Fluch und Segen der Staatsverschuldung

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Causa Prima
Perspicientia et Reformatio
Kolloquium der Gesellschaft Causa Prima:
“Fluch und Segen der Staatsverschuldung“
1) Grundlagen:
- Begriffsdefinition: Die Verbindlichkeiten eines Staates gegenüber Dritten
Einige Prämissen:
1) Der kapitalistische Wachstumszwang durch das Zinseszinssystem
à Konsumzwang und Förderung der ökonomischen Konkurrenz
- Wozu Wachstum? a) Erhöhung des Profits = mehr volkswirtschaftliche Wohlfahrt
b) Zinseszinsrückzahlung (also Bedingungen für zusätzlichen Profit)
2) Kredit, Zins und Zinseszins (= Das Herz des Kapitalismus)
- Der Zins soll Anreiz bieten Geld liquide zu halten. Dies führt zu Wachstum und Fortschritt.
(P1: Idee + P2: Kredit = Innovation (P1 schuldet P2))
- Prinzip der multiplen Geldschöpfung (Geld entsteht durch Rückzahlungsforderungen, um
den Zinseszins zurückzuzahlen. Um diese Schulden zu erstatten, wird ein Kredit
aufgenommen, es wird also Geld geschaffen, welches zuvor noch nicht existiert hat.)
à Wachstumszwang und Optimismus (Eine rosige Zukunft muss angenommen werden)
à Die Ökonomie muss exponentiell wachsen, da der Zinseszins exponentiell wächst. In der
Natur gibt es nur etwas Vergleichbares: die Krebszellen.
3) Die Zentralbank:
- Ihre Aufgabe: Den Leitzins ihrer Kredite runter- oder raufsetzen. Damit bestimmt sie, ob
Kredite an Banken billiger oder teurer werden. Eine Art Gas- oder Bremspedal d. Wirtschaft.
- Sie steuert die Geldmenge durch Wahrung der Preisstabilität (Bekämpfung der Inflation)
à Die Geldmenge soll im Gleichschritt mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung steigen
à Sich garantiert so die Glaubwürdigkeit einer Währung
- Die Erhöhung der Geldmenge kann die Produktivität erhöhen (ewige Flucht nach vorne)
4) Theoriendualismus:
A) Liberale Tradition: Freie und deregulierte Märkte / Unsichtbare Hand / Pareto-Optimum,
Angebot schafft Nachfrage (Hayek, Friedman. Lucas)
B) Interventionistische Tradition: Der Staat reguliert die Märkte / Die Nachfrage schafft
Angebot / Fiskalpolitik, (Keynes, Stiglitz)
2) Wie funktioniert Staatsverschuldung?
- 1) Jeder Staat hat eine Schuldenquote (Das Verhältnis von BIP und Staatsverschuldung)
à Eine Schuldenquote von 50% bedeutet: Die Schulden sind so groß wie 50% der jährliche
Wirtschaftsleistung eines Staates.
- 2) Ein Staat hat Einnahmen durch: a) Steuern, b) Verkaufte Staatsanleihen
- 3) Ein Staat verschuldet sich durch Kredite (Staatsanleihen), die er von Banken aufnimmt
- 4) Sind die Einnahmen eines Staates geringer als seine Schulden, steigt seine Schuldenquote
über 100%.
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à Ab einer Schuldenquote von ca. 90% werden die Anleger auf den Märkten nervös. Dies
gilt als Obergrenze einer Staatsverschuldung. Weshalb? Die Märkte vertrauen nicht mehr
darauf, dass der Staat zu Wachstum und damit Schuldenabbau in der Lage ist.
à Die Bonität (Kreditwürdigkeit) von Staaten wird festgelegt durch Ratings (z.B. Moody’s)
Akzeptierte: Staatsverschuldung:
- Bei einer Schuldenquote unter ca. 90%: Der Staat zahlt für seine Kredite geringe Zinsen,
denn man vertraut seines Wachstumspotential. Der Staat nimmt so Kredite auf, um andere
Kredite und deren Zinsen und Zinseszinsen abzutragen, um damit Kredite abzuzahlen etc.
