KAISERLICHE MACHT Jahrhundertelang waren die Kaiserforen in Rom zugebaut, verschüttet und vergessen. Dank der geplanten U-Bahnlinie C kann man sich jetzt wieder in ihnen bewegen. Mit der Metro ins Imperium 68 SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2009 Von ALEXANDER SMOLTCZYK Schnurgerade läuft die heutige Via dei Fori Imperiali durch die antiken Kaiserforen auf das Kolosseum zu. SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2009 DAVIDE MONTELEONE / CONTRASTO / LAIF V espafahrer kennen diese 850 Meter zwischen Trajanssäule und Kolosseum. Ihre Knochen erinnern sich an jeden Meter. Denn kaum sonstwo buckeln und wellen sich die Basaltpflastersteine so wie hier, auf der Via dei Fori Imperiali. Als sei unter dem Pflaster etwas noch nicht zur Ruhe gekommen. Und nicht nur die knotig dahinkriechenden Wurzeln der Pinien, die der Duce hier gesetzt hat. Gerade wieder wird Beton verstrichen, zum x-ten Mal versucht, dem Untergrund Halt zu gebieten. Die Kanaldeckel mit der Aufschrift „SPQR“ werden neu eingegossen, unter den Blicken der patinagrünen Kaiser Caesar, Augustus, Trajan und Nerva. Die wurden ebenfalls von Mussolini hier hingepflanzt, sehen ein wenig nach Fantasyhotel Las Vegas aus und werden gern mit Stickern der AS-Roma-Hooligans beklebt, der neuen Gladiatoren der Stadionkurven. Nichts ist hier gänzlich vergangen, auf dem Boden, unter dem die Kaiserforen ruhen. Als Sigmund Freud im September 1901 hier entlangging, von der Trajanssäule bis zum Kolosseum, erschien ihm die Ruinenwelt als Metapher für das Unbewusste. Das Vergangene, dachte er, würde nur verdrängt, ginge nie verloren, Stein und Seelenleben enthielten es, als Erinnerungsspur, noch lange später. Schräg gegenüber vom Nerva-Forum, wo das Visitor Center eingerichtet ist, hängen noch die vier steinernen Karten des Reiches. Mussolini ließ sie am „XXI. April des Jahres XII“ faschistischer Zeitrechnung anbringen, um zu zeigen, wie aus einer Stadt ein Imperium wurde – was man ja nun unter seiner Führung fortsetzen könnte, mit Gasangriffen auf Abessinien. Doch das Reich des Duce ging ebenfalls unter, schneller als erwartet, und die Nachgeborenen meißelten die Rutenbündel von den Karten herunter (man ahnt sie noch als Schatten am rechten unteren Rand), ließen sie aber ansonsten, weil praktisch, hängen. Hier im Untergrund ruhen vier Kaiser, zumindest ihre marmornen Selbstdarstellungen: die Fori Imperiali. Caesar, Augustus, Trajan und Nerva ließen Basiliken, Plätze, Tempel, Wandelhallen, ganze Wälder aus Säulen errichten – das Zentrum des Reiches. Es war ungefähr so, als hätten sich die Kanzler Kohl, Schröder und Merkel jeder einzeln ihren 69 KAISERLICHE MACHT Potsdamer Platz gebaut, einen neben dem anderen, jeder prächtiger als der vorige. Vom Caesarforum waren lange Zeit nur die Säulen des Venustempels und das Halbrund einer von Trajan später hinzugebauten Latrina zu sehen, gleich unterhalb des bombastischen MarmorMonuments für Italiens König Vittorio Emanuele. Dann sollte die dringend benötigte U-Bahnlinie C hier entlangführen, und weil in Rom jeder Schritt voran immer ein Doppelschritt zurück ist, stieß man schon sehr bald unter der Piazza Venezia auf Spuren der Kaiserstraße Via Flaminia, auf Pilaster und Pflaster, offenbar die Reste einer überdachten Piazza aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Im Juli 2007 wurden die Bauarbeiten bis auf weiteres gestoppt. Denn in Rom hat die Vergangenheit das letzte Wort. Jeder Quadratmeter wird von den jeweiligen Behörden bewacht und