Mag. Gerhard Wasner Achtsamkeitspraxis von PsychotherapeutInnen Auswirkungen auf die therapeutische Relationalität in der Integrativen Therapie Master Thesis zur Erlangung des akademischen Grades “Master of Science” im Universitätslehrgang Psychotherapie (Integrative Therapie 1) Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit an der Donau-Universität Krems ACHTSAMKEITSPRAXIS VON PSYCHOTHERAPEUTINNEN AUSWIRKUNGEN AUF DIE THERAPEUTISCHE RELATIONALITÄT IN DER INTEGRATIVEN THERAPIE Master Thesis zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science im Universitätslehrgang Psychotherapie (Integrative Therapie 1) von Mag. Gerhard Wasner, Oberer Plattenweg 61C, 8043 Graz Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit an der Donau-Universität Krems Graz, 12.12.2014 EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich, Mag. Gerhard Wasner, geboren am 11.04.1972 in Leoben erkläre, 1. dass ich meine Master Thesis selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfen bedient habe, 2. dass ich meine Master Thesis bisher weder im In- noch im Ausland in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe, 3. dass ich, falls die Arbeit mein Unternehmen (Klinik, Beratungszentrum…) betrifft, meinen Arbeitgeber über Titel, Form und Inhalt der Master Thesis unterrichtet und sein Einverständnis eingeholt habe. Graz, 12.12.2014 ............................................... ....................................................... Ort, Datum Unterschrift 2 Meiner Familie gewidmet 3 ABSTRACT Die vorliegenden Arbeit geht der Frage nach wie die therapeutische Beziehung durch Achtsamkeitspraxis von PsychotherapeutInnen beeinflusst wird und zwar aus der Sicht der TherapeutInnen. Im theoretischen Teil wird eine Übersicht über die für Achtsamkeit relevanten Konzepte der Integrativen Therapie gegeben, mit einem Fokus auf die Phänomenologie Merleau-Ponty’s. Diese wird der buddhistischen Phänomenologie gegenübergestellt um die Kompatibilität der beiden Meta-Theorien zu diskutieren, sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Bewusstseinsmodellen. Die Entwicklung buddhistischer Psychologie mit den wesentlichen Konzepten und seiner Migration von den Wurzeln in den Westen wird dargelegt um die heutige Minfulness-Bewegung in Relation mit ihren ursprünglichen Wesenszügen setzen zu können. Nach Definitionen des Achtsamkeitsbegriffs aus klassisch buddhistischer und klinisch therapeutischer Sicht werden die zeitgenössischen Implementierungen achtsamkeitsbasierter Behandlungsprogramme vorgestellt, ergänzt um achtsamkeitsinformiertes Herangehen für TherapeutInnen, ergänzt um den aktuellen Forschungsstand zum Thema Achtsamkeit. Der empirische Teil zeigt die Ergebnisse der 8 Experteninterviews mit ihren Implikationen für die therapeutischen Wirkfaktoren, die förderlichen und kritisch zu hinterfragenden Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung, sowie Einflüsse auf Settingfragen, Fragen zu spirituellen Interventionen und Religionsfreiheit ebenso wie Aspekte der Qualitätssicherung. Abschließend werden die Ergebnisse der Interviews, sowie Forschungsansätze und Übersetzungen von Achtsamkeitskonzepten in den klinischen Alltag kritisch diskutiert. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich Achtsamkeitspraxis von PsychotherapeutInnen förderlich auswirkt, sowohl für die therapeutische Beziehung, die KlientInnen als auch für die TherapeutInnen selbst. Stichworte für die Bibliothek: Achtsamkeit, Geistestraining, Meditation, Therapeutische Beziehung, Phänomenologie 4 Inhaltsübersicht 1! Einleitung .......................................................................................... 10! 1.1! Übersicht ........................................................................................................ 10! 1.2! Fragestellung der Arbeit ................................................................................. 11! 2! Theorie .............................................................................................. 12! 2.1! Modelle und Positionen der Integrativen Therapie ......................................... 12! 2.1.1! Intersubjektivitätsprinzip, Ko-Respondenz, Wahrnehmen, Erkenntnis ................................................................................................. 13! 2.1.2! Relationalitätsmodalitäten ......................................................................... 15! 2.1.3! Die Perichorese im Integrationsprozess ................................................... 17! 2.1.4! Wirkfaktoren .............................................................................................. 19! 2.1.5! Phänomenologie ....................................................................................... 21! 2.1.6! Komplexes Bewusstsein ........................................................................... 25! 2.1.7! Komplexe Achtsamkeit.............................................................................. 28! 2.1.8! Verhältnis von Psychotherapie und Spiritualität, Religion, Esoterik .......... 29! 2.2! Buddhismus und Achtsamkeit ........................................................................ 30! 2.2.1! Von den Wurzeln in den Westen............................................................... 30! 2.2.1.1! Wurzeln und Verbreitung des Buddhismus ................................................................... 31! 2.2.1.2! Lehrreden und Große Meister ....................................................................................... 36! 2.2.1.3! Buddhismus und Yoga................................................................................................... 37! 2.2.1.4! Rezeption des Buddhismus im Westen ......................................................................... 39! 2.2.2! Säkularer Buddhismus .............................................................................. 42! 2.2.3! Phänomenologie und Buddhismus ........................................................... 47! 2.2.4! Grundlagen buddhistischer Psychologie – die vier »edlen« Wahrheiten ................................................................................................ 52! 2.2.4.1! Die 1. »edle« Wahrheit vom Leiden............................................................................... 53! 2.2.4.1.1! Die Fünf Daseinsgruppen (skandhas) .................................................................. 53! 2.2.4.2! Die 2. »edle« Wahrheit von den Ursachen des Leidens................................................ 54! 2.2.4.2.1! Die drei Charakteristiken aller Phänomene .......................................................... 54! 2.2.4.2.2! Die unheilsamen Geistesfaktoren (kilesas) .......................................................... 55! 2.2.4.2.3! Karma und Wiedergeburt ..................................................................................... 56! 5 2.2.4.2.4! Die zwölf Glieder des Abhängigen Entstehens .................................................... 58! 2.2.4.3! Die 3. »edle« Wahrheit vom Ende des Leidens............................................................. 58! 2.2.4.4! Die 4. »edle« Wahrheit vom Pfad, der zum Ende des Leidens führt ............................. 60! 2.2.4.4.1! Die heilsamen Geistesfaktoren (sobhana) ........................................................... 60! 2.2.4.4.2! Der Achtfache Pfad .............................................................................................. 61! 2.2.5! Achtsamkeit............................................................................................... 64! 2.2.5.1! Definitionen .................................................................................................................... 64! 2.2.5.2! Achtsame Moment sind ................................................................................................. 67! 2.2.5.3! Klassisches Achtsamkeitstraining – die vier Grundlagen von Achtsamkeit ................... 67! 2.2.5.4! Verortung von Achtsamkeit innerhalb der buddhistischen Psychologie ........................ 71! 2.3! Achtsamkeit und Psychotherapie ................................................................... 72! 2.3.1! Gemeinsamkeiten und Unterschiede ........................................................ 73! 2.3.1.1! Im Tree of Science......................................................................................................... 73! 2.3.1.2! Das Konzept des Selbst ................................................................................................ 74! 2.3.2! Achtsamkeitsbasierte Verfahren für KlientInnen ....................................... 76! 2.3.2.1! Kognitive Verhaltenstherapie ......................................................................................... 76! 2.3.2.1.1! MBSR ................................................................................................................... 76! 2.3.2.1.2! MBCT ................................................................................................................... 77! 2.3.2.1.3! DBT ...................................................................................................................... 79! 2.3.2.1.4! ACT ...................................................................................................................... 80! 2.3.2.2! Achtsamkeit in der Therapie lehren ............................................................................... 83! 2.3.3! Achtsamkeitsforschung und Evidenzen .................................................... 85! 2.3.3.1! Forschungsstand ........................................................................................................... 88! 2.3.3.2! Operationalisierung........................................................................................................ 91! 2.3.3.3! Instrumente zur Messung von Achtsamkeit ................................................................... 91! 2.3.3.4! Neuro-Biologie der Meditation ....................................................................................... 93! 2.3.3.4.1! Kognitive Veränderungen ..................................................................................... 94! 2.3.3.4.2! Autonome Veränderungen ................................................................................... 94! 2.3.3.4.3! Neurobiologische Veränderungen ........................................................................ 94! 2.3.3.4.4! Mitgefühl, Liebende Güte (metta) und Neuroplastizität ........................................ 96! 2.3.3.4.5! Forschungsausblick .............................................................................................. 98! 2.3.4! Achtsamkeitspraxis für TherapeutInnen.................................................... 98! 2.3.4.1! Therapiebeziehung als stärkster Wirkfaktor .................................................................. 99! 2.3.4.2! Achtsamkeit als Training für therapeutische Relationalität .......................................... 100! 2.3.4.3! Behandlung von Depressionen.................................................................................... 104! 3! Empirie ............................................................................................ 108! 3.1! Forschungsfrage .......................................................................................... 108! 3.2! Methodik ....................................................................................................... 108! 6 3.2.1! Datenerhebung ....................................................................................... 108! 3.2.2! Auswertung ............................................................................................. 109! 3.3! Ergebnisse ................................................................................................... 113! 3.3.1! Beschreibung der InterviewpartnerInnen ................................................ 113! 3.3.1.1! Erfahrungshintergrund in der Psychotherapie ............................................................. 113! 3.3.1.2! Inhaltliche Ausrichtungen in der Psychotherapie ......................................................... 114! 3.3.1.3! Erfahrungshintergrund in der Meditationspraxis .......................................................... 114! 3.3.1.4! Inhaltliche Ausrichtungen in der Meditationspraxis...................................................... 115! 3.3.1.5! Arbeitsfelder in der Praxis............................................................................................ 116! 3.3.2! Welche der 14 Wirkfaktoren der IT werden durch Achtsamkeitspraxis gefördert .................................................................. 116! 3.3.2.1! 1. Einfühlendes Verstehen, Mitgefühl, Empathie: ........................................................ 118! 3.3.2.2! 2. Emotionale Annahmen und Stütze, Akzeptanz, Selbstakzeptanz ........................... 119! 3.3.2.3! 7. Förderung leiblicher Bewusstheit, Selbstregulation und psychophysischer Entspannung................................................................................................................ 120! 3.3.2.4! 4. Förderung des emotionalen Ausdrucks und der Willenskraft .................................. 121! 3.3.2.5! 3. Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung .......................................................... 122! 3.3.2.6! 5. Förderung von rationaler Einsicht und Sinnerleben................................................. 123! 3.3.2.7! 6. Förderung von Beziehungsfähigkeit und kommunikativer Kompetenz .................... 123! 3.3.2.8! 8. Förderung von Lernmöglichkeiten, Lernprozessen und Interessen......................... 124! 3.3.2.9! 9. Förderung kreativer Erlebnis- und Gestaltungsmöglichkeiten ................................. 124! 3.3.3! Auswirkungen von Achtsamkeitspraxis auf die therapeutische Beziehung ............................................................................................... 124! 3.3.3.1! Unmittelbare Wahrnehmung ........................................................................................ 126! 3.3.3.2! Vertiefte Beziehung ..................................................................................................... 128! 3.3.3.3! Verringertes Kontrollbedürfnis ..................................................................................... 130! 3.3.3.4! Entspannter Arbeitsmodus .......................................................................................... 131! 3.3.3.5! Angstreduktion ............................................................................................................. 133! 3.3.3.6! Abgrenzungsthematik .................................................................................................. 134! 3.3.3.7! Modellwirkung .............................................................................................................. 136! 3.3.3.8! Verbesserte Defusion .................................................................................................. 137! 3.3.3.9! Retreaterfahrungen...................................................................................................... 138! 3.3.4! Einfluss auf Settingfragen ....................................................................... 140! 3.3.4.1! Finanzielle Unabhängigkeit.......................................................................................... 140! 3.3.4.2! Therapiedauer ............................................................................................................. 142! 3.3.4.3! professionelle Netzwerke............................................................................................. 144! 3.3.5! Religiöse Aspekte ................................................................................... 144! 3.3.5.1! Religionsfreiheit gewährleistet ..................................................................................... 145! 3.3.5.2! Erfahrungsbasiert ........................................................................................................ 147! 7 3.3.5.3! Spiritualität ................................................................................................................... 149! 3.3.6! Übungen mit KlientInnen ......................................................................... 150! 3.3.6.1! Atemmeditation ............................................................................................................ 152! 3.3.6.2! Bodyscan ..................................................................................................................... 153! 3.3.6.3! Defusionstechniken ..................................................................................................... 154! 3.3.6.4! Meditation .................................................................................................................... 155! 3.3.6.5! Buddhistische Techniken ............................................................................................. 156! 3.3.7! Qualitätssicherungsaspekte .................................................................... 157! 3.3.7.1! verbessertes Selbstmanagement ................................................................................ 158! 3.3.7.2! Abgrenzungsthematik .................................................................................................. 159! 3.3.7.3! Meditation als Basisübung ........................................................................................... 159! 4! Diskussion ....................................................................................... 161! 4.1! Ergebnisse ................................................................................................... 161! 4.1.1! Positive Effekte ....................................................................................... 161! 4.1.2! Kritische Aspekte .................................................................................... 163! 4.1.2.1! Spirituelle Interventionen ............................................................................................. 163! 4.1.2.2! Interpretation von »Nicht-Anhaften« ............................................................................ 165! 4.1.2.3! Eigene Bedürfnisse...................................................................................................... 166! 4.1.2.4! Interventionen noch nicht systematisiert...................................................................... 166! 4.1.2.5! Abgrenzung vs. Alles ist verbunden ............................................................................ 167! 4.2! Buddhismus und Psychotherapie ................................................................. 168! 4.2.1! Was zuerst - Meditation oder Therapie? ................................................. 168! 4.2.2! Destination »Nirwana«: Flight cancele .................................................... 170! 4.2.3! Divergenzen im Selbst-Konzept .............................................................. 170! 4.2.4! Kulturelle Sensibilität und Würdigung ..................................................... 171! 4.2.4.1! Entwicklung des Dharma ............................................................................................. 171! 4.2.5! Positionierung der Integrativen Therapie ................................................ 172! 4.2.5.1! Aufeinander zugehen................................................................................................... 172! 4.2.5.2! Bewusstseinsmodelle .................................................................................................. 172! 4.2.5.3! EMBI ............................................................................................................................ 173! 4.2.6! Legitimation der TherapeutInnen im Spannungsfeld zwischen Buddhismus und säkularem therapeutischen Kontext ............................ 174! 4.2.7! Reduktion auf den rationalen Aspekt ist unvollständig und kontraindiziert .......................................................................................... 175! 4.3! Achtsamkeitsforschung ................................................................................ 177! 4.3.1! Methodik.................................................................................................. 177! 8 4.3.2! Ausblick ................................................................................................... 178! 4.4! Fazit ............................................................................................................. 178! 4.4.1! Achtsamkeitspraxis als „Spirituelle Intervention“ oder „wertvolle Grundlage“ und „Beitrag zur Qualitätssicherung“ von Psychotherapie? ..................................................................................... 178! 5! Verzeichnisse .................................................................................. 180! 5.1! Literaturverzeichnis ...................................................................................... 180! 5.2! Abbildungsverzeichnis ................................................................................. 187! 6! Anhang ............................................................................................ 190! 6.1! Profilmatrix – Zitate zu den Codes ............................................................... 190! 6.2! Codesystem mit Originalzitaten ................................................................... 190! 6.3! Profilmatrix – Häufigkeiten ........................................................................... 190! 9 1 Einleitung Die vorliegende Masterthese ist der Fragestellung gewidmet, inwieweit Achtsamkeitspraxis von PsychotherapeutInnen zur klinischen Praxeologie der Integrativen Therapie theoretisch kompatibel und empirisch valide ist. In anderen Bereichen der Psychotherapie ist die Achtsamkeitsmeditation bereits empirisch gut abgesichert, bis hin zu ihrer naturwissenschaftlicher Fundierung. Ist Achtsamkeit eine „spirituelle Intervention“ oder kann sie als säkulare, phänomenologisch verortete Interventionsform auf Seiten der PsychotherapeutInnen zu einer verbesserten therapeutischen Relationalität beitragen? Das Verhältnis von Achtsamkeit im Kontext von Psychotherapie, Religion und Spiritualität wird offen und kritisch reflektiert. 1.1 Übersicht Im ersten Teil wird ein Überblick über Grundpositionen der Integrativen Therapie gegeben, sowie deren Positionierung zum Thema komplexe Achtsamkeit, komplexes Bewusstsein und spirituelle Interventionen. Die Phänomenologie von Merleau-Ponty als eine Leit-Meta-Theorie der Integrativen Therapie wird vorgestellt. Der folgende Abschnitt über Achtsamkeit und Buddhismus gibt eine Verortung im Raum-ZeitKontinuum des untersuchten Gegenstandes und zeichnet die Entwicklungswege der Achtsamkeit zu Grunde liegenden Philosophien von ihren Ursprüngen im alten Indien bis in den heutigen Westen nach. Die säkulare Position Stephen Batchelor dem Buddhismus gegenüber wird ebenso dargelegt, wie die Gegenüberstellung der buddhistischen Phänomenologie mit der Merleau-Ponty’s. Um die im Westen angewandten und empirisch untersuchten Aspekte rund um Achtsamkeit zu ihren Wurzeln und den auf sie bezogenen Konstrukte zuordnen zu können, wird ein Überblick über den Abidhamma, das Kompendium der buddhistischen Psychologie gegeben, welches auch eine Grundlage für die Diskussion darstellt. Schließlich gibt das Kapitel über Achtsamkeit und Psychotherapie Auskunft über klinisch therapeutische Implementierungen und Interventionsformen, sowie deren Beforschung. Im zweiten Teil wird die in dieser Arbeit durchgeführte empirisch qualitative Forschung mit ihren Ergebnissen dargestellt, um im dritten Teil die Diskussion der Ergebnisse anzuschließen, sowie eine achtsamkeitsorientierte Integrative Therapie kritisch weiterzudenken. 1.2 Fragestellung der Arbeit Es soll mit dem empirischen Forschungsteil der Masterthese die Frage beantwortet werden »Inwiefern beeinflusst die Achtsamkeitspraxis von PsychotherapeutInnen die intersubjektive Ko-Respondenz - aus Sicht der PsychotherapeutInnen«. Nicht also Wirksamkeit auf Seiten der KlientInnen nach achtsamkeitsbasierten Interventionen ist der Fokus, sondern der Einfluss auf die therapeutische Relationalität auf TherapeutInnen-Seite durch einen achtsamkeitsinformierten Ansatz. Die abwechselnd gewählte männliche bzw. weibliche Form steht jeweils pars pro toto, wechselt je nach Kontext und stellt keine Bewertung des jeweils anderen Geschlechts dar. 11 2 Theorie 2.1 Modelle und Positionen der Integrativen Therapie "Integrative Therapie ist als Methode wissenschaftlicher Psychotherapie ein psychotherapeutischer Ansatz, der auf die wissenschaftlichen Grundlagen integrativer Therapietheorien und Methodik rekurriert. Es handelt sich hierbei um ein interaktionales, therapeutisches Verfahren, das neben dem verbalen Austausch auch Ansätze nonverbaler Kommunikation, sowie kreative Methoden, Techniken und Medien mit einbezieht. Das Ziel ist Heilungsprozesse bei psychischen, psychosomatischen und psychosozialen Erkrankungen in Gang zu setzen, Besserungen von seelischen Leidenszuständen zu erwirken, sowie Beseitigung von Krankheitssymptomen zu erreichen. Die Neuorganisation des Denkens, Erlebens und Verhaltens des Patienten wird mittels therapeutischen Kontakts, Begegnung und Beziehung unter Bearbeitung aktueller Lebensprobleme, Netzwerksituationen sowie unbewusster Konflikte erreicht, wobei einer sorgfältigen Handhabung der Gegenübertragung besondere Bedeutung zukommt.“ (Leitner, 2010) Der Weg der Integrativen Therapie war schon immer eine fundierte Theorie, kreative Behandlungsmethodik, eine wertschätzende Grundhaltung, solide Ausbildung von PsychotherapeutInnen, Qualitätskontrolle durch Ausbildungsforschung und durch empirische Wirksamkeitsstudien. Petzold (2002b) formuliert folgende Prämissen für diesen Ansatz: „Eine differentielle und integrative therapeutische Arbeit mit Menschen in kurativer, gesundheitsfördernder, persönlichkeitsentwickelnder und kulturkritischer Zielsetzung und Absicht erfordert eine vierfache Fundierung: 1. Fundierung durch den ernsthaften Willen, sich für Menschen mit diesen Zielsetzungen zu engagieren; 2. Absicherung durch Grundpositionen fachlich zu solide ausgearbeitete Erkenntnistheorie, philosophische Anthropologie, Ethik, Gesellschaftstheorie; 3. Fundierung durch kontinuierlichen Bezug auf aktuelle Ergebnisse empirischer Forschung aus den klinisch relevanten Referenzwissenschaften (z. B. Psychotherapieforschung, Biologie, Neurosciences, Psychologie, Soziologie); 12 4. Legitimation durch die Bereitschaft, die eigenen Positionen durch Forschung und den fachlichen Diskurs der „scientific and professional community“ überprüfen und diskutieren zu lassen, um die aufgrund solcher Polyloge erforderlichen Revisionen vorzunehmen.“ Wenn schon nicht Revisionen, so sind manchmal zumindest Inklusionen von angrenzenden und mit dem IT Tree of Science kompatiblen Disziplinen erforderlich, auch wenn das Sprachspiel ein anderes sein mag, als es jenes der Integrativen Therapie ist. Das Sprachspiel der buddhistischen Psychologie ist ein solches, wie gezeigt werden kann, auf konzeptueller und phänomenologischer Ebene kompatibles. Das hohe Interesse in den letzten Jahren an der neurobiologischen, evidenzbasierten, Erforschung von meditativen Zuständen (Hanson, 2010; Hilbrecht, 2010; Siegel, 2007; Lutz, Dunne & Davidson 2007; Singer, 2008) bezieht sich u.a. auf die oben genannte 3. Prämisse. 2.1.1 Intersubjektivitätsprinzip, Ko-Respondenz, Wahrnehmen, Erkenntnis Wenn wir uns die Frage stellen, wie denn die Erkenntnis von „Welt“ entsteht, seien es die kranken Welten oder, wie es Ziele des therapeutischen Prozesses sein soll, gesunde Welten, so positioniert sich die Integrative Therapie im Rahmen ihrer erkenntnistheoretischen Ausrichtung (Metatheorien des „Tree of science“) zum einen phänomenologisch-struktural – im Sinne von Merleau-Ponty – und (tiefen)hermeneutisch – im Sinne von Paul Ricoer. Das bedeutet, die menschliche Erkenntnis ist sozialkonstruktivistisch, im Rahmen komplexer sozialer Interaktionsprozesse, zwischen erkennenden Subjekten, also dem Prinzip der Intersubjektivität folgend, im Verlauf des Lebenskontinuums und den jeweiligen Lebenskontexten konstruiert und konstituiert. Eine Wechselwirkung von Erkennenden und Erkannten, dem Prozess der Ko-Respondenz. Merleau-Ponty’s Ausrichtung legt den Erkenntnisprozess „vom Leibe her, Sinn aus den Sinnen schöpfend“. Damit ist eine Erkenntnisweise dargelegt, die sich primär auf die biologischen und sozialen Wahrnehmungsfunktionen des Menschen beziehen. Was die Frage nach der „Wahrheit der Wirklichkeit“ (Petzold, S404) aufwirft. 13 Die Antworten auf diese Fragen werden im Rahmen der intersubjektiven Ko-Respondenz in der IT über zwei Wege entwickelt: Zum einem ist da der Weg „Von den Phänomenen (Symptomen, Verhaltensweisen) zu den Strukturen (dahinterstehend, biographisch determiniert) zu den Entwürfen (Weiterführung biografischer Strukturen)“, zum anderen der Weg „von der Ko-Respondenz zum Konsens, zu Konzepten, zu einer Kooperation“. Dabei ist es wichtig, dass Erkenntnis nicht ohne „Erkenntnisinteressen“ im Sinne Habermas geschieht, sondern unter Wahrung der Integrität der Beteiligten geschehen muss - zur geteilten Wirklichkeit werdend. Dies führt zu einer Erweiterung der Phänomenologie um eine Tiefenhermeneutik des Subjekts und der Gesellschaft „vom Leibe her, vom Bewusstsein, von der Sozialität her“ (Petzold, 1992a, 2003a). Abbildung 1: Die hermeneutische Spirale: Wahrnehmen, Erfassen, Verstehen, Erklären und ihre metahermeneutische Überschreitung des Erklärens durch: Diskursanalyse, Dekonstruktion, transversale Mehrebenenreflexion (Petzold, 2003) Die zentrale Annahme des integrativen Menschenbildes ist also, dass wir uns als Menschen nur im Kontext der Sozialität entwickeln können. Wir werden nur Mensch durch den Mitmenschen. Alles Leben ist Kommunikation. Durch das „Du und Ich“ entsteht ein „Wir“. „Subjektivität ist dann immer intersubjektiv gegründet. … [die] Subjekt-Subjekt-Beziehung wird daher zur Grundlage der intersubjektiven KoRespondenzen und ist ein durchgreifendes Leitkonzept der Integrativen Therapie“ (Leitner, 2010, S. 188). 14 Ko-Respondenz ist in der IT sowohl ein Prinzip als auch Methode für Erkenntnis. Das „Ko“ deutet darauf hin, dass wir andere Mit-Subjekte benötigen um zu Erkenntnis und deren Integration in die Persönlichkeit zu gelangen. Dieses Prinzip kommt in jeder menschlichen Interaktion zum Tragen, in unserem Fall speziell in der Praxeologie der therapeutischen/behandlerischen Beziehungen. Der Therapeut muss in der Lage sein, je nach Situation den Kontakt mit dem Patienten, die Begegnungen und die therapeutische Arbeitsbeziehung unter Berücksichtigung der Komplexität des Therapiekontextes, zu gestalten. Dabei ist es wichtig, dass die Therapeutin die Intersubjektivität der Interventionen so steuern kann, dass es dem Klienten die Freiheit und Selbstregulation ermöglicht um die Selbstkonstituierung des Subjekts zu fördern. Es geht dabei um einen wechselseitigen Austausch dessen was gerade anfällt, im Hier und Jetzt der Therapiesituation. Was ist in der Präsenz der Gegenwart gerade Thema? Ein Thema der Klientin, ein Thema bezogen auf die Beziehung zwischen Therapeutin und Klient? Abbildung 2: Dimensionen der Relationalität (Petzold, 2003) 2.1.2 Relationalitätsmodalitäten Als Menschen sind wir mit einer grundlegenden Begegnungs- und Beziehungsfähigkeit ausgestattet, die im Sozialisationsprozess entwickelt und 15 entfaltet werden muss. Da Therapeuten immer auch mit gestörten Formen von Begegnungs- und Beziehungsfähigkeit konfrontiert sind, soll hier ein Überblick über mögliche Formen der Relationalität gegeben werden um im Behandlungsprozess besser entscheiden zu können, auf welcher Ebene korrektiv angesetzt werden kann. • Konfluenz - Verschmelzung mit dem Mutterleib und der Welt „Die vorgeburtliche Verschmelzung mit dem Mutterleib. „Konfluenz ist die unabgegrenzte Daseinsform des Menschen, das Verschmolzensein in totaler Koexistenz, wie sie einerseits in ihrer originären Form die Embryonalzeit kennzeichnet, in der die Flut der Propriozeptionen und Exterozeptionen noch nicht durch differenzierende Wahrnehmung strukturiert wird, die das eigene vom anderen scheidet, und wie sie andererseits in Ganzheits- und Verschmelzungserfahrungen positiver und pathologischer Art von Erwachsenen erlebt werden kann“ (Petzold, 2003, S. 794). • Kontakt – der Mensch berührt mit seinen Sinnen die Welt „Kontakt ist im wesentlichen ein Prozess leiblich konkreter, differenzierender Wahrnehmung, der das Eigene von Fremdem scheidet, die Dinge der Welt unterscheidet und durch die Stabilisierung einer Innen-Außen-Differenz die Grundlage der Identität schafft“ (Petzold, 2003, S. 794). • Begegnung – Der Mensch erkennt sein Gegenüber „Begegnung ist ein wechselseitiges empathisches Erfassen im Hier und Jetzt geteilter Gegenwart, bei dem die Begegnenden im frei entschiedenen Aufeinanderzugehen ganzheitlich und zeitübergreifend ein Stück ihrer Geschichte und ihrer Zukunft aufnehmen und in einen leiblichen (d.h. körperlich-seelischgeistigen) Austausch treten, eine Berührtheit, die ihre ganze Subjekthaftigkeit einbezieht. Begegnung ist also ein Vorgang, in dem sich Intersubjektivität lebendig und leibhaftig realisiert“ (Petzold, 2003, S. 795) • Beziehung – entsteht durch vertiefte Begegnungen „Beziehung ist in die Dauer getragene Begegnung, eine Kette von Begegnungen, die neben gemeinsamer Zukunftsperspektive Geschichte einschließt, weil die und frei geteilter Gegenwart entschiedene eine Bereitschaft vorhanden ist, Lebenszeit miteinander in verläßlicher Bezogenheit zu leben“ (Petzold, 2003, S. 796). 16 • Bindung – Mit Treue vertiefte Beziehung in Zeit und Qualität „Bindung entsteht durch die Entscheidung, seine Freiheit zugunsten einer freigewählten Gebundenheit einzuschränken und eine bestehende Beziehung durch Treue, Hingabe und Leidensbereitschaft mit der Qualität der Unverbrüchlichkeit auszustatten“ (Petzold, 2003, S. 797). Die Entwicklung der Relationalitätsmodalitäten entwicklungspsychologischer Prozess der auch ist ein Störungen und lebenslanger schädliche Entwicklungen annehmen kann wie z.B. maligne Abhängigkeit und Hörigkeit. Daher kommt der Entwicklung therapeutischer Relationalität besonderes Augenmerk zu. 2.1.3 Die Perichorese im Integrationsprozess „Die Geschichte der Wissenschaft ist reich an Beispielen dafür, wie fruchtbar es ist, zwei Sätze an Techniken, zwei Sätze an Ideen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen im Streben nach neuer Wahrheit entwickelt wurden, miteinander in Berührung zu bringen“ (Oppenheimer, J.R., zit. nach Hanson et al. 2010, S. 22) Methodenintegration im Sinne der Integrativen Therapie ist dann zulässig, wenn die zu Grunde liegenden Konzepte strukturell zueinander kompatibel sind und sich in den „Tree of Science“ (Petzold, Petzold) eingliedern lassen. Dieser ist ein formales Modell, eine metahermeneutische Folie, um systematische Reflexion, Diskussion und - wo immer notwendig und möglich Psychotherapie zu ermöglichen. forschungsgestütze Erweiterung von Die Möglichkeit der Integration achtsamkeitsbasierter Behandlungstechniken in das Verfahren der Integrativen Therapie sei hier argumentiert: Da wir Menschen, und das war Aristoteles bereits bewusst, an die Gemeinschaft gebunden sind – wir sind zoon politicon, sind wir Sozialisationsprozessen unterworfen, eine komplexe Vielzahl an Internalisations-, Identifizierungs- und Integrationsprozessen gestaltet uns, unseren Geist, unser Denken, Fühlen, Bewerten: „Mensch wird man durch Mitmenschen“ (Petzold, 1996, S. 385-392). Integration (von lat. Integer = ganz, vollständig, unverletzt) bedeutet – allgemein gesehen -, das Zusammenfassen unterschiedlicher oder auch gegensätzlicher Elemente zu einem übergeordneten Ganzen bzw. das Lösen 17 von Aufgaben auf einer höheren Strukturebene durch Prozesse, in denen sinnvolle Verbindungen und konsistente Vernetzungen geschehen. … Dies geschieht in einer Art und Weise, dass Einzelfakten sich zu übergeordneten Zusammenhängen verbinden, die oftmals die etablierten Grenzen überschreiten und die Qualität eines Neuen haben. Dieses Neue macht wiederum Akte der Differenzierung, Integration und Kreation möglich – eine spiralige Fortbewegung, die beständig neue Zusammenfügungen schafft, neue Formen gebiert und genau in diesem Geschehen Sinn und Freiheit aufleuchten lässt. Sinn läßt sich hier als horizontaler Sinn bestimmen, als das, was Zusammenhänge schafft und Einzelphänomene, die am Horizont des Bewußtseins auf der „Lichtung“ auftauchen, zusammenbindet. So können Bedeutungen gewonnen, für den Menschen Orientierungen möglich werden, Richtungen (sens) und Ordnungen entstehen, an deren Rändern und in deren Zeitigung allerdings Bewegungen sich ankündigen und erkennbar werden. Diese Bewegungen verweisen auf einen vertikalen Sinn in einem noch nicht durch horizontale Strukturen geordneten Freiraum, ein kreatives Chaos vielleicht, das aber nicht sinn-los ist, sondern schöpferische Matrix aller möglichen Ordnungen und allen Sinnes. Hier liegt der ultimative Ort der Freiheit, die ihrem Wesen nach das Schöpferische ist und sich nur in Freiräumen artikulieren kann. … Dies alles kann in uns eine unbändige Sehnsucht nach Überschreitung wecken und einen Impetus, nach Erfüllung dieser Sehnsucht zu suchen – ein Leben lang -, denn nur in der schöpferischen Überschreitung liegt Freiheit. (Petzold, 1970c) Die kompakte Definition ist hier bewusst fast vollständig wiedergegeben, da sie alle notwendigen Argumente für Integrationsprozesse in der Entwicklung von Therapiemethoden einschließt. Liest man den Text nämlich nicht mit dem Fokus „schöpferische Integration im Menschen“, sondern, angewandt auf die Integrative Therapie selbst, als „schöpferische Integration in der Entwicklung der Integrativen Therapie“, also Teil einer Perichorese – einer umfassenden Durchdringung - so soll es Ziel der vorliegenden Arbeit sein „neue Richtungen und Ordnungen, neuen Sinn“ innerhalb der IT zu erschließen, spiralförmig, mit „horizontaler“ Kreativität, in Freiheit. So ist dies ein Beitrag die „etablierten Grenzen“ der IT zu überschreiten und Elemente, die zwar aus einem anderen Kulturkreis stammen, jedoch strukturell kompatibel sind, mit noch unbekannten Sprachspielen, „sinnvoll zu verbinden“ um 18 ein „Neues“ - innerhalb der IT - zu schaffen, das wiederum „Akte der Differenzierung, Integration und Kreation“ möglich macht. Die IT ist im Umfeld der französischen Philosophie der 1960er und 1970er entstanden, weil sich ihr Begründer zu dieser Zeit an diesem Ort aufgehalten hat und diese Denkweisen integrierte. So befindet sich der Autor dieser Arbeit in einer anderen Zeit an einem anderen Ort und integriert andere Denk- und Seinsweisen. Petzold (1996) weist auch darauf hin, dass es bei immer komplexer werdenden wissenschaftlichen Erkenntnissen notwendig werden könnte eine „Wissenschaftsethik“ - eine „Ethik des Integrierens“ einzuführen. Bewertungen zu schaffen, welcher Integrationsprozess zu wie viel Komplexitätsproduktion führt und ob es nicht darum gehen müsste auf Komplexitätsproduktion zu verzichten. Nun ist Achtsamkeitsmeditation von ihrem Wesen her ein Verfahren, ein Herangehen, das die Komplexität nicht erhöht, sondern per se reduziert, auf das Gewahrsein des Augenblicks, die Akzeptanz dessen was jetzt gerade ist. Und zwar auf einer nichtkonzeptuellen, nicht-sprachlichen Ebene. An welchen Stellen lässt sich nun Achtsamkeitsmeditation in die Integrative Therapie integrieren? Um diese Frage zu beantworten müssen wir differenzieren: Wer ist der Fokus von Achtsamkeitsmeditation? der Klient oder die Therapeutin? Wenngleich die Methode für beide Personenkreise erwiesenermaßen sinnvoll eingesetzt werden kann, gilt der Fokus des empirischen Teils der Achtsamkeitspraxis der Therapeutin. Das wird im folgenden deutlich, wenn wir uns der Frage widmen: Was macht eigentlich gute Therapie aus, welche Wirkfaktoren beeinflussen den Heilungserfolg? 2.1.4 Wirkfaktoren Aus Auswertungen von 120 Therapiestudien der Jahre 1973-1990 für die Bereiche psychodynamisch orientierter Psychotherapie, Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Psychodrama und nonverbaler- sowie kreativer Therapieverfahren konnte Petzold (1992a, 2003a) unspezifische Wirkfaktoren (Main factors) herausarbeiten, welche in Ergänzung mit IT-spezifischen Faktoren zu den 14 Therapeutischen Wirkfaktoren zusammengeführt wurden: 1. Einfühlendes Verstehen, Empathie Mitgefühl, Empathie, Takt, Wertschätzung, Patient fühlt sich „so gesehen wie er ist“ 19 2. Emotionale Annahme und Stütze Akzeptanz, Entlastung, Trost, Ermutigung. Förderung positiver Gefühle und Gedanken beim Patienten wie: Selbstwertgefühl, Selbstsicherheit, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen. 3. Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung „Erschließung von Ressourcen, Rat und tätige Hilfe bei der Bewältigung von Problemen“ (Petzold, 2003, S. 746). 4. Förderung des emotionalen Ausdrucks und der Willenskraft Zeigen von Gefühlen, Sprechen über Gefühle 5. Förderung von rationaler Einsicht und Sinnerleben in Problemzusammenhänge und Krankheitsbedingungen – dies funktioniert unabhängig vom Erklärungsmodell und bedient das menschliche Bedürfnisse nach Kausalzusammenhängen, oder dem nach einer »kohärenten Geschichte« (Kahnemann, 2011). 