à Permanente Verschuldung zu tiefen Zinsen. Genügend Liquidität vorhanden à Wachstum
à Sprich: Ein prosperierender Staat muss seine Schulden niemals ganz zurückzahlen,
sondern nimmt für die Rückzahlung bestehender Schulden immer neue Kredite auf (Ziel: Die
Schuldenquote einfach tief genug halten)
Problematische Staatsverschuldung:
- Bei einer Schuldenquote über ca. 90%: Der Staat zahlt für seine Kredite höhere Zinsen, denn
man vertraut seines Wachstumspotential nicht. Dadurch wächst der Schuldenberg
à Schuldenteufelskreis: Endszenario: Erhöhung des Zinssatzes à Steigende Schulden à
Kein Zugang mehr zum Finanzmarkt (keine Kredite werden mehr verliehen) à Weiter
zunehmende Verschuldung = Staatsbankrott (Zahlungsunfähigkeit)
à Ergo: Staatsverschuldung funktioniert nur, wenn die Wirtschaft entsprechend mitwächst,
d.h. der Staat genügend Einnahmen hat, wodurch die Schuldenquote unter ca. 90% bleibt.
Wozu verschulden sich also Staaten? (siehe oben)
- 1) Aus Wachstumszwang, um so durch Investitionen die Wohlfahrt zu erhöhen.
- 2) Um die Zinseszinsen der Kredite zurückzuzahlen (multiple Geldschöpfung)
Wie lassen sich Schulden abbauen?
- Durch Erhöhung der staatlichen Einnahmen (Steuern, Gebühren, Beiträge)
à Also: Austerität und erhöhter Arbeitsdruck
- Durch Senkung der Ausgaben (Sozialleistung, öffentliche Einrichtungen, Löhne)
Fakten:
- In der Regel schulden Nationen 1) sich selbst am meisten Geld (interne Verschuldung - über
direkte und indirekte Kosten), gefolgt von 2) anderen Nationen (externe Verschuldung - meist
an China) und erst dann 3) individuellen Personen oder Unternehmen (intern und extern).
à Staatsschulden sind immer öffentliche Schulden, d.h. sie betreffen die Bevölkerung
- Eine Mentalitätsfrage: Staatsschulden gelten immer als bezahlbar (müssen sie auch), oft auf
der Basis historischer Beispiele (wie Japan), selbst wenn Schulden meist schneller wachsen
als abnehmen (Naivität oder Ingeniösität?).
- Es gibt implizite Staatsschuld (Schulden dürften in der Regel höher sein als angegeben, da in
den Angaben zukünftige Ausgaben wie Rentenzahlungen nicht berücksichtigt sind)
- Die Wirtschaft ist historisch dialektisch: Ein Kampf zw. Arbeitgebern und Arbeitnehmern,
zwischen Schuldnern und Gläubigern, zw. Finanzakteuren und Produzenten.
à Eine subsistente Diktatur der Geldgeber
- Die Finanzbranche braucht eine permanent verschuldete Wirtschaft mit einer sehr starken
Währung. Eine hohe Inflationsrate soll vermieden werden, denn dadurch verliert ihr Kapital
an Wert. Die Schuldenspirale weiter drehen, denn nur so winkt die Rückzahlung.
- Nur 5% aller weltweiten Kredite werden von Zentralbanken ausgeschüttet, die restlichen
95% entstehen durch den privaten Banksektor
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Historische Entwicklungen:
A) David Graeber: Die Zivilisationsgeschichte begann mit dem Kreditwesen
- In Hochkulturen: Schuldzins/Pfänden à Münzwesen à Tauschhandel.
- Märkte entstanden also durch Regulierung von Krediten und Steuersystemen, d.h. durch
Staaten (Gesellschaften beruhen genuin auf Tausch, Hierarchien sowie Kooperation)
B) Prozesse der Entnaturalisierung des Geldwertes
- Italien des 14. Jahrhunderts: Festgesetzte Zinse (erste Wertpapiere) in Venezia, Genua etc.
à Finanzierung von Kriegen (oft kein Rückzahlung der staatlichen Kreditnehmer)
- Bretton-Woods nach dem 2. Weltkrieg (US-Dollar als Ankerwährung)
- 1971: Präsident Nixon: Loslösung der Bindung des Dollars an Gold à Fiat-Geld
à Der Wert des Geldes beruht seither auf dem Vertrauen in die Staaten: Ein Staat kann sich
in die unendliche Offenheit verschulden.
