25.2 Organisation des Cortex cerebri

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25 Integrative Funktionen des Gehirns
25.2
Organisation des Cortex cerebri
25.2.1
Gliederung des Cortex cerebri in Areale,
Schichten (Laminae) und Säulen
(Kolumnen)
Der Cortex cerebri (zerebraler Kortex, auch als „Hirnrinde“
bezeichnet) nimmt im Menschen mit ca. 500 cm3 nahezu
die Hälfte des gesamten Hirnvolumens ein. Regional spezifische histologische Merkmale ermöglichten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Untergliederung in 52 zytoarchitektonische Areale, die nach dem Erstbeschreiber auch
als „Brodmann“-Areale bezeichnet werden (Abb. 25.2). Viele
dieser histologisch definierten Areale haben sich auch als
funktionell distinkt herausgestellt. Trotz aller Unterschiede
besitzen die kortikalen Areale eine Reihe von Gemeinsamkeiten:
▬ einen Aufbau aus Schichten (Laminae) etwa parallel zur
Oberfläche der Hirnrinde,
▬ neuronale Verbindungen in vertikaler Achse, innerhalb
funktioneller Säulen (Kolumnen),
▬ neuronale Verbindungen in horizontaler Achse, die zum
Beispiel die funktionellen Säulen untereinander verbinden, sowie
▬ definierte Eingangs- und Ausgangsstationen, die die primären Quellen und Ziele der afferenten und efferenten
Verbindungen des jeweiligen kortikalen Areals bilden.
Stammesgeschichtlich werden der Allokortex (mit Archikortex und Paläokortex), der Mesokortex und der Neokortex
unterschieden. Der Neokortex macht als phylogenetisch
jüngster Teil den größten Bereich des zerebralen Kortex
im Menschen aus. Ein auffälliges histologisches Merkmal
des Neokortex ist die Strukturierung in 6 Schichten (Laminae), die von der Oberfläche der Hirnrinde ausgehend mit
fortlaufenden römischen Zahlen benannt werden
(Abb. 25.3). Diese sechsschichtige Struktur ist in allen neo-
3
Lateralansicht
4
6
8
9
10
Gut untersucht sind die Säulen des primären visuellen Kortex
(s. Kap. 21.5.3, S. 730 f.), in dem zum Beispiel in den so genannten
Orientierungssäulen die Orientierung von Lichtreizen repräsentiert
ist. Innerhalb einer Säule erfolgt die Verarbeitung der thalamokortikalen Signale durch ein dichtes synaptisches Netzwerk sowohl in serieller als auch in paralleler Weise von der Eingangschicht IV über die
Schichten II/III in die Schichten V und VI, und von dort zurück in die
Schicht IV (Abb. 25.3). Pyramidenzellen vor allem aus den Schichten II/
III vermitteln über lateral verzweigte, zum Teil weit reichende Axone
kortiko-kortikale Verbindungen.
Die Folge dieser Signalverarbeitung ist eine zunehmende
Extraktion definierter Merkmale der Sinnesreize. Pyramidenzellen der Schicht VI projizieren in den Thalamus zurück, während die der Schicht V mit anderen subkortikalen
Regionen, z. B. Striatum und Colliculi superiores, sowie dem
Hirnstamm verbunden sind (Abb. 25.3). Im Gegensatz zum
spezifischen thalamokortikalen System innervieren die
Axone des unspezifischen thalamokortikalen Systems Kerngebiete diffus verzweigt bevorzugt die Schicht I. Im Neuropil der relativ zellarmen Schicht I sind darüber hinaus synaptische Kontake mit den cholinergen und monoaminergen Axonterminalen des aufsteigenden Hirnstammsystems
ausgebildet, die eine Regulation der neuronalen Aktivität in
primäre sensorische und motorische Areale
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22
38
21
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Medianansicht
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41
3
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5
9
40
44
4
8
7
2
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11
1 5
kortikalen Regionen vorhanden, mit Ausnahme der Areale
4, 6 und 8 des motorischen Kortex (der als „agranulärer“
Kortex dem „granulären“ Kortex gegenübergestellt wird;
s. Kap. 23.5.1, S. 779 ff.). Jede Schicht besitzt charakteristische funktionelle und anatomische Eigenschaften. In den
primären sensorischen Kortizes ist die Schicht IV reich an
Sternzellen. Hier enden die Afferenzen aus den spezifischen
thalamischen Kerngebieten, den Umschaltstationen der
Sinnessignale von den peripheren Sinnesorganen. Die Innervation ist topographisch organisiert, das heißt die Afferenzen benachbarter Orte der Sinnesorgane enden in benachbarten kortikalen Regionen. Dieses Innervationsmuster
bildet eine wichtige Grundlage für den Aufbau vertikal orientierter funktioneller Säulen (Kolumnen), in denen definierte Aspekte der Sinnesinformation vermittelt werden.
