Seelische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen unter

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Bachelorarbeit
Seelische Erkrankungen von Kindern und
Jugendlichen unter Betrachtung
gesundheitsförderlicher Maßnahmen
eingereicht von
Sandra Weinzierl
zur Erlangung des akademischen Grades
Bachelor of Science
(BSc)
Medizinische Universität Graz
Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft
Unter der Anleitung von
Birgit Bernhardt, MAS
Lehrveranstaltung Didaktik
Söchau, November 2015
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet
und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als
solche kenntlich gemacht habe.
Graz, 11. November 2015
Sandra Weinzierl eh.
2
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung ................................................................................................. 5
1. Einleitung............................................................................................................ 6
1.1 Forschungsfrage ........................................................................................... 6
1.2 Methodik ....................................................................................................... 7
2. Begriffsbestimmungen ........................................................................................ 7
2.1 Seelische Gesundheit ................................................................................... 7
2.2 Seelische Erkrankung und Psychische Störung ........................................... 8
3. Häufig vorkommende seelische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter ...... 9
3.1 Internalisierende Störungen .......................................................................... 9
3.1.1 Depression ............................................................................................. 9
3.1.2 Angststörungen .................................................................................... 10
3.1.3 Essstörungen ........................................................................................ 11
3.2 Externalisierende Störungen....................................................................... 12
3.2.1 AD(H)S ................................................................................................. 12
3.2.2 Gewalt und Delinquenz ........................................................................ 13
3.3 Komplexe Auffälligkeiten ............................................................................. 14
3.3.1 Borderline- Persönlichkeitsentwicklungsstörungen .............................. 14
3.3.2 Reaktionen auf schwere Belastungen .................................................. 15
3.3.3 Drogenmissbrauch und Drogenabhängigkeit ....................................... 16
4. Risiko- und Schutzfaktoren, Vulnerabilität und Resilienz ................................. 17
4.1 Risikofaktoren ............................................................................................. 17
4.1.1 Biologische Risikofaktoren ................................................................... 18
4.1.2 Psychosoziale Risikofaktoren ............................................................... 19
4.1.3 Soziokulturelle Risikofaktoren .............................................................. 23
4.1.4 Lebensereignisse und situative Risikofaktoren .................................... 24
4.2 Schutzfaktoren ............................................................................................ 25
3
4.2.1 Protektive Faktoren .............................................................................. 25
4.3 Vulnerabilität ............................................................................................... 27
4.4 Resilienz ..................................................................................................... 27
5. Pädagogische Hilfestellungen für Kinder und Jugendliche ............................... 28
5.1 Hilfen im Elternhaus und in der Familie ...................................................... 29
5.2 Sprechen und Zuhören ............................................................................... 30
5.3 Präventionsprogramme............................................................................... 31
5.4 Elternleitfaden ............................................................................................. 32
5.5 Hilfen im Kindergarten und in der Schule.................................................... 32
5.6 Hilfen vor der Einschulung .......................................................................... 32
5.7 Beratungslehrer und Schulpsychologen ..................................................... 33
5.8 Streitschlichtprogramme an Schulen .......................................................... 34
6. Therapeutische Hilfe......................................................................................... 35
6.1 Basisnotwendigkeiten für die Therapie ....................................................... 35
6.1.1 Elternberatung ...................................................................................... 36
6.1.2 Elterntraining ........................................................................................ 37
6.1.3 Problemlösungstraining ........................................................................ 38
7. Therapie und Rehabilitation .............................................................................. 40
7.1 Psychotherapie ........................................................................................... 40
7.2 Familientherapie ......................................................................................... 43
7.3 Psychopharmakatherapie ........................................................................... 44
8. Schlussfolgerung .............................................................................................. 46
Literaturverzeichnis .............................................................................................. 47
4
Zusammenfassung
Seelische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen kommen in der heutigen
Gesellschaft häufig vor. Ziel dieser Bachelorarbeit ist es, aufzuführen welche
pädagogischen oder therapeutischen Möglichkeiten es gibt, die die seelische
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen fördern oder wiederherstellen.
Es werden häufig vorkommende Störungen und Verhaltensauffälligkeiten diskutiert,
die durch mehrere Risikofaktoren ausgelöst werden können. Pädagogische
Hilfestellungen und diverse Therapieformen sollen Aufschluss darüber geben, wie
Kinder und Jugendliche eine seelische Erkrankung umgehen können oder von
ihnen geheilt werden.
Abstract
In today's society children and adolescents are more and more suffering from mental illness. The goal of this bachelor's theses is to show which educational and therapeutic possibilities there are to keep or to restore mental health of children and
adolescents. In the following theses commonly occurring mental and behavioural
disorders will be discussed, which get released because of several risk factors. Educational assistance and different forms of therapy shall give some indication of
keeping mental health of children and adolescents or to cure their mental illnesses.


5
1. Einleitung
Aufgrund der Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft sowie durch den Druck von
außen kommt es speziell bei Kindern und Jugendlichen vermehrt zu seelischen
Erkrankungen.
Seelische Erkrankungen entstehen meist, wenn der Leistungsdruck steigt oder
auch der Rückhalt der Familie fehlt. Dies sind alles Bedingungen, unter denen ein
Kind leiden kann. Kinder fallen hin und wieder problematisch auf, dies gehört zur
Normalität. Doch es gibt Warnzeichen, bei denen Eltern und andere
Bezugspersonen aufmerksam werden sollten. Eine plötzlich auftretende
Veränderung des Verhaltens kann ein Hinweis auf die Entwicklung einer
psychischen Störung oder einer Verhaltensauffälligkeit sein. Durch Früherkennung
eines abnormalen Verhaltens kann der Entwicklung einer Störung
entgegengewirkt werden. Wenn das Störungsbild jedoch schon eingetreten ist,
können verschiedene Verfahren angewendet werden, die die Erkrankung
abmildert oder heilt und die seelische Gesundheit wiederherstellt.
Im Hauptteil der folgenden Bachelorarbeit werden, nachdem wichtige Begriffe
definiert werden, häufige seelische Erkrankungen, die im Kindes- und Jugendalter
auftreten, zusammengefasst, bevor die Einflussfaktoren, welche ein erhöhtes
Risiko an der Entwicklung einer seelischen Erkrankung tragen sowie die
Schutzfaktoren welche die Erhaltung der seelischen Gesundheit begünstigt,
detailliert beschrieben werden. In den weiteren Kapiteln und Subkapiteln wird
dann auf die Hilfestellungen eingegangen, die im Elternhaus oder in
institutionellen Settings, wie Kindergarten oder Schule, stattfinden. Des Weiteren
werden im letzten Kapitel Therapieformen erläutert, welche häufig bei solcher
Problemlage angewendet werden.
1.1 Forschungsfrage
In der nachfolgenden Arbeit soll folgende Frage beantwortet werden:
„Durch welche gesundheitsförderlichen Maßnahmen kann die seelische
6
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aufrechterhalten beziehungsweise
wiederhergestellt werden?“
1.2 Methodik
Der Schwerpunkt der Literatursuche wurde auf Online Bibliotheken der
Medizinischen Universität Graz sowie der Karl-Franzens Universität Graz als auch
der Fachbibliothek der Erziehungswissenschaft Graz gelegt.
Die Schlüsselwörter, die für die Recherche verwendet wurden, waren folgende:
„Psychische Störung“, „Verhaltensauffälligkeit“, „seelische Gesundheit“ und
„Kinder- und Jugendpsychiatrie“.
2. Begriffsbestimmungen
Im folgendem Kapitel werden die Begrifflichkeiten „seelische Gesundheit“ und
„seelische Erkrankung“ erläutert sowie dessen Zusammenhang mit dem Begriff
„psychische Störung“.
2.1 Seelische Gesundheit
Neben der körperlichen und der sozialen Gesundheit stellt die seelische eine der
wichtigsten Faktoren von Gesundheit dar. 2005 definiert die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) seelische Gesundheit als Ursprung des
Wohlbefindens eines Menschen und wichtig für das Funktionieren einer
Gesellschaft (vgl. Fuchs & Schlicht 2012, S. 2). Seelisch gesund zu sein bedeutet
einen Zustand von Wohlbefinden in dem man seine individuellen Fähigkeiten
erkennt und diese ausschöpfen kann, Belastungen bewältigen kann und in der
Lage ist einen produktiven Beitrag in der Gesellschaft zu leisten und die eigenen
und gesellschaftlichen Lebensziele zu verwirklichen. Die seelische Gesundheit
7
stellt das Gleichgewicht zwischen Bedürfnissen, Wünschen und Sehnsüchten von
Personen sowie die Möglichkeiten ihrer Befriedigung unter gegebenen sozialen,
materiellen und strukturellen Bedingungen dar. Schaffen wir es wiederholt nicht
Anforderungen, die wir täglich zu bewältigen haben, zu meistern, bleiben die
Bedürfnisse nach sozialer Nähe, Selbstwertschätzung und Kontrolle unbefriedigt.
Unser subjektives Wohlbefinden, welches für die seelische Gesundheit eine
wichtige Position einnimmt, wird beeinträchtigt. Ist man dauerhaft nicht imstande
Umweltanforderungen zu bewältigen, kann sich das durch eine seelische
Erkrankung auswirken. Kriterien für die seelische Gesundheit sind die
Lebenszufriedenheit, das psychische und soziale Wohlbefinden und das
Selbstwertgefühl. Seelische Störungen können sich entwickeln wenn dieses
Gleichgewicht gestört ist und man dadurch mit sich selbst und der Welt nicht
„eins“ ist (vgl. Fuchs & Schlicht 2012, S. 2-3).
2.2 Seelische Erkrankung und Psychische Störung
„Unter seelischer Erkrankung wird eine krankhafte Störung der Wahrnehmung,
des Verhaltens, der Erlebnisverarbeitung, der sozialen Beziehung und der
Körperfunktionen verstanden“ (Fröhlich- Gildhoff 2007). Die betroffenen Personen
können diese Funktionen nicht, oder nur teilweise selbständig steuern (vgl.
Fröhlich- Gildhoff 2007, S. 20). „Krankhafte Störungen können durch seelische
oder körperliche Faktoren verursacht werden; sie werden in seelischen und
körperlichen Symptomen und in krankhaften Verhaltensweisen erkennbar, denen
aktuelle Krisen seelischen Geschehens, aber auch pathologische Veränderungen
seelischer Strukturen zugrunde liegen können“ (Fröhlich- Gildhoff 2007).
Durch Überarbeitungen von Diagnoseleitlinien wurde in den 1990er Jahren der
Begriff der „seelischen Erkrankung“ durch den Begriff der „psychischen
Störung“ ersetzt. Der Grund war, dass sich die verschiedenen
Psychotherapierichtungen nicht auf ein gemeinsames Modell für die Entstehung
und Aufrechterhaltung von psychischen Beschwerden einigen konnten. Man
beschränkte sich dann auf komplexe Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten, die
unter dem Begriff „Störung“ zusammengefasst wurden (vgl. Denner 2008, S. 16).
Kriterien für eine „Auffälligkeit“ oder eine „Störung“ nach gängigen
8
Klassifikationssystemen psychischer Störungen sind nicht nur psychische
Symptome sondern sind auch abhängig von der Stärke, der Anzahl und der Dauer
der Symptome, der Verlaufskriterien und deren Beeinträchtigungen (vgl. FröhlichGildhoff 2007, S. 17).
3. Häufig vorkommende seelische Erkrankungen im Kindes- und
Jugendalter
Im nachfolgenden Kapitel wird auf die häufigsten seelischen Erkrankungen von
Kindern und Jugendlichen eingegangen und ebenso eine Einteilung in
internalisierende und externalisierende Störungen sowie in komplexe
Auffälligkeiten vorgenommen.
3.1 Internalisierende Störungen
Unter dem Begriff „internalisierende Störungen“ oder auch „affektive
Störungen“ werden „überkontrollierende“ Störungen mit passiv-ängstlichen
Merkmalen zusammengefasst und sind nach außen nur schwer zu erkennen, da
sich die Hauptsymptome auf Beeinträchtigung des inneren Lebens, der Gefühlsund Stimmungslage beziehen (vgl. Schneider & Margraf 2009, S. 664). Zu den
internalisierenden Störungen zählt man neben Depressionen und Angststörungen
auch die Essstörungen. In den nachfolgenden Subkapiteln werden diese näher
beschrieben werden.
