24.3 Organisation des Cortex cerebri

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Integrative Funktionen des Gehirns
M
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Zusammenfassung Kap. 24.2
Als kognitive Funktionen werden diejenigen Hirnfunktionen
bezeichnet, die Teilfunktionen von Sinnessystemen und
motorischen Systemen integrieren, diese gedächtnisabhängig bewerten und mit aktuellen Zuständen von Aufmerksamkeit, Emotion und Motivation abstimmen. In ihrer Gesamtheit begründen die kognitiven Funktionen das „Ich“Konzept jedes Menschen. Aus klinischen Befunden, dass
bei lokalisierter Schädigung des Gehirns bestimmte kogni-
24.3 Organisation des Cortex
cerebri
24.3.1 Gliederung des Cortex
cerebri in Areale, Schichten
(Laminae) und Säulen (Kolumnen)
24
Der Cortex cerebri (zerebraler Kortex, auch als „Hirnrinde“ bezeichnet) nimmt im Menschen mit ca. 500 cm3 nahezu die Hälfte des gesamten Hirnvolumens ein. Regional
spezifische histologische Merkmale ermöglichten bereits
zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Untergliederung in
52 zytoarchitektonische Areale, die nach dem Erstbeschreiber auch als „Brodmann“-Areale bezeichnet
werden (▶ Abb. 24.2). Viele dieser histologisch definierten Areale haben sich auch als funktionell distinkt herausgestellt. Trotz aller Unterschiede besitzen die kortikalen Areale eine Reihe von Gemeinsamkeiten:
● einen Aufbau aus Schichten (Laminae) etwa parallel
zur Oberfläche der Hirnrinde,
● neuronale Verbindungen in vertikaler Achse, innerhalb
funktioneller Säulen (Kolumnen),
tive Prozesse gestört sind, wurde die Hypothese entwickelt,
dass jeder experimentell beschreibbaren mentalen Leistung ein räumlich-zeitliches Muster neuraler Aktivität zugeordnet werden kann. Die Alzheimer-Erkrankung stellt
die häufigste Demenzform im Alter dar, charakterisiert
durch eine progrediente Reduktion kognitiver Fähigkeiten
aufgrund einer durch Amyloid-Derivate initiierten pathogenen Kaskade mit der Folge umfangreicher Neurodegeneration.
●
●
neuronale Verbindungen in horizontaler Achse, die
zum Beispiel die funktionellen Säulen untereinander
verbinden, sowie
definierte Eingangs- und Ausgangsstationen, die die
primären Quellen und Ziele der afferenten und efferenten Verbindungen des jeweiligen kortikalen Areals bilden.
Stammesgeschichtlich werden der Allokortex (mit Archikortex und Paläokortex), der Mesokortex und der Neokortex unterschieden. Der Neokortex macht als phylogenetisch jüngster Teil den größten Bereich des zerebralen
Kortex im Menschen aus. Ein auffälliges histologisches
Merkmal des Neokortex ist die Strukturierung in 6
Schichten (Laminae), die von der Oberfläche der Hirnrinde ausgehend mit fortlaufenden römischen Zahlen benannt werden (▶ Abb. 24.3). Diese sechsschichtige Struktur ist in allen neokortikalen Regionen vorhanden, mit
Ausnahme der Areale 4, 6 und 8 des motorischen Kortex,
der als „agranulärer“ Kortex dem „granulären“ Kortex
(S. 842) gegenübergestellt wird. Jede Schicht besitzt charakteristische funktionelle und anatomische Eigenschaften. In den primären sensorischen Kortizes ist die
Schicht IV reich an Sternzellen. Hier enden die Afferenzen
Abb. 24.2 Strukturelle Organisation des Neokortex. Zytoarchitektonische Areale von Brodmann, in Lateral- (links) und Medianansicht
(rechts) des menschlichen Gehirns. Blaue Farbtöne kennzeichnen Assoziationskortizes, rote Farbtöne markieren primär sensorische und
motorische Areale.