- 1973: Freie Wechselkurse (Verdreifachung des Ölpreises) à 1976: Inflationsbekämpfung
- 1999: Einführung des Euros (Billige Kredite für Staaten)
- 2007/2008: Finanzkrise (Supreme-Krise in den USA)
C) Schritte der Entnaturalisierung des Wertes von Geld
Generell: Münzgeld à Papiergeld à Buchgeld (Zahlungsanspruch) à elektronisches Geld
Status Quo:
- Die Gesamtschulden aller Staaten betragen heute ca. 60 Billionen USD.
- Schuldenquote: 14 von 171 Ländern haben eine Schuldenquote von über 100% (2014), die
höchste hat Japan mit 227%. (à Schweiz: 34,7% / USA: 71% / Griechenland: 174%)
- Relativ wenige Länder haben externe Schulden die geringer sind als ihre externen
einzuholenden Schulden. Die USA war 1960 noch der größte Kreditor in diesem Sinne, ist
aber heute der größte Schuldner.
Sonderfall USA:
- Der US Dollar gilt als “risikofreie“ Währung, obwohl damit implizit die Stabilität der US
Regierung und ihre Fähigkeit zur Rückzahlung vorausgesetzt wird.
- Die höchsten Schulden aller Staaten hat die USA (17,607 Milliarden Dollar, fast doppelt so
viel wie die Nummer 2, Japan), was allerdings weniger als 100% des GDP ausmacht (2015)
à Die USA kann Schulden exportieren (Schuldenimperialismus)
à Die USA macht den Schuldenschnitt selbst, weil der USD die Weltleitwährung ist.
3) Vor- und Nachteile:
- Ricardo: Die größte Geißel der Staaten
- Keynes: Adäquat für die Ankurbelung der Wirtschaft
Vorteile (Segen)
- Notwendiger Mechanismus für die Sicherung von Wohlstand durch Wachstum
- Keynes: Langfristige Verschuldung (10+ Jahre) zur Stärkung der Privatwirtschaft
(Einkommen und Steuereinnahmen) ist sinnvoll, denn Sparen hat negativen Einfluss auf das
Wachstum (Reduktion der Steuereinnahmen und erhöhte Rückzahlungschancen)
Nachteile (Fluch)
- Förderung von Ungerechtigkeit: Zinsen führen zu einer größeren Ungleichverteilung von
Geld, denn die Reichen können den Armen so mehr Geld verleihen und sie dadurch in weitere
Abhängigkeit treiben. / Zudem: Arme haben höhere Zinssätze
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- Schulden als feudalistisches Machtmittel der Reichen
- Sie gefährdet die Gerechtigkeit zwischen den Generationen (die Folgen einer
Schuldenaufnahme können zeitversetzt eintreten)
à Gespart wird oft in Bereichen, welche den kommenden Generationen zugutekommen
- Anbindung der Wirtschaft an Banken (Too big to fail-Problematik)
- Verschuldungsspirale in den Kollaps?: Die Liquidität der Finanz- und Realwirtschaft ist
abhängig von der globalen Gesamtverschuldung. Geldschöpfung durch Kreditvergabe
impliziert aber einen Zinseszinseffekt (exponentieller Wachstumszwang): Dies gefährdet die
Stabilität des Systems, da kein Wirtschaftswachstum auf Dauer mit diesem exponentiellen
Wachstum der Zinsen mithalten kann. So wachsen die Schulden ebenfalls exponentiell. Mit
den wachsenden Schulden wächst entsprechend der Schuldgeldschöpfung auch die gesamte
Geldmenge.
- Finanzausgleich in Form von Krediten anstelle von Schenkungen in der Euro-Zone
Fragen:
- Wie ist infinite Verschuldung und infinite Rückzahlungszeit mit finiten Realressourcen
vereinbar? à Problem: Exponentieller Wachstumszwang bei endlichen Ressourcen resp.
gesättigten Märkten. Notwendiger Kollaps des Systems?
- Könnte die Staatsverschuldung zur größten aller Blasen wachsen? Wäre ihr Platzen der
Kollaps des Finanzsystems?