3.1.1 Depression
Die Symptome der Depression sind durch folgende Faktoren gekennzeichnet: die
Stimmung ist traurig, reizbar oder unglücklich. Kognitive Symptome sind negative
Gedanken oder geringes Selbstwertgefühl, antriebsloses, sozial
zurückgezogenes Verhalten und körperliche Merkmale wie Schlafstörungen,
9
starke Müdigkeit oder gesteigerter oder verminderter Appetit. Diese Symptome
treten bei Kindern nicht immer gleichermaßen auf (vgl. Fröhlich- Gildhoff 2007, S.
77). Die Häufigkeit des Auftretens nimmt mit dem Älterwerden zu. Ab dem
zwölften Lebensalter lassen sich Prävalenzraten von bis zu 10% beobachten, die
jedoch oft mit vielen anderen komorbiden Symptomen auftreten (vgl. FröhlichGildhoff, S. 85). Ursachen einer Depression bei Kindern und Jugendlichen können
biologische (wie hormonelle Veränderungen in der Pubertät), soziale (wie eine
unsichere Bindung zu den Eltern) oder psychologische Faktoren (wie
unangemessene Bewältigung von Entwicklungsaufgaben) sein (vgl. FröhlichGildhoff 2007, S. 79-81).
In Therapien ist es nach Fröhlich- Gildhoff zudem wichtig, dass die Patienten
wieder Selbstwirksamkeits- und Kontrollerfahrungen erlernen, die
Selbstwahrnehmung verbessern und die Aufmerksamkeit auf positive Gefühle
lenken. Durch verschiedene Interventionsmöglichkeiten sollen negative Denkstile
und selbstabwertendes Denken gemindert werden und Bewältigungskompetenzen
aufgebaut werden. Im Rahmen einer Therapie werden neben Einzelsitzungen
ebenso gruppentherapeutische Interventionen angeboten. Auch das soziale
Umfeld soll bei der Therapie mit Kindern und Jugendlichen mit einbezogen
werden. Wichtig ist die Teilnahme der direkten Bezugspersonen, wie Eltern, aber
auch ein erweitertes soziales Umfeld, wie Lehrer oder Erzieher (vgl. FröhlichGildhoff 2007, S. 84).
3.1.2 Angststörungen
Ängste sind unvermeidbar und stellen eine wichtige Schutzreaktion dar. Sie treten
in einem kontrollierbaren, normalen Ausmaß immer wieder in unterschiedlichen
Situationen und Entwicklungsphasen auf und hängen nicht mit der Angststörung
zusammen (vgl. Fröhlich- Gildhoff 2007, S. 86). Klinisch bedeutsam werden
Ängste wenn sie nicht vorübergehend sind, die Angst unangemessen für die
Entwicklungsphase und für das Alter ist, mit starken und anhaltenden
Beeinträchtigungen verbunden sind und auch die normale Entwicklung
beeinträchtigt wird sowie Probleme im sozialen Umfeld auslösen. Situations- und
objektbezogene Ängste werden als Phobien bezeichnet (vgl. Steinhausen 2010,
10
S. 197).
„Es gibt unterschiedliche Angstformen wie Trennungsangst, phobische Störungen,
Panikstörungen, soziale Phobie oder soziale Angststörungen und generalisierte
Angststörungen. Die Prävalenzraten für alle Angststörungen liegen bei ungefähr
10%. Ängste weisen dann eine hohe Stabilität auf, wenn sie früh entstanden und
nicht behandelt worden sind“ (Fröhlich- Gildhoff, 2007).
Hier sind Temperamentsfaktoren, wie Verhaltenshemmungen im
Interaktionsprozess mit früher Beziehungserfahrung, die Ursache. Einen großen
Einfluss haben ängstliche elterliche Vorbilder, sowie Eltern, die geringe
Erwartungen an das Bewältigungsverhalten ihrer Kinder haben.
Ängstliche Kinder und Jugendliche haben an sich eher negative Erwartungen,
nehmen sich als weniger kompetent wahr und ihre Selbstaufmerksamkeit bezieht
sich auf negative Gedanken. Es kommt zu einem Kreislauf der Verstärkung von
übermäßiger Angst.
Bei einer Therapie ist es wichtig auf der Grundlage sicherer Bindungserfahrungen
den Kindern die Möglichkeit zu geben, Verhaltensstrategien auszuprobieren, um
angstauslösende Situationen besser bewältigen zu können. Ebenso wichtig ist es,
negative Kognitionen gezielt zu verändern (vgl. Fröhlich- Gildhoff 2007, S. 86100).
3.1.3 Essstörungen
Unter Essstörungen werden die Anorexie, die Bulimie und die Adipositas
zusammengefasst. Die Anorexie ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass
Betroffene einen radikalen Gewichtsverlust herbeiführen, eine ausgeprägte Angst
vor Gewichtszunahme haben und an starkem Untergewicht leiden.
Dem gegenüber zeigt sich bei er Bulimie als Hauptmerkmal das wiederholte
Heißhungerattacken und die darauffolgenden Gegenmaßnahmen, wie Erbrechen,
um die aufgenommen Lebensmittel wieder loszuwerden. Adipositas bezeichnet
hingegen einen überaus deutlichen Überschuss an Körperfetten, der durch
Nahrungsaufnahme und Bewegungsmangel zurückzuführen ist.
Die Essstörungen hängen mit dem Körpergewicht zusammen. Ein wesentliches
Klassifikationskriterium ist der Body Mass Index (BMI).
11
Die Anorexie und die Bulimie finden sich fast ausschließlich beim weiblichen
Geschlecht.
Ursachen für Essstörungen sind vor allem soziale Faktoren. Bei Anorexie und
Bulimie spielt das gesellschaftliche Schlankheitsideal eine große Rolle. Die
Störungen entstehen im Jugend- bzw. im jungen Erwachsenenalter, indem die
Körperwahrnehmung eine bedeutende Einflussgröße auf Selbstwert und
Selbstsicht hat. Über das Essverhalten wird versucht, Kontrolle auszuüben, auch
in einem als unkontrollierbar erlebten Familiensystem.
Die Therapie soll bei allen Essstörungen multimodal erfolgen und vor allem auch
körperliche Aspekte einbeziehen. Darum wäre hier eine Variation aus
Psychotherapie, Verhaltenstherapie, Körpertherapie und Familientherapie, sowie
Ernährungsberatung, Ausweitung der Bewegungsmöglichkeiten und ein
Selbstsicherheits- und Sozialtraining angemessen (vgl. Fröhlich-Gildhoff 2007, S.
100-116).
3.2 Externalisierende Störungen
Externalisierende Störungen sind Auffälligkeiten, welche man von außen
beobachten kann, wie zum Beispiel Unruhe, Zappeln oder aggressives Verhalten.
Dazu gehören AD(H)S sowie Gewalt und Delinquenz, die nun näher beschrieben
werden.
3.2.1 AD(H)S
Die Aufmerksamkeitsdefizit(hyperaktivitäts)störung (AD(H)S) gilt als eine der am
häufigsten diagnostizierten Störungen des Kindes- und Jugendalters. Merkmale
sind Beeinträchtigung der Konzentration und Aufmerksamkeit, Überaktivität wie
Bewegungsdrang und impulsives Handeln. Die Genesung von AD(H)S und deren
Therapie werden heftig diskutiert, insbesondere die medikamentöse Behandlung
der Störung. Zur Feststellung von AD(H)S ist eine sehr genaue und umfassende
Diagnostik erforderlich. Es wird davon ausgegangen, dass 3-5% der Kinder im
Schulalter Symptome einer AD(H)S zeigen, eine Komorbidität besteht zur Störung
12
des Sozialverhaltens. Ursache kann die (Selbst-)Regulation sein, die aus dem
Zusammenwirken von Temperamentfaktoren und der frühen Interaktion mit
Bezugspersonen entstehen. Es entwickeln sich frühzeitig „Teufelskreise“, die sich
dann auf organischer Ebene auf den Neurotransmitterstoffwechsel auswirken.
Diese Prozesse werden durch Stresserleben in Alltagssituationen verstärkt, vor
allen durch Dinge in hochstrukturierten Situationen. Die Unterstützung von Kindern
mit AD(H)S- Auffälligkeiten sollte therapeutisch wie pädagogisch multimodal
erfolgen und Kind, Eltern sowie andere Bezugspersonen einbeziehen. Wichtige
Kennzeichen sind: Die Strukturierung des Alltags, die Gestaltung von
Bindungssicherheit sowie die Unterstützung beim Aufbau von
Selbstregulationsfähigkeiten. Erst wenn diese psychotherapeutischen
Maßnahmen keinen Erfolg haben und eine starke Krise droht, ist eine
medikamentöse Behandlung indiziert (vgl. Fröhlich- Gildhoff 2007, S. 117-135).
3.2.2 Gewalt und Delinquenz
Aggressives und gewalttätiges Verhalten wird unter „Störung des
Sozialverhaltens“ eingeordnet.
Die Prävalenzraten liegen bei 4-15% aller Kinder und Jugendlichen und sind
abhängig von den jeweiligen Untersuchungsmethoden. Jungen zeigen deutlich
häufiger als Mädchen körperliche und verbale Gewalt, Mädchen zeigen eher
sogenannte relationale Gewalt (zum Beispiel „Zickenkrieg“).
Es wird nicht von einem „Aggressionstrieb“ ausgegangen. Eine Bedeutung hat das
sogenannte „schwere Temperament“. Im Zusammenspiel mit
Beziehungserfahrungen in den ersten Lebensjahren, erhalten später gewalttätige
Kinder zu wenig Unterstützung im Aufbau von Selbstregulationsfähigkeiten. Die
sozialen Kompetenzen sind, womöglich aufgrund fehlender Vorbilder, nicht
ausreichend ausgeprägt. Oft findet sich ein geringer Selbstwert, der über
gewalttätiges Handeln kompensiert wird und so zur
Selbstwirksamkeitserfahrungen führt. Ferner finden sich Verzerrungen im Prozess
der Informationsverarbeitung (Selbst- und Fremdwahrnehmung): viele Situationen
werden als „gewaltgeladen“ interpretiert und es wird entsprechend reagiert.
Neben den Ursachen spielen Auslösebedingungen eine Rolle, vor allem: unklare
13
soziale Situationen, Überforderung, ein soziales Klima, das Gewalt fördert, Alkohol
und Drogen, eindeutige Hinweisreize (Waffen) und schlecht verarbeitete
Frustrationen.
Die Interventionen müssen multimodal erfolgen. In der Begegnungshaltung muss
Wertschätzung und Konfrontation realisiert werden. Bewährt haben sich
Gruppeninterventionsprogramme, die auch die Eltern mit einbeziehen. Wegen der
Langzeitstabilität haben präventive Programme eine besonders große Bedeutung
(vgl. Fröhlich- Gildhoff 2007, S. 136-162).
3.3 Komplexe Auffälligkeiten
Nachfolgend werden Auffälligkeiten zusammengefasst, die langanhaltend und
schwer zugänglich sind. Auch das diagnostizieren dieser Störungen ist schwer
möglich (vgl. Föhlich- Gildhoff 2007, S. 162). Es werden die BorderlinePersönlichkeitsentwicklungsstörung, Reaktionen auf schwere Belastungen sowie
Drogenmissbrauch und Drogenabhängigkeit beschrieben.
3.3.1 Borderline- Persönlichkeitsentwicklungsstörungen
Bei der Borderline- Persönlichkeitsentwicklungsstörung handelt es sich um einen
Symptomkomplex, der durch eine hohe Instabilität in zwischenmenschlichen
Beziehungen und dem Selbstbild gekennzeichnet ist. Zudem gehen sie mit
heftigen und schnellen Gefühlsschwankungen, eine deutliche Impulsivität, vor
allem Wut, häufig ein chronisches Gefühl von Leere sowie selbstverletzendes
Verhalten einher.
Von Kindern und Jugendlichen fehlen aussagekräftige epidemiologische Daten,
wohingegen bei Erwachsenen davon ausgegangen wird, dass 1-2% der
Bevölkerung von der Borderline- Störung betroffen sind. Die Symptomatik tritt
deutlich in der späteren Adoleszenz beziehungsweise im jüngeren
Erwachsenenalter auf, die Wurzeln liegen allerdings in der frühen Kindheit. Es
handelt sich dabei um eine Selbststrukturstörung.
14
In dieser Zeit haben sich desorganisierte Beziehungsmuster entwickelt, die im
Zusammenspiel mit traumatisierenden Erfahrungen zur Vielzahl der Symptome
führen. Betroffene haben besondere Probleme, innere Zustände von sich und
anderen innerpsychisch abzubilden aufgrund der erfahrenen eigenen
Vernachlässigungen bzw. Inkonsistenzen. Es kommt zu einem dauerhaften Gefühl
von Unsicherheit in zwischenmenschlichen Beziehungen. Dieses wird versucht,
über einfache Strukturbildungen auszugleichen, zum Beispiel massive
Aggression/Autoaggression, übermäßige Idealisierung, rigide Schwarz-weißBetrachtungen der Welt.
