Artenschutz - Menschenaffen Ist Oskar bald allein zu Haus? Der

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Autor: Gunther Willinger, 8.456 Zeichen
Erschienen bei spektrum.de am 7. Mai 2013
Artenschutz - Menschenaffen
Ist Oskar bald allein zu Haus?
Der Lebensraum der Menschenaffen in Afrika schrumpft bedrohlich – Forschung und
Tourismus können helfen
Ab dem 9. Mai streift der kleine Schimpanse Oskar durch die deutschen Kinos. Er ist
der Star in Walt Disneys neuem Kinofilm „Schimpansen“ und lebt mit seiner großen
Affenfamilie im Taï-Nationalpark der westafrikanischen Elfenbeinküste. Die
Filmaufnahmen wilder Schimpansen haben Forscher des Leipziger Max-PlanckInstituts für evolutionäre Anthropologie ermöglicht. Christophe Boesch, Leiter der
Abteilung Primatologie, hat mit seinem Team in jahrelanger Arbeit wilde
Schimpansen an den Menschen gewöhnt. So wurde er zum Wegbereiter für die
Hollywood-Karriere von Oskar, der als Dreijähriger seine Mutter verliert und später
vom Alpha-Schimpansen Freddy adoptiert wird. „Schimpansen“ ist kein
Dokumentarfilm, aber Boesch und seine Kollegen halfen den Kameraleuten nicht nur
die Tiere im dichten Regenwald zu finden, sondern achteten auch darauf, dass die
wissenschaftlichen Fakten im Film korrekt dargestellt werden.
Nicht allen Schimpansen wird soviel Aufmerksamkeit zuteil wie Filmstar Oskar. Seine
einst große Menschenaffenfamilie wird jeden Tag kleiner. Die Gründe dafür sind
vielfältig: Schimpansen landen im Kochtopf, sie werden als Haustier im Käfig oder an
Ketten gehalten, ihr Lebensraum verkleinert sich von Jahr zu Jahr und Krankheiten
wie Ebola fordern einen hohen Tribut. „Wir erleben in Afrika einen Verlust von
Artenvielfalt im Zeitraffer“ sagt Hjalmar Kühl, Leiter der Natur- und
Artenschutzgruppe am Leipziger Max-Planck-Institut. Er sammelt seit Jahren Daten
über die Affenbestände und hat dazu selbst immer wieder mehrere Monate im
afrikanischen Dschungel verbracht. Über die Lage der Schimpansen in Oskars
Heimatland sagt er: „In der Elfenbeinküste sind seit 1990 über 90% der Schimpansen
getötet worden. Wahrscheinlich gibt es dort außerhalb der Schutzgebiete keine
überlebensfähigen Populationen mehr und selbst im Taï-Nationalpark ist die Zahl der
Tiere in den letzten fünf Jahren von über 500 auf unter 300 geschrumpft.“
Für Afrikas Menschenaffen wird es eng. Das verdeutlicht eine im September letzten
Jahres veröffentlichte Studie unter Federführung des Leipziger Max-Planck-Instituts.
Zahlreiche Wissenschaftler und Naturschützer haben dafür über 15.000
Aufenthaltsorte von Schimpansen, Gorillas und Bonobos in ganz Afrika unter die
Lupe genommen. Die Daten zeigen, dass die Menschenaffen allein in den letzten
zwanzig Jahren ein Drittel ihres ursprünglichen Lebensraums eingebüßt haben. Gut
200.000 Quadratkilometer - die dreifache Fläche Bayerns. Sogar die riesigen, einst
abgelegenen Waldgebiete Zentralafrikas sind inzwischen vielerorts von Forst- und
Bergbaustraßen durchzogen. Über die Straßen dringen die Menschen immer tiefer in
den Wald ein. Meist mit desaströsen Folgen für die Wildtiere. Gabun etwa hat in den
letzten 30 Jahren mehr als die Hälfte der Menschenaffen verloren, obwohl es als
Musterland beim Schutz seiner ausgedehnten Regenwälder gilt.
Von den vier in Afrika lebenden Menschenaffenarten - Schimpansen, Bonobos,
Westliche und Östliche Gorillas - sind die Schimpansen am anpassungsfähigsten.