verteidigt. Die „Sovrintendenza“ der „Comune di Roma“ ist für die Gebiete östlich von der Straße zuständig, die staatliche „Soprintendenza“ für die andere, dem Forum Romanum zugewandte Seite. Aber auch die Region Lazio hat ihr Wörtchen mitzureden, und Untergrund, Oberfläche und Höhe unterstehen jeweils anderen Amtshoheiten. Caesar jedenfalls wollte vor allem das pompöse Theater seines Lieblingsfeinds Pompeius vergessen machen. Er lud den ewigen Nörgler Cicero höchstselbst in eine Bau- und Enteignungskommission, worauf der im Jahr 54 v. Chr. ziemlich beeindruckt schrieb: „ut forum laxaremus …“ (bis zum Atrium Libertatis werden wir das Forum ausweiten). Geld spielte keine Rolle. Cicero spricht von 60 Millionen Sesterzen, Plinius der Ältere errechnete 100 Millionen allein für den Grunderwerb. 5000 Sesterzen kostete damals ein Paar Sklaven, und für 2000 konnte sich eine Familie ein Jahr lang ernähren. Als das Forum Iulium am 26. September 46 v. Chr., nach dem Sieg über Gallien, Ägypten, Afrika und Pontos, eingeweiht wurde, hatte sich ein öffentlicher Raum der Republik in ein veritables Heiligtum der Julier verwandelt. Mit einem Tempel der Venus, der angeblichen Stammmutter, an der Stirnseite, worin vielleicht auch eine Statue Kleopatras stand. Vor dem Tempel gab es Brunnen mit Nymphen und einen hundert Meter langen, von doppelten Säulenreihen aus Marmor gesäumten Platz, in dessen Mitte die Reiterstatue des Bauherrn. 70 Die Griechen hatten ihre Plätze noch als agorai geplant, auf denen das Volk handeln und wandeln durfte. Die Kaiser machten den Platz endgültig zur Selbstdarstellung des Einen, nicht der vielen. Die Kaiserforen waren mit Tuffblöcken ummauert, und auch die tabernae, die Kellergewölbe und Baukomplexe daneben, dienten nicht, wie noch vor kurzem angenommen, als Geschäfte oder fröhlich wimmelnde Schänken: Es waren Büros, Schreibstuben, Register und Archive. Eigentlich wollte Caesar auch noch eine neue Kurie, ein Gerichtsgebäude, bauen. Seine außergerichtliche Erdolchung kam ihm dazwischen. Augustus legte sein Forum im rechten Winkel zu dem des Großonkels an. Enteignungen erschienen ihm gewaltsam, also blieb der Entwurf ein wenig angustus, schmal, wie der Historiker Gaius Suetonius spöttisch überliefert. Augustus wollte die Nähe zum Volk, sprich zur dichtbesiedelten Subura am Quirinalshügel. Aber zur Sicherheit wurde auch eine bis zu 33 Meter hohe Brandschutzmauer aus Blöcken von Peperinund Gabina-Tuffstein errichtet. Bis 2 v. Chr. wurde gebaut – und nicht allein zum eigenen Ruhme. Die Zahl der Gerichtsverfahren hatte im Goldenen Zeitalter derart zugenommen, dass „ein drittes Forum notwendig wurde“, so Sueton. In der 120 mal 120 Meter großen Machtzentrale des augusteischen Reiches herrschte ein Gewimmel von Statuen und Menschen. Vom alten Stammvater Aeneas an waren alle illustren Römer in Marmor abgebildet. Die Nachgeborenen diskutierten derweil über die res gestae und entschieden die res gerendae, das Tagesgeschäft, berieten über Krieg und Frieden; Magistraten opferten im Marstempel, bevor sie sich in die Provinzen aufmachten. Der dem Kriegsgott Roms Kaiserforen Trajanssäule Trajansforum Augustusforum Nervaforum Vespasiansforum heutige Via dei Fori Imperiali Forum CaesarRomanum forum 200 m Kolosseum Mars Ultor, dem Rächenden, geweihte Tempel, diente als Ausstellungsraum für erbeutete Feldzeichen, Lorbeerkränze oder andere Reliquien wie das OriginalSchwert von Julius Caesar. Die Trophäen sind verschwunden. Aber Tempelsäulen und Fassadenteile haben überdauert, und