Für die unterstützende Begegnung ist in erster Linie der Aufbau einer sicheren
Bindung bzw. Beziehung wichtig. Die Betroffenen sollen neue, Halt gebende
Erfahrungen machen und diese innerpsychisch abbilden können. Durch die
genaue Affektspiegelung kann es zum Aufbau stabiler Repräsentationen kommen.
Diese „korrigierenden emotionalen Erfahrungen“ bilden die Grundlage für ein
weiteres, gezieltes Vorgehen (vgl. Fröhlich- Gildhoff 2007, S. 163-178).
3.3.2 Reaktionen auf schwere Belastungen
Reaktionen von Kindern und Jugendlichen auf schwere Belastungen führen je
nach Art, Schwere und Dauer des traumatisierenden Ereignisses zu einer
Belastungsreaktion. Auch der zeitliche Abstand zum Ereignis sowie das Alter des
Kindes führt je nach Auftreten zu einer gewissen Zahl an Symptomen. Dies
schlägt sich auch in einer Vielzahl von Diagnosen und Komorbiditäten nieder.
Unterschieden werden hierbei Typ 1- Traumata und Typ 2- Traumata. Typ 1
bezeichnet einmalig unvorhersehbare Ereignisse, Typ 2 bezeichnet dagegen
Erfahrungen chronischer Traumatisierung wie zum Beispiel lang anhaltende
Gewalt in der Familie.
Es wird zwischen der akuten Belastungsreaktion von Anpassungsstörungen und
posttraumatische Belastungsstörungen unterschieden. Epidemiologische Studien
bei Kindern und Jugendlichen weisen eine Prävalenzrate von 1,3-16% auf.
Bezogen auf Lebenszeitprävalenz ergeben sich Raten zwischen 6 und 9%. Es
besteht jedoch eine hohe Komorbidität zu anderen seelischen Erkrankungen.
Besonders beim Erleben früher Traumata besteht eine hohe Vulnerabilität und
15
somit eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für spätere seelische Erkrankungen.
Für die Traumatherapie mit Kindern und Jugendlichen haben sich Standards
entwickelt, an denen sich jede Form psychotherapeutischer Interventionen
orientieren sollte: Schutz vor weiterer Traumatisierung und Retraumatisierungen,
Ressourcenorientierung als dauerhaft realisierendes Prinzip, Sicherung der
Unterstützung des Kindes durch Bezugspersonen und Umwelt, besondere
Beachtung von verletzten Sicherheits- und Kontrollbedürfnissen. Besondere
Bedeutung hat eine sicherheitsgebende Beziehungsgestaltung, die transparent
und dialogisch strukturiert ist. Kinder und Jugendliche müssen maximale Kontrollund Wahlfreiheit in Bezug auf Symbolisierungsebene, Zeitpunkt und Dosis der
Konfrontation mit dem Trauma haben. Andererseits brauchen sie eine klare
Führung und Struktur bei der Traumakonfrontation. Mit dem Hintergrund dieser
Sicherheit und Schutz bietenden Beziehungsgestaltung können dann spezifische
Methoden zur gezielten Bearbeitung des Traumaerlebens eingesetzt werden (vgl.
Fröhlich- Gildhoff 2007, S. 179- 194).
3.3.3 Drogenmissbrauch und Drogenabhängigkeit
Es muss zwischen Drogenmissbrauch und Drogenabhängigkeit unterschieden
werden. Der Missbrauch von illegalen Drogen stellt vor allem bei Jugendlichen ein
zunehmendes Problem dar. Dieser Missbrauch steht auch oft in Verbindung mit
anderen Auffälligkeiten, wie zum Beispiel mit aggressivem und delinquentem
Verhalten (vgl. Fröhlich- Gildhoff 2007, S. 194). „Es gelten folgende Kriterien für
die Kategorisierung einer Abhängigkeit: starker Wunsch, psychotrope Substanzen
zu konsumieren, verringerte Kontrollfähigkeit hinsichtlich des Beginns, der Menge
und der Beendigung des Konsums, Entstehung eines körperlichen
Entzugssyndroms, Nachweis einer Toleranz mit der Tendenz zur Höherdosierung,
Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des
Substanzkonsums“ (Fröhlich- Gildhoff 2007).
Der Einstieg in den Konsum von Alkohol und illegalen Drogen erfolgt im
Jugendalter, denn 97% aller 16 bis 19-Jährigen haben Erfahrungen mit Alkohol
und ein Drittel davon macht regelmäßige Rauscherfahrungen. Ebenfalls ein Drittel
aller Jugendlichen konsumiert illegale Drogen, vor allem Cannabis. Jungen
16
nehmen in stärkerem Ausmaß Drogen als Mädchen.
Drogenmissbrauch und Drogenabhängigkeit hängen damit zusammen, dass der
angemessene Gebrauch von Drogen eine Entwicklungsaufgabe des Jugendalters
darstellt. Je früher das Einstiegsalter ist, desto größer das Risiko, eine
Abhängigkeit zu entwickeln. Grundsätzlich lassen sich zwei Verläufe
unterscheiden: Bei einem Teil der Betroffenen finden sich Verhaltensauffälligkeiten
(vor allem Störungen des Sozialverhaltens) schon vor der Adoleszenz und es
kommt dann zum Missbrauch von Alkohol oder anderen Drogen. Eine zweite
Gruppe beginnt erst in der Adoleszenz Alkohol und andere Drogen missbräuchlich
zu konsumieren. Für beide Gruppen haben die Gleichaltrigen (Peers) eine
wesentliche Bedeutung.
Eine Therapie muss auf mehreren Ebenen erfolgen: Auf der körperlichen Ebene
um den Entzug zu erleichtern, zur Behandlung der psychischen Funktionsstörung
um Selbstwert und soziale Kompetenzen aufzubauen sowie dem Aufbau einer
Entwicklungs- und Lebensperspektive. (vgl. Fröhlich- Gildhoff 2007, S. 195- 211).
4. Risiko- und Schutzfaktoren, Vulnerabilität und Resilienz
Dieses Kapitel geht auf die unterschiedlichen Risiko- und Schutzfaktoren sowie
die Vulnerabilität und Resilienz ein, die in den folgenden Subkapiteln 4.1 bis 4.4
genauer beschrieben werden.
4.1 Risikofaktoren
Risikofaktoren für seelische Erkrankungen sind Gegebenheiten, welche die
Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen im Kindesund Jugendalter begünstigen und auslösen (vgl. Steinhausen 2010, S. 37). Im
Folgenden werden biologische, psychosoziale und soziokulturelle Risikofaktoren,
sowie Lebensereignisse und situative Risikofaktoren detailliert beschrieben.
17
4.1.1 Biologische Risikofaktoren
•
Genetische Bedingungen
Da es nur relativ wenige Krankheiten mit charakteristischen psychopathologischen
Kennzeichen gibt, die ausschließlich genetisch verursacht werden (wie DownSyndrom, bestimmte Formen von Epilepsie etc.), wird deutlich, dass genetisch
verursachte Erkrankungen zu Beeinträchtigung zentralnervöser Funktionen
führen.
Für einige psychische Störungen kann ausgegangen werden, dass zumindest
genetische Anteile wirksam sind (zum Beispiel Schizophrenie) und bei einem Teil
von hyperkinetischen Kindern wird angenommen, dass die Ursache eine erbliche
Übertragung ist (vgl. Steinhausen 2010, S. 39-40).
•
Konstitutionelle Bedingungen
Hier wird zunächst auf die Bedingungen des Geschlechts eingegangen, da sich
Geschlechtsunterschiede auch daher manifestieren, dass die körperliche
Entwicklung bei Mädchen von der Geburt an schneller abläuft als bei Jungen, was
sich durch den früheren Pubertätsbeginn der Mädchen bestätigen lässt. Ebenso
zeigen psychische Merkmale eine deutliche Geschlechtsbindung. Jungen sind
zum Beispiel erblich aggressiver und weisen als kognitive Funktion sehr viel
besseres räumliches Vorstellungsvermögen auf, während Mädchen deutlich
bessere verbale Funktionen aufzeigen. Jungen sind das biologisch schwächere
Geschlecht, da sie trotz mehr Muskelkraft und größeren Körperlängen
empfänglicher für körperliche Erkrankungen sind und daher auch eine geringere
Lebenserwartung haben. Die Chancen für psychische Störungen sind bei Jungen
deutlich höher. Die Knabenwendigkeit zeigt sich bei der geistigen Behinderung,
beim frühkindlichen Autismus, bei Hirnstörungen, Entwicklungsverzögerung sowie
bei hyperkinetischen und dissozialen Störungen. Emotionale Störungen, wie zum
Beispiel soziale Ängstlichkeit hingegen dominieren ab der Pubertät bei Mädchen.
Zu den wenigen psychischen Störungen, von denen Mädchen überwiegender
betroffen sind als die Jungen, zählen, wie bereits erwähnt, Anorexia nervosa und
18
Bulimia nervosa. Die Ursachen für die erhöhte psychische Morbidität bei Jungen
sind zwar ungenügend geklärt, es könnte jedoch eine erhöhte Vulnerabilität oder
auch angeborene Temperamentsunterschiede angenommen werden. Fest steht,
dass biologische Faktoren für Geschlechtsunterschiede in der Psychopathologie
nicht unbedeutend sind (vgl. Steinhausen 2010, S. 40-42).
•
Somatische Faktoren
Auch körperlich bedingte Veränderungen und Beeinträchtigungen, sofern das
zentrale Nervensystem betroffen ist, sind Ursachen für psychische Störungen.
Darüber hinaus ist zudem die Art als auch Zeitpunkt der Schädigung bedeutsam.
Einflussfaktoren können zum Beispiel Entzündungen, Traumata, Neoplasien,
Hypoxämien und Fehlbildungen sein. Auch prä- und perinatale Risikoereignisse,
wie zum Beispiel der Konsum von Alkohol oder Medikamenten während der
Schwangerschaft, haben einen nachgewiesenen Einfluss auf
Entwicklungsbeeinträchtigung und hirnorganische Funktionsstörung.
Hirnstörungen können ganz spezifisch oder auch zu allgemein kognitiven Defiziten
führen, wie zum Beispiel in den Bereichen Sprache, Wahrnehmung oder
Koordination (vgl. Steinhausen 2010, S. 42).
4.1.2 Psychosoziale Risikofaktoren
•
Individuelle Risikofaktoren
In den Bereich der individuellen Risikofaktoren fließen unter Anderem viele
biologische und konstitutionelle Bedingungsfaktoren ein. Das Kind entwickelt im
Zusammenhang mit diesen Faktoren spezifische Persönlichkeitsmerkmale, ein
Selbstkonzept, Wahrnehmungen, ein spezifisches Erleben und eine jeweilige
Einstellung gegenüber der sozialen Umwelt. Ebenso können bereits geschehene
Erfahrungen, insbesondere negative Erfahrungen bis hin zur Traumatisierung,
großen Einfluss auf die Psyche des Kindes haben, welche die Persönlichkeit und
das Verhalten des Kindes prägen. Konflikte mit wichtigen Bezugspersonen oder
Belastungen hinterlassen ebenfalls Spuren und können zu psychischen
19
Erkrankungen führen (vgl. Steinhausen 2010, S. 43-44).
•
Familiäre Faktoren
Aus der Art wie man Kinder erzieht sowie aus der Disziplinargestaltung kann man
erste Bedingungsfaktoren für die Entwicklung psychischer Krankheiten ableiten.
Bedeutsam ist die Häufigkeit der Bestrafungen, da zum Beispiel durch das
Schlagen der Kinder Aggressivität und antisoziales Verhalten entwickelt wird.
Durch inkonsistentes Verhalten kann die Entwicklung von Delinquenz bei
Jugendlichen deutlich festgestellt werden. Eltern mit Problemkindern wissen oft
nicht wie sie vorgehen sollen und reagieren zufällig und inkonsequent auf
unangemessenes Verhalten.
Durch elterliche Einmischung und Überproduktivität können vermehrt emotionale
Störungen wie Trennungsangst, Schulangst oder begrenzte Anpassungsfähigkeit
entstehen. Die Gründe, die zu einer Überproduktivität führen können, liegen
oftmals in bedrohten Schwangerschaften, chronischen Erkrankungen oder auch in
eigenen Kindheitserfahrungen der Mutter, im Sinne von mangelnder erlebter
Wärme oder Partnerbeziehungsstörungen.