4) Drei Lösungsvorschläge aus der Wirtschaftsforschung:
1) Tomas Sedláček
- Angesichts des Haushaltsdefizits in vielen Staaten fragt er provokant, wie man bei 3 %
Neuverschuldung von 1 % Wirtschaftswachstum sprechen könne. Um die Verschuldung, die
zukünftige Handlungsoptionen beschneide, einzudämmen, fordert Sedláček – Bezug nehmend
auf Genesis 41 –, in guten Jahren anzusparen für die mageren: die Neuverschuldung dürfe
3 % der Wirtschaftsleistung minus das Wirtschaftswachstum nicht übersteigen („JosefRegel“)
2) David Graeber
- Seit der Erfindung des Kredits vor 5000 Jahren treibt das Versprechen auf Rückzahlung die
Menschen in die Sklaverei
- Schulden sind Versprechungen. Man muss sie im Prinzip nicht zurückzahlen. Für den Profit
des Kapitalismus ist die Schuldenrückzahlung nicht nötig. Das Geldsystem braucht Schulden
- Den meisten Revolutionen sei eine Schuldenkrise vorangegangen (Verschuldete lehnen sich
gegen Reiche auf) (Schulden wurden konstruiert)
à Lösung: Es soll stattdessen neue Märkte geben, die nicht auf Schulden, sondern auf
Vertrauen beruhen! Ein Paradigmenwechsel im Denken!
à Lösung: Es brauche einen radikalen Schuldenschnitt, für einen Neuanfang. Ein
Schuldenschnitt funktioniert, wenn ein Land Ressourcen hat (Argentinien etwa)
3) Adair Turner:
- Ein Wachstum durch die Aufnahme von Krediten und wachsende Verschuldung (solange
die Inflation tief bleibt) ist nicht notwendig. Dieses System ist zu krisenanfällig.
à Lösung: Reinigung der Wirtschaft durch eine allgemeine Schuldensteuer
à Höheres Eigenkapital von Banken (Jetzt 3-5 % (bis zu 30-40% gemäß Prof. Marc
Chesney) (Basel I,II,III)
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5) Zukunftsaussichten und Visionen:
- Effizientes Fiskalsystem à Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer
- Minimierung der Größe der privaten Banken (Rubini)
- Die Schaffung einer globalen Reservewährung anstelle des labilen Dollars (Stiglitz)
- Eindämmung von Hochfrequenzhandel, Arbitragegeschäften und Leerverkäufen
- Die Überwindung des BIP als Erfassung von Wohlstand z.B. durch den Index of Sustainable
Economic Welfare (ISEW). Dieser ist ein wirtschaftlicher Indikator mit dem Ziel, das
klassische Brutto-Inlandsprodukt (BIP) zu ergänzen oder zu ersetzen. Der ISEW integriert
zusätzliche Faktoren und Indikatoren des privaten Verbrauchs mit dem Ziel, BIP-Aussagen
über den Gesamtwohlstand zu korrigieren. Hierzu zählen:
- Erhöhte Regulationen der Märkte à Gegen blindes Wachstum: Vielmehr: 1) Effizienz
(weniger Energieverschleiß), 2) Suffizienz (alternative Energie), 3) Verzicht (Konsument)
à Eine generelle Entfinanzierung der Wirtschaft und Regulierung nach sozialen Maßstäben
und Befreiung der Politik vom Diktat der Märkte
- Generell: Anstatt von Stabilisierung des Bankensektors der Geldgeber-Nationen und
Finanzierung von Kriegen ökologisch nachhaltige und soziale Konjunkturprogramme
- Eine sanfte Lösung: Eine konstante Währungsinflation, Man belässt alles beim Alten und
erhöht nur die Geldmenge bis die Preise steigen, um die Staatsverschuldung automatisch zu
senken.
- Kampf gegen Ungerechtigkeit: Beispiel: Earning to give (effective altruism)
- EU: Besinnung auf die ausgearbeiteten Kriterien des Maastricher-Vertrags, nämlich eine
Staatsverschuldungsquote von max. 60% im Verhältnis zum BIP. Alle darüber liegenden
Schulden werden nicht von einzelnen Ländern sondern von Europa als Kollektiv getragen.
- Den Urzins der Zentralbanken eliminieren und auf praktisch null minimieren. Dies
ermöglicht den Staaten, für die Menschheit nachhaltig dienliche und effektive
Konjunkturprogramme einzuleiten
Juhani Steinmann, Bernhard Stoll, Jason Morris (11.11.2015)
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