BEINAHE IN FREIHEIT Hier ist es gemütlich: Die Schimpansen fühlen sich draußen in der Natur wohl. Früher waren sie als Haustiere bei reichen Familien eingesperrt oder mussten im Zirkus auftreten. Auf einem riesigen Freigelände in Afrika leben 130 Schimpansen. Sie sind zwar gefangen, aber es geht ihnen gut. Früher wurden sie von Menschen gequält. Freunde: Sebastian Louis und Cindy. FOTOS: THILO THIELKE ie beiden verstehen sich gut. Entspannt lehnen Sebastian Louis und die Schimpansendame Cindy Rücken an Rücken im Gras und genießen den Sonnenschein. Weit und breit ist kein Wärter zu sehen. Es ist ein Bild des Friedens – und doch ist Sebastian Louis aus Berlin ganz schön mutig. Denn Schimpan- D 44 Dein SPIEGEL 07 | 2014 sen sind etwa siebenmal so stark wie Menschen. Ihr Gebiss ist so kräftig wie das eines Löwen. Seit zehn Jahren lebt Cindy nun schon in einem riesigen Freigehege. Es befindet sich im Norden Sambias, direkt an der kongolesischen Grenze – mitten in Afrika also. „Chimfunshi“ heißt die Anlage, sie ist die Heimat von rund 130 Schimpansen. Cindy und die anderen leben nicht frei. Aber es geht ihnen hier besser als in ihrem vorherigen Leben. „Die meisten kommen aus schlimmen Verhältnissen“, erzählt Sebastian Louis. „Viele wurden gequält, und einige haben ihre Eltern durch Wilderer verloren.“ Cindy zum Beispiel gehörte reichen Franzosen, die in dem afrikanischen Land Elfenbeinküste lebten. Wilderer hatten Cindy als Baby von den Eltern geraubt und an Menschen verkauft. Drei Jahre später wollten diese den Schimpansen nicht mehr haben und gaben ihn an Tierschützer ab. Etwa ein Drittel der Tiere in Chimfunshi kommen aus der Nähe, aus dem Land Kongo. Dort leben Schimpansen in Freiheit, werden aber oft von Wilderern gejagt. Andere Tiere wurden aus Neuseeland, Haiti oder Dubai zu den Tierschützern gebracht. Louis kümmert sich seit drei Jahren intensiv um die Schimpan- sen aus dem Waisenhaus. Eigentlich lebt er in Berlin und arbeitet als Unternehmensberater. Doch 2011 starb plötzlich sein älterer Bruder Stephan – und der hatte bereits vor vielen Jahren von Chimfunshi erfahren und es sich zur Aufgabe gemacht, den Schimpansen zu helfen. » Dein SPIEGEL 07 | 2014 45 » Jetzt will Sebastian Louis das Lebenswerk seines Bruders fortsetzen, und deshalb fährt er mindestens zweimal im Jahr nach Sambia und verbringt mehrere Wochen mit den Schimpansen. „Diese Arbeit hat mir die Augen geöffnet“, sagt Sebastian Louis, „wir müssen viel mehr tun, um die Menschenaffen zu beschützen.“ Und Schutz ist nötig: Weil die Menschen immer mehr Flächen des Urwalds besiedeln, bleibt weniger Raum für die Tiere. Außerdem machen Wilderer Jagd auf die großen Affen: Das Trauriger Blick: Die Schimpansen haben Schlimmes erlebt. Jetzt müssen sie erst wieder lernen, Menschen zu vertrauen. Fleisch der erwachsenen Tiere wird oft gegessen, die Jungen werden als Haustier gehalten oder an Zoos verkauft. In arabischen Ländern oder in China finden es einige reiche Leute schick, einen Schimpansen als Haustier zu haben. Das 13-jährige Schimpansenmädchen Alice beispielsweise lebte bei einer Familie, aß mit den Menschen und schaute gemeinsam mit ihnen fern. Am Ende konnte sie sogar die Fernbedienung bedienen. Das klingt vielleicht ganz süß, ist aber überhaupt nicht artgerecht. In Chimfunshi dürfen sich die Tiere von den früheren Qualen erholen. Das 40-jährige Schimpansenmännchen Toto etwa. Jahrelang war Toto in einem Zirkus im südamerikanischen Chile gehalten worden. Er musste Bier trinken, Zigaretten rauchen und sich zum Gespött der Besucher machen. In Freiheit lebt Toto auch heute nicht. Auch heute stößt er noch an Zäune. Aber heute hat er viel, viel mehr Platz als früher. Und die Menschen quälen ihn nicht mehr, sie beschützen ihn. Thilo Thielke DAS AFFENDORF In dem Dorf leben Menschen und Schimpansen. Die Kinder der Tierpfleger haben dort sogar eine eigene Schule. 46 Dein SPIEGEL 07 | 2014 Vor mehr als 30 Jahren töteten Wilderer die Familie des Schimpansenbabys Pal. Eine Kugel hatte die Mutter des Jungtiers getötet und Pals rechten Kiefer durchschlagen. Damals kümmerte sich die Engländerin Sheila Siddle um das Tier und zog den kleinen Schimpansenjungen mit der Flasche auf. Pal überlebte, und Sheila beschloss, eine Auffangstation für Schimpansen zu gründen. Das war der Beginn von Chimfunshi. Mittlerweile ist Chimfunshi ein großer Betrieb. 70 Familien leben auf dem Gelände – also fast 400 Personen. 60 Angestellte kümmern sich um die 130 Schimpansen. Es gibt sogar eine eigene kleine Schule für die Kinder und eine Rinderzucht mit rund 600 Tieren. „Noch lebt Chimfunshi überwiegend von Spenden und der Unterstützung aus dem Ausland“, sagt Sebastian Louis. „Die Rinderzucht soll den Menschen, die in Chimfunshi leben, nun die Möglichkeit geben, den Betrieb selbst zu finanzieren.“ Sambia FOTOS OBEN: THILO THIELKE; CHIMFUNSHI (U.) Mahlzeit! Wenn der Tierpfleger kommt, wird es an der Essensausgabe voll.