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Grundlage kognitiver Funktionen
Abb. 24.3 Strukturelle Organisation des Neokortex. Zelluläre Organisation der 6 Schichten (I–VI) des Neokortex, mit Hauptafferenzen
(links) und -efferenzen (rechts). Die Zahlen (1 – 4) zeigen die sequenzielle Informationsverarbeitung thalamokortikaler Signale innerhalb
einer vertikalen Säule (Kolumne).
aus den spezifischen thalamischen Kerngebieten, den
Umschaltstationen der Sinnessignale von den peripheren
Sinnesorganen. Die Innervation ist topografisch organisiert, das heißt die Afferenzen benachbarter Orte der Sinnesorgane enden in benachbarten kortikalen Regionen.
Dieses Innervationsmuster bildet eine wichtige Grundlage für den Aufbau vertikal orientierter funktioneller
Säulen (Kolumnen), in denen definierte Aspekte der Sinnesinformation vermittelt werden.
Gut untersucht sind die Säulen des primären visuellen Kortex
(S. 793), in dem zum Beispiel in den sog. Orientierungssäulen die
Orientierung von Lichtreizen repräsentiert ist. Innerhalb einer Säule
erfolgt die Verarbeitung der thalamokortikalen Signale durch ein
dichtes synaptisches Netzwerk sowohl in serieller als auch in paralleler Weise von der Eingangschicht IV über die Schichten II/III in die
Schichten V und VI, und von dort zurück in die Schicht IV
(▶ Abb. 24.3). Pyramidenzellen vor allem aus den Schichten II/III
vermitteln über lateral verzweigte, zum Teil weit reichende Axone
kortiko-kortikale Verbindungen.
Die Folge dieser Signalverarbeitung ist eine zunehmende
Extraktion definierter Merkmale der Sinnesreize. Pyramidenzellen der Schicht VI projizieren in den Thalamus zurück, während die der Schicht V mit anderen subkortikalen Regionen, z. B. Striatum und Colliculi superiores, sowie dem Hirnstamm verbunden sind (▶ Abb. 24.3). Im
Gegensatz zum spezifischen thalamokortikalen System
innervieren die Axone des unspezifischen thalamokortikalen Systems Kerngebiete diffus verzweigt bevorzugt die
Schicht I. Im Neuropil der relativ zellarmen Schicht I sind
darüber hinaus synaptische Kontake mit den cholinergen
und monoaminergen Axonterminalen des aufsteigenden
Hirnstammsystems ausgebildet, die eine Regulation der
neuronalen Aktivität in Abhängigkeit von Verhaltenszuständen wie zum Beispiel Aufmerksamkeit, Wachheit
und Schlaf (S. 927) ermöglichen.
24
Die phylogenetisch alten Regionen des Archikortex, zu dem der
Hippokampus gehört, und des Palaeokortex, zu dem die kortikalen
Regionen des Riechhirns zählen, sind in 3 – 4 bzw. 3 Schichten gegliedert. Die funktionelle Bedeutung der unterschiedlichen Gliederung von Neo-, Archi- und Palaeokortex ist nicht genau bekannt,
steht vermutlich aber in Beziehung zur Komplexität der Informationsverarbeitung in den jeweiligen Regionen.
24.3.2 Organisation und Funktion
der assoziativen Areale des Kortex
Die Areale mit primären sensorischen und motorischen
Aufgaben belegen nur einen kleinen Teil der Hirnrinde im
Vergleich mit denjenigen Arealen, die integrative Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Sinnessystemen und den motorischen Arealen vermitteln, und die
demzufolge als Assoziationsareale (Assoziationskortizes)
bezeichnet werden (▶ Abb. 24.2). Entsprechend der anatomischen Lage werden frontaler, parietaler, temporaler
und okzipitaler Assoziationskortex unterschieden.
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24.3 Organisation des Cortex cerebri
Integrative Funktionen des Gehirns
Der okzipitale Assoziationskortex nimmt insofern eine Sonderposition ein, als seine Funktionen zwar für kognitive Prozesse von Bedeutung sind, allerdings nahezu ausschließlich für solche des visuellen Systems (S. 793), die hier nicht weiter behandelt werden.