die Statuen finden sich verstreut in den Museen von Rom, dem Vatikan oder Ravenna. Vespasian, der erste Flavier unter den Kaisern, hatte neben vielem anderen den Aufstand in Judäa niedergeschlagen, die Latrinensteuer erfunden und den gesamten Orient pazifiziert. All dies Grund genug, einen Tempel des Friedens zu bauen, gegenüber dem Forum des Augustus. Der Templum Pacis hatte mehr Ähnlichkeit mit einem französischen Garten, mit seinen Bäumen und Rabatten. Es gab mächtige Brunnen und Wasserspiele, wie um all das vergossene Blut endgültig abzuwaschen. Der Historiker Flavius Josephus schreibt, dass hier auch die Schätze aus dem Tempel von Jerusalem aufbewahrt wurden, wie jener siebenarmige Leuchter, der auf dem Titusbogen-Relief zu sehen ist. Nun war nur noch ein Handtuchstück frei, zwischen Friedensforum und Augustusforum, genau dort, wo die Cloaca Maxima den Dreck der Subura fortspülte. Kein prestigeträchtiger Baugrund, aber der gute Reformkaiser Nerva, eine Art Matthias Platzeck der Antike, konnte sich damit begnügen, zumal die meisten Arbeiten schon sein Vorgänger Domitian hatte erledigen lassen. Das Forum zog sich einmal quer über die heutige Via dei Fori Imperiali, genau hinter dem mittelalterlichen Festungsturm. Vom Minerva-Tempel stammen die Colonnacce, zwei Säulen mit Resten der Architrave und dem Halbrelief einer Frau, nicht Minerva, wie lange geglaubt wurde, sondern die Verkörperung eines frisch eroberten dalmatischen Völkchens, der Piruster. Heute liegt hier ziemlich unbeeindruckt ein Obdachloser unter dem Schirm einer Pinie auf der Travertinbank, neben ihm steht bewegungslos eine ältere Rumänin, in einen Schlauch aus Goldstoff gezwängt, und mimt eine PharaoMumie, während hinter ihr, nicht weniger ruhig, ein gewaltiger Säulenstumpf aus Assuan-Marmor aus dem Erdreich ragt. Geknipst wird nur die Mumie. Die Rumänin hat ein gutes Recht, hier herumzustehen, in welcher Verkleidung auch immer. Immerhin hat sie für das SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2009 ULLSTEIN BILD Ganze hier bezahlt. Sozusagen. Denn es waren die Daker, Vorläufer der Rumänen, die nach den beiden Feldzügen Trajans als Verlierer die Zeche bezahlen durften. Das eroberte Gold der Daker finanzierte das Trajansforum, den mächtigsten, prächtigsten Platz in der Hauptstadt des Römischen Reiches. In den letzten Jahren der Republik hatte man sich seine domus (Häuser) in Forumsnähe errichtet. Das war nahe am politischen Geschehen und versprach satte Spekulationsgewinne. Trajan ließ alles weiträumig abreißen, Läden und Patrizierhäuser und mehrere Meter Geschichtsschutt gleich dazu. Er hatte keine Wahl. Jeder Quadratmeter in der Senke zwischen Kapitol und Quirinalshügel war bebaut. Also musste ein Teil des Quirinals weichen. 316 000 Kubikmeter, ein ganzer mons, wie es auf der Trajanssäule heißt, wurden bis zum Jahr 105 n. Chr. abgetragen, eine Jahresarbeit für tausend Mann. Sieben Jahre später war das Trajansforum fertig und herrlicher als alle anderen. Denn der Beamtenapparat hatte sich in den über hundert Jahren nach Caesars Tod noch einmal vervielfacht. Es gab Kaiser-, Senats- und Präfekturgerichte, fast doppelt so viele Prätoren mit ihrem Gefolge an Schreibern, Räten, Schmeichlern, Ohrenbläsern. Ein Heer von Anwälten lauerte auf lukrative causas, Bittsteller, Leibwächter und Boten drängelten sich in den Säulengängen des Augustusforums: Das Reich brauchte Platz. SPIEGEL GESCHICHTE 1 | 2009 Diktator Mussolini 1934 bei einer Parade auf dem Areal der Kaiserforen – vor einer