6. Förderung von Beziehungsfähigkeit und kommunikativer Kompetenz 7. Förderung leiblicher Bewusstheit, Selbstregulation und psychophysischer Entspannung Awareness, »mindfulness«, »fehlt sense«, Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit 8. Förderung von Lernmöglichkeiten, Lernprozessen und Interessen 9. Förderung kreativer Erlebnis- und Gestaltungsmöglichkeiten 10. Erarbeitung von positiven Zukunftsperspektiven Aufbau und Stärkung von Hoffnungen, Plänen und Zielen 11. Förderung eines positiven Wertebezugs 12. Förderung von prägnantem Selbst- und Identitätserlebens, sowie Souveränität 13. Förderung tragfähiger sozialer Netzwerke 14. Ermöglichen von Solidaritätserfahrungen Auch in der Zusammenschau der Psychotherapieforschung der letzten Jahre (Berns zit. nach Galuska, 2004, S. 259) zeigen sich: zu den wichtigsten allgemeinen Wirkfaktoren zählen • Arbeitsbündnis, • Therapeutenpersönlichkeit, 20 • die Beziehungsgestaltung sowie • die Persönlichkeitsbildung des Therapeuten und • die Allegianz – also die Überzeugung des Therapeuten von der Wirksamkeit seines Psychotherapieverfahrens. Um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Wirkungen von Therapieansätzen zu untersuchen, hat die »Berner Therapievergleichsstudie« (Grawe, 1990, zit. nach Petzold, 2003, S. 752) vier Behandlungsansätze prozessanalytisch untersucht und dabei folgende vier Heuristiken herausgearbeitet: • Emotionsverarbeitung • Kognitive Verarbeitung/reflektierende Abstraktion/Erarbeitung neuen Bewusstseins • Kompetenzerweiterung • Beziehungsgestaltung 2.1.5 Phänomenologie Die Phänomenologie des Franzosen Maurice Merleau-Ponty in diesem kurzen Kapitel vollständig und für jede Leserschaft verständlich darzulegen ist schlicht nicht möglich. Es sollen hier fragmentarisch wesentliche Kernaussagen herausgehoben werden um die Phänomenologie im Kontrast zu den beiden Wissenschaftsdisziplinen Empirismus und Idealismus zu stellen, die auch versuchen die menschliche Erkenntnis der Welt zu erklären. Durch diese Kontrastierung soll die Gegenüberstellung einer für die Integrative Therapie zentralen Philosophie mit Metatheorien der buddhistischen Philosophie und Praxis der Achtsamkeit ermöglicht werden. Die folgenden Überlegungen basieren auf der Argumentationslinien von Wenke (2010). Merleau-Ponty betont wie Husserl, dass die Phänomenologie dazu da ist, die verdinglichenden Gewohnheiten unseres Verstandes aufzudecken und diese einer Revision zuzuführen. Ausgangspunkt dafür ist die universale Erfahrung der Existenz, die nicht rein auf den Geist oder das Bewusstsein zurückgeht. Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir niemals ein „reiner, reflektierender Geist sind, der das Sein transparent durchdringt“ (Merleau-Ponty, 1966, S. 46). Wir sind eben immer ein 21 wahrnehmendes und interpretierendes, in Raum, Zeit und Sozialität verortetes LeibSubjekt. Zugleich bin ich sehender und sichtbarer Leib, bin seiner sich selbst bewusster Leib und zugleich nehme ich ihn als Ding in der Welt wahr, wie Wenke (2010) anmerkt. Diese Doppelfunktion nennt Merleau-Ponty Zur-Welt-sein und Inder-Welt-sein. Welt entsteht nicht aus einem freischwebenden Bewusstsein heraus, sondern erst in der Interaktion unserer Sinne mit den Objekten der Welt. „Ein Phänomen löst ein anderes aus, nicht durch ein objektives Wirkungsverhältnis, wie es Naturvorkommnisse verknüpft, sondern durch den Sinn, den es darbietet: ein eigentümlicher Seinsgrund, gleichsam ein tätiger Grund, orientiert den Fluß der Phänomene, ohne in irgendeinem für sich genommen explizit gesetzt bzw. setzbar zu sein“ (Merleau-Ponty, 1966, S. 73). Das Gewicht eines Objektes können wir erst beim Versuch es zu heben erfahren. Im Laufe unserer Sozialisation lernen wir die „Gegebenheiten“ der Welt über die Verkettung von unzähligen Sinneserfahrungen, so z.B. dass Steine von gleicher Größe wie Pölster schwerer sind. Was bei den Objekten der dinglich konkreten Außenwelt nachvollziehbar erscheint, fällt uns mit den Objekten unseres Geistes schon schwerer. Für unsere Vorhaben ist es jedoch essentiell zu erkennen: „Das Wesen des Bewußtseins ist es, sich eine Welt oder Welten zu geben, d.h. vor sich selbst seine eigenen Gedanken sein zu lassen wie Dinge...“ (Merleau-Ponty, 1966, S. 158). Dabei betont er, dass unsere Gedanken, Gefühle, unsere Geistesbewegungen – und damit auch jede Wissenschaft - auf die erste und nicht weiter reduzierbare Erfahrung von Welt zurückgehen müsse. Dabei greifen wir nicht auf isolierte Sinnesreize zu, sondern kommen, wie Tiere auch, mit einer Art Vorkonfiguration von sinnvollen Sinneszusammenhängen auf die Welt. Auch Erkenntnisse aus der Säuglingsforschung zeigen, dass wir nicht auf einzelne physikalische Reize reagieren, sondern die Sinne über die kreuzmodale Wahrnehmung von vornherein ein sinnhaft geformtes Ganzes bilden. Die Tatsache unserer Existenz bedingt schon ein Zur-Welt-sein. Das In-der-Welt-sein bedarf nun wieder der phänomenologischen Reduktion, dem sich bewusst werden, dass es keine Natur an sich gibt, im Sinne einer Idee von objektivierbarer Natur, es gibt ausschließlich das dem Subjekt wirklich Erscheinende, die phänomenale Natur die wir um uns und in der wir uns erleben. Oder mit den Worten Husserls: „Existenz einer Natur kann Existenz von Bewußtsein nicht bedingen, da sie sich ja selbst als Bewußtseinskorrelat herausstellt“ (Husserl 1985, S. 193). „Ich bin kein »Lebewesen«, sogar kein »Mensch«, nicht einmal ein 22 »Bewußtsein« [...] – ich bin vielmehr absoluter Ursprung, und meine Existenz geht nicht [...] hervor aus meiner physischen und sozialen Umwelt, sie geht vielmehr auf diese hin zu und gibt ihr den Seinsgrund erst“ (Merleau-Ponty, zit. nach Wenke, 2010). Jedes Wort, jeder von uns mit Bedeutung und Sinn versehe Satz, jeder Gedanke, jede wissenschaftliche Theorie, jede mystische Erfahrung, ist ein weiteres Phänomen unseres empfindenden Geistes, eine Erscheinung-für-mich, aber nicht ein Ding-an-sich. Ein weiteres Ziel der phänomenologischen Analyse soll sein, „mit der Kenntnis psychologischer und physiologischer Erscheinungen zu der Erkenntnis seelischen Geschehens als eines unserer Existenz inhärenten Lebensvorganges vorzudringen“ (ebd., S. 113). Damit wird auch deutlich, dass die Trennungen von Geist und Materie, von Körper und Seele als überholt betrachtet werden muss. Demnach gelte es, „phänomenologische Humanwissenschaften aus der Sicht der Ersten Person zu etablieren“ (first-person-perspective), die Leib, Mitmenschen, Gesellschaft und Welt in der Weise beschreiben, wie sie vom Subjekt erfahren werden. Denn Wissenschaften, welche Subjekte nur von außen in abstrakten Begriffsstrukturen aus der Perspektive der Dritten Person betrachten (third-personperspective), „werden der menschlichen Wirklichkeit nicht gerecht“ (Wenke, 2010, S. 50). Damit lässt sich auch eine Abgrenzung zum Idealismus vornehmen, es gibt dabei kein absolutes, reines Bewußtsein, keine kognitive Theorie des »Für-sich«, kein Subjekt, das die Welt vollständig in sich selbst erzeugt. Ebenso wenig wie es eine vollständig vorhandene, objektive Welt »An-sich« geben kann, wie der Empirismus für sich behauptet. In der Phänomenologie können wir damit jene Widersprüche auflösen, die sich aus diesen beiden Wissenschaftstraditionen ergeben. Nämlich zum einen das als Solipsismus Problem bekannte Phänomen, dass es bei einem idealistisch absoluten Bewußtsein, das allein seine Welt konstituiert, keinen Anderen geben dürfte. Denn „wie kann ich, der Wahrnehmende, und eben mich als universales Subjekt Behauptende, einen Anderen wahrnehmen, der mich er ipso dieser Universalität beraubt?“ (Merleau-Ponty, 1966, S. 412). Wie Wenke (2010) weiter ausführt, bedeutet das Auftauchen eines Anderen, der ebenso über ein absolutes Bewusstsein verfügt das die Welt erzeugt, dass es entweder zwei Welten geben muss, oder der Andere ebenfalls nur eine Produktion meines Bewusstseins ist. Wäre dem so, müsste mir sein Geist in der gleichen Weise zugänglich sein, wie mein eigener. Das führt zum zweiten Problem eines Idealismus: 23 „Die Welt wäre für ein sie erzeugendes Bewußtsein weder unbestimmt noch unendlicher Horizont“ (Wenke, 2010, S. 52). Denn „wären wir je nichts als Bewußtsein, so müßten die Welt, unsere Geschichte und die Wahrnehmungsgegenstände in ihrer Einzigartigkeit sich vor uns ausbreiten in einem System durchsichtiger Bezüge“ (Merleau-Ponty, 1966, S. 87). Unsere phänomenale Erfahrung der Welt ist aber keine vollständig konstruierte und durch ein neutrales Subjekt konstituierte Welt, die sich sukzessive aus Sinnesdaten zusammensetzt, welche in unserem Nervensystem miteinander in Beziehung gesetzt werden, wie es die konstruktivistische Theorie nahelegt, sondern vielmehr ein kontinuierlicher, sich ständig verändernder Strom aus Erfahrungen und Empfindungen in Kommunikation mit einem „unendlichen Individuum“ (Wenke, 2010), zwischen sich „verschiebenden Horizonten“ (ebd.). Daher ist nach Merleau-Ponty (1966) die Welt zu beschreiben, nicht zu konstruieren oder zu konstituieren und Bewußtsein ist immer nur Bewußtsein eines Gegenstandes. Der Empirismus stellt uns mit der Annahme von hierarchisch auf einander aufbauenden Elementen (Teilchen, Atome, Lichtquanten, Sinnesdaten), von niederen zu höheren Stufen hin emergierenden Strukturen, vor ein weiteres Problem: Wie lässt sich die „Ursprünglichkeit vollständiger Phänomene“ (Wenke, 2010), von Ganzheiten, von Figur-Grund-Relationen erklären? Selbst solch kleinste, elementare Teilchen und die sie miteinander verbindenden Kräfte und in Folge die Wirkung von Reizen auf unseren Körper, sind nichts weiter als ein Produkt unserer natürlichen Wahrnehmung und Geistestätigkeit, „bloß eine – sehr natürliche – Täuschung, die sie uns an den Anfang setzen und aller Erkenntnis vorgängig glauben läßt“ (MerleauPonty, 1966, S. 59). Sinnesdaten sind daher ebenfalls nur vorgestellte Konstrukte, besonders winzige Ganzheiten, so wie immer nur Ganzheiten unserer Wahrnehmung zu Grunde liegen. Daher können keine solche Ganzheiten aus anderen Ganzheiten abgeleitet werden oder daraus hervorgehen. Ein Mensch, der sich phänomenologisch begreift, kann, da es nichts gibt, das nicht in unserem Bewusstsein wäre, auch nicht von Zufällen überrascht werden, oder sich an vermeintlich nicht mit den Naturgesetzen konformen Erscheinungen stoßen, noch Angst vor dem Verschluckt-Werden in schwarzen Löchern fürchten. Wir Subjekte in Existenz und Koexistenz verleihen jeglicher Erfahrung Ordnung und Sinn: „Zur Welt seiend sind wir verurteilt zum Sinn“ (Merleau-Ponty, 1966, S. 16). 24 Nach Merleau-Ponty (1966) ist demnach jedes Bewusstsein durch Empfindung gegründet, daher kann es auch kein »erweitertes« Bewusstsein geben, das der Empfindung etwas hinzufügt oder dieses in ihrer Leistung übersteigt. Bewusstsein ist immer subjektiv und perspektivisch, ist universaler Erkenntnisursprung. Es gibt auch keine Transzendenz jenseits des Bewusstseins, denn Bewusstsein ist nach MerleauPonty „aktives Transzendieren“, es ist gewissermaßen sein Wesen über sich selbst hinaus zu sein. Eine transzendente Welt „ist es nur durch mich. Die Welt gehört zu mir wie ich selbst zu mir gehöre“ (Wenke, 2010, S. 73). In Bezug auf die Meditation führt Merleau-Ponty (1966) aus, dass das meditierende Subjekt nie mit dem Gegenstand seiner Meditation verschmelzen kann um so sein Wissen zu erweitern, indem er sich ins Sein selbst auflöst; Der Irrtum der Reflexionsphilosophie ist der Glaube, das meditierende Subjekt vermöge seinerseits den Gegenstand seiner Meditation gänzlich zu absorbieren... Doch nie sind wir als Meditierende das unreflektierte Subjekt, das wir zu kennen suchen; und ebenso wenig vermögen wir je gänzlich Bewusstsein zu werden, uns ganz auf das transzendentale Bewusstsein zu reduzieren. Wären wir je nichts als Bewusstsein, so müssten die Welt, unsere Geschichte und die Wahrnehmungsgegenstände in ihrer Einzigartigkeit sich vor uns ausbreiten in einem System durchsichtiger Bezüge. (Merleau-Ponty, 1966, S. 87) 2.1.6 Komplexes Bewusstsein Die Integrative Therapie versteht Bewusstsein im Sinne eines mehrperspektivischen hermeneutischen Ansatzes. Der Begriff selbst hat, je nachdem welche Wissenschaftsdomäne sich auf ihn bezieht, unterschiedliche Konnotationen. Die „Heterogenität der Diskurse“ (Lyotard, zit. nach Petzold, 2003, S. 215) führt dazu, dass es keine einheitliche Definition des Begriffs »Bewusstsein« geben kann. Die philosophische, theologische, neurowissenschaftliche, klinisch-psychologische Herangehensweisen gehen von unterschiedlichen Wissenschaftsparadigmen aus, mit denen auch unterschiedliche Erkenntnisweisen verbunden sind. Reichtum entsteht aus einem nebeneinander stehen lassen können dieser Unterschiede. Die Ergebnisse der neurowissenschaftlichen Forschungsdiskurse zeigen ebenfalls auf, dass ein Bewusstseinskonzept nicht eindimensional konstruiert werden kann. Ein Ergebnis eines solchen Prozesses ist das Perzeptions-Halluzinations-MeditationsKontinuum 25 Abbildung 3: Perzeptions-Halluzinations-Meditations-Kontinuum-Modell (Petzold, 2003, Fisher, 1974) Durch die Integration der Herangehensweisen zum Themenfeld Bewusstsein legt Petzold ein Modell des Bewusstseinsspektrums vor, das sich von den „,Tiefen und Dunkelheiten’ des Unbewussten (UBW) ... bis zu den transperzeptiven, transreflexiven ... ‚Höhen und Lichträumen’ ... des Nichts-Bewussten (NBW)“ (Petzold, 2003, S. 255) erstreckt. Petzold weist das Unbewusste dem Merleau- Ponty’schen »Fleisch der Welt«, dem ungestalteten Sein zu, während das NichtsBewusste als das Absolute bzw. das Nichts betrachtet wird, über das nichts ausgesagt werden kann. Dazwischen liegen das präperzeptive und präreflexive Vorbewusste (VBW), das koperzeptive und koreflexive Mitbewusste (MBW), schließlich im Zentrum das die Wahrnehmungsschwellen übersteigende Wachbewusste oder Wahrnehmungsbewusste (WBW), das im leiblichen Sein gegründet ist und als »Awareness« das Gegenwartsfenster darstellt. An dieser Stelle können wir nun einen zentralen Aspekt von Achtsamkeit (sati), die »Wahrnehmung des gegenwärtigen Augenblicks« in diesem Aspekt des integrativen Bewusstseinsmodells verorten. Mit der Durchschreitung und durch Integration dieser Stufen entsteht das IchBewusstsein (IBW), das bereits vollperzeptiv und vollreflexiv ist (ich sehe, ich 26 rieche, ich taste). Durch weitere Ausdehnung bei gleichzeitiger Fokussierung kann eine weitere Schwelle hin zum hyperreflexiven, holotrophen Klarbewussten (KBW) überschritten. Weitere Lichtung dehnt das Bewusstseinsfeld schließlich bis hin zur Grenze des transreflexiven Nichts-Bewussten (NBW) aus, das die Grenzen der zerebralen Fähigkeiten übersteigt und „vielleicht durch das Faktum der Teilhabe (wir sind teil des Kosmos) in meditativer Versunkenheit näherungsweise erahnt und erspürt werden [kann]... Wir sprechen dann von transreflexiver Partizipation am Sein, am Absoluten, am Nichts, von der die Mystiker der großen Menschheitstraditionen des geistigen Lebens berichten“ (Petzold, 2003, S. 257). Abbildung 4: Das Bewusstseinsspektrum (Modell nach Petzold, 1975, aus Petzold, 2003) Der Zen-Meister Hamamatsu macht schließlich den Unterschied zwischen dem tiefenpsychologischen Unbewussten und dem Nicht-Geist des Zen nach einem Gespräch mit C.G. Jung deutlich: „The ‚unconscious’ of psychoanalysis is quite different from the ‚no-mind’ of Zen. In the ‚unconscious’ ... are the aposteriori ‚personal unconscious’ and the apriori ‚impersonal unconscious’, namely the 27 ‚collective unconscious’. They are both unknown to the Ego, but the ‚no-mind’ of Zen is, on the contrary, not only known, but it is most clearly known, as it is called ... ‚always clearly aware’. More exactly it is clearly ‚self wakening to itself’ without separation between the knower and the known. ‚No-mind’ is a state of mind clearly aware...“ (Hisamatsu, zit. nach Petzold, 2003, S. 252). 2.1.7 Komplexe Achtsamkeit In der Integrativen Therapie wurde von Anfang an auf eine Verschränkung von leiblicher Awareness, gesellschaftskritischem Bewusstsein und philosophischer Kontemplation wert gelegt, um den drohenden Entfremdungsund gesellschaftlichen Erosionsprozessen entgegenzuwirken. Dabei soll eine methodisch-praktische Verschränkung von Leib-, Psycho-, Sozio- und Nootherapie stattfinden, die nach Petzold (2011) auch für Fragen nach Sinn, Werten und geistigem Leben, gemeinhin als »Spiritualität« bezeichnet, offen ist. Dabei unterscheidet er zum Awareness-Begriff der Gestalttherapie, als ein körperlichsinnenhaftes Gewahrseins, das integrative Verständnis von Leiblichkeit mit ihrer Bezugnahme auf Seelisches, Geistiges und Soziales neben dem Körperlichen. Solch ein multiperspektivisches Vorgehen wird dann als »komplexe Achtsamkeit« bezeichnet. Es wird eingeräumt, dass dieser Begriff mit den neueren achtsamkeitsorientierten Therapieansätzen zwar Berührungspunkte hat, mit diesen aber nicht gleichzusetzen ist. Er gehe über die Entspannungs- und Harmonisierungseffekte im Rahmen behavioraler Therapie hinaus – die ohnehin schon immer zur leibtherapeutischen Praxis gehörten – „und fokussiert auch auf Achtsamkeit für Ungerechtigkeit, Unrecht, Benachteiligungen, für Schmerzliches, für Leiden, Not und Belastungen Anderer, Achtsamkeit, die uns motiviert, einzuschreiten, ‚dazwischen zu gehen’“ (Petzold, 2011, S. 146). Explizit ist bei Petzold (2011) damit kein Bezug auf die buddhistische Achtsamkeitstradition verbunden, wenngleich er diese Tradition Grundhaltung einer tiefen Nächsten- und Tierliebe (karuna) - mit der in Gestalt des ‚Bodhisattva des universellen Mitgefühls’ - achtet, sowie auch die christlichen Traditionen der Nächstenliebe, die jüdischen Quellen zur Achtsamkeit gegenüber dem Leid des Anderen und auch das islamische Gebot der sozialen Wohltätigkeit (zakat). 28 2.1.8 Verhältnis von Psychotherapie und Spiritualität, Religion, Esoterik „Persönliche Religiosität gehört in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre von Menschen. Die Idee des Immateriellen als reine Geistigkeit (unsterbliche Seele, Gott) und nicht an Materie gebundene Wirklichkeit fällt aus dem Rahmen des wissenschaftlichen Weltbildes und ist eine Sache persönlichen Glaubens“ (Leitner, 2010, S. 118). Die Integrative Therapie bleibt in einem säkularen Rahmen, wendet dabei wissenschaftlich überprüfbare Verfahren und Methoden an um vorliegende Krankheiten, Störungen und Beschwerden kompetent behandeln zu können. Dies setzt im Gegensatz zu spirituellen Handlungen Differentialdiagnostik und Behandlungsplanung und –Evaluation voraus. Damit sind spirituelle Interventionen aus einer gesetzlich geregelten Psychotherapie ausgeschlossen. Da es sich bei einer therapeutischen Beziehung um eine Beziehung mit strukturellem Gefälle handelt, ist die Gefahr von Manipulation und Machtmissbrauch durch idealisierende Übertragung auf eine Intervention oder den Therapeuten groß. Gespräche über professioneller Religion, Spiritualität, Kommunikation geführt Lebenssinn werden, wenn können im Rahmen diese vom Klienten eingebracht werden um mit ihm ko-respondierend die Bedeutungsebenen dieser Themen für den Klienten zu erschließen. In Bezug auf die Esoterik fällt es ins Auge, dass die menschliche Psyche in all den ‚Theorien’ durch vereinfachte naturwissenschaftliche Modelle zu erklären versucht wird. Es geht um Begriffe wie ‚Energiefluss’, der Körper des Menschen wird als eine ‚Magnetkarte’ verstanden, es geht um ‚positive, negative Ladungen’ oder ‚Pole’ des menschlichen Körpers, es geht um ‚Heilfrequenzen’ von Kristallen, Begriffe, die mehr oder weniger der Physik entlehnt sind. Es herrscht zumindest sprachlich eine konkretistische und materialistische Weltsicht – welch ein Kontrast zur Spiritualität. (Möller, zit. nach Leitner, 2011, S. 119-120) Auch die Behandlungsrichtlinie für PsychotherapeutInnen des Bundesministeriums (2014) macht deutlich: Einer der zentralen Punkte des Schutzes der spezifischen psychotherapeutischen Beziehung liegt in der Verantwortung angesichts der besonderen Abhängigkeitssituation. Der Berufskodex macht unmissverständlich deutlich, dass die persönliche Weltanschauung, wie z.B. auch die religiöse 29 Einstellung, der Psychotherapeutin (des Psychotherapeuten) nicht aktiv und steuernd in den Behandlungsprozess einfließen darf . Somit kann festgehalten werden, dass weder Gebete, religiöse Rituale oder Vergebens Arbeit noch andere religiös, spirituell oder esoterisch begründete Handlungen zu einer umfassenden und stringenten psychotherapeutischen Methode, die eine geplante Krankenbehandlung ermöglicht, gehören können. Dasselbe gilt auch für eine Psychotherapie, die mit dem Ziel einer Persönlichkeitsentwicklung durchgeführt wird. 2.2 Buddhismus und Achtsamkeit 2.2.1 Von den Wurzeln in den Westen Dieser Abschnitt soll eine Orientierung über die Herkunft und die kulturelle Einbettung des Forschungsgegenstandes »Achtsamkeit« geben. Grobe Einordnungen in Zeiten und Orte, in Umstände und deren Entwicklungswege. Verständlicherweise will es ob der Komplexität des Themas keine »Einführung in den Buddhismus« darstellen. Dafür gibt es passendere Literatur (Allmen, 2007; Dalai Lama, 2013; Kornfield, 2008; Batchelor, 2011). Wenn wir heute »Achtsamkeit« im Wesentlichen mit dem Buddhismus verbinden, so liegt das nicht daran, dass andere Religionen und Weisheitssysteme keine Formen von Achtsamkeit kennen, sondern vielmehr an einer Verkettung von bestimmten Menschen und ihren Wegen. Im vorliegenden Fall brachte der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn, PhD, Professor Emeritus für Medizin an der University of Massachusetts Medical School und Begründer des Center for Mindfulness in Medicine, Health Care and Society, der selbst mit der buddhistischen Philosophie in Verbindung stand, das Konzept der Achtsamkeit in den klinischen Alltag des Westens. 1979 gründete er die Stress Reduction Clinic, wo er das heute weitverbreitete 8 wöchige Behandlungsprogramm MBSR – mindfulness based stress reduction – entwickelte und erfolgreich anwandte. Mittlerweile stellt es einen riesigen Markt mit einer ihm eigenen Logik von Marketing und Ausbildungscurricula dar. Dies birgt die Gefahr der „psychotherapeutischen Vernutzung“ (Petzold, 2011, S. 148), dass ein Gutteil der Essenz unbeachtet bleibt 30 und statt dessen die Oberflächenphänomene als ein weiteres Segment zur Umsatzsteigerung, als eine weitere Methode der Effizienzsteigerung und als eine weitere Projektionsfläche für Glücksphantasien instrumentalisiert werden - wenn wir es als ein einfaches Tool verstehen (wollen). Geistestraining ist aber nie einfach und schnell zu erreichen. Sehr wahrscheinlich wird diese Welle, wie jede therapeutische Mode auch wieder abebben. Zu hoffen bleibt aber, dass die Beschäftigung mit dem Thema Bewußtsein und Geistestraining unsere Kultur positiv beeinflusst, so wie die buddhistische Philosophie noch jede Kultur die mit ihr in Berührung kam zutieftst beeinflusst hat (Fulton in Anderssen-Reuster, Meibert & Meck, 2013). Dass das Konzept der Achtsamkeit, im Sinne einer nach innen gerichteten Erforschung der Geistestätigkeit, auch in der christlichen Tradition der Kontemplation ihren Platz hat, sei hier ergänzend erwähnt. Grepmair und Nickel (2007) weisen darauf hin, dass diese Tradition aus dem 14. Jahrhundert, ein auf die mystischen Erfahrungen des Völkerapostel Paulus zurückgehender Weg ist, der dem Zen in seinen Grundzügen und der Beschreibung der Versenkungsstufen sehr verwandt ist und in anonymen Schriften niedergelegt wurde. Bei Michalak, Heidenreich und Williams (2012) finden wir einen Text von Andreas Gryphius aus 1663, der das gemeinte ebenfalls sehr schön veranschaulicht: Mein sind die Jahre nicht die mir die Zeit genommen/ Mein sind die Jahre nicht die etwa möchten kommen Der Augenblick ist mein und nehm’ ich den in acht So ist der mein/der Jahr und Ewigkeit gemacht. Aus Gründen, denen hier nicht mehr Raum gewidmet werden kann, kam es zu der Entwicklung, wie wir sie heute vorfinden, dass im Westen in Bezug auf Achtsamkeit die buddhistischen Konzepte rezipiert werden. Deshalb folgt ein kurzer Abriss der Entwicklungswege und Grundkonzepte. 2.2.1.1 Wurzeln und Verbreitung des Buddhismus Den Anfang nimmt der Buddhismus mit der »Erleuchtung« von Prinz Siddhārta Gautama, dem Buddha, auch als Shākyamuni oder Tathāgata bekannt, in Indien. Wann er genau lebte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, allgemein wird der Zeitraum 560 bis 480 v.Chr. angenommen, laut Allmen (2007) legen neuere Forschungen einen um bis zu 100 Jahre späteren Zeitraum nahe. Zeitlebens wollte Buddha keine neue Religion gründen, sondern den Dharma, die Lehre und Praxis die 31 zur Befreiung von Herz und Geist führt, verbreiten. Diese Erkenntnis erlangte er nach 6 Jahren als Asket lebend. Von da an vertrat er den Mittleren Weg, zwischen Askese und üppigem Wohlleben. Die Zeit in Indien war geprägt von großer spiritueller Aktivität, die religiöse Grundlage waren die Veden, „die man, vereinfacht ausgedrückt, eine Opferreligion nennen kann“ (Allmen, 2007, S. 36). Vor diesem Hintergrund wurde das spirituelle Umfeld von den Lehren der Upanischaden geprägt, die von einer unsterblichen Seele ausgehen, welche von Inkarnation zu Inkarnation wandelt und mittels meditativer Praxis erlöst werden kann. Nach seiner ersten Lehr rede im Hirschpark von Benares, zu der er sich nach Wochen des Ringens entschieden hatte und damit „ins trügerische Meer der Worte eintauchte“ (Batchelor, 2011, S. 15), setzte er das Rad des Dharma in Bewegung. In den ersten Jahrhunderten und nach 4 Konzilen bildeten sich bereits 18 Schulen heraus. Dies geschah mangels Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Mönchen und Nonnen, die sich über das Land verteilten und lehrten. Kaiser Aśoka, ein ursprünglich grausamer und machthungriger Herrscher, war beim Anblick eines Wandermönchs auf einem seiner Schlachtfelder so tief berührt, dass er zu einem Förderer des Buddhismus wurde. Unter seiner Regentschaft, ca. 300 Jahre nach Buddhas Tod, kam der Buddhismus in Indien zu einer Blüte. Aśoka Kinder lassen sich ordinieren und gehen 250 v.Chr. nach Sri Lanka, dem ersten Land, das den Buddhismus übernahm. Teile Sri Lankas sind bis heute ohne Unterbrechung buddhistisch. In der darauf folgenden Zeit kam es zur Entwicklung des Pāli-Kanons, der Grundlage des Theravāda-Buddhismus. Dieser bedeutet »die Schule der Ältesten, Weisen und Erfahrenen«. Bis zum 14. Jhdt. existierte dieser parallel zur zweiten großen Schule, des Mahayana-Buddhismus – dem »großen Fahrzeug« groß im Sinne der Motivation für alle Lebewesen die Buddha Schaft zu erlangen, wie bei Allmen (2007) zu finden ist. Während in Sri Lanka und später in weiteren Ländern Südostasiens wie Burma, Thailand, Kambodscha, Laos die Theravāda Schule stark ist, herrscht in Indien die Mahayana Lehre vor. Durch die Amalgamierung von hinduistischem Tantra mit dem Buddhismus entstand die letzte kreative Entwicklung des Buddhismus in Indien, der Vajrayāna - oder das »Diamantfahrzeug«. Laut Allmen (2007) besteht der wesentliche Unterschied zu den Methoden des Mahayana darin, dass die Befreiung nicht durch Verhaltensschulung und durch Einsicht in die Vorgänge und Struktur des Geistes erreicht wird, sondern durch die Beeinflussung der subtilen psycho-physischen Energien (prāṇa) des Körpers erreicht wird. Von den 32 tantrischen Lehren wird gesagt, sie führen schneller zum Ziel der Buddhaschaft als die Methoden der Sutra-Lehren. Die tantrische Bewegung gab der in institutioneller Starre verkommenen buddhistischen Religion neue Impulse. Mit der Invasion der islamischen Völker, die von Norden nach Indien einfallen, erlischt im 12. Jahrhundert der Buddhismus in Indien. In China breitet sich der Buddhismus bereits ab dem Beginn unserer Zeitrechnung aus, etwa im 4. Jahrhundert wird er dort neben den Lehren des Taoismus und Konfuzianismus zu einer fest etablierten Religion. Im Jahr 372 erreicht der Buddhismus Korea, im 6. Jahrhundert wird er dort Staatsreligion. Um 550 gelangt er nach Japan. Dort entstehen zuerst die Schulen Jodo und Shin. Bedeutender in Japan ist aber das Auftreten des Zen im beginnenden 13.Jhd. „Die Meditationspraxis des Zanzen wird als Ausdruck der bereits allem innewohnenden Erleuchtung betrachtet“ (Allmen, 2007, S. 57). Dogen Zenji begründet 1243 die SotoSchule des Zen, der Japaner Eisai begründet mit dem Import der chinesischen Linchi-Schule des Ch’an die Rinzai-Schule des Zen, in der verstärkt Gewicht auf die Praxis des Koan gelegt wird. Wie in China auch kommt es durch Zen-Buddhismus zu einer kreativen Beeinflussung der Alltagskultur und der Künste – von Poesie über Malerei zu Architektur und Teezeremonie. 1253 gründete Nichiren eine Sekte, welche die Lehren des Buddha als überflüssig erklärte und alleinig das Rezitieren eines Mantra als das wahre Dharma postulierte. Daraus entwickelte sich die Soka Gakkai Bewegung, eine mächtige Organisation, die bezeichnenderweise im Westen laut Allmen (2007) die »buddhistische« Bewegung mit der weitaus größten Anhängerschaft ist. Es wird nicht das Wohl aller Lebewesen angestrebt, sondern weltliche Wünsche für sich, wie Gesundheit, Geld, Besitz, Erfolg. Daraus wird deutlich, wie wichtig die Motivation des buddhistisch Praktizierenden ist, wie dies schon in der Dialektik von Mahayana und Hināyāna deutlich wird. Im 8. Jahrhundert fasst der Buddhismus erstmals in Tibet Fuß, wo er auf die seit Jahrtausenden vorherrschende animistische Bön-Religion traf und zahlreiche Überschneidungen und Synkretismen einging. Die »alte« Schule Nyingma entsteht als Nachfolge des tantrischen Meisters Padmasambhava. Die bekannteste Meditationstradition aus dieser Schule ist die Dzogchen, die »Große Vollkommenheit«. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich, ausgehend durch 33 verschiedene Übersetzer, die vier Hauptrichtungen des tibetischen Buddhismus: Nyingma, Sakya, Kagyü und Gelug. Innerhalb der Kagyü Schule kam es zu weiteren 8 Untergruppierungen, was die Rezeption des tibetischen Buddhismus nicht gerade erleichtert. Die wichtigsten Übersetzer und Poeten der Kagyü Linien sind Marpa (1012-1097) und dessen Schüler Milarepa und Gampopa. Das Oberhaupt der Karma-Kagyü Linie, der 16. Karmapa floh 1958 während der chinesischen Invasion von Tibet nach Indien und kann seine Tradition später auch im Westen aufbauen. Die Kagyüpa sind Linienhalter der Meditationstradition des Mahāmudrā, dem »Erkennen der Natur des Geistes«, einem Zustand, in dem alle dualistischen Konzepte überwunden sind und die Erfahrung einer »absoluten Wirklichkeit« möglich macht. Damit kann diese Meditationsform als eine Entsprechung zur eidetischen Schau (Husserl, 1985) erachtet werden. Die Gelugpa Schule geht auf Atīśa zurück und deren Meister sind bekannt für ihre radikale Praxis der Lo-jong-Lehren über Bodhicitta. Die Gelugpa sind auf strikte Schulung in Dialektik durch formale Debatten spezialisiert, im Sinne einer Analyse der Wirklichkeit (Allmen, 2007, S. 64). Auch sie stehen u.a. in der Praxistradition des Mahāmudrā. Vom 17. Jhdt. bis zur Besetzung Tibets durch die Chinesen 1950 hat die Gelugpa Schule durch die ihnen angehörigen Dalai Lamas die politische Vormacht im Land. Heute lebt der tibetische Buddhismus hauptsächlich in Indien, Nepal und im Westen weiter, wobei der in Dharamsala, Indien, lebende Mönch Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, der wohl bekannteste Vertreter dieser Tradition ist und im Westen vielfach mit „dem Buddhismus“ identifiziert wird. Der Titel Dalai Lama ist allerding mongolisch und bedeutet »Lehrer von ozeangleicher Weisheit«, der dem 3. Dalai Lama von Altan Khan verliehen wird. In die Mongolei kommt der Buddhismus ab 1577 durch die Gelugpa und wird von den mächtigen mongolischen Khans gefördert, was dazu führte, dass eine Mehrheit der männlichen Bevölkerung ordiniert ist. 34 Abbildung 5: Geschichtliche Entwicklung – Vom Indien Buddhas zum heutigen Westen (Allmen, 2007, S. 70-71) 35 2.2.1.2 Lehrreden und Große Meister Buddhistische Schriften entstanden erst ca. 500 Jahre nach Buddhas Tod, was verständlicherweise zu Unsicherheit über die angeblich authentischen Worte Buddhas führt. Manchen traditionellen Darstellungen entsprechend sind alle existierenden Lehrreden angeblich 2500 Jahre alt, und jede Schule sieht sich im Besitz der ursprünglichen Lehre. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass es heute eine ganze Anzahl verschiedener ‚richtiger’ Aussagen darüber gibt, was Buddha unter dem Botha-Baum vor seiner Erleuchtung praktiziert haben soll. Waren es Reflexionen, Versenkungsstufen, Zazen, Vipassanā, Nicht-Dualität...? Darüber gibt es widersprüchliche Aussagen. Zu unserem Glück führen die meisten dieser Beschreibungen, genau wie die verschiedenen Texte, zum richtigen Ziel – wenn man sie tatsächlich praktiziert. (Allmen, 2007, S. 44) Erinnert dies nicht auffällig an den Schulenstreit in der Psychotherapie und die Erkenntnis, dass bei langjähriger Erfahrung der Therapeuten die Frage der »Schule« für die Wirksamkeit in den Hintergrund tritt? Auch deutet diese Passage darauf hin, dass die formale, intellektuelle, begriffliche Einordnung und Beurteilung von Lehren und Schulen begrenzt möglich ist – eine an der Praxis orientierte Lehre muss letztlich immer in subjektive Erfahrung gebracht werden. Dies trifft für Meditation ebenso zu wie für die Psychotherapie. Dass die gesellschaftliche und legistische Einbettung der Psychotherapie als Anwendung wissenschaftlicher Methoden dabei nicht unproblematisch ist, wird im Diskussionsteil näher erläutert. Die überlieferten Texte und Philosophien gehen auf einige große Meister und Denker zurück. Als der größte indische Denker des Mahayana Buddhismus gilt Nāgārjuna im 2. Jahrhundert, auf den die berühmten Lehrreden Prajñāpāramitā zurück gehen - die Lehre von der Substanzlosigkeit aller Phänomene und dem bedingten Entstehen. Diese »Leere«, das »Nicht-Selbst« aller Dinge ist auch als Śūnyatā bekannt. Nāgārjuna war sozusagen der indische Ur-Phänomenologe. 36 Allmen (2007) betont, dass die beiden Brüder Asaṅga und Vasubandhu ähnlich essentiell für den Mahayana Tradition waren, auf ersteren geht die »Nur Geist Schule« zurück, die davon Wahrnehmungsprozessen ausgeht, bestehen und dass nicht alle als Phänomene Objekte nur aus außerhalb des wahrnehmenden Geistes existieren. Manas, das neben den sechs Arten des Sinnesbewusstseins, siebte Bewusstseinselement sorgt dafür, dass die Welt als Real und das Ich als unabhängig von ihr wahrgenommen wird. Aus dieser getäuschten Wahrnehmung entstehen die kleśas, die unheilvollem Geistesfaktoren. Das Erkennen und Durchschauen dieses Prozesses befreit letztlich Geist und Herz. Schließlich sei noch Śāntideva genannt, der, im 8. Jhdt. lebend, ein Werk mit einer kompletten Anleitung zur Entwicklung von Bodhicitta, dem Entschluss, zum Nutzen aller Lebewesen die Buddhaschaft zu erlangen, entwickelt hat. Damit ist es wohl „das am meisten verehrte und am häufigsten zitierte Werk in allen tibetischen Traditionen“ (Allmen, 2007, S. 47). 2.2.1.3 Buddhismus und Yoga Wollen wir verstehen, wie der Buddhismus mit einem weiteren philosophischen System, dem des Yoga in Beziehung steht, folgen wir an dieser Stelle Wenke (2010) der die frühesten Hinweise auf Meditationstechniken um 800 bis 600v.Chr in den Upanischaden, den nach den Veden ältesten Schriften der indischen Religionsgeschichte, datiert. Damit wird erkennbar, dass die Wurzeln des Yoga vor dem Buddhismus anzutreffen sind. Buddha kannte bereits den Yoga, wenngleich die im Westen bekannten Schriften, die Yoga-Sutra des Patanjali nach Buddha entstanden sind. Die Schätzungen reichen „von 200v.Chr. bis 500 n.Chr.“ (Eliade, zit. nach Wenke, 2010, S. 212). In den Yoga-Sûtras ist bereits die Evidenz der Selbstgebung der Phänomene enthalten mit dem Hinweis, dass das gültige Wissen aus „direkter Wahrnehmung, Schlußfolgerung und Überlieferung“ beruht (Patanjali, zit. nach Wenke, 2010, S. 212). Analog zu Husserl, der den Verlust der sinnlichen Füllen beklagt, beließe man es bei abstrakten Vorstellungen und Konzepten, so ist man auch im Yoga diesen gegenüber skeptisch. Viele Konzepte in den Yoga-Sûtras ähneln nach Wenke (2010) einem weiteren philosophischen System Indiens, dem des Sâmkhya. Dieses wäre ursprünglich eine atheistische Phänomenologie zur Untersuchung des menschlichen Bewusstseins, während Patanjali in den Yoga-Sûtras die Existenz Gottes annimmt. 37 Im Sâmkhya hat man es mit zwei Domänen zu tun, dem absoluten Geist (purusha) und der Natur (prakrti), welche jedoch nicht äquivalent mit der Dualität von Geist und Materie der westlichen Naturwissenschaften sind, „sondern gleicht dem impliziten Dualismus der Phänomenologie, die ja auch zwischen dem Transzendentalem Subjekt und dem Phänomenalen Feld unterscheiden muss. Die ‚Materie’ des Sâmkhya ist also phänomenaler ‚Stoff’“ (Wenke, 2010, S. 213). Prakrti ist demnach die Quelle aller Substanz und demnach auch des menschlichen Bewusstseins. Diese existenzdurchströmende Auffassung von Substanz, das phänomenale Material des Seins, nennt Merleau-Ponty in seinen späteren Schriften Fleisch. Wenke (2010) betrachtet die Einsichten Merleau-Ponty’s wie eine Paraphrasierung der YogaSûtras. Der purusha, der absolute Geist, wird im Sâmkhya als der Sehende, oder der Kenner des Feldes bezeichnet. Um zu »Sehen«, oder nach Husserl zu »Schauen«, bedarf es, dass der Geist mit seinen Aktivitäten zur Ruhe kommt. Bei Wolz-Gottwald (2006) findet sich schließlich die Übersetzung der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes Yogas als „das Zur-Ruhe-Kommen der Aktivitäten des Geistes“. Abbildung 6: Bedeutung des Wortes »Yoga« (Wolz-Gottwald, 2006) 38 2.2.1.4 Rezeption des Buddhismus im Westen Abbildung 7: The 5th Wave by Rich Tennant In den vergangenen Jahrzehnten erfuhr der Buddhismus auch im Westen einen Aufschwung, wobei die hier Praktizierenden drei Haupttraditionen zugeordnet werden können: • Zen • tibetischer Buddhismus • Theravāda Nach Jan Natter (Allmen, 2007) lassen sich die Buddhisten im Westen den ‚drei E’ zuordnen: Elitär, evangelisierend und ethnisch. Dabei sollen die meisten Praktizierenden unter das erste E – elitär – fallen, gehören sie doch der gehobenen, gebildeten Mittelschicht an. Menschen die sich mit Religion, Sinnfragen, Philosophie und Psychologie beschäftigen, importieren buddhistische Konzepte und betrachten Meditation sowie Dharma-Praxis als einen Weg zur Selbsterforschung und Bewältigung des komplexer werdenden Alltags. Dies kann von den anderen beiden 39 Gruppen nicht unbedingt gesagt werden. Die ethnischen BuddhistInnen beziehen sich auf jene Asiaten, die als Flüchtlinge oder EmigrantInnen ihren Weg in den Westen gefunden und ihre Religion im Gepäck mitgebracht haben. Sie praktizieren ihre Religion weitgehend unüberschneidend mit den westlichen BuddhismusPraktizierenden. Die evangelisierende Bewegung, wie jene der japanischen Soka Gakai, sind in Asien verankert, exportieren bewusst ihre Lehren und adressieren mit weltlichen Versprechungen eine große Menge von Menschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam mit D.T. Suzuki der japanische Zen in die USA und beeinflusste über seinen Schüler Alan Watts die Human Potential Movement am Esalen Institut und damit auch Gründerväter der Psychotherapie wie Fritz Perls, Abraham Maslow, Alexander Lowen, Carl Rogers, u.a. 1958 kam Shunryu Suzuki nach San Francisco, betreute die dortige Soto Zen Gemeinde und gründete das erste Zen-Kloster außerhalb Asiens, das Zen Mountain-Center in Tassajara Springs. In Europa etablierte sich laut Allmen (2007) mit Taisen Deshimaru Roshi der Zen erst später. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Lehrenden dieser Linien, die von den asiatischen Lehrern zur Lehre autorisiert wurden. Das Zen der koreanischen Tradition findet sich im Westen ebenso, wie die vietnamesische Variante rund um den Mönch Thich Nhat Hanh, der in Frankreich lebt. Der tibetische Buddhismus kommt nach der Besetzung Tibets durch die Chinesen im Jahr 1950, sowie der Niederschlagung des tibetischen Aufstandes im Jahre 1959 über die tibetischen Flüchtlinge in den Westen. Jedoch fanden bereits zuvor Berichte und Übersetzungen u.a. durch den Deutschen Lama Govinda und den Engländer Walter Y. Evans-Wentz ihren Weg in den Westen. Die Lehren der Kagyü-Linie verbreiten sich durch den 16. Karmapa, Kalu Rinpoche und Lama Gendün Rinpoche vor allem von Frankreich aus. Heute lehren ihre NachfolgerInnen, der Deutsche Lama Sönam Lhündrup, und die Schweizerin Lama Dorje Drölma, ebenso wie Yesche U. Regel in dieser Tradition. Eine eigene Variante der Kagyü-Linie existiert rund um den bekannten Dänen Ole Nydahl. Vor allem in England, Deutschland und Frankreich ist die Organisation Rigpa, des Lamas Sogyal Rinpoche, mit ihren Retreatzentren verbreitet. Der Kagyü-Lama Chögyam Trungpa gründete die Shambala-Bewegung. Dessen Schülerin ist die bekannte Nonne Pema Chödrön. Namkai Norbu, der tibetische Dzogchen-Lehrer lebt und lehrt in Italien. Seit den 1960er Jahren besucht der Dalai Lama, das Oberhaupt der Gelugpas, Europa und vor allem auch die Schweiz. Dort wirkte Lama Geshe Rabten Mitte der 1970er bis 40 1980er Jahre. Es gibt auch von dieser Linie viele Zentren die von tibetischen Lamas und ihren europäischen NachfolgerInnen geführt werden. Der für die westliche Achtsamkeit wohl wichtigste Zweig bezieht sich auf die Theravāda Tradition des Buddhismus, der über die Deutschen Nyanatiloka Mahathera (1878-1957) und dessen Schüler Nyanaponika Mahathera (1901-1994) nach Deutschland kam. Sie lebten als Mönche sowie Übersetzer und Autoren in Sri Lanka. Die bekannteste deutsche Nonne Ayya Khema gründete Zentren in Deutschland, Australien und Sri Lanka. Der amerikanische Mönch Ajahn Sumedho ist Schüler des bekannten Meisters der Thai-Waldkloster Tradition, Ajahn Chah, und gründete Klöster für Westler in England. In der Waldkloster Tradition gibt es im Westen mittlerweile ein halbes Dutzend Klöster. „Die Engländer Christopher Titmuss und Christina Feldman gründen 1984 im südwestenglischen Devon das Gaia House, Zentrum für buddhistische Meditation, vor allem für Vipassana- oder ErkenntnisMeditation“ (Allmen, 1007, S. 67). Weiters gibt es im Westen die sogenannten Goenka-Kurse, ausgehend von der burmesischen Vipassana Schule des U Ba Khin. Die ersten größeren Vipassana Kurse werden 1974 von Marcel Geisser und Fred von Allmen in der Schweiz durchgeführt. Eine Nachfolgeorganisation der dortigen Dhamma-Gruppe ist das Meditationszentrum Beatenberg in den Schweizer Alpen. Eine weitere Vipassana-Pionierin ist die Deutsche Ruth Denison. In Amerika lehren in dieser Tradition in der IMS – Insight Meditation Society und Spirit Rock, bekannte Namen wie u.a. Joseph Goldstein, Jack Kornfield und Carol Wilson. In Österreich ist der Buddhismus als Religion staatliche anerkannt. Im Theravāda lehren hier laut Allmen (2007) nebst vielen anderen Seelavansa Mahathera, Ursula Lyon, Hannes Huber und Christoph Köck. Für eine detaillierte Darstellung der Ausbreitung des Buddhismus im Westen, vor allem in Europa ist auf Batchelor (2011) Awakening of the West und für die Entwicklungen in den USA auf Fields (1992) How the Swans Came to the Lake verweisen. Da Vipassana-Meditation frei von asiatischen kulturellen Ausprägungsformen gelehrt und praktiziert werden kann, finden heute entsprechende Meditationskurse verstärkt Anklang unter westlichen Menschen und fanden Einzug eben auch in die Gesundheitswissenschaften. Allmen (2007) weist darauf hin, dass die heutige Verbreitung im Westen vor allem den zunehmend kompetenten und genauen Übersetzungen buddhistischer Lehrtexten zu verdanken ist. Weiters wurden bereits viele westliche Männer und 41 Frauen in vollem Umfang zur Lehre autorisiert. Allerdings ist es nicht etwa so, dass die buddhistisch Praktizierenden Menschen im Westen eine neue Religion suchen würden, vielmehr deutet die Entwicklung darauf hin, dass diese Menschen sich gar nicht einmal als religiös bezeichnen, sondern sich erfahrungsbasiert, handlungsorientiert mit den drängenden Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen wollen. Dabei findet sich das Phänomen des »engagierten Buddhismus«, in dem Mitgefühl für den Mitmenschen und das Engagement für eine bessere Gesellschaft einen zentralen Platz einnimmt. Dies kann auf den Einfluss des Christentums im Westen mit seiner Wertestruktur zurückgeführt werden. Dass sich diese Strömungen ausbreiten und viele Lebens- und Gesellschaftsbereiche, wie Wissenschaft, Gesundheits- und Sozialbereich ebenso wie die Wirtschaft positiv durchwirken bleibt zu hoffen. Denn darin erkennen wir auch das Konzept des melioristischen Engagements aus der Integrativen Theorie (Petzold, 2011). 