11
17
30
Assoziationscortices
Abb. 25.2 Strukturelle Organisation des Neokortex. Zytoarchitektonische Areale von Brodmann, in Lateral- (links) und Medianansicht
(rechts) des menschlichen Gehirns. Blaue Farbtöne kennzeichnen As-
18
25
12
34
38
20
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37
19
18
soziationskortizes, rote Farbtöne markieren primär sensorische und
motorische Areale.
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25.2 Organisation des Cortex cerebri
819
Neokortex
Afferenzen
unspezifischer Thalamus
Efferenzen
I
II
andere kortikale Areale
2
kontralaterale kortikale Areale
III
spezifischer Thalamus
IV
kortikale Areale
VI
bis
4
4
Verarbeitungssequenz
Thalamus
weiße Substanz
Abb. 25.3 Strukturelle Organisation des Neokortex. Zelluläre Organisation der 6 Schichten (I–VI) des Neokortex, mit Hauptafferenzen
(links) und -efferenzen (rechts). Die Zahlen (1 – 4) zeigen die sequen-
zielle Informationsverarbeitung thalamokortikaler Signale innerhalb
einer vertikalen Säule (Kolumne).
Abhängigkeit von Verhaltenszuständen wie zum Beispiel
Aufmerksamkeit, Wachheit und Schlaf (s. Kap. 26.3,
S. 860 ff.) ermöglichen.
Haupteingangs- und Ausgangssystemen. Zum einen erhalten die Assoziationskortizes subkortikalen Zustrom nicht
aus thalamischen Kerngebieten, die an der Weiterverschaltung primärer sensorischer und motorischer Information
beteiligt sind, sondern aus solchen Kernen des Thalamus,
die bereits verarbeitete Signale aus dem Kortex erhalten
und diese an den Assoziationskortex zurückschalten.
Die phylogenetisch alten Regionen des Archikortex, zu dem der Hippokampus gehört, und des Palaeokortex, zu dem die kortikalen Regionen des Riechhirns zählen, sind in 3 – 4 bzw. 3 Schichten gegliedert.
Die funktionelle Bedeutung der unterschiedlichen Gliederung von
Neo-, Archi- und Palaeokortex ist nicht genau bekannt, steht vermutlich aber in Beziehung zur Komplexität der Informationsverarbeitung
in den jeweiligen Regionen.
25.2.2
Organisation und Funktion der assoziativen
Areale des Kortex
Die Areale mit primären sensorischen und motorischen
Aufgaben belegen nur einen kleinen Teil der Hirnrinde im
Vergleich mit denjenigen Arealen, die integrative Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Sinnessystemen
und den motorischen Arealen vermitteln, und die demzufolge als Assoziationsareale (Assoziationskortizes) bezeichnet werden (Abb. 25.2). Entsprechend der anatomischen Lage werden frontaler, parietaler, temporaler und
okzipitaler Assoziationskortex unterschieden.
Der okzipitale Assoziationskortex nimmt insofern eine Sonderposition
ein, als seine Funktionen zwar für kognitive Prozesse von Bedeutung
sind, allerdings nahezu ausschließlich für solche des visuellen Systems
(s. Kap. 21.5.3, S. 730 ff.), die hier nicht weiter behandelt werden.
Die Organisation der Assoziationskortizes zeigt bei allen
aufgeführten neokortikalen Gemeinsamkeiten wesentliche
Unterschiede zu den primären sensorischen und motorischen Kortizes. Auffällig sind die Unterschiede in den
Relevante Kerngebiete des Thalamus sind das Pulvinar mit Hauptprojektion in den parietalen Assoziationskortex, der Nucleus lateralis posterior mit Projektion in den temporalen Assoziationskortex und die
Nuclei mediales thalami mit Projektion in den frontalen Assoziationskortex.
Zum anderen sind die assoziativen Areale durch umfangreiche direkte Projektionen aus anderen kortikalen Regionen, insbesondere auch interhemisphärische kortiko-kortikale Verbindungen, gekennzeichnet. Eine dichte Innervation der Assoziationskortizes durch das aufsteigende Aktivierungssystem aus Hirnstamm (s. Kap. 26.2.3 und 26.2.4,
S. 857 ff.) und basalem Vorderhirn bildet die Grundlage für
die Regulation der Signalverarbeitung in Abhängigkeit eines
breiten Kontinuums mentaler Zustände. Trotz des hohen
Grades an wechselseitigen und zum Teil überlappenden
Verbindungen sind die verschiedenen Areale der Assoziationskortizes durch distinkte Eingangs- und Ausgangssysteme charakterisiert, die im Sinne der oben genannten Module spezifische Funktionen begründen. Schlussfolgerungen
bezüglich der funktionellen Bedeutung der kortikalen Assoziationsareale im Menschen sind demzufolge durch klinische Beobachtungen von Patienten mit Funktionsstörungen dieser Areale in besonderer Weise möglich.
