Rechenschaftsbericht anlässlich der Vorlage des

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Rechenschaftsbericht anlässlich der
Vorlage des Geschäftsberichtes 2014/2015
zur Mitgliederversammlung
Oswald Menninger
Geschäftsführer
25. November 2014
Liebe Mitglieder,
meine sehr geehrten Gäste,
heute ist es meine 21. Mitgliederversammlung im Verband und es ist zugleich mein
letzter Rechenschaftsbericht, den ich hier abgeben, da ich – wie viele bereits wissen –
zum Ende des Jahres in den Ruhestand gehen werde. In der zurückliegenden Periode
können wir in der Summe wieder eine ordentliche Leistungsbilanz als Verband vorlegen.
Das zeigt der vorgelegte Geschäftsbericht. Er bildet die Vielfalt und den Umfang der
gesamten Leistungspalette des Verbandes ab und nach außen liefert er die nötige
Transparenz.
Steigende Wohnungsnot
Sicher hat die Problematik der Unterbringung und Betreuung der vielen Flüchtlinge in
Berlin die anderen Themen überlagert. Es ist in der Tat eine gewaltige Herausforderung
für die Stadt und auch für uns als Verband. Der Zuzug nach Berlin und der langfristige
Bedarf an Unterkünften für Flüchtlinge wird die steigende Wohnungsnot bei bezahlbaren
Wohnungen extrem steigern. Bereits auf der letzten Mitgliederversammlung habe ich den
Senat wegen seiner verfehlten Wohnungs- und Liegenschaftspolitik kritisiert. Leider wird
immer noch an vernünftigen Vorhaben vieles nur angekündigt – in der Praxis bewegt sich
jedoch weiterhin alles mit der bekannten Berliner Verwaltungszähigkeit. Die
Verhandlungen gemeinnütziger Träger über Erbbaurechtsverträge mit Bezirken und Land
sind dafür ein typisches Beispiel.
Überforderte Verwaltung
Die Politik singt zwar ständig das hohe Lied einer hochdynamischen und flexiblen
Metropole und feiert sich damit selbst – blickt man jedoch hinter die Verwaltungskulissen
der Stadt ist eine ganz andere Realität erkennbar: Bürokratismus ohne Ende – trotz der
großen Bemühungen von vielen Einzelnen in der Verwaltung. Ein Lichtblick könnte sein,
dass die Stadtgesellschaft dies nicht dauerhaft hinnehmen wird. Im Moment zeigen die
Berliner mit ihrem enormen ehrenamtlichen Engagement in der Flüchtlingshilfe, was die
Stadtgesellschaft zu leisten vermag.
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Hoffentlich führt das zu einem neuen Selbstbewusstsein auch zu fordern, dass die
Berliner Verwaltungen ihre Aufgaben erfüllen. Die politische Ausrede vom
Personalmangel ist nur vordergründig. Insgesamt ist die Berliner Verwaltung bezogen auf
die Bevölkerung bis heute nicht unterbesetzt. Viele Beschäftigte im Öffentlichen Dienst
leisten, wie aktuell bei der Flüchtlingsunterbringung, hervorragende Arbeit. Dieses
Engagement wird jedoch häufig im Gestrüpp von Vorschriften und Zuständigkeiten bis
zur Wirkungslosigkeit geschreddert. So gibt es zu viele Überschneidungen zwischen
Bezirks- und Hauptverwaltungen und es fehlt ganz einfach an Flexibilität. Die Probleme
im LaGeSo zeigen dies überdeutlich.
Hätte das Land Berlin nach der Wende beim Auffangen der Massenarbeitslosigkeit durch
Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen genau wie heute reagiert, wären die damaligen
Probleme sicher noch weitaus größer geworden. Durch die damalige Beauftragung von
sogenannten Servicegesellschaften bei freien Trägern, also Einrichtungen außerhalb der
Verwaltung, wurde schnell und flexibel ein gigantisches arbeitsmarktpolitisches
Rahmenprogramm erfolgreich umgesetzt. Dadurch konnte Schlimmeres verhindert
werden. Warum geht das heute nicht mehr? Weil ich glaube, dass die
Rekommunalisierungsdebatte in allen politischen Lagern die Gehirne vernebelt hat.
