Wissenschaft In einem österreichischen Tierpark versuchen Wissenschaftler, ehemaligen Laborschimpansen das Leben mit Artgenossen beizubringen. A lfred wirft mit Sägespänen, Helene schubst David vom Baumstamm, und Anton zieht sich mit einer Banane in der Faust aufs Fensterbrett zurück: Die Schimpansen im niederösterreichischen Safaripark Gänserndorf benehmen sich, wie Zoobesucher das von einer Affenbande erwarten. Noch vor zwei Jahren sah ihr Alltag ganz anders aus. Da saßen Alfred, Helene und die anderen in kleinen Einzelzellen auf Metallgittern, und wenn sie sich allzu sehr langweilten, spielte ihnen ein Tierpfleger Naturfilme vor. Reale Artgenossen bekamen die Tiere fast nie zu Gesicht. Die rund 45 Schimpansen im Safaripark sind allesamt Pensionäre. Manche hockten über 15 Jahre lang in den Labors der Pharmafirma Immuno. Forscher testeten an ihnen neuartige Impfstoffe; 19 der Tiere sind heute mit dem Hepatitis- oder dem AidsVirus infiziert. Nur allmählich lernen die Forschungsveteranen, nach Schimpansenart zusammenzuleben, einander den Pelz zu zausen und um Futter zu balgen. Das Gänserndorfer Altersheim für Menschenaffen ist ein Großversuch, Laboraffen soziales Verhalten beizubringen. Dafür braucht die deutsche Primatologin Signe Preuschoft, die das Resozialisierungsprojekt leitet, vor allem Geduld. „Viele der Tiere sind in ihrer Entwicklung stecken geblieben“, erklärt die Wissenschaftlerin, „sie waren ja von ihrer Kindheit an immer isoliert.“ Preuschofts Schützlinge sind nicht die einzigen Versuchsprimaten, die noch einmal leben sollen wie echte Affen. Lange Zeit waren Schimpansen als nächste Verwandte des Menschen begehrte Studienobjekte der medizinischen Forschung. Vor allem für die Aids-Forschung wurden sie in Massen gezüchtet oder aus ihrer westafrikanischen Heimat verschleppt. Dann gerieten die Primaten-Experimente in Verruf, allzu menschlich schienen die haarigen Kerle. In der EU wurde die Ära der Schimpansenversuche deshalb beendet. Wohin aber mit den ausgedienten Affen, die in Gefangenschaft mehr als 50 Jahre alt werden können? Der Pharmamulti Baxter, Weitere Informationen unter www.spiegel.de/dossiers 154 RUDI FRÖSE / AGENTUR ANZENBERGER Altersheim für Menschenaffen Dass die Tiere auch nach Jahren der Einzelhaft noch WG-tauglich sein können, hat Zoologin Preuschoft als Erste gezeigt. „Ich hatte am Anfang Angst vor dem Elend dieser traumatisierten Tiere“, erinnert sich die Forscherin. Schon die Sägespäne in ihren neuen Spielzimmern verunsicherten die Neuankömmlinge. „Zuerst gingen die wie auf Eiern“, erzählt Preuschoft. Nach und nach bereitete die Primatologin die Affen auf ihr neues Leben in Gruppen von fünf bis zehn Tieren vor. „Ich habe festgelegt, welche Tiere gemeinsam in eine Gruppe passen könnten“, erläutert Preuschoft. „Dann musste erst einmal jeder jeden kennen lernen.“ Hätte sie das künftige Team einfach gemeinsam in die Wohnräume mit Kletterbäumen, Tauen und Strickleitern gesetzt, hätte es Massenschlägereien gegeben – „wahrscheinlich auch Tote“, wie die Forscherin hinzufügt. Preuschofts Sozial-Coaching scheint zu funktionieren. Nur fünfmal musste sie bislang den Tierarzt rufen – etwa als Schimpansen-Männchen Michael seinem neuen KumPrimatologin Preuschoft, Schützling: Wohin mit den … pel Peter allzu forsch die Hand entgegenstreckte: Es kostete ihn ein Stück Zeigefinger. Auch sonst wird Preuschoft immer wieder an die Herkunft der Tiere erinnert – etwa wenn ein gestandener Affenmann ohne Grund in panisches Gekreische ausbricht oder wenn sich die Tiere das eigene Fell büschelweise ausrupfen. „Insgesamt jedoch hat die Wiedereingliederung besser funktioniert, als alle Experten geglaubt haben“, resümiert sie. Fünf Schimpansentrupps turnen inzwischen munter in den Besucherräumen hinter extradickem Glas herum. An ihnen wollen die Wissenschaftlerin und ihre Studenten nun ergründen, wie Schimpansen voneinander lernen und Freundschaften schließen. Doch das Forscherparadies ist bedroht, der Safaripark pleite. Ihr Gehalt beziehen die Mitarbeiter inzwischen aus dem Insolvenzfonds. Fin… ausgedienten Affen? Schimpanse im Pharmaversuch* det sich kein Käufer für das marode Unternehmen, steht desstaat Louisiana beziehen. Die Nieder- das nagelneue Affenhaus bald wieder leer. lande richten derweil ein Affengehege nahe „Ich hoffe, dass wenigstens die Gruppen zusammenbleiben, falls die Tiere auf andem spanischen Alicante her. dere Zoos verteilt werden“, sagt Preu* Im Primaten-Labor Tuxedo, New York (1990). schoft. Julia Koch der Immuno im Jahr 1997 geschluckt hat, entschied sich für eine Lösung der gefühligen Art: Das US-Unternehmen setzte ein hochmodernes Affenhaus mit viel Holz und Glas in den Gänserndorfer Safaripark. Ende 2002 siedelten rund 140 Affen, darunter außer den Schimpansen noch Paviane, Rhesusaffen und Langschwanzmakaken, in ihre neue Heimat über. Ähnliche Refugien entstehen derzeit auch andernorts. Bis zu 200 Schimpansen, von den amerikanischen National Institutes of Health entlassen, sollen demnächst Quartier in einer 29-Millionen-Dollar-Anlage im Bun- MICHAEL N. NICHOLS TIERE d e r s p i e g e l 2 2 / 2 0 0 4