Integrative Funktionen
des Gehirns
1
subkortikale Strukturen
3
V
Sternzelle
Pyramidenzelle
1
25
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kortikale Areale
25 Integrative Funktionen des Gehirns
25.2.3
Klinische Konsequenzen lokaler
Funktionsstörungen des
Assoziationskortex
Schädigung des parietalen Assoziationskortex – Aufmerksamkeitsdefizite. Patienten mit unilateralen Läsionen
in Bereichen des parietalen Kortex fallen häufig durch eine
Verminderung ihrer Fähigkeiten zur bewussten Wahrnehmung
auf. Die Patienten reagieren nicht oder nur reduziert auf sensorische Reize, die in Bereichen des Körpers oder des Gesichtsfeldes kontralateral der parietalen Läsion dargeboten werden,
und sie haben Schwierigkeiten bei der Ausführung motorischer Aufgaben in diesen Bereichen (Abb. 25.4 A). Ihre generellen sensorischen und motorischen Leistungen sind nicht
messbar verändert. Die Symptome reichen von kurzzeitigen
Phasen der verminderten kontralateralen Aufmerksamkeit bis
zu einer relativen Vernachlässigung der kontralateralen Körperhälfte oder Umgebung, die in individuellen Fällen so ausgeprägt sein kann, dass die Existenz der Körperhälfte geleugnet wird und sich der Patient zum Beispiel weigert, diese zu
waschen oder zu bekleiden. Die oft halbseitige Vernachlässigung des eigenen Körpers oder der Umgebung wird als Neglekt bezeichnet, und die Symptome kollektiv als kontralaterales Neglektsyndrom. Die Symptome spiegeln eine Reduktion der selektiven Aufmerksamkeit wider, derjenigen Fähigkeit, unter mehreren Ereignissen nach bestimmten Kriterien
auszuwählen und damit eine wichtige Voraussetzung für die
bewusste Wahrnehmung zu schaffen. Die Interpretation dieser klinischen Befunde, die dem parietalen Assoziationskortex
eine entscheidende (allerdings nicht exklusive) Funktion für
die selektive Aufmerksamkeit zuerkennt, ist durch vielfältige
Studien mit Hilfe der Elektrophysiologie und der nicht invasiven Bildgebung bestätigt worden (Abb. 25.4 B). Die kontralaterale Ausprägung ist Ausdruck der kontralateralen Grundorganisation der sensorischen (s. Kap. 18.8, S. 664 ff. und 21.5.1,
S. 727 f.) und motorischen Systeme (s. Kap. 23.5.4, S. 784).
Auffällig allerdings ist die Ausprägung des kontralateralen Neglektsyndroms vorwiegend bei Schädigung des rechtsseitigen Parietalkortex. Sie wird durch eine Lateralisation der Aufmerksamkeitssysteme erklärt (s. Kap. 25.8): Bei vorwiegend
kontralateraler Anlage der linksseitigen parietal-kortikalen Aufmerksamkeitssysteme kann die nicht betroffene rechte Hemisphäre funktionell-kompensatorisch wirken, während bei bilateraler Anlage der rechtsseitigen Systeme diese Kompensation
nicht greifen kann.
Zum Verständnis des Begriffes „Aufmerksamkeit“ ist es sinnvoll, einen
selektiven und einen globalen Aspekt zu unterscheiden. Die Grundlage
für die Selektion von Information (selektive Aufmerksamkeit) ist ein
ausreichender Grad an globaler Wachheit und Aufmerksamkeit, der
über das System Hirnstamm-Thalamus-Kortex reguliert wird (vgl.
Kap. 26.2.3, S. 857 ff.).
