. Sugai, Jpn. J. Appl. Phys. 38, 5262 (1999).
28
Abbildung 10: Absorptionsspektrum gemessen mittels Plasma-Absorptionssonde (oben).
Ergebnis einer Finite-Elemente-Simulation der Plasma-Absorptionssonde (unten).
und mit einem durchstimmbaren Hochfrequenzsignal im GHz-Bereich beaufschlagt. Ein
Netzwerkanalysator ermittelt die Frequenzabhängigkeit des eingekoppelten bzw. reflektierten Signals.
Diese Methode ist — wie jede andere Resonanzspektroskopiemethode — dazu konzipert,
aus dem Absorptionsspektrum die Elektronen-Plasmafrequenz zu bestimmen, um schließlich die Elektronendichte ermitteln zu können. Dies stellt sich allerdings bei der PlasmaAbsorptionssonde als schwierig dar. Wie in Abbildung 10 (oben) dargestellt, weist das
Absorptionsspektrum typischenweise zwei (oder auch mehr) ausgeprägte Maxima auf. Dazu kommt, dass keines der Maxima direkt mit der Plasmafrequenz zusammenfällt. Dies
erschwert die Analyse des Spektrum erheblich. Um eine Analyse zu ermöglichen, nimmt
Sugai an, dass es sich bei den angeregten Resonanzen um elektrostatische Oberflächenwellen handelt, die an der Grenzfläche zwischen Dielektrikum und Plasma angeregt werden.
Es stellen sich in diesem Zusammenhang allerdings zwei entscheidende Frage: i) Was haben
die gemessenen Resonanzfrequenzen mit der Plasmafrequenz zu tun und ii) welches ist der
tatsächliche physikalische Anregungsmechanismus? Diese Fragen können nur unzureichend
für die geometrisch sehr komplexe Plasma-Absorptionssonde beantwortet werden. Die der
Theorie zu Grunde liegende Annahme einer Dispersionsrelation für Oberflächenwellen in
einem unendlich langen koaxialen Wellenleiter erscheint als zu drastisch. Darüber hinaus
ist die von Sugai gemachte Annahme eines stoßfreien Plasmas mit räumlich konstanter
Elektronendichte zumindest fragwürdig.
Im Gegensatz zur Plasma-Absorptionsonde stellt sich die Interpretation und Analyse des
29
Abbildung 11: Berechnetes Absorptionsspektrum für die Multipolresonanzsonde.
Absorptionsspektrums des von Brinkmann entwickelten Konzepts der Multipolresonanzsonde als systematisch dar.52 Es handelt sich hierbei um eine Sonde sphärischer Geometrie
(Abbildung 9, unten). In ihrer einfachsten Realisierung besteht sie aus zwei voneinander
isolierten Halbkugeln, die ihrerseits durch ein Dielektrikum umschlossen sind. Die beiden
Halbkugeln sind symmetrisch beschaltet und werden mit einem durchstimmbaren Hochfrequenzsignal im GHz-Bereich beaufschlagt. Ein Netzwerkanalysator ermittelt wieder die
Frequenzabhängigkeit der eingekoppelten bzw. reflektierten Signals.
Das Konzept ermöglicht die simultane Bestimmung der Elektronendichte und der
Elektronentemperatur. Es nutzt dabei die Anregung räumlich gebundener Oberflächenresonanzen aus. Das Messergebnis ist wieder ein Absorptionsspektrum (Abbildung 11),
dessen Maxima allerdings im Gegensatz zur Plasma-Absorptionssonde wohl definiert sind.
Auf Basis eines mathematischen Modell kann schließlich auf die Plasmaparameter rückgeschlossen werden.