Für die Entwicklung von psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen
sind Trennungs- und Verlusterfahrungen bedeutsam. Durch Belastungsreaktionen
bei Trennungen haben sich bereits Verhaltenssequenzen von Prostest, über
depressiven Rückzug bis Auflösen einer Bindung gezeigt. Relevant ist die
Trennung von Bindungspersonen, zu denen außer der Mutter die ganze Familie
gehört.
Ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen stellt der Verlust der Eltern durch
den Tod dar. Jüngere Kinder sind noch weniger zu Trauerreaktionen in der Lage,
als Erwachsene. Die Störungen werden daher weniger durch Trauer, sondern
durch das Miterleben der Krankheit des Elternteils sowie durch die Trauer des
überlebenden Elternteils und die Veränderungen nach dem Tod oder die Probleme
mit dem Zusammenhang einer neuen Heirat, verursacht.
Ein erhöhtes Risiko dissoziales Verhalten zu entwickeln, stellt eine chronische
Beziehungsstörung mit ausgeprägtem Streitverhalten der Eltern dar. Sie kann für
eine familiäre Disharmonie verantwortlich sein, welche durch Ablehnung des
Kindes, Sündenbockfunktionen, körperliche Vernachlässigungen oder Brutalität,
20
schwere Beziehungsstörungen unter den Partnern oder eine Kombination dieser
Faktoren gekennzeichnet ist. Wird das Kind bei einer Auseinandersetzung bei
Partnerbeziehungsstörungen beteiligt, steigt das Risiko für die Entwicklung von
Auffälligkeiten. Bei den Mechanismen zwischen familiärer und kindlicher Störung
handelt es sich wahrscheinlich um drei wesentliche Faktoren: Erstens, die Störung
der emotionalen Bindung mit ungünstigen Auswirkung auf die kindliche
Entwicklung, zweitens, die Modellfunktion des ständigen Elternstreits und drittens,
die Orientierungsunsicherheit des Kindes angesichts der Inkonsistenz der
Erziehung.
Das Risiko bei Kindern mit alleinstehenden Eltern eine Verhaltensauffälligkeit zu
entwickeln, ist in etwa zweimal so groß, als mit beiden Elternteilen aufzuwachsen.
Dieses Risiko betrifft die vorausgegangenen Umstände, die zum Alleinstehen
geführt haben, sowie die daraus folgenden Umstände. Beispiele wären das
niedrigere Einkommen, die schlechte Ausbildung oder der mangelnde Wohnraum.
Hinzu kommt noch der soziale Druck auf getrennte Eltern, soziale Diskriminierung
des Kindes, die mangelnde Modellerfahrung einer harmonischen Partnerschaft
sowie das Fehlen des gleichgeschlechtlichen Elternteils.
Ein wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung von psychischen Störungen bei
Kindern und Jugendlichen sind psychische oder soziale Auffälligkeiten der Eltern,
da sie eher Kinder mit einer Verhaltensauffälligkeit haben, die an der gleichen oder
einer ähnlichen Störung leiden. Diese können zum einen genetische Ursachen
haben, aber auch die Tatsache, dass die elterliche Störung direkte Auswirkungen
auf das Familienleben, zum Beispiel bei Einbeziehung von Zwängen und
Psychosen, haben. Nicht zu vergessen ist das Modelllernen, was zu dissozialen
Verhaltensauffälligkeiten führen kann.
Auch der Mangel an Anregung kann mit deutliche Folgen einhergehen und kann
zu Verzögerungen in der Entwicklung oder einzelner Funktionsbereiche führen.
Intelligenz und Sprache hängen deutlich von der Stimulation durch Spiele oder
verbale Sprache zusammen. Keine oder ungenügende Anregungen können zu
mangelndem Wissen und Fähigkeiten führen.
Der Geburtsrang des Kindes in der Familie hat ebenso Auswirkung auf die
Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen. Bei
Erstgeborenen ist das Risiko am höchsten, da die Eltern noch deutlichere
Unwissenheit im Umgang mit Kindern besitzen. Auch die Familiengröße spielt
21
hierbei eine Rolle. Eltern haben, je mehr Kinder sie haben, weniger Zeit für die
Einzelnen, womit sich die Kommunikation verändert und dies Schwierigkeiten in
der Bedeutungszuordnung für Kinder schaffen kann. In solchen Familien können
vermehrt Störungen des Sozialverhaltens, Disziplinprobleme oder Disharmonien
auftreten.
Für Eltern, die eine eigene schlechte Kindheit durchlebt haben, fehlt der Mangel
an Erfahrung eines normalen Familienlebens. Derartige Beziehungsprobleme
können sich auf die Kinder auswirken. Für dieses Problem im
Generationenkreislauf spielen zudem auch Misshandlungen eine große Rolle, die
unter anderem zu Persönlichkeitsdefekten führen können (vgl. Steinhausen 2010,
S. 44-47).
•
Schulische Faktoren
Das Thema Schule nimmt in der Entwicklung des Kindes und somit auch in der
Entwicklung von Störungen und psychischen Auffälligkeiten eine enorme
Bedeutung ein.
In Untersuchungen konnten Verhaltensauffälligkeiten und schlechte Leistungen
vermehrt in Schulen mit häufigen Schüler- und Lehrerwechseln, mit vielen Kindern
aus armen Bevölkerungsschichten sowie mit hoher Rate an ausländischen
Kindern festgestellt werden.
Ein negativ erlebtes Schulklima kann mit einer Beeinträchtigung des psychischen
Befindens einhergehen. Gründe können hierbei Konkurrenz- oder Leistungsdruck
sein (vgl. Steinhausen 2010, S. 47-48).
•
Die Gleichaltrigengruppe (Peers)
In der Beziehung zu Gleichaltrigen werden vielfältige Einflüsse vermittelt. Das
direkte Verhalten, aber auch Einstellungen des Kindes und Jugendlichen werden
von Gleichaltrigen mitbestimmt. Wichtig für den Status innerhalb dieser Gruppe
sind soziale Fertigkeiten und Fähigkeiten Akzeptanz vermitteln zu können,
Bedürfnisse und Gefühle anderer zu erkennen und für positive Interaktionen
innerhalb der Gruppe zu sorgen, womit die persönliche interpersonale Kompetenz
gefordert ist, die vor allem bei emotional gestörten Kindern und Jugendlichen fehlt
22
(vgl. Steinhausen 2010, S. 48).
4.1.3 Soziokulturelle Risikofaktoren
•
Soziale Schicht
Aufgrund sozialer Merkmale wird die Bevölkerungsgruppe einer Gesellschaft
hierarchisch in Schichten eingeteilt. In unteren sozialen Schichten treten
Delinquenz und dissoziale Störungen häufiger bei Kindern und Jugendlichen, als
bei höheren Bevölkerungsschichten. Erhöhte Risikofaktoren sind reduzierte
kognitive Fähigkeiten einhergehend durch schlechte Schulbildung in der
Unterschicht. Eine weitere Ursache stellt auch der generell schlechtere
Gesundheitszustand von Angehörigen der Unterschicht dar. Vor allem die
vermehrte Anzahl an Schwangerschaftskomplikationen, die zum Beispiel durch
geringere Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen erfolgen können, oder
auch der bereits beschriebene Drogenmissbrauch in der Schwangerschaft kann
zu Hirnfunktionsstörungen und Intelligenzbeeinträchtigungen führen.
Fehlende Informationen für psychische Störungen oder soziale
Verhaltensauffälligkeiten sind weitere Ursachen für ein erhöhtes Risiko daran zu
erkranken. Aufgrund von ungenügenden Informationen werden
Beratungsangebote und Hilfemaßnahmen selten in Anspruch genommen, was
allerdings wichtig wäre, da familiäre Disharmonie, Elterntrennung,
Heimaufenthalte besonders in Unterschichten relevante Themen sind (vgl.
Steinhausen 2010, S. 49).
•
Ökologie
Verhaltensauffälligkeiten kommen in Städten häufiger vor als auf dem Land und
auch die Delinquenzraten sind in Städten höher. Ursachen für die erhöhte
Prävalenz sind oftmals familiäre Disharmonie, elterliche und psychische
Störungen und Kriminalität, soziale Benachteiligung und schlechte
Lebensbedingungen sowie Schulmerkmale. Es wird angenommen, dass Eltern in
einem städtischen Umfeld häufiger Belastungen ausgesetzt sind und damit auch
23
die Kinder beeinträchtigen, mit denen sie auf engem Raum leben müssen, wobei
auch das Lernen für die Schule deutlich erschwert wird (vgl. Steinhausen 2010, S.
49).
•
Migration
Gründe für ein erhöhtes Risiko in der psychosozialen Adaption sind Kulturkonflikte,
Kommunikationsprobleme, Ghettobildung, ungünstige Wohnverhältnisse,
belastende Arbeitssituation der Eltern und belastende Schulsituation für Kinder.
Insbesondere in familiärer Hinsicht in Bezug auf kulturell vermittelte
Rollendifferenzierungen der Geschlechter, unterschiedlichen Wertevorstellungen
in der Erziehung, ist die Möglichkeit der Entwicklung einer psychischen Störung
bei Kindern und Jugendlichen begründet.
Empirische Studien zeigen bei Migrantenpopulationen eine erhöhte Prävalenz
psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Durch das zunehmende
Ausmaß kultureller Distanz und fehlender Integration wird das Risiko zu sozialen
Verhaltensauffälligkeiten erhöht (vgl. Steinhausen 2010, S. 50).
•
Medien
Der Fernsehkonsum hat einen deutlichen Einfluss auf dissoziales Verhalten,
Essstörungen und auf die schulische Leistung.
Übergewicht tritt häufiger bei vermehrtem Fernsehkonsum auf. Dies lässt sich
durch das vermehrte Sitzen und einer vermehrten Kalorienaufnahme von
ungesunden Nahrungsmitteln erklären. Auf Anorexia nervosa haben wiederum
Models, Mode- oder Fitnessmagazine großen Einfluss, wobei Kinder
Nahrungsmittelaufnahme verweigern, zum Beispiel aufgrund der Unzufriedenheit
mit dem eigenen Körper (vgl. Steinhausen 2010, S. 51).
4.1.4 Lebensereignisse und situative Risikofaktoren
Kritische Lebensereignisse sind in der Entwicklung psychischer Störung
bedeutsam. Solche Lebensereignisse können der Tod eines Haustieres sein, das
24
Scheitern in der Schule, Beendigung einer Freundschaft sowie Krankheit oder
Unfall und werden erst in Verbindung mit Bewältigungsmöglichkeiten wirksam.
Weiteres spielen, wie bereits beschrieben, Reaktionen auf schwere Belastungen
und Anpassungsstörungen wichtige Rollen (vgl. Steinhausen 2010, S. 51).
4.2 Schutzfaktoren
Als Schutzfaktoren gelten Ressourcen, die zum Einsatz kommen, wenn
Entwicklungsprobleme bewältigt werden müssen. Sie werden eingesetzt, um
Risiken zu meiden und um die Entwicklung von psychischen Störungen und
Verhaltensauffälligkeiten zu verhindern oder abzumildern. Diese Ressourcen
können individuelle Potenziale oder Stärken sein, die die Entwicklung der Kinder
unterstützen. Um die Entwicklung der Ressourcen zu fördern, sollte das
Gleichgewicht zwischen Anforderungen und Möglichkeiten eine gute Balance
haben, damit alltägliche Aufgaben gut bewältigt werden können. Werden Aufgaben
erfolgreich bewältigt, wird das Kind ermutigt sich neue Herausforderungen zu
stellen und somit können neue Ressourcen erzeugt werden. Schutzfaktoren
werden in Individual- und Umfeldressourcen eingeteilt, die weiter in personale,
familiäre und soziale Ressourcen differenziert werden können.
Insbesondere familiäre Schutzfaktoren haben eine große Bedeutung auf die
psychische Gesundheit von Kindern, da diese deutlich protektive Auswirkungen
auf die Entwicklung des Kindes haben und die Wahrscheinlichkeit eine psychische
Störung zu entwickeln deutlich verringern (vgl. Lenz 2010, S. 10-11).
4.2.1 Protektive Faktoren
•
Kognitive und soziale Kompetenz
Kognitive und soziale Kompetenzen wirken sich positiv auf die Entwicklung bei
belastenden Lebensbedingungen aus. Kognitive Leistungsfähigkeit, wie zum
Beispiel das schnelle Lernen in der Schule, kann eine Ressource für die
Selbstwertentwicklung durch Selbstbestätigung sein und somit auch eine Hilfe
25
gegenüber negativen Erfahrungen in der Familie oder im sozialen Umfeld
darstellen (vgl. Senf & Broda 2007, S. 94).