Statt parteipolitischer gegenseitiger Schuldzuweisungen über das Versagen der
Verwaltung, die Flüchtlingsunterbringung angemessen zu meistern, hätte der Regierende
Bürgermeister vorletzte Woche in seiner Regierungserklärung dazu Stellung beziehen
sollen, wie die Verwaltung aus ihren Fesseln befreit werden kann und wie bei derartigen
Herausforderungen politisch sinnvolle Wege gegangen werden können. Außergewöhnliche
Herausforderungen sind nur mit außergewöhnlichen Maßnahmen zu beherrschen und
nicht mit Routinehandeln, das bereits im Normalfall immer wieder an seine Grenzen
gelangt, wie die Berliner Bürgerämter zeigen. Vorgezogener Wahlkampf ist hier wohlfeil,
denn alle Parteien tragen die Verantwortung, weil sie den Öffentlichen Dienst als ihre
Pfründe nutzen. Das Interesse der Bürger an einem leistungsfähigen Öffentlichen Dienst
gehört anscheinend nicht zu den parteipolitischen Kalkülen.
Leistungen gesichert trotz umfangreichen Personalwechsels
Liebe Mitglieder, auch wenn die Probleme mit der Flüchtlingsunterbringung und der
Wohnungsnot im Vordergrund stehen, haben wir in allen Feldern der sozialen Arbeit gute
Arbeit geleistet und in erfolgreichen Verhandlungen die Finanzierung der vielfältigen
Leistungen gesichert. Die neue Rahmenfördervereinbarung zur Finanzierung sozialer und
gesundheitlicher Projekte sowie der Stadtteilzentren mit der Laufzeit von 2016 bis 2020
ist unterschrieben. Entgeltfortschreibungen für die Leistungen nach SGB XI und XII
stehen fest. Ebenso wurden Kita-Ausbau und Finanzierung sowie die Leistungen der
Jugendhilfe erfolgreich verhandelt.
Die enormen Leistungsanforderungen an den Verband wurden trotz des umfangreichen
Wechsels sehr verdienter, langjähriger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Ruhestand
bewältigt. Hier darf ich Frau Drusche, Frau Fischer, Frau Gaubert und Herrn Purmann,
dessen Leistungen vorhin gewürdigt wurden, nennen. An dieser Stelle nochmals meinen
herzlichen Dank an alle für die sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Bei dem
umfangreichen Personalwechsel in diesem Jahr passten leider – wie es so ist - in einigen
wenigen Fällen die gegenseitigen Erwartungen nicht zusammen, so dass frühzeitige
Trennungen für beide Seiten die beste Lösung waren.
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Nachfolge geregelt
Vor dem Hintergrund meines Ausscheidens zur Jahreswende wurde in diesem Jahr meine
Nachfolge geregelt. Der Vorstand hat Frau Dr. Schlimper als meine Nachfolgerin sowie
Herrn Hoyer als stellvertretenden Geschäftsführer jeweils einstimmig bestellt. Und
satzungsgemäß hat der Beirat in seiner Stellungnahme zur Bestellung beider seine
Zustimmung ebenfalls einstimmig gegeben. Ich bin überzeugt, dass die beiden Gremien
eine sehr gute Wahl getroffen haben. Im Kontext von Nachfolgeregelungen wird ja häufig
das Bild von „von den großen Fußstapfen“ bemüht.
Dieses Bild halte ich persönlich für Unsinn, denn eine Nachfolge, der nicht zugetraut
werden kann, die Aufgaben zu übernehmen, wäre personell einfach eine falsche
Entscheidung. Ist jedoch bei den Fußstapfen der Weg gemeint, den die Nachfolger
zukünftig gehen sollten, ist entscheidend ob in der Vergangenheit der eingeschlagene
Weg den Zielen der Organisation gedient hat.
Der Weg ist entscheidend
Hier bin ich überzeugt, dass der Paritätische von Anfang an, seit seiner Gründung, den
richtigen Weg verfolgt hat. Die Chronik zum 65-jährigen Jubiläum in diesem Jahr zeigt in
lesenswerter Weise den erfolgreich zurückgelegten Weg des Verbandes. Der Paritätische
hat sich in seiner Geschichte in keine Sackgasse manövriert, weil er sich zu keiner Zeit
von seinen Grundsätzen entfernt hat. Er hat auf alle Entwicklungen immer Antworten
gegeben, die aus der Reflexion der Grundsätze entstanden sind. Hier ist ein Blick in die
Satzung hilfreich! Der erste Absatz zu den Aufgaben des Verbandes in der Satzung
beginnt eindeutig mit der Förderung und Vertretung seiner Mitglieder. Er dient nicht den
Interessen seiner Gremien, sondern Gremien und die Verbandsgeschäftsstelle dienen den
Mitgliedern.