Das Konzept der Multipolresonanzsonde birgt entscheidende Vorteile gegenüber anderen
Konzepten, wie z.B. der beschriebenen Plasma-Absorptionssonde. Neben der Tatsache,
dass zwei wichtige Plasmaparameter, die Elektronendichte und die Elektronentemperatur,
simultan berechnet werden können, stört die Sonde das Plasma weder elektrisch noch chemisch.53 Auf Grund ihrer Symmetrie hat das eingekoppelte Feld eine Dipolcharakteristik
und klingt sehr schnell mit zunehmendem Abstand ab. Die Messung ist daher weistestgehend lokal. Die Sonde selbst ist insensitiv gegenüber Kontamination durch das Plasma, was
insbesondere bei der Plasmaprozessierung andere elektrische oder auch optische Methoden unanwendbar macht. Die Methode ist robust, kalibrationsfrei und kann zur Diagnostik
reaktiver Plasmen genutzt werden. Neben SEERS stellt die Multipol-Resonanzsonde somit einen vielsprechenden Kandidaten zur in-situ-Bestimmung von Plasmaparametern im
Rahmen einer einer Closed-Loop-Regelung von Plasmasystemen dar.
52
R.P. Brinkmann und J. Winter, Vorrichtung und Verfahren zur Messung der Dichte eines Plasmas,
(Patent, De 10 2006 014 106.7, 2007).
53
M. Lapke, T. Mussenbrock und R.P. Brinkmann, Bull. Am. Phys. Soc. 53, 89 (2008).
30
Verzeichnis der Originalpublikationen
Mu::01 T. Mussenbrock, R.P. Brinkmann, Nonlinear electron resonance heating in capacitive radio frequency discharges, Appl. Phys. Lett. 88, 151503 (2006).
http://link.aip.org/link/APPLAB/v88/i15/p151503/s1
Mu::02 T. Mussenbrock, D. Ziegler, R.P. Brinkmann, A nonlinear global model of a dual
frequency capacitive discharge, Phys. Plasmas 13, 083501 (2006).
http://link.aip.org/link/PHPAEN/v13/i8/p083501/s1
Mu::03 U. Czarnetzki, T. Mussenbrock, R.P. Brinkmann, Self Excitation of the plasma
series resonance in radio frequency discharges: An analytic description, Phys.
Plasmas 13, 123503 (2006).
http://link.aip.org/link/PHPAEN/v13/i12/p123503/s1
Mu::04 M. Lapke, T. Mussenbrock, R.P. Brinkmann, C. Scharwitz, M. Böke, J. Winter,
Modeling and simulation of the plasma absorption probe, Appl. Phys. Lett. 90,
121502 (2007).
http://link.aip.org/link/APPLAB/v90/i12/p121502/s1
Mu::05 T. Mussenbrock, R.P. Brinkmann, Nonlinear plasma dynamics in capacitive radio
frequency discharges, Plasma Sources Sci. Technol. 16, 377 (2007).
http://dx.doi.org/10.1088/0963-0252/16/2/022
Mu::06 T. Mussenbrock, T. Hemke, D. Ziegler, R.P. Brinkmann, M. Klick, Skin effect in
a small symmetrically driven capacitive discharge, Plasma Sources Sci. Technol.
17, 025018 (2008).
http://dx.doi.org/10.1088/0963-0252/17/2/025018
Mu::07 M.A. Lieberman, A.J. Lichtenberg, E. Kawamura, T. Mussenbrock, R.P. Brinkmann, The effects of nonlinear series resonance on Ohmic and stochastic heating
in capacitive discharges, Phys. Plasmas 15, 063505 (2008).
http://link.aip.org/link/PHPAEN/v15/i6/p063505/s1
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31
32
Lebenslauf
Name
Geburtstag
Geburtsort
Thomas Mussenbrock
9. April 1970
Hagen am Teutoburger Wald
1976
1986
1990
1990
1991
1995
1995
1996
1999
1999
– 1986 Grundschule, Orientierungsstufe und Realschule in Georgsmarienhütte
– 1990 Berufsausbildung zum Elektroanlageninstallateur und Energieelektroniker
Betriebselektriker bei der Firma Wilhelm Karmann GmbH in Osnabrück
– 1991 Technische Fachoberschule in Osnabrück
– 1995 Studium der Elektrotechnik an der Fachhochschule Bielefeld
Diplom-Ingenieur (FH)
– 1996 Grundwehrdienst bei der Luftwaffe
– 1999 Studium der Elektrotechnik an der Ruhr-Universität Bochum
Diplom-Ingenieur
–
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theoretische
Elektrotechnik an der Ruhr-Universität Bochum
2004
Doktor-Ingenieur
33
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