Relevante Kerngebiete des Thalamus sind das Pulvinar mit Hauptprojektion in den parietalen Assoziationskortex, der Nucleus lateralis posterior mit Projektion in den temporalen Assoziationskortex
und die Nuclei mediales thalami mit Projektion in den frontalen
Assoziationskortex.
24
Zum anderen sind die assoziativen Areale durch umfangreiche direkte Projektionen aus anderen kortikalen Regionen, insbesondere auch interhemisphärische kortiko-kortikale Verbindungen, gekennzeichnet. Eine dichte Innervation der Assoziationskortizes durch das aufsteigende
Aktivierungssystem aus Hirnstamm und das basale Vorderhirn bildet die Grundlage für die Regulation der Signalverarbeitung in Abhängigkeit eines breiten Kontinuums mentaler Zustände. Trotz des hohen Grades an
wechselseitigen und zum Teil überlappenden Verbindungen sind die verschiedenen Areale der Assoziationskortizes durch distinkte Eingangs- und Ausgangssysteme charakterisiert, die im Sinne der oben genannten Module
spezifische Funktionen begründen. Schlussfolgerungen
bezüglich der funktionellen Bedeutung der kortikalen Assoziationsareale im Menschen sind demzufolge durch klinische Beobachtungen von Patienten mit Funktionsstörungen dieser Areale in besonderer Weise möglich.
24.3.3 Klinische Konsequenzen
lokaler Funktionsstörungen des
Assoziationskortex
Schädigung des parietalen Assoziationskortex –
Aufmerksamkeitsdefizite
Patienten mit unilateralen Läsionen in Bereichen des parietalen Kortex fallen häufig durch eine Verminderung ihrer
Fähigkeiten zur bewussten Wahrnehmung auf. Die Patienten reagieren nicht oder nur reduziert auf sensorische Reize, die in Bereichen des Körpers oder des Gesichtsfeldes
888
Abb. 24.4 Schädigungen des Assoziationskortex und resultierende kognitive Defizite.
a Magnetresonanztomografische Aufnahmen (3 verschiedene
Horizontalschnitte) des Gehirns eines männlichen, 34-jährigen Patienten mit posttraumatischer Läsion links-parietal
(markiert durch roten Kreis). Der Patient zeigt ein leichtes
Neglektsyndrom rechts mit Extinktionsphänomen. Zum
Beispiel werden visuelle Reize in der rechten Gesichtsfeldhälfte nur vermindert wahrgenommen, wenn gleichzeitig
links ähnliche Reize dargeboten werden. (Aufnahmen Prof.
Dr. E. Düzel, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)
b Regionen des (rechten) Assoziationskortex, die bei bestimmten kognitiven Defiziten am häufigsten betroffen sind.
Markiert sind die Regionen, in denen klinische Studien eine
lokale Schädigung (z. B. eine Läsion) bei entsprechendem
kognitiven Defizit zeigten. Zu beachten ist, dass bei Funktionsstörungen des frontalen Assoziationskortex vielfältige
Beeinträchtigungen kognitiver Leistungen bekannt sind.
b
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kontralateral der parietalen Läsion dargeboten werden,
und sie haben Schwierigkeiten bei der Ausführung motorischer Aufgaben in diesen Bereichen (▶ Abb. 24.4a). Ihre
generellen sensorischen und motorischen Leistungen sind
nicht messbar verändert. Die Symptome reichen von kurzzeitigen Phasen der verminderten kontralateralen Aufmerksamkeit bis zu einer relativen Vernachlässigung der
kontralateralen Körperhälfte oder Umgebung, die in indivi-
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Die Organisation der Assoziationskortizes zeigt bei allen
aufgeführten neokortikalen Gemeinsamkeiten wesentliche Unterschiede zu den primären sensorischen und motorischen Kortizes. Auffällig sind die Unterschiede in den
Haupteingangs- und Ausgangssystemen. Zum einen erhalten die Assoziationskortizes subkortikalen Zustrom
nicht aus thalamischen Kerngebieten, die an der Weiterverschaltung primärer sensorischer und motorischer Information beteiligt sind, sondern aus solchen Kernen des
Thalamus, die bereits verarbeitete Signale aus dem Kortex erhalten und diese an den Assoziationskortex zurückschalten.