Dieser Grundsatz aus der Satzung, nur den Mitgliedern zu dienen, konnte aber erst voll
verwirklicht
werden,
als
der Verband
seine Leistungen
überwiegend
aus
Mitgliedsbeiträgen finanzierteen konnte. Dafür schuf die Beitragsreform Anfang der 90er
Jahre die Voraussetzungen. Durch die hohe Beitragsfinanzierung ist der Verband heute
finanziell abhängig von den Mitgliedern, aber unabhängig vom Staat. Damit ist eine
wesentliche Bedingung für einen Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege erfüllt.
Der zweite Absatz zu den Verbandsaufgaben besagt, dass der Verband ohne
konfessionelle und parteipolitische Bindungen arbeitet. Aus diesem Grundsatz der
Offenheit speist sich die Vielfalt der Paritätischen Mitgliedsorganisationen. Diese Vielfalt
geht gleichzeitig mit dem Toleranzgebot einher, denn bei der Vielfalt der
Wertorientierungen der Mitglieder funktioniert die Zusammenarbeit nur, wenn andere
Wertorientierungen respektiert werden. Dementsprechend sind unsere Verfassungsprinzipien die Leitlinien unserer Verbandsarbeit. Hieraus erklärt sich die enorme
Anziehungskraft für die vielen Mitgliedsorganisationen. Es ist eben nicht endscheidend,
mit welcher Wertorientierung die Mitgliedsorganisationen des Verbandes ihre Ziele
verfolgen.
Diese Offenheit war nicht nur wichtig nach innen, sondern sie war immer auch nach
außen gerichtet. Der Verband hat dadurch stets auf gesellschaftliche Veränderungen
reagiert und sich geöffnet für neue Entwicklungen. So öffnete er sich in den 70er Jahren
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für die Selbsthilfebewegung und neue Ansätze in der sozialen Arbeit. Natürlich gingen
dieser Öffnung wichtige und streitbare Debatten voraus.
Der zweite Absatz fordert weiterhin eine sachkundige und zeitgerechte Sozialarbeit. Auch
hier erfüllte der Verband dieses Postulat immer am Puls der Zeit gemeinsam mit den
Mitgliedsorganisationen zum Beispiel mit der Enthospitalisierung. An der Sache
orientierte Konzepte, die offen mit allen demokratischen Parteien diskutiert werden, sind
die Basis für den politischen Einfluss des Verbandes. Ob Parteien in Regierung- oder
Opposition spielt keine Rolle, wenn es um die Vermittlung überzeugender Konzepte in der
sozialen Arbeit geht. Der Verband hat allen Versuchen und Versuchungen widerstanden,
sich in den Dienst parteipolitischer Ideologien zu stellen. Er ist nie die Vorfeldtruppe einer
Partei geworden.
Grundsätze und pragmatische Lösungen
Die politische Glaubwürdigkeit des Verbandes ist einerseits verwurzelt in den genannten
Grundsätzen und andererseits in pragmatischen, an der Lösung sozialer Probleme
orientierten Konzepten. Wie es eben in der Satzung steht: Eine sachkundige und
zeitgerechte Sozialarbeit. Diese Verpflichtung zeichnet den Weg vor, dass sich der
Verband auch weiterhin kritisch mit den Rahmenbedingungen der sozialen Arbeit
auseinandersetzt. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die Finanzierung sozialer Dienstleistungen.
Diese muss geändert und auf ihre Wirkungen bezogen werden. Und erforderlich ist
ebenfalls, das Verhältnis Kostenträger und Leistungserbringer vollkommen neu zu
justieren. Auch wenn wir zu dem Themenkomplex bereits verschiedene Veranstaltungen
und Pilotprojekte durchgeführt haben, will ich zum Abschluss meiner beruflichen Tätigkeit
nochmal ein Plädoyer für diese – aus meiner Sicht notwendige – Entwicklung halten.
Der Legitimationsdruck auf die soziale Arbeit wird durch die kontinuierlichen
Ausgabensteigerungen weiter zunehmen und nicht nur weil kurzfristig die Kosten der
Integration der Flüchtlinge steigen werden. Die Frage nach der Wirkung sozialer Arbeit
wird seitens der Politik und der Kostenträger zukünftig noch drängender an uns gestellt
werden. Deshalb werden wir für die Zukunft Modelle und Instrumente entwickeln
müssen, die die Wirkung sozialer Arbeit bewerten und aufzeigen lassen. Diese Modelle
sind gleichzeitig ein wesentlicher Baustein, um die Rahmenbedingungen der Finanzierung
sozialer Arbeit in eine andere Richtung treiben zu können.