2.2.2 Säkularer Buddhismus Der britische Buddhist Stephen Batchelor, selbst viele Jahre als buddhistischer Mönch in Indien und Korea lebend, gilt als der bekannteste Vertreter eines säkularen und agnostischen Buddhismus. Er weist darauf hin, dass sich der Buddhismus als religiöses Glaubenssystem, als eine Lehre der transzendenten Wahrheitsoffenbarung von dem unterscheidet was Siddhārta Gautama im Kern lehrte. Die Dogmen von Karma und Wiedergeburt sieht er viel mehr als Zugeständnis an die damalige etablierte Glaubenswelt Indiens denn als Ausdruck einer absoluten Wahrheit. Dies sei auch der Grund warum der Buddhismus 2500 Jahre überlebte, weil er sich immer an die menschlichen Bedürfnisse der jeweiligen asiatischen Kultur und Zeit anzupassen wusste. In diesen Tagen, wo sich die buddhistische Lehre im Westen verbreitet, tritt diese laut Batchelor in eine weitere entscheidende Phase für Wandlung und zur Anpassung des Sprachspiels. Thich Nhat Hanh (1993) macht deutlich, dass der Buddhismus im Westen nur erfolgreich sein kann, wenn er aus unseren Erfahrungen heraus erwächst und die Bestandteile unserer westlichen Kultur integriert und nicht die exotischen Bestandteile als den wahren Buddhismus verklärt. Batchelor (2011) weist, nicht zuletzt seiner profunden Kenntnis als Übersetzer tibetischer Texte geschuldet, darauf hin, dass etablierte und ebenfalls dogmatisch tradierte Übersetzungen von Begriffen der Pāli Sprache durchaus neu gedeutet 42 werden müssen. So wird der Terminus dukkha, als eines der drei Merkmale der Existenz, meist mit »Leiden« übersetzt – und so beziehen sich in deutscher Sprache die edlen vier Wahrheiten auf das »Leiden«. Tatsächlich hat dukkha „jedoch so viele Konnotationen, dass diese unmöglich durch einen einzigen deutschen Begriff wiederzugeben sind.“ (ebd.). In der englischen Originalausgabe seines Hauptwerks „Buddhismus für Ungläubige“ verwendet er nicht die übliche Übersetzung »suffering« sondern meist »anguish«, was in der deutschen Ausgabe mit »Angst« übertragen wurde, „nicht nur weil sie die gleiche Wurzel hat wie »anguish« (also »Enge«, »Bedrückung«, »Not« anklingen lässt), sondern weil sie den für dukkha wichtigen Aspekt der existentiellen Angst betont, welche aus dem »Begehren« entsteht. Auch wenn »Angst« ebenso wie »Leiden« nicht alle Aspekte von dukkha abzudecken vermag, erlaubt dieser Terminus jedoch, eine wesentliche Dimension von dukkha neu zu verstehen“ (Batchelor, 2011, A.d.R.). Es klingt damit auch jene Angst des dänischen Existentialismus an (der deutsche Begriff »Angst« wird im Kontext des Existentialismus im Englischen nicht übersetzt), die daraus resultieren soll, dass der Mensch sich im Laufe der Phylogenese sich aus der Verbundenheit mit der Natur gelöst hat (Kirkegaard, 1844). Hier wird die Erfahrung des Getrenntseins von Mensch und Natur, oder von Figur und Hintergrund deutlich. Virtbauer (2013) schlägt für die Übersetzung von dukkha auch den psychologischen Begriff Stress vor. Sprachsensibilität, gerade wenn es sich um Übersetzungen aus anderen kulturellen Kontexten handelt, ist für die Integrative Therapie von essentieller Bedeutung. Siddhārta Gautamas erste Lehr rede war recht kurz und prägnant: Er erklärte wie er den mittleren Weg, als Meidung der Extremen von Üppigkeit und Askese, fand. Danach zeigt er die vier adelnden (gemeinhin »die vier edlen«) Wahrheiten auf: die der Angst, ihres Ursprungs, ihres Aufhörens und des Weges, der zu ihrem Aufhören führt. Um das zu erreichen müsse die Angst verstanden, von ihrem Ursprung abgelassen, ihr Aufhören verwirklicht und der Weg dazu geübt werden. Genau das hat er selbst getan. Und auf Grund dieser Einsichten und des Wissens kann er behaupten zu »echtem Erwachen« gekommen zu sein. Sein Erwachen wurde im Laufe der Zeit jedoch zu »mehr«: einer transzentenden Erfahrung, mystischen Einsichten, religiösen absoluten Wahrheiten. Dabei geriet im Kontext kultureller Verflochtenheit mit den damit verknüpften Heils- und Erlösungssehnsüchten jedoch in Vergessenheit, dass die vier Wahrheiten stets ein Handeln des Individuums verlangen: verstehen, ablassen, verwirklichen, üben. Die schlichte Faktenlage dieser 43 Erkenntnis wurde zu etwas Heiligem erhoben. Die vier adelnden Wahrheiten nach denen zu Handeln ist, wurden zu Aussagen, zu den Hauptdogmen, die geglaubt werden sollen. Damit wurde der »Buddhismus«, dessen Terminus eine Erfindung westlicher Gelehrter ist, zur Religion. »Dharma-Praxis« jedoch bleibt eine Aufforderung zum Handeln. Die Sehnsuchtsprojektionen auf eine Lehre, mit Begriffen wie »Nirwana«, »BuddhaNatur«, »Leere«, usw. war vermutlich zu Zeiten Gautamas nicht viel anders als heute, wenn Menschen zu esoterischen Praktiken und Lehren Zuflucht nehmen, und damit einen Wirtschaftszweig bedienen, der zumindest den ProfiteurInnen darin wirtschaftliches Heil beschert. Auch PsychotherapeutInnen sehen sich zunehmend mit diesen Wünschen nach »Bezogenheit auf etwas Größeres« und »der Essenz menschlicher Existenz« nach »Sinn und Kohärenz« konfrontiert, nicht zuletzt aus der Enttäuschung über die als ungenügend empfundene Wirksamkeit ihrer angestammten Methoden (Jaeggi & Möller, 2000). Der Buddha war kein Mystiker. Sein Erwachen war keine alles bis in die Grundfesten erschütternde Einsicht in eine transzendente Wahrheit, die ihm die Mysterien Gottes offenbarte. Er maßte sich keine Erfahrung an, durch die ihm ein exklusives esoterisches Wissen um das wirkliche Funktionieren des Universums zuwuchs. Erst als der Buddhismus mehr und mehr zur Religion wurde, rankten sich immer mehr solcher großartigen Behauptungen um die schlichte Tatsache seines Erwachens. Als er den fünf Asketen beschrieb, was dieses Erwachen bedeutete, sagte er nur, er sei in Herz und Geist vollkommen frei von den Zwängen des Begehrens geworden. Und diese Freiheit bezeichnete er als den Geschmack des Dharma. (Batchelor, 2010, S. 17) Diese Einblicke in die vier adelnden Wahrheiten gewann er durch unmittelbare Erfahrung im Hier und Jetzt. Nicht verliehen sie ihm einen besonderen erleuchteten Standpunkt, sondern er erlebte sie als »adelnd«, da sie seinem Leben Integrität, Würde und Autorität gaben. Laut Batchelor sah sich der Buddha als Heiler, der seine Wahrheiten als medizinisch-therapeutische Diagnose und Prognose samt Behandlungsplan darlegte. Zuerst nimm dein Symptom zur Kenntnis, danach gehe zum Arzt und lass die Heilbarkeit prüfen und folge ggf. der Behandlung. Zu allererst jedoch nahm er die existentielle Bedingung der Angst/des Leidens zur Kenntnis. „Durch Untersuchung fand er heraus, dass ihre Ursache in selbstsüchtigem 44 Begehren liegt. Er sah, dass diese Ursache bereinigt werden kann, und verschrieb eine alle Aspekte menschlicher Erfahrung umfassende Lebensweise als die einzig wirksame Behandlung.“ (ebd.) Gautama lehnte es auch ab einen Nachfolger zu benennen als er starb, da er der Ansicht war, die Dharma-Praxis genüge als Führer. Sich selbst sah er als einen „Lehrer mit offenen Händen, der keine esoterischen Lehren für eine Gruppe Auserwählter zurückhielt“ (Batchelor, 2010, S. 28); ein Lehrer der stets den Weg der Mitte zwischen Wohlleben und Kasteiung propagierte. Dieser existentielle und agnostische Ansatz wurde in der Sprache jener Zeit und jener Orte, dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert in den Kulturen der Ganges ebene, formuliert. Im Laufe der nach Gautamas Tod folgenden Rezeption und Verbreitung kam es zur religiösen Institutionalisierung in Form von Buddha-Verehrung und unkritischer Annahme seiner Lehren. Buddha wurde wie viele Weise und Stifter in der Geschichte auch zur Projektionsfläche von Heilssehnsüchten der Menschen, die ihm folgten, auch wenn sie fünfhundert Jahre lang widerstanden ihn als gottähnliche Gestalt zu sehen, danach jedoch erlagen viele der Versuchung. Viele Gegenbewegungen entstanden um die essentielle Lehre Buddhas zu erhalten, diesen waren jedoch nicht von anhaltender Wirkung. Auch bei der Emigration in den Westen wurde der „Buddhismus“ als eine – östliche – Religion wahrgenommen und genau dies verneble die Begegnung mit dem Dharma in einer agnostischen Kultur wie der unseren. Denn, der Buddha lehrte Dharma-Praxis und keinen „-Asmus“. Laut Batchelor (2010) trifft der Buddhismus in der heutigen Welt auf zwei Arten von Freiheitsbedürfnissen: Zum Einen das Bedürfnis nach der Freiheit von Angst und Leiden, zum Anderen aber auch das Bedürfnis zur kreativen, schöpferischen Freiheit in der Gestaltung des eigenen Lebens und der Gesellschaft. Letzteres wurde von der institutionalisierten, orthodoxen Form des Buddhismus jedoch nicht so in den Fokus genommen, wie es heute für die demokratisch entwickelten Gesellschaften im Westen, mit unserem anerzogenen Drang zur Individualität und Autonomie, notwendig geworden ist. Die Überbetonung und Ausnutzung dieser persönlichen Freiheiten in einer „Geiz ist Geil“ Kultur führte jedoch zum Zusammenbruch aller Gemeinschaftlichkeit, zur Umweltzerstörung, zur Ausbeutung von ökologischen und personellen Ressourcen im Dienste der Gier, der Angst vor dem Verlust von Freiheit und Gütern und dem daraus resultierenden aggressiven Konkurrenzkampf. Eine religiöse Orthodoxie bietet dem orientierungs- und richtungslosen Menschen Halt, 45 Struktur und Sicherheit. Warum sollte sich der Buddhismus dann „auf Imagination einlassen, auf den stets riskanten Sprung ins Dunkle“ (Batchelor, 2010, S. 129)? Weil zu einer Dharma-Praxis als Kultur des Erwachens in unserer modernen Zeit eben beides gehört: Individuation und soziales & ökologisches Engagement als die zwei Pole einer neuen Kultur des Erwachens. Das geht einher mit der Forderung von Petzold (2011) nach einer »komplexen Achtsamkeit«, die »melioristischen Engagement« miteinschließt, also Achtsamkeit für Ungerechtigkeit, Unrecht, Benachteiligungen, Leiden und Not Anderer meint, mit der Bereitschaft „dazwischen zu gehen“ (Leitner, Petzold, zit. nach Petzold, 2011, S. 146). Eine solche kann niemals, wie weiter oben gezeigt wurde, ohne der Wechselwirkung mit den socialworlds, in der sie eingebettet ist, erfolgen. Boeckmans (2013) weist diesbezüglich darauf hin, dass die spirituelle Praxis in Ost und West ohnehin die selbe Grundstruktur aufweist: nämlich über zwei Wege – den aufsteigenden und den absteigenden Pfad. Beim ersten kommt es zur Kontemplation, zum Rückzug, zur Meditation in Stille, Tiefe und Konzentration, was als Weg der Weisheit (prajna) bezeichnet wird. Beim zweiten jedoch gehen wir wieder hinaus in die Komplexität der Welt, „des Marktplatzes“ und umarmen die Komplexität mit einem Herz voller Güte und Mitgefühl. Dies wird als der Weg des Mitgefühls bezeichnet (karuna). Die große Aufgabe wird es sein, den Dharma im schöpferischen Austausch so kultivieren, dass er authentisch weiterlebt, das authentische Denken, Sprechen und Handeln, die Lebensweise, der Entschluss, die Achtsamkeit und die gesammelte Bewusstheit, denn sonst, so befürchtet Batchelor (2010), wird die Dharma-Praxis als Subkultur marginalisiert und von anderen Domänen wie der Psychotherapie vereinnahmt und geschluckt werden. In diesem Spannungsfeld des Vorteils etablierter orthodoxer Institutionen, die über Jahrhunderte eine vitale Lehre bewahrt haben, und der Notwendigkeit der kulturellen Adaptierung zum authentischen Überleben wird sich der Diskurs zur Assimilierung der Buddhistischen Lehren in Zukunft entspinnen. Die agnostische Sicht wird nicht bei der altindischen Niedergangs lehre bleiben, sondern von der Freiheit und Aufgabe sprechen, auf dieser Erde eine erwachte und mitfühlende Gesellschaft entstehen zu lassen. Sie wird nicht autoritären und monolithischen Institutionen das Wort reden, sondern einem dezentralen Netzwerk kleiner autonomer Gemeinschaften des Erwachens. Anstelle einer von autokratischen Führungsgestalten beherrschten mystischen religiösen Bewegung 46 wird sie eine zutiefst agnostische, säkulare Kultur entwerfen, deren Grundlage Freundschaft und deren Erscheinungsbild das gemeinschaftliche Handeln ist. (Batchelor, 2010, S. 134) 2.2.3 Phänomenologie und Buddhismus Im folgenden Abschnitt wollen wir untersuchen, inwieweit eine zentrale Metatheorie der Integrativen Therapie, die Phänomenologie, mit dem Theoriegebäude des Buddhismus, als Referenzsystem für die Achtsamkeitspraxis, kompatibel ist. Dabei findet sich in Wenke (2010) eine Argumentationskette, welche Kernaussagen der Harvard-Vorlesungen des Dalai Lama über den Buddhismus mit Schriften Husserls und Merleau-Ponty’s verschränkt. Einer der einflussreichsten indischen buddhistischen Denker, welcher die Traditionen des Vajrayana- und Zen-Buddhismus entscheidend mitgeprägt hatte, war Nagarjuna im 2. nachchristlichen Jahrhundert. Seine detaillierten Arbeiten zur Theorie der Leere und des abhängigen Entstehens hatten großen Einfluss auf den Buddhismus in Tibet, welcher in seiner kulturellen Ausprägungsform Überschneidungen mit der dort seit Jahrtausenden beheimateten Bön-Religion aufweist. Schriftliche Übersetzungen des Pali Kanons ins Tibetische erfolgten erst im 9. Jahrhundert. Der tibetische Buddhismus ist nicht zuletzt auf Grund der Präsenz von S.H. des Dalai Lama im Westen populär geworden – und damit seine theoretische Grundlage (zumindest theoretisch...) „Der zentrale Ansatz des Buddhismus ist die meditative Kontemplation als selbsterforschende Phänomenologie des Bewusstseins, also die empirische Beobachtung der eigenen Bewusstseinsakte und Motivationen und deren kritische ... Analyse“ (Wenke, 2010, S. 229). In diesem Zusammenhang wird die Abgrenzung von einem eliminativen Reduktionismus der Naturwissenschaften deutlich: Wenn wir eine Beschreibung mentaler Prozesse verfolgen, die vollkommen aus der ‚objektiven’ Sicht der dritten Person vorgenommen wurde [...], haben wir das Gefühl, ein entscheidender Aspekt des Gegenstandes sei ausgelassen worden. Ich meine damit die phänomenologische Seite eines mentalen Ereignisses, nämlich die subjektive Erfahrung des Individuums. (Dalai Lama, zit. nach Wenke, 2010, S. 230). 47 Die naturwissenschaftlichen Methoden der dritten Person sind ungeeignet um die Natur des Geistes oder des Bewusstseins zu erforschen, da Subjekt und Welt untrennbar miteinander verflochten sind und sich gegenseitig erst hervorbringen. Naturwissenschaften sind von ihrer Methodik her auf einem Auge blind und auch nicht geeignet Fragestellungen der Philosophie und der phänomenologischen Psychologie zu beantworten. Im Gegensatz zur empirischen Forschung aus der »objektiven« Perspektive, auch der empirisch psychologischen Forschung, kann hier nur die phänomenologische Selbsterfahrung zu gültigen Ergebnissen kommen. Entgegen der Annahme, dass intersubjektiv gleichbedeutend mit nicht verallgemeinerbar und damit nicht objektivierbar zu gelten habe, wird seit Jahrhunderten tausendfach bestätigt, dass eine durch umfassende methodische Ausbildung durchgeführte Introspektion zu intersubjektiv überprüfbaren universell gültigen Erfahrungen führt. Damit sind auch schon zwei Implikationen der phänomenologischen Analyse vor buddhistischem Hintergrund umrissen: Die grundsätzliche Trainierbarkeit mentaler und meditativer Fähigkeiten zum Einen und zum Anderen die sich durch lange Erfahrung herausgebildete Praxeologie dieses Trainings. Die Erfahrungen während meditativer Zustände sind intersubjektiv überprüfbar, oder anders ausgedrückt, sozial geteilt, ebenso wie Bezeichnungen für Farbempfindungen oder Gefühle sozial geteilt sind, entspringen doch all diese Phänomene dem Leibbewusstsein. Eine solche Erfahrung ist die des Lichts - im Buddhismus gilt Licht als Grundlage des Lebens. So wie wir im Falle des Lichts nicht zwischen seinem Leuchten und dem, was es beleuchtet, unterscheiden können, so gibt es auch im Bewusstsein keinen substantiellen Unterschied zwischen dem Prozess des Wissens oder der Erkenntnis und dem, was weiß oder erkennt. Das Bewusstsein verfügt, wie das Licht, über die Eigenschaft des Leuchtens. (Dalai Lama zit. nach Wenke, 2010, S. 231) Ähnliches beschreibt auch Husserl, wenn er Licht als Ausdruck von Intentionalität von Bewusstsein beschreibt: ‚Der aufmerksame Strahl gibt sich als vom reinen Ich ausstrahlend’, wenn das Ich einen Bewußtseinsakt vollzieht und korrelativ sein intentionales Objekt ans Licht tritt; d.h. mir erscheint etwas, wobei man ‚die Aufmerksamkeit mit einem 48 erhellenden Lichte zu vergleichen’ pflegt. (Husserl, zit. nach Wenke, 2010, S. 231) Die aus der Gehirnforschung bekannte Eigenschaft der Plastizität des Gehirns ist auch dem Buddhismus schon lange bekannt, wenngleich dem Organ selbst dort keine Bedeutung für die Lokalisation des Bewusstseins zukommt – ganz so wie in der Phänomenologie auch. Eine Eigenschaft von Wissenschaften erster Person ist nach Wenke (2010) die Identität von Betrachter, Objekt und Medium der Forschung, nämlich dem Bewusstsein. Dabei kommt der Unterscheidungsfähigkeit besondere Bedeutung zu. Diese Unterscheidungsfähigkeit zu üben ist gleichbedeutend mit einem modifizierenden Gehirntraining. Dieses ist notwendig, da es sowohl von Buddhisten als auch von Phänomenologen die Bereitschaft voraussetzt, sich von lange gepflegten und allgemein anerkannten Ansichten zu Ich, Welt und Bewusstsein zu trennen. Beiden Disziplinen ist die Grundannahme gleich, dass es keine Welt Ansich gibt, sondern diese nur subjektrelativ existiert. Buddha selbst war es wichtig stets die introspektiven Einsichten intersubjektiv zu überprüfen und nicht irgendeiner Dogmatik zu folgen. „Wie man Gold durch Brennen, Schneiden und Reiben [auf seine Reinheit untersucht], so sollen die Mönche und Weisen mein Wort aufgrund sorgfältiger Untersuchung annehmen, und nicht, um mir eine Ehre zu erweisen“ (Buddha, zit. nach Dalai Lama, 2013, S. 22). In genau der selben Weise sollen KlientInnen in einer phänomenologisch gegründeten Psychotherapie auch selbst überprüfen, was sie empfinden und ob sie angebotene Deutungen stimmig erleben und diese eben nicht wegen dem Charisma oder dem Ruf des Therapeuten einfach akzeptieren. Ein zentraler Leitgedanke im Buddhismus ist die Ich-Losigkeit. Leiden wird durch die Identifikation mit einem als substanziell erlebten Ich, dem Glauben an „das Vorhandensein eines grundlegenden Wesenskerns“ (Dalai Lama, 2005, S. 55), erklärt, sowie den damit verbundenen leidvollen Faktoren (kleshas) der Anhaftung an grundsätzlich vergänglichen Phänomenen, der Ablehnung von Unerwünschtem, der Gier, dem Hass und der Verblendung, also dem Unwissen über eben diese phänomenologische Natur des Bewusstseins. Dalai Lama (2005) führt weiter aus, dass die Philosophie der Leerheit uns erkennen lässt, dass es sich beim Glauben an ein abgetrenntes Ich nicht nur um eine grundlegend falsche Sicht handelt, sondern 49 dass diese Auffassung auch die Grundlage unseres Anhaftens, Festhaltens und der Entwicklung unzähliger Vorurteile bildet. Dass das Ich dauernder Veränderung unterworfen ist und stets aufs Neue konstruiert wird finden wir auch bei Merleau-Ponty: Wohl sind Dank der Zeit vergangene Erfahrungen in die nachkommenden eingefügt und übernommen, nirgends und nie aber ist das Ich im absoluten Besitz des Ich, da die Höhlung der Zukunft sich stets aufs neue mit neuer Gegenwart ausfüllt .... Die Alternative von naturans und naturatum verwandelt sich so in die Dialektik von konstituierter und konstituierender Zeit. (MerleauPonty, 1966, S. 281). Für das buddhistische Denken typisch ist auch die Annahme der Möglichkeit einer nichtsprachlichen und nichtkonzeptuellen Erfahrung der Bewusstseinsphänomene. Was für die empirische Psychologie als nichtexistent gilt, hat die Phänomenologie aber zu ihrer Basis, denn hier erkennt man die Grundschicht der Bewusstseinsphänomene und die ‚rohe Welt’, die selbst am Grunde der Sprache noch liegt. Merleau-Ponty’s schweigendes cogito und Husserls eidetisches Bewusstsein wären ohne eine unmittelbare Erfahrung innerer Phänomene in ihrer Selbstgegebenheit nicht möglich. (Wenke, 2010, S. 236) Im Buddhismus wurden für diese Erfahrungsweisen die Übungswege der Meditation entwickelt. In der gegenstandslosen Meditation verweilt ein möglichst leerer Geist mit punktförmiger, einsgerichteter Konzentration. Bei der Einsichtsmeditation (Vipassana) werden die Aspekte des Lebens betrachtet und mit Verständnis für ihre Bedingtheiten gefüllt. Dabei werden Erinnerungen, Gefühle, Gedanken, soziale Konstrukte, Assoziationen, bzw. bis hinunter zu ihren ursprünglichen Phänomen betrachtet. In diesem Vorgehen lässt sich im Grunde die eidetische Reduktion Husserls, im Sinne einer »Wesensschau« erkennen, in der ebenfalls von den äußeren komplexen Erscheinungen des Bewusstseins auf die ihnen zu Grunde liegenden Phänomene reduziert wird. Damit ist auch in der Phänomenologie impliziert, dass es, so wie im Buddhismus auch, keine eigenständige Existenz der Phänomene gibt. Eben so wenig, wie es aus toter Materie durch Höherentwicklung und Komplexitätszunahme plötzlich zum Entstehen von Bewusstsein gekommen ist, wie es die biologistische „Emergenztheorie“ propagiert. Die Parallelen erstrecken 50 sich hin bis zur Kosmologie, wo laut Wenke (2010) schon der buddhistische Philosoph Chandrakirti anmerkte, dass die Welt des Empfindungsvermögens dem Geist entspringt und sich auf gleiche Weise die unterschiedlichen Lebensräume der Wesen aus dem Geist entfalten. Nagarjuna wird zugeschrieben, er warnte davor dem „Universum“ eine eigenständige Existenz zuzuschreiben, wie es sich, ein materialistisches Weltbild implizierend, beim verfestigenden Glauben an eine dauerhafte eigenständige Existenz der Dinge leicht ergeben kann. Dass sich auch das „Universum“ als Objekt unseres Geistes herausstellt bemerkt auch MerleauPonty (1966) wenn er darauf hinweist, dass der Laplace’sche Urnebel nicht hinter uns, an unserem Ursprung liegt, sondern vor uns, in der Kulturwelt. Auch Husserl (1985) formuliert, dass die Realität, sowohl die Realität des einzeln angenommen Dinges, als auch die Realität der ganzen Welt wesensmäßig der Selbständigkeit entbehrt. Wenke (2010) sieht hier ein zentrales Scharnier von der Phänomenologie zur Theorie der Leerheit, die in direktem Zusammenhang mit der Selbst-Losigkeit sowohl der Person als auch aller Dinge steht. Nagarjunas Theorie der Leerheit stellt sich sozusagen ‚zwei Wahrheiten’ vor, nämlich erstens eine konventionelle des Alltags – dies sind die bloßen Phänomene und Husserls natürliche Anschauung der Lebenswelt – und zweitens eine absolute, die den letztendlichen Daseinsmodus der Dinge und Ereignisse auf der Ebene de Leerheit beschreibt – dies entspricht der Perspektive der transzendentalen Reduktion. (Wenke, 2010, S. 246) Für die therapeutische Beziehung formulieren Galuska und Pietzko (2005) die Wichtigkeit der Leere im Therapeuten um von jeglichen Identifikationen mit den Projektionen abzulassen und zu einer Bedürfnis- und Absichtslosigkeit zu gelangen, zu einer Haltung ohne Erwartung an den Klienten. Es wurde hiermit dargelegt, dass der Buddhismus eine echte Phänomenologie ist, welche in ihren Konzepten der westlichen Phänomenologie sehr nahe steht. Darüber hinaus hat der Buddhismus einen Übungsweg entwickelt, der es uns im Westen sozialisierten Menschen, und nicht zuletzt Integrativen TherapeutInnen, ermöglicht zur eigenleiblichen Erfahrung dieser phänomenologischen Gegebenheiten zu gelangen. Denn Eidetik, die direkte Schau der Phänomene, findet hinter den Trübungen und Kristallisationen der Sprache statt. 51 „Das Selbst selbst ist die Welt; das Selbst selbst ist das »Ich«; das Selbst selbst ist Gott; alles ist das höchste Selbst.“ (Ramana Maharshi, zit. nach Hamilton, 2009, S. 130) Nachdem die Herkunft und Verortung der dieser Arbeit zu Grunde liegenden Meditationsrichtung skizziert wurde, werden im folgenden Abschnitt die fundamentalen Konzepte buddhistischer Psychologie dargestellt und schließlich „Achtsamkeit“ verortet. 2.2.4 Grundlagen buddhistischer Psychologie – die vier »edlen« Wahrheiten Die Grundlagen für die uns heute bekannten Aussagen zum Buddhismus liegen in den Texten des Pali-Kanons, der drei- bis fünfhundert Jahre nach Buddhas Tod in Sri Lanka aufgezeichnet wurde und bis heute vollständig erhalten geblieben ist (www.palikanon.com). Es sind dies die so genannten »drei Körbe« (tipitaka): • Die Lehrreden (sutta) • Die Ordensregeln (vinaya) • Und abhidhamma, das für unsere Betrachtungen wesentliche Kompendium der Phänomenologie / die buddhistische Psychologie & Philosophie So unterschiedlich die verschiedenen Strömungen des Buddhismus in ihren Erscheinungsformen und Entwicklungswegen sein mögen, so besteht unter den Vertretern jedoch meist der Konsens darüber, dass, soll eine Lehre als buddhistisch gelten, diese im Kern die, in der ersten Lehrrede Buddhas formulierten, vier edlen Wahrheiten beinhalten muss. An anderer Stelle weist Batchelor (2011) auf eine alternative Übersetzungsform für »edel« hin, nämlich »adelnd«, dies ist im Abschnitt „ dargelegt. Da aber sonst in der gesamten deutschen Literatur der Begriff »edle« Wahrheiten anzutreffen ist, wird im Folgenden auch dieser Begriff verwendet. „Früher wie heute lehre ich nur das eine: Leiden und das Ende des Leidens – die unerschütterliche Befreiung des Herzens“ (Buddha, zit. nach Allmen, 2007, S. 73). So sind diese vier edlen Wahrheiten: 1. die Tatsache des Leidens 2. die Ursache des Leidens 52 3. die Befreiung vom Leiden 4. der Pfad, der zum Ende des Leidens führt 2.2.4.1 Die 1. »edle« Wahrheit vom Leiden Sie bezieht sich auf die Tatsache dass es in unserem menschlichen Leben immer Leiden gibt – existentielles Leiden wie Krankheit, Alter und Tod sowie selbstgemachtes Leiden, worunter Gier, Hass und Verblendung fällt. »Leiden« ist die vereinfachte Übersetzung des Pali-Begriffs »dukkha«, der sich jedoch auf die umfassendere Unmöglichkeit bezieht endgültiges Glück aus den materiellen und immateriellen Gütern zu beziehen, da diese ständiger Wandlung unterworfen und nicht von Dauer sind, sowie keine eigenständige Existenz besitzen. Für eine genauere Betrachtung von dukkha siehe den Abschnitt „Säkularer Buddhismus“ „Leiden basiert auf unzureichendem Verständnis der natürlichen Prozesse, die menschliches Leben und Leben allgemein ausmachen“ (Virtbauer, 2013, S. 264). Um die Zusammensetzung der menschlichen Erfahrung des Seins verständlich zu machen, gibt es im Buddhismus das Konzept der fünf Daseinsgruppen oder skandhas. 2.2.4.1.1 Die Fünf Daseinsgruppen (skandhas) Diese teilen sich in eine körperliche- (rupa) und vier inmaterielle Herz-Geist Komponenten (namas): 1. Körper, Form, Materie (rupa): Dazu zählt nicht nur der menschliche Körper mit seinen Sinnesorganen, sondern alles Materielle das damit wahrgenommen wird. 2. Gefühlstönung (vedana): das was spürt, empfängt oder erfährt. Häufig auch als Fühlen oder Gefühl übersetzt, die Empfindungsqualität einer Erfahrung. Diese kann angenehm, unangenehm oder neutral sein. So ist das unangenehme an der Wut vedana und nicht die Wut an sich. 3. Unterscheidungsvermögen (sanna): ist das, was den Dingen und Erfahrungen Namen gibt und sie zu Konzepten und einem Sinnvollen Ganzen zusammenfügt. Es ist jener phänomenologischer Prozess, der die FigurHintergrund Unterscheidung, den Mustervergleich und die Kategorisierung vornimmt um schließlich zum Schluss zu kommen „das ist eine Rose“. 4. Bildekräfte (sankhara): veranlassen eine auf die Gefühlstönung folgende Handlung. Es ist die Reaktion, sei sie aktiv oder reaktiv, auf ein 53 vorangehendes Gefühl. Zu den Bildekräften zählen beinahe alle Geistesfaktoren, sowohl heilsame als auch unheilsame (siehe unten). Es ist unsere Verantwortung welche Bildekräfte im Leben wirksam werden und so zu Heilung und Frieden in unserem Geist und in der Welt, oder zu Zerstörung und Leid führen. 5. Bewusstsein (vinnana): „Das, was klar ist und wahrnimmt“. Dieser Aspekt ist am schwierigsten begrifflich zu fassen, meint er nur die grundsätzliche Fähigkeit des Geistes bewusst zu sein, wahrzunehmen, nicht aber den Vorgang des Wahrnehmens selbst. Es ist in sich selbst, ohne Ausdehnung, ohne Lokalisierung. Es ist die Fähigkeit unseres Geistes die Dinge in Erscheinung treten zu lassen, ohne dass eine objektive Welt dort draußen „wirklich“ existiert. 2.2.4.2 Die 2. »edle« Wahrheit von den Ursachen des Leidens Sie beschreibt der Buddha nach Allmen (2007) als eine unserem Geist eigene Unwissenheit, die sich in einer getäuschten, oder auch der wahren Natur der Dinge unangemessenen, verkehrten Wahrnehmung ausdrückt. Da unsere Wahrnehmungen aber unser Handeln steuern, führt dies in Folge zu inadäquaten Handlungen und Reaktionen. 2.2.4.2.1 Die drei Charakteristiken aller Phänomene Unsere habituelle Wahrnehmung ist sich normalerweise der drei Merkmale der Existenz oder den drei Charakteristiken aller Phänomene nicht bewusst (Allmen, 2007; Michalak, Heidenreich & Williams, 2012; Olendzki, 2009; Virtbauer, 2013): • Vergänglichkeit (anicca) – alles materielle und immaterielle ist nicht von Dauer und ständiger Wandlung unterworfen . Wir nehmen sie aber als dauerhaft wahr (nicca). • Leidhaftigkeit (dukkha) – Unser konditioniertes Erleben ist auf Grund der Vergänglichkeit inhärent leidhaft. Wir betrachten diese Phänomene jedoch als Glück bringend und erfüllend und streben danach (sukha). • Nicht-Selbst (anatta) – kein Phänomen existiert aus sich heraus, sondern wird von anderen Phänomenen hervorgerufen und ist damit wiederum Ursache für weitere Phänomene. Wir halten sie aber für eigenständig 54 existierend (atta). Damit wird auch das Konzept eines eigenständigen, konstanten Ich’s obsolet, was für die westliche Psychologie eine gewisse Herausforderung darstellt, dieses Konzept zu erweitern und anzupassen. Dieses Prinzip der wechselseitigen Bedingtheit wird auch als Leerheit (sunyata) bezeichnet. Dabei ist noch wichtig anzumerken, dass es sich bei Leerheit nicht um ein »Nichts« im Sinne eines Nihilismus handelt. Darauf hat der Buddha immer wieder hingewiesen, wie Brodbeck (2011) betont. „Psychologisch spielt sich menschliches Erleben in einem phänomenalen Netzwerk ab, indem jedes Phänomen direkt mit anderen Phänomenen verknüpft ist und nur in diesem interdependenten Netzwerk von Beeinflussungen verstanden werden kann. Daher gibt es auch aus psychologischer Sicht kein inhärentes, überdauerndes Selbst im Menschen“ (Virtbauer, 2013, S. 266). 2.2.4.2.2 Die unheilsamen Geistesfaktoren (kilesas) Als Verursacher allen Leidens werden die sog. Unheilsamen Geistesfaktoren (kilesa/klesa) gesehen. Diese werden in Wurzel-Klesas und Sekundäre Klesas aufgeteilt, wobei sich die genaue Nomenklatur zwischen Theravada und Mahayana Philosophie unterscheiden. Im Kern gleichen sie sich jedoch. Die drei Wurzel-klesas im Theravada Buddhismus sind • Unwissenheit, Verblendung: Dies ist nach Allmen (2007) die Urwurzel aller unheilsamen Geistesfaktoren, und bezieht sich auf die Unwissenheit über die drei Merkmale der Existenz und die phänomenologische Konstruktion von Wirklichkeit. Das führt zu Fehleinschätzungen über die Auswirkungen unserer Handlungen (karma) Daraus resultieren direkt die weiteren klesas. • Anhaften, Verlangen, Gier entsteht als Reaktion auf eine angenehme oder als angenehm zu erwartenden Situation oder Erfahrung. Wir projizieren attraktive Eigenschaften auf Dinge, Personen, Lebensbedingungen worauf bei uns Verlangen und (unrealistische) Erwartungen hervorgerufen werden, die ihrerseits inhärent leidvoll sind. Beginnt diese positive Erfahrung sich zu verändern, zu verschwinden, reagieren wir mit der Tendenz das angenehme festzuhalten, daran anzuklammern. Ob dies nun Menschen sind, die uns verlassen, berufliche Positionen, die wir nicht mehr inne haben, Immobilien, die ihren Besitzer wechseln. Oft versuchen wir um jeden Preis den Status quo 55 festzuhalten, oder das verlorene zurückzugewinnen, wo es doch oft weit weniger Energie kosten würde die Veränderung annehmen zu lernen. • Ablehnung, Hass ist die Reaktion auf eine Unangenehme Erfahrung. Meist gehen wir davon aus, dass wir etwas falsch gemacht haben, dass das Schicksal es schlecht mit einem meint und bemerken dabei nicht, dass schmerzhafte Erfahrungen Teil der Natur des Daseins sind und auch wieder von selbst vergehen. Dadurch entstehen unverhältnismäßige Reaktionen, die zu Wut, Ärger, Hass und Zerstörung führen. Zu den hier nicht näher erläuterten sekundären kilesas gehören im Theravada Modell Schamlosikgeit und Gewissenlosigkeit, Ruhelosigkeit und Aufgeregtheit, Falsche Sichtweise, Dünkel und Einbildung, Neid und Eifersucht, Geiz, Besorgnis, Trägheit, sowie Zweifel. 2.2.4.2.3 Karma und Wiedergeburt Folgen wir dem Gedanken von sunyata, dass alle Phänomene leer und ohne eigenständige Existenz sind, sondern in ständiger Wechselwirkung zu- und voneinander stehen, entstehen und vergehen, so ist es nachvollziehbar, dass all unser Handeln – und auch das Unterlassen von Handeln - unweigerlich Auswirkungen auf andere Phänomene hat. „Die Dinge dieses erscheinenden Daseins – materieller, psychischer oder geistiger Art – entstehen und vergehen in Abhängigkeit von Ursachen und Bedingungen“ (Allmen, 2007, S. 129). Dieses Gesetz wird karma genannt. Jede heilsame oder unheilsame Energie mit der wir unser Tun in der Welt ausrichten, wirkt auf uns zurück – in diesem Leben, für jeden empirisch überprüfbar und – im religiösen Buddhismus, der wie dargelegt in der Niedergangslehre des alten Indien wurzelt, auch im nächsten Leben. An dieser Stelle verlassen wir aber den Bereich des erfahrungsorientierten, phänomenologischen Vorgehens aus der Perspektive der ersten Person und müssten einen spekulativen, glaubensorientierten Zugang wählen. Für die Integration der buddhistischen Psychologie in eine westliche Psychotherapie kommt aus Sicht des Autors daher die metaphysische Spekulation über Wiedergeburt und Karma nicht in Frage, ist mehr noch ein Ausschließungsgrund. Die genaue Bedeutung von Karma ist noch dazu sehr komplex und dynamisch, dass eine deterministische und reduktionistische Interpretation wenig hilfreich bis schädlich ist (siehe das 56 sozialpsychologische Problem des „Glaubens an eine gerechte Welt“ – das Opfer ist demnach selber Schuld, oder eben karmisch bedingt). Zentral für die Wirkung von karma ist nach Allmen (2007) dabei die Absicht des Tuns, welche die Qualität der karmischen Handlung bestimmt. Dabei steht die Verantwortung für unser Handeln, die Bewusstheit mit der dies alles geschieht im Fokus. Dass die traditionelle buddhistische Lehre die Idee von Wiedergeburt beinhaltet, ist der Philosophie jener Zeit geschuldet in der der Buddha wirkte. Er übernahm das Weltbild seiner Zeit. Daraus resultiert sein Weg auch als Beschreibung eines Ausstiegs aus dem Kreislauf der Wiedergeburten. Nach Batchelor (2011) befand der Buddha die vorherrschende Wiedergeburtslehre als ausreichendes ethisches Fundament für seine Lehre. Denn so wie sich die Religionen aller Zeiten in der Konzeption von Gott, Götter und Göttinnen sowie den kulturellen Ausdrucksformen unterschieden, einig waren sie sich immer über die Existenz eines Lebens nach dem Tod. Diese Tatsache an sich ist aber noch kein Wahrheitsbeweis. Die Befürchtungen über eine Verneinung der Wiedergeburtslehre zu Zeiten des religiösen Buddhismus waren ähnlich denen im Christentum zur zeit der Aufklärung, dass wenn Menschen den Glauben an Himmel und Hölle verlieren es zu „totaler sittlicher Verwahrlosung führe “ (Batchelor, 2011, S. 49). Als eine wesentliche Errungenschaft der Aufklärung kann demnach die Erkenntnis erachtet werden, dass ein atheistischer Materialist eine ebenso hohe oder sogar höhere moralische Integrität besitzen kann wie ein gläubiger, sich vor der Hölle fürchtender, Christ. Diese Entwicklungen führten laut Batchelor zu jener geistigen und politischen Freiheit, wie sie die Grundlage der heutigen westlichen Zivilgesellschaft sind. Dass die Frage »was denn von einem Leben zum nächsten weitergeht« vor dem Hintergrund der Leerheit und des bedingten Entstehens ist nicht empirisch belegbar, zumindest nicht für »mich«, Denn so wie der Apfel, der vom Baum fällt, sich allmählich auflöst, und nur über seinen Samen neue Apfelbäume hervorbringt, die ihrerseits zu Boden fallende Äpfel hervorbringen, so löse auch »ich« mich auf und hinterlasse Prägungen in der ewig sich selbst erzeugenden Matrix des Lebens. Die Spekulationen, dass es Bewusstseinsformen gibt, die in Zwischenreichen weilen, bis sie in einem Mutterleib inkarnieren „führen uns von der agnostischen und pragmatischen Grundhaltungen des Buddha weg und zu metaphysischen Gegenständen hin, die weder bewiesen noch widerlegt werden können“ (Batchelor, 2011, S. 51). 57 Daraus wird deutlich dass wir im Allgemeinen um unser Tun ethisch, mit melioristischem Engagement, auszurichten und im Speziellen in der Psychotherapie gänzlich ohne dem Konzept der Wiedergeburt auskommen. 2.2.4.2.4 Die zwölf Glieder des Abhängigen Entstehens In dieser Lehre erklärt der Buddha den Kreislauf von Samsara, wie wir immer aufs Neue Leid erschaffen. Diese zwölf Glieder bedingen sich gegenseitig und halten sich, steuern wir nicht mit Bewusstheit und Achtsamkeit dagegen, selbstorganisierend, heute würden wir sagen nichtlinear und autopoietisch, aufrecht. Daher ist jede Darstellung als »Kreis«lauf auch reduktionistisch. Die zwölf Glieder sind: Unwissenheit & Verblendung, Bildekräfte & Tendenzen, WiedergeburtBewusstsein, Geist-Körper, Die sechs Sinne, Kontakt, Gefühlstönung, Verlangen, Anhaften, Werden, Geburt, Krankheit/Alter/Tod. Genaueres über die komplexen Prozesse des abhängigen Entstehens findet man laut Allmen (2007) im Patthana, im siebten Band der Abhidhamma-Literatur, dem Buch der kausalen Beziehungen. 2.2.4.3 Die 3. »edle« Wahrheit vom Ende des Leidens Haben wir einmal die beiden ersten Grundlagen verstanden, wie existentielles Leid/Angst entsteht, können wir auch dafür sorgen, dass dies zum Aufhören gebracht wird. Wir müssen dazu »erwachen« und in Folge entsprechend unser gewohnheitsmäßiges Handeln neu ausrichten um die zwölf Glieder aufzulösen. Dies geschieht durch Achtsamkeit, Erkenntnis und Gelassenheit. • Das Verlangen beenden ist die erste Gelegenheit. Dazu ist es notwendig unseren aufkeimenden Handlungsimpulsen mit Achtsamkeit zu begegnen und uns fragen, ob es wirklich notwendig ist (im wahrsten Sinne des Wortes also eine Not wendet), und welche Motivation dahinter steht. Gelingt es uns dieses Ergreifen einer Reaktion fallen zu lassen, bzw. von ihr abzusehen, wird der Kreislauf von konditioniertem Verhalten unterbrochen. Mit unangenehmen Situationen verhält es sich genauso. Sehr schnell unternehmen wir Anstrengungen die negativ erlebte oder - drohende Situation zu vermeiden. Wir haben das Verlangen sie loszuwerden. „Immer dann, wenn wir willens und fähig sind, unangenehmen Erfahrungen mit annehmender 58 Gelassenheit zu begegnen, sind wir innerlich frei, unterbrechen wir den Prozess des kontinuierlichen Werdens“ (Allmen, 2007, S. 159). • Unwissenheit durch Erkenntnis auflösen bedeutet sich des ständigen Wandels allen Seins, von den Dingen, den Gefühlstönungen bis zum Bewusstsein selbst gewahr zu werden und die Illusion einer selbständigen Existenz der Phänomene zu durchschauen. Wenn wir unsere Achtsamkeit schulen und präzisieren und in jeder Situation die wahre Natur des Daseins erkennen und anwenden so lösen sich die konditionierten Reaktionen des Geistes und damit das Greifen und Anhaften auf. • Die Kilesas entkräften ist nicht so einfach wie es sich schreibt, sind die unheilvollen Geistesfaktoren doch von Anbeginn unseres Mensch-Seins vorhanden. Wären all unsere Bedürfnisse stets erfüllt, so postuliert auch die humanistische Psychologie, wäre der Mensch grundsätzlich gut. Da wir stets Mangel und Entbehrung sowie Schädigung erfahren, bilden sich auch kilesas. Durch achtsames Gewahrsein in jedem Augenblick lassen sie sich jedoch zunehmend entkräften, indem wir uns der aufsteigenden Handlungstendenzen gewahr werden, von ihnen ablassen und damit freier werden von Identifikation, Anhaftung und Ablehnung. „Wenn wir an Ärger oder Hass haften, werden wir leiden. Eine von Hass freie, kraftvolle, weise und mitfühlende Reaktion ist durchaus möglich“ (Kornfield, 2008, S. 296). • Nibbana/Nirvana/Erleuchtung: Wohl kaum ein anderer Begriff aus dem Kontext buddhistischer Philosophie ist so mit Heils- und Erlösungsprojektionen überfrachtet wie »Erleuchtung«. Dabei sagte der Buddha laut Allmen (2007) lediglich „Was ist das Ziel? Es ist das Versiegen von Begierde, Hass und Verblendung“. Es ist kein Zustand in einem wie auch immer erweiterten Bewusstsein, es ist lediglich die Freiheit von jeglicher Anhaftung an bedingter Erfahrung. „Dies nenne ich weder Entstehen noch Vergehen, noch Stillstehen, weder Geborenwerden, noch Sterben. Er [Nibbana, Anm. d Verf.] ist ohne Grundlage, ohne Entwicklung und ohne Stützen, dies ist das Ende des Leidens“. Wie die Stufen auf diesem Pfad aussehen, dafür gibt es verschiedene Modelle und in der Interpretation wer denn ein Erleuchteter, ein Arya sei, unterscheiden sich die unterschiedlichen Schulen und Strömungen teils erheblich. 