Funktionsstörung des temporalen Assoziationskortex –
Beeinträchtigung im Wiedererkennen. Als Agnosie wird
eine Störung des (Wieder-)Erkennens bezeichnet, die nicht
durch eine Störung der elementaren Sinnesleistungen verursacht ist, und bei der – im Unterschied zum Neglektsyndrom – der Patient die Existenz von sensorischen Ereignissen
nicht leugnet. Er erkennt deren Zusammenhang, Bedeutung
oder Bekanntheit allerdings nicht. Die Störung betrifft häufig
komplexe Reizsituationen und beinhaltet lexikalische und ge-
dächtnisbezogene Komponenten (Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Sinnesreizen zu verbalen oder kognitiven Symbolen und beim Abruf von Informationen bei Präsentation
bekannter Reize). Klinische Untersuchungen zeigen Läsionen
oder Funktionsstörungen in Agnosie-Patienten in inferioren
Regionen der temporalen Assoziationskortizes (Abb. 25.4 B).
Linksseitige Störungen sind vorwiegend mit Schwierigkeiten
der Wiedererkennung von Sprache assoziiert, und rechtsseitige Störungen haben visuelle Agnosien zur Folge (s. a.
Kap. 25.8). In Abhängigkeit von Ort und Größe der Schädigung des inferioren temporalen Assoziationskortex können
verschiedene, zum Teil objektspezifische Agnosien auftreten.
Prosopagnosie (s. Kap. 21.5.4, S. 732) ist eine Form der visu-
A posttraumatische Läsion, links-parietal
leichtes Neglektsyndrom mit Extinktionsphänomen
B lokale Schädigungen
parietale Läsion
Aufmerksamkeitsdefizite,
Neglektsyndrom
temporale Läsion
Wiedererkennungsdefizite,
Agnosie
frontale Läsion
Defizite in Handlungsplanung,
„Persönlichkeitsänderungen“
Abb. 25.4 Schädigungen des Assoziationskortex und resultierende kognitive Defizite. A Magnetresonanztomographische Aufnahmen (3 verschiedene Horizontalschnitte) des Gehirns eines männlichen, 34-jährigen Patienten mit posttraumatischer Läsion links-parietal (markiert durch roten Kreis). Der Patient zeigt ein leichtes Neglektsyndrom rechts mit Extinktionsphänomen. Zum Beispiel werden
visuelle Reize in der rechten Gesichtsfeldhälfte nur vermindert wahrgenommen, wenn gleichzeitig links ähnliche Reize dargeboten werden. (Aufnahmen Prof. Dr. E. Düzel, Otto-von-Guericke-Universität
Magdeburg.) B Regionen des (rechten) Assoziationskortex, die bei
bestimmten kognitiven Defiziten am häufigsten betroffen sind. Markiert sind die Regionen, in denen klinische Studien eine lokale Schädigung (z. B. eine Läsion) bei entsprechendem kognitiven Defizit
zeigten. Zu beachten ist, dass bei Funktionsstörungen des frontalen
Assoziationskortex vielfältige Beeinträchtigungen kognitiver Leistungen bekannt sind.
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820
25.3 Kognition versus Emotion – Das limbische System
Schädigung des frontalen Assoziationskortex – vielfältige Veränderungen der Persönlichkeit. Bei Funktionsstörungen des frontalen Assoziationskortex (Abb. 25.4 B) und der
präfrontalen kortikalen Areale sind vielfältige Beeinträchtigungen kognitiver Leistungen bekannt. Sie sind Ausdruck der re-
lativen Ausdehnung des frontalen Kortex im menschlichen
Gehirn und dessen Bedeutung für höhere integrative Funktionen, wie zum Beispiel Handlungsplanung, Antizipation, Problemlösung, Informationsselektion und Steuerung sozialer
Interaktionen (der oben geschilderte Fall Phineas Gage veranschaulicht die komplizierte Symptomatik bei Schädigung
des frontalen Kortex). Eine hirnbiologisch spezifische Struktur/Funktionskorrelation ist demzufolge in den wenigsten Fällen möglich. Ein unrühmliches Beispiel für fehlgeleitete Korrelationen und resultierende medizinische Praxis ist die in den
30er- und 40er-Jahren vor allem in den Vereinigten Staaten
von Amerika in Tausenden von Patienten zur Behandlung
von Symptomen „geistiger Verwirrtheit“ durchgeführte neurochirurgische Resektion des Frontallappens bzw. Durchtrennung fronto-thalamischer Bahnen („Lobotomie“, „Leukotomie“). Die Eingriffe hatten vielfältige hirnorganische Psychosyndrome und Persönlichkeitsveränderungen zur Folge.