24.3 Organisation des Cortex cerebri
Zum Verständnis des Begriffes „Aufmerksamkeit“ ist es sinnvoll,
einen selektiven und einen globalen Aspekt zu unterscheiden. Die
Grundlage für die Selektion von Information (selektive Aufmerk-
Funktionsstörung des temporalen Assoziationskortex – Beeinträchtigung im Wiedererkennen.
Als Agnosie wird eine Störung des (Wieder-)Erkennens bezeichnet, die nicht durch eine Störung der elementaren
Sinnesleistungen verursacht ist, und bei der – im Unterschied zum Neglektsyndrom – der Patient die Existenz von
sensorischen Ereignissen nicht leugnet. Er erkennt deren
Zusammenhang, Bedeutung oder Bekanntheit allerdings
nicht. Die Störung betrifft häufig komplexe Reizsituationen
und beinhaltet lexikalische und gedächtnisbezogene Komponenten (Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Sinnesreizen zu verbalen oder kognitiven Symbolen und beim Abruf von Informationen bei Präsentation bekannter Reize).
Klinische Untersuchungen zeigen Läsionen oder Funktionsstörungen in Agnosie-Patienten in inferioren Regionen der
temporalen Assoziationskortizes (▶ Abb. 24.4b). Linksseitige Störungen sind vorwiegend mit Schwierigkeiten der
Wiedererkennung von Sprache assoziiert, und rechtsseitige Störungen haben visuelle Agnosien zur Folge. In Abhängigkeit von Ort und Größe der Schädigung des inferioren
temporalen Assoziationskortex können verschiedene, zum
Teil objektspezifische Agnosien auftreten. Prosopagnosie
(S. 797) ist eine Form der visuellen Agnosie, bei der ein Gesicht zwar als solches, jedoch nicht als das einer bekannten
Person erkannt wird. Diese Patienten können zum Beispiel
ihnen seit Jahren vertraute Personen, wie den Ehepartner,
nicht anhand des Gesichts identifizieren. Bei Befragung geben sie an, das entsprechende Gesicht nicht zu kennen,
und sie erinnern sich nicht an Eigenschaften der zugehörigen Person. Andererseits erkennen sie andere, ihnen be-
dien mit Hilfe der Elektrophysiologie und der nicht invasiven Bildgebung bestätigt worden (▶ Abb. 24.4b). Die kontralaterale Ausprägung ist Ausdruck der kontralateralen
Grundorganisation der sensorischen (S. 723) und motorischen Systeme (S. 848). Auffällig allerdings ist die Ausprägung des kontralateralen Neglektsyndroms vorwiegend bei
Schädigung des rechtsseitigen Parietalkortex. Sie wird
durch eine Lateralisation der Aufmerksamkeitssysteme
(S. 914) erklärt: Bei vorwiegend kontralateraler Anlage der
linksseitigen parietal-kortikalen Aufmerksamkeitssysteme
kann die nicht betroffene rechte Hemisphäre funktionellkompensatorisch wirken, während bei bilateraler Anlage
der rechtsseitigen Systeme diese Kompensation nicht greifen kann.
samkeit) ist ein ausreichender Grad an globaler Wachheit und Aufmerksamkeit, der über das System Hirnstamm-Thalamus-Kortex
(S. 930) reguliert wird.
b
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kannte Objekte wieder und können selbst subtile Unterschiede solcher Objekte differenzieren. Sie sind darüber hinaus in der Lage, bestimmte Personen mit Hilfe anderer
Hinweise, wie zum Beispiel des Klangs der Stimme, der Körpergestalt oder des Geburtsdatums zu identifizieren.