59 „Das Samsara, das wir aufgeben müssen, sind die ichbezogenen Muster in unserem eigenen Geist, die dualistische Sicht – ist dies getan, ist Erleuchtung erreicht“ (Gendün Rinpoche, 2010, S. 245) 2.2.4.4 Die 4. »edle« Wahrheit vom Pfad, der zum Ende des Leidens führt Dieser Pfad ist im Theravada auch als Der achtfache Pfad bekannt. Im Mahayana Buddhismus wird vermehrt der Lam-rim, der Stufenpfad gelehrt. Alle Modelle dienen jedoch dazu die heilsamen Geistesfaktoren zu kultivieren. 2.2.4.4.1 Die heilsamen Geistesfaktoren (sobhana) • Vertrauen (saddha) in den Inhalt der Idee der Befreiung und in die eigenen Fähigkeiten den Pfad zu gehen. Dazu gehört die eigene Begeisterung genau so wie das Vertrauen in die gemachten Erfahrungen auf diesem Pfad. • Achtsamkeit, Gewahrsein (sati) In den unterschiedlichen Schulen wird sati unterschiedlich ausgelegt. Das Wort trägt in sich die Bedeutung von »Erinnern« - in der Vipassana Meditation »sich an diesen Moment erinnern« und »wach und aufmerksam zugegen sein«, wie Allmen (2007) erläutert. Dieser weist auch darauf hin, dass entgegen der durch die Verbreitung von Achtsamkeitsübungen im Westen häufig unterstellten grundsätzlichen Heilsamkeit von Achtsamkeit, dies im Abhidhamma nicht der Fall ist. In den Grundlagentexten zur buddhistischen Psychologie wird sati nämlich unter den ethisch neutralen, objektvermittelnden Geistesfaktoren aufgelistet. Ein Jäger mit hoher Achtsamkeit kann besonders viele Tiere töten, ein Investmentbanker, der sich der aktuellen Marktsituation stets gewahr ist, kann dies zu seinem Vorteil nutzen. Ob es sich bei Achtsamkeit um ein heilsames Unterfangen handelt, hängt von der inneren Ausrichtung ab. Darum sollte an dieser Stelle stets von Rechter Achtsamkeit (samma sati) die Rede sein. Was heilsam wirkt muss letztlich jeder selbst erforschen. Im tibetischen Meditationssystem des Mahamudra und des Dzogchen, auch wie im Zen spielt Achtsamkeit eine ebenso zentrale Rolle, wird jedoch anders bezeichnet. Germer et al. (2009) bezeichnen Achtsamkeit als den „royal state of mind“. Weiters gilt Achtsamkeit nach Allmen (2007) als eine der fünf spirituellen Fähigkeiten und als einer von sieben Erleuchtungsfaktoren. 60 • Nicht-Anhaften und Nicht-Ablehnung sind die Antipoden zu den beiden Wurzel-Kilesas des Anhaftens und Ablehnens. Nicht-Anhaften verwirklicht man passiv mit Loslassen und aktiv mit Offenherzigkeit und Großzügigkeit (dana). Nicht-Ablehnung, Nicht-Hass verwirklicht man durch liebevolle Güte (metta). Dabei ist es wichtig zu beachten dass metta und dana von selbst erscheinen, wenn Ablehnung und Anhaften nicht mehr auftreten, worauf Allmen (2007) hinweist, sie sich also wechselseitig bedingen. • Insgesamt gibt es 19 heilsame Geistesfaktoren im Theravada Modell. Die restlichen Faktoren sind Schamgefühl, Gewissenhaftigkeit, Gleichmut & Gelassenheit; die sechs Paare (je ein Faktor für den psychischen und geistigen Aspekt): Ruhe, Beweglichkeit, Flexibilität, Gefügigkeit, Geschicktheit, Aufrichtigkeit; gefolgt von den drei Unterlassungen Rechtes Reden, Rechtes Tun, Rechter Lebenserwerb; die zwei Grenzenlosen: Mitgefühl (karuna) und Mitfreude (mudita); sowie Nicht-Täuschung oder Befreiende Weisheit. 2.2.4.4.2 Der Achtfache Pfad Klassischerweise wird der Achtfache Pfad, als buddhistische Variante eines ethischen Verhaltenskodex, als Rad mit acht Speichen, die in drei Gruppen eingeteilt sind, dargestellt. Diese Darstellung ist ob ihrer dynamischen, in vielfachen Wechselbezügen verwobenen Struktur, missverständlich wenn wir sie als lineare Abfolge verstehen würden. Vielmehr beeinflusst jeder Bereich jeden anderen. Vor jedem Bereich steht der etwas holprig klingende Begriff »Recht«, der sich aus Samma ableitet, was soviel wie richtig, angemessen, hilfreich, geeignet bedeutet, um die Wichtigkeit der inneren Ausrichtung zu betonen, wie oben bei »Achtsamkeit« bereits erläutert wurde. • WEISHEIT o Rechte Erkenntnis/Sicht: Das Herzstück aller buddhistischen Praxis, das erste Element, wie auch „Höhe- und Schlusspunkt in der Liste“ (Olendzki, 2008, S. 410). Zuerst braucht es Vertrauen in die Praxis, die Lehre, das Einschlagen der richtigen Richtung. Als Resultat ist damit das vollständige Erwachen gemeint, die Dinge so sehen/schauen, wie sie wirklich sind. 61 o Rechte Gesinnung/Absicht: Dies ist in der buddhistischen Psychologie das prinzipielle Werkzeug für Wandel. Haben wir die rechte Sicht erlangt, so drückt sich die rechte Gesinnung nach Allmen (2007) in Loslassen und Großzügigkeit aus. Durch diese beiden ersten Faktoren können die Wurzel-Kilesas aufgelöst werden. • VERHALTEN o Rechte Rede bedeutet von unheilsamen Arten des Redens abzusehen, Lügen, Verleumdung, verletzendes Reden, hohles Geschwätz, Lobhudelei um sie durch eine kommunikative Atmosphäre zu ersetzen, in der sich andere wohl fühlen. o Rechtes Handeln/Tun bedeutet in erster Linie, dass wir nach Allmen (2007) drei Arten unheilvollen Handelns vermeiden: Töten, Stehlen, Leid verursachendes sexuelles Verhalten. Nach Olendzki (2008) kommen für die »fünf ethischen Maxime« noch Nicht-Lügen und kein Konsum berauschender Mittel dazu. Nicht nur das Vermeiden leidvollen Verhaltens ist Engagements angesagt, (Petzold, sondern 2011, S. jede 126), „engagierter Praxis von Verantwortung“ vermehrt vom engagierten Form melioristischen Kulturarbeit im Sinne ebenso. Im Westen wird Buddhismus gesprochen, in dem Bewusstsein dafür geschaffen wird, dass heilsame Handlungen eines jeden Einzelnen nützlich ist, für diejenigen, die davon betroffen sind. o Rechte Lebensführung/Lebenserwerb besteht ebenso aus dem Vermeiden von schädlichen Tätigkeiten, die mit dem Töten von Tieren, dem Waffenhandel, Börsenspekulation, Gift, Drogen, Atommüll, etc. zu tun haben. Dieser Aspekt macht deutlich dass jeder Lebensbereich Teil unserer Dharmapraxis sein kann. • MEDITATION o Rechtes Bemühen – darunter ist die Willenskraft, die »Heldenhaftigkeit«, ein Synonym für vayama, zu verstehen, den Pfad zu gehen, die oben beschriebenen Prinzipien zu üben, zu praktizieren. „Ihr erwartet Wunder? Nicht von mir! Erleuchtung ist harte Arbeit.“ (Dalai Lama, zit. nach Allmen, 2007, S. 218) 62 o Rechte Achtsamkeit, auch als rechtes Gewahrsein, rechte Aufmerksamkeit oder rechtes Gegenwärtigsein bezeichnet, wird im nächsten Kapitel näher erläutert. o Rechte Sammlung/Konzentration – die Entwicklung von Samadhi ist eine der beiden Meditationsformen (Samatha) in der völlige Einsgerichtetheit auf das Meditationsobjekt angestrebt wird. In der Einsichtsmeditation (Vipassana) dagegen wird der Fokus auf die Erkenntnis der wahren Natur aller Phänomene, ihre Bedingtheiten und Wandlungen, die Leerheit, usw. gelegt. Bei samatha dagegen verweilt der Geist in Ruhe auf einem Objekt und sorgt dafür, dass er sich nicht ablenken lässt. Sammlung zählt wie Achtsamkeit ebenfalls zu den ethisch neutralen Geistesfaktoren. Im Theravada kennt man laut Allmen (2007) vierzig verschiedene Objekte um Sammlung zu praktizieren. Über die Problematik der Operationalisierung von Samatha für die empirische Überprüfung im Labor, auf Grund von unterschiedlichen Interpretationen von Samatha zwischen den verschiedenen buddhistischen Strömungen, berichten Lutz, Dunne und Davidson (2007). Als Formen von Samatha Meditation zur Entwicklung von Herzensqualitäten werden bei Allmen (2007) »Die Vier Grenzenlosen« oder »Die vier erhabenen Verweilungen« aufgeführt: ! Liebevolle Güte (metta) – Der Wunsch dass alle Lebewesen glücklich sein mögen wird durch Sätze wie „Mögest Du glücklich und in Frieden sein“ ausgedrückt. ! Mitgefühl (karuna) ist der Wunsch dass alle Wesen frei sein mögen von allen Arten des Leidens und entsteht im Herzen, wenn wir uns für das Leiden der Wesen öffnen. Empirische neuropsychologische Befunde zur Auswirkung von KarunaMeditation finden sich bei Klimecki, Leiberg, Lamm & Singer (2013). ! Mitfreude (mudita) entsteht, wenn wir uns von der Freude einer Person berühren lassen und trotz dem Bewusstsein, dass alle Zustände vergänglich sind den Wunsch äußern „möge Dein Glück und Dein Wohlergehen nie enden“. 63 ! Gelassenheit (upekkha) entsteht aus Erkenntnis und Weisheit. Ungeachtet der Bemühungen die wir auch aufbringen um Leiden zu verringern, wird es immer Leiden geben. Denn schließlich sorgen die Menschen durch ihre eigenen Verstrickungen dafür dass sich der Kreislauf aufrechterhält. Das Gewahrsein dieses Aspekts ist gerade für Menschen in helfenden Berufen von großer Bedeutung. 2.2.5 Achtsamkeit Für die Erkenntnis dessen, was Achtsamkeit bedeutet, ist die eigene Erfahrung entscheidend, da sie in ihrem Wesen eine subtile, nicht-verbale Erfahrung jenseits von Worten und Konzepten ist. Darüber sind sich alle Vertreter buddhistischer Richtungen ebenso einige, wie jene Kliniker, die achtsamkeitsbasierte Verfahren im psychologisch / therapeutischen Alltag einsetzen. Zur konzeptuellen Orientierung werden folgend einige gängige Definitionen vorgestellt um möglichst angemessen über diesen Zustand kommunizieren zu können. 2.2.5.1 Definitionen Rechte Achtsamkeit ist die Fähigkeit des Geistes wahrzunehmen, was ist, ohne die Erfahrung zu werten, an ihr zu haften oder sie zu manipulieren. Wir umarmen sozusagen unsere Erfahrung mit aufmerksamer, liebevoller Gelassenheit.... Es geht nicht ums Denken über die Erfahrung des Moments, sondern um ein direktes in Kontakt sein. (Allmen, 2007, S. 222) „Achtsamkeit ist reines Beobachten oder Gewahrsein, ohne dass mentale oder kognitive Projektionen die Wahrnehmung oder die mentale Wahrnehmungsverarbeitung trüben würden“ (Brück, 2013, S. 12). Der buddhistische Gelehrte und Mönch Nyanaponika Thera definierte nach Meibert (2013) »Achtsamkeit als das klare und zielstrebige Gewahrsein dessen, was in den sukzessiven Momenten der Wahrnehmung gerade mit und in uns geschieht«. Dabei 64 hat dieses »Wahrnehmen was ist« eine Qualität, die Gunaratana als »teilnehmende Beobachtung« bezeichnet. Der Meditierende ist sowohl Teilnehmer als auch Beobachter zu ein und derselben zeit. Wenn man seine Gefühle oder körperlichen Empfindungen betrachtet, fühlt man sie auch genau in diesem Moment. Achtsamkeit ist keine intellektuelle Bewusstheit, sie ist einfach Bewusstheit. [...] Achtsamkeit ist objektiv, aber sie ist nicht kalt oder gefühllos. Sie ist die wachsame Erfahrung des Lebens, eine aufmerksame Teilnahme am laufenden Prozess des Lebens. (Gunaratana, zit. nach Meibert, 2013, S. 180) Germer, Siegel und Fulton (2009) führen weitere Definitionen an, wie »Achtsamkeit ist Gewahrsein von Augenblick zu Augenblick« Oder jene von Thich Nhat Hanh aus 1976: »Achtsamkeit bedeutet das eigene Bewusstsein für die gegenwärtige Wirklichkeit lebendig halten.« Im Bereich der Psychologie finden wir die Definition von Achtsamkeit von Kabat-Zinn (1990) laut Michalak, Heidenreich und Williams (2012) als • „Aufmerksamkeitslenkung auf die im aktuellen Moment vorhandenen Bewusstseinsinhalte • Mit der Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zurückkommen • Nicht wertende Haltung gegenüber Erlebnisinhalten des gegenwärtigen Augenblicks.“ Die operationale Definition von Bishop et. al (2004) wurde nach Michalak, Heidenreich und Williams (2012) in einem Konsensverfahren unterschiedlicher Achtsamkeitsforscher entwickelt und beinhaltet zwei Komponenten: • Selbstregulation der Aufmerksamkeit um sie auf den unmittelbaren Erfahrungen des gegenwärtigen Augenblicks zu halten. • Bestimmte Orientierung in Form einer Haltung von Neugierde. Damit wird insgesamt eine Haltung der Akzeptanz der eigenen Erfahrung gegenüber eingenommen. 65 Eine mehr westlich psychologische Definition aus 1989 wird ebenso angeführt: „Achtsamkeit ist ein kognitiver Vorgang, der die Entstehung neuer Kategorien, Offenheit für neue Information und Gewahrsein aus mehr als einer Perspektive anwendet“ (Langer, zit. nach Germer et al., 2009, S. 20 ). Baer führt nach ihrer Zusammenfassung der Achtsamkeits- und Psychotherapieliteratur im Jahr 2003 folgende Definition an: „Achtsamkeit ist die nicht wertende Beobachtung eines fortlaufenden Stroms internaler und externaler Stimuli, während sie erscheinen“ (Baer, zit. nach Germer et al., 2009, S. 20). Oder um mit Gertrude Stein zu sprechen „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“. Im therapeutischen Bereich, so Germer et al. (2009), wird die Definition oft um den Aspekt von Nicht-Werten erweitert, wie aus der Definition von Jon Kabat-Zinn ersichtlich ist: »Achtsamkeit ist das Gewahrsein, das in Erscheinung tritt durch die absichtliche Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment und ohne Wertung der Erfahrung, die sich von Moment zu Moment entfaltet.« Eine Erweiterung Freundlichkeit, von Nicht-Werten Liebenswürdigkeit ist und Akzeptanz, Herzensgüte womit gemeint eine ist, gewisse mit der Therapeutinnen intensiven Gefühlen wie Angst, Scham oder Zorn begegnen sollen. Es ist die Willensbereitschaft Phänomene so zu belassen wie sie im Moment sind, seien sie angenehm oder schmerzhaft. Veränderung folgt dann dieser Akzeptanz, oder wie Christensen & Jacobson in Germer et al. (2009) sagen: »Veränderung ist der jüngere Bruder der Akzeptanz«. Bei Linehan’s Ansatz finden wir dann sogar »radikale Akzeptanz« als Teil der therapeutischen Praxis. Damit gelangen sie zur prägnanten Kurzdefinition für ihr Buch „Achtsamkeit in der Psychotherapie“ • Gewahrsein der • Gegenwärtigen Erfahrung mit • Akzeptanz 66 Und weisen darauf hin, auch wenn wir diese Begriffe getrennt voneinander beschreiben, sie in der eigenleiblichen Erfahrung doch untrennbar miteinander verbunden sind. Jeder kann den Alltag als Übungsfeld nutzen um hinter die psychologischen Mechanismen von Emotionen und verstricktem Handeln zu kommen, um so jene Momente zu mehren, die von Achtsamkeit durchdrungen sind. 2.2.5.2 Achtsame Moment sind Nichtkonzeptuell: Achtsamkeit ist ein Gewahrsein ohne Absorption in unseren Gedankenprozess Gegenwartszentriert: Achtsamkeit ist immer im gegenwärtigen Moment. Gedanken über unsere Erfahrung sind schon einen Schritt vom gegenwärtigen Moment entfernt. Nichtbewertend: Gewahrsein kann nicht frei geschehen, wenn wir unsere Erfahrung anders wünschen als sie es ist. Intentional: Achtsamkeit schließt immer eine Absicht mit ein, die Aufmerksamkeit auszurichten. Die Aufmerksamkeit zum gegenwärtigen Moment zurückzubringen gibt der Achtsamkeit mit der Zeit Kontinuität. Teilnehmendes Beobachten: Achtsamkeit ist nicht losgelöstes Zeuge sein. Es bedeutet, Geist und Körper mit mehr Intimität zu erfahren. Nichtverbal: Die Erfahrung der Achtsamkeit kann nicht in Worte gefasst werden, weil Gewahrsein geschieht, bevor Worte im Geist auftauchen. Explorativ: Achtsames Gewahrsein ist ein Erkunden immer subtilerer Stufen der Wahrnehmung. Befreiend: Jeder Augenblick achtsamen Gewahrseins befreit von bedingtem Leiden. (Germer et al., 2009, S. 23-24) 2.2.5.3 Klassisches Achtsamkeitstraining – die vier Grundlagen von Achtsamkeit 1. Achtsamkeit auf den Körper (kaya): Damit wird traditionell die Geistesschulung begonnen, indem die Achtsamkeit auf Körperempfindungen gelenkt wird. Klassischerweise auf die physischen Empfindungen während 67 des Atmens. Dabei wird stufenweise die Wahrnehmung verfeinert – von der Bewegung des Brust- und Bauchraums während der Atmung, den Empfindungen an der Nasenspitze, hin zu einer Vielzahl immer feinerer Nuancen körperlicher Phänomene, wie Olendzki (2009) beschreibt. Dabei ist es wichtig, mit Achtsamkeit dabeizubleiben und nicht abzuschweifen. Allmen (2007) führt weiters die Achtsamkeit auf andere Empfindungen während der Körper verschiedene Positionen einnimmt, aus. Im Sitzen, Gehen, Stehen und Liegen. Gespürt wird von innen heraus, kein Moment wird ausgelassen, kein Moment ist weniger wichtig. Schließlich kommen noch »die vier Elemente« im Sinne von Empfindungsqualitäten in den Fokus von Achtsamkeit: fest, weich, heiß, kühl, kalt, Bewegung, Stille, Vibration, fließen, pulsieren, strömen. 2. Achtsamkeit auf die Gefühle/Gefühlstönungen (vedana) meint nicht nur die Gefühle wie Freude, Wut, Trauer, usw. sondern die grundlegenden Tönungen positiv, negativ und neutral. Daraus entsteht in Folge unsere Tendenz Anzuhaften oder Abzulehnen. Diese Betrachtung bezieht sich auf aktuelle Körperempfindungen ebenso, wie auf mentale Bilder, Erinnerungen, Gedanken. „Diese zwei Stränge zu entwirren – (1) ein Objekt erkannt durch das Sinnestor und (2) den Gefühlston, der das Objekt begleitet – ist der Anfang, die rastlose Bewegung des Geistes offen zu legen und trägt zu einem tieferen Verstehen seiner konstruierten Beschaffenheit bei“ (Olendzki, 2009, S. 363). 3. Achtsamkeit auf den Geist/Geisteszustände/Herz-Geist (citta) meint nach Allmen (2007) die Bewusstseinszustände, die Eigenschaften und Funktionen die präsent sind in Herz und Geist, wie Liebe, Hass, Grausamkeit, Mitgefühl, Zerstreuung, Konzentration, Wachheit, Schläfrigkeit, Erkenntnis, Verblendung und Achtsamkeit selbst. Sie alle kommen und gehen in konstantem Strom. Wir bestimmen nicht energetischen darüber. Dynamik Sich bewusst ihrer zu kognitiven, werden, ist emotionalen Ziel dieser und dritten Betrachtungsstufe. Dies ermöglicht auch die zunehmende Schärfung der phänomenologischen Erkenntnis, dass keine dieser Geisteszustände »ich« bin oder »mir« gehören. Sie sind gewissermaßen die konzeptualisierten Echos neuronaler Aktivität. „Geschickter Umgang mit den Zuständen von Herz und Geist sowie Desidentifikation dank unmittelbarem Erfahren ihrer Merkmale von 68 Vergänglichkeit, Unzulänglichkeit und Nicht-Selbst: Darum geht es bei der dritten Grundlage der Achtsamkeit“ (Allmen, 2007, S. 229). 4. Achtsamkeit auf die Geistobjekte (dhammas) ist die letzte Stufe im Prozess der Entwicklung von Achtsamkeit und nimmt als Betrachtungsgegenstand die grundlegenden Belehrungen und Kategorien der buddhistischen Psychologie selbst. „Hier bringt man die gleiche Qualität nuancierten Gewahrseins für das auf, was mit dem aktuellen Inhalt der mentalen Erfahrung entsteht“ (Olendzki, 2009, S. 365). • Die fünf Hemmnisse/Hindernisse (nivarana) sind Verlangen, Ablehnung, Trägheit, Ruhelosigkeit, Zweifel • Die fünf Daseinsaspekte/Aggregate (skandhas) – siehe das zählen die entsprechende Kapitel • Die zwölf Sinnesgrundlagen (ayatana) – Dazu Erfahrungsprozesse unserer fünf Sinne sowie als sechster Sinn und Geistgrundlage das Bewusstsein. Dazu kommen nochmals je sechs zugehörige äußere Grundlagen, den Objekten zum Sinnesorgan entsprechend: Sehorgan -> das Gesehene, Hörorgan -> das Geräusch, usw. • Die sieben Erleuchtungsfaktoren (bojjhanga), oder „Qualitäten des erwachten Geistes“ (Allmen, 2007, S. 231), sind Achtsamkeit, Ergründen, enthusiastisches Bemühen, Interesse, Freude, Entzücken, Ruhe, Sammlung, Gelassenheit. • Die vier edlen Wahrheiten (sacca) – siehe das entsprechende Kapitel 69 Abbildung 8: Durch Achtsamkeit die Erleuchtungsfaktoren ins Gleichgewicht bringen (Allmen, 2007, S. 238) Diese kurze Übersicht über die Bedeutung von Achtsamkeit in der klassischen buddhistischen Psychologie soll als Referenzsystem, als Eichmaßstab dienen, um die westlichen Entwicklungen und Anwendungen besser kontrastieren, sowie etwaige bedenkliche Aspekte davon deutlicher herausarbeiten zu können. Die folgende Darstellung zeigt in grafischer Form nochmals die Verortung von Achtsamkeit im Kontext buddhistischer Psychologie: 70 Achtsamkeit Olendzki, 2009) 71 Abbildung 9: Verortung von Achtsamkeit innerhalb der buddhistischen Psychologie (Wasner, 2014, nach Konzentration Achtsamkeit &{MAP_NAME} - 28.10.14 - Mindjet (beruhigen, samatha in Pali) Den Geist auf ein einziges Objekt konzentrieren unter Ausschluss anderer Objekte fördert die Konzentration oder "Einspitzigkeit" der geistigen Funktion. Soweit ablenkende Gedanken oder Empfindungen entstehen, lässt man davon ab, diesen Objekten Aufmerksamkeit zu schenken und bringt das Gewahrsein sanft zum primären Objekt der Erfahrung (Atem, Wort, Phrase usw.) zurück. Sobald der Geist sich auf ein bestimmtes Objekt des phänomenalen Feldes einstellt, gewinnt er an Stille, Stabilität und Kraft. (Einsicht, vipassana in Pali) In der Achtsamkeitsmeditation erlaubt man dem Gewahrsein von einem zum nächsten Objekt zu wandern, sobald die Stimuli sich als Erfahrung zeigen. Geschieht das in einer anhaltenden Weise, führt es zur Einsicht in die subjektive Konstruktion von Erfahrung und in die drei Merkmale der Existenz. Die vier Grundlagen der Achtsamkeit Die zwei Arten der Meditation Achtsamkeit auf mentale Objekte Achtsamkeit auf den Geist Achtsamkeit auf die Gefühle Achtsamkeit auf den Körper Gleichmut Mitfreude Mitgefühl Die vier grenzenlosen Eigenschaften des Herzens Die sieben Faktoren der Erleuchtung Liebende Güte Gleichmut Konzentration Stille Freude Energie Untersuchung Olendzki in Germer (2007) Begriffe der Buddhistischen Psychologie Der Achtfache Pfad Der Pfad, der zum Aufhören von Leid führt Das Aufhören von Leid Die Ursache des Leidens Die Tatsache vom Leiden sind... kürzeste Ausdruck der gesamten Lehre des Buddha und gemeinsame Nenner aller buddhistischen Richtungen bzw. Schulen. Verblendung Hass Gier Das weder angenehme noch unangenehme Gefühl Das unangenehme Gefühl Rechte Konzentration Rechte Achtsamkeit Rechtes Bemühen Rechter Lebenserwerb Rechtes Tun Rechte Rede Rechte Absicht Rechte Sicht Die Vier Edlen Wahrheiten Drei Hauptursachen von Leid Die drei Arten des Gefühls Nicht-Selbst Leiden Vergänglichkeit Das angenehme Gefühl Die drei Merkmale der Existenz 2.2.5.4 Verortung von Achtsamkeit innerhalb der buddhistischen Psychologie 2.3 Achtsamkeit und Psychotherapie Als William James, ein amerikanischer Psychologe introspektiver Richtung, „Anfang des 20. Jahrhunderts in Harvard lehrte, unterbrach James plötzlich seinen Vortrag. Er erkannte einen buddhistischen Mönch aus Sri Lanka unter seinen Zuhörern. ‚Nehmen Sie meinen Stuhl’, so habe er gesagt. ‚Sie sind besser ausgestattet, Psychologie zu lehren als ich. Das ist die Psychologie, die jeder in 25 Jahren studieren wird.’“ (Epstein, zit. nach Germer et al., 2009, S. 29). Auch wenn sich die zeitliche Vorhersage etwas nach hinten verschoben hat, Achtsamkeit ist längst im klinischen Alltag angekommen und inzwischen hundertfach empirisch beforscht worden. Germer et al. (2009) nennen im wesentlichen drei Aspekte, die eine achtsamkeitsorientierte Psychotherapie ausmachen: 1. Ein Therapeut kann durch eigene Achtsamkeitsmeditation mehr achtsame Präsenz für seine Therapien entwickeln 2. In der achtsamkeitsinformierten Psychotherapie können die Therapeuten Erkenntnisse und Konzepte der buddhistischen Psychologie zur Achtsamkeit aufgreifen und mit den Erkenntnissen aus der aktuellen Forschung zum Thema einen erweiterten theoretischen Bezugsrahmen nutzen, sowie 3. sie lehren in einer achtsamkeitsbasierten Psychotherapie ihre PatientInnen wie man Achtsamkeit übt und mit der Anwendung der Prinzipien und Haltungen persönliches Leid vermindern kann. Ein neues Psychotherapiemodell erhalten wird laut Germer et al. (2009) dann, • wenn die laufende Forschung die Nützlichkeit bestätigt, • wenn die Kernaspekte von Achtsamkeit für unterschiedliche Diagnosen und Patientengruppen sowie Settings differenziert werden, • wenn wir die Grenzen des Ansatzes präzisieren und akzeptieren können, • wenn die verschiedenen Achtsamkeits-Schulen und Forschungsrichtungen unter einen theoretischen Hut gebracht werden, • sowie, so fügt der Autor hinzu, wenn wir die geistig-spirituelle Dimension in zeitgemäßer, säkularer Form integrieren können. 72 2.3.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede Wie lässt sich ein Verfahren, das vor über 2500 Jahren im alten Indien entstand mit einem im heutigen westlich-wissenschaftlich gegründeten Psychotherapieverfahren überhaupt vergleichen? Ist das Leiden, auf das Buddha sich einst bezog mit dem Leiden des heutigen modernen Menschen vergleichbar? Ist das Bestreben der UrBuddhisten Leiden zu lindern äquivalent mit dem Bestreben von TherapeutInnen, das Leiden unserer Patienten zu lindern? Und das mit den selben philosophischen Ansätzen und Methoden? Die große zeitliche und kulturelle Distanz scheint die Beantwortung dieser Frage als wenig vielversprechend und als kühnes Unterfangen erscheinen. Und doch stehen wir vor dem Phänomen, dass die wissenschaftliche Erforschung und empirische Absicherung der Wirkung dieser Jahrtausende alten »Herangehensweise« zur Behandlung von seelisch- geistigen Nöten und Leidenszuständen, in den vergangenen Jahren rasant zugenommen hat. Irgend etwas muss an diesem Herangehen dran sein, das auch für uns westliche Menschen nützlich, greifbar und kompatibel ist. 2.3.1.1 Im Tree of Science • Das Kapitel »Phänomenologie und Buddhismus« gibt auf der Ebene der Meta-Theorien des Tree Of Science über die Kompatibilitäten Auskunft. • Auf der Ebene der realexplikativen Theorien können wir Parallelen zwischen beiden Systemen erkenne, denn beide haben ein „Rahmenwerk zum Verständnis psychologischer Störungen gemein. Beide Systeme identifizieren Symptome, beschreiben Ätiologien, schlagen eine Prognose vor und verschreiben eine Behandlung. Diese Formulierung ist [in der buddhistischen Psychologie] in den Vier Edlen Wahrheiten zu finden“ (Germer, 2009, S. 52). • Auf der Ebene der Praxeologie finden sich ebenfalls in beiden Traditionen eine Vielzahl an Theorien zu Behandlungskonzepten und Behandlungsmethoden. Die buddhistische Psychologie fügt neben der theoretischen phänomenologischen Gründung auch einen reichen Schatz an Methodologie zur Umsetzung der phänomenologischen Analyse • bis hinunter auf die Ebene der konkreten Praxis, womit schließlich die konkreten Achtsamkeitsübungen gemeint sind. 73 Sowohl psychodynamische, als auch verhaltenspsychologische Ansätze sind genau wie die buddhistische Psychologie zur Einsicht gekommen, dass menschliches Leid größtenteils durch Verzerrungen und Fehlinterpretationen von Gedanken und Gefühlen zu Stande kommen. Während verhaltenspsychologisch orientierte Therapieverfahren die Art dieser Verzerrungen als Grund für fehlangepasstes Verhalten sehen, vermuten psychodynamische Theorien, dass diese mentalen Verzerrungen sich aus Kindheitserfahrungen und deren »psychischen Narben« ableiten lassen, welche die ungetrübte Erfahrung des gegenwärtigen Moments beeinträchtigen und einengen. Dies führt zur Verfestigung von Glaubenssätzen von sich und seiner Welt und seiner Zukunft. Damit stimmt auch die buddhistische Psychologie überein, wenn sie die Beobachtung teilt, „dass das Festhalten an verzerrten Kernglaubenssätzen zu Leid führt“ (Germer, 2009, S. 56). Damit erkennen alle drei Traditionen, dass Leid Folge von Wirkungsbedingungen innerhalb des Lebenskontinuums ist. In Bezug auf Behandlungsstrategien ist die Introspektion bei psychodynamischen Therapien, im Sinne der freien Assoziation, ebenso das zentrale Moment, um konflikthafte Inhalte zu Tage zu fördern, sich ihrer Ursachen und Wirkungen bewusst zu werden, Einsicht zu erlangen, um so die offenen Gestalten zu schließen, emotionale Differenzierung zu ermöglichen und schließlich Leiden zu beenden. Auch die KVT macht das Erkennen der eigenen unangepassten Gedankenmuster zum Ziel, um so den Patienten zu angepassterem und zufriedenstellenderem Verhalten zu verhelfen. Wie in den vorherigen Kapiteln dargestellt, wurden die Ansätze um den Aspekt der Akzeptanz von vorhandenen Zuständen erweitert, die Veränderung ermöglichen soll. Die traditionellen Achtsamkeitsansätze unterscheiden sich dabei von der Art des Betrachtungsobjektes. Sind bei psychodynamischen Therapien Ereignisse und Zustände in der Vergangenheit der Betrachtungsfokus, so gilt in der überlieferten Achtsamkeitspraxis die Beobachtung der Geistestätigkeit von Moment zu Moment als das Agens zur Leidensverringerung, da damit Schritt für Schritt mehr Einsicht in die Abläufe des Geistes, des menschlichen Lebens und aller Natur erlangt werden kann. 2.3.1.2 Das Konzept des Selbst An diesem Punkt unterscheiden sich die westliche Sicht und die buddhistische in erheblichem Maße. Im Westen sozialisiert wird uns ein Bild vom gesunden Selbst als 74 getrennt von anderen und dem Rest der Welt vermittelt, als gut abgegrenzt, eigenständig, individuell, unabhängig, Herr über die Welt (»Mach dir die Erde untertan«). Daraus resultiert idealerweise ein Bild von sich „mit einem klaren und stabilen Identitätsempfinden und einem Selbstgefühl, das von Zusammenhalt und Wertschätzung gekennzeichnet ist“ (Germer et al., 2009, S.65). Viele Menschen kommen in die Psychotherapie weil ihnen einige dieser Eigenschaften zu fehlen scheinen, andere kommen wegen dem Schmerz der Isolation und des GetrenntSeins. Traditionellerweise ist es dann Aufgabe von Psychotherapie das leidende Selbst wieder an diese normative Konzeption anzugleichen: „Selbstwert zu verbessern, eigene Bedürfnisse in einer Beziehung zu identifizieren, ein zusammenhängendes Selbstgefühl aufzubauen, Grenzen zu etablieren, usw.“ (ibid., S. 66) - von der Selbstpsychologie von Kohut bis zur Selbstwirksamkeit Bandura’s. Das Ziel von Achtsamkeitspraxis ist es hingegen nicht jemand bestimmter zu werden, sondern vielmehr die Erkenntnis zu kultivieren, dass es kein Selbst gibt. Das ist für uns westliche psychodynamisch- und verhaltenspsychologisch orientierten Psychologen und Therapeuten die wohl radikalste Wendung, sofern wir nicht ohnehin der phänomenologisch-psychologischen Grundhaltung folgen, wie es die Integrative Therapie macht: „Ich bin kein »Lebewesen«, sogar kein »Mensch«, nicht einmal ein »Bewußtsein« [...] – ich bin vielmehr absoluter Ursprung, und meine Existenz geht nicht [...] hervor aus meiner physischen und sozialen Umwelt, sie geht vielmehr auf diese hin zu und gibt ihr den Seinsgrund erst“ (Merleau-Ponty, zit. nach Wenke, 2010). Das Erkennen, die »Schau« dieser Nicht-Wirklichkeit, die Befreiung sämtlicher kognitiver, emotionaler und verhaltensmäßigen Anhaftungen am Konzept eines eigenständigen Selbst wird in der buddhistischen Psychologie als nichts geringeres bezeichnet als »Erleuchtung«. Damit wird deutlich, dass die traditionelle Achtsamkeit zwar Methoden bietet, die im westlich-therapeutischen Sinne als hilfreich zu erachten sind, aber mit ihrer finalen Ausrichtung des »Behandlungsziels« weit darüber hinausgeht, was in unserem christlich-abendländisch geprägten kulturellen Kontext fassbar ist. 75 2.3.2 Achtsamkeitsbasierte Verfahren für KlientInnen 2.3.2.1 Kognitive Verhaltenstherapie 2.3.2.1.1 MBSR Nachdem 1977 die American Psychiatric Association zur klinischen Erforschung von Meditation aufrief, führte schließlich die Entwicklung eines Programms zur Behandlung von Stress und chronischen Schmerzen, der Mindfulness Based Stress Reduction, durch Jon Kabat-Zinn, seit Ende der 1970er Jahre zur breitenwirksamen Rezeption der Wirkung von Meditation auf die psychische Gesundheit. Mittlerweile hatten bis im Jahr 2004 mehr als 15000 Menschen das MBSR-Programm abgeschlossen. Dabei handelt es sich um ein strukturiertes, 8 wöchiges Gruppentraining, in dem verschiedene formelle und informelle Übungen in ca. 2,5 stündigen Sitzungen vorgestellt, unter der Woche eigenständig geübt und in den folgenden Sitzungen ausführlich mit den anderen Teilnehmern reflektiert werden, wobei jede Sitzung mit einer längeren formellen Achtsamkeitsübung (20-40 Minuten) beginnt (Michalak et al., 2012). Die formellen Übungen bestehen u.a. aus der sogenannten Rosinenübung, Atemmeditation, Body-Scan, Sitzmeditation, YogaÜbungen, Gehmeditation. Die informellen Übungen richten sich an die Integrationsmöglichkeit in den Alltag. Dabei wird der Fokus auf die bewusste, achtsame Ausführung von Handlungen des Alltags gerichtet. Achtsame Ausführung heißt dabei, dass beim Erkennen einer Abschweifung von der Tätigkeit die Aufmerksamkeit wieder dorthin zurückgebracht wird, um diese und nur diese voll und ganz auszuführen. Vom Zähneputzen übers Kochen bis zum Autofahren, gemäß der Zen-Regel »Wenn Du gehst dann gehe, wenn Du isst dann esse und wenn Du schläfst, dann schlafe“. Weiters sind auch Elemente der Psychoedukation Teil der Programme. In der Zwischenzeit gibt es eine Vielzahl an empirischen Befunden zur Wirksamkeit von MBSR. Michalak et al. (2012) nennen einige Weiterentwicklungen für andere Themenfelder und Störungsbilder wie Angststörungen, Essstörungen (MB-EAT, von Kristeller & Hallett, 1999), Hautprobleme (Baer, 2003), zur Verbesserung von Paarbeziehungen (MBRE – mindfulness based relationship enhancement von Carson et al., 2006), zur Geburts- und Elternschaftsvorbereitung (Duncan & 76 Bardacke, 2010), sowie ein Programm zur Rückfallprophylaxe bei Substanzabhängigkeit von Bowen et al. aus 2009. 2.3.2.1.2 MBCT Die »Mindfulness Based Cognitive Therapy« wurde von Segal, Williams und Teasdale (2002, 2008) als eine Weiterentwicklung von MBSR entwickelt um die Rückfallhäufigkeit bei rezidivierenden Depressionen zu verbessern, da die Rückfallwahrscheinlichkeit, gerade bei Patienten mit mehr als 3 depressiven Epsioden, sehr hoch ist (>80%). Ausgehend von ihrer eigenen Erfahrung mit MBSR nahmen sie Elemente auf, die für die Behandlung von Depressiven wichtig sind, wie Informationsvermittlung über Depressionen, Umgang mit Gedanken, Rückfallpläne. Auch hier handelt es sich um ein 8 wöchiges Programm mit wöchentlichen Sitzungen zu 2 Stunden, bis max. 12 Personen. Die Ergebnisse zur Verringerung der Rückfallraten zeigten sich im Vergleich zur medikamentösen Erhaltungstherapie als gleich wirksam. • Modell der Differenziellen Aktivierung: Neuere Modelle der Depression legen den Fokus auf Aufschaukelungseffekte, die ein erhöhtes Rückfallrisiko bedingen. Dabei führt dysphorische Stimmung zur Aktivierung negativer Kognitionen wie Selbstentwertung, Hoffnungslosigkeit, frühere negative Erinnerungen, sowie Grübeln, was in einer Rückkoppelungsschleife wiederum zur Steigerung dysphorischer Stimmung führt. Als Moderatorvariablen fungieren zusätzlich dysfunktionale Verhaltensweisen wie Rückzug und Passivität. Diese Korrelationen konnten von Segal et al. (1999, 2006) auch empirisch bestätigt werden (Michalak et al., 2012). • Diskrepanzbasierte Informationsverarbeitung und Grübeln ist der »Mode of Mind«, der durch solch negativen Kognitionen begünstigt wird. Damit ist ein ständiger Soll- Ist Vergleich gemeint, der meist zu Gunsten eines nicht erreichten Soll Zustandes ausgeht. Danach werden Handlungen ausgeführt, die diese Diskrepanz, oder auch als »kognitive Dissonanz« bezeichnet, verringern sollen. Die Person bildet dabei meist „sprachnahe Repräsentationen des gegenwärtigen Zustandes und des erwünschten (bzw. zu vermeidenden) Zustands... sodass der Abstand zwischen ihnen überprüft werden kann“ (Michalak et al., 2012, S. 15). Die Person ist damit nicht in einem direkten, leiblichen, Erfahrungsmodus sondern denkt und spricht über 77 Erfahrungen. Kurzfristig bringt dies Kontrollmöglichkeit und Erleichterung, längerfristig hat dieser, durch repetitive mentale Zustände gekennzeichnete Modus jedoch nachteilige Auswirkungen. Die in diesem Modus angewandten Strategien sind ebenfalls kognitiver, konzeptueller Natur – Grübeln, Nachdenken, Analysieren, etc. Bleiben innere Erlebensweisen zu lange unterdrückt, kann dies später zu Intrusionen führen. Kognitive Problemlöseversuche wie Grübeln und Sich-Sorgen reduzieren meist die Problemlösefähigkeiten (Donaldson & Lam, zit. nach Michalak, 2012, S. 16). Das Wiederauftauchen unterdrückter Gedanken ist auch empirisch untersucht. Entscheidend für die emotionale Verarbeitung ist die ganzheitliche Wahrnehmung: Nicht nur denke ich an die Situation von gestern, und spiele sie wieder und wieder durch, sondern ich spüre auch den Schmerz, die Enttäuschung und die Wut, in diesem Moment. • Dysfunktionale Identifikation mit Sprache besteht darin, dass der Patient sich in unangemessenem Ausmaß mit den kognitiven Beschreibungen seines inneren und äußeren Zustands, den Gedanken identifiziert, diese Konstrukte zu sehr zum integralen Bestandteil seines Selbst werden lässt. Er erkennt in psychischen Ausnahmezuständen wie Depression und Angst nicht, dass Gedanken eigentlich »nur Gedanken« sind. Er nimmt sie zu wörtlich, zu real, zu gegenständlich. Wir alle, auch wir Therapeuten haben bis zu einem bestimmten Maß diese Tendenz. Bei depressiven Patienten führt dieser Prozess aber zu ungünstigen Kreisläufen (»Ich bin unfähig«, »alle anderen sind besser als ich«, »das werde ich nie schaffen«, etc.), er hält diese Gedanken für valide Beschreibungen seiner selbst, für Beschreibungen seiner Geschichte und seiner Zukunft. Dadurch wird die dysphorische Stimmung erneut verstärkt. Durch die abstrahierte, kognitive Beschreibung entfernt sich der Patient von der direkten, leiblichen Erfahrung des Hier und Jetzt und bindet den Großteil an Ressourcen, „dass er nicht mehr fähig ist, den ‚Reichtum’ der gegenwärtigen Situation, auch mit all ihren ‚Nicht-MisserfolgsAspekten’ wahrzunehmen“ (Michalak, 2012, S.17). Damit wir die positiven Effekte von Sprache, das sich Mut machen und das Motivieren, das Selbstlob, usw. nützen können, bedarf es einer grundlegenden Haltung der Akzeptanz des gegenwärtigen Zustandes, mit verdinglichenden – Umgang mit Sprache. 78 einem pragmatischen – statt Im Rahmen der MBCT sollen Patienten lernen ihre Haltung gegenüber ihren Gedanken und inneren zuständen, Gefühlen, zu verändern. Es soll zu einem »decentering« oder »desidentification« kommen, dabei lernt der Patient – durch Praktizieren von Achtsamkeit – sich nicht mit ihren Gedanken und Gefühlen zu identifizieren, sondern sie als das zu erkennen was sie sind, nämlich mentale Ereignisse, Produkte ihres Geistes. 2.3.2.1.3 DBT Die »Dialektisch Behaviorale Therapie« wurde von Marsha Linehan (1993) zur Behandlung von Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen entwickelt und basiert auf empirisch gut abgesicherten kognitiv-behavioralen Methoden, sowie einer Integration von fernöstlichen Meditationstechniken. „Auch wenn gerade dieser spirituelle Ansatz sich einem rein wissenschaftlich orientierten Kollegen nicht sofort erschließt, so ist er doch als der philosophische Hintergrund der DBT zu verstehen“ (Bohus, 2002, S. 18). Die DBT geht dabei nicht nach einer zeitlich linearen Abfolge von vorgegebenen Modulinhalten vor, wie andere monosymptomatisch orientierte Programme, sondern orientiert sich an Verhaltensmustern, welcher der Patient zeigt und strukturiert die Inhalte und Methoden ausgehend von bestimmten Entscheidungsregeln. Dabei wird vorausgesetzt, dass der (Verhaltens-)Therapeut mit den grundlegenden Therapiemethoden wie Expositionsverfahren, kognitiven Umstrukturierungen, Problemlösen vertraut ist, sowie etablierte Manuale zur Behandlung von komorbiden Störungen heranzieht. Das Behandlungsprogramm der DBT besteht aus vier Modulen: 1. Einzeltherapie 2. Fertigkeitentraining (Skills-Training) in der Gruppe 3. Telefonberatung 4. Supervisionsgruppe für TherapeutInnen Die Innere Achtsamkeit ist dabei eines von vier Sub-Modulen des Fertigkeitentrainings und zielt dabei auf die Balance von »Vernunft« und »Gefühl« um so intuitives Selbstverständnis (»wise-mind«) zu fördern. • Die »Was-Fertigkeiten« der Inneren Achtsamkeit sind dabei o Wahrnehmen von allen Sinneseindrücken, von Kognitionen von Körpergrenzen und der Interaktion mit anderen. 79 o Beschreiben beinhaltet die Fähigkeit eigenes Verhalten oder Umweltreize zu benennen um so, aus einer sicheren Distanz heraus, zu lernen, dass Emotionen und Gedanken lediglich Reaktionsmuster auf Reize von außen sind und keine notwendigen Widerspiegelungen von Ereignissen. o Teilnehmen meint das vollständige Aufgehen in einer Tätigkeit im Hier und Jetzt. Wach, bewusst mit Konzentration, ohne Ablenkung. Als Übungen dafür eignen sich begrenzte Handlungen wie Teekochen oder Abwaschen genauso wie Geschicklichkeitsspiele oder das Malen von Bildern. • Die »Wie-Fertigkeiten« Innerer Achtsamkeit umfassen o Don’t judge! »Die Bewertung ist die Pforte zur Emotion«. Zu lernen, ohne Bewertung nur zu beschreiben ist ein langwieriger Prozess, aber ein notwendiger. Bohus (2002) merkt an, dass fast alle therapeutischen Methoden, die auf die Bewältigung von Traumatas ausgerichtet sind, eine Metapher für „nicht-bewertende-Beobachtung“ beinhalten o Konzentration als Mittel zur Erlangung der Kontrolle über die Aufmerksamkeit, sich nicht von alten Bildern und Mustern überwältigen zu lassen. Die Konzentration auf jeden Teilaspekt des Essens, anstelle von Ablenkungen Fressanfällen während zwar eine dem Essen, aversive, aber ist bei eine bulimischen wirkungsvolle Behandlungsstrategie. o Wirkungsvolles Handeln meint eine Anleitung zu effektiven, zielgerichteten Handlungen gemäß den Regeln und den maximalen Möglichkeiten der Patienten. Zu akzeptieren »so wie sie sind« ist dabei wirkungsvoll, anstelle eines »so wie es sein sollte«, was einen weiten Horizont der Untätigkeit eröffnet. „Ein anderes Problem skizziert sich in der Angst ‚sich zu verlieren’ , wenn man ‚nach den Regeln’ spielt – ein typisches adoleszentäres Phänomen“ (Bohus, 2002, S. 81). 