Die meisten der 150.000 verbliebenen Schimpansen sind im tropischen Regenwald
zu Hause, sie kommen aber im Gegensatz zu Gorillas und Bonobos auch in den
trockeneren Baumsavannen klar. Außerdem schützt sie ihr Sozialverhalten besser
vor Wilderern, denn Schimpansen verteilen sich weiter über ihr Territorium, meist
sind nicht alle Tiere einer Gruppe am gleichen Ort. Wer hingegen einen der
imposanten Silberrücken, das Oberhaupt einer Gorillafamilie gefunden hat, der kann
ohne Mühe auch den Rest der Gruppe töten, denn alle Tiere einer Familiengruppe
halten sich nah beieinander auf. Hinzu kommt, dass die Demokratische Republik
Kongo, die Heimat aller Bonobos und eines Großteils der Östlichen Gorillas seit
Jahren einer Anarchie gleicht. Schutzmaßnahmen können nur schwer oder
überhaupt nicht durchgeführt werden. Die Bonobos wurden auf 15.000 Tiere
dezimiert, vom Westlichen Gorilla leben noch etwa 80.000 und vom Östlichen Gorilla
sind wohl nicht mehr als ein paar Tausend Tiere übrig.
Viele Primatenforscher wollen nicht länger tatenlos zusehen, wie ihre
Forschungsobjekte von der Erdkugel verschwinden. Ein vielversprechender neuer
Ansatz ist in den Augen von Kühl der sogenannte evidenzbasierte Naturschutz.
Analog zur evidenzbasierten Medizin, bei der Behandlungsmethoden und
Arzneimittel in klinischen Studien empirisch auf ihre Wirksamkeit getestet werden,
sollen nun auch Naturschutzmaßnahmen verstärkt auf den wissenschaftlichen
Prüfstand gestellt werden. Die Idee wurde Anfang des Jahrtausends von britischen
Wissenschaftlern entwickelt, die in ihren Studien festgestellt hatten, dass sich
Naturschutzmanager bei ihren Entscheidungen überwiegend auf „gesunden
Menschenverstand“, „eigene Erfahrungen“ oder „Erfahrungen von Kollegen“ stützten.
Ziel des evidenzbasierten Naturschutzes ist es aber nicht Praxiserfahrungen
auszuschließen; vielmehr sollen alle verfügbaren Informationen routinemäßig erfasst
und in einer Datenbank zugänglich gemacht werden. Eine systematische
Evaluierung, die dann wiederum Naturschützern und Politikern als
Entscheidungsgrundlage dienen kann. Hjalmar Kühl ist überzeugt: „Wenn wir mit den
begrenzten Ressourcen einen möglichst effektiven Artenschutz erreichen wollen,
müssen wir die Schutzkonzepte ständig kritisch überprüfen. Wir müssen
wissenschaftlich fundiert beantworten können, was funktioniert und was nicht.“
Die Max-Planck-Forscher untersuchten in einer 2011 veröffentlichten Studie die
Wirksamkeit von Managementmethoden in über 100 Schutzgebieten mit
Menschenaffenvorkommen. Die Daten aus 16 afrikanischen Ländern wurden über
einen Zeitraum von zwanzig Jahren erhoben und statistisch ausgewertet: Am besten
ergeht es den Menschenaffen dort, wo bewaffnete Wildhüter patrouillieren, Forscher
die Tiere beobachten, Touristen durch den Dschungel pirschen und NGOs vor Ort
aktiv sind. Die Studie belegt, dass jede dieser Aktivitäten Menschenaffen rettet,
sofern sie langfristig durchgeführt wird. Als noch effektiver erwies sich die
Kombination der verschiedenen Akteure. Eine weitere Studie prüfte die Wirksamkeit
sogenannter „extremer Schutzmaßnahmen“ am Beispiel der Virunga-Berggorillas im
Dreiländereck Ruanda, Uganda und DR Kongo. Dort wird ein großer Teil der
Gorillagruppen tagsüber ständig von bewaffnetem Sicherheitspersonal bewacht und
wenn nötig auch tierärztlich behandelt. Derart geschützt haben sich die Gorillas seit
1981 von 250 auf fast 400 Tiere vermehrt. Der hohe Personalaufwand wird
hauptsächlich durch den Naturtourismus finanziert. In Ruanda besuchten im Jahr
2008 knapp 20.000 Touristen die Virunga-Gorillas und spülten dem Land allein für
die Nationalparkgebühren über sechs Millionen Euro in die Kassen.
