Die Dachterrasse der Direktorenwohnung Einfühlen in ein Baudenkmal Die Renovierung der Textilberufsgenossenschaft an der Volkhartstraße. Die Stadt in Trümmern, die Mittel knapp, die Architekten verunsichert. Wie baut man nach der größten denkbaren Katastrophe? Woher den Mut nehmen, neue Wege zu gehen und Beständiges zu schaffen? Woher Ideen nehmen für das noch nie Gesehene? Eine mögliche Antwort auf diese Fragen hat der Augsburger Architekt Robert Pfaud gefunden und sie uns in Form von durchdachten, feinen und menschlichen Bauwerken hinterlassen. Robert Pfaud plante ein für damalige Verhältnisse kühnes Projekt in der zertrümmerten Augsburger Innenstadt. Ein in drei Baukörper gegliedertes Hochhaus mit sieben Geschossen im Mittelbau, gestützt durch ein Stahlbetonskelett, das in Fassade und im Inneren Stabilität gibt und gliedert. Das Stahlbeton-Fachwerk der Fassade ist ausgefüllt mit Ziegeln, elegant und schlicht – ein beeindruckender Baukörper, schon durch seine Höhe. Und in seiner Modernität ein klares Signal für den architektonischen Neubeginn in einer zerstörten Stadt. Auch im Inneren demonstrierte das Gebäude großen Fortschrittswillen. Alles in seiner technischen Ausstattung entsprach dem Standard eines zeitgemäßen Verwaltungsgebäudes: Decken- und Wandstrahlenheizung, Die Prinzipien, nach denen Pfaud baute, hatte er bei bedeutenden Architekten erlernt: geradlinige Formen, funktionale Strukturen, einfache Materialien, werkgetreue Verarbeitung. Seine Ausbildung in den 1920er Jahren in München und Berlin hatte ihn mit den Maximen einer „humanen Moderne“ vertraut gemacht. Dieser architektonischen Haltung konnte er nach dem Krieg in seiner Heimatstadt Augsburg Gestalt verleihen: im Neubau der Verwaltung der Textilberufsgenossenschaft an der Volkhartstraße. Fassade der Textilberufsgenossenschaft während der Erbauung 18 Die Außenbeleuchtung nimmt das Raster der Fassade auf Personen- und Speiseaufzüge sind Belege für den Aufbruch ins technische Zeitalter. Auf das Dach baute Robert Pfaud ein Architektur-Kleinod voller Heiterkeit und Charme. Als Direktorenwohnung entstand ein feines, italienisch inspiriertes Landhaus mit offenem Kamin, Terrazzoböden und einer intimen Dachterrasse mit Rundbögen, die einen sensationellen Ausblick auf die wieder erstehende Stadt bot. 19 einer zeitgemäßen Nutzung zugeführt werden kann. Im Januar 2000 erhielten Bauherrn und Architektin dafür den Denkmalpreis der Stadt Augsburg aus dem Prinz Fonds. In seiner Anknüpfung an die human-modernen Bauprinzipien der 20er und frühen 30er Jahre und ihrer gelungenen Übertragung in die Aufbaujahre nach dem Krieg ist der Pfaud’sche Bau Volkhartstraße 4-6 von großem historischen und baukünstlerischen Wert. Deshalb fand er – auch als über Jahrzehnte heruntergewirtschaftetes Verwaltungsgebäude – Aufnahme in die Liste der schützenswerten Baudenkmäler Bayerns. Schachtelwerk an Zimmern und Gängen geschaffen. Die klare Absicht der neuen Eigentümer war es, die architektonischen Qualitäten des Gebäudes wieder herauszuarbeiten und es einer zeitgemäßen Nutzung zuzuführen. In einem Baudenkmal sollte ein repräsentatives Bürohaus auf dem neuesten Stand der Technik entstehen. Die Firma ewt/tss, ein aufstrebendes Unternehmen für Breitbandkabel und neue Medien, bundesweit tätig und seit 30 Jahren in Augsburg verwurzelt, erwarb 1997 das Denkmal und stellte Überlegungen zu einer angemessenen Renovierung an. Der Verkäufer hatte – unter Missachtung der durch das Pfaud’sche Stahlbetonraster vorgegebenen klaren Struktur der Innenräume – mit Mauer- und Gipskartonwänden ein kleinteiliges Das Innenarchitekturbüro Kolb, Stadtbergen, langjähriger architektonischer und gestalterischer Berater der ewt/tss, konnte als verantwortungsvoller und einfühlsamer Partner für diese komplexen Arbeiten gewonnen werden. Bauherren und Architektin arbeiteten während der gesamten Bauphase eng zusammen und schufen ein richtungsweisendes Projekt, wie historische Substanz behutsam restauriert und ohne Kompromisse Zentrale Aufgabe war es, die überlieferten