2.3.2.1.4 ACT Die »Acceptance und Commitment Therapy« gehört ebenso wie die zuvor genannten Ansätze zur sogenannten »dritte Welle der Verhaltenstherapie«. Eifert (2011) beschreibt die ACT als gezielte Weiterentwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie. 80 Als die theoretisch-empirische Grundlage nennt er die Relationsbildungstheorie mit ihren Erkenntnissen zur Sprache und der Entstehung von Verhaltensinflexibilität infolge von Erlebensvermeidung. Es sollen laut Michalak et al. (2012) vor allem zwei zentrale Prinzipen vermittelt werden: • Steigerung von Akzeptanz gegenüber den inneren Erfahrungen. Da vielen Symptomen die Unterdrückung ihrer zu Grunde liegenden Emotionen voraus gehen, ist es für Patienten hilfreich sich diesen mit einer akzeptierenden Grundhaltung zuzuwenden. So wird bei Panikstörungen das Erleben intensiver Angst unterdrückt, bei Zwangsstörungen das Erleben von beunruhigenden Gedanken, sowie Ekel und Unruhe verhindert. Diese Verhinderung stabilisiert jedoch das Symptom und hält die Person davon ab ein wertorientiertes Leben zu führen. Kürzere Achtsamkeitsübungen sollen den Patienten helfen eine grundsätzlich akzeptierende Haltung gegenüber den inneren Erfahrungen und Emotionen gegenüber einzunehmen. • Ermöglichung von engagiertem Handeln in Bezug auf seine Werthaltungen ist der Zweck dieser durch Achtsamkeit befreiten Ressourcen. Diese können familiärer, kultureller, spiritueller oder politischer Natur sein. Für psychische Störungen – und damit für die psychische Inflexibilität - relevante Prozesse und deren Behandlungsstrategien sind nach Eifert (2011) • Erlebensvermeidung >>> Akzeptieren und bereit sein Gemeint ist die Tendenz von Menschen die als unangenehm bewertete Erlebensweisen von Kognitionen und Emotionen zu unterdrücken oder sonst in einer Form zu verändern. Dieses Verhalten führt zu einer kurzfristigen Erleichterung, was zu einer Verstärkung dieser Verhaltensweisen führt. Auf lange Sicht jedoch führt dies zu immer stärkeren Einschränkungen der lebenszielorientierten Handlungsoptionen. Es wird also z.B. bei einer Agoraphobie nicht der öffentliche Platz an sich vermieden, sondern die damit in Verbindung stehenden Emotionen und Gedanken. • Kognitive Fusion >>> kognitive Defusion Fusion findet dann statt, wenn wir mit unseren - meist negativen bewertenden Gedanken verschmolzen sind, dass wir keinerlei Distanz zu ihnen mehr haben und so das Gedachte als die höchstpersönliche Wahrheit 81 erachten und nicht als Produktionen unseres Geistes, als elektrochemisches Feuerwerk im Zentralnervensystem. • Dominanz der vorgestellten Vergangenheit und Zukunft >>> Im Hier und Jetzt präsent sein • Festhalten am Selbstkonzept >>> Selbst als Kontext/Beobachterselbst Wenn wir die Geschichten, die wir uns seit Kindheit an über uns selbst erzählen als das nehmen lernen was sie sind, nämlich Geschichten, schaffen wir Freiraum zu einem Verhalten, das in diesen alten Geschichten nicht vorgesehen war. Das konzeptualisierte Selbst mit seinen Eigenschaften als sozial konstruiert zu erkennen, ist auch in der ACT von zentraler Bedeutung. • Mangelnde Werteklarheit >>> Klärung von Lebenswerten Durch das zunehmende Vermeidungsverhalten und können sich Patienten nicht mehr an dem orientieren und danach handeln, was ihnen einmal als wertvoll und wichtig erschien. „Die ACT definiert Werten als Handeln. Mit anderen Worten, Werten ist weder ein Gefühl noch eine Einstellung, sondern beinhaltet Verhalten“ (Eifert, 2011, S. 15). • Untätigkeit und beharrliches Vermeidungsverhalten >>> Engagiertes und entschlossenes Handeln Je unflexibler Menschen werden ihr Vermeidungsverhalten aufzubrechen, desto enger wird ihr Verhaltensspielraum. Depressive Störungen als Folge des erlebten Selbstwirksamkeitsverlustes sind nicht selten die Folge. An dessen Stelle soll an Kurz- und Langzeit Lebenszielen orientiertes Verhalten treten. Diese Handlungen werden in kleine durchführbare Handlungen zerlegt und die Klienten verpflichten sich (»commitment«) trotz Rückschläge an der Erreichung der Ziele beharrlich weiterzuarbeiten. Michalak et al. (2012) betonen - aus verhaltenstherapeutischer Sicht - dass besondere Vorsicht bei der Anwendung achtsamkeitsbasierter Verfahren geboten ist, die außerhalb der, durch empirisch abgesicherte Wirksamkeit legitimierten, Gruppenverfahren für die vorgegebenen Diagnosekategorien geboten ist. Die Vorsicht bezieht sich speziell auf Einzelsettings und dabei auf die Motivation des Behandlers (warum glaube ich ist jetzt eine achtsamkeitsbasierte Intervention indiziert), sowie der eigenen Erfahrung mit dem Verfahren. Es ist nachvollziehbar, dass ein Therapeut der MBSR und MBCT Kurse anbieten möchte auch selbst dieses 82 Verfahren durchlaufen haben muss, sowie im selben Maße Erfahrung mit formaler Sitzmediation haben muss wie dies die Patienten durchführen, nämlich 5 mal die Woche á 45 Minuten. 2.3.2.2 Achtsamkeit in der Therapie lehren Laut Germer et al. (2009) werden am besten informelle Achtsamkeitsübungen in der Therapie angewandt. Ziel ist es den Patienten von Tun-Modus wieder mehr mit dem Sein-Modus in Kontakt zu bringen um so einen Ausstieg aus dem Stress-Sog zu ermöglichen und Momente der „schöpferischen Hoffnungslosigkeit“ (Hayes, Strosahl & Wilson, zit. nach Germer et al., 2009, S. 166) für eine Umkehr zu nutzen, wenn erkannt wird, dass ein Mehr vom selben nur zur Verschlimmerung der Symptomatik führt. Dazu gehört eine grundlegende Bereitschaft des Patienten herauszufinden ob die Beschwerden abnehmen, wenn wir sie erst einmal akzeptieren wie sie sind. Dafür ist Praxis unabdingbar. Dabei ist den Klientinnen (ja, und auch den TherapeutInnen) jedoch klar zu machen, dass Achtsamkeit nichts ist, was man bis zu einem perfekten Punkt im herkömmlichen leistungsorientierten Sinne verbessern kann, sondern ein lebenslanges Bemühen ist, da unsere Tendenz an Gedanken anzuhaften immanent ist, so eben auch an Gedanken wie „jetzt kann ich es!“. Je präziser und zeitnaher wir unsere Geistesaktivität monitoren können, desto früher gelingt es uns das Entstehen von negativen Gedanken zu erkennen oder einen »Rückfall« rechtzeitig abzufangen. Die Grundhaltung bleibt in jeder Form von absichtsvoller Achtsamkeitspraxis jedoch die selbe: Gewahrsein der gegenwärtigen Erfahrung mit Akzeptanz. Folgende Hauptelemente lassen sich bei den häufigsten Techniken beobachten: • Stoppen von automatischem Verhalten und damit auch von sich verselbständigenden Gedankenkreisen erfordert anfangs viel Absicht und Bewusstheit. Vielfach merkt man erst später, worin man sich verrannt hat, aber zumindest merkt man es. Mit zunehmender Entschleunigung des Tuns wird das Gewahrsein besser und wir öffnen uns für den Reichtum des gegenwärtigen Moments. • Beobachten der gegenwärtigen Erfahrung als »teilnehmender Beobachter«. In aufgeregten Situationen, wie einem Streit oder einer Panikattacke, macht es Sinn als Objekt der Achtsamkeit eine konkrete sensorische Empfindung zu suchen, wie die Bewegungen des Atems oder die Druckempfindung im linken 83 großen Zeh um unsere Aufmerksamkeit bewusst zu bündeln. „Das ist der ‚Konzentrationsaspekt’ der Achtsamkeitspraxis“ (Germer et al., 2009, S. 170). • Rückkehr zum ursprünglichen Objekt unseres Gewahrseins wenn wir merken, dass wir abgelenkt wurden. Dies geschieht in Ruhe, ohne Selbstentwertung („Mist, ich habs wieder mal nicht geschafft“) und mit dem bestmöglichen Gleichmut. Die äußeren Aktivitäten beenden und einfach wieder zurückkommen zum Objekt des Gewahrseins. Das Objekt des Gewahrseins ist jedoch nur in jenen Situationen ein von uns bewusst gewähltes (»der Atem«), wenn es gilt ein mentales Hindernis zu überwinden. In allen anderen Situationen gilt als Ziel von Achtsamkeitsbestreben, ungetrennt von unserem Tun zu sein. Das sind jene Augenblicke - in der Arbeit und der Freizeit - wo wir im »Flow« sind (Csikszentmihaly, 1991): wach, konzentriert, voller Freude, unsere Kompetenzen und Performanzen entsprechen den Anforderungen der Situation, wir sind kreativ, ruhig und energetisch zugleich. Auch bei der Bedienung einer Maschine (z.B. ein Zahnarztbohrer...) ist es wichtig ganz im gegenwärtigen Moment präsent zu sein. „Darum ist ein weises Ausrichten der Aufmerksamkeit auf das Tun in der Gegenwart die Kernübung der Achtsamkeit“ (Germer et al., 2009, S. 172). Bei der Auswahl von Übungen kann man sich an Themen orientieren, die dem Patienten Schwierigkeiten bereiten, oder alternativ dazu Themenfelder die er vermeidet oder ausblendet, oder problematische Gedanken, Selbstkritik, usw. Dabei führt der Therapeut den Klienten zu einer engeren, bewussteren Wahrnehmung jeder dieser Erfahrungen. Dabei ist die Zustimmung des Klienten essentiell, nach erfolgter säkularer (!) Aufklärung über den Hintergrund der Herangehensweise, in Abwägung der Möglichkeiten des Klienten zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Achtsamkeit des Therapeuten!). Folgende Übersicht an Übungen zur Achtsamkeit findet sich bei Germer et al. (2009). 84 Abbildung 10: Übersicht Achtsamkeitsübungen (Germer et al., 2009) 2.3.3 Achtsamkeitsforschung und Evidenzen Nachdem Psychotherapie ein theoriegeleitetes und forschungsgestütztes Unterfangen ist, sind auch nur jene Methoden zulässig, die wissenschaftlicher 85 Prüfung standhalten. Lässt sich die positive Wirkung von Meditation wissenschaftlich belegen und wie stark ist die Evidenz für die Wirksamkeit fernöstliche Techniken. Die folgende Grafik, die auf Basis von Meta-Analysen aus der Cochrane Datenbank erstellt wurde und die Evidenzstärke von Mediation und Yoga mit anderen komplementären (und esoterischen) Ansätzen in Medizin und Therapie in Beziehung setzt, zeigt, dass die Evidenzstärke bei Meditation als Behandlungsform bei Angststörungen als aussichtsreich (»promising«) einzustufen ist. 86 Abbildung 11: Scientific evidence for complementary therapies (Quelle: McCandless, 2009, Cochrane.org, Metastudies via pubmed.org) 87 avid S. Black, M.P.H. dition, pirical ped a from ncing e ness” es ) were n the aper ! Grafik veranschaulicht. '!!" &#!" &!!" %#!" %!!" ,-,"./0" $#!" 12345/67" $!!" ,8859:;<" #!" !" $( )! $( " )& $( " )* $( " ) $( (" +% $( " +# $( " ++ $( " ( $( $" (' $( " ( %! )" !! %! " !& %! " !* %! " !( " Western nce ern d losophy ed the in g round ournals to n of 1970; of mindfulness publications by Jahre year,kam1970-2009 (see appendix Seit identified Mitte der 1990er es zu einer exponentiellen Zunahme der for larger image) Forschungsund Publikationsaktivität zum Thema Achtsamkeit, wie die folgende !"#$%&'()'*"$+,-./(01' ory Figure 1. Number 2.3.3.1 Forschungsstand 2%.&' Abbildung 12: Anzahl an Publikationen zum Thema Achtsamkeit 1970-2009 (Mindfulness Research Monthly, Vol1. Num. 6, July 2010) Figure 1 indicates that initial empirical Zwischen Jänner 2013 und 2014 wurden jedes Monat laut Mindfulness publications onNovember mindfulness started in the Research Monthlyremained weltweit durchschnittlich 46 neue zum Thema 1970’s, relatively low Publikationen through the Achtsamkeit veröffentlicht, aufgeteilt auf after Untersuchungen von bestimmten 1980’s, and grew quickly the 1990’s. Interventionsformen, Übereinstimmungen Achtsamkeit und anderen The peak shown in the von mid-80’s gives an Variablen der Persönlichkeit, Methoden that zur Messung und Anwendung initial indication empirical interestvonin Achtsamkeit, Forschungs-Reviews und was Meta-Analysen, sowieand »Trials« – neuestudies klinische Studien mindfulness growing, these zum Thema. began testing the association between mindfulness and health (Kabat-Zinn, 1982, 1985; Kratter & Hogan, 1982; Boorstein, 1983; Langer et al., 1984; Brown et al., 1984; Delmonte, 1985). During the first decade of the 21st century, trends showed an almost exponential increase in mindfulness publications. In the year 2009, the number of mindfulness publications ranged anywhere between 100-360, depending on the electronic search engine 88 used. The slight negative slope at the end of 2009 for ISI and ProQuest most likely ()*&+,$-."/"'#)B'M.607%)"101/1/"08$"2'N!7%80$B,/+8N' (#" (!" ##" !"#$%&'()*&+,$-."/"' #!" '#" '!" &#" &!" %#" %!" $#" $!" <=>"$'" 9:;"$'" 8-2"$'" 157"$'" )56"$'" )5+"$'" /34"$'" 120"$'" /*0"$'" ,-."$'" )*+"$'" ?-@"$&" <=>"$&" 9:;"$&" 8-2"$&" 157"$&" )56"$&" )5+"$&" /34"$&" 120"$&" /*0"$&" ,-."$&" !" )*+"$&" #" !)01$*/'2/0'3+"24)&"/00'5/0/$67%'3."8%&9':/;0&/</60''' =!35!>'%<?0@AA1.$B6$C.61A?)*&+7$-."0AB+"24)&"/00D6/0/$67%DB."8%&9A>'EFGCHHCIGHJKL' 1AB;C3D:-4;CEF+;-0>-+G=+-+" /-;B=I-+"I-0",=0CAB5+7"5+I"1+K-+I5+7" <-5-"8;5I4-+" H5C3DD-+B*+7-"D4;"3+I-0-+"J3043.6-+" L->4-KC"5+I"/-;3E1+36MC-+" Abbildung 13: Anzahl der Publikationen zum Thema Achtsamkeit für 2013-2014 (Quelle: Mindfulness Research Monthly Newsletter, eigene Darstellung) Mittlerweile gibt es gute empirische Belege für die heilsamen Effekte von Achtsamkeit bei vielen psychischen Störungen (Fjorback et al. 2011, zit. nach Ott, 2013, S. 52). Baer (2013) gibt in ihrem Artikel einen Überblick über klinische Ergebnisse von 22 Studien über MBSR und MBCT Behandlungsprogramme, sowie darauf basierenden Programmen. DBT und ACT Programme sind darin nicht berücksichtigt, da diese Ansätze weniger gezielt achtsamkeitsbasiert sind. Unter Baer’s Studie fallen Untersuchungen von Kabat-Zinn, Teasdale, Williams, Carlson, Goldenberg, Shapiro und anderen der Jahre 1982-2001 über die Diagnosegruppen von chronischen Schmerzen, Angststörungen, Fibromyalgie, Psoriasis, Stresssymptome bei Krebspatienten, Major Depression (siehe Tabelle im Anhang). Sie kommt zu folgendem Schluss: Trotz methodischer Schwächen lässt die bisherige Literatur vermuten, dass achtsamkeitsbasierte Interventionen helfen können, eine Reihe von Problemen der psychischen Gesundheit zu lindern und die psychologische Funktionstüchtigkeit zu verbessern. Diese Studien deuten auch darauf hin, dass viele Patienten, die an achtsamkeitsbasierten Programmen teilnehmen, trotz der hohen Anforderungen an die Übungszeit zu Hause bis zum Schluss mitmachen. 89 Eine beachtliche Untergruppe wird weiter Achtsamkeitsfertigkeiten üben, noch lange, nachdem das Behandlungsprogramm geendet hat. (Baer, zit. nach Lazar, 2009, S. 327) Für aktuelle Forschungsergebnisse siehe die Webseiten der jeweiligen Verfahren (z.B. www.mbct.com). Für die Multikomponenten-Behandlungsprogramme DBT und ACT gibt es ebenfalls eine wachsende Anzahl an randomisierten, kontrollierten Ergebnisstudien (Hayes, Masuda, Bissett, Lluoma & Guerrero, 2004, zit. nach Lazar, 2009, S. 327), die eine große Bandbreite von Krankheitsbildern abdecken, wie Depressionen, Stress am Arbeitsplatz, Mathematik-Phobie, Rehospitalisierungsrate bei psychotischen Patienten. Studien über den Effekt von Konzentrativen Meditationsformen (KM/TM) gibt es über Langlebigkeit bei Älteren in Seniorenheimen, verminderter Blutdruck bei Afroamerikanern älteren Jahrgangs, Abnahme epileptischer Anfälle, Verminderung prämenstrueller Symptomatik. Die stetige Zunahme an Forschungs- und Publikationstätigkeit seit 2003 führte zu einer Vielzahl an untersuchten Settings, Patientengruppen, Diagnose- und Themenfeldern, sowie Replikationen von MBCT-Studien, die dem Mindfulness Research Monthly Newsletter entnommen und im folgenden exemplarisch aufgeführt sind. • Der Effekt von Mitgefühlsmeditation auf das psychische Wohlbefinden von Jugendlichen (Bach & Guse, 2014) • Vergleich von Skills-Training und Achtsamkeitsgruppentraining auf die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen (Edel, Hölter, Wassink & Juckel, 2014) • Effekte von Metta-Meditation auf den Kohlenmonoxyd Metabolismus als Schlüsselmediator in der Kardiovaskulären Physiologie (Kemper, Powerl, Helms & Kim-Shapiro, 2014) • Effekte von Achtsamkeitserziehung beim Personal in Gesundheitsberufen (Asuero et al., 2014) • Ein Online-Achtsamkeitstraining bei Fibromyalgie (Davis & Zautra, 2013) • Möglichkeiten von Achtsamkeitstraining in der Schulpsychologie (Felver et al., 2013) 90 • PTSD Symptomreduktion durch achtsamkeitsbasiertes stretching und Tiefenatmung – eine randomisierte kontrollierte klinische Studie (Kim et al., 2013) • Evaluation eines betrieblichen Achtsamkeitsprogramms für Mitarbeiter im Behindertenbereich in Australien (Brooker et al., 2012) • Einfluss von Achtsamkeitstraining auf die Entwicklung von Beratungs- und Supervisionskompetenz (Buser et al., 2012) 2.3.3.2 Operationalisierung Ausstehend sind laut Lazar (2009) noch systematische Studien zum Vergleich von Achtsamkeitsmeditation (AM), Konzentrativer Meditation (KM) und Transzendentaler Meditation (TM), die jeweils andere Ausrichtungen und Zielsetzungen aufweisen. Damit werden unterschiedliche Ebenen bei den Patienten angesprochen, wovon u.U. einige mehr profitieren könnten als andere. Um dies Meditationsformen methodisch korrekt untersuchen zu können brauchen wir Modelle um zu verstehen und zu beschreiben was wir untersuchen, die sogenannte operationale Definition des Meditationsprozesses. Dabei kann das kognitive Modell eines sein (Lazar, 2009). So ist Delmonte (1987) der Meinung, dass das gemeinsame Element von KM und AM die reduzierte Konstruktbildung ist. Das physiologische Modell ist ein anderes. So kann Meditation zahlreiche positive Auswirkungen auf Atmung, Herzfrequenz, Blutdruck, Hautleitwert, usw. haben. Dieser Zugang hat augenscheinlich den Vorteil besserer Messbarkeit, so beziehen sich auch die frühen Studien zur Meditation auf diese Komponenten (Wallace, Benson & Wilson, 1971, Delmonte, 1984). 2.3.3.3 Instrumente zur Messung von Achtsamkeit Um Achtsamkeit im empirisch psychologischen Sinne mittels Fragebögen – also Selbstberichtsverfahren zu »messen«, gibt es mittlerweile einige psychometrische Verfahren. Heidenreich, Ströhle & Michalak (2006) evaluierten den • Freiburger Achtsamkeitsfragebogen (FAA) und können die konvergente und diskriminante Validität des FAA in einer Studie mit 75 Angehörigen von 91 Krankenpflegeschulen belegen. Validiert wurde mit dem NEO Five Factor Inventory, der Symptomcheckliste 90R, dem Beck-Depressions-Inventar, dem Beck Angstinventar, sowie einem Fragebogen zu dissoziativen Störungen. Der FAA bezieht sich auf ein Achtsamkeitskonstrukt der Vipassana-Meditation und beinhaltet Aufmerksamkeit, Urteilslosigkeit, Gegenwärtigkeit, Nicht- Identifikation, Prozesshaftigkeit, Neutralität, Akzeptanz, Ganzheitlichkeit, Nicht-Oberflächlichkeit, Absichtslosigkeit, einsichtsvolles Verstehen, Anfängergeist und abnehmende Reaktivität (Heidenreich, zit. nach Harrer, 2006). Weiters führt Harrer (2006) unter achtsamleben.at/forschung/messung an: • MAAS – Mindfulness Attention Awareness Scale: Selbsteinschätzung der Tendenz, im Alltag aufmerksam, und sich der gegenwärtigen Erfahrung gewahr zu sein. • KIMS – Kentucky Selbsteinschätzung Inventory von of vier Mindfulness Elementen: Skills: 39 Beobachten, Fragen zur Beschreiben, bewusstes Handeln, Akzeptieren ohne zu beurteilen. • TMS – Toronto Mindfulness Scale: Eindimensionales Konstrukt, erfasst Achtsamkeit als Zustand • CAMS-R – Cognitive and Affective Mindfulness Scale-Revisted • FFMQ – Five Facet Mindfulness Questionnaire: Aus fünf anderen Fragebögen (MAAS, FMI, KIMS, CAMS, MQ) wurden fünf Facetten von Achtsamkeit konstruiert • AAQ – Acceptance and Action Questionnaire • PHLMS – Philadelphia Mindfulness Scale: 20 Items, zweidimensionale Skala • SMQ – Southampton Mindfulness Questionnaire: 16-items, Selbsteinschätzung des achtsamen Umgangs mit belastenden Gedanken und Bildern • MEQ – Mindful Eating Questionnaire • LMS – Langer Mindfulness Scale: 21-item Fragebogen. Vier Dimensionen: novelty-seeking, engagement, novelty producing, and flexibility • MBRP-AC – Competence Mindfulness-Based Scale: Messung Relapse der Prevention Adhärenz Gruppenleiter, die das MBRP-Programm durchführten 92 und Adherence and Kompetenz der • SOFI – Self-Other Four Immeasurables: Messung von Liebender Güte, Mitgefühl, Freude und Gleichmut auf dem Hintergund des Buddhistischen Konzepts • MPQ – Mindfulness Process Questionnaire: Achtsamkeit als Prozess, im Gegensatz zum Ergebnis, das in anderen Fragebögen erfragt wird 2.3.3.4 Neuro-Biologie der Meditation Sarah Lazar (2009) merkt an, dass es trotz zahlreicher Studien zu den durch die Meditationspraxis hervorgerufenen physiologischen, neurologischen und immunologischen Veränderungen noch keine direkte Evidenz für die tatsächlichen Mechanismen gibt, durch die Meditation seine Wirkung entfaltet. Frühere Studien weisen teils erhebliche methodische Mängel auf, so wurde etwa nicht zwischen der Praxisdauer in Meditation unter den Versuchspersonen unterschieden, auch lassen sich die meist mit gesunden Probanden durchgeführten Studien nicht ohne weiteres auf die klinische Population übertragen, insbesondere wenn es sich um schwere Störungen wie der Borderline Persönlichkeitsstörung handelt, die meist mittels DBT Programm behandelt wird. Weiters muss die Motivation von Menschen sich der Meditation zuzuwenden in experimentellen Designs und der Gestaltung von Kontrollgruppen mitberücksichtigt werden, da es auch Persönlichkeitseigenschaften sein können, welche die »Wirkung« von Meditation bedingt. Dagegen spricht jedoch eine Studie von Davidson et al. aus 2003 (Lazar, 2009, S. 336) die mit einer Longitudinalstudie einen wichtigen Beitrag zur Untermauerung der Hypothese leisten konnten, dass die Wirkung von Meditation – auch auf immunologische Parameter - auf Grund der Neuroplastizität des Gehirns stattfindet und nicht auf Grund biologischer Merkmale. Auch Singer & Ricard (2008) kommen zu dem Schluss, da das meditative Verfahren der Kontrolle durch Aufmerksamkeit und der häufigen Wiederholungen bedarf, dies nahelegt, dass es sich dabei um das Einüben von Fertigkeiten handelt, dies also ein Prozess ist, der sich mehr auf das prozedurale als auf das deklarative Gedächtnis stützt. Es lassen sich laut Lazar (2009) unterschiedliche Dimensionen der Veränderungen beschreiben: 93 2.3.3.4.1 Kognitive Veränderungen • Dazu zählt Stressreaktivität, die bei Meditierenden einen vorerst leicht stärkeren Anstieg des Hautleitwiderstandes (HKR) aufweist, danach sinkt dieser Indikator für die Stressreaktion jedoch schneller wieder ab, im Vergleich zu einer Nicht-Meditierenden Kontrollgruppe. • Aufmerksamkeit – trotz einer nur kleinen Studie von Valentine und Sweet aus 1999 (Lazar, 2009) konnte belegt werden dass die Achtsamkeitsgruppe signifikant besser auf unerwartete akustische Stimuli reagieren konnten. • Habituation von EEG-Mustern. Aus einer Studie von 1973 (Kasamatsu und Hirai) geht hervor, dass sich bei Zen-Meistern die EEG Muster bei wiederholter Darbietung von Klick-Geräuschen, im Vergleich mit einer Kontrollgruppe, nicht anpassten – sondern diese jedes mal aufs Neue wahrgenommen wurden (»attentional blink«). Dies wäre gewissermaßen die neuropsychologische Entsprechung des „Anfängergeistes“ (Suzuki, 2002). 2.3.3.4.2 Autonome Veränderungen • Für die Wirkung auf den Atem konnte gezeigt werden, dass die Abnahme der Atemfrequenz mit den Jahren der Praxis steigt, tiefere Grade der Entspannung durch größere Konzentration. • Herzratenvariabilität (HRV) ist ein Zeichen für Gesundheit. Neuere Forschungen zeigen, dass Menschen mit einer geringen Variabilität der Herzrate, also den Zeitabständen zwischen zwei Herzschlägen, ein erhöhtes Risiko aufweisen an plötzlichem Herztod zu sterben. Laut Lehrer, Sasaki & Saito, 1999 (zit. nach Lazar, 2009) vergrößert sich die HRV sowohl nach Achtsamkeitsmeditation, als auch nach der Praxis von Tai-Chi, Kundalini-Yoga und Zen-Meditation. 2.3.3.4.3 Neurobiologische Veränderungen Siegel (2007) betont in seinem umfassenden Werk zum »achtsamen Gehirn« die wichtige Rolle des Präfrontalkortex für unsere Emotionsregulation und soziale Kommunikation. Der Seitenbereich des dorsolateralen Präfrontalkortex (dlPFC) „ist für die Ausführung wichtiger Exekutivfunktionen zuständig, welche die Selbstregulation unseres Verhaltens ermöglichen, und er beeinflusst auch den Fluss unserer momentanen Aufmerksamkeit“ (Siegel, 2007, S. 64). Dieser erhält 94 zusammen mit dem mittleren Bereich mit seinen neun Regionen, dazu zählen der orbitofrontale Kortex (OFC), der Kortex des anterioren Cingulums (ACC), der ventrolaterale (vlPFC) sowie der mediale Präfrontalkortex (mPFC), direkte Signale aus dem gesamten Gehirn, dabei besonders von der Inselrinde (IC). Die Inselrinde verbindet den äußeren Kortex mit dem limbischen System (Amygdala, Hippocampus und Hypothalamus) und gleicht so den sensorischen Input mit der emotionalen Bewertung aus dem Emotionsgedächtnis und unseren Handlungsmöglichkeiten ab und ist somit ein zentraler Knotenpunkt im sozialen Schaltkreis des Gehirns. Im weiteren legt Siegel u.a. dar, wie Achtsamkeit in diesem neuronalen Vermittlungsprozess zu wirksamen Veränderungen führen kann, im Sinne eines Auflösens von archaischen »top-down« Automatismen, hin zur bewussten Handlungssteuerung. Um neurobiologische Veränderungen zu messen kommen neben dem klassischen Elektro Enzephalogramm (EEG) die in den letzten 20 Jahren entwickelten Methoden wie funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) sowie Positronen-EmissionsTomografie (PET und SPECT) zum Einsatz, wobei die Durchblutung und der Glucosegehalt gemessen wird. Während das EEG eine hohe zeitliche aber geringe spatiale, also räumliche Auflösung besitzt, können fMRT & PET eine gute räumliche Auflösung liefern, sind jedoch für Änderungen im Millisekundenbereich »blind«. Sie erfassen jeweils ein Bild der über mehrere Sekunden dauernden Gehirnaktivität, das jedoch kann über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden. • Yoga-Nidra Meditation, in der die Aufmerksamkeit für die Sinne und das Imaginationsvermögen gesteigert wird, führt zu einer Aktivierung des primären sensorischen Kortex, sowie zu einer „Abnahme in Regionen, die mit ausführender Kontrolle, emotionaler Verarbeitung und motorischer Planung zu tun haben“ (Lazar, 2009, S. 334). Dazu kam eine PET-Studie von Lou et al. von 1999. Dies stimmt mit dem Ziel der Yoga-Nidra Meditation überein. • Gehirnvolumen Kollegen von der Harvard-Universität ist es kürzlich gelungen, nachzuweisen, dass das Volumen der Hirnrinde in bestimmten Arealen der Großhirnrinde bei Menschen mit sehr großer Meditationserfahrung zunimmt. Vergleichbare Volumenänderungen wurden auch nach dem Erlernen motorischer Fertigkeiten oder intensiver sensorischer Reizung gefunden. Sie gehen auf 95 eine Vermehrung des Neuropils zurück, das heißt der Zwischenräume zwischen den Nervenzellen, die von neuronalen Verbindungen und Synapsen ausgefüllt werden. Dies weist darauf hin, dass intensive Meditation offenbar in der Lage ist, die Zahl und die Größe der Synapsen zu vermehren, und somit ähnliche strukturelle Veränderungen bewirken kann wie andere Formen des Trainings und Lernens. (Singer & Ricard, 2008, S. 65) • EEG-Studien erlauben die Unterscheidung verschiedener Arten von Gehirnaktivitäten und deren Auftreten bei unterschiedlichen Aktivitäten des Gehirns – und das in relativ natürlicher Umgebung. So konnte gezeigt werden dass es nicht »die« Meditation gibt, sondern dass sich die Aktivität je nach Gehirntätigkeit und damit auch Meditationsart unterscheidet. o Betawellen, 38 - 15 Hz: Normales Wachbewusstsein o Alphawellen, 14 - 8 Hz: Entspannung, Visualisieren. Tor zur Meditation o Thetawellen, 7 - 4 Hz: Traum, Kreativität, Meditation o Deltawellen, 3 - 0,5 Hz: traumloser Tiefschlaf, intuitive Aufmerksamkeit o Gammawellen, 100 – 38 Hz: transzendente Erfahrung, Meditation, Spitzenleistung • Eine der relevantesten Studien stammt von Davidson und seinem Team aus 2003, indem gezeigt werden konnte dass bei einer Gruppe an Depressionen und Ängstlichkeit leidender Personen, nach einem 8 wöchigem MBSR Programm, die linksseitige EEG-Aktivität signifikant zugenommen hatte. Diese war vorher im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe deutlich schwächer. Die positive Veränderung hatte noch 3 Monate nach Beendigung des Programms Bestand (Davidson et al., zit. nach Lazar, 2009, S. 335). 2.3.3.4.4 Mitgefühl, Liebende Güte (metta) und Neuroplastizität • Gammaaktivität und Kohärenz unterschiedlicher Teile des Gehirns entstehen bei der Mitgefühlsmeditation, „gleichzeitig scheint es zu einer Aktivierung der exekutiven Hirnbereiche zu kommen, obwohl der Meditierende überhaupt nichts tut. Aus kontemplativer Sicht könnten wir das als die uneingeschränkte Bereitschaft interpretieren, zum Wohl anderer zu handeln, eine Eigenschaft, die natürlicherweise zu echtem Altruismus und Mitgefühl gehört“ (Singer & Ricard, 2008, S. 99). Dabei weisen die Zustände von 96 Mitgefühl und reinem Gewahrsein der AM von allen meditativen Zuständen die stärkste Gammaaktivität auf, stärker als KM, da, so Wolf Singer (2008), bei konzentrativer Meditation weniger neuronale Strukturen aktiviert und damit die Ressourcen auf ein bestimmtes Subsystem gerichtet werden. Vorbehaltloses Mitgefühl (»complete openness«) aktiviert die Gammawellen sogar noch stärker. Abbildung 14: EEG Untersuchung des Genetikers und Buddhisten Matthieu Ricard bei Dr. Davidson, Madison. • In der aktuellen Studie zum »Metta-Training« (Klimecki, Leiberg, Lamm & Singer, 2013) konnten die Forscher anhand von fMRT Scans bei einer Experimentalgruppe zeigen, dass das Training von Liebender Güte (metta) zu verbessertem Coping durch Empathie in sozialen Stresssituationen führt. Die Reizdarbietung mittels standardisierten Videosequenzen führte anfänglich zu negativen Affekten und der Aktivierung des Inselcortex (IC), sowie dem anterioren medialen cingulären Cortex (ACC). Nach dem Mitgefühlstraining zeigte die Meditationsgruppe im Vergleich zu einer Gedächtnistrainingsgruppe signifikant bessere affektive Erlebnisse, auch beim Anblick von Leid anderer. Auf neuronaler Ebene kam es zur Aktivierung der Regionen medialer orbitofrontaler Cortex (mOFC), dem Putamen, Pallidum und dem ventralen 97 Tegmentum, einem Netzwerk das mit positiven Emotionen und dem Gefühl von Verbundenheit in Beziehung gebracht wird. • Lutz, et al. (2009) konnten durch EEG Untersuchungen und einem Test mit »dichotischem Hören« belegen, Aufmerksamkeitsstörungen durch dass bei Meditation eine Patienten mit Verbesserung der Aufmerksamkeitsspanne erreicht werden kann. 2.3.3.4.5 Forschungsausblick Trotz den Fortschritten der Technik im Neurobiologischen Forschungsbereich bleiben noch viele Fragen für die Erforschung der Vorgänge rund um Achtsamkeitsmeditation offen. Vielfach sind methodische, aber vor allem auch begrifflich-konzeptuelle Schwierigkeiten zu überwinden, die dem Forschungsgegenstand inhärent zu sein scheinen, ist Achtsamkeit doch ein nichtsprachlicher und nichtkonzeptueller Vorgang. Dazu kommen die Übersetzungs- und Interpretationsschwierigkeiten von zentralen Begriffen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten für die experimentelle Operationalisierung, wie Lutz, Dunne & Davidson (2007) in ihrem Artikel darlegen. 2.3.4 Achtsamkeitspraxis für TherapeutInnen In diesem Abschnitt beleuchten wir schließlich jene Aspekte, die auch Grundlage der vorliegenden empirischen Arbeit sind. Welche Aspekte achtsamkeitsinformierter Therapie lassen sich finden? Auch PsychotherapeutInnen sind für Achtsamkeitsmeditation empfänglich und zugänglich. Dies mag an genetischer Prädisposition oder auch Lebenserfahrungen liegen, oder einfach an der Tatsache, dass der Umstand, dass Achtsamkeitspraxis das allgemeine Wohlbefinden steigert, auch für die therapeutische Arbeit genutzt werden möchte. Behandlungen ist „Wesentliche der Gemeinsamkeit Aspekt von aller Wachsamkeit Psychotherapeuten bzw. Vigilanz bei und Daueraufmerksamkeit. Sie beinhaltet den Aktivierungszustand mit der Fähigkeit, kleine zufällig auftretende Veränderungen bei länger dauernden Beobachtungssituationen in der Umwelt zu erkennen und ggf. darauf zu reagieren“ (Grepmair & Nickel, 2007, S. 25). Wir haben uns als TherapeutInnen für einen Beruf und damit Tätigkeit entschieden, die es erfordert über mehrere Stunden am Tag im Kontakt mit oft beträchtlichem Leid und Verzweifelung, präsent & mitfühlend zu bleiben, ohne dass wir, über die Jahre gerechnet, uns dabei ausleeren und 98 ausbrennen, sondern, wie es eigentlich das Ziel jeder Arbeit sein soll, auch etwas für uns mitnehmen können, uns daran erfreuen und daran reifen. Die Realität im psychosozialen Feld sieht freilich anders aus – hohes Suchtpotential, hohe BurnoutRate. Germer (2009) weist darauf hin, dass Psychotherapie eine Möglichkeit ist, Achtsamkeit im Alltag zu praktizieren. Indem wir jede Stunde auch als eine Möglichkeit zur informellen Meditation nutzen, wo der Therapeut zunehmend lernt seine gewohnten Handlungs- und Bewertungsprozesse in der therapeutischen Beziehung zu identifizieren um sich von den dysfunktionalen Aspekten davon zu lösen. Während dies die Therapeutin für sich bewerkstelligt, kann auch der Patient davon profitieren. Die Ergebnisse einer Studie von Ryan und Brown aus 2003 (Germer, 2009) deuten darauf hin, dass regelmäßig meditierende TherapeutInnen einen Nutzen aus dieser täglichen Praxis ziehen – sie fühlen sich oft präsenter, entspannter und empfänglicher mit ihren KlientInnen. Die experimentelle Untermauerung steht noch aus – die vorliegende Studie soll qualitativ darüber Auskunft geben. 2.3.4.1 Therapiebeziehung als stärkster Wirkfaktor Wenn Achtsamkeit als eine neue »vielversprechende« Methode diskutiert wird, muss auch beachtet werden, dass die spezifische Methode für das Therapieergebnis nur einen Anteil von ca. 15% ausmacht, also die verschiedenen Behandlungsarten beinahe gleich gut funktionieren. Das haben Metaanalysen von Forschungsergebnissen der letzten Jahre ergeben (Luborsky et al.; Miller, Duncan & Hubble; Lambert, Shapiro & Shapiro, zit. nach Fulton, 2009, S. 87). Weitere 40% werden durch außertherapeutische Faktoren wie soziales Netz, Arbeit, Freizeitverhalten erklärt. Erwartungen und Placeboeffekte klären weitere 15% der Varianz auf. Die restlichen 30% können »gemeinsamen Faktoren« zugeschrieben werden. Zu diesen »gemeinsamen Faktoren« zählen auch hier wieder die therapeutische Beziehung und das therapeutische Bündnis. „Obwohl sie ein schwer fassbarer Faktor für Messungen ist, ‚macht Empathie genau so viel oder sogar mehr für die Ergebnisvarianz aus als spezifische Interventionen’“ (Fulton, 2009, S. 88). Wenn nun Therapeutenqualitäten wie Empathie, emotionale Wärme, Akzeptanz, Verständnis in der Therapie mehr zählen als Manualtreue, Weiterbildung an renommierten Einrichtungen, Lizenzierung, Titel, Supervisionsstunden, dann ist es 99 nur logisch, dass es einen Übungsweg für TherapeutInnen braucht, um diese Fähigkeiten, die schwieriger zu erlernen sind als technische Fertigkeiten und Wissen, zu entwickeln, zu fördern und zu vertiefen. 2.3.4.2 Achtsamkeit als Training für therapeutische Relationalität Aus den vorgestellten Wirkungen von Meditation im Allgemeinen, kann dieses Verfahren auch als eine Methode zur Ausbildung und Intensivierung von jenen Eigenschaften gesehen werden, die in den allgemeinen Faktoren für die therapeutische Beziehung erforderlich sind. Damit würde Meditation auch in logisch stringenter Weise psychotherapeutischen Fertigkeiten befruchten, wie achtsames Gewahrsein, Präsenz, Mitgefühl und Empathie, sowie eine breitere Sichtweise davon was existentielles Leid ausmacht (Chung; Deikman; Henley; Thompson; Tremlow, zit. nach Fulton, 209, S. 89). Fulton nennt förderliche Auswirkungen von Meditation auf folgende Eigenschaften: • Aufmerksam sein – als Gegenmittel für den wandernden Geist, diesen in der gegenwärtigen Situation zu halten, auch wenn der Klient uninteressant erscheint, auch auf kleinste Nuancen zu achten. Dadurch werden wir für leise Töne empfindsam und erhalten wieder besser Zugang zum Interesse an unserem Gegenüber. • Emotionale Toleranz – Auch starke Emotionen, unsere eigenen und die unserer Klienten, verlieren zunehmend die Kraft uns einzuschüchtern und uns Angst zu machen. • Akzeptanz üben - Urteilen über uns und andere ist tief in unserem geistigen Reflexapparat verwurzelt. AM hilft dabei zu erkennen, dass urteilen selbst nur ein weiterer Gedanke ist, der am Horizont des Geistes auftaucht. Diese Eigenschaft zu entwickeln braucht jedoch viel Übung, in der wir vor allem unsere eigene Selbstbeurteilung immer wieder in den Fokus nehmen müssen. • Empathie und Mitgefühl – Im klinischen Bereich gibt es noch keine Evidenz dass Empathie gelehrt werden kann, auch wenn es Empfehlungen gibt, wie der Kommunikationsstil unterschiedlichen Patienten angepasst werden kann (Lambert & Barley, zit. nach Fulton, 2009, S. 96). Buddhistische Meditation hat das dezidierte Ziel Mitgefühl und Empathie zu entwickeln, wobei Empathie anderen gegenüber als natürliche Erweiterung des Mitgefühls zu sich selbst erachtet werden kann. 100 Eine Studie mit Medizinstudenten zeigt, dass Achtsamkeitserziehung mittels Absolvierung eines MBSR Programms Empathie in professionellen Beziehungen verbessern kann (Shapiro, Schwartz & Bonner, zit. nach Siegel, 2007, S. 445). Weidenfeller, Heidenreich und Michalak (2013) formulieren nach der Betrachtung der aktuellen Forschungsbefunde ein integratives Modell zum Zusammenhang zwischen Achtsamkeitspraxis und Empathiefähigkeit: • Achtsamkeits- Aufmerksamkeits- Emotions- praxis regulation regulation >>> >>> Empathie>>> fähigkeit Gleichmut und Grenzen der Hilfsbereitschaft – Die Entwicklung von Gleichmut stellt eine ausgleichende Eigenschaft zum Mitgefühl dar. Wir sollen erkennen, dass auch die beste Therapie mit den neuesten Techniken und Methoden, sogar computerunterstützt und Schamanen-integriert, nicht zur vollständigen Beseitigung des Leids beiträgt und letzten Endes der Patient selbst für sein Leben verantwortlich ist. Mit Gleichmut nehmen wir jede Erfahrung ohne Unterscheidung an. Mit dieser Haltung ermöglichen wir unseren Patienten vermehrt die Verantwortung für sich zu übernehmen. Manche Probleme können nicht behoben werden und der Tod ist unausweichlich. • Unsere narzisstischen Bedürfnisse aufdecken – AM hilft uns dabei unsere Tendenz zu überwinden stets zu überprüfen ob wir wohl gute Therapeuten sind, ebenso wie die Gefahren die Therapiebeziehung für unsere egoistischen Bedürfnisse, von emotionalen bis monetären, zu nutzen. Achtsamkeit geht über die klassische Supervision des Therapeuten hinaus, indem sie das Selbst als Konstrukt und Illusion entlarven hilft. • Theorieverliebtheit überwinden – So sehr eine theoriebasierte und forschungsgeleitete Methode notwendig und wichtig ist, sollen wir nicht beim sich-auf-Theorien-berufen verweilen. Je profunder wir ausgebildet sind, desto sicherer sind wir in dem was wir tun, desto sicherer fühlt sich der Patient in der Therapiebeziehung aufgehoben. Wir sollen jedoch unsere Modelle, Diagnoseschlüssel nicht für „als natürliche Darstellung einer objektiven Welt der Störungen gebrauchen“ (Fulton, 2009, S. 105). Vielmehr gelte es Nicht101 Wissen zu lernen und damit unseren Wunsch die Zukunft kontrollieren zu wollen aufzugeben. Darauf wiesen auch schon Psychoanalytiker wie Bion 1967 hin, „sich vom Vorverständnis über einen Patienten freizumachen, die Bindung an Erinnerung und Wünschen abzustreifen und auch den Wunsch nach Heilung aufzugeben“ (Fulton, 2009, S. 108). • Möglichkeit des Glücks – Mit Achtsamkeit steigt auch ein Maß an ruhiger Freude, das auch von den Wechselfällen des Lebens unabhängiger wird. Therapeuten, die von dieser heiteren Gleichmut, dieser stillen Freude berührt wurden, befähigen auch besser ihre Patienten zu erkennen, dass Glück trotz der momentanen widrigen Lebensumstände entstehen kann. Eine Studie von Grepmair und Nickel (2007) beleuchtet die Wirkung von Achtsamkeitspraxis von PsychotherapeutInnen auf den therapeutischen Prozess. Dabei praktizierte eine Gruppe von PsychotherapeutInnen in Ausbildung (PiAs) einer psychosomatischen Klinik regelmäßig in der Früh Zen-Meditation, die andere Gruppe meditierte nicht. Diejenigen von den 196 Patienten, die von TherapeutInnen mit Meditationstraining behandelt wurden, berichteten, erfasst mit standardisierten psychometrischen Instrumenten, über bessere Therapieresultate. Darauf überprüften Grepmaier & Nickel die Ergebnisse in einer zweiten Studie, die methodisch strenger aufgebaut war. Die PiAs – Frauen in vergleichbarem Alter, mit vergleichbarem akademischen Hintergrund und im gleichen psychotherapeutischen Ausbildungsstand - wurden per Zufallsprinzip der Meditationsgruppe (MFG, n=9) und Kontrollgruppe (CG, n=9) zugewiesen. Ein Zen-Meister übernahm die Meditationsanleitung und weder er, noch seine Schülerinnen wussten vom Zweck des Meditationstrainings (einstündige Sitzmeditation mit Aufmerksamkeit auf den Atem). Die 129 Patienten wurden nach dem Zufall den beiden Gruppen zugewiesen und wussten ebenfalls nichts vom Hintergrund der Untersuchung. Das Training dauerte neun Wochen. Vor und nach der Therapie wurde das Assessment mittels standardisierter Instrumente erfasst. Dazu zählte der Stundenbogen (STEP), der Veränderungsfragebogen für Erleben (VEV) sowie die Symptomcheckliste (SCL-90R). Die Ergebnisse zeigen signifikante Unterschiede (p<0.01) in den beiden STEP Skalen P-Problemlöseperspektive Meditationsgruppe und der und K-Klärungsperspektive Kontrollgruppe. Der zwischen Unterschied auf der der Beziehungsperspektive war nicht signifikant (p=0.091) (Grepmaier & Nickel, 2007, S. 102 44). Ebenfalls gab es bei der Symptomreduktion signifikante Unterschiede zwischen MFG und CG auf 7 von 9 Skalen des SCL-90-R. Die 63 von den MFG PiAs behandelten Patienten berichteten über deutlich stärkere Reduktion von Somatisierungen, Zwanghaftigkeit, Unsicherheit im Sozialkontakt, Depressivität, Ängstlichkeit, Aggressivität und Feindseligkeit, Psychotizismus, sowie der über alle Skalen gerechneten globalen psychischen Belastung. Abbildung 15: Zeitlicher Verlauf der T-Werte für die Skala ‚STEPP-Klärungsperspektive’ von Meditations- und Kontrollgruppe (nach Grepmair&Nickel, 2007, S. 46) Abbildung 16: Zeitlicher Verlauf der T-Werte für die Skala ‚STEPP-Problemlösungsperspektive’ von Meditationsund Kontrollgruppe (nach Grepmair&Nickel, 2007, S. 46) 103 Abbildung 17: Zeitlicher Verlauf der T-Werte für die Skala ‚STEPP-Beziehungsperspektive’ von Meditations- und Kontrollgruppe (nach Grepmair&Nickel, 2007, S. 47) Beim Alliance-Rupture Ansatz von Safran und Muran (2000) (Michalak et al., 2012) sollen die Therapeuten, durch geschulte Achtsamkeit, Brüche in den therapeutischen Beziehungen mit ihren KlientInnen, in einem metakommunikativen Prozess über die subtilen Ablaufmuster der therapeutischen Interaktion, klären können. Dabei spielen Achtsamkeitsübungen für die KlientInnen keine Rolle. 2.3.4.3 Behandlung von Depressionen Neben den oben beschriebenen verhaltenstherapeutisch orientierten Gruppentrainings wie MBCT soll hier ein achtsamkeitsinformierter Ansatz nach Morgan (2009) vorgestellt werden, welcher auf der Grundlage der Achtsamkeitspraxis des Therapeuten beruht und damit die Empfehlung von Segal, Williams & Teasdale für Kliniker selbst Achtsamkeitsmeditationserfahrung zu haben, nachkommt. Der depressive Patient, gleich, welche Depressionsform vorliegt, wendet sich von seiner Erfahrung ab. ‚Abwenden’ ist weniger ein technischer Begriff als ‚empirische Vermeidung’ (Hayes, Strohsal et al., 1999) und wird hier aus zwei Gründen verwandt. Erstens, er ist erfahrungsnah. Er übermittelt eine Haltung hinsichtlich der eigenen Erfahrung, die jemand fühlen kann. Zweitens meint er Verlassenheit, ein allgemeines Gefühl bei Depressionen. Die Behandlung besteht darin herauszufinden, wo dieses ‚Abwenden’ stattgefunden hat. Wir versuchen, Sicherheit und emotionale Vertrautheit mit unseren Depressionspatienten zu entwickeln, so dass die Haltung des Abwendens mit 104 ihrem Mangel an Lebendigkeit in Frage gestellt werden kann. In der Therapie laden wir dazu ein, sich der vorhandenen Erfahrung zuzuwenden und bei dieser zu bleiben. (Morgan, 2009, S. 194) Wenn wir achtsam sind, haben wir auch Lebendigkeit. „Sie werden empfindsam für die derzeitige Erfahrung des Lebendigen, dafür, wie Dinge sich unmittelbar anfühlen. Sie sitzen nicht herum und entwickeln erhabene Ideen über das Leben. Sie leben“ (Gunaratana, zit. nach Morgan, 2009, S. 194). Bei der Depressionsbehandlung ist es die verwandelte Beziehung zum Schmerz, die Leiden lindert. Achtsames Gewahrsein ermöglicht uns mit diesem Schmerz in Verbindung zu sein. • Achtsame Co-Exploration bedeutet zu fragen - Was geschieht gerade jetzt? – Können Sie dran bleiben, was gerade geschieht? – Können Sie hineinatmen in das, was gerade geschieht? Oder können Sie mit dem atmen, was gerade geschieht? Dieses Fragen lässt das Ergebnis offen, kein »warum?