•
Soziale Unterstützung
Für eine positive Entwicklung ist die soziale Unterstützung unerlässlich. Ein gutes
soziales Umfeld oder ein gutes Netzwerk wirken sich risikomildernd auf die
Entwicklung von diversen Störungen aus. Ebenso ist die soziale Unterstützung ein
bedeutsamer protektiver Faktor bei schweren Belastungen und Traumatisierungen
(vgl. Senf & Broda 2007, S. 94).
•
Bindungsverhalten und Bindungsstile
Stabile und sichere Bindungen zu einem Elternteil oder einer wichtigen
Bezugsperson ist ein wichtiger Schutzfaktor in der Entwicklung des Kindes und
schützt am nachhaltigsten gegen schwere Belastungen, währenddessen
unsichere Bindungen einen erheblichen Risikofaktor darstellen (vgl. Senf & Broda
2007, S. 94).
•
Selbstverhältnis
Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl ist ebenso ein wichtiger protektiver Faktor,
um Belastungen einordnen zu können und sinn- und strukturfördernde kognitive
Muster zu entwickeln, die folglich die emotionale Bewältigung fördern. Beim
Selbstverhältnis geht es um beständiges Grundvertrauen (vgl. Senf & Broda 2007,
S. 94).
•
Persönlichkeitseigentümlichkeiten
Jedes Kind bringt individuelle Persönlichkeitseigentümlichkeiten und
Temperamentsmerkmale mit auf die Welt. Es sind Begabungen mit denen sie in
Interaktion mit der Umwelt treten. Solche Begabungen können unter anderem eine
erhöhte Wahrnehmung oder Toleranz sein (vgl. Senf & Broda 2007, S. 94).
26
4.3 Vulnerabilität
Vulnerabilität bezieht sich auf die Auswirkung der Wirksamkeit von Risikofaktoren
und wird als eine besondere individuelle Empfindlichkeit, Labilität oder
Verletzlichkeit einer Person auf die Psyche für seelische Erkrankungen
definiert. Je höher die Vulnerabilität, desto eher können Risikofaktoren ungünstig
wirksam werden. Gefährdete Menschen neigen daher öfters dazu psychische
Erkrankungen infolge von Belastungssituationen zu entwickeln. Psychische
Störungen entstehen aus einem Zusammenspiel zwischen Disposition und
aktuellen Stressfaktoren. Vulnerabilität entwickelt sich als Prozess im Laufe des
Lebens. Es kann zwischen der primären, zum Beispiel Erbkrankheiten, und der
sekundären Vulnerabilität, zum Beispiel Umwelteinflüsse, unterschieden werden
(vgl. Senf & Broda 2012, S. 93).
4.4 Resilienz
Resilienz zählt neben den Schutzfaktoren als einer der stabilisierenden Faktoren.
Mit diesem Begriff wird die relative Widerstandsfähigkeit gegenüber
krankmachenden Lebensumständen und Belastungen bezeichnet. Durch dieses
Phänomen hat sich herausgestellt, dass Kinder und Jugendliche trotz eines hohen
Potenzials an Risikofaktoren eine günstigere Entwicklung nehmen, indem
stressbezogene Anforderungen und Belastungen einfacher bewältigt werden
können. Es ist die Fähigkeit persönliche und sozial vermittelte Ressourcen
erfolgreich zu nutzen um Entwicklungsanliegen zu bewerkstelligen und in Krisen
schützend zu reagieren. An der Entwicklung von Resilienz sind folgende Faktoren
entscheidend:
Zum einen sind die personalen Ressourcen des Kindes wichtig zur
Stressverarbeitung, Selbstregulation, Motivation und Lernen. Das Familiensystem
soll die Eltern-Kind-Interaktion begünstigen sowie die Bindung zu den
Bezugspersonen fördern und auch die Erziehung der Kinder ist bedeutsam für ein
klares Familiensystem. Weitere Faktoren zur Entwicklung von Resilienz sind
Ressourcen des sozialen Netzwerks, die in Schulen und bei Gleichaltrigen
27
gefördert werden sowie gesellschaftlich – kulturelle Faktoren wie das Aneignen
von Normen und Werten (vgl. Esser 2003, S. 7).
5. Pädagogische Hilfestellungen für Kinder und Jugendliche
Um die verschiedenen Auffälligkeiten und psychischen Störungen der Kinder und
Jugendlichen zu verringern und um die Entwicklung positiv beeinflussen zu
können, können diverse Systeme eingesetzt werden. Es muss an der oft
mangelhaften sozialen Kompetenz der betroffenen Kinder, die sich aus kognitiven
Fähigkeiten und sozialen Fertigkeiten zusammensetzt, angesetzt und gearbeitet
werden, um den Kindern und Jugendlichen die korrekte Aufnahme und
Verarbeitung von Informationen beizubringen und ein sozial kompetentes
Handeln daraus abzuleiten.
Als Grundlage einer Therapie gelten die Wahrnehmung und ihre Verarbeitung. Der
Prozess für die Informationsverarbeitung und sein Nutzen für Therapie, Erziehung
und Korrektur, wurde von Vertretern der kognitiven Verhaltenstherapie analysiert
und mit Hilfe von Behandlungsprogrammen und Trainingsmaßnahmen
weiterentwickelt.
Diese Programme setzen bei den Stufen der Informationsverarbeitung an, die mit
der Wahrnehmung beginnt. Das heißt, ein Erfassen der relevanten Informationen
trägt zu einer günstigen Informationsverarbeitung bei. Ebenso wichtig für die
Verarbeitung von Informationen ist die Interpretation für eine
situationsangemessene Gewichtung, Kombination sowie Interpretation relevanter
Informationen.
Die nächste Stufe der Informationsverarbeitung ist die Reaktionssuche, die eine
flexible Suche nach Problemlösungen begünstigen soll. Die Reaktionsverarbeitung
bedeutet, dass der Mensch in der Lage ist, Konsequenzen gegeneinander
abzuwägen. Auf der letzten Stufe der Informationsverarbeitung liegt das Handeln,
um die Fähigkeit des differenzierten Sozialverhaltens zu äußern.
Therapie, Erziehung und Korrektur können dabei auf allen Stufen ansetzen. Ein
großes Augenmerk soll jedoch auf die Wahrnehmung gelegt werden, da gerade
diese bei verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen nicht zum Besten
28
bestellt ist. Die Schulung von Selbst- und Fremdwahrnehmung der Betroffenen
soll dagegen die Entwicklung begünstigen. Die eigene Selbstwahrnehmung ist
eine gute Grundlage für die Erkennung von Gefühlen. Wer dies gelernt hat, kann
sich auch gut in andere hineinfühlen und hineinversetzen. Mit Einfühlvermögen
gelingt meist nicht nur ein Perspektivenwechsel, sondern auch die Vorwegnahme
von Konsequenzen.
Eine wirksame Auseinandersetzung mit Verhaltensstörungen beeinflusst eine
Erweiterung der erzieherischen Verantwortung auf die gesamten sozialisierenden
Einflüsse. Der Mensch setzt sich aktiv mit seiner Umwelt auseinander. Dadurch
bilden sich bei jedem Einzelnen spezielle Abbilder seiner Umwelt heraus, die als
kognitive Repräsentationen oder als Bedeutungszuschreibungen gespeichert
werden. So ist das Abbild der Umwelt beim Einzelnen immer ein spezielles,
subjektiv beeinflusstes Bild.
Kinder und Jugendliche mit einer Verhaltensstörung interpretieren vor dem
Hintergrund dieser subjektiven Abbilder die Umwelt als angstauslösender und
bedrohlicher, als Kinder und Jugendliche, die diese Störungen nicht entwickelt
haben. Was normalerweise als liebenswürdige Neckerei aufgefasst werden kann,
bewertet der Verhaltensgestörte als Angriff und möchte sich dagegen wehren.
Solche verzerrten Wahrnehmungen werden als Erfahrung gespeichert und durch
Situationen bekräftigt, die die Suche auf alternativen Handlungsmöglichkeiten
stark reduzieren. Auf diese Weise schließt sich der Kreis eines negativen
Prozesses der Informationsverarbeitung (vgl. Ettrich & Ettrich 2006, S. 140-142).
5.1 Hilfen im Elternhaus und in der Familie
Wenn man verhaltensauffälligen Kindern helfen will, muss zuerst den Eltern
geholfen werden. Familiensysteme ändern sich, sobald ein Familienmitglied sich
ändert und Mitglieder ändern sich, wenn sich das System ändert. Der erste Schritt
einer Änderung können beispielsweise neue Sichtweisen der Eltern sein oder ein
anderer Blickwinkel des Kindes. Den Eltern muss klar werden, dass es für das
entwickelnde Kind wichtig ist, wenn es ihnen gelingt sich in die Position des
Kindes einzufühlen und es von dieser Position aus zu verstehen. Das Verhalten
soll als Resultat aus Anlage, Umwelt und bisheriger Entwicklung gesehen werden
29
und nicht mehr als etwas das ihnen zum Ärger angetan wird. Das aggressive
Verhalten der Kinder soll zwar vom kindlichen Standpunkt aus verstanden, aber
nicht akzeptiert und toleriert werden. Als Eltern muss man Grenzen setzen, die
dem Kind Schutz bieten, um das aggressive Verhalten ihres Kindes zu verhindern.
Eltern haben eine Vorbildwirkung gegenüber ihren Kindern. Es ist die elterliche
Verantwortung, den Kindern das Modell zu bieten, das man sich für sie wünscht.
Am förderlichsten ist die autoritative Erziehung, die sich auf emotionale
Zuwendung, Unterstützung, Autonomieentwicklung und Struktur auswirkt (vgl.
Ettrich & Ettrich 2006, S. 142-144).
5.2 Sprechen und Zuhören
Wichtig für die elterlich-kindliche Kommunikation ist es, sich den Kindern
zuzuwenden, indem man versucht seinem Gegenüber zuzuhören und die
Botschaft zu verstehen. Jede Botschaft enthält mehrere Aspekte. Beispielsweise
die Frage „Wann gibt es Essen?“ Darauf wird der Sachinhalt abgeleitet (worüber
wird informiert?), der Selbstoffenbarungseffekt (was teilt der Sender über sich
selbst mit?), der Beziehungsaspekt (wie steht der Sender zum Empfänger? Wie
wird die Beziehung definiert?) und der Appell (wozu möchte der Sender den
Empfänger veranlassen?).
Eltern sollen trainieren möglichst alle Aspekte einer Botschaft wahrzunehmen und
nach Ettrich und Ettrich (2006) versuchen „zwischen den Zeilen zu lesen“. Sollte
es in diesem Beispiel der Mutter nicht gelingen, wird sie aus der Frage „Wann gibt
es Essen?“ heraushören: „Du bist zu langsam!“ und wird dies dann als Vorwurf
verarbeiten. Die Antwort wird wiederum nicht die Mitteilung der Essenszeit sein,
sondern sie wird dem Kind etwas anderes vorwerfen („Wenn du nörgelst, gibt’s gar
kein Essen!“). Die Eltern sollen versuchen vor der Antwort den Hauptaspekt der
Botschaft zu entschlüsseln und darauf sachlich, liebevoll und konsequent zu
antworten. Auch in diesem Fall bilden die Eltern das Modell, das heißt das Kind
wird die Eltern nachahmen.
Dies gilt ebenso für Lehrer, Erzieher und andere Bezugspersonen, jedoch sollten
die Eltern den Anfang machen. Hierzu gibt es auch Seminare, in denen man das
richtige Interpretieren der Botschaften ihrer Kinder in Elterngruppen trainieren
30
kann. Das Ziel solcher Seminare ist es, die Erziehungskompetenzen der Eltern zu
stärken und ihnen Informationen, Hilfen und auch Fertigkeiten zukommen zu
lassen. Der Fokus muss auf den Veränderungseffekten im elterlichen Verhalten
liegen und dann erst auf der Änderung der kindlichen Verhaltensweisen (vgl.
Ettrich & Etrrich 2006, S. 144-145).