RaumStrukturen wieder herauszuschälen und sie der heutigen Arbeitswelt anzupassen; ungestörtes und doch kommunikatives Arbeiten sollte möglich werden. Mitarbeiter und Besucher mussten gleichermaßen optimale Bedingungen vorfinden und auch dem RepräsentationsAnspruch des Unternehmens war Rechnung zu tragen. Schließlich stellen die Firmenräume ein Unternehmen nach innen und außen sichtbar und fühlbar dar. Das durch und durch moderne Selbstverständnis der ewt/tss in historischer Substanz zum Ausdruck zu bringen war eine Herausforderung, die nur dank der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit den Bauherren gemeistert werden konnte. Zudem musste die Instandsetzung bei laufendem Geschäftsbetrieb stattfinden, so dass nur stockwerkweise gebaut werden konnte, während in den angrenzenden Etagen reguläre Büroarbeit stattfand. Eine spannende Angelegenheit für Bauherren und Planer gleichermaßen. Glaswände erhellen die Gänge Die architektonischen Vorgaben und auch die vorhandene Haustechnik waren tauglich bzw. erneuerbar. Die authentische Deckenstrahlungsheizung der 50er Jahre beispielsweise funktioniert noch immer und stellt heute ein technisches Denkmal dar. Viele weitere Details der Ausstattung konnten erhalten werden und sind heute liebevoll restauriert. Eine Vielzahl originaler Lampen – jede einzelne sorgsam zerlegt, in Stand gesetzt und wieder angebracht – und anderer technischer Installationen stehen als Erinnerungsstücke in spannendem Kontrast zum modernen High-Tech. Solch reizvolle Detailarbeit, die den Charakter und den Charme des wiedererstandenen Baus wesentlich mitbestimmen, ist nur mit einem Auftraggeber denkbar, der für diese Feinheiten Sinn hat und sie schätzt. Das gesamte Gebäude wurde – um den heutigen und künftigen Ansprüchen eines Hochtechnologie-Unternehmens zu genügen – neu verkabelt. Unsichtbar im Boden verlegt, stören keine üblichen Brüstungskanäle den Raumeindruck. So wurde an vielen Stellen Neues dem Vorhandenen behutsam beigestellt, und immer nach einer Lösung gesucht, die den Charme und die außerordentliche Wirkung der 50er-Jahre-Architektur nicht beeinträchtigen. Firmensignet an der StraßenFassade Die klassisch-elegante Fassade war in all den Jahren nahezu unversehrt geblieben und spiegelt heute – mit saniertem Beton und gereinigten Ziegelflächen – wieder den Stolz der Aufbaujahre nach dem Krieg. Selbst die von der Textilberufsgenossenschaft eingebauten Kunststoff-Fenster, die bei der Sanierung aus wirtschaftlichen Gründen belassen wurden, beeinträchtigen den harmonischen Gesamteindruck nicht wesentlich. Adäquates Mittel für die visuelle Darstellung der Firmenwerte der ewt/tss erschien dem Planer-Team ein Außen-, Innen-, Werbe- und Leitsystem mit Projektionen und Licht. Es legt sich innen und außen behutsam und weich über das Gebäude ohne seine Substanz zu berühren. Die neuen Eigentümer setzten an der ehrwürdigen Fassade ein selbstbewusstes Zeichen: eine fassadenhohe, blau leuchtende Säule, in der ein Lichtpunkt zum Himmel steigt. Sie signalisiert trefflich die Aufbruchstimmung unserer Zeit. An einem Gebäude, das wie kaum ein zweites für die Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre in Augsburg steht, eine gelungene Übertragung der Idee ins Heute. 20 Sorgfältig gestaltete Details prägen das Gebäude Das wieder erstandene Pfaud’sche Verwaltungsgebäude der Textilberufsgenossenschaft zeigt eindrucksvoll, wie man nach dem Krieg in einem zerstörten Land Modernes bauen konnte: voller Respekt vor klassischen Prinzipien, human, offen für Neues und mit großem Sinn für Qualität. So konnte moderne Architektur entstehen, die wertstabil und flexibel über die Jahre gekommen ist. Seit 2006 sind Firma und Gebäude verkauft. Auch die Veränderungen durch die neue Besitzerin, die ewt Multimedia GmbH, seit Januar 2007 mit Stammsitz in Hannover, trägt das Gebäude ohne Schaden mit. So bewähren sich die Prinzipien der humanen Moderne, mit denen Robert Pfaud baute, noch heute und tragen auf vielen Ebenen Früchte. Margarete Kolb Innenarchitektin BDIA 21