« Den Ansatz des im Moment gefühlten körperlichen, den „felt sense“, finden wir auch in Gendlin’s Konzept des Focusing. • Liebende Aufmerksamkeit – Als TherapeutInnen vermeiden wir im Rahmen der Psychotherapie sehr oft den Begriff ‚Liebe’, da er in einem so intimen Setting wie der Therapie missverstanden werden kann. Für unseren Fokus von achtsamen Gewahrsein ist es jedoch unablässig eine liebevolle Beziehung zu unseren Klienten zu pflegen – nicht im Sinne von eros, der begehrenden Liebe, sondern mehr im Sinne von caritas und agape. Dabei funktioniert es nicht irgendwie zu versuchen liebevoll zu sein, auch nicht nach noch so präziser Befolgung von Manualen zur Steigerung liebevollen Gewahrseins. „Das Einzige was funktionieren kann, ist die Liebe zu fühlen, sie bereits da ist“ (Russel, zit. nach Morgan, 2009, S. 196). • Weitere Aspekte betreffen das Ziel den Schmerz zu akzeptieren, • den Wert des Narrativen zu beachten, • zu erkennen, dass Gedanken nur Gedanken sind und keine absoluten Wahrheiten, • das sich Gefühle verändern können, auch zum Guten. • Wir nutzen Achtsamkeit die Bedeutung der Stille zu erkennen und in KoRespondenz mit dem Klienten zu klären. 105 • Nach Morgan (2009) erfordert die Behandlung in das Herz der Depression zu gelangen. Achtsamkeit kann uns auf diesem Weg helfen feinfühliger und präsenter zu werden für die Tiefe des Schmerzes, für die Wege des Patienten auf denen er sich alleine fühlt und sich schließlich selbst verlässt. Bei der Behandlung stellen sich uns einige Herausforderungen wie • mit engagiertem Gleichmut präsent zu sein und sich von der schmerzvollen Erfahrung nicht abzuwenden, sondern mit dem Vertrauen in der Situation zu verweilen, dass wir mit allen Erfahrungen arbeiten können. • Suizidalität des Patienten konfrontiert uns mit mächtigen Emotionen, die uns dazu verleiten zu schnell uns schützen zu wollen und damit den Kontakt mit dem Patienten zu verlieren. Auch er macht zu und wird nicht mehr erreichbar. Achtsamkeit kann dazu beitragen die Verbindung zu diesem Ort des Horrors offen zu halten, oder mit Solomon (Morgan, 2009, S. 206) gesprochen: „Sie können eine depressive Person nicht mit Liebe aus diesem Elend herausziehen. Sie können es manchmal schaffen, jemanden an den Ort zu begleiten an dem er sich aufhält“. • Langeweile ist oft ein Zeichen, dass entweder die Klientin oder die Therapeutin vor der Konfrontation mit einem Gefühl flüchtet, sei es durch Blicke auf die Uhr, durch den Flash nach Koffein oder belanglose Fragen. Wir sind auch oft verloren und wissen nicht wo wir hin sollen mit dem Patienten, wie wir ihn erreichen, sind voller Zweifel über die Sinnhaftigkeit unseres Vorgehens. Wenn wir unsere Klienten daran teilhaben lassen, dass wir nicht wissen wo wir gerade sind, schaffen wir einen geteilten Raum des Zweifels, der zumindest lebendig ist. Der Patient macht in der Auseinandersetzung mit ggf. seiner eigenen Langeweile eine heilsame, weil der Depression entgegengesetzte Erfahrung: Er vermeidet die Empfindung nicht mehr, statt darüber zu grübeln macht er sie. Die Achtsamkeit auf die Therapiebeziehung hilft uns Aspekte der Getrenntheit vom Selbst, der Getrenntheit vom Therapeuten, dem Sehen, sowie der Ungewissheit zu begegnen. In der Achtsamkeit für das Patientenverhalten schaffen wir es leichter von den vordringlichen Fragen nach Problemen und Schmerzen auch zur Absicht des 106 Klienten zu gelangen indem wir die Fragen nach dem Herzenswunsch stellen, oder was wichtig für sie ist, oder was sie sich am meisten für ihr Leben wünschen. Dieser Abriss soll die Haltung eines achtsamkeitsinformierten Vorgehens in der Behandlung von depressiven Menschen umrissen haben. Morgan (2009) schließt mit einem Zitat Andrew Solomons aus seinem The Noonday Demon „Das Gegenteil der Depression ist nicht Glück, sondern Vitalität.“ Damit kann ein, mit achtsamen Gewahrsein arbeitender Therapeut, einem Klienten dazu verhelfen, sich lebendiger zu fühlen. 107 3 Empirie 3.1 Forschungsfrage In der vorliegenden Arbeit sollen Antworten auf folgende Fragestellung gefunden werden: »Inwiefern beeinflusst die Achtsamkeitspraxis von PsychotherapeutInnen die intersubjektive Ko-Respondenz - aus Sicht der PsychotherapeutInnen« 3.2 Methodik 3.2.1 Datenerhebung Zur Beantwortung Sozialforschung unterschiedlichen der Forschungsfrage eingeschlagen. Es wurde wurden Therapierichtungen mit der Weg über qualitative PsychotherapeutInnen langjähriger Praxis aus in Achtsamkeitsmeditation gesucht, die sich für ein problemzentriertes Interview (Mayring, 2002) bereit erklärten. Das Interview begann mit der offenen Frage „Wie wirkt sich Ihre Achtsamkeitspraxis auf die therapeutische Beziehung mit Ihren KlientInnen aus“. Die InterviewpartnerInnen (im folgenden als „IP“ bezeichnet – präferiert vor „Proband“, „Teilnehmer“, „Befragte“) wurden ermutigt, einfach das zu antworten „was aus ihrem offenen Gewahrsein dazu kommt“. Vorab wurde noch nach dem therapeutischenund Meditationshintergrund gefragt, nach Erfahrungsdauer und Arbeitsfeldern in der Praxis. Vor der Interviewphase wurde ein A Priori Codesystem erstellt, welches für die Beantwortung der Fragestellung wichtig erschien – nämlich das der 14 Wirkfaktoren der IT. Dieses Codesystem diente als inhaltliches Gerüst um den Interviewverlauf zu akzentuieren und an geeignet erscheinender Stelle im Sinne der IT-Formulierungen nochmals nachzufragen, ob die gemachte Aussage auch im ITWording verstanden werden konnte. Wenn eine Interviewpartnerin von „sharing“ im Psychodrama spricht, dies rückzufragen: „Also das wäre dann im Sinne von 108 selektiver Offenheit, sagen wir dazu... dass ich entscheide, wann sage ich etwas aus meiner Praxis, aus meinem Leben. B: Genau.“ In den ersten beiden Interviews traten jedoch auch Aspekte zu Tage, die im Sinne der Grounded Theory (Glaser et.al., 1998) in den Leitfaden für die weiteren Interviews einflossen: Aspekte der Religionsfreiheit, Auswirkungen auf Settingfragen, Qualitätssicherungsaspekte und Interventionen mit KlientInnen. Bei einigen IP kamen solche Antworten von ihnen aus, bei anderen wiederum wurde gezielt nachgefragt, wenn wir thematisch in die Nähe kamen, bei wiederum anderen fokussierte sich das Interview auf einzelne Aspekte, anderen blieben unerwähnt. So muss auch im folgenden Ergebnisteil eine Häufigkeit interpretiert werden: Nicht bei allen IP kamen zu allen Aspekten Antworten zu Stande: Wenn also bei der Kategorie „Religionsfreiheit“ 6 von 8 IP sagten, diese sei gewährleistet, heißt das noch nicht, dass bei den anderen 2 IP diese nicht gewährleistet ist. Lediglich wurde dieser Aspekt in 6 Interviews nicht behandelt. So ist auch in allen anderen Kapiteln sinngemäß zu verfahren. Die Akquise erfolgte über persönliche Kontakte und deren Verteiler, in denen PsychotherapeutInnen Meditationserfahrung aus in unterschiedlichen unterschiedlichen Fachrichtungen buddhistischen Traditionen mit im deutschsprachigen Raum enthalten waren. Es kamen insgesamt 9 Interviews zu Stande, wovon 1 aus technischen Schwierigkeiten bei der Aufzeichnung leider nicht verwertbar war. Von den 8 in die Auswertung eingehenden Interviews wurden 6 im persönlichen Kontakt auf Tonträger aufgenommen. Die 2 Interviews aus der Schweiz wurden per Video-Skype aufgezeichnet. Die Interviews wurden zwischen 6. November 2013 und 2. Jänner 2014 durchgeführt und dauerten jeweils zwischen 35 und 55 Minuten. Anschließend wurden sie wortwörtlich u.a. mit Hilfe des Computerprogramms „f5“ transkribiert. 3.2.2 Auswertung Die transkribierten Interviews wurden einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen (Mayring, 2010) unter Verwendung des Computerprogramms „f4analyse“. Dabei werden Textstellen markiert und einem Code zugeordnet -entweder dem vorab definierten Codebaum (14 Wirkfaktoren der IT) oder neu entstehende Codes. Dabei kann eine Textstelle mehreren Codes zugeordnet werden – diese ladet dann auf mehreren Faktoren. Die markierten Textstellen erscheinen farblich unterstrichen und 109 können jederzeit umcodiert werden. So entstand im Laufe der Codierung der Texte, im Sinne von Klassifizierungen (Mayring, 2010) ein umfangreicher Codebaum mit 257 Elementen auf bis zu drei Ebenen. Abbildung 18: f4analyse – Screenshot der Codierung Dabei wurde darauf geachtet in unterschiedlichen Interviews auftretende gleiche Themen den gleichen Codes zuzuordnen oder einen neuen Code bzw. Untercode zu vergeben. Nach Fertigstellung aller Textcodierungen mussten die gefundenen Codes mit unterschiedlicher Formulierung im Sinne einer Kontingenzanalyse zu möglichst stimmigen Obergruppen zusammengefasst und ggf. umgruppiert & umbenannt werden um die Anzahl an Codes auf ein sinnvolles Maß zu reduzieren und prägnante Kategorien zu finden, die im Anschluss einer Häufigkeitsanalyse (Mayring, 2010, S. 13) unterzogen werden konnten. Diese Schritte lassen sich bequem mit dem Werkzeug f4analyse durchführen. Neben dem A Priori definierten Kategoriensystem der Wirkfaktoren und der demografischen Auswertung der InterviewpartnerInnen, welche auch im Form von Codes durchgeführt wurde, ergaben sich weitere 6 Hauptkategorien mit jeweils 3 bis 10 Unterkategorien (Sub-Codes). Diese finden sich als Unterkapitel des folgenden Abschnitts „Ergebnisse“ wieder. 110 Das Programm generiert im Anschluss eine Profilmatrix, aus der die Häufigkeiten der Codeladungen bei den InterviewpartnerInnen (IP) ersichtlich ist. Abbildung 19: Profilmatrix - Ausschnitt Für die Ergebnisinterpretation ist folgendes zu beachten (siehe obigen Ausschnitt der Profilmatrix): In der Zelle Code x IP steht die Anzahl der Nennungen eines IP für diesen Code, in hellerem Grau. In der Spalte IP Gesamt ist aber nicht die Summe aller Nennungen zu sehen, sondern, was im Rahmen dieser Forschungsarbeit mehr interessiert, wie viele InterviewpartnerInnen haben etwas – zumindest eine Aussage – zu diesem Code gemacht (blau umrahmt). Dieser Wert kann also nur zwischen 0 und 8 liegen. Die folgende Excel-Formel verdeutlicht das: 111 In den Häufigkeitsanalysen für die Ergebnisse werden nur die Codes der Ebene 2 gezählt. Sind Ebene 3 Sub-Codes vorhanden, welche die unterschiedlichen Facetten der Hauptkategorie differenzierter erkennbar machen, wird Spaltenweise gezählt, bei wie vielen Subcodes ein IP etwas genannt hatte. Das ergibt die Spaltensummen oberhalb von Ebene 3 Code Ladungen (rot umrahmt): Werden nun die Spaltensummen für jeden IP über alle Codeladungen berechnet, kann eine Unterscheidung der IP in Bezug auf die „inhaltliche Ergiebigkeit“ des Interviews getroffen werden. Dabei reichen die Scores von 28, über 29, 36, 37, 38, bis 42, 50 und 55. Eine hohe „inhaltliche Ergiebigkeit“ kommt dadurch zu Stande, wenn IP zu vielen Aspekten des gesamten Codebaumes Auskunft geben, ein niedriger Score, wenn diese auf einige für sie relevante Aspekte fokussiert bleiben, diese Themen jedoch an mehreren Stellen über den Interviewverlauf wiederholten, differenzierten oder betonten. Daher ist für die Interpretation der Texte ein weiteres Maß interessant, das die Gesamtzahl an Nennungen zu einem Code (grün umrahmt) miteinbezieht und diese in Relation zu den „IP Gesamt“ Werten setzt. Also, wie viele Nennungen eines Codes hat im Durchschnitt eine Person hervorgebracht. Dieses Maß (violett umrahmt) wird im Folgenden „Betonung“ genannt, also Ausdruck der persönlichen Wichtigkeit einer Thematik und gibt in den in violett gehaltenen Balkendiagrammen Auskunft darüber wie sehr die IP dieses Thema wiederholt hervorgehoben hatten. Ein Wert von 1 bedeutet, dass 1 Person in ihrem Interview 1 mal etwas zu einem Code gesagt hat, also nicht extra betonte. Wenn bei 4 IP insgesamt 14 Textstellen zu einem Code zuordenbar waren, ergibt sich daraus eine Betonung von 3,5. Dies ist in diesem Forschungsprojekt auch der höchste Wert, weshalb die Diagramme mit einem Maximalwert von 3,5 skaliert sind. Die geringfügig von 1 abweichenden Darstellungen im Diagramm bei der Betonung von 1,0 dienen der Anschaulichkeit. 112 3.3 Ergebnisse 3.3.1 Beschreibung der InterviewpartnerInnen Bei den 8 InterviewpartnerInnen handelt es sich um 5 Frauen und 3 Männer, alles PsychotherapeutInnen mit Meditationserfahrung. Von diesen 8 kamen 5 aus Österreich, 1 aus Deutschland und 2 aus der Schweiz. Die Namen in dieser Arbeit sind anonymisiert worden. Geschlecht Nationalität Schweiz, 2 Männer, 3 Deutschland, 1 Frauen , 5 Österreich, 5 Abbildung 20: Demografischer Hintergrund der InterviewpartnerInnen 3.3.1.1 Erfahrungshintergrund in der Psychotherapie Eine IP ist seit 1 Jahr eingetragene PsychotherapeutInnen, die anderen haben langjährige Berufspraxis: Die meisten (4 IP) 21 bis 30 Jahre, 2 weitere zwischen 11 und 20 Jahren, 1 Person hat mehr als 30 Jahre Therapieerfahrung. Erfahrung Therapie mehr als 30 Jahre bis 30 Jahre bis 20 Jahre bis 10 jahre bis 5 Jahre bis 1 Jahr 0 1 2 3 Abbildung 21: Erfahrungshintergrund in der Psychotherapie 113 4 5 3.3.1.2 Inhaltliche Ausrichtungen in der Psychotherapie Bei den TherapeutInnen waren 3 GestalttherapeutInnen, je 2 mit Klientenzentriertem und Transaktionsanalytischem Hintergrund, 1 Integrative Therapeutin, je 1 weitere mit Psychodrama und Verhaltenstherapie Ausbildung, sowie 1 tiefenpsychologisch ausgebildeter mit systemischen Erweiterungen. In dieser Kategorie konnte es zu Mehrfachnennungen kommen Inhaltliche Ausrichtungen Therapie Tiefenpsychologie mit systemischen Erweiterungen Verhaltenstherapie Psychodrama Integrative Therapie Transaktionsanalyse Klientenzentriert Gestalttherapie 0 1 2 3 4 Abbildung 22: Inhaltliche Ausrichtungen in der Psychotherapie 3.3.1.3 Erfahrungshintergrund in der Meditationspraxis Was den Erfahrungshintergrund in der Praxis der Achtsamkeitsmeditation betrifft, so lässt sich feststellen, dass die meisten, nämlich 5 Personen, zwischen 11 und 20 Jahren Erfahrung aufweisen können, je 1 weitere Person hat rund 5 Jahre, zwischen 6 und 10 Jahren, sowie zwischen 21 bis 30 Jahren Meditationserfahrung. 114 Erfahrung Meditationspraxis Was war vorher mehr als 30 Jahre bis 30 Jahre Meditationsp raxis vor Psychotherap ie, 2 bis 20 Jahre bis 10 Jahre Psychotherap ie vor Meditationsp raxis, 6 bis 5 Jahre bis 1 Jahr 0 1 2 3 4 5 Abbildung 23: Erfahrungshintergrund in der Meditationspraxis Bei so langen Karrieren stellt sich auch die Frage, womit befassten sich die InterviewpartnerInnen in ihrer Biografie zuerst: Es zeigt sich bei den Vergleichen dass 6 von 8 Personen Psychotherapie vor Mediation praktizierten. Nur 2 der 8 InterviewpartnerInnen kamen von der Meditation danach zur Psychotherapie. 3.3.1.4 Inhaltliche Ausrichtungen in der Meditationspraxis Was den kulturellen Hintergrund der Achtsamkeitspraxis betrifft sehen wir ein breites Spektrum von Tibetischem Buddhismus (2) über die Vipassana Meditation (2) und der Ausrichtung von Thich Nhat Hanh (1), über Zen Meditation & MBSR Praxis (2), bis hin zur christlichen Form der Achtsamkeitsmeditation (1). Inhaltliche Ausrichtung Meditation Thich Nhat Hanh Tibetischer Buddhismus christliche Meditation Vipassana Zen & MBSR 0 1 2 3 Abbildung 24: Inhaltliche Ausrichtungen in der Meditationspraxis 115 4 3.3.1.5 Arbeitsfelder in der Praxis Falls die IP Aussagen psychotherapeutischen Aufstellungsarbeit tätig, über Arbeitsfelder „Einzel“-Therapie je 1 weitere 3 machten waren Personen in systemischer auf Körperarbeit, Nennung entfällt neben der Traumatherapie, Arbeit mit Gruppen und Paaren, sowie in der Erziehungs- und Familienberatung. Eine weitere arbeitet dezidiert auch als Achtsamkeitslehrerin. Arbeitsfelder in der Praxis Achtsamkeitslehrerin Erziehungs- u Familienberatung Gruppen Paare Traumatherapie Körperarbeit Aufstellungsarbeit 0 1 2 3 4 Abbildung 25: Arbeitsfelder in der therapeutischen Praxis 3.3.2 Welche der 14 Wirkfaktoren der IT werden durch Achtsamkeitspraxis gefördert Im Interview wurde nicht dezidiert nach den 14 Wirkfaktoren gefragt, sondern die Textstellen wurden inhaltlich sinngemäß auf diese Wirkfaktoren hin kodiert, meist zusätzlich zu einer inhaltlich spezifischeren Kodierung, welche in den folgenden Kapiteln dargestellt wird. Die Fragestellung lautete ja wie sich die Achtsamkeitspraxis auf die therapeutische Beziehung auswirkt, was Auswirkungen auf beiden Seiten impliziert. Veränderungen in der Wahrnehmung, Haltung, usw. des Therapeuten, aber auch Effekte, welche die TherapeutInnen bei ihren Klientinnen wahrnehmen können. Die ersten beiden Wirkfaktoren können auf die Qualität der therapeutischen Relation im engeren Sinn attribuiert werden, aber auch, durch die Dynamiken des Modelllernens erklärbar, Kompetenzen und Performance seitens des Klienten („Selbstakzeptanz“) meinen. Aus dem nachstehenden Diagramm sind wieder die Anzahl der TherapeutInnen dargestellt, die einen förderlichen Einfluss der Achtsamkeitspraxis auf die Wirkfaktoren bestätigen. Drei davon wurden von 116 mindestens der Hälfte als ein Effekt der Mediationspraxis genannt. Für die letzten 5 Wirkfaktoren gab es in den Antworten jedoch keine Hinweise, dass diese durch Achtsamkeitspraxis dezidiert gestärkt werden. Wirkfaktoren der IT 1. Einfühlendes Verstehen, Mitgefühl, Empathie 2. Emotionale Annahme und Stütze, Akzeptanz, Selbstakzeptanz, Förderung positiver Verhaltensweisen/Mitgefühl für sich selbst 3. Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung 4. Förderung des emotionalen Ausdrucks und der Willenskraft 5. Förderung von rationaler Einsicht und Sinnerleben 6. Förderung von Beziehungsfähigkeit und kommunikativer Kompetenz 7. Förderung leiblicher Bewusstheit, Selbstregulation und psychophysischer Entspannung 8. Förderung von Lernmöglichkeiten, Lernprozessen und Interessen 9. Förderung kreativer Erlebnis- und Gestaltungsmöglichkeiten 10. Erarbeitung von positiven Zukunftsperspektiven 11. Förderung eines positiven Wertebezugs 12. Förderung von prägnantem Selbst- und Identitätserlebens, sowie Souveränität 13. Förderung tragfähiger sozialer Netzwerke 14. Ermöglichen von Solidaritätserfahrungen 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Abbildung 26: Wirkfaktoren - Anzahl IP Darstellung der Anzahl von IP, welcher mindestens eine Aussage zu einem Wirkfaktor zugeordnet werden konnte. Darüber wie sehr eine Thematik betont wurde gibt das folgende Diagramm Auskunft: 117 Wirkfaktoren der IT 1. Einfühlendes Verstehen, Mitgefühl, Empathie 2. Emotionale Annahme und Stütze, Akzeptanz, Selbstakzeptanz, Förderung positiver Verhaltensweisen/Mitgefühl für sich selbst 3. Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung 4. Förderung des emotionalen Ausdrucks und der Willenskraft 5. Förderung von rationaler Einsicht und Sinnerleben 6. Förderung von Beziehungsfähigkeit und kommunikativer Kompetenz 7. Förderung leiblicher Bewusstheit, Selbstregulation und psychophysischer Entspannung 8. Förderung von Lernmöglichkeiten, Lernprozessen und Interessen 9. Förderung kreativer Erlebnis- und Gestaltungsmöglichkeiten 10. Erarbeitung von positiven Zukunftsperspektiven 11. Förderung eines positiven Wertebezugs 12. Förderung von prägnantem Selbst- und Identitätserlebens, sowie Souveränität 13. Förderung tragfähiger sozialer Netzwerke 14. Ermöglichen von Solidaritätserfahrungen 1 1,5 2 2,5 3 3,5 Betonung (1= 1 Nennug pro IP, 2=durchschnittlich 2 Nennungen pro IP) Abbildung 27: Wirkfaktoren - Betonung 3.3.2.1 1. Einfühlendes Verstehen, Mitgefühl, Empathie: Der Hauptwirkfaktor, der sich in vielen Untersuchungen als wesentlich für das Gelingen einer therapeutischen Beziehung erweisen hat, wurde von allen 8 InterviewpartnerInnen als ein positiver Effekt ihrer Meditationspraxis erachtet. Im Schnitt mit 1,5 Nennungen pro IP. Das ist auch von der spirituellen Ausrichtung her konsistent, spielt doch Mitgefühl und einfühlendes Verstehen eine wesentliche Rolle in der Haltung von Dharmapraktizierenden. So erfahren wir von Gunther (Absatz 15) dass „sich mein Einfühlungsvermögen und auch dieses intuitive Wahrnehmen des Klienten verbessert hat...“ und in Absatz 73-74 „dass meine verstärkte Empathie oder auch mehr Offenheit von mir da ein Stück mehr Herzöffnung gelungen ist. In der Zeit auch durch die Meditation die Verbundenheit stärker ist. Ich glaub dass ich mehr Verbundenheit zulassen und herstellen kann.“ „Das ist sicherlich etwas, was am Polster trainiert wird. So auch dieses Mitgefühl mit sich zu haben. Und in der Therapie, glaube ich, ist es so, dass es leichter ist, nicht zu bewerten und damit auch leichter wird, mitzufühlen.“ (Klara, Absatz 91 – 96) 118 Für die Stärkung des Mitgefühls kann die therapeutische Arbeit auch als ein entspanntes Training betrachtet werden: „Dass ich so viel als möglich versuche, meine Arbeit auch als meine buddhistische Praxis zu erleben. Im günstigsten Fall kann ich das gut übersetzen und komme einfach tiefer in die Praxis hinein. Und habe viel bodhicitta-Training, ohne jetzt irgendwie mich persönlich auszuwringen.“ (Angelika, Absatz 98-100) „Ich glaube, es fließt auf ganz natürliche Weise ein, einfach weil bodhicitta eine wache Ecke in meinem Herzen ist, immer wieder, nicht immer, aber oft. Das ist das eine, und das andere, da kommt mir jetzt auch diese eine Borderline-Frau in den Sinn, mit der ich wirklich an meine Grenzen immer wieder stoße. Und da finde ich manchmal Zuflucht bei diesen bodhicitta, weil ich verzweifle und sie eigentlich nur noch loswerden möchte. Wenn ich da dann so meine verdank und kleshas reingehe, will ich sie einfach loswerden. Und wenn ich dann zu dieser Haltung Zuflucht nehme, innerlich, und sage, hey… Wie kann ich ihr… Wie kann ich für sie dableiben, obwohl sie mich tritt? Als Zuflucht vielleicht am besten. Wenn sie nicht natürlich fließt, dann als Zuflucht“ (Claudia, Absatz 42) „Da habe ich auch viele Jahre darüber nachgedacht, was ist denn eigentlich der Unterschied zwischen Mitleid und Mitfühlen. Und für mich ist es eben wirklich das, so wie, das heißt nicht, dass ich nicht den Schmerz mitempfinde. Aber ich muss ihn nicht mit nach Hause nehmen oder ich kann wie ich das in einen größeren Rahmen setzen oder so etwas.“ (Waltraud, Absatz 24) „Mitgefühl glaube ich trifft es für mich eher, für mich. Dass ich mit den Menschen in ihrer Situation Mitgefühl habe, dass ich allerdings... Ich weiß nicht ob ich schon auf der Ebene von Güte bin.“ (Manfred, Absatz 58) 3.3.2.2 2. Emotionale Annahmen und Stütze, Akzeptanz, Selbstakzeptanz Auch im zweiten Wirkfaktor finden wir ein weiteres zentrales Konzept in der Achtsamkeitspraxis, die Akzeptanz. 4 Personen nehmen explizit, im Schnitt mit 1,5 Textstellen, darauf Bezug. Die InterviewpartnerInnen weisen durchwegs darauf hin, dass wenn sie die Eigenschaft der Akzeptanz bei ihnen selbst entwickeln, sich diese Haltung ihren KlientInnen gegenüber besser entgegenbringen können und, wiederum über Spiegelung/Modelllernen, diese Haltung bei ihren KlientInnen evozieren bzw. stärken lässt. z.B. „sich nicht mehr vor Gefühlen zu fürchten“: 119 „Genau. Ich fürchte mich nicht vor Gefühlen. Das heißt ja emotionale Annahme, oder? ... das ist dieses sich einschwingen“ (Erika, Absatz 35 – 38) Den Klienten so annehmen, ohne das Gefühl zu haben etwas verändern zu müssen – dieses genannte Motiv kann, wie im folgenden Kapitel noch deutlicher dargestellt, als ein Haupteffekt der Meditationspraxis erachtet werden: „Ich glaube, es verbessert die Beziehung insofern, dass ich nicht mehr versuche, dass ich nicht mehr das Gefühl habe, ich oder der Patient müssten was verändern, oder wir sind nicht gut genug, der Patient passt nicht in meine Therapie oder ich passe nicht zum Patient oder so. Ja, die ganze Suche nach Gründen oder auch manchmal vielleicht sogar Schuldzuweisung oder so, das fällt einfach weg. Und von dem her ist der Kontakt dann einfach leichter und auch, ja, vielleicht sogar ein Stück inniger oder so.. Oder so tiefer oder so… Ja, die Menschen fühlen sich wohl, das merke ich. (…) Es ist nicht so einfach zu beschreiben, finde ich.“ (Waltraud, Absatz 10 -11) Das Angebot einer sicheren Bindung, Sicherheit-Gebendes zu stärken, mit dem Effekt von weniger Therapieabbrüchen, wurde genannt: „Ich glaube, dass meine verstärkte Empathie oder auch mehr Offenheit von mir da ein Stück mehr Herzöffnung gelungen ist. In der Zeit auch durch die Meditation die Verbundenheit stärker ist. Ich glaub dass ich mehr Verbundenheit zulassen und herstellen kann. Man könnte sagen, psychologisch, mehr sichere Bindung. Und das ist etwas, was etwas Halt-Gebendes, etwas SicherheitGebendes ist. Ja, auch Leute besser dableiben lässt. So würde ich das sagen.“ (Gunther, Absatz 70 – 76) 3.3.2.3 7. Förderung leiblicher Bewusstheit, Selbstregulation und psychophysischer Entspannung Der Faktor mit der zweitstärksten Ladung war mit 6 von 8 Personen ebenfalls einer, der in der Achtsamkeitspraxis seit jeher trainiert und gestärkt wird: Die Stärkung leiblicher Bewusstheit, Selbstregulation und psychophysischer Entspannung. Hier ebenfalls ausgehend von der Verbesserung dieser Eigenschaften seitens der TherapeutInnen um dies „ein Modell“ auch für ihre KlientInnen besser verfügbar zu machen – „es springt dann über“: 120 „Und die Haltung der Achtsamkeit heißt ja, ich sehe das dann auch. Ich sehe ja, wenn jemand anfängt, ganz flach zu atmen, zu versinken, dann kann ich nachfragen und vertiefen helfen.“ (Erika, Absatz 19) „Wenn ich so tiefer ausatme, dann gebe ich sozusagen ein Modell, das der andere einmal unbewusst probieren kann. Oder dass es auch so… Manchmal entsteht, dass so eine Stille aufkommt, wo die Menschen so in ein Gewahrsein hineinrutschen und dann nach 5, 10 Minuten so wieder aufwachen, mich anschauen und sagen: “Was war das jetzt?““ (Angelika, Absatz 23) „Also so diesem Körperwahrnehmung und diese Körperempfindung wieder wahrzunehmen. Dann nenne ich, es gar nicht mit speziellen Begriffen.“ (Gunther, Absatz 18) „Und was auch stattfindet, das glaube ich, so dieses zwischendurch sich selber wieder wahrnehmen in der Therapie. Und das ist etwas, was sehr oft auch auf den Klienten überspringt. Wenn ich nicht mehr so viel rede, dass wirklich auch da ein bisschen eine Ruhe oder ein Rahmen wieder entsteht.“ (Klara, Absatz 108) Zur Selbstregulation gehört aus Perspektive der Achtsamkeit auch der ökonomischere Umgang mit Emotionen, um nicht gleich „auf alle Emotionen und Gedanken aufzusatteln“: „Das ist ja auch das, ich finde, worum es unter anderem auch in der spirituellen Praxis geht, d.h. die eigene Emotion besser kennen zu lernen, nicht auf alle Emotionen aufzusatteln, nicht auf alle Gedanken aufzusatteln und dann eben auch so etwas wie so eine Draufsicht und so einen gewissen Gleichmut, nicht Gleichgültigkeit aber Gleichmut dann eben zu entwickeln.“ (Manfred, Absatz 32) 3.3.2.4 4. Förderung des emotionalen Ausdrucks und der Willenskraft Der Klient soll dazu bemächtigt werden, den Ausdruck von Emotionen zu verstärken und zu differenzieren, was eine Assoziation mit den Emotionen bedingt. Aus Sicht der buddhistischen Psychologie ist jedoch das Gegenteil erstrebenswert: sich nicht mit den Gefühlen zu assoziieren, sie zum Teil des Selbst zu machen, sondern sie als Produkt der Geistestätigkeit mit Gleichmut und Distanz zu betrachten und dadurch sich vom „bedingten Entstehen“ zu lösen. Dass diese beiden augenscheinlich gegenläufigen Strategien nicht im Widerspruch stehen, kann über die Frage des 121 Zeitpunkt des Einsatzes dieser Strategien gelöst werden. Die Integrative Therapeutin unter den InterviewpartnerInnen schildert dies folgendermaßen: „Habe ich gesagt, ich nehme jetzt noch… Habe die gelbe Farbe genommen und habe gesagt, nur als Denkanstoß, also da sind die vier violetten, schwarzen Punkte [von ihnen]. Das ist Ihre… Das ist die Lebensgeschichte. Und ich täte die Arbeit ja überhaupt nicht machen, ich täte das ja nicht aushalten. Weil ich kann es ja nicht ändern, wenn ich nicht wüsste, das ist die Lebensgeschichte. Aber darunter, voller Licht, voller Leben, voller Lebendigkeit, voller Entwicklungspotential. [ZEICHNET] Und mit DEM, das ist Achtsamkeit, dass ich mit dem in Verbindung bleibe. Dass ich mich von diesem Dunklen nicht irritieren lasse. Dass ich ihn daran erinnere, dass er kurz das spüren kann.“ (Erika, Absatz 56) Hier den Klienten mit kreativen Medien in den emotionalen Ausdruck führen, mit dem Wissen auf TherapeutInnenseite um die Relativität dieses Gefühls. Die Perspektive der buddhistische Psychologie kommt dann zum Einsatz wenn unterdrückte, dissoziierte Gefühle zuerst assoziiert, ausgedrückt, rausgeschrien, durchgearbeitet, behirnt, usw. werden. Anschließend den Klienten aber nicht in dieser Assoziation zu belassen sondern eine weitere Möglichkeit des Umgangs mit Gefühlen anzubieten. 3.3.2.5 3. Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung Direkte Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung ist wahrscheinlich nicht der Kern von Achtsamkeitspraxis, eine IP schildert ihr Vorgehen dafür mit ihren KlientInnen aber folgendermaßen: „Dann begleite ich die Person in den Prozess hinein, mit verschiedensten Methoden. Und wie man da wieder hinauskommt, dass man dann gemeinsam hinschauen kann, ja wo waren wir denn gerade? Was haben wir denn gemacht? Mit welchen Methoden? Und wie könntest du die Methoden für dich verwenden, in deiner Eigenkommunikation? Also dass das nicht ausschließlich etwas ist, was jetzt bei mir hier in der Praxis stattfindet, sondern was kommt in die eigene Schatzkiste, was hier erarbeitet worden ist.“ (Angelika, Absatz 72) 122 3.3.2.6 5. Förderung von rationaler Einsicht und Sinnerleben Auch die Förderung rationaler Einsicht, hier in der Förderung der Fähigkeit des Klienten sein emotionales Alter zu erfassen, findet sich 1 mal in den Interviews wieder: „ dem anderen auch zu lernen, zu vermitteln, wie ein Mensch selber sein eigenes emotionales Alter feststellen kann. Und dann in diesen Prozess gehen kann, sich sozusagen auch ein Stück weit zu dissoziieren, draufzuschauen auf den Prozess, der eigene Beobachter zu werden und zu sehen, ok da gibt es ein Archiv, das ist noch nicht nachgereift, das ist noch gekränkt, das hat den Heilungsprozess noch nicht durchlaufen. Da steht mein innerer Scanner und will gesehen werden. Dass die Person fähig ist, bei sich selber solche Prozesse in der Art auch zu interpretieren.“ (Angelika, Absatz 63) Die bereits öfter erwähnte Role-Model Funktion des Therapeuten zum Lernen kommt auch aus der Sicht eines Therapeuten beim Wirkfaktor 6 zum Einsatz: 3.3.2.7 6. Förderung von Beziehungsfähigkeit und kommunikativer Kompetenz Die Förderung von Beziehungsfähigkeit beim Klienten wird positiv beeinflusst - über die durch Meditationspraxis verstärkte Bindungsfähigkeit: „Ich glaube, dass meine verstärkte Empathie oder auch mehr Offenheit von mir da ein Stück mehr Herzöffnung gelungen ist. In der Zeit auch durch die Meditation die Verbundenheit stärker ist. Ich glaub dass ich mehr Verbundenheit zulassen und herstellen kann. Man könnte sagen, psychologisch, mehr sichere Bindung. Und das ist etwas, was etwas Halt-Gebendes, etwas SicherheitGebendes ist. Ja, auch Leute besser dableiben lässt. So würde ich das sagen.“ (Gunther, Absatz 70 – 74) Die Förderung von Eigenverantwortungsübernahme wurde als ein zentraler Schritt zur Beziehungsfähigkeit attribuiert und daher folgende Textstelle zu diesem Wirkfaktor codiert: „Das ist auch ein Ergebnis der spirituellen Praxis, dass man so eine Verantwortung für sein Leben übernimmt und auch versteht, dass man selber im Thema "Ursache und Wirkung" steht. Also es heißt, das was jemand tut, ist ja erstmals was er selbst zu verantworten hat“ (Manfred, Absatz 22) 123 3.3.2.8 8. Förderung von Lernmöglichkeiten, Lernprozessen und Interessen Auch das Fördern von Lernprozessen beim und vor allem mit dem Klienten, unter Berücksichtigung der Eigenkompetenzübernahme, wurde als eine Auswirkung von Achtsamkeitspraxis geschildert: „Und hier mit der Fragestellung auch zu arbeiten, wie alt fühle ich mich. Und dadurch in diesen Differenzierungsprozess zu kommen, vom inneren, emotionalen, oder mentalen Alter, wie eine Situation interpretiert wird, und dem Beobachter oder dem inneren Heiler oder dem Erwachsenenanteil. Einen mitfühlenden Anteil, einen wertfreien mitfühlenden Anteil, der da draufschauen kann. Und so meinem Gegenüber die Möglichkeit oder die Kompetenz zurückzugeben, du bist oder du wirst dein eigener bester Experte“ (Angelika, Absatz 64) 3.3.2.9 9. Förderung kreativer Erlebnis- und Gestaltungsmöglichkeiten Das Annehmen „des Lebens wie es da ist“ führt aus der Praxis von Achtsamkeit eher zu einer Haltung, „dass eine Chance da ist zu einer Gestaltung“ meint Manfred in Absatz 70. Diese Haltung ist ebenfalls im Kanon der mindfulness zu finden, wenn es heißt „Veränderung ist der Bruder der Akzeptanz, aber der jüngere Bruder“ (Christensen & Jacobson, 2000, S. 11 in Germer, 2006, S. 21) 3.3.3 Auswirkungen von Achtsamkeitspraxis auf die therapeutische Beziehung Im folgenden Abschnitt wird die konkreten Auswirkungen der Achtsamkeitspraxis auf die therapeutische Relationalität aus der von den IP genannten inhaltlichen Beschreibungen dargestellt. Diese Kategorienbildung kam durch Kontingenzanalyse (Mayring, 2010 S16) zu Stande. Die Textstellen wiederholen sich zum Teil mit den oben unter „Wirkfaktoren“ genannten auf Grund der Mehrfachcodierung. Phänomenologisch sind die im folgenden dargestellten Kategorien allerdings die konkreteren und trennschärferen. 124 Auswirkungen auf therapeutische Beziehung Vertiefte Beziehung Verringertes Kontrollbedürfnis Unmittelbare Wahrnehmung Entspannter Arbeitsmodus Angstreduktion Abgrenzungsthematik Modellwirkung Verbesserte Defusion Retreaterfahrungen 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Abbildung 28: Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung - Anzahl IP Im obigen Diagramm ist die Anzahl der IP ersichtlich die Aussagen zu den Themen gemacht haben. Im unteren Diagramm sind die Betonungen der einzelnen Kategorien dargestellt (durchschnittliche Nennungen pro IP) Auswirkungen auf therapeutische Beziehung Vertiefte Beziehung Verringertes Kontrollbedürfnis Unmittelbare Wahrnehmung Entspannter Arbeitsmodus Angstreduktion Abgrenzungsthematik Modellwirkung Verbesserte Defusion Retreaterfahrungen 1 1,5 2 2,5 3 3,5 Betonung (1= 1 Nennug pro IP, 2=durchschnittlich 2 Nennungen pro IP) Abbildung 29: Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung - Betonungen 125 3.3.3.1 Unmittelbare Wahrnehmung Zu dieser Kategorie machten alle 8 Personen Aussagen in Bezug auf positive Effekte, mit der dritthöchsten Betonung von durchschnittlich 2,1 Textpassagen pro Person. In unterschiedlichen Worten und Begriffen kamen alle TherapeutInnen zum Schluss, dass es ihnen leichter fällt „unmittelbar wahrzunehmen, was ist, ohne Konzepte zu haben“. Es stärkt die direktere, leibliche, Wahrnehmung und vermindert Werten und Urteilen ebenso wie die Vorstellung „wie etwas sein sollte“: „Die Auswirkung, denke ich mal, die aus meiner Achtsamkeitspraxis kommen, ist dass ich allgemein es schaffe dass ich zwar weiß worum es geht, aber nicht gleich feste Konzepte habe mit denen ich dann eben mit den Klienten reden muss. Sondern ich kann sie erst einmal an dem Punkt wahrnehmen, was passiert.“ (Manfred, Absatz 8) „für mich ist es einfach leichter, weil ich nicht mehr so viele, nicht mehr unbedingt so viele Vorstellungen habe, wie etwas sein sollte.“ (Waltraud, Absatz 16) Dabei ist die leibliche Ebene sehr oft angesprochen wenn es darum geht „zu spüren, statt moralische und Werturteile von richtig/falsch zu haben“ und diese ins Gespräch zu übertragen: „Dass ich von meiner energetischen Wahrnehmung jetzt ja auch sozusagen im Gespräch mit hereinkommt als Information. Weil ich einfach das Gegenüber spüre und ich dann das Feedback auch sozusagen auf der Ebene geben kann.“ (Angelika, Absatz 20) Die Beschäftigung mit der buddhistischen Philosophie bringt für einige TherapeutInnen wichtige Impulse um „das Urteilen besser zu überwinden“ und den Klienten „vorurteilsfrei so sein lassen“ zu können. Diese Haltung nährt sich allerdings auch aus anderen Quellen, wie der Gewaltfreien Kommunikation: „Ich glaube durch die Meditation, aber das kann ich jetzt, das ist der Punkt, wo ich es nicht so genau sagen kann. Ob es auch die Beschäftigung mit Buddhismus ist, mit der Lehre des Buddhismus, ich glaube, es ist halt eine Mischung. Einerseits diese Lehre des Buddhismus, die uns halt erklärt, wie Leiden entsteht. Das ist für mich so ein ganz hilfreiches Konzept gewesen. Oder auch diese Vorstellung, dass jeder Buddha Natur hat. Das ist etwas, was es viel leichter macht. Also auch herauszukommen aus dieser fast ein bisschen überheblichen Rolle. Zu wissen, was für den anderen gut ist. Oder auch dieses, 126 Vedana glaub ich heißt das, dieses merken wie, in welche falsche Richtung das führt, immer dieses Urteilen. Dieses gut, schlecht, richtig, falsch. Beziehungsweise, wenn man es merkt, dass man einfach damit arbeiten kann.“ (Klara, Absatz 18) „Wenn es mir gut gelingt, dann kann ich in den Menschen, die kommen, den allermeisten ohne Vorurteile begegnen. Mit den allermeisten, es gelingt mir nicht immer, aber mit den allermeisten ist es so, dass ich die so erstmals so sein lassen kann, ja. Das find ich schon, das sind Auswirkungen von der Praxis.“ (Manfred, Absatz 50) „Und das heißt, jenseits des moralischen Urteilen zu einer Haltung kommt, was der Marshall Rosenberg so schön beschreibt, wo er sagt, ohne Werturteile können wir nicht leben. Er sagt, es geht darum aus dem moralischen Urteilen auszusteigen und Werturteile aus dem zu beziehen, wo man die Erfahrung macht, dass diese dem Leben und der Lebendigkeit dienen. Und da brauche ich niemanden, der mir sagt was richtig und was falsch ist, sondern das kann man erfahren und erspüren. Natürlich kann man es weitersagen auch, aber dann geht´s darum, dass es auch mein Gegenüber erspürt. Und dem habe ich mich verschrieben, ja. (Lachen)“ (Fritz, Absatz 67) Eine positive Auswirkung des Nicht-Wertens wird erlebt als ein „Offen-sein auch für Widersprüchliches, was im selben Moment hier sein kann.“ (Claudia, Absatz 72). Die auch in der buddhistischen Philosophie angelegte Strategie den Geist zu weiten wird hier sichtbar, ebenso wie die genaue Erforschung der Geistestätigkeit sich auf die Präzisierung der Wahrnehmung auswirkt, sowohl der Sprache, als auch der Körpersprache, sowie sich der gemeinsamen Sprachwurzel und den Zusammenhängen von „Wahrheit“ und „Wahrnehmung“ bewusst zu werden. „Also das ist ein wichtiger Aspekt meiner Achtsamkeitsarbeit, dass ich da sehr präzise schaue in der Körpersprache und in die Sprache mich sehr genau einhöre“ (Angelika, Absatz 10) „Weil so Wahrheit und Wahrnehmung ist ja so die selbe Wurzel, Sprachwurzel und dass der Körper als Wahrnehmungsorgan hier einfach ganz viel Wahrheit vermitteln kann“ (Angelika, Absatz 21) 127 Ein weiterer förderlicher Aspekt bezieht sich auf die bewusstere Wahrnehmung der Übertragungsdynamiken, sich dieser im Prozess leichter bewusst zu werden, „mir andere Ebenen der Begegnung anbietet“ (Angelika, Absatz 10) und sich in Folge weniger von Sympathien beeinflussen zu lassen: „Ja, das ich selber achtsamer bin in der Wahrnehmung, meiner eigenen Gegenübertragung und auch – ich habe den Eindruck ich spüre die Klienten mehr.“ (Gunther, Absatz 37 ) „Das Ökonomische ist eines, oder wenn mir jemand sehr sympathisch ist. Ja, ich denke den anderen ein Stück unabhängiger wahrzunehmen in seinem Interesse und das nicht so zu koppeln. Das denke ich ist auch ein Effekt.“ (Gunther, Absatz 80) 3.3.3.2 Vertiefte Beziehung Den Faktor der „vertieften Beziehung“, erwähnen 5 von 8 Personen mit der zweitstärksten Betonung von 2,8 Textstellen pro Person, dass Achtsamkeitsmeditation die Beziehung zu ihren KlientInnen insgesamt stärker, inniger und tiefer werden lässt und zwar „auf der Ebene des Herzens“. Sie geben an sich stärker im Kontakt wahr zu nehmen, auch dass sie insgesamt liebesfähiger werden und so mehr Verbundenheit zugelassen werden kann. Es fällt ihnen leichter sich auf gleiche Augenhöhe auszurichten: „Und das ist sowieso, ich denke, eine starke Veränderung, dass ich mich selber auch viel stärker im Kontakt wahrnehme. Und von dem her ist der Kontakt dann einfach leichter und auch, ja, vielleicht sogar ein Stück inniger oder so.. Oder so tiefer oder so… Ja, die Menschen fühlen sich wohl, das merke ich. (…) Es ist nicht so einfach zu beschreiben, finde ich.“ (Waltraud, Absatz 8 & 12) „Und da bin ich sozusagen immer dran, das nach zu nivellieren auf die gleiche Augenhöhe.“ (Angelika, Absatz 10) TherapeutInnen mit langjährigen Erfahrungen kommen mehrheitlich zum Schluss, dass es für eine Psychotherapie unablässig ist eine Herzensverbindung mit dem Klienten aufzubauen. Es geht in der Achtsamkeitspraxis um „liebende Aufmerksamkeit“ und damit auch in einer achtsamkeitsgegründeten Psychotherapie: 128 „Ich glaube in der Zwischenzeit, also eine Therapie ist nicht möglich, wenn nicht irgendwie eine Herzverbindung stattfindet. Das geht halt nicht.“ (Klara, Absatz 16 ) „Ich glaube, dass meine verstärkte Empathie oder auch mehr Offenheit von mir da ein Stück mehr Herzöffnung gelungen ist. In der Zeit auch durch die Meditation die Verbundenheit stärker ist. Ich glaub dass ich mehr Verbundenheit zulassen und herstellen kann. Man könnte sagen, psychologisch, mehr sichere Bindung. Und das ist etwas, was etwas Halt-Gebendes, etwas SicherheitGebendes ist. Ja, auch Leute besser dableiben lässt. So würde ich das sagen.“ (Gunther, Absatz 70 – 76) „Und manches Mal sage ich das auch. Dass es um liebende Aufmerksamkeit geht. Also ich schaue ja nicht wie der Sezierer da hin und ich habe das gesehen, sondern die Haltung der Liebe ist es ja. Alles, was ist, darf sein und ohne was ändern zu müssen können wir jetzt einmal schauen, was ist, und wenn wir einmal gesehen haben, was ist, dann können wir gemeinsam, im Grunde, ich muss oft, mir kommen oft die Tränen, können wir gemeinsam darüber weinen oder gemeinsam uns freuen, welche Potentiale sich auftun. Also das ist Empathie. Wie das anders gehen soll, ohne?