5.3 Präventionsprogramme
Das Ziel von Präventionsprogrammen ist es, die Entwicklung zu optimieren und
Fehlentwicklungen vorzubeugen. Die elterliche Erziehungskompetenz soll also
verbessert werden und Erfahrungen zum Vermeiden von Beziehungsstress sollen
vermittelt werden. Im Folgenden werden einige solcher Programme kurz
vorgestellt:
•
Triple- P- Ansatz (Positive Parenting Programme) :
Hierbei handelt es sich um ein gut abgesichertes Präventionsprogramm zur
Verbesserung der Erziehungskompetenz von Eltern mit verhaltensauffälligen
Kindern. Ziel ist es, den Kindern zu ermöglichen ein positives Selbstbild
aufzubauen, ihre Fähigkeiten besser zu entwickeln, selbstständig zu werden und
mit Gefühlen angemessen umzugehen, indem sie viel Zuwendung und eine
positive Erziehung erhalten. Das stärkt Kinder und wirkt so vorbeugend gegen
Verhaltensauffälligkeiten und emotionalen Problemen.
•
Elternkurs „Starke Eltern- Starke Kinder“:
Auch das Programm „Starke Eltern- Starke Kinder“ soll zu einer besseren
Befähigung im Umgang mit ihren Kindern verhelfen. Im Zentrum dieses
Programms stehen Kindorientierung, Familienorientierung, Lebensweltorientierung
und Ressourcenorientierung und ist ein präventives Angebot und keine
Therapiemethode, welche die Eltern unterstützt dem Kind mit liebevoller
Zuwendung und emotionaler Wärme, mit Achtung, Anerkennung und Respekt zu
begegnen (vgl. Ettrich & Ettrich 2006, S. 145-149).
31
5.4 Elternleitfaden
Es stellt ein Selbsthilfeprogramm für Eltern dar, deren Kinder durch ein hochgradig
gestörtes Sozialverhalten das Familienleben beeinträchtigen. Der Elternleitfaden
wurde speziell für Kinder mit AD(H)S und Kinder mit oppositionellen und
aggressiven Verhaltensauffälligkeiten konzipiert. Über mehreren Stufen wird die
Erziehungsfähigkeit überprüft und erweitert und es soll aufzeigen, dass Eltern mit
verhaltensauffälligen und verhaltensgestörten Kindern und Jugendlichen intensiv
an sich arbeiten müssen, um mit diesen Problemen fertig zu werden, da es um
den Erwerb spezifischer Fähigkeiten geht (vgl. Ettrich & Ettrich 2006, S. 149-155).
5.5 Hilfen im Kindergarten und in der Schule
Die Methoden von Elterntrainings, wo es um Erziehungsfähigkeiten und fertigkeiten geht, können auch auf andere Erziehungsumgebungen, wie
Kindergarten, Schule oder tagesklinische Gruppen übertragen werden. Diese
Form der Beeinflussung des Verhaltens in Alltagssituationen nennt man
Kontingenzmanagement. Das Kontingenzmanagement wird als ein geplanter
Einsatz von Verstärkern definiert, der zum Beispiel den Abbau von
unerwünschtem Verhalten und den Aufbau von vereinbarten Zielverhalten plant
(vgl. Ettrich & Ettrich 2006, S. 155).
5.6 Hilfen vor der Einschulung
Kindertagesstätten oder Kindergärten sind die frühestmögliche Form in der Kinder
institutionelle Erziehung erfahren und der Grundstein für den Umgang mit
Institutionen gelegt wird. Der Förder- und Erziehungsstil der jeweiligen Einrichtung
soll sich gut mit dem der Eltern ergänzen. Das Kind sieht sich erstmals als Mitglied
einer Gruppe, in der es eine Position entwickelt, die ihm Identifikation erlaubt und
Zugehörigkeit vermittelt. Dies sind zwei Faktoren auf die das Kind ein Leben lang
zurückgreifen muss. In der Zeit vor der Einschulung sollen dem Kind bereits
Regeln und Grenzen vermittelt werden und es soll dadurch eine gewisse
32
Aufgabenhaltung entwickelt werden. Anpassungsfähigkeit ist eine wichtige
Voraussetzung dafür, dass kognitive Förderreize von Schülern aufgenommen
werden können. Ein Kind, das sich in seinem Sozialverhalten nicht gut anpassen
kann und sich somit nicht gut in eine Gruppe einfügen kann, wie in eine
Schulklasse, stört damit nicht nur die anderen, sondern behindert sich selbst beim
Lernen. Somit entstehen schlechte Lernergebnisse weil das Kind den Lernstoff
nicht aufnehmen kann. Die wichtigste Aufgabe des Kindergartens ist es, den
Kindern Leistungshaltung und Aufgabenhaltung zu vermitteln, die motiviert, dass
Kinder in der Schule die kognitiven Inhalte aufnehmen und verarbeiten. Bei allen
verhaltenstherapeutischen Programmen geht es darum, ein gewünschtes
Verhalten zu verstärken (durch loben oder belohnen) und ein unerwünschtes
Verhalten zu vermindern (vgl. Ettrich & Ettrich 2006, S. 156-157).
5.7 Beratungslehrer und Schulpsychologen
Beratungslehrer und Schulpsychologen setzen sich zum Ziel, aggressiv-disoziales
Verhalten zu verringern und an ihrer Stelle prosoziales Verhalten zu entwickeln
und können somit in den Schulen oder im schulischen Bereich Kindern und
Jugendlichen helfen. Die folgenden 3 Verfahren beruhen auf Konzepten der
Kinder- und Jugendverhaltenstherapie unter Einbeziehung von Erfahrungen der
Eltern- und Familienberatung.
Das Training von aggressiven Kindern wurde für Beteiligte im Alter zwischen 7 und
13 Jahren entwickelt. Es gibt einzel- und gruppentherapeutische Maßnahmen. Bei
den Gruppensitzungen nehmen 3-4 Kinder teil. Anfangs lernen Kinder anhand von
Videoaufnahmen und analysierten Alltagssituationen ihre soziale
Wahrnehmungsfähigkeit zu verbessern und erlernen mithilfe von Rollenspielen
neue soziale Verhaltensmöglichkeiten. Die Kinder werden zur Beobachtung des
eigenen Verhaltens erzogen. In jeder Sitzung werden neue Regeln und Ziele zur
Selbstbeobachtung festgesetzt und die daraus erworbenen Ergebnisse werden in
den darauffolgenden Sitzungen ausgewertet. Parallel zum Kindertraining gibt es
Trainings für Erwachsene, in deren Sitzungen der Familienalltag strukturiert
werden und so die Elternkompetenz verbessert werden soll. Außerdem werden
33
Methoden zur Verbesserung der Selbstkontrolle, der gewaltfreien
Selbstbehauptung in Konfliktsituationen und zur Verbesserung des einfühlenden
Verstehens angewendet.
Das Training für Jugendliche ist für Beteiligte im Alter zwischen 13 und 20 Jahren
konzipiert. Es geht dabei um die Entwicklung des sozialkompetenten Verhaltens.
Auch hier werden Einzel- und Gruppensitzungen abgehalten, bei denen die Ziele
die Verbesserung der Selbstwahrnehmung, Selbstkontrolle und emphatische
Fähigkeiten sind, sowie die Stabilisierung eines positiven Selbstbildes und ein
angemessener Umgang mit Misserfolgen, Kritik und Selbstkritik, aber auch der
Umgang mit Lob und Anerkennung. Die Zukunftsthematik wie Beruf und Familie
spielen in diesen Trainings eine große Rolle.
Für Kinder in der Altersgruppe zwischen 3 und 6 Jahren gibt es Sozialtrainings, die
für die Herausbildung von sozialer Kompetenz eingesetzt werden. Kinder lernen in
diesen Trainings gewaltfreie Lösungen in Konfliktfällen zu finden und diese
einzusetzen. Empathische Fähigkeiten werden ausgebildet und trainiert, um sich
in andere hineinversetzen zu können und ihnen zu helfen Kompromisse zu
akzeptieren (vlg. Ettrich & Ettrich 2006, S. 163-164).
5.8 Streitschlichtprogramme an Schulen
Streitschlichtprogramme sorgen im schulischen Alltag für die Lösung von
Konflikten bei Gleichaltrigen. In diesen Programmen soll die Verantwortung für die
Lösung von Konflikten an die Schüler und Schülerinnen übertragen werden und ist
schon in der Grundschule anwendbar. Die Grundschullehrer sollen die Aufgabe
des Streitschlichters übernehmen und sollen das Modell darstellen, von dem die
Kinder lernen können. Diese Funktion sollte dann an ein Kind, das nicht in einen
Konflikt einbezogen ist, weitergegeben werden. Der Schlichter muss gegenüber
den Streitenden neutral sein und erklärt den Betroffenen den Ablauf des
Streitschlichtprogrammes. Das Programm durchläuft eine Einleitungs-, Klärungsund Lösungsphase. Am Ende wird von allen Parteien eine Vereinbarung getroffen,
die den Streit als bewältigt erklärt oder ob das Programm nochmals aufgegriffen
34
werden muss (vgl. Ettrich & Ettrich 2006, S. 164-165).
6. Therapeutische Hilfe
Kindern und Jugendlichen, denen bei pädagogischen Maßnahmen nicht
ausreichend oder gar nicht geholfen werden konnte, bedürfen therapeutischen
Hilfen von Psychologen oder Kinder- und Jugendpsychiatern bzw.
Psychotherapeuten. Dies kann auf ambulantem, tagesklinischem oder stationärem
Wege passieren. Voraussetzung einer therapeutischen Hilfe ist das klinische
Verständnis der aufgetretenen Störung. Bei Kindern und Jugendlichen mit
Störungen des Sozialverhaltens ist es sehr schwierig durchgreifende und
langfristige Verbesserungen zu erreichen. Verantwortlich dafür ist oft die geringe
Compliance von Familien mit verhaltensgestörten Kindern und Jugendlichen, die
die Therapie erst oft nicht beginnen oder abbrechen. Nur mit einem
interdisziplinären Netz von Helfersystemen können Betroffene aufgefangen und
vor dem Pfad in die Deliquienz gewahrt werden. Dieses Netz aus Helfersystemen
besteht aus Erziehungsberatungsstellen, Beratungslehrern, Schulpsychologen,
Familientherapeuten, Psychologen, Ärzten und Pädagogen sowie Mitarbeitern der
Jugendhilfe (vgl. Ettrich & Ettrich 2006, S. 184).
6.1 Basisnotwendigkeiten für die Therapie
Das wesentliche Ziel der Behandlung einer Störung des Sozialverhaltens besteht
in der Senkung des aggressiven, dissozialen oder delinquenten Verhaltens. Dies
geschieht durch die Zusammenarbeit von Psychologen, Kinder- und
Jugendpsychiatern, Eltern, Lehrern, Erziehern und Jugendamtmitarbeitern unter
der Leitung eines erfahrenen, professionellen Therapeuten. Dieser muss von
Anfang an sicherstellen, dass jede Art von Aggression abgelehnt wird. Die
Therapie kann nur gelingen, wenn diese Grundhaltung alle Beteiligten teilen, was
durch Informationen, Gesprächen oder Elterntrainings sichergestellt werden soll.
35
Ein weiteres Ziel ist, die Betroffenen anzuregen, die Konsequenz ihres Handelns
zu überdenken und sich Handlungsalternativen zu überlegen, die Konflikte lösen
oder nicht entstehen lassen. Die Aneignung von alternativen Verhaltensweisen
erfolgt durch Übungen oder Modelllernen. Dadurch sollen Verhaltensdefizite und
Verhaltensexzesse durch prosoziales Verhalten ersetzt werden.
Da Verhaltensstörungen oft durch Bildungs- und Ausbildungsdefizite verursacht
werden, sollten auch diese Mängel genau erfasst werden. Durch eine Korrektur
von Bildungs- und Ausbildungsmängel lassen sich Veränderungen des
Selbstbildes und eine Änderung des Sozialverhaltens positiv beeinflussen und
somit können auch Spätfolgen verhindert werden.
Strafandrohungen und körperliche Bestrafungen der Erwachsenen sollen
unbedingt gemieden werden. Kinder und Jugendliche lernen daraus nur, dass
Gewalt ein offensichtliches Vorgehen ist, sich effektiv durchzusetzen. Negative
Emotionen werden bei Verhalten im Sinne von Ignorieren ausgelöst. Das
Fehlverhalten der Heranwachsenden wird dadurch nicht verdeutlicht, sondern
gefährdet eher die Beziehung zwischen Kindern und Eltern.
Besonders schwierig stellt sich die Änderung des Sozialverhaltens bei der
Herauslösung von Peer-Groups dar, die Aggressivität und Delinquenz
verherrlichen und die dadurch einen offensichtlich negativen Einfluss auf den
Heranwachsenden haben. Mit einem Verbot seitens der Eltern, sich mit solch einer
Gruppe zu treffen, ist im Allgemeinen nicht viel zu erreichen. Sinnvoller wäre ein
stationärer Aufenthalt, in der der Kontakt zu solchen Gruppen nach und nach
eingeschränkt wird und Kinder und Jugendliche so zur Einsicht geführt werden
sollen (vgl. Ettrich & Ettrich 2006, S. 184-186).