Schädigung des frontalen Assoziationskortex –
vielfältige Veränderungen der Persönlichkeit
Bei Funktionsstörungen des frontalen Assoziationskortex
(▶ Abb. 24.4b) und der präfrontalen kortikalen Areale sind
vielfältige Beeinträchtigungen kognitiver Leistungen bekannt. Sie sind Ausdruck der relativen Ausdehnung des
frontalen Kortex im menschlichen Gehirn und dessen Bedeutung für höhere integrative Funktionen, wie zum Beispiel Handlungsplanung, Antizipation, Problemlösung, Informationsselektion und Steuerung sozialer Interaktionen (der oben geschilderte Fall Phineas Gage veranschaulicht die komplizierte Symptomatik bei Schädigung des
frontalen Kortex). Eine hirnbiologisch spezifische Struktur/
Funktionskorrelation ist demzufolge in den wenigsten Fällen möglich. Ein unrühmliches Beispiel für fehlgeleitete
Korrelationen und resultierende medizinische Praxis ist die
in den 30er- und 40er-Jahren vor allem in den Vereinigten
Staaten von Amerika in Tausenden von Patienten zur Behandlung von Symptomen „geistiger Verwirrtheit“ durchgeführte neurochirurgische Resektion des Frontallappens
bzw. Durchtrennung fronto-thalamischer Bahnen („Lobotomie“, „Leukotomie“). Die Eingriffe hatten vielfältige
hirnorganische Psychosyndrome und Persönlichkeitsveränderungen zur Folge.
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duellen Fällen so ausgeprägt sein kann, dass die Existenz
der Körperhälfte geleugnet wird und sich der Patient zum
Beispiel weigert, diese zu waschen oder zu bekleiden. Die
oft halbseitige Vernachlässigung des eigenen Körpers oder
der Umgebung wird als Neglekt bezeichnet, und die Symptome kollektiv als kontralaterales Neglektsyndrom. Die
Symptome spiegeln eine Reduktion der selektiven Aufmerksamkeit wider, derjenigen Fähigkeit, unter mehreren
Ereignissen nach bestimmten Kriterien auszuwählen und
damit eine wichtige Voraussetzung für die bewusste Wahrnehmung zu schaffen. Die Interpretation dieser klinischen
Befunde, die dem parietalen Assoziationskortex eine entscheidende (allerdings nicht exklusive) Funktion für die selektive Aufmerksamkeit zuerkennt, ist durch vielfältige Stu-
Zusammenfassung Kap. 24.3
Organisation des Cortex cerebri
Der Cortex cerebri (zerebraler Kortex, „Hirnrinde“) wird
nach Brodmann in 52 zytoarchitektonische Areale untergliedert. Die kortikalen Areale sind aus horizontalen Schichten (Laminae) und vertikal zur Oberfläche orientierten
funktionellen Säulen (Kolumnen) aufgebaut. Der Neokortex enthält 6 Schichten (I – VI), die afferenten Hauptzustrom aus dem spezifischen (IV) und unspezifischen Thalamus (I) sowie aus kortikalen Arealen (II–VI) erhalten. Sie
sind efferent mit anderen kortikalen Arealen (II, III), subkortikalen Strukturen (V) und dem Thalamus (VI) verbunden.
Vertikale und weitreichende horizontale kortikale Verbindungen ermöglichen eine zunehmende Extraktion definierter Merkmale von Sinnesreizen. Den Hauptteil der Hirnrinde belegen Assoziationsareale (Assoziationskortizes), die
Wechselwirkungen zwischen den Arealen mit primär sen-
24.4 Kognition versus Emotion
– Das limbische System
24.4.1 Lobus limbicus und PapezKreis – Grundlagen des limbischen
Systemkonzepts
24
890
In einer bereits 1878 veröffentlichten Arbeit bemerkte
der französische Neurologe Paul Broca, dass nahezu alle
Säugetiere an der zur Mittellinie orientierten Oberfläche
des Gehirns eine Gruppe von Arealen besitzen, die in
einer ringförmigen Anordnung untereinander verbunden
zu sein scheinen. An den lateinischen Ausdruck „Limbus“
(Rand, Ring) angelehnt nannte er diese Anordnung Lobus
limbicus (▶ Abb. 24.5a). Wichtige Areale des Lobus limbicus sind der Gyrus cinguli und der Gyrus parahippocampalis mit dem Hippokampus. Broca entwickelte allerdings keinerlei Vorstellungen über die mögliche funktionelle Bedeutung dieser Strukturen, und in der nachfolgenden Zeit wurde deren Funktion primär in Verbindung
mit dem Geruchssinn vermutet. Ab etwa 1930 vermehrten sich jedoch Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den Strukturen des Lobus limbicus und emotionalem Verhalten. Zu dieser Zeit stellte der amerikanische
Neurologe James Papez die Hypothese eines „Emotionssystems“ in Form eines Rückkopplungskreises, des sog.