“ (Erika, Absatz 30) Ganz explizit wurde genannt, dass das Mitgefühl sich „am Polster“ trainieren lässt, auch das Mitgefühl für sich selbst. Die Kolleginnen erleben die Therapiebeziehung auch stärker in einer wechselseitigen „Verbunden- und Verflochtenheit“ dem Intersein, der Verbundenheit alles Seienden, alles Lebendigen. Verflochtenheit heißt jedoch nicht Verwickeltheit oder verwickelt sein, denn die InterviewpartnerInnen erwähnen auch, dass das Loslassen nach jeder Stunde leichter fällt. Den Klienten leichter gehen lassen, im Vertrauen, dass der Prozess weitergeht und vorher einzuschätzen ob ein „Nachnährungsprozess notwendig ist und noch eine Nabelschnur benötigt wird“ Die zentrale Haltung des „Nicht-Anhaftens“ wird hier deutlich: „Vielleicht komme ich einmal zum Abschied, sich zu verabschieden, ist auch ganz wesentlich für den Achtsamkeitsaspekt, dass ich dann wirklich mich loslöse von dem Klienten. Im Sinne von oft auch so radikal und buddhistisch, im Sinne von, wir wissen nicht, ob wir uns wieder in dieser Form in dieser Welt begegnen. Also wirklich so auch aus dieser Rolle dann herauszugehen... Nach jeder 129 Stunde. Wenn so ein frühkindlicher symbiotischer Nachnährungsprozess angesagt ist, dann biete ich ganz bewusst für einen Zeitraum diese Nabelschnur an. Das ist dann aber auch energetisch, sehr stark spüre ich… Weil ich dann merke, wenn der Andere sich auf mich bezieht.“ (Angelika, Absatz 76 – 80 & 84) 3.3.3.3 Verringertes Kontrollbedürfnis Die Kategorie „Verringertes Kontrollbedürfnis“, in die auch das „Vertrauen in die Kreativität des Prozesses“ fällt, wurde von der Hälfte aller Personen genannt. Wenn diese Thematik jedoch angesprochen wurde, dann mit der in dieser Forschungsarbeit stärksten Betonung von 3,5 Textpassagen pro geführtem Interview. Inhaltlich geht es konkret um eine Abnahme des Bedürfnisses den Therapieprozess zu kontrollieren, ein besseres Erkennen, wenn als Therapeutin begonnen wird zu kontrollieren, etwas zu tun oder sein oder erreichen zu wollen. Das leitet sich auch von dem besser austarierten Gefühl her, dass die eigene Arbeitsweise vielleicht gefährlich sein könnte – dass ich etwas falsch machen könnte: „Das ist auch eine Erfahrung, dass ich nicht mehr das Gefühl habe, es ist so gefährlich. Meine Arbeitsweise mit den Klienten. Also das heißt, ich muss mich so genau kontrollieren. Das war vorher so… sehr… Habe ich vielleicht als achtsam empfunden, sehr genau zu wissen, was ich tue, was ich beim Anderen auslöse. Und jetzt ist es sicherlich so, wenn ich es bei mir weiß, ja, gelingt es mir vielleicht beim Anderen auch besser.“ (Klara, Absatz 79 – 81) Damit ist verbunden, leichter auszuhalten was gerade ist, „das Unangenehme unangenehm sein zu lassen“ und die „Vorstellungen was sein sollte, loszulassen“. Es wird auch als das TherapeutInnen-Ego empfunden, welches kleiner wird und man so vom „Ich mache“ zum „Es macht“ gelangen kann. „Ja und vor allem nicht, die Vorstellung zu haben, wenn wir das jetzt nicht machen können, dann geht das auch gar nicht weiter dann. So etwas. Sicher, ich finde, es hat viel mit meinen Vorstellungen zu tun, wie das sein sollte, und wo ich jetzt wie auch ein Stück weit wie losgelassen habe.“ (Waltraud, Absatz 18) Das Gefühl dass die Patienten nicht zu einem passen, oder man sich für den Patienten verbiegen müsste, wird verbessert. Die Suche nach Gründen warum ich nicht passe oder Schuldzuweisungen - „das fällt einfach weg“ (Waltraud, Absatz 12). 130 Auch „zulassen dass ich mich jetzt nicht auskenne“ mit dem Gefühl dass „Es“ einen Raum öffnen möge: „Und kaum, dass ich das abgebe, auf einmal bewegt sich etwas. Und auf einmal entsteht ein kreativer Prozess aus einer Ecke.“ (Erika, Absatz 88) In diesem Kontext wird auch die Methode der Aufstellungsarbeit als zu dieser Haltung sehr stimmig erlebt: „Und ich finde es bei Aufstellungsarbeit am Eindrücklichsten für mich. Wenn ich nur so rede, oder nur so rede, wenn ich so rede, habe ich mehr so das Gefühl, ICH. Und wenn dann so Aufstellungsarbeit geschieht im Raum, wo ich NICHT weiß, was der so erlebt an dem Platz, und der das auch nicht vordenken kann, oder wenn ich mich mal wo hinstelle irgendwo und rein gebe, hier erlebe ich das und das, macht das für Sie Sinn? Und dann einfach merke, dass ich so wie im freien Flug, das ergibt, was für den jetzt hilfreich ist und ich weiß nicht mal, weshalb.“ (Claudia, Absatz 20) Die Integrative Therapeutin bezieht auch die prozessuale Diagnostik als geeigneter zur Haltung der Achtsamkeit als die statische ICD10 Diagnostik „darum gefällt mir auch das prozessuale Diagnostizieren, weil ich kann einfach einmal SCHAUEN. Ich schaue und ich nehme wahr, auch was bei mir passiert.“ Eine Kollegin, bei der es zu inneren Anspannungen geführt hatte, wenn die Klienten „Ausweichverhalten“ zeigten, kann es nun besser „mal so ein Stück weit laufen lassen“ und bei eigenem Widerstand, wenn etwas unangenehm ist dass man nicht mehr zuhören mag „ich es jetzt sehr deutlich wahrnehme und ich weiche auch nicht aus, sondern versuche einfach, auch das mit einer Gelassenheit wahrzunehmen, ok, das ist jetzt gerade so und das geht auch wieder vorbei.“ (Waltraud, Absatz 8) 3.3.3.4 Entspannter Arbeitsmodus Unter dem Code „Entspannter Arbeitsmodus“ lassen sich 14 Passagen von 5 InterviewpartnerInnen codieren. Sie nehmen die therapeutische Arbeit bei begleitender Achtsamkeitsmeditation als entspannter und lustiger wahr, Leichtigkeit zieht ein, Humor wird ein wichtiger Bestandteil der Therapie und das langsame Herangehen, die Klienten einfach mal erzählen lassen, hat auch etwas sehr Entspannendes: „Was sich für mich verändert. Ich glaube, dieses langsame Herangehen und das ist etwas, was für mich auch etwas sehr Entspannendes ist und auch etwas 131 Heilsames ist. Und dieses ‚nicht schon zu wissen, was gut ist’. Die Therapie ist entspannter geworden und es darf auch über irgendetwas, was man eigentlich nicht tut, gelacht werden.“ (Klara, Absatz 63&106) Therapie wird als „zu 98% Kür-Laufen“ (Claudia, Absatz 69) erlebt – bei voller Wirksamkeit. Dass dieser „Spaß“, der Humor nichts aufgesetztes oder zum Teil auf Kosten des Klienten gehendes ist (wie etwa teilweise in der Provokativen Therapie), sagt der Hinweis „was ich wichtig finde und das kommt, glaube ich, auch mit aus der Praxis, also mit der Haltung, wenn du willst, Herzensgüte, ist Humor.“ (Manfred, Absatz 66). Denn „ohne Sinn für Humor und eine Spur Selbstironie läuft man schnell Gefahr, durch solch ‚extrem spirituelle Betätigung’ derart große Engelsflügel zu bekommen, dass man am Ende durch keine Tür mehr passt“ wie Metzner, 2013 anmerkt. Auch bei diesem Punkt gibt es abweichende Erfahrungen von einer Person, die Psychotherapie, das „im ständigen Austausch zu sein und immer in dieser ständigen Präsenz bei mir und beim Anderen“ als anstrengender erlebt als z.B. Meditation „es braucht schon viel Energie, ich kann nicht am Stück so viel einfach immer nur präsent sein“ (Waltraud, Absatz 36) Die Beobachtung, dass Ruhe und Geduld wächst, wird explizit von der Hälfte aller InterviewpartnerInnen als positive Auswirkung geäußert, „unaufgeregt in aufgeregten Situationen zu sein“ (Manfred, Absatz 14), Ruhe zu bewahren und diese Haltung wiederum als Modell zur Verfügung zu stellen, dadurch deeskalierend wirksam zu werden. Die Einschätzung geht bis „deutlich ruhiger geoworden“ (Gunther, Absatz 15) und damit in Zusammenhang gebracht „eine andere Form von Gewähren-Lassen und auch von Ruhe – Im Rahmen von Klarheit und Strukturiertheit“ (Manfred, Absatz 10). Die Ruhe wirke auf Klienten erdig, meint diese Kollegin: „Und was die Menschen mir auch immer wieder sagen, ist halt die Ruhe, die ich habe. Dass ich ruhig bin, dass ich nicht nervös bin, dass ich zuhöre, dass ich so etwas Erdiges habe, so dass das auch ein Grund ist, warum sie sich wohl fühlen. Und das glaube ich schon, dass das viel mit der Meditation zu tun hat.“ (Waltraud, Absatz 46) 132 „Geduld lernt man beim Sitzen also wirklich, Geduld. Und einige Illusionen zu verlieren, das lernt man auch.“ (Klara, Absatz 81) 3.3.3.5 Angstreduktion Die Auswirkung von Meditationspraxis, dass Therapien „angstreduzierter“ werden, nannten 6 von 8 Personen, mit einer Betonung von 1,8 Sie können „Die Katastrophe des Lebens“ (Klara, Absatz 81 & 148) besser annehmen und wollen nicht mehr „alles weg machen“, sie können dadurch auch „im Leiden besser begleiten“ (Claudia, Absatz 7-8), „nicht mehr so stark mit dem Leiden der Patienten identifiziert zu sein“ (Waltraud, Absatz 22). Das Verb „leiden“ geht auf das mittelhochdeutsche Wort „lidan“ zurückgeht, was so viel wie „durchmachen“, „erfahren“, „reisen“ bedeutet und erst später an das, ursprünglich nicht verwandte, „Leid“ angeschlossen wurde. Das Durchmachen von Schwierigkeiten des Lebens wird für uns Menschen dann leichter, wenn wir begleitet werden auf dieser Reise von jemanden, der es aushält, was uns auf dem Weg begegnet und dass es eine Weile dauern kann, bis der Weg wieder mehr im Licht und in der Wärme verläuft. Meditation scheint nach den Schilderungen der InterviewpartnerInnen eine Methode zu sein, um uns TherapeutInnen zu solchen geduldigen und mitfühlenden BegleiterInnen zu machen. „Dann mag auch sein, dass ein Aspekt der Praxis ist, ähm, sagen wir einmal, unerschrockener mit Situationen umzugehen. ja? Innerhalb der Beratungspraxis dann eben, das was da kommt, auch so, nicht mehr so, also nicht so sehr davon mit Gefühlen, die dann eben Richtung Angst oder Furcht gehen, angehen zu lassen. Ja? Ich denke, das kann auch mit so ein Effekt sein.“ (Manfred, Absatz 26) Und auch hier wieder, es geht nicht um das „Wegmachen von Störungen“ sondern Ja zu diesem unseren Leben zu sagen: „Es geht darum, auch dieses Weltbild, zu sagen, »das ist unser Leben!« Und da werden wir nicht auskommen. Wir werden krank werden, wir werden sterben, wir werden alt werden, wir werden uns verbinden und trennen, ja. Und das können wir machen oder gelingt es uns leichter, wenn wir nicht sofort im Widerstand sind oder mit diesem Allmachtsgefühl, wir werden es auflösen.“ (Klara, Absatz 81) Und wenn es turbulent wird - auch in Gruppen - hilft die Haltung „Ich bin nur ein offener Raum, im Grunde, ohne mich aber da zu verlieren. Ich falle ja nie hinein. Weil 133 ich irgendwie die Verankerung in der Mitte schon gefunden habe, beziehungsweise wenn ich sie verliere, finde ich sie schon wieder zurück. Also das ist die Praxis.“ (Erika, Absatz 40) Die im vorigen Abschnitt dargestellte Präzisierung der Wahrnehmung hilft auch dabei „die Kontaktgrenze subtiler zu gestalten“ um nicht „energetisch hineingezogen zu werden, wenn da so irgendwer irrsinnig im Elend ist“ (Fritz, Absatz 19) Die Grundhaltung, dass „ich vor allem, was menschlich sich so zeigt, mich nicht fürchte“ scheint „dass das was Heilsames ist. Ich höre das oft.“ (Erika, Absatz 17) Und wenn in der Therapie mal was daneben geht, wenn es untherapeutisches passiert, auch keine Angst mehr zu haben, dass sofort der ganze Prozess und die Beziehung dadurch „daneben geht“ (Klara, Absatz 96), oder sich der Klient „im allerschlimmsten Fall suizidiert“. „Ich bin einfach nicht mehr so verklammert mit diesen Dingen, so dass ich jetzt ... mich selbst so belasten würde mit diesen Dingen.“ (Waltraud, Absatz 28) 3.3.3.6 Abgrenzungsthematik Auf das Thema „Abgrenzung“ bezogen sich die Hälfte der interviewten Personen. Für einige ist es nicht mehr notwendig sich im außen durch irgendwelche Strategien „abzugrenzen“. Denn alles ist in Verbindung, wenn ich die Atmosphären, Bilder, die Geistobjekte nach jeder Stunde abgeben, „loslassen“ kann, nehme ich sie nicht mit nach Hause und bleib trotzdem verbunden. Im Wissen, dass jeder seine eigene Geschichte hat, dass Leid Teil des Lebens ist, dass alles in Veränderung begriffen ist und dass jeder Mensch in sich „Buddha Natur“ ist. Die Weite die durch eine Abgrenzung versucht wird zu erreichen, finden TherapeutInnen mit Meditationserfahrung „im Inneren“ „Ich brauche jetzt mir keine Methodik von Abgrenzung oder sonst was überlegen. Sondern nur, indem ich das sozusagen im Gegenüber erkenne, was im Eigenen auch gerade in Bewegung ist, kann ich da loslassen. Kann ich da auslassen.“ (Angelika, Absatz 55) „Ich habe manchmal das Gefühl im Arbeiten mit Klienten, wo immer wieder diese selbe Borderline-Frau, wo ich das Gefühl habe, ich muss dringend mehr Raum schaffen, für mich, für uns, weil es zu eng wird. Und weil es aufeinander kommt, weißt du? So wie, wenn es so dicht und eng wird. Wenn sie so aggressiv daherkommt und so. Dann habe ich das Gefühl, ich muss dringend mehr Raum 134 in mir drinnen mir bewusst machen. Wie viel Raum es gibt, ich muss mich mit dem weiten Raum verbinden, damit es, ich habe dahinter so das Bild, damit es so Platz hat, diese groben Bewegungen. Damit die nicht auf irgendetwas prallen. Damit sie sich auslaufen können.“ (Claudia, Absatz 59 – 60) Ein Kollege beschreibt das als „wohlwollende Neutralität“, auf der einen Seite bin ich mit dem Klienten verbunden, auf der anderen Seite kann ich gut unterscheiden. „Und das ist ja im Prinzip wie Seiltanzen - ich praktiziere Verbundenheit und Unterscheidung gleichzeitig“ (Fritz, Absatz 21) Kollegin Klara beschreibt jedoch die gegenteilige Auswirkung des Gefühls der Verbundenheit, dass „diese Abgrenzung, die es manchmal leichter macht, sicher schwieriger geworden ist .“ Dass dieses Sein nicht aufhört mit der Therapie. Und, ich meine, da sind ein paar Erlebnisse gewesen, wo ich mir gedacht habe, ja es ist einfach so. Es ist völlig irrational, aber es ist so. Und das glaube ich, ist schon auch, für mich glaube ich, auch mit diesem Achtsamkeitstraining gekommen. Das dann für mich so wahrzunehmen und es auch so zu belassen. Dass ich sage, ich darf das tun... Für mich ist es eher in die andere Richtung gegangen. Dass ich sage, ich kann mich natürlich therapeutisch abgrenzen, ist angenehm, sozusagen, also jetzt muss er wirklich lernen. Das muss ich erzählen, weil es für mich so ein Schlüsselerlebnis war. Also mit einer Frau, wo ich gewusst habe, ich kann nicht arbeiten, ich komme nicht weiter und ich nach 10 Stunden gesagt habe, ich kann für Sie wirklich nichts tun, weil wir stehen. Wo ich gesagt habe, sie braucht mehr soziale Kontakte. Sie vereinsamt ganz. Soll ich da anfangen. Aber ja, wir haben das in der Therapie schon erarbeitet. Und dann sagt sie, das funktioniert nicht. Und dann sage ich, glaube ich nicht. Und dann sagt sie, haben Sie nächste Woche um 8 Uhr in der Früh Zeit? Sagt sie zu mir. Mich zu besuchen. Dann habe ich gesagt, das geht nicht, wir haben ja Therapie. Dann hat sie gesagt, aber Sie haben doch die Therapie gerade beendet! [LACHEN] Und es war aber genau dieser Punkt. Natürlich wollte ich sie los werden. Natürlich war sie mir anstrengend... Also ich habe die Therapie beendet, weil für mich schon klar war, also mit ihr komme ich nicht weiter. Und sie hat einige Therapeuten schon gehabt. Aber wir sind auf einer anderen Ebene... Wo ich denke, wir sind in 135 Verbindung. Mit allen Hochs und Tiefs. Das ist das, wo sich der Rahmen plötzlich so aufweicht. Und wo es nicht mehr therapeutisch vertretbar ist. Aber wir haben es in der Supervision oft durchgekaut... Es ist ein Verbunden sein. Ein Verbunden-werden, wo ich mich nicht rausstellen kann. Freundschaft ist es auch nicht. Ich meine, sie war eine Nazi-Anhängerin. Es war auch, wir haben wenig Gemeinsames gehabt. Aber das ist wahrscheinlich so dieses, wo ich gedacht habe, wenn ich nicht meditiert hätte, hätte ich mich leichter schleichen können... Und das glaube ich, dass es in jedem Therapeutischen etwas darüber hinaus auch gibt. Also, das ist wahrscheinlich etwas, was schwieriger geworden ist. Diese gute Abgrenzung. Oder diese Abgrenzung, die es manchmal leichter macht. Das ist sicher schwieriger geworden. Also, wenn ich mit jemandem oder in der Therapie in Beziehung trete, ist es schwieriger, wieder herauszutreten... Weil Beziehung ist. (Klara, Absatz 154-169) 3.3.3.7 Modellwirkung Der Faktor „Modellwirkung“ lässt sich aus 5 von 8 Interviews ebenfalls als eigene Kategorie positiver Auswirkung von Achtsamkeitspraxis zusammenfassen. An mehreren Stellen schildern die InterviewpartnerInnen, als Antwort auf die Frage danach (diese ergab sich nach der Grounded Theory aus dem ersten Interview), dass ihr Erleben, ihre Haltung, ihre Wahrnehmung sich positiv im Sinne eines Modells und dem damit verbundenen Lernmechanismen, oder über sonstige Wirkmechanismen auf die Klienten übertragen und dort wirksam werden. Im Zuge dessen sei das eigene Erlebte, die Haltungen, die Selbsterfahrung und das Erzählen darüber von hoher Bedeutsamkeit: Bei der Frage sich Raum zu geben, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, bis hin zur Frage „Wer bin ich denn, wenn ich nicht das bin, was ich mir denke“ „An bestimmten Punkten ist das ganz wichtig, dann eben so zu zeigen, und das mache ich jetzt nicht mit dem Zeigefinger, sondern wie, wie man, sagen wir mal, seine Geschichte gestaltet und wie du Verantwortung übernimmst.“ (Manfred, Absatz 88) „Am Montag war eine Klientin bei mir, eine recht junge Frau, das hat mich sehr fasziniert, die lernt das irgendwie bei mir. Irgendwie Modelllernen so. Und die ist Mittelschullehrerin, aber sie ist so stark auf der Suche. Und sie sagt zu mir: »Wer bin ich denn? Wer bin ich denn, wenn ich nicht das bin, was ich mir denke.« Das 136 hat sie irgendwie jetzt entdeckt. Also ganz selber und da ist sie in Resonanz mit mir entdeckt sie das immer tiefer. Und dass ich das einmal entdecken hab dürfen, als Weg. Nicht dass ich es habe. (LACHT)“ (Erika, Absatz 40) „Wahrscheinlich dieses Raum geben, wenn ich mir Raum geben kann, dann ist schon einmal Raum da. Wenn ich MIR keinen Raum gebe, kann der Klient sich auch keinen nehmen.“ (Klara, Absatz 76 – 79) Es gibt bei Claudia (Absatz 43-44) einen Eindruck, dass die Achtsamkeit und Wahrnehmungsbereitschaft Dinge sein zu lassen, sie einfach zu sehen, sehr stark auf der KlientInnenebene wirksam wird. 3.3.3.8 Verbesserte Defusion Der Begriff „Defusion“ aus der ACT kommend, meint die Identifizierung, oder Konfusion des „Ich“ mit seinen Gedanken zu entwirren und nicht mehr alles so ernst zu nehmen was man sich denkt. Vielmehr seine Gedanken als Ergebnis komplexer Selbstorganisationsprozesse in einem dynamischen, nichtlinearen System, dem Gehirn, betrachten zu lernen. Sich gewissermaßen der Konstruktion von Welt durch die komplexe Interaktion von menschlicher Sprache und Kognition bewusster zu werden, wie Forschungen in der Relational Frame Theorie (RFT) nahelegen. Diese stärker auf der kognitiven Seite angesiedelte Kategorie wurde von 3 Personen insgesamt 4 mal genannt, ist sie doch ebenfalls Bestandteil der buddhistischen Sichtweise auf den menschlichen Geist und ebenfalls kompatibel zur konstruktivistischen Perspektive und der oben genannten, im Kontext der Verhaltenstherapie formulieren RFT, sowie zur IT-nahen Sichtweise des komplexen Bewusstseins. Gemäß Achtsamkeitspraxis gelingt es dann auch „eigene Emotion besser kennen zu lernen, nicht auf alle Emotionen aufzusatteln, nicht auf alle Gedanken aufzusatteln und dann eben auch so etwas wie so eine Draufsicht und so einen gewissen Gleichmut, nicht Gleichgültigkeit aber Gleichmut dann eben zu entwickeln.“ (Manfred, Absatz 32) Als ein Interviewpartner mit Meditation begonnen hat und diese Gestaltungsprinzipien kennen lernte, kam es zu Veränderungen im therapeutischen Herangehen: „Dass es unterschiedlich ist. Konstruiert, aber wahrgenommen, als wäre es wahr. Genau. Und dann hat sich gleich etwas verändert in den Therapien.“ (Klara, Absatz 13 – 14) 137 Eine Auswirkung diesbezüglich ist auch, dass die Trennung von außen und innen, von „Ich“ und „die Welt“ als von der Logik erzeugt wahrgenommen werden kann, obwohl sie im Geist als nicht voneinander getrennt, als zusammengehörig erlebt werden kann (Angelika, Absatz 59). 3.3.3.9 Retreaterfahrungen Die nicht ätiologische, sondern eher modulierende Kategorie „Retreaterfahrungen“ beschreibt, was sich von den vorhin genannten Phänomenen besonders nach Phasen intensiverer Meditationspraxis, z.B. nach längeren Retreats beobachten lässt. Auch die Frage nach solchen Auswirkungen ist im Zuge der Grounded Theory entstanden, 6 Personen mit einer Betonung von 2,8 Textstellen pro Interview beziehen sich darauf. Fritz in Absatz 14-19 beschreibt, dass „ich unwillkürlicher die eigenen Resonanzen wahrnehme und auch, das ist für mich so wie ein Schärfen dieses Resonanzinstruments, ich nenne es einmal so des Leiblichen. ... Weil das Leibliche hat für mich so eine Integration von Körper, Seele, Geist zu tun.“ Es kommt zu einer zeitlich präziseren Wahrnehmung was sich beim Gegenüber abspielt und gleichzeitig wird es entspannter: „Dass ich einfach diese Resonanzphänomene, dass ich die einfach bewusster wahrnehme, gegenwärtiger, und gleichzeitig dieses, was man diesen wohlwollenden Beobachter nennt, mit dem tue ich mich da dann leichter! Also wenn ich dann einmal lange nicht meditiere (Lachen) dann merke ich schon, dass die Tendenz mich da anzustrengen, da größer wird!“ (Fritz, Absatz 18-19) „Es ist alles, wie wenn die Sinne geschärft wären, die äußerlichen, die körperlichen und die seelischen. Und es ist offener, präziser, und vielleicht auch geräumiger.“ (Claudia, Absatz 3 - 4) Betont wird auch die Notwendigkeit der eigenen Erfahrung, der Selbsterfahrung dessen was vermittelt werden möchte auch wenn eine Person keine lineare Beziehung zwischen Meditationsintensität und Erleben feststellen kann: „Auch wenn ich weniger meditiere und für mich etwas wahrnehme, auch diese Unlust, diese Ablehnung, dass das etwas ist, wenn ich in der Therapie drinnen bin, dass ich das auch besser verstehen kann beim Anderen. Also für mich ist 138 das wichtigste, dass die Eigenerfahrung von Veränderung von Gefühlen so bewusst nachvollziehbar ist“ (Klara, Absatz 69). Nach einem Retreat kann der dort durchgemachte Prozess sich idealerweise positiv auf die ähnlichen Themen der Klienten auswirken, wiederum eine Spiegelung. Angelika (Absatz 37) ist dann ganz dankbar „wenn ich ein bisschen einen Vorsprung habe“ – ganz im Sinne von »immer einen halben Schritt vor dem Klienten«. Ein weiterer Effekt ist, dass es leichter fällt während der Therapie nicht mit den „eigenen Baustellen identifiziert zu sein“, bzw. das Erkennen, dass ich am „falschen Gleis“ bin und das Wechseln fällt dann leichter. Für eine Dharmapraktizierende und Psychotherapeutin gilt es letztlich, die therapeutische Arbeit als meditative Praxis zu betrachten und unsere Klienten als unsere Lehrer zu sehen: „Dass ich so viel als möglich versuche, meine Arbeit auch als meine buddhistische Praxis zu erleben. Im günstigsten Fall kann ich das gut übersetzen und komme einfach tiefer in die Praxis hinein.“ (Angelika, Absatz 89 – 90) „Das ist irgendwie auch schön zu sehen, wo ich jetzt schon wirklich lange arbeite, wie so über die Jahre und mittlerweile Jahrzehnte so die Übung nie aufhört und dass die Übung immer subtiler wird. Und das was ich in der Beschäftigung mit dem Buddhismus, was da so kommt und auch in der Praxis, dass du einfach in einen immer feineren Tanz in der Bewegung gehst.“ (Fritz, Absatz 33) „Wo ich so merke, dass so die Beschäftigung, die auf der spirituellen Ebene stattfindet, wie kann ich immer... also, ich meine, ich werde nach wie vor zornig und ich bin auch nach wie vor ungerecht und ich weiß nicht was alles, aber wie es einen immer verzeihlicheren Umgang damit gibt und dass es ja nicht nur diese mitfühlenden Wahrnehmung in den anderen geht, sondern ich das immer mehr auch für mich selbst entwickle. Und wann ich wieder einmal daneben bin, dass ich mir selber zuschaue da dabei und achte, ok, und wenn ich in Achtsamkeit und Mitgefühl (Lachen) auf mich schaue wie ich da ausgerastet bin, was ist mir da eigentlich wichtig.“ (Fritz, Absatz 35) 139 3.3.4 Einfluss auf Settingfragen Ein Themenbereich, der sich in mehreren Interviews auftat, betrifft Auswirkungen der Achtsamkeitspraxis auf Fragen der Gestaltung des Setting im weitesten Sinne. Dies deckt Bereiche der Kontrakt- und Honorargestaltung ebenso ab, wie Fragen nach Dauer und Beendigung der Therapie. Einfluss auf Settingfragen Finanzielle Unabhängigkeit Therapiedauer professionelle Netzwerke 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Abbildung 30: Einfluss auf Settingfragen – Anzahl IP Einfluss auf Settingfragen Finanzielle Unabhängigkeit Therapiedauer professionelle Netzwerke 1 1,5 2 2,5 3 3,5 Betonung (1= 1 Nennug pro IP, 2=durchschnittlich 2 Nennungen pro IP) Abbildung 31: Einfluss auf Settingfragen – Betonung 3.3.4.1 Finanzielle Unabhängigkeit Die Hälfte aller Interviewten Personen nehmen mit durchschnittlich 2,5 Textstellen darauf Bezug, dass es leichter fällt die Kontraktgestaltung unabhängig von der eigenen existentiellen Situation zu gestalten. Sich des „Etwas für mich wollen“ bewusst werden und leichter wieder auslassen, um damit die therapeutische Beziehung nicht zu belasten: „Wenn das alles kommt, ich will ein Geld und so. Wenn ich merke, jetzt geht es irgendwie um MICH da, ich will da etwas beweisen. Und dass ich das bewusst, also Achtsamkeit heißt, ich merke das. Ich hoffe, immer wieder einmal an mir. 140 Wenn ich in das verfalle, dass ich jetzt da etwas will. Mindestens den Beweis, dass ich toll bin. Das merke ich. Und dass ich dann bewusst auslasse.“ (Erika, Absatz 80) „Ja ich möchte ja auch keine persönliche Abhängigkeit entstehen lassen ob meiner existentiellen Sicherheit, ausgelöst durch die andere Person. Ob die andere Person kommt oder nicht kommt, das darf auf meine persönliche existentielle Sicherheit keinen Einfluss haben.“ (Angelika, Absatz 97 – 98) Was nicht heißt, dass sich die finanzielle Situation dadurch verbessert. „eigentlich eher im Gegenteil. Aber es ist auch so, dass ich wirklich die Einstellung oder so mein inneres Herz wie mir sagt, ich kann niemanden halten aus finanziellen Gründen. Das geht einfach nicht. Das ist einfach ethisch für mich nicht vertretbar.“ (Waltraud, Absatz 56) Und wenn sie das merkt, dass sie in Versuchung kommt, macht sie „einen Schritt zurück“ Angelika ist Therapeutin in freier Praxis und möchte „in keinem Fall, dass da irgendwie auftaucht, dass da ein gewisses Eigeninteresse oder Manipulation oder so etwas ins Spiel kommen könnte.“ Von da her stellt Sie den Austausch ganz frei. Ebenso Waltraud in Absatz 54, dass Sie nicht möchte dass Menschen in irgendeine Situation geraten wo es schwierig ist für sie. Das heißt aber trotzdem sich der defacto-Abhängigkeit bewusst zu sein und den Geist auf die Freiheit, auf das NichtAnhaften an den Klienten, auszurichten. „Das habe ich mir sehr verordnet oder sehr in mein Training hineingenommen. Das war mir GANZ wichtig von Anfang an“ (Angelika, Absatz 106) Um dies zu bewerkstelligen ist Vertrauen ein wesentlicher Bestandteil, „dass das schon alles kommt“ - und damit das alles kommt ist die eigene Großzügigkeit, auf verschiedenen Ebenen, auch der finanziellen, eine wichtige Zutat, dann ist alles im Fluss. „Das kriegt sozusagen einen anderen Boden in der Tiefe“ (Angelika, Absatz 112) Weiters wird es als hilfreich empfunden noch andere Einkommensquellen zu haben. Nicht nur ökonomische Interessen können unsere Therapiebeziehung beeinflussen. 141 „Aber ich denke schon, dass ich die Interessen des anderen viel mehr von den Interessen von meinen sehen kann. Dass es da auch schon mehr gelungen ist, das zu entkoppeln.“ (Gunther, Absatz 77 – 78) 3.3.4.2 Therapiedauer In 12 Aussagen von 5 TherapeutInnen zur Frage der Therapiedauer wurde mehrmals genannt ob und wann der Klient wieder kommt, überlassen sie ganz dem Klienten: „Und was den Therapievertrag angeht, ist das bei mir so, dass die Menschen das völlig frei entscheiden können, wann wie oft sie kommen wollen. Also ich habe… Ich gebe von vorhinein mit ihnen keine gewisse Stundenzahl, vereinbare ich nicht. Oder auch keinen bestimmten Rhythmus.“ (Angelika, Absatz 96) Nachgefragt, wies es sich mit dem Spannungsbogen zwischen Nicht-Anhaften an den Klienten und trotzdem eine stabile Therapiebeziehung anzubieten verhält, wurde diese Sichtweise dargelegt: „Weil das mit dem zeitlichen Aspekt gar nicht so viel zu tun hat. Weil das nicht von der Frequenz abhängt, sondern ab dem Moment, wo wir uns entscheiden, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Die Menschen kommen ja freiwillig, im Eigeninteresse. Dann kommt man miteinander auf eine Ebene des Ja-sagens. und das ist dann da... Also das ist schon ein Prozess in den ersten beiden Stunden, wo wir wirklich schauen, können wir, wollen wir miteinander arbeiten? Und auch ICH die Klienten ermuntere, mir ganz ein ehrliches Feedback zu geben. Also auch da wieder das Augenhöhenprinzip. Dass sie mutig genug werden, dass sie wissen, sie können da jetzt alles sagen. Und da ist wieder auch dieser buddhistische Aspekt dieser Wertfreiheit.“ (Angelika, Absatz 119-122) Auch Waltraud in Absatz 50 hat diesbezüglich diesen Ansatz, dass sie es der Person frei stellt wann sie wieder kommen möchten, außer „es ist eine Notsituation oder eine Situation wo ich merke, ok jetzt muss ich mal so eine Art Zügel anlegen und sagen, jetzt möchte ich Sie aber jede Woche sehen. Wenn ich merke, dass etwas kritisch ist oder so. Aber ansonsten lasse ich den Prozess völlig offen. Ich frage die Leute, wann möchten Sie wieder kommen? Wenn sie sagen, ja ich möchte jetzt ein halbes Jahr nicht mehr kommen, dann sage ich, das ist ok.“ Bei der Frage des Loslösens von Klienten hilft wieder der Achtsamkeitsaspekt im buddhistischen Sinne „wir wissen nicht, ob wir uns wieder in dieser Form in dieser 142 Welt begegnen“ und zwar nicht nur am Ende des Prozesses, sondern nach jeder Stunde. Für Gunther ist es dadurch leichter, den Klienten gehen zu lassen, da er auf die Buddha-Natur des Klienten vertrauen kann. „Auch so jemanden mit einem gewissen Vertrauen gehen lassen... Dass es auch in ihm ein Wissen um den Weg gibt, auch eine heilende Energie gibt. Also in diesem Bild von dieser Buddha-Natur, diesem goldenen Buddha und vielleicht auch jemanden oder mehr dieses Vertrauen in ihm vermitteln zu können. Auch von meinem Bild her, dass der auch so einen goldenen Buddha in sich trägt oder wie Christen sagen, ein „Seelenfünklein“, wie die Mystiker gesagt haben, also Teil dieses göttlichen Lichts in sich.“ (Gunther, Absatz 81 – 82) Auf die Frage wie das Ende der Therapie sichtbar bzw. spürbar wird, kommt Gunther dabei das Bild „Spürbar als: es ist ein Weg zu Ende und es gut alleine weiterzugehen. ... Also im Erleben es ist kein geplantes oder im Sinne von theoriegeleitetes sondern ein Erleben: jetzt ist es gut diesen gemeinsamen Weg zu beenden und du gehst jetzt alleine weiter.“ Und dabei ist es für den Therapeuten hilfreich „auch diese göttliche Natur zu sehen im Anderen, dass das nicht jemand ist, der völlig schutzlos in die Welt hinaus geht, das der auch was Heilendes in sich trägt und dieser Heilungsprozess auch weiter gehen wird.“ (Gunther, Absatz 99 – 102) Weiters hilft die Achtsamkeitspraxis dabei wahrzunehmen, ob das Ziel der Therapie schon erreicht ist, das Thema weswegen sie gekommen sind, besser im Blickfeld zu haben und bei dem Eindruck, dieses Ziel sei erreicht auch die Klienten aktiv zu fragen, „Wollen Sie gehen oder wollen Sie bleiben und wenn sie bleiben wollen, weshalb.“ (Claudia, Absatz 35-36). Ein Kollege bezieht den Effekt seiner Meditationspraxis auch auf den Erfolg der Therapiebeziehung, denn er hat sehr wenig Therapieabbrüche – „ich bin auf jeden Fall ein liebevollerer Therapeut geworden“ (Gunther, Absatz 59) Erika attribuiert eine Auswirkung der Achtsamkeitspraxis auch darauf unabhängiger davon zu werden, was die Klienten dem überweisenden Arzt rückmelden „ob die Überweisung einen Sinn gehabt hat. Oder so. Wenn das bei mir so zum Laufen anfängt. Das ist der Ego-Trip.“ 143 3.3.4.3 professionelle Netzwerke Eine Therapeutin Notwendigkeit mit regelmäßiger abzuwägen „mit buddhistischer welchen Menschen, Praxis mit beschreibt welchen die Anliegen, Diagnosen, kann ich mich einlassen? Es gibt schon bestimmte Diagnosen, die ich sozusagen in diesem Rahmen nicht hereinnehmen darf. Also die, die wirklich auch eine engmaschige Begleitung brauchen, also Menschen mit Psychosen, Schizophrenien, würde ich in dem Kontext, wie ich momentan ticke, da nicht reinnehmen dürfen. Weil ich einfach da die Begleitung nicht gewährleisten könnte.“ (Angelika, Absatz 114-116) da Sie auch einen persönlichen Freiraum für ihre Praxis benötigt. Zur Selbstfürsorge, zur Qualitätssicherung. Damit führt Dharmapraxis auch zur Schärfung des ethischen Bewusstseins in Fragen der Kontraktgestaltung. Dazu gehört auch, da sie in einer Großstadt lebt, dass es leichter ist „Menschen so in andere Netzwerke gut einzuspeisen, dass sie einfach dichtere, bessere Begleitung haben. Menschen, die einfach auch die nötige Expertise dafür haben. Also ich bin jetzt so auf Psychosomatik und Trauma Arbeit spezialisiert, und das ist ein Feld, wo ich mich noch mehr vertiefen möchte. ... auch hier versuche, das Netzwerk zu erweitern. Dass ich noch Körpertherapeuten und Therapeutinnen mitinvolviere.“ (ebd. Absatz 118) 3.3.5 Religiöse Aspekte Da das gegenständliche Forschungsthema im Psychotherapiekontext, was Religiosität und „Spiritualität“ betrifft, durchaus kontroversiell diskutiert wird, wurde im Interviewverlauf auch die Frage aufgenommen, wie die TherapeutInnen mit dem Themenkreis im Kontakt mit ihren KlientInnen umgehen. Das bezieht sich auch darauf, wie aktiv, oder eben nicht, dieses Thema in die Therapie einbezogen wird, wie explizit, oder nicht, während der Therapie auf Buddhismus eingegangen wird und ob die verfassungsrechtlich verankerte Religionsfreiheit gewährleistet ist. Diesen Aspekt fordern Petzold, Sieper & Orth (2010) in ihrem kritischen Artikel. Zur Erinnerung an dieser Stelle: die genannten Häufigkeiten beziehen sich auf jene Interviews, in denen dieser Themenkreis zur Sprache gekommen ist. Durch die Grounded Theory sich entwickelnde Interviewstrategie wurden nicht alle InterviewpartnerInnen mit dieser Frage gezielt konfrontiert (wie in allen anderen Kapiteln auch). Inhaltlich bedeutet das hier, dass bei 6 von 8 Personen codiert 144 werden kann „Die Religionsfreiheit ist gewährleistet“. Das heißt im Umkehrschluss NICHT, dass sie bei den restlichen 2 nicht gewährleistet ist. Lediglich kam es im Interviewverlauf nicht zu diesem Fragenkomplex. Religiöse Aspekte Religionsfreiheit gewährleistet Erfahrungsbasiert Spiritualität 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Abbildung 32: Religiöse Aspekte – Anzahl IP Religiöse Aspekte Religionsfreiheit gewährleistet Erfahrungsbasiert Spiritualität 1 1,5 2 2,5 3 3,5 Betonung (1= 1 Nennug pro IP, 2=durchschnittlich 2 Nennungen pro IP) Abbildung 33: Religiöse Aspekte – Betonung 3.3.5.1 Religionsfreiheit gewährleistet Zusammengefasst kann gesagt werden, dass alle danach befragten Personen sich darüber einig sind, dass Religion, Buddhismus, Spiritualität nicht von ihnen explizit Teil der Behandlungsstrategie ist und diese nicht von ihnen aus erwähnt werden. Die Religionsfreiheit ist ebenfalls gewährleistet: „Ich versuche, die Menschen jetzt nicht philosophisch oder spirituell zu beeinflussen. Natürlich, der Raum, das Setting, in dem das stattfindet, da ist ein Medizin-Buddha-Thangka, Weiße Tara Thangka und Tara Mantra. Also dass da etwas buddhistisches da ist, das merkt man einfach, wenn man in meine Praxis 145 reinkommt. Ok. Aber ich würde es von mir her nicht ansprechen. Ich sehe mich als jemand, die Menschen begleitet zu dieser Brücke hin zur Spiritualität. Dass sie, ja, das Interesse an der eigenen Spiritualität entdecken dürfen. Wo immer die auch hingeht.“ (Angelika, Absatz 125 – 126) „Also ich arbeite mit Menschen, die Zeugen Jehovas sind, die schamanistisch unterwegs sind, die buddhistisch unterwegs sind, die christlich sind, muslimisch auch.“ (Angelika, Absatz 130 – 132) Zum Inhalt werden spirituelle Themen nur dann, wenn der Klient aktiv danach fragt: „Absolut. Jaja. Also ich tausche mich auch nicht mit meinen Klienten aus über meine Innenwelt. Außer sie fragen einmal, dann gebe ich Antwort. Aber nicht von mir aus. Das glaube ich, hat es auch ein bisschen verändert, so dass es leichter ist, die Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. So weg wirklich von diesem richtig und falsch.“ (Klara, Absatz 135 - 138) Auch Manfred hat „nicht die Haltung, dass ich jemanden in dem Rahmen bekehren muss oder so etwas“ So klar abgegrenzt zu sein, bei einem Thema, dass einen persönlich ja sehr durchdringen kann, zeugt in der TherapeutInnenrolle von hoher Professionalität – zu unterscheiden, warum kommen die Menschen zu mir und was hab ich da anzubieten. In die Therapie kommen Sie wegen psychischen Problemen und nicht um meditieren zu lernen „das ist nicht das, wofür sie zu mir kommen und deshalb biete ich ihnen das nicht an“ (Claudia, Absatz 21 – 22). Wie InterviewpartnerInnen mit dem Thema Buddhismus in der Therapie umgehen hängt davon ab, ob Klienten ein Naheverhältnis zu diesem Thema haben, ansonsten gilt auch hier das neutrale Vorgehen, wie im zwei Kapitel oberhalb beschrieben: „In der Regel [fällt der Begriff „Buddhismus“] nicht, nein. Es gibt andere, die ein bestimmtes Nähe Verhältnis zu dem haben, aber in der Regel verwende ich überhaupt diese Begriffe nicht, nein.“ (Gunther, Absatz 20 – 22) Wenn die Empfehlung gegeben wird meditieren zu lernen, dann ohne explizit es mit dem Buddhismus in Verbindung zu bringen, vielmehr als ein Tool, in einem säkularen Kontext, wie Manfred in Absatz 30 erläutert: „die anderen Tools die ich anwende, dass die Empfehlung dann da auch mit sicherer umzugehen, auch zum Beispiel meditieren zu lernen, ohne dass es 146 einen buddhistischen Hintergrund hat, das sag ich auch, dass man kann meditieren ohne dass man da in irgendeiner Weise spirituell das versteht. Dass ich das dann auch einsetze und auch übe.“ Dass es dabei hilfreich ist „eine überreligiöse Sprache zu finden“ meint eine Kollegin und dass es kein Widerspruch ist, Christ und Theologe zu sein und buddhistisch zu meditieren meint ein anderer denn „ich verbinde das ja auch. ... ich habe innerlich beides da, Jesus und Buddha“. Wenn Klienten von sich aus Erfahrungen mit Buddhismus gemacht haben und danach fragen, wie sie das vertiefen können, „dann sage ich es auch“ (Gunther, Absatz 26) Der Buddhismus wird von Manfred als eine Haltung erlebt, auf die andere therapeutische Interventionen „draufsatteln“. Er steht nicht gleichberechtigt neben dem Therapieverfahren an sich. Er beschäftigte sich auch stärker mit dem Ansatz eines säkularen Buddhismus des Stephen Batchelor, wo Dogmas und Konzepte wie Karma oder Wiedergeburt gar nicht mehr notwendig sind, und kann sich dabei stärker auf die Vermittlung von Eigenverantwortung für das eigene Tun fokussieren. Für Claudia, dessen Leben voll von dem Geist der Philosophie der Achtsamkeit durchdrungen ist, gibt es keine Unterscheidung von „jetzt bin ich Buddhistin“, „jetzt Therapeutin“ und „jetzt Privat“. Vielmehr beschreibt sie in Absatz 53-58 dass die meditative Praxis alle Tätigkeitsfelder durchwirkt: „Also die durchwirkt einfach mein ganzes Leben, weil es einfach, weil es wie Einund Ausatmen ist. Ich kann ja auch nicht zuhause atmen und draußen nicht. Das lässt sich nicht herauslösen. Ich denke nicht daran, ah, jetzt mache ich… mit dem oder ihr. Das ist völlig integriert... Ich merke gerade jetzt, wenn du das so beschreibst, das ist wie die Form ist, die eine Struktur gibt, also eh jetzt, ist das Zeit und jetzt ist die Türe zu und jetzt kommt der nächste Mensch und jetzt gehe ich aufs Fahrrad und fahre heim. Aber vom Inhalt her ist es immer das selbe da sein für das, was ist.“ 3.3.5.2 Erfahrungsbasiert Wie die Überschrift andeutet, ist diese Codierung von 11 Aussagen von 6 TherapeutInnen zum Thema „Spiritualität in der Therapie“ voll kompatibel und auf Augenhöhe zum Integrativen Ansatz: Die gemachte Erfahrung ist entscheidend für den Therapieerfolg, nicht Konzepte oder Metaphysik. Diese Haltung wurde schulen unabhängig von Integrativen-, Gestalt-, Verhaltens, Transaktionsanalyse- und 147 Klientenzentriertem TherapeutInnen bis hin zu „AufstellerInnen“ genannt. Basis für Übungsangebote (siehe „Übungen mit KlientInnen“) ist dabei die Erfahrung, das Erleben der Wirksamkeit bei sich selbst: „Ja nur indem ich erlebe, dass es wirklich wirkt, kann ich es auch als Interventionsform anbieten.“ (Angelika, Absatz 140) „Wenn ich der Versuchung [zu metaphysischer Spekulation] erliege, dann hole ich mich wieder zurück! (Lachen)“ (Fritz, Absatz 60 – 63) Es findet sich auch der für unsere gegenwärtige Zeit so wichtige Hinweis, dass es nicht die Methode ist, die hilfreich ist, sondern die Haltung und die gemachte Erfahrung. Achtsamkeit boomt, wird gehypt, wie vieles vor diesem Thema auch. Doch fraglich bleibt dabei ob das Gros der diese Thematik konsumierenden Menschen zur Essenz dessen vordringt, was mit Achtsamkeit ursprünglich gemeint ist und was heilsam ist. „Und das ist auch das, was jetzt auch wieder so mit diesem Kabat Zinn gemacht wird, ich glaube nicht, dass es die Methode ist. Es ist die Erfahrung. Das, was ich schwieriger finde, auch dieses zu wenig Zeit oder Platz ist, diese Erfahrung zu machen. Und die kannst du nicht abkürzen... Du kannst es nicht in 6 Stunden durchdrücken. Das geht nicht... Das ist die Hoffnung, dass sie auf diesen Geschmack kommen.“ (Klara, Absatz 116 - 122) Auf die Frage der Verortung des „Spirituellen“ liegt der Fokus auf das IN UNS liegende: „Paulus sagt, nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Oder in der BuddhaNatur,... der göttliche Kern, das höhere Selbst ... oder in der Leibmitte, es kommt darauf an, welche Wörter man dann halt wählt. So verankert zu sein oder immer wieder zurückzufinden.“ (Erika, Absatz 40, 69) An dieser Stelle findet sich der Hinweis, dass es Achtsamkeit auch im Christentum gibt: „Die Mediziner entdecken jetzt plötzlich die Wüstenväter, weil die Achtsamkeit gibt’s im Christentum genauso und die kommt von den Wüstenvätern.