6.1.1 Elternberatung
Zentral bei der Elternberatung ist, dass eine erwachsene Person, also die
Bezugsperson des Kindes oder des Jugendlichen zur Beratung kommt. Ein Grund,
warum Eltern Beratung suchen ist, dass einerseits Hilfe benötigt wird, weil das
Kind Schwierigkeiten macht und andererseits, weil sie Hilfe für den Umgang ihrer
Kinder suchen. Die zwei wesentlichen Fragen für Beratungsanlässe sind wie es zu
den Auffälligkeiten gekommen ist und wie kann besser damit umgegangen
36
werden. Wenn sich die Eltern selbst als verursachend für die Auffälligkeiten ihrer
Kinder sehen, ist das abhängig welche Möglichkeiten der Veränderung sie daraus
ableiten. Die Erwartungen der Ratsuchenden an die Berater sind unterschiedlich.
Oft wird erwartet, dass der Erfolg der Beratung garantiert wird, ohne dass der
Ratsuchende seinen eigenen Beitrag dazu leistet. Es herrscht der Wunsch, einen
Soll-Zustand zu erreichen, der von „Ich möchte mir die Erziehung erleichtern“ bis
„Alles muss ganz anders werden“ reicht. Eltern suchen jedoch nach
Denkanstößen und Handlungsalternativen. Im Beratungsprozess sind die
Ratsuchenden aktive Teilnehmer, die über eine selbstbestimmte
Handlungsfähigkeit verfügen und bleiben somit die Handelnden. Um Änderungen
herbeizuführen muss der Berater bestimmte Zusammenhänge erkennen und
diese dann in konkrete und natürliche Handlungen umsetzen, indem die
Basiskompetenzen wie Empathie, Akzeptanz und Kongruenz wesentlich sind. Die
Beziehung zwischen dem Ratsuchenden und dem Berater spielt während dem
Beratungsgespräch eine wichtige Rolle. Es sollen konkrete Ziele aufgestellt
werden. Wichtig ist auch, dass das Kind im Vordergrund der Interventionen steht
und behandelt werden muss. Es sollen Kommunikationsmuster aufgebaut werden,
die das problematische Verhalten der Kinder verbessern (vgl. Ettrich & Ettrich
2006, S. 186).
6.1.2 Elterntraining
Die Ziele bei Elterntrainings für Eltern mit psychisch kranken Kindern und
Jugendlichen sind es, erzieherische Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln,
sodass sie fähig sind ihre Kinder in ihrem kindlichen Verhalten zu beobachten und
zu beurteilen, die Interaktion verbessert wird und allgemein die
Erziehungskompetenzen der Eltern gestärkt werden.
Bei Störungen des Sozialverhaltens ist es wichtig Eltern dafür zu sensibilisieren,
dass sie das Verhalten ihrer Kinder möglichst schnell kontextspezifisch erfassen
und erklären können, um angemessen darauf zu reagieren.
Das Elterntraining stellt auch eine ökonomische Behandlungsform dar, da in einer
Gruppe vier bis fünf Elternpaare teilnehmen können. Für einige Eltern hat dies
eine entlastende Funktion, da sie realisieren, dass es mehrere mit demselben
37
Problem gibt. In diesen Gruppen werden auch Lernprozesse intensiv erlebt.
Große Bedeutung in den Trainings hat die Wissensvermittlung. Eltern müssen
verstehen, dass ihr Kind nicht unartig oder böse ist, dass das Kind sie auch nicht
ärgern will, sondern, dass das Kind eine Störung hat und dass es krank ist und
somit die Entwicklung gefährdet ist. Der Therapeut bespricht mit den Eltern die
individuelle Verhaltensauffälligkeit.
Die Sitzungen zur Wissensvermittlung werden durch Differenzierungsübungen,
wie zum Beispiel Videoaufnahmen zur Beobachtung, ergänzt (vgl. Ettrich & Ettrich
2006, S. 188-190).
6.1.3 Problemlösungstraining
Im Gegensatz zum Elterntraining, das eine indirekte Behandlungsform ist, da der
Therapeut nicht den verhaltensauffälligen Kindern, sondern den Eltern bei der
Verbesserung ihrer erzieherischen Fähigkeiten und Fertigkeiten hilft, erfolgt das
Problemlösungstraining direkt an und im unmittelbaren Kontakt mit Kindern und
Jugendlichen mit Störungen des Sozialverhaltens. Das Problemlösungstraining ist
geeignet für Kinder ab dem 10. Lebensjahr, da sich bei jüngeren Kindern die
Symptomatik nicht so sehr verfestigt wie bei älteren Kindern und Jugendlichen und
dies erfordert daher auch eine intensivere therapeutische Einflussnahme. Formen
des Fehlverhaltens entstehen dadurch, dass der Betroffene in einer Situation mit
einem Reaktionsmuster handeln muss, weil er über keine effektiveren verfügt.
Deshalb wird das Verhalten dann als unangemessen oder gestört beurteilt.
Folgende Schritte sind beim Problemlösungstraining zu beachten:
Das Erkennen eines Problems bereitet Kindern und Jugendlichen mit
Verhaltensstörungen oftmals Schwierigkeiten. Sie handeln in einer Situation und
geben sich mit dem Erreichen naheliegender Ziele zufrieden. Daher ist es wichtig,
dass Kinder und Jugendliche im ersten Schritt mit ihrem Fehlverhalten konfrontiert
werden, damit sie erkennen, dass ein Problem vorliegt. Die meisten Jugendlichen
verleugnen ihr unangemessenes Verhalten und gehen Schwierigkeiten aus dem
Weg oder wenden Verhaltensmuster an, die zwar nicht richtig, jedoch schon Erfolg
gezeigt haben und geben jemand anderem die Verantwortung für das Problem.
Das Ziel in diesem Schritt ist, ihre Emotionen und die Begrenztheit ihres
38
Verhaltensrepertoires und die negativen Folgen daraus zu verdeutlichen.
Die Formen und Bedingungen des Fehlverhaltens müssen gemeinsam mit den
Betroffenen im Detail analysiert werden. Auch die Informationen von Eltern,
Lehrern und Mitschülern müssen berücksichtigt werden. Es geht vor allem um
Alltagssituationen, die schnell zu einem Konflikt eskalieren. Gefühle (wie Angst,
Zurücksetzung, Zorn und Wut) sollen dabei herausgearbeitet werden, sowie die
Gewinne und Verluste, die durch aggressives Verhalten entstehen. Dazu werden
Rollenspiele, Übungen und Hausaufgaben zur Selbstbeobachtung angewendet.
Da es sich bei Verhaltensstörungen um ein impulsgesteuertes Verhalten handelt,
wird den Kindern und Jugendlichen oft nur das Unterlassen der
Verhaltensexzesse angeboten. In der Behandlung sollten Kinder und Jugendliche
zu Handlungsalternativen angeregt werden.
Im nächsten Schritt des Problemlösungstrainings soll die beste
Verhaltensmöglichkeit aus den erarbeiteten Handlungsalternativen ausgewählt
werden und auf ihre Durchführbarkeit überprüft werden. Es sollen auch die kurzund langfristigen Konsequenzen der Handlung benannt werden. Um das Verhalten
automatisieren zu können, werden verschiedene Übungen dazu angewendet.
Da die richtige Ausführung des Wunschverhaltens nicht nur als therapeutisches
Ziel gelten soll, muss dieses auch im Alltag manifestiert werden. Damit dies
erleichtert wird, lernen die Kinder und Jugendlichen sich nach den Rollenübungen
in der Therapie zu bewerten und zu loben. Auch Eltern, Lehrer und Therapeuten
sollen das miterlebte prosoziale Verhalten belohnen.
Verbessert wird der Erfolg des Problemlösungstrainings zum Beispiel durch die
Einbeziehung von Entspannungsverfahren, Methoden der Ärgerkontrolle und die
Kombination von Problemlösen und Elterntrainings (vgl. Ettrich & Ettrich 2006, S.
190- 192)
39
7. Therapie und Rehabilitation
Wenn eine psychische Erkrankung bereits fortgeschritten ist und nicht mehr durch
pädagogische Hilfe von Eltern oder Lehrer gemindert werden kann, muss eine
Therapie in Anspruch genommen werden. In diesem Kapitel werden die
unterschiedlichen Therapieformen, eingeteilt in die Psycho-, Familien- und
Psychopharmakatherapie, vorgestellt.
7.1 Psychotherapie
„Mit dem Begriff Psychotherapie verbindet sich eine Vielzahl theoretisch
unterschiedlich begründeter Behandlungsmethoden, die im Rahmen einer
sozialen Interaktion auf die Behebung von Störungen des emotionalen Befindens
und des Verhaltens zielen“ (Steinhausen 2010).
Ein wichtiges Ziel für alle Arten der Psychotherapie ist das Reduzieren von
Symptomen, die mit Leiden verbunden sind und auch die Entwicklung der
Persönlichkeit behindern. Ebenso ist die Förderung der normalen Entwicklung, mit
der sich insbesondere die Stärkung der autonomen Persönlichkeit verbindet, von
bedeutsamer Wichtigkeit, um eine Verhaltensänderung zu erreichen.
Für die verschiedenen Formen von Psychotherapie gibt es in der methodischen
Vorgangsweise einige Gemeinsamkeiten, welche sich auf ein bestimmtes
Behandlungssetting beziehen. Es findet im Rahmen eines Arbeitsbündnisses statt,
unter Verwendung bestimmter Kommunikationskanäle (wie Spiele und Sprache)
und die in einer therapeutischen Beziehung realisiert werden, welche die
therapeutischen Prozesse bestimmt.
Alle Formen der Psychotherapie sind aus der Psychoanalyse hervorgegangen, die
erst in den 1920er und 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts auch eine Form
der Kinderbehandlung entwickelte. Die Psychoanalyse wird heute nur noch von
wenigen Therapeuten realisiert. An ihrer Stelle sind die verschiedenen Formen der
psychodynamisch bzw. tiefenpsychologisch orientierten Psychotherapie getreten.
40
Es wird wesentlich im Bereich emotionaler Störungen einschließlich Angst- und
Verstimmungszuständen, Anpassungsreaktionen, Schulverweigerung, leichter
dissozialer Störungen und Eltern- Kind- Konflikten, zu denen auch die Folgen von
Scheidungen mit der Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls und der
Leistungsfähigkeit des Kindes gehören, gearbeitet. Weitere Verfahren der
Psychotherapie sind unter anderem die personifizierte Spieltherapie,
körperbezogene Therapien, Gestaltungstherapien und Gruppentherapien (vgl.
Steinhausen 2010, S. 415-417).
Eine weitere wichtige Methode der Psychotherapie, welche ab 1925 von dem
österreichischen Arzt, Psychotherapeuten und Philosophen Jacob Moreno Levy
begründet wurde, ist das Psychodrama. Die Grundlage dieser Therapieform
basiert auf dem Spiel mit Kindern. Hier geht es um die handelnde Darstellung und
das innere Erleben. Es werden viele verschiedene Techniken eingesetzt, die eine
tiefgründige Analyse von gewissen Situationen sowie des Erlebens ermöglichen.
Das Psychodrama bietet eine Vielzahl von verschiedenen Arbeitsformen. Sie kann
einzeln oder auch in Gruppen durchgeführt werden, wobei die Gruppentherapie
hier größeren Zuspruch findet, da Moreno auch Mitbegründer der
Gruppenpsychotherapie ist und die Meinung vertritt, dass bei Gruppenprozesse
gegenseitige Hilfe entwickelt wird.
Zu den wichtigsten Techniken der Psychodramatherapie gehört zum einen der
Rollentausch. Es werden Rollen von Personen gewechselt um Situationen aus
anderen Perspektiven zu betrachten. Die wohl am meisten verwendete Technik ist
die Doppeltechnik. Bei der Doppeltechnik tritt eine Person in eine kurze Sequenz
einer anderen Person und versucht aus dessen Rolle Gedanken und Gefühle zu
äußern, die selbst nicht geäußert werden können. Diese Methode dient zur
Stützung und Förderung der Selbstexploration.
Eine weitere Methode ist der psychodramatische Spiegel. Personen stellen sich
an den Rand (zum Beispiel einer Bühne) um von dort aus die abgelaufene Szene
zu beobachten und aus einer distanzierten Beobachtungsperspektive Einsicht zu
gewinnen, welche aus der Innensicht nicht möglich wäre.
Wichtige Bestandteile des Psychodramas sind die Spontanität und die Kreativität.
Mit ihrer Hilfe sollen starre Verhaltensmuster gelöst werden und sollen dabei
helfen passende Möglichkeiten des Umgangs mit gewissen Situationen zu finden.
41
Sie sollen aktiviert werden um eischränkende Rollen aufzubrechen, denn kreative
Handlungsbereitschaft beruht auf Spontanität (vgl. von Ameln & Kramer 2014, S.24).
Ziel der Psychodrama- Kindertherapie ist die Förderung seelischer
Wachstumspotenziale und Hilfe zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben. So
sollen allgemein Verhaltensstörungen abgebaut werden. Angewendet wird diese
Form der Psychotherapie zur Behandlung von Ängsten, sozialen Hemmungen,
depressive Störungen sowie bei verringertem Selbstwertgefühl, aber auch bei
externalisierenden Störungen wie Störungen des Sozialverhaltens (vgl. von Ameln
& Kramer 2014, S. 49).
Die Verhaltenstherapie soll durch verschiedene Techniken Symptome und
gestörtes Verhalten reduzieren und adaptives Verhalten bei Kindern und
Jugendlichen aufbauen. Hier werden im Vergleich zu anderen Therapieformen
keine psychodynamischen, psychopathologischen oder biologischen Prozesse,
die Einfluss auf das Verhalten haben miteinbezogen.
Die Interventionen in der Verhaltenstherapie werden als Prozess gesehen, den
man in vier Phasen einteilen kann. Die objektive Problembestimmung, die
Hypothesenformulierung, die Hypothesenbestimmung und die Bewertung der
Ergebnisse.
In der objektiven Problembestimmung werden sowohl die Häufigkeit und die
Intensität der Verhaltensstörung als auch die Umstände vorausgehender und
folgender Ereignisse erfasst. Durch diese Herausarbeitung von Auslöser und
Konsequenzen soll das gegenwärtige Problem verdeutlicht werden.
Bei der Hypothesenformulierung geht es mehr um eine Vorhersage, welche
therapeutischen Maßnahmen zu welcher Verhaltensänderung führen.
Bei der Hypothesenüberprüfung werden die Hypothesen systematisch und
individuell angepasst
Die Bewertung der Ergebnisse dient dazu, dass die Verhaltensänderung durch die
durchgeführten Interventionen nachzuweisen ist.
Es gibt vier verschieden Modelle, welche die verhaltenstherapeutischen Formen
begründen:
Unter dem Modell der klassischen Konditionierung versteht man die Verknüpfung
42
eines nicht ursprünglichen Reizes mit einer Reaktion, die eigentlich auf den
ursprünglichen Reiz folgt. Verhaltensweisen können durch Reiz- ReaktionsKopplung erlernt werden.
Die Methode der operanten Konditionierung wird zum Abbau von unerwünschtem
Verhalten und zum Aufbau von erwünschten Verhalten eingesetzt. Bei diesem
Modell wird mit Verstärkern gearbeitet welche ein Verhalten bestimmen oder
ändern können. Angenehme Verstärker lassen, lassen ein positives Verhalten
öfters auftreten und unangenehme Verstärker sollen das Auftreten mindern.
Bei der sozialen Lerntheorie geht es um Modelllernen und bildet einen Kontrast zu
den beiden bisher beschriebenen Reiz- Reaktions- Theorien.
Problemwahrnehmung, Bewertung von Handlungen, Selbstbekräftigung und
Nachahmung sind die Bedingungen des Verhaltens bei der sozialen Lerntherapie.
Konzepte der kognitiven Psychologie betrachten fehlangepasstes Verhalten als
Auswirkung unangemessener oder ungenügend strukturierter Kognitionen
betrachtet.
Eine positive Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Patient ist enorm
wichtig. Und der positive Verlauf der Therapie ist unter anderem davon abhängig.
Die Verhaltenstherapie dient im Allgemeinen zur Behandlung von
Verhaltensexzessen, wie Aggressivität und Delinquenz und von Verhaltensdefizite,
wie Ängste. Das meist eingesetzte Methode bei verhaltenstherapeutischen
Maßnahmen ist das operante Konditionieren. Durch das Arbeiten mit Verstärkern
lässt sich das Verhalten bei Defiziten formen und Verhaltensexzesse werden
reduziert (Steinhausen 2010, S. 423- 425).
7.2 Familientherapie
Für Kinder und Jugendliche mit einer psychischen Störung oder einer
Verhaltensauffälligkeit nimmt die Familientherapie einen wichtigen Stellenwert ein.
Die Familie wird hier in der Diagnostik und in der Therapie miteinbezogen und es
wird an den Interaktionen und Beziehungen untereinander gearbeitet. Die
Familienorganisation soll trotz der seelischen Erkrankung aufrechterhalten werden
43
und der Umgang mit der Störung soll mit der Therapie erleichtert werden.
Voraussetzung für die Familientherapie ist das Definieren einer
familiensystemischen Diagnose, die unter anderem die Erfassung der
Familienstruktur, den soziokulturellen Kontext der Familie, die Entwicklung der
Erkrankung und ihrer eigenen Familie, den bisherigen Umgang und allgemeine
Möglichkeiten der Problemlösung, beinhalten. Es soll den Rahmen für die
wesentlichen Aspekte darstellen. Die Dauer der Familientherapie ist eher kurz, da
sie nur sechs bis acht Sitzungen beinhaltet.
Das Ziel ist es, das Familiensystem sowie die Störung zu analysieren und
geeignete Interventionen zu finden um es zu verändern. Das Symptom der
Erkrankung des Kindes oder des Jugendlichen soll als Problem der Familie
gesehen werden. Der Familientherapeut soll den Eltern verdeutlichen, dass die
Kontrolle des kindlichen Verhaltens bei ihnen belassen wird (vgl. Steinhausen
2010, S. 433-439).
7.3 Psychopharmakatherapie
Psychopharmaka sollten bei einer Therapie für psychische Störungen oder
Verhaltensstörungen eher selten verordnet werden, da diese auf die Entwicklung
der Hirnfunktionen einwirken. Die Psychopharmakatherapie soll symptomorientiert
durchgeführt werden, jedoch werden lediglich die Zielsymptome unterdrückt oder
beeinflusst.
Diese Art der Therapie setzt eine umfangreiche Diagnostik voraus. Auch die Eltern
sowie die Kinder und Jugendlichen müssen im Rahmen der Psychoedukation,
reichlich informiert werden, damit die Gründe für die Einnahme des Medikaments
und die damit verbundenen Auswirkungen oder Nebenwirkungen geklärt sind.
Außerdem müssen die Dosis, Einnahmezeiten, Zeitpunkt des Wirkungseintritts
und die voraussichtliche Dauer der Verordnung des Medikaments detailliert
besprochen werden.
Damit Psychopharmaka verordnet werden können, müssen einige Richtlinien
eingehalten werden. So dürfen Psychopharmaka nur durch geschulte Fachleute
44
verschrieben und der Verlauf überwacht werden. Die Symptome müssen definiert
und regelmäßig evaluiert werden. Um die geeignete Substanz auszuwählen,
müssen die Wirkungen und die Verträglichkeit berücksichtigt werden sowie die
Patienten- und Familienmerkmale beachtet werden. Dies kann großen Einfluss auf
die Compliance haben.
Die Psychopharmakatherapie erfolgt fast ausschließlich multimodal in
Kombination mit Psycho- oder Verhaltenstherapien.
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Substanzgruppen in
der Kinder- und Jugendpsychiatrie gegeben:
Stimulanzien sind die Psychopharmaka, die in der Kinder und Jugendpsychiatrie
am häufigsten eingesetzt werden. Am häufigsten werden diese bei
hyperkinetischen Störungen angewendet.
Bei schizophrenen Psychosen, Manien, autistische Störungen, schwere
Ticstörungen, schwere Zwangsstörungen und in Ergänzung zu anderen
therapeutischen Maßnahmen schwere aggressive und antisoziale Störungen
werden Neuroleptika eingesetzt.
Die Indikationen für Antidepressiva sind neben der Depression und den
Zwangsstörungen die Enuresis nocturna, die hyperkinetischen Störungen, die
Anorexia sowie Bulimia nervosa.
Stimmungsstabilisatoren wie Lithium werden bei der Behandlung von bipolaren
Störungen oder zur Reduktion von Stimmungsschwankungen eingesetzt. Weitere
Indikationen können dissoziale oder aggressive Störungen sein. In erster Linie gilt
die Einnahme von Lithium jedoch als Prävention für rezidive psychische
Erkrankungen.
Tranquilizer (oder auch Anxiolytika genannt) helfen bei der Reduktion von Angstund Schlafstörungen. Die Indikation muss jedoch eingeengt werden, da
Tranquilizer symptomatisch wirken und werden daher oft als Vorbereitung für
Psycho- oder Verhaltenstherapie verordnet werden (vgl. Steinhausen 2010, S.
441-451).
45
8. Schlussfolgerung
Dass Kinder hier und da problematisches Verhalten an den Tag legen ist nicht
gleich verhaltensgestört oder hängt mit einer psychischen Störung zusammen.
Jedoch sollte man gewisse Auffälligkeiten als Warnzeichen sehen, die ein Hinweis
auf die Entwicklung einer Verhaltensstörung sein kann. Zur Beantwortung der
Forschungsfrage „Welche Maßnahmen gibt es, die die seelische Gesundheit von
Kindern und Jugendlichen aufrechterhält oder wiederherstellt?“, wurden
pädagogische Hilfestellungen beschrieben, die unter anderem zeigen, dass die
elterliche Erziehung schon in jungen Jahren einen erheblichen Einfluss auf die
psychische Gesundheit nimmt. Es werden Trainings für Eltern detailliert
zusammengefasst, um der Vorbildwirkung gerecht zu werden und um
psychosoziale Risikofaktoren zu umgehen. Später ist auch die Beziehung zu
anderen Bezugspersonen, wie Lehrer oder Erzieher von bedeutsamer Wichtigkeit,
um Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen abzumildern oder zu
verhindern. Nicht zu vergessen ist die Beziehung zu Gleichaltrigen, die ebenso
Störungen, vor allem des Sozialverhaltens, hervorrufen können. Hier wurden
einige Präventionsprogramme sowie ein Streitschlichtprogramm erörtert, die das
Zusammensein erleichtern und gleichzeitig persönliche Stärken entwickeln lassen.
Aufgrund der vielen Risikofaktoren, die seelische Erkrankungen auslösen können
und die protektiven Faktoren des Kindes- oder Jugendlichen nicht entgegenwirken
kann, gibt es verschiedene Therapieformen, die die seelische Gesundheit
wiederherstellen können. Das vorrangige Ziel einer Therapie ist es, die Symptome
der Störung zu reduzieren und die Gesundheit, egal ob in Einzel- oder
Gruppensitzungen, zu fördern. Die dafür meist eingesetzten therapeutischen
Maßnahmen werden durch die beschriebene Psycho- und Familientherapie sowie
die Psychopharmakatherapie, welche als Unterstützung zu den genannten
Therapieformen gilt, durchgeführt.
46
Literaturverzeichnis
Denner, S (2008) Soziale Arbeit mit psychisch kranken Kindern und Jugendlichen,
Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart.
Esser, G (2003) Lehrbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie bei
Kindern und Jugendlichen 4. Auflage, Thieme Verlag, Stuttgart.
Ettrich, C & Ettrich, U (2006) Verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche,
Springer Verlag, Heidelberg.
Fröhlich- Gildhoff, K (2007) Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und
Jugendlichen- Ursachen, Erscheinungsformen und Antworten 1. Auflage, Verlag
W. Kolhammer, Stuttgart.
Fuchs R & Schlicht W (2012) Seelische Gesundheit und Sportliche Aktivit, Hogrefe
Verlag, Göttingen.
Lenz, A (2010) Ressourcen fördern: Materialien für die Arbeit mit Kindern und
ihren psychisch kranken Eltern, Hogrefe Verlag, Göttingen.
Senf, W & Broda, M (2007) Praxis der Psychotherapie: Ein integratives Lehrbuch
5. Auflage, Thieme Verlag, Stuttgart.
Steinhausen, HC (2010) Psychische Störungen bei Kindern und JugendlichenLehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie 7. Auflage,
Urban und Fischer Verlag, München.
Schneider, S & Margraf, J (2009) Lehrbuch der Verhaltenstherapie- Störungen im
Kindes- und Jugendalter Band 3, Springer Medizin Verlag, Heidelberg.
Von Ameln, F & Kramer, J (2014) Psychodrama: Praxis, Springer- Verlag,
Heidelberg.
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