Zusammenfassung Kap. 25.2
Der Cortex cerebri (zerebraler Kortex, „Hirnrinde“) wird nach
Brodmann in 52 zytoarchitektonische Areale untergliedert. Die
kortikalen Areale sind aus horizontalen Schichten (Laminae)
und vertikal zur Oberfläche orientierten funktionellen Säulen
(Kolumnen) aufgebaut. Der Neokortex enthält 6 Schichten
(I – VI), die afferenten Hauptzustrom aus dem spezifischen
(IV) und unspezifischen Thalamus (I) sowie aus kortikalen Arealen (II–VI) erhalten. Sie sind efferent mit anderen kortikalen
Arealen (II, III), subkortikalen Strukturen (V) und dem Thalamus
(VI) verbunden. Vertikale und weitreichende horizontale kortikale Verbindungen ermöglichen eine zunehmende Extraktion
definierter Merkmale von Sinnesreizen. Den Hauptteil der Hirnrinde belegen Assoziationsareale (Assoziationskortizes), die
Wechselwirkungen zwischen den Arealen mit primär sensori-
25.3
Kognition versus Emotion –
Das limbische System
25.3.1
Lobus limbicus und Papez-Kreis –
Grundlagen des limbischen
Systemkonzepts
In einer bereits 1878 veröffentlichten Arbeit bemerkte der
französische Neurologe Paul Broca, dass nahezu alle Säugetiere an der zur Mittellinie orientierten Oberfläche des Gehirns eine Gruppe von Arealen besitzen, die in einer ringförmigen Anordnung untereinander verbunden zu sein
scheinen. An den lateinischen Ausdruck „Limbus“ (Rand,
Ring) angelehnt nannte er diese Anordnung Lobus limbicus
(Abb. 25.5 A). Wichtige Areale des Lobus limbicus sind der
Gyrus cinguli und der Gyrus parahippocampalis mit dem
Hippokampus. Broca entwickelte allerdings keinerlei Vorstellungen über die mögliche funktionelle Bedeutung dieser
schen und motorischen Aufgaben vermitteln. Die Assoziationskortizes stellen demzufolge wichtige Module für integrative, so
genannte höhere Hirnfunktionen dar. Die integrative Funktion
der Assoziationskortizes zeigt sich an ihrem afferenten Hauptzustrom aus thalamischen Gebieten, die bereits verarbeitete
Signale aus dem Kortex erhalten, sowie einem hohen Grad an
kortiko-kortikalen Verbindungen. Eine lokale Funktionsstörung
des Assoziationskortex hat bestimmte kognitive Defizite zur
Folge. Parietale Schädigung führt häufig zu Aufmerksamkeitsdefiziten (z. B. Neglektsyndrom), temporale Schädigung hat
Defizite im (Wieder-)erkennen (z. B. Agnosie) zur Folge, und
frontale Schädigung resultiert in vielfältigen Defiziten der planend-vorausschauenden Handlung sowie Änderungen der
Persönlichkeit
Strukturen, und in der nachfolgenden Zeit wurde deren
Funktion primär in Verbindung mit dem Geruchssinn vermutet. Ab etwa 1930 vermehrten sich jedoch Hinweise auf
einen Zusammenhang zwischen den Strukturen des Lobus
limbicus und emotionalem Verhalten. Zu dieser Zeit stellte
der amerikanische Neurologe James Papez die Hypothese
eines „Emotionssystems“ in Form eines Rückkopplungskreises, des so genannten „Papez-Kreises“, auf (Abb. 25.5 B). In
diesem Modell fungiert ein definiertes Areal der Hirnrinde,
der Gyrus cinguli, als das Areal für die Empfindung von
Emotionen, und Rückkopplungen mit dem Hypothalamus
vermitteln die funktionelle Verbindung der emotionalen
Empfindung mit der körperlich-vegetativen und hormonell
vermittelten emotionalen Reaktion, wie zum Beispiel der
Änderung von Blutdruck und Herzfrequenz bei Schreckreaktionen. Die Rückkopplungsschleife im Papez-Modell
beinhaltet efferente Fasern des Hippokampus, die über
den Fornix das Corpus mamillare (eine Struktur des poste-
Integrative Funktionen
des Gehirns
Organisation des Cortex cerebri
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ellen Agnosie, bei der ein Gesicht zwar als solches, jedoch
nicht als das einer bekannten Person erkannt wird. Diese Patienten können zum Beispiel ihnen seit Jahren vertraute Personen, wie den Ehepartner, nicht anhand des Gesichts identifizieren. Bei Befragung geben sie an, das entsprechende Gesicht nicht zu kennen, und sie erinnern sich nicht an Eigenschaften der zugehörigen Person. Andererseits erkennen sie
andere, ihnen bekannte Objekte wieder und können selbst
subtile Unterschiede solcher Objekte differenzieren. Sie sind
darüber hinaus in der Lage, bestimmte Personen mit Hilfe
anderer Hinweise, wie zum Beispiel des Klangs der Stimme,
der Körpergestalt oder des Geburtsdatums zu identifizieren.
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