“ Gunther hat einen kleinen „neutralen“ Altar, vor dem er sich verneigt. Auf die Frage, ob neutral im Sinne einer säkularen Form von Spiritualität gemeint ist, bezieht er sich auf die Neutralität der Repräsentanten – alle als Verkörperungen des Göttlichen IN 148 UNS. Unabhängig von Religion. Denn auch die Mystiker des Islam kennen diese als „goldene Kugel“: „neutral im Sinne der Repräsentanten. Ob es ein Jesus ist oder ein Buddha ist, sondern es sind Verkörperungen auch des Göttlichen oder sowie die BuddhaNatur für mich auch, wenn wir es so nennen, einen göttlichen Aspekt hat... das ist ja gerade in diesem Bild drinnen, in diesem goldenen Buddha [aus der Geschichte] ...so Ebenbild Gottes oder Buddha-Natur oder im Islam gibt’s diese goldene Kugel, bei den islamischen Mystikern.“ (Gunther, Absatz 87 – 92) Die Verortung der Verantwortung in einem selbst wird auch als Folge meditativer Praxis empfunden: „Ich habe keinen Gott, der außer mir steht und auf den ich mich dann beziehe, der dann eben mir quasi das Handeln vorgibt, sondern ich habe die Selbstverantwortung in mir.“ (Manfred, Absatz 72) 3.3.5.3 Spiritualität Eine weitere, nicht systematisch abgefragte, Kategorie bezog sich, wenn das Gespräch in die Nähe dieses Themas kam, darauf zu erläutern: „Was ist Spiritualität für Sie?“ 3 Personen nahmen darauf Bezug. Die folgenden exemplarischen Fundstellen sollen lediglich Impulse geben in welche Richtung „Spiritualität“ noch gedacht werden kann: Nicht zum körperlosen Geist zu werden, sondern weltimmanent zu sein, „Ein Kind der Erde werden“: „Und der Siegried Essen, also das ist mehr so ein Bild von, wo er sagt für ihn heißt Spiritualität, dass man ein Kind der Erde wird. Also In-karniert zu sein. Also ich glaube nicht an Reinkarnation, ja, glaub ich gar nicht... Spiritualität wird oft gehandhabt, dass man sagt, man entwickelt sich sozusagen von unten nach oben zum körperlosen Geist und das halte ich für einen der tragischsten Irrtümer überhaupt! ... Für mich geht´s um das Dialogische, ja, für mich geht´s genau um das. Dass sozusagen Verbundenheit und Autonomie als komplementäre Pole begriffen werden und dass sie nur, sozusagen, ich bin einmal mehr dort, mehr in der Autonomie, in der Unterscheidung, wo auch nur Erkenntnis möglich ist und dann halt wieder einmal mehr in der Verbundenheit, wo ich spüre wie alles zusammenhängt. (Fritz, Absatz 51-57) 149 Auch bei Gunther geht es aus interkonfessioneller Sicht um das Erfassen, Empfinden & Spüren: „Es ist einen Zugang suchen und finden zu dieser tieferliegenden Dimension in uns Menschen, auch zu diesem göttlichen Kern oder auch zum göttlichen Kern des „ganzen Seienden“. Das Sein letzten Endes Ausfluss dieses Göttlichen ist und zu dem Zugang zu finden, das zu spüren, das zu erfassen ist für mich Spiritualität.“ (Absatz 93) Damit wird Psychotherapie als solche implizit als spirituell empfunden: „Ja genau und es wird manchmal auch explizit, weil dann Menschen in die Therapie kommen und sich nach einiger Zeit manchmal explizit mit diesen Themen befassen. Das erlebe ich oft am Ende einer Therapie, dass dann diese Fragen so auftauchen, ganz explizit spirituelle Fragen.“ (Gunther, Absatz 98) Spiritualität hat viel im Kontakt mit sich selbst zu sein und im Gewahrsein der Verbundenheit aller Wesen zu tun: „Spiritualität hat für mich ganz viel mit meinem Kontakt mit mir selber zu tun eigentlich. Schon im geistigen Sinne, dass ich mich wie vielleicht verbunden oder aufgehoben fühle... Und die Spiritualität dabei ist, dass ich nicht nur mich im Auge habe natürlich, sondern dass ich ja möglichst das Leid aller Wesen nicht vergrößern möchte.“ (Waltraud Absatz 48) „We are not human beings on a spiritual journey but spiritual beings on a human journey“, dieser Gedanke wird Pierre Teilhard de Chardin zugeschrieben, jenem Theologen, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts für eine Synthese von Religion und Wissenschaft eingesetzt hatte. 3.3.6 Übungen mit KlientInnen Bleibt es dabei, dass PsychotherapeutInnen ihre Grundhaltungen durch Meditationspraxis verändern, oder kommt es doch innerhalb der Therapiestunden zu Anleitungen, Übungen, Interventionen, die auf die Dharma-Praxis zurückgehen? Allen voran findet sich die klare Aussage „dass Therapie gut und wichtig ist und nicht ersetzbar ist durch Meditation.“ (Klara, Absatz 183) und dass das buddhistische „ eine andere Ebene ist.“ (Manfred, Absatz 34) 150 Hier behandeln die einzelnen TherapeutInnen die Thematik sehr unterschiedlich. Im folgenden Diagramm ist wieder dargestellt, wie viele Personen etwas zu einem Thema gesagt haben. 5 Personen bei »Atemmeditation« meint dabei, sie haben etwas zum Thema Atemmediation gesagt und nicht, dass alle 5 TherapeutInnen mit ihren Klienten Atemmeditation üben. Das Betonungsdiagramm zeigt, dass die meisten Interventionen nur 1x genannt wurden. Es gibt also bei weitem keinen allgemeinen „Kanon achtsamkeitsbasierter Interventionen“. Die Ausnahmen bilden drei klassische Formen von achtsamkeitsbasierten Interventionstechniken in der Psychotherapie: Atemmeditation, Bodyscan (leibliche Bewusstheit) und Techniken zur kognitiven Restrukturierung wie sie in der MBCT und der ACT als „Defusion“ bezeichnet werden. Übungen mit Klienten Atemübung Bodyscan Defusionstechniken Meditation Buddhistische Techniken 0 1 2 3 4 Abbildung 34: Übungen mit KlientInnen – Anzahl IP 151 5 6 7 8 Übungen mit Klienten Atemübung Bodyscan Defusionstechniken Meditation Buddhistische Techniken 1 1,5 2 2,5 3 3,5 Betonung (1= 1 Nennug pro IP, 2=durchschnittlich 2 Nennungen pro IP) Abbildung 35: Übungen mit KlientInnen – Betonung 3.3.6.1 Atemmeditation 5 KollegInnen leiten, in unterschiedlicher Ausprägung, zum bewussten Atmen und zum Spüren der Körperempfindungen an. Dabei kommt der Begriff „Achtsamkeit“ nicht unbedingt ins Spiel, meistens gar nicht: „Ich verwende auch Elemente der Meditationspraxis in der Arbeit, also dass ich anleite häufig zum bewussten Atmen und über diesen bewussten Atem sich selber zu spüren, was für manche Leute sehr hilfreich ist... manchmal nenne ich das Achtsamkeit, bei anderen bei denen ich das Gefühl habe es ist schwierig so Begriffe zu benennen, einfach als Form sich über den Atem deutlicher zu spüren. Ich sag dann einfach: »Wenn Sie bewusst über Ihren Atem gehen, dann spüren Sie sich besser und wenn Sie einmal so auf den Atem achten, was merken Sie im Brustbereich, was im Bauchbereich?«.“ (Gunther, Absatz 16 – 18) „Und ich beschreibe dann so, was ich als Praxis beschreibe, ähm, die Achtsamkeitsmeditation auf den Atem. Ja? Das ist dann auch das, was ich einem als schnellstes vermitteln kann. Und das habe ich auch schon mit Gruppen gemacht, also so etwas. Ja.“ (Manfred, Absatz 30) „Oder auch dass ich, was ich jetzt auch immer öfter mache, bewusst dass ich sage, jetzt machen wir einmal 5 Minuten einmal, setzen wir uns in Ruhe hin. 152 Machen wir Atemmeditation... Sehr oft, wenn sie frisch von der Arbeit kommen. Also um diese Verbindung zu schaffen, um Beziehung herzustellen.“ (Klara, Absatz 108 – 110) Dabei geht eine Kollegin von ihr als Modell aus, wenn sie tiefer ausatmet, „dann gebe ich sozusagen ein Modell, das der andere einmal unbewusst probieren kann. Oder dass es auch so… Manchmal entsteht, dass so eine Stille aufkommt, wo die Menschen so in ein Gewahrsein hineinrutschen und dann nach 5, 10 Minuten so wieder aufwachen, mich anschauen und sagen: »Was war das jetzt?«“ (Angelika, Absatz 23) Wichtig dabei ist wahrzunehmen, was der Klient gerade annehmen kann und was nicht: „da ist ja auch diese Achtsamkeit, das dem anderen auch zuzugestehen, dass er anders ist. Also dass er mit dem ja nichts auf dem Hut hat.“ (Klara, Absatz 132 – 134) Eine Kollegin leitet dezidiert keine Atemübung an, sondern „ich habe vielleicht schon gesagt, versuchen Sie doch mal, einfach nur 5 Minuten für sich und dieses Thema sich pro Tag zu geben, ... und lassen Sie sich nicht stören, stellen Sie den Wecker, dass diese 5 Minuten eingehalten sind oder so. Das ist so eine leicht abgeänderte Form.“ (Claudia, Absatz 22) 3.3.6.2 Bodyscan Bei dieser Interventionsform, die 3 interviewte TherapeutInnen anwenden, gibt es mit zahlreichen Therapieverfahren große Überschneidungsflächen, so auch mit der IT. Sich seiner Leiblichkeit bewusst werden in diesem Moment. Fokussierung, Spüren, Weitergehen.... und diesen Zugang als „Grundorientierung im Leben überhaupt“ zu sehen. „also immer wieder auch so die Frage »was spüren Sie jetzt? Wie fühlt sich das an...?« und immer dieser Jetzt-Bezug und natürlich dieser Körperbezug, dass es darum geht immer wieder im Körper, im Leib zu landen, so als Grundorientierung im Leben überhaupt.“ (Fritz, Absatz 12) „ich baue das schon ein, im Sinne, dass ich so, ich weiß nicht ob Sie das kennen, Bodyscan mache, häufig mit den Patienten, aber nicht 45 Minuten oder so, sondern vielleicht nur 15 Minuten, oder so eine Arbeit.“ (Waltraud, Absatz 38) 153 3.3.6.3 Defusionstechniken Die Hälfte meiner InterviewpartnerInnen verwenden – im weitesten Sinne – Defusionstechniken. Defusion meint, die Konfusion, das Gleichsetzten von „ICH“ und „meine Gedanken, meine Gefühle“, aufzulösen. Sich bewusst zu machen und zu untersuchen, dass das ICH und wie das ICH zusammengesetzt und konstruiert ist. Es geht darum die Geistestätigkeit, also das Denken und Fühlen, als solche zum Beobachtungsobjekt zu machen, als deren Inhalt als Realität zu betrachten. Von der starren Kategorie „Ich bin ein Versager“ zu einer Beobachtung zu gelangen von „Ich habe gerade einen Gedanken, ein Versager zu sein“. In der buddhistischen Psychologie gibt es dafür das Konzept der 5 „Skandhas“, der Daseinsgruppen, die sich im wesentlichen auf die unterschiedlichen Stufen von Sinnesreizen, Wahrnehmung, Wahrnehmungsorganisation und – interpretation, Begriffsbildung, Konzeptualisierung und Bewusstsein beziehen um so die begriffliche, konzeptuelle Zusammensetzung von Welt und damit auch vom ICH verstehbar zu machen. „dieser Achtsamkeitsaspekt ist etwas, was ich am Anfang mit den Menschen einübe, bevor die Gruppenarbeit beginnt. Wo ich mit Meditation beginne, auf den Körper hören, das Differenzieren in Ebenen, was fühle ich, was denke ich. Diese Ich-Wahrnehmung einmal zu differenzieren und dann versuchen auch, das ist wieder das Buddhistische dann, mit dem Konzept eines Ichs das beginnen, aufzuweichen. Dass ICH keine starre Entität ist, die in uns wirkt, sondern skandha-mäßig zusammengesetzt ist. Ohne es so zu benennen, aber es in Erfahrung zu bringen. Und auch mit Wahrnehmungsübungen und so.“ (Angelika, Absatz 142) Weiters wird auch vermittelt „dass wir nicht unsere Lebensgeschichte SIND“ (Erika, Absatz 48-50), wir haben all das erlebt, erlitten, ertragen. Aber wir SIND noch viel mehr. Und sich davon zu De-Identifizieren um so Raum zu schaffen für kreative Neuentwicklung, für eine Transgression, für das Überschreiten von Altem, Fixierten. „Was ich auch tue, dieses bewusste Wahrnehmen von Gefühlen und Gedanken. Das heißt dann auch, dass heißt, wer sehr überflutet ist von Gedanken, dass ich dann auch so Anleitungen gib wie die Gedanken zu betrachten wie Wolken, die vorbei ziehen. Und das, wer sehr überflutet ist von Gedanken und sehr flüchtig ist, ist dann auch über diese Technik zu helfen eine gewisse innere Distanz zu kriegen. Zu Gedanken, auch zu Gefühlen die sehr belastend sind so anzuleiten, 154 diese Gefühle bewusst wahrzunehmen, wenn wer Angst hat, wie spürt sich die Angst an? Wie spürt sie sich im Körper an? Und sie sozusagen von außen zu betrachten und auch dadurch von außen zu einem bewussten Dissoziieren zu verhelfen.“ (Gunther, Absatz 27) Segal, Williams und Teasdale (2002) fanden auf der Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung von depressiven Rückfällen in der Anwendung von Achtsamkeitsprinzipien den Schlüssel. Dies führte u.a. zur Weiterentwicklung des MBSR-Ansatzes von Jon Kabat-Zinn zur MBCT (Mindfulness Based Cognitive Therapy), dessen klinische Wirksamkeit zur Rückfallprophylaxe bei Depressionen empirisch gut belegt ist (Chiesa & Serretti 2011, Piet & Hougaard 2011 in Metzner, 2013) 3.3.6.4 Meditation Der Aspekt „Meditation in der Psychotherapie“ ist auch einer, der von den Interviewten sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Fünf Personen nahmen darauf mit durchschnittlich 2,2 Textstellen darauf Bezug. Claudia meint zur Frage von Meditationsanleitung „ich mache es nicht bewusst und ich habe noch NIE jemandem gesagt, er soll meditieren“. Manfred im Gegenteil dazu leitet Meditationen an und übt diese mit seinen Klienten, ohne dabei explizit auf den Buddhismus einzugehen. Gut abzuwägen bei welcher Störungsform Meditation angeleitet wird findet Gunther wichtig, vor allem „wenn es um schwere Persönlichkeitsstörungen geht ist es schwierig, weil da die Angst sich zu spüren so groß ist, aber manche sind sehr froh, fangen auch an das selber zu praktizieren oder suchen auch Anschluss an Meditationspraxis ohne dass ich jetzt speziell in eine Richtung werbe oder ich nenne es gar nicht Meditation, ich nenne es nur sich selber deutlicher spüren durch diese Achtsamkeit auf den Atem.“ Wenn Waltraud das Gefühl hat „von einem Patienten oder Patienten, sie könnten WIRKLICH davon [von einem MBSR Kurs] profitieren, dann gebe ich ihnen einfach mal das Angebot. Dann sage ich, das gibt es auch, und das können Sie auch machen, schauen Sie mal ob Sie das interessiert“ 155 3.3.6.5 Buddhistische Techniken Unter dieser Kategorie wurden Techniken im weitesten Sinne zusammengefasst die sich auf buddhistische Praxis beziehen. Was auch für die Klienten als hilfreich erlebt wird ist das Erzählen von Geschichten und Gleichnissen „die Leute oft direkt sehr berühren oder mitnehmen.“. z.B. jene von der Buddha-Natur, die in jedem Menschen versteckt ist und unzerstörbar ist „in einer noch so einer katastrophalen biographischen Geschichte ... da ist ein Teil, der trotz allem heil bleibt“ (Klara, Absatz 189 - 190). Gunther wendet in passenden Situationen ebenfalls eine Geschichte an: „Ein buddhistisches Kloster in Südostasien, die haben eine große Buddha Statue, aus Lehm, nicht sehr ansehnlich aber seit Jahrhunderten steht sie dort und drum verehren sie dich Mönche auch. Net groß, weil sie sehr unansehnlich ist. Und dann gibt’s eine große Trockenheit und die Statue bekommt Risse. Und die Menschen machen sich Sorgen sie könnte jetzt zusammenfallen, und schauen genauer nach und schauen in die Ritzen rein und sehen es schimmert golden durch. Und sie legen dann diese Buddha Statue frei und es ist eine goldene Buddha Statue als Kern. Und er ist früher ummantelt worden, in Kriegszeiten damit er nicht geraubt wird. Man hat dann vergessen, dass drinnen unter dieser Lehmschicht ein goldener Buddha ist. Und ich nehm´ diese Geschichte als Beispiel was Menschen in sich tragen und sie kommen und sagen: »Was bin ich nur ein neurotischer Haufen?« Und wenn ich in meine Selbstwertzweifel und meine Entwertungen rein komme, diese Ahnung, da gibt’s einen goldenen Kern in mir. Das ist etwas, was manche sehr berührt, aber das erzähle ich nicht allen. Mehr so wenn ich das Gefühl habe, das passt da. Das ist etwas Zentrales.“ (Gunther Absatz 61-65) In der Buddhistischen Praxis gibt es die Methode des „Widmens“, die dann einsetzt werden kann, wenn Menschen von Schuldgefühlen geplagt werden: „Dass immer, wenn man etwas Schönes erlebt, dass man den Menschen, denen gegenüber man Schuldgefühle hat, das Schöne auch widmen kann. Dass da einfach etwas hinfließt. Dass sozusagen diese Art des Beschenkens oder großzügig werdend, den Geist aufmachend, dass das etwas ist, was hilfreich sein kann.“ (Angelika, Absatz 134) 156 Eine weitere buddhistische Praxis, die der Mitfreude, lässt sich therapeutisch bei starken Neid- und Eifersuchtsgefühlen einsetzen: „Dass man sich bewusst mitfreut mit anderen. Zum Beispiel Frauen, die mit dem Kinderwunsch-Thema kommen und die mit Neid, Eifersucht auf andere Mütter geplagt sind und nicht mehr Kontakt halten können mit ihren Freundinnen, weil sie Kinder haben dann mit diesem, ja Mitfreudeaspekt als Übung.“ (Angelika, Absatz 138) Diese kasuistische Aufzählung soll zeigen, dass es über die in der landläufig verfügbaren Achtsamkeitsliteratur- und –Hörbuch Landschaft noch andere Interventionsformen gibt, die sich aus einer vertieften spirituellen Praxis ableiten und eben nicht an einem „Mindfulness Weekend Workshop“ lernen und evidence-based als hilfreiche „Technik“ einsetzen lässt, sondern eine fundierte Übungspraxis in der Öffnung des Herzens, der Erforschung des Geistes und der Geistestätigkeit erfordert. Merzel (2008) verspricht zwar mit seiner „Big-Mind, Big-Heart“ Methode einen schnelleren Weg zur Erfahrung, doch bleibt dies jedem selbst überlassen zu überprüfen, ob es tatsächlich so einfach geht, oder ob wir nicht umhin kommen, als Privatpersonen, als ProfessionistInnen in einem helfenden Berufsfeld - ja, eigentlich in jeglichem Feld - stetig an uns zu arbeiten, geduldig, konsequent, ohne Ehrgeiz stets den Anfängergeist kultivierend (Suzuki, 2002). 3.3.7 Qualitätssicherungsaspekte Achtsamkeitspraxis ist für 7 von 8 befragten PsychotherapeutInnen auch eine Form der QualitätssicherungQualitätssicherungsaspekte ihrer Arbeit. verbessertes Selbstmanagement Abgrenzungsthematik Meditation als Basisübung 0 1 2 3 4 Abbildung 36: Qualitätssicherung - Anzahl IP 157 5 6 7 8 Qualitätssicherungsaspekte verbessertes Selbstmanagement Abgrenzungsthematik Meditation als Basisübung 1 1,5 2 2,5 3 3,5 Betonung (1= 1 Nennug pro IP, 2=durchschnittlich 2 Nennungen pro IP) Abbildung 37: Qualitätssicherung – Betonung 3.3.7.1 verbessertes Selbstmanagement Unter die Kategorie „verbessertes Selbstmanagement“ fallen ebenso Aspekte der Selbstverantwortung, -fürsorge sowie Leistungsfähigkeit. Es führt dazu, „NIEMANDEM mehr die Macht zu geben, mich aus der Zentrierung zu reißen! Selbstverantwortung, irgendwie… Selbstmanagement.“ (Erika, Absatz 101). Auch für Claudia ist Meditation „eine Qualitätssicherung und für mich ist es auch eine Selbstfürsorge“ dazu gehört auch zu erkennen, wie viel Stunden man pro Tag arbeiten kann: „Aber für mich muss ich ehrlich sagen, glaube ich nicht, dass ich jetzt mehr als fünf Stunden pro Tag Therapie machen möchte. Weil ich finde schon, das ist eine anspruchsvolle Arbeit und für meine Psychohygiene glaube ich nicht dass ich, außer in Notfallsituationen, mehr als fünf Stunden pro Tag machen möchte.“ (Waltraud, Absatz 34) Ein Kollege hat als Auswirkung seiner Meditationspraxis festgestellt, dass seine Leistungsfähigkeit dadurch gestiegen ist, trotz zunehmenden Alters: „Also ich habe früher so 20, 22 Stunden pro Woche gemacht. Gut, da waren die Kinder auch noch kleiner, das ist ja auch ein Faktor. Aber das war schon sehr anstrengend. Und jetzt ist es so dass ich eigentlich gut 30 Stunden machen kann. Wo ich deutlich älter bin – andere Kollegen sagen, das arbeiten wird immer schwieriger, sie können weniger arbeiten. Ich habe in dieser Zeit gemerkt, ich kann immer mehr arbeiten. Ja. Also, das ist rein objektiv ein deutlicher Effekt.“ (Gunther, Absatz 47) 158 Ganz deutlich betrachtet Fritz spirituelle Praxis als Grundvoraussetzung zur Berufsausübung, als Zynismus- und Burnout-Prophylaxe: „Und mittlerweile glaube ich, dass man diese Arbeit, also wenn man es wirklich als Berufung nimmt, kann man es ohne einen spirituellen Ansatz und einer spirituellen Praxis kann man das gar nicht machen, ohne dass man verhärtet, dass man ausbrennt oder dass man zynisch wird. Ich kann mir das nicht anders vorstellen, ja.“ (Fritz, Absatz 41) Persönliche Erfahrung mit psychosomatischen Leiden wie Bluthochdruck und Tinnitus und deren Überwindung durch Meditationspraxis teilt Manfred mit: „sehr vieles läuft unterschwellig, also so unter einem Schutzschirm, den man so hat. Folgen können dann auch sehr unangenehm für den Therapeuten sein, also dass kann ja auch Bluthochdruck, so war´s bei mir, oder anderes erzeugen. Also, was so unterschwellig durchgeschoben wird, gerade auch wenn man das immer wieder so annimmt, also in sich selber so aufnimmt und das gar nicht so mitkriegt, ja? Und eine Konsequenz hatte ich ja auch unter anderem das und einen Tinnitus und so etwas.“ (Manfred, Absatz 18) Um Meditation in einem vollen TherapeutInnen-Alltag zu integrieren hilft die Überlegung, dass die Klienten auch Lamas, also Lehrer sind und die therapeutische Arbeit auch gleichzeitig Dharma-Praxis, wenn diese in der passenden inneren Haltung durchgeführt wird: „Ich habe viel Bodhicitta-Training, ohne jetzt irgendwie mich persönlich auszuwringen.“ (Angelika, Absatz 90) 3.3.7.2 Abgrenzungsthematik Dieser Punkt sei hier nochmals wegen der Chance auf förderliche Auswirkungen auf die Frage nach Abgrenzung als Aspekt der Qualitätssicherung erwähnt, inhaltlich finden sich die Aussagen im Kapitel „Auswirkungen auf therapeutische Beziehung“ unter „Abgrenzungsthematik“. 3.3.7.3 Meditation als Basisübung Nachdem Fortbildung & Supervision im Dokumentationskatalog der extramuralen Psychiatrie in der Steiermark unter den Überbegriff „Qualitätssicherung“ fällt, wurden die dazu gefundenen Stellen auch in dieser Forschungsarbeit unter dem Kapitel „Qualitätssicherung“ codiert. 159 Zumindest die Hälfte aller interviewten TherapeutInnen mit langjährigen Erfahrungen in beiden Feldern sind der Ansicht, dass Meditation als Selbsterfahrung für die therapeutische Arbeit auf lange Sicht unerlässlich ist. „Das gehört auch so ins therapeutische Bewusstsein viel mehr hinein. Dass das eine so wichtige Grundübung eigentlich wäre“ (Fritz, Absatz 29). Den in der Meditation geschärften Prozess der Selbstwahrnehmung „das war für mich das wichtigste. Dass ich mir denke, das ist wirklich die radikalste Selbsterfahrung“ (Klara, Absatz 10). „Also für mich ist es ganz klar und ich sage das immer wieder. Meine buddhistische Praxis und die LEHRE auch, weißt du, diese Weisheiten in der Lehre, ich finde, Buddha ist der klügste Psychotherapeut, den es je gegeben hat, das ist meine beste Weiterbildung, die ich gemacht habe. Neben meiner wirklich guten systemischen Ausbildung.“ (Claudia, Absatz 28) Auch die Therapieausbildung alleine wird von Erika als unzureichend für diesen anspruchsvollen Beruf erachtet. „Also ich mag sie heute noch [die Therapietechniken], aber sie sind ein Konstrukt für mich. ... vorher braucht es ein bisschen was anderes. Sonst geht es nicht“ (Klara, Absatz 10) Weiters kommt sie zum Schluss dass es „gut ist, die Selbsterfahrung im Schweigen zu machen. Dass ich immer noch glaube, dass das die radikalste Form der Selbsterfahrung ist. Und das die Voraussetzung ist für Klientenarbeit.“ (Klara, Absatz 171 – 173) 160 4 Diskussion 4.1 Ergebnisse 4.1.1 Positive Effekte Die im vorigen Abschnitt dargelegten Detailergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse zu den Auswirkungen von Achtsamkeitspraxis der 8 interviewten TherapeutInnen auf die therapeutische Beziehung zu ihren KlientInnen werden hier in verdichteter Form dargestellt. Es kann festgestellt werden, dass langjährige Meditationserfahrung, mit Ausrichtung auf Achtsamkeit, folgende positive Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung haben: • Förderung von Mitgefühl, Empathie & einfühlendem Verstehen • Die Beziehung zu den KlientInnen wird auf der Herzebene stärker, tiefer, verbundener • liebende Aufmerksamkeit wird gefördert • Förderung der emotionalen Annahme, der Akzeptanz und Selbstakzeptanz • Förderung der direkten leiblichen Wahrnehmung, schärfen der Sinne • Hilfreich bei der Überwindung von Wertungen und Urteilen • Den Klienten loslassen fällt leichter – nach jeder Stunde und am Ende der Therapie • Das Kontrollbedürfnis nimmt ab, weniger Vorstellungen »was sein sollte« • es fällt leichter auf den Prozess zu vertrauen und nicht mehr so stark »etwas weg machen zu wollen« • erleichtert die Fähigkeit das auszuhalten was ist • Die Klientenarbeit wird insgesamt entspannter, leichter, freudvoller und weniger anstrengend • Die Leistungsfähigkeit nimmt dadurch zu - auch im Alter • Geduld und Ruhe wächst • Weniger Angst - vor dem Leid der KlientInnen und davor Fehler zu machen • Therapeutin ist dabei vielfältig Modell für ihre KlientInnen 161 • Hilft dabei sich geistig von der finanziellen Abhängigkeit von seinen KlientInnen zu distanzieren und bei der Kontraktgestaltung auf die Möglichkeiten der KlientInnen Rücksicht zu nehmen. • Schärft den Sinn für ethisches Handeln • Ist konfessionell und religiös transparent • Distanzierung von spiritueller, religiöser, philosophischer Beeinflussung oder Missionierung. • Sensibilisiert die Wahrnehmung dafür ob ein Klient nach spirituellen Themen aktiv fragt • Die Bedeutung der eigenen gemachten leiblichen Erfahrung wird deutlich, bevor ich etwas an Klientinnen weitergeben kann • Spiritualität wird erfahren als eine Verankerung in der eigenen Mitte und Tiefe, als ein »in der Welt Sein«, als ein »mit allem Verbunden sein« • Meditation wird als wichtige Selbsterfahrung und Grundübung für die Klientenarbeit empfunden • sowie verbessertes Selbstmanagement, Burnout-Prophylaxe und verbesserte Selbstfürsorge Diese Aufstellung ist die Gesamtmenge an positiven Effekten über alle InterviewpartnerInnen, die jeweils ihre persönlichen Akzente dabei setzten. Herauszustreichen ist dabei die von allen IP genannte Förderung von Mitgefühl, Empathie und einfühlendem Verstehen. Damit ist der förderliche Einfluss von Achtsamkeitsmeditation der TherapeutInnen auf den 1. therapeutischen Wirkfaktor empirisch belegt. Die Förderung von leiblicher Wahrnehmung und Schärfen der Sinne ist ebenfalls konform mit den Referenztheorien der IT. Die von der Mehrzahl genannte Abnahme des Kontrollbedürfnisses im Prozess und des Drangs »etwas weg machen zu wollen«, sowie dem daraus resultierenden Vertrauen in den therapeutischen Prozess entspricht damit einer impliziten vertieften Wahrnehmung für den Ko-Respondenzprozess, in dem es genau um diese verfeinerte Beobachtung dessen geht, wo der Klient steht und was die Resonanzen der Therapeutin darauf sind. Die Förderung von Selbstakzeptanz, wie im achtsamen Vorgehen inhärent, ist damit auch die Stärkung des gleichnamigen Wirkfaktors. Der berichtete Umstand, dass es zu verbessertem Selbstmanagement kommt, dass die Arbeit ressourcenschonender, freudvoller und leichter wird, dass die Leistungsfähigkeit u.U. 162 sogar zunimmt, in Summe es zu einer besseren Selbstfürsorge kommen kann, passt gut zur Foucault’schen Diktion „Ich sorge mich um mich, um mich um andere sorgen zu können“. Wir können uns freilich auf vielfältige Weise um uns sorgen, in der das Leben durchwirkenden Achtsamkeitspraxis ist dieser Aspekt bereits enthalten. Dass die eigenleibliche Erfahrung des Therapeuten Basis für etwaige Interventionen mit den Klienten wichtig sind, darüber sind sich auch die meisten der Interviewten einig, vor allem deshalb, weil sie als das therapeutische Agens eben die von den Klienten gemachte leibliche Erfahrung sehen. Dabei spielt die Grundhaltung und Praxis der Therapeutin als authentisches, glaubwürdiges Modell eine bedeutende Rolle. Achtsamkeitspraxis wird nicht nur als Voraussetzung für die Anwendung von achtsamkeitsbasierten Interventionen als wichtig erachtet, wie dies in der Literatur ja auch gefordert wird, viele der Interviewten sehen diese vielmehr als eine notwendige Grundübung für die Ausübung einer Psychotherapie, die sich als Heilkunst versteht und nicht als eine Psychotechnik, welche standardisierte, manualisierte Interventionsschritte umsetzt, ganz so wie dies auch Grepmair und Nickel (2007) fordern. 4.1.2 Kritische Aspekte Neben dem überwiegend positiven Tenor über förderliche Wirkungen, werden im Folgenden die als kritisch empfundenen Aspekte diskutiert. 4.1.2.1 Spirituelle Interventionen Einigkeit besteht unter den InterviewpartnerInnen, dass die Religionsfreiheit respektiert wird und in der Therapie nicht-sektiererisch und nicht-missionarisch mit den Achtsamkeitsaspekten umgegangen wird, das Thema Buddhismus und Meditation nicht aktiv durch den Therapeuten nicht in den Therapieprozess eingebracht wird, sowie dass es zu keinen »spirituellen Interventionen« kommt. Dies entspricht der Forderung nach einem säkularen Herangehen in der Psychotherapie auch der Buddhismus kann als säkulare Philosophie im Westen des 21. Jahrhunderts formuliert werden (Batchelor, 2011). Stellt sich die Frage: was ist eine »spirituelle Intervention«? Weder Petzold, Sieper und Orth (2010), noch die Richtlinien des Bundesministeriums (2014) beinhalten Definitionen des fraglichen Begriffs. Dieser Umstand erleichtert nicht gerade den Diskurs über ein Thema, das gerade so kontroversiell diskutiert wird und lässt 163 reichlich Interpretationsspielraum für alle Beteiligten offen. Unter Intervention versteht man je nach Fachgebiet unterschiedliches. Laut http://de.wikipedia.org/wiki/Intervention wäre dies in der Sozialarbeit „eine geplante und gezielte Maßnahme“, in der Psychologie „ein eingesetztes Kommunikationselement wie z.B. Spiegeln, paradoxe Intervention“. Versteht man darunter eine bestimmte Handlung, die der Klient ausführen muss? (Gebet?, Ritual was fällt darunter, was nicht?) Oder die beide gemeinsam ausführen? Ist es ein vom Therapeuten genannter Begriff z.B. zum Thema Heilung, von außerhalb des klinischtherapeutischen Jargons? Ist es eine getragene, engelgleiche Stimme? Ist es das Anleiten zur Beobachtung des Atems? Kommunikationspsychologisch betrachtet ist alles Leben Kommunikation – „man kann nicht Nicht-kommunizieren“ (Watzlawik). Zu Kommunikationselementen gehören sämtliche Aspekte Non-verbaler Kommunikation wie Kleidung, Accessoires, Praxisort, Raumgestaltung, Gerüche, Klänge, Beleuchtung, Objekte, usw. also alle Aspekte in einer Situation, die sinnlich erfahrbar und phänomenologisch erfassbar sind. Demnach wäre die Einmietung in ein Klostergebäude, die Ausstattung einer Praxis mit Buddha-Statuen, Thankas, der Duft von Räucherstäbchen oder Weihrauch, die Sitar-Hintergrundmusik, Buddhistische Gebetsfahnen, Bilder vom Berg Kailash alles bereits Interventionen. Aber spirituelle? Auch in dieser Arbeit ist die Definition dieses Begriffes Spiritualität ausgespart worden, da damit ein weiteres weites Feld eröffnet werden würde. Siehe dazu Heller (2013), Quekelberghe (2007), Pollack (2007), Utsch, Bonelli und Pfeifer (2014), Elkins (1998). Eines kann bei Durchsicht der Interviews bereits zusammenfassend gesagt werden: Die InterviewpartnerInnen sind sich, trotz unterschiedlichen Formulierungen, einig darüber, dass es sich bei Spiritualität um ein In-der-Welt-sein, um ein Mit-AllemVerbunden-Sein, also um einen sehr diesseitigen, erdigen, inkarnierten, lebens- und interaktionsorientierten Seins-Modus handelt. Bei jener Kollegin, die ihre Praxis mit buddhistischen Objekten ausgestattet hat, stellt damit die Frage, wie reagiert eine hilfesuchende Person auf diese Eindrücke, die mit diesen Themen nicht vertraut ist oder diesen ablehnend gegenüber steht? Was denkt sich ein Atheist dabei? Welche Erwartungshaltungen sind damit u.U. verknüpft? Kann diese Person ihrem Unmut Ausdruck verleihen? An dieser Stelle erscheint es wichtig dass TherapeutInnen, für die auf Grund persönlicher Praxis diese Symboliken wichtig sind, besonderes Augenmerk auf die Reaktionen ihrer Klienten beim Kontakt 164 mit diesen Objekten/Gerüchen/Klängen richten und wahrgenommenes zeitnah ansprechen, um Irritationen aufklären zu helfen und damit den eigentlichen Therapieprozess nicht zu behindern. 4.1.2.2 Interpretation von »Nicht-Anhaften« Nicht-Anhaften vs. Therapieplan. Einige Interviewte gaben an, dass sie es dem Klienten freistellen, wie er mit den nächsten Terminen verfahren möchte. Ob und wann er/sie wiederkommen möchten. Eine Kollegin räumte ein, dass sie in Phasen wo ein Klient Schutz und Führung brauche schon vorgebe, dass es jetzt eine Zeit weitergehe mit der Therapie. Aber grosso modo wolle man nicht »Anhaften«, den Klienten nicht für die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse heranziehen. Das ist ethisch sehr hochstehend, ohne Frage, im Kern buddhistisch. Wenn es der Verhinderung des Missbrauchs der therapeutischen Beziehung über eine indizierte Dauer hinweg dient, dann erfüllt diese Haltung ihren Zweck. Doch ist das im allgemeinen therapeutischen Rahmen die angemessene Haltung? Wenn Leiden über lange Zeit entstehen, braucht es auch einen geschützten Rahmen über längere Zeit um therapeutisch wirksam zu sein. Maligne Beziehungserfahrungen können nur über ein zeitliches Kontinuum hinweg mit positiven Beziehungserfahrungen in einer Therapie ausgeglichen und heilsam kontrastiert werden. TherapeutInnen, die auch praktizierende Buddhistinnen sind, müssten ihre Haltung dazu aus professioneller Perspektive kritisch, ggf. supervisorisch reflektieren, um nicht einer Fehlinterpretation des Nicht-Anhaften Prinzips zu unterliegen, in letzter Instanz sogar zum Schaden der KlientInnen. Wertvoll ist dieser Zugang aber, um kontinuierlich während des Therapieverlaufes, sensibel und achtsam die Notwendigkeit weiterer Einheiten für den Klienten mit den eigenen Bedürfnissen abzugleichen. Die therapeutische Beziehung findet eben nicht nur innerhalb der 50 Minuten Sitzung statt sondern erstreckt sich ggf. über mehrere Jahre. Nicht-Anhaften vs. Ökonomische Aspekte. Oben gesagtes bezieht sich auch auf die ökonomische Dimension der TherapeutInnen-KlientInnen Beziehung. So sehr es hilfreich sein kann, gerade in freier Praxis, sich bei der Gestaltung der TherapeutinKlientin Beziehung emotional unabhängig von der finanziellen Situation zu machen, so sehr birgt diese Haltung auch die Gefahr, die eigenen materiellen Sachzwänge aus dem Fokus zu verlieren. Eine Interviewpartnerin räumt ein, dass sich ihre finanzielle Situation durch die Fokussierung auf den Achtsamkeitsaspekt in der 165 Psychotherapie verschlechtert habe. Auch hier läuft diese Haltung, ja nicht den Klienten finanziell zu belasten, sogar gegen die Selbstfürsorge. Arbeite ich psychotherapeutisch, im Sinne einer gesetzlich verankerten Heilbehandlung im Rahmen des ASVG, muss beiden Seiten klar sein, dass der Ausgleich für die Leistung monetär erfolgt. Für Privat Klientinnen heißt das, sie müssen sich die Therapie leisten können. Zu einem Tarif, den sich die Therapeutin leisten kann. Psychotherapie, auch eine achtsamkeitsbasierte, ist keine mildtätige, ehrenamtliche Angelegenheit. Wird die Arbeit mit korrektem Ethos, auch in Bezug auf finanzielle Belange, mit der inneren Haltung, dass meine Klienten und alle Wesen frei von Leid sein mögen, durchgeführt, so wird Psychotherapie selbst zu einer spirituellen Intervention. 4.1.2.3 Eigene Bedürfnisse Bei intensiv praktizierenden Buddhistinnen, die sich öfters in längere Retreats zurückziehen, ist besonderes Augenmerk darauf zu richten, dass sie diese Tatsache von vornherein mit ihren KlientInnen besprechen und auch nur jene Klientel annehmen, für die längere Unterbrechungen auch möglich sind. Eine Interviewpartnerin beschreibt, dass sie dafür in ihrer Praxisgemeinschaft ein Netzwerk zur Verfügung hat. Grundsätzlich muss sensibel abgewogen werden, welche Bedürfnisse im Vordergrund stehen, in der derzeitigen Lebensphase. Möchte ich mich der mitunter schwierigen Aufgabe Therapeutin zu sein (weiterhin) widmen, oder steht meine religiöse/spirituelle Praxis jetzt doch mehr im Vordergrund? Wo sind die Grenzen, ab welcher Intensität der Praxis lässt sich dies nicht mehr mit einer gesetzlich verankerten Psychotherapie vereinbaren? Die Klärung dieser Fragen erfordert achtsames, vertrauensvolles Abwägen – professionell erweise in kultursensibler Supervision. 4.1.2.4 Interventionen noch nicht systematisiert Einige InterviewpartnerInnen gaben an, wenn es für die Therapie indiziert erscheint, ihren KlientInnen auch achtsamkeitsbasierte Interventionen anzubieten. Welche Interventionen, wann, in welcher Form, Frequenz usw. ist dabei der heterogenste Aspekt der vorliegenden Forschungsarbeit. Die zwei am weitest verbreiteten Methoden sind Achtsamkeit auf den Atem sowie verschiedene Formen von Bodyscan Meditation. Darüber hinaus werden noch, je nach Verfügbarkeit und persönlicher Präferenz, direkt Methoden aus der buddhistischen Praxis angewandt, 166 wie z.B. das Widmen und Entwicklung von Mitfreude, jeweils ohne dabei explizit buddhistisch zu werden. In Bezug auf Meditation in der Therapie gibt es ebenfalls unterschiedliche Ausformungen, von »mit dem Klienten meditieren«, ohne es »Meditation« zu nennen, bis hin zur Empfehlung von Achtsamkeitstraining – bei Indikation. Dabei erscheint es wichtig zwischen den Rollen zu trennen. Empfehle ich einer Therapieklientin zu mir ins Achtsamkeitstraining zu kommen? Wenn ich die Klientin lieber bei mir im Achtsamkeitstraining habe als in der Therapie, was bedeutet das auf der Beziehungsebene für die KlientIn - »bin ich ihr zu anstrengend?«, ist »lasst uns mal gemeinsam atmen« angenehmer für meine Therapeutin? Gerade für PsychotherapeutInnen, die Therapie belastender empfinden als Achtsamkeitskurse abzuhalten, ist die kritische Auseinandersetzung mit diesen Fragen angezeigt. Größere Einigkeit besteht unter den Interviewten über die Anwendung von Interventionen, welche auf die Natur von Gedanken und Emotionen hinweisen, um die Defusion, die Trennung von mentalen Prozessen und dem Selbstkonzept, zu ermöglichen und so maligne Identifikationen von geistigen Prozessen mit dem Ich überwinden zu helfen. »Nicht: ich bin ängstlich, sondern: ich nehme ein Gefühl wahr, das ich als ängstlich bezeichne und dabei spüre ich....« Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es bei konkreten Interventionen in der Einzeltherapie noch sehr unsystematisch abläuft. Daher ist die Systematisierung von säkularen Interventionsstrategien, aus dem reichen Erfahrungsschatz buddhistischer Psychologie, für die Einzelpraxis, jenseits von manualisierte Gruppenprogrammen, sehr zu begrüßen. 4.1.2.5 Abgrenzung vs. Alles ist verbunden An einem weiteren Beispiel lässt sich die Problematik der, für eine professionelle Psychotherapie erforderlichen, adäquaten Interpretation buddhistischer Konzepte verdeutlichen. Die Grundhaltung, Erkenntnis und auch oft tief verwurzelte Empfindung des »Verbunden sein mit allem« kann in der Frage nach »Abgrenzung« zu unklaren Situationen kommen und diese schwieriger machen. Kollegin Klara (siehe Empirie Kapitel »Abgrenzungsthematik«) beschreibt den Fall einer Klientin, mit der sie die Therapie beendete, da innerhalb der Sitzungen nichts weiter ging und die Klientin mehr Sozialkontakte brauche. Die Klientin wollte sich daraufhin mit Klara treffen, diese lehnte es zuerst ab. Durch die Einsichtsmeditation weichten sich diese klaren Grenzen aber auf, Klara empfand, dass sie beide auf einer „anderen Ebene“ 167 waren, in Verbindung, verbunden, auch über die formalen Grenzen der Therapie. Klara empfindet dies nicht als problematisch, sie hat es angenommen dass es nun mal so ist, supervidierte diese Frage auch des Öfteren, blieb aber bei dem Kontakt mit der Frau (ist sie noch eine Klientin?), weil ja ohnehin alles Sein zusammenhängt und es substanziell keine Grenze gibt zwischen all dem Seienden. Dieses Beispiel kann als Referenz für eine weiterführende Diskussion dienen, die sich zwischen »Ja, wir sind alle miteinander verbunden, wo liegt das Problem?« und »für eine gesetzeskonforme Heilbehandlung sind Setting grenzen einzuhalten und die Therapiebeziehung mit ihren Rollen klar zu definieren« bewegt. Der Diskurs soll sich jedoch immer am Patientenwohl orientieren: welche Auswirkung hat diese Intervention und ist sie im Sinne des Behandlungsziels (hier: mehr soziale Kontakte) förderlich? und auf Seite der Therapeutin: kommt es zu Einschränkungen meiner Privatsphäre? (müssen Familienfeiern deswegen verschoben werden...) oder habe ich persönliche Vorteile davon? Wird das Nicht-Anhaften auf den Klientenkontakt bezogen, so fällt es leichter, den Klienten nach jeder Stunde leichter gehen zu lassen und auch am Ende einer Therapie ihn in sein Leben zu entlassen. Wenn Achtsamkeitspraxis den Alltag durchzieht, so wird auch das Hinunterdrücken der Türklinke beim Entlassen des Klienten achtsam, ohne Anhaftung und Ablehnung durchgeführt, der nächste Klient kommt und ich bin bei ihm präsent, gewahr in diesem Moment, bis das Auslassen der Türklinke mein Gewahrsein erfüllt und der Klient von gerade noch vorhin bereits losgelassen ist. Mit dieser Haltung und Praxis wird eine »Abgrenzung« überflüssig, da nichts da ist, wogegen ich mich abgrenzen muss. Denn alles ist im Fluss andauernder Veränderung miteinander verwoben, das muss dann gar nicht mehr auf der sozialen Ebene gedeutet werden. In diesen diskursiven Prozessen zur Klärung von Bedeutungsebenen buddhistischer Konzepte kann die Integrative Therapie mit dem Schritt der Dekonstruktion (Derrida) im meta-hermeneutischen Prozess einen wertvollen Beitrag leisten. 4.2 Buddhismus und Psychotherapie 4.2.1 Was zuerst - Meditation oder Therapie? Wenn Menschen auf der Suche nach Linderung und Heilung ihrer seelischen Leidenszustände sind, stoßen einige auf religiöse und spirituelle System wie auch 168 den Buddhismus. Die buddhistische Psychologie zielt darauf ab Leiden zu beenden und bietet dafür Übungswege an: Das Verlangen beenden ist die erste Gelegenheit um im buddhistischen Sinne Leiden zu beenden. Dazu ist es notwendig unseren aufkeimenden Handlungsimpulsen mit Achtsamkeit zu begegnen und uns fragen, ob es wirklich notwendig ist (im wahrsten Sinne des Wortes also eine Not wendet), und welche Motivation dahinter steht. Gelingt es uns dieses Ergreifen einer Reaktion fallen zu lassen, bzw. von ihr abzusehen, wird der Kreislauf von konditioniertem Verhalten unterbrochen. Dieses Fallenlassen von konditioniertem Verhalten ist in der konkreten Umsetzung jedoch oft nicht auf direktem Wege zu erreichen. Wenn trotz jahrelanger Meditation die starken Emotionen immer noch nicht verschwinden, kann dies oft als persönliches Versagen auf dem spirituellen Weg empfunden werden. Um die biografisch oft tief sitzenden und auch nach jahrelanger Mediation nicht aufgelösten Konflikte und starken Emotionen sowie die daraus oft resultierenden schädlichen Verhaltensweisen zu bewältigen, kommt aus der Sicht des Autors an dieser Stelle der Psychotherapie die entscheidende primäre Rolle in der Behandlung zu. Mit dem Differenzierung können psychotherapeutischen wir allmählich, im Konzept der Rahmen einer emotionalen stützenden, vertrauensvollen Therapie voller Mitgefühl, in intersubjektiver Ko-Respondenz herausfinden, welche Lebensumstände zu welcher konditionierten Reaktion geführt haben, um so zuordnen zu können was damals belastend war, welche Reaktionen ggf. damals hilfreich waren, aber jetzt dysfunktional geworden sind. Durch den ersten Schritt der Bewusstwerdