Der Geschmack der Freiheit

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Der Geschmack der Freiheit
Buddhismus in Deutschland
Asien ... Wirtschaftszentrum, Heimat für Milliarden Menschen. Ob Hongkong, Tokio oder Shanghai: Das
hektische Treiben in den Metropolen dieser Welt ist unübersehbar. Wirtschaft, Wachstum, Wunscherfüllung stehen für die meisten Menschen im Mittelpunkt des Lebens.
In dieser Region entsteht vor ungefähr 2500 Jahren eine Religion, die ganz andere Werte verfolgt.
In Nordindien wird Siddharta Gautama geboren – Sohn eines Provinzgouverneurs, der mit 35 Jahren ein
Erweckungserlebnis hat und zum Buddha wird. Buddha bedeutet auf Chinesisch: der Erwachte.
Doch nicht nur in Asien gibt es Buddhisten. Mittlerweile gehören mehr als 380 Millionen Menschen weltweit dieser Religion an – damit ist sie die viertgrößte Religion nach Christentum, Islam und Hinduismus.
Auch in Deutschland gibt es etwa 100.000 Menschen, die nach der Lehre Buddhas leben. Das klingt
nach wenig – doch wenn man genau hinschaut, dann entdeckt man an vielen Orten buddhistische
Gemeinschaften, Yoga- und Meditationsgruppen. Der Buddhismus hat für viele Menschen auch in
Deutschland eine immer stärkere Anziehungskraft.
Auch auf Holger Wicht.
Der frühere Skilehrer hatte ein bewegtes Leben hinter sich, bevor er feststellte: Irgendetwas fehlt.
Holger
„Ich hab früher vollkommen anders gelebt, ne lange Zeit wirklich viel Party, Alkohol, Kettenraucher, auch
Drogen so einiges mitgemacht, und hab irgendwann gemerkt, dass mich das auf Dauer nicht glücklich
macht sondern kaputt. Also dieses Ich-ziehe-heute-nacht-los-um-glücklich-zu-werden, das kann man so
zehn Jahre machen, aber dann stellt man irgendwann fest, dass man morgens aufwacht und komischerweise schon wieder nicht glücklich geworden ist.
Und dann hab ich irgendwann angefangen mit Yoga, und Bücher über den Buddhismus zu lesen, und
mehr auf mich achten, hineinzuschauen: Was tut mir eigentlich wirklich gut? Und hab dann einen Meditationskurs gemacht und dann gemerkt, das ist mein Weg, das möchte ich weitermachen und hab mir
eine buddhistische Gemeinschaft gesucht in Berlin, um das intensiv zu praktizieren und da bin ich jetzt.“
Um was geht es grundlegend im Buddhismus?
Der Buddha diagnostizierte – wie ein Arzt – Symptome und Ursachen – man nennt sie: Die Vier Edlen
Wahrheiten.
Die Erste Edle Wahrheit beschreibt das Symptom: Alles Leben besteht aus Leiden. Dies können
körperliche Leiden sein, aber auch seelische oder emotionale Schwierigkeiten. Wir möchten etwas –
bekommen es aber nicht. Oder wir bekommen etwas, was wir nicht haben wollen. Oder wir sind getrennt
von einer Sache, die wir mögen. All das verursacht Leid.
Die Zweite Wahrheit benennt die Ursache für das Leiden: unser „Haben-Wollen“, unsere Wünsche –
nach neuen Klamotten, einem neuen Computer, einem anderen Partner. Kurzfristig kann das Verlangen
zwar gestillt werden, doch bald ist die Jeans out, der Computer geht kaputt oder der Partner verlässt
uns. Wir sind enttäuscht und denken, wir können ohne diese Menschen oder Dinge nicht sein. Wir
sehnen uns nach Ersatz: durch diese Abhängigkeit empfinden wir ständig Schmerz und Leid.
Die Dritte Edle Wahrheit sagt: Es gibt Hoffnung auf Heilung. Denn das Leiden kann überwunden und
echtes Glück und Zufriedenheit können gefunden werden. Die Lösung lautet: Loslassen! Und zwar von
allem: Dingen, Umständen, Personen, von unrealistischen Erwartungen und von der falschen Vorstellung von uns selbst.
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Die Therapie – also, wie man durch eigene Übung und durch Hilfe wirklich loslassen kann – wird in der
Vierten Wahrheit beschrieben. Es geht über den Weg des achtfachen Pfades, der oft als Rad dargestellt
wird. Es ist wie eine Gebrauchsanweisung für Buddhisten. Wer danach lebt, verringert das Leid bei sich
selbst und bei seinen Mitmenschen.
Denn solange der Mensch im Zustand des unbedingten Haben-Wollens bleibt, wird er immer wieder in
einem anderen Lebewesen wiedergeboren. Er muss loslassen lernen – erst dann ist er frei und kann
schmerzfrei leben. Dieser Zustand der Freiheit und des Wohlseins heißt Nirwana. Er ist sozusagen das
„Nicht-Sein“ Da dieser Zustand außerhalb unseres Erfahrungsbereichs liegt, ist er sehr schwer zu
verstehen.
Und was kann man nun konkret tun?
Im Buddhismus gibt es fünf wichtige Verhaltensregeln.
Holger
„Dazu gehört, dass man keine lebenden Wesen tötet oder verletzt, dazu gehört, dass man nichts nimmt,
was einem nicht gegeben wird, z. B. auch die Zeit. Man nervt also Leute nicht, die nicht von einem
zugetextet werden wollen, man gibt sich jedenfalls Mühe ... man sagt nix Falsches, lügt also nicht. Dazu
gehört, dass man mit seiner Sexualität achtsam und vorsichtig umgeht, also z. B. niemanden bedrängt,
auch nicht mit Blicken usw., und dazu gehört, dass man keine Substanzen zu sich nimmt, die den Geist
verwirren, also Alkohol aber auch andere Drogen. Denn die können dazu führen, dass man nicht mehr
so ganz klar mit anderen Leuten umgeht, und dann möglicherweise all die andern Fehler begeht, die
man gerade versucht sich abzugewöhnen.“
Diese Veränderung geht nicht von heute auf morgen. Da man im Buddhismus keinem Lebewesen Leid
zufügen soll, sollte man auch keine Tiere töten, um sie zu essen... Holger ist deshalb Vegetarier
geworden, auch wenn der Buddhismus dies nicht ausdrücklich vorschreibt. Glücklicherweise gibt’s in
Berlin auch vegane Burger.
Holger
„Man ist leider nicht automatisch Vegetarier, wenn man Buddhist ist, das wäre ja sehr einfach, wenn
man da so einfach umswitchen könnte. Man muss sich schon entscheiden. Und man muss auch ein
wenig üben. Denn was man so isst, ist ja eine tiefsitzende Gewohnheit und die meisten Leute sind an
Fleisch gewöhnt, und da muss man sich bewusst umentscheiden und dann auch langsam umstellen. Da
braucht man auch Zeit für. Viele Leute denken ja, da kriegt man eine neue moralische Regel, da muss
man sich sofort dran halten – ich denke, es gilt in allen Lebensbereichen: Man muss üben dürfen und
sich so langsam rantasten ...“
Am Anfang stehen immer kleine Schritte – und der Versuch, nach und nach so viel wie möglich in den
Alltag zu integrieren. Holger arbeitet z. B. als Pressesprecher der Deutschen Aids-Hilfe. Auch im Beruf
versucht er, die buddhistischen Grundsätze anzuwenden. Das ist nicht immer leicht – schon gar nicht in
einem Land, das einer ganz anderen Kultur entstammt.
Buddhisten haben dafür einen Lehrer, der ihnen auf ihrem spirituellen Weg hilft.
Holger:
„Der Lehrer weiß sehr viel mehr, er hat sozusagen die Landkarten alle im Kopf, hat viel mehr Erfahrung,
hat viel mehr Schritte selbst schon getan, kann einem deshalb also viele hilfreiche Hinweise geben, kann
einem auch vor Gefahren warnen, wenn man mal in der Meditation nicht weiterkommt oder wenn es
einem schlechter geht, das kann nämlich auch passieren ... Dann weiß der Lehrer, kann man damit
umgehen. Der Lehrer wird im Buddhismus sehr verehrt, oder sagen wir mal: wertgeschätzt. Aber er ist
keine unantastbare Figur in dem Sinne, dass ich ihm blind folgen muss. Wenn man merkt, der Lehrer ist
abgekommen vom richtigen Weg und erzählt etwas, was nicht stimmt, oder was schädlich ist, dann soll
man ihn darauf hinweisen. Also auch hier: kein blinder Glaube sondern letztlich sich selbst vertrauen und
Verantwortung übernehmen. Das sind immer die wesentlichen Botschaften im Buddhismus.“
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Dabei gibt es im Buddhismus ganz verschiedene Wege zur Erleuchtung. Ähnlich wie bei den christlichen
Konfessionen gibt es auch hier unterschiedliche Richtungen und Ausprägungen. Wir begleiten Stefanie
Schubert. Sie ist ein anderer Mensch geworden, seitdem sie vor über zwanzig Jahren entschied, München zu verlassen und nach Japan in ein Zen-Kloster zu gehen. Ihr Meister gab ihr später den Namen:
Sozui. Das heißt soviel wie: „Wahrer Ursprung des Glücks“.
Schon als Kind stellte sich Sozui die Frage: Wer bin ich wirklich? Was möchte ich im Leben? Als Teenager und Studentin tauchten die Fragen wieder auf. Es war eine politisch bewegte Zeit – und Sozui
suchte nach Antworten.
Sozui
„Ich denke, dass ich letztendlich zu dem Schluss gekommen bin, dass diese ganzen äußeren Aktivitäten, also zu versuchen, was Gutes zu tun, sei es auf politischer Ebene oder auf friedensbewegter Ebene
oder in der Ökologie – dass man da letztendlich Probleme verschiebt, dass häufig miteinander zwei gute
Ideen streiten und dass man das Problem fundamentaler angehen muss. Und unbewusst denke ich
habe ich gemerkt, ich muss bei mir selber anfangen. Jeder muss bei sich selber anfangen und hab dann
im Yoga geguckt, hab in verschiedenen buddhistischen Richtungen geguckt und bin dann beim Zen
hängen geblieben. Das war mir sehr sympathisch, als dort einem weniger Konzepte gelehrt werden – es
geht um die eigene Erfahrung – um's Selbst-Rausfinden.“
Mit Anfang 20 flog Sozui nach Japan, wo der Zen-Buddhismus seine Wurzeln hat. Sie verließ ihre Familie, ihren Freund, ihre Heimat, um in einem Kloster im Süden des Landes ihren ganz persönlichen Weg
zur Erkenntnis zu finden. Ein Jahr wollte sie im Kloster Sogenji bleiben – es wurden zwanzig.
Zum Klosterleben gehört Meditation, gemeinsame Arbeit und Essen, aber auch Bettelgänge in der Stadt.
Armut ist Grundlage vieler Klöster – egal in welcher Religion. Der Abt und Zenmeister ist Shodo Harada
Roshi – er war es, der Sozui zur Nonne ordinierte und sie mit einer Bitte zurück nach Deutschland
schickte, einen Rückzugsort aufzubauen, wo man in Ruhe Zen praktizieren kann. Denn es geht um Folgendes:
Sozui
„Wie bringt man das Ganze in den Westen? Es ist eigentlich schon da, es verbirgt sich durchaus auch
im Christentum, im Prinzip hat jeder schon so eine Erfahrung gemacht, ich sag mal: Bei nem Spaziergang, beim Bergsteigen, man wandert, es öffnet sich eine Landschaft, plötzlich ist das Ich temporär weg.
Da denkt man: Oh, was war das jetzt! Tolle Erfahrung! Oder beim Sport, bei Musik --- kann man immer
wieder eine Erfahrung machen, wo man sich fundamental berührt fühlt und dieser ständige innere Dialog
eigentlich weg war. Wir sind uns dessen nicht bewusst, wir denken: Ui, toll!“
Wenn man diese Erfahrung des Loslassens vom eigenen Ich zur Grundlage seines Lebens macht, dann
ist man dem buddhistischen Gedanken schon ein gutes Stück näher gekommen.
Im Buddhistischen Zentrum in München findet einmal im Monat ein Treffen für Jugendliche statt.
Helena, Daniel, Oliver und Tobias interessieren sich seit einigen Jahren für Buddhismus. Sie kamen teils
über ihre Eltern dazu, teils waren sie auf der Suche nach einem spirituellen Zuhause.
Die verschiedenen Strömungen setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Manche Schulen sind strenger
als andere. Alle berufen sich jedoch auf Buddha und seine 84.000 Erklärungstexte.
Buddha ging es darum, seine Lehre für möglichst viele Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten brauchbar zu machen.
„Buddhismus ist einfach die Regel davon, wie man sich einfach gut verhält, um möglichst für alle Wesen
das Optimum aus diesem Leben und aus den nächsten herauszuholen.“
„Man hat halt eben eine entspanntere Haltung und sieht die Dinge nicht so eng. Man weiß, dass das,
was auf einem zukommt, dass man das selbst verursacht hat durch das Karma, tja, man kriegt halt eine
andere Sicht der Dinge.“
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„Was wir vor allem haben, ist die mündliche Überlieferung. Dass wir ins Zentrum gehen, in die Begegnung gehen mit den Menschen dort, dass wir Gespräche führen, dass wir diskutieren, dass wir uns über
bestimmte Dinge austauschen ...“
Die gemeinsamen Diskussionen über Themen wie Werte, Glaube, das Leben, die Liebe – das hat auch
Oliver angezogen, der nach der Trennung von seiner Freundin erst einmal alles in Frage stellte.
Oliver
„Ich hatte zwei Jahre lang ne ziemlich gute Beziehung und irgendwann wurde es dann ... komisch ... und
ist auseinander gebrochen. So wie's halt immer läuft, man verspricht sich am Anfang alles und hat
nachher nichts. Und die Diskrepanz dazwischen, das ist das, was einen fragen lässt: OK, was ist denn
eigentlich fest? Was ist eigentlich am Ende da?
„Alles vergeht ja, gerade das Materielle, oder Beziehungen gehen auseinander, alles ist im Wandel, und
man braucht halt etwas, worauf man sich verlassen kann. Das ist dann wirklich in dem Sinne halt der
Geist.“
Da für Buddhisten die ganze Welt im Geist entsteht, kann sie auch durch den Geist verändert werden.
Auch Gefühle und Gedanken entstehen im Geist.
Um seinen Geist zu trainieren und seine Wirkungsweise bewusst zu beeinflussen – dazu dient unter
anderem: die Meditation. Es gibt verschiedene Arten zu meditieren und am besten tut man dies am Anfang unter Anleitung eines Lehrers.
Victor Herrlich
„Ihr müsst einfach nur dem folgen, was ich sage. Ihr werdet nicht alles verstehen, das macht aber nichts,
wenn man das erste Mal meditiert. Wir meditieren dabei auf den Karmapa, auf einen erleuchteten Lehrer, und das klingt komisch. Aber wir meditieren nicht auf ihn als Mann oder Person, sondern als eine
Licht- und Energieform. Indem wir unseren Geist auf diese Form ausrichten, und indem man das Kraftfeld vom Karmapa erzeugt, seinen Geist auf den Karmapa ausrichtet, fängt man an im Laufe der Zeit
Qualitäten des Karmapa zu übernehmen.“
Meditieren sollte man regelmäßig, wenn man seinen Geist tatsächlich bewusster einsetzen möchte. Es
geht darum, Gewohnheiten zu ändern, achtsamer zu werden für sich und seine Umwelt, das beginnt mit
bewusstem Atmen – und führt, wenn man es konsequent macht, zu großen Veränderungen.
Letztendlich geht es darum, sich nicht von vergänglichen Dingen abhängig zu machen. Damit ist jedoch
nicht gemeint, dass man keine Freude mehr empfinden darf. Es geht vielmehr um eine Veränderung der
inneren Haltung gegenüber den vergänglichen Zuständen des Glücks. Man wählt den mittleren Weg und
genießt, ohne an dem Glück innerlich zu haften.
Denn, so sagt der Buddha: Genau wie der Ozean nur einen Geschmack hat, den Geschmack von Salz,
so hat diese Lehre auch nur einen Geschmack: den Geschmack der Freiheit.
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