Die meisten Menschenaffen in Afrika können aber nicht auf solche aufwändigen
Schutzmaßnahmen zählen. Viele sind Wilderern und dem Lebensraumverlust völlig
schutzlos ausgeliefert. Denn effektive Schutzmaßnahmen kosten Geld und das ist im
Naturschutz notorisch knapp. Neben finanzieller Hilfe könnten in Europa aber noch
andere Hebel betätigt werden, ist Christophe Boesch überzeugt: „Die politisch
Verantwortlichen in Deutschland und der EU müssen Umwelt- und Artenschutz
wirklich ernst nehmen. Sie sollten z.B. nachhaltige Regenwaldprodukte fördern, wie
etwa durch das FSC-Siegel zertifizierte Produkte. Bislang wird zwar gegen den
illegalen Holzhandel vorgegangen, aber das trägt noch nichts zur Nachhaltigkeit bei“,
sagt Boesch und kritisiert: „Nicht nachhaltig geführte Plantagen für Palmöl,
Kautschuk, Kakao und Kaffee, teilweise unterstützt durch die Deutsche Regierung,
haben direkt dazu beigetragen, den Rückgang des Regenwaldes in den letzten fünf
bis zehn Jahren noch zu beschleunigen.“
Boesch, der 1976 mit der Schimpansenforschung in der Elfenbeinküste begann, ist
Zeuge der dramatischen Entwicklungen: „Als ich zum ersten Mal in Taï ankam,
musste ich 100 km durch tropischen Regenwald fahren, um die Grenzen des
Nationalparks zu erreichen. Unterwegs begegnete ich oft Elefanten und
Schimpansen. Heute muss ich bis zur Parkgrenze fahren, um überhaupt Regenwald
zu sehen.“
Die Menschenaffenforscher in Leipzig hoffen, dass der Disney-Film die Kinobesucher
aufrütteln wird, auch wenn er keines der drängenden Probleme seiner Filmstars
thematisiert. Disney selbst geht mit gutem Beispiel voran und spendet einen Teil der
Filmeinnahmen für Schutzprojekte. Damit der Schimpansenjunge Oskar eine Zukunft
in der Wildnis Afrikas hat.
Quellen:
Junker et al. (2012) Recent decline in suitable environmental conditions for African
great apes, Diversity and Distributions, 1–15
http://www.eva.mpg.de/primat/staff/boesch/pdf/Junker_et_al_2012_Recent_decline_
SEC.pdf
Tranquilli et al. (2011) Lack of conservation effort rapidly increases African great ape
extinction risk, Conservation Letters 0, 1–8
http://www.eva.mpg.de/primat/staff/boesch/pdf/Tranquilli_et_al_Lack_of_conservatio
n_effort.pdf
Campbell G, et al. (2011) Long-term research sites as refugia for threatened and
over-harvested species, Biol. Lett. vol. 7 no. 5, 723-726
http://rsbl.royalsocietypublishing.org/content/7/5/723.full
Sutherland W, et al. (2004) The need for evidence-based conservation, Trends in
Ecology and Evolution Vol.19 No.6, 305 - 308
https://groups.nceas.ucsb.edu/monitoringkb/dot/references/Sutherland%20et%20al.%202004%20-%20%20Evidencebased%20conservation.pdf
Robbins MM, et al. (2011) Extreme Conservation Leads to Recovery of the Virunga
Mountain Gorillas. PLoS-ONE 6(6): e19788
http://www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0019788
Gesprächspartner:
Christophe Boesch, Leiter Abteilung Primatologie, Max-Planck-Institut für
evolutionäre Anthropologie, Leipzig
Hjalmar Kühl, Leiter der Natur- und Artenschutzgruppe, Max-Planck-Institut für
evolutionäre Anthropologie, Leipzig
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