nachempfundenen Statue des Imperators Nerva Das Forum war angelegt wie später die christlichen Kirchen: mit einem 110 mal 85 Meter, also fußballfeldgroßen Platz als Langschiff, der Trajanssäule im Chor und der Basilica Ulpia als Querschiff. Ein Tempel hingegen war rätselhafterweise nicht vorgesehen. Traute man den alten Göttern nicht mehr so unbedingt? Immerhin hatte Trajan den Stararchitekten Apollodor aus Damaskus verpflichtet, der für ihn womöglich schon das Pantheon entworfen hatte. Das Pantheon steht bis heute. Wann die Foren ihren monumentalen Anblick verloren, ist noch ungeklärt, länger als drei Jahrhunderte dürfte es aber nicht gedauert haben. Dann waren die alten Götter passé, und man fing an, Vespasians Friedenstempel als Baumarkt zu verwenden. Schon im 6. Jahrhundert tauchten Kaisersäulen an diversen anderen Orten der Stadt auf; im 8. Jahrhundert qualmten auf Trajans Piazza die Öfen der Kalkbrenner, die eine Marmorplatte nach der anderen einäscherten. Und im Mittelalter wusste kaum jemand noch, dass hier, unter den Tavernen, Behausungen, Gärten einmal die steingewordene Pracht eines Imperiums gestanden hatte. Ziemlich genau 1800 Jahre nach Trajans Tod spürte ein anderer zugereister Römer das Gefühl, er sei eigentlich auch ein Imperator und dazu berufen, ein neues Rom zu errichten: Benito Mussolini. Das neue, faschistische Rom müsse „die erhabensten Bauwerke der Antike von den parasitären Verkrustungen der Jahrhunderte befreien“, verkündete er 1927. Das Kolosseum war damals genauso eingebaut und unsichtbar wie heute das Pantheon. So verschwand unter den Spitzhacken der Picconatori zwischen 1924 und 1933 ein Teil des mittelalterlichen und Renaissance-Roms, Paläste, Kirchen, über 5000 Behausungen aus dem 16. Jahrhundert, die über den Kaiserforen gewachsen waren. Als 1937 die 2000-Jahr-Feier des Augustus organisiert wurde, zum Ruhme der ewig jungen Romanità, schritt Benito schon wie eine lebende Statue durch sein Rom. Aber Antike war kein Wert an sich, sondern nur Bezugsgröße für die faschistische Moderne. Außerdem musste der Verkehr rollen, auf breiten Magistralen. Deshalb wurden über 80 Prozent der gerade freigelegten Fori-Ruinen wieder zugeschüttet und darüber die Achse Via dell’Impero, heute: Via dei Fori Imperiali, gebaut. Caesars Säulen wurden zur Kulisse für den neuen Caesar, Hintergrund für die aufmarschierenden Bataillone des kommenden Krieges. Die Erinnerung an diese Bilder klebt noch am buckligen Pflaster der Straße, an den steinernen Imperialkarten und patinierten Statuen. Seit den achtziger Jahren drängen Archäologen und Urbanisten daher, die Duce-Achse über der Vergangenheit einfach wieder abzureißen und das Forum Romanum mit den Kaiserforen zu einem geschlossenen Antikenpark zu vereinen. Das war auch das Projekt des langjährigen Bürgermeisters von Rom, Walter Veltroni, heute Chef der Mitte-links-Opposition. Doch angesichts des horrenden römischen Verkehrs blieben die Pläne bislang fromme Wünsche. Der Verkehr müsste am Circus Maximus entlanggeleitet werden, und dort, an der Bocca della Verità, staut er sich jetzt schon ständig. So ist die Straße der Kaiserforen bislang nur an Sonntagen gesperrt. Wie um ihren Sieg zu feiern, treffen sich auf den Foren jedes Jahr am 9. März die Automobilisten der Stadt. Sie parken vor der Kirche ihrer Schutzpatronin, der heiligen Francesca, und lassen ihre Wagen taufen. Die Karossen sind blitzblank poliert, die Fahrer ebenso, und stolz gereckt stehen sie neben den Fahrzeugen: ein jeder sein kleiner Caesar. 71