„Papez-Kreises“, auf (▶ Abb. 24.5b). In diesem Modell
fungiert ein definiertes Areal der Hirnrinde, der Gyrus
cinguli, als das Areal für die Empfindung von Emotionen,
und Rückkopplungen mit dem Hypothalamus vermitteln
die funktionelle Verbindung der emotionalen Empfindung mit der körperlich-vegetativen und hormonell vermittelten emotionalen Reaktion, wie zum Beispiel der
Änderung von Blutdruck und Herzfrequenz bei Schreckreaktionen. Die Rückkopplungsschleife im Papez-Modell
M
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sorischen und motorischen Aufgaben vermitteln. Die Assoziationskortizes stellen demzufolge wichtige Module für integrative, sog. höhere Hirnfunktionen dar. Die integrative
Funktion der Assoziationskortizes zeigt sich an ihrem afferenten Hauptzustrom aus thalamischen Gebieten, die bereits verarbeitete Signale aus dem Kortex erhalten, sowie
einem hohen Grad an kortiko-kortikalen Verbindungen.
Eine lokale Funktionsstörung des Assoziationskortex hat
bestimmte kognitive Defizite zur Folge. Parietale Schädigung führt häufig zu Aufmerksamkeitsdefiziten (z. B. Neglektsyndrom), temporale Schädigung hat Defizite im
(Wieder-)erkennen (z. B. Agnosie) zur Folge, und frontale
Schädigung resultiert in vielfältigen Defiziten der planendvorausschauenden Handlung sowie Änderungen der Persönlichkeit.
beinhaltet efferente Fasern des Hippokampus, die über
den Fornix das Corpus mamillare (eine Struktur des posterioren Hypothalamus) erreichen. Von hier steigt der
Fasciculus mamillothalamicus (Vicq-d’Azyr-Bündel) zu
den Nuclei anteriores thalami auf. Auch Fornixfasern enden in den anterioren thalamischen Kerngebieten. Die
Axone der anterioren Thalamuskerne projizieren zum Gyrus cinguli, von dem die Faserbündel des Cingulum zurück zum Hippokampus führen. Zusammengefasst verbindet diese Rückkopplungsschleife den Neokortex, die
höchste Integrationsstation des Gehirns, mit dem Hypothalamus, der zentralen Region für die Steuerung des vegetativen Nervensystems und des Hormonsystems.
Der Ausgestaltung des Papez-Modells durch den amerikanischen Physiologen Paul MacLean ab etwa 1952 verdanken wir den Begriff „Limbisches System“. Er erkannte
den Zusammenhang zwischen den Elementen des PapezKreises und denen des Broca’schen Lobus limbicus. MacLean popularisierte die Vorstellung, dass dieses limbische
System als integriertes System phylogenetisch alter
Strukturen des Gehirns das viszerale oder emotionale Leben des Individuums bestimmt und damit den phylogenetisch jüngeren, neokortikalen Arealen mit primär kognitiven oder intellektuellen Funktionen gegenübersteht.
Jüngere experimentelle Befunde haben zu einer immensen Erweiterung und Ausgestaltung des limbischen
Systemkonzeptes geführt. Wichtige Strukturen dieses erweiterten limbischen Systems und deren Verschaltung
sind in ▶ Abb. 24.6 schematisch dargestellt. Das Schema
betont zum einen den Ursprung des limbischen Systemkonzeptes, die Papez-Hypothese einer emotionellen Bewertungs- und Motivationsinstanz. Dieser Rückkopplungskreis umfasst den Hypothalamus, die anterioren
thalamischen Kerne, den Gyrus cinguli und führt über
den Hippokampus zurück auf den Hypothalamus. Das
Schema betont zum anderen die immense Ausdehnung
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