Diesem Ziel dient unser Kooperationsprojekt mit Phineo, um ein gemeinsames Programm
zur Wirkungsorientierung in der sozialen Arbeit auf die Beine zu stellen. Mit zwei
Pilotprojekten, einem in der Jugendhilfe und einem im Bereich Suchthilfe und
Gesundheit, sind wir bereits unterwegs. Die Wirkung sozialer Arbeit bewertbar und
nachvollziehbar zu machen, kann uns aus der Sackgasse der Steuerung der
Sozialausgaben über den Einzelfall herausführen.
Budgetfinanzierung und Wirkungsnachweise
Ein kurzer Rückblick zeigt, was uns in die Sackgasse geführt hat. Nach dem
Selbstkostendeckungsprinzip wurde ab Mitte der 90er Jahre unter dem Stichwort der
„Ökonomisierung“ die Finanzierung der sozialen Arbeit umgestellt. Der gewollte Effekt
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eines wettbewerblichen Rahmens war Kostendisziplin bei den Anbietern und die
Ausdifferenzierung der Leistungen in Hilfebedarfsgruppen, bzw. Leistungstypen. Die
Leistungsdifferenzierung ermöglichte die Inputs genau festzulegen, kalkulierbar und
verhandelbar zu machen.
Die ungewollten Effekte dieser Entwicklung sind eine Fallzahlenexpansion, da das
wirtschaftliche Überleben der Anbieter in einem Wettbewerbssystem nur über die
(Fall)Menge gesichert werden kann. Nicht die Beendigung der Hilfe, sondern ihre
Fortführung ist wirtschaftlich attraktiv. Die ökonomischen Anreize widersprechen damit
der sozialarbeiterischen Fachlichkeit. Das eigentliche Anliegen der sozialen Arbeit, die
Klienten und Klientinnen von Hilfe (wieder) unabhängig zu machen und Hilfe zur
Selbsthilfe zu leisten, wird unterminiert.
Das System der Hilfebedarfsgruppen suggeriert im Sinne einer linearen Produktlogik
einen gleichmäßigen und konfektionierbaren Hilfe– und Unterstützungsbedarf. Dabei wird
die Beziehungslogik der sozialen Arbeit in eine betriebswirtschaftliche Produktlogik
transformiert. Zudem lässt jede Veränderung im Betreuungsumfang die Transaktionsund Bürokratiekosten steigen. Das heutige System führt die Verhandlungspartner dazu,
ausschließlich über die Inputfaktoren zu streiten. Was mit der Betreuung und Hilfe
erreicht werden soll, ist mehr und mehr aus dem Blickfeld geraten.
Das System führt in letzter Konsequenz zur Enteignung der sozialen Arbeit als Profession.
Sie gewährt im Einzelfall nicht die Hilfe, die nötig und hilfreich ist, sondern erbringt
normierte und standardisierte Leistungen. Vielfach unabhängig vom konkreten Bedarf.
Aus diesem Dilemma kann eine Budgetfinanzierung herausführen, die die Entscheidung
über flexible Hilfen den Fachkräften, der Profession überlässt. Im Gegenzug muss die
Profession reflexiv mit den Wirkungen sozialer Arbeit umgehen und Wirkungen bewertbar
und nachvollziehbar machen.
Gelingt es, diese Wirkung abzubilden, wäre die Forderung nach einer Budgetfinanzierung
politisch sehr gut zu stellen. In der Praxis wäre eine Budgetfinanzierung mit
Wirkungsnachweisen der richtige Weg, mit gegebenen Ressourcen die beste Versorgung
sicherzustellen. Und das muss unser gemeinsames Ziel sein. Ich weiß sehr wohl: Um
dieses Ziel zu erreichen, müssen dicke Bretter gebohrt werden. Dafür und für viele
andere zukünftige Herausforderungen ist der Verband aber bestens gerüstet.
Danke
Am Ende möchte ich mich bei ihnen, liebe Mitglieder, sehr herzlich für die offene und
faire Zusammenarbeit bedanken. Bedanken möchte ich mich gleichfalls bei allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verbandes für das Engagement und die gute
Zusammenarbeit. Dem Vorstand und Beirat danke ich für das Vertrauen, das sie mir
entgegengebracht haben. Meiner Nachfolge, Frau Dr. Schlimper und Herrn Hoyer,
wünsche ich in der Führung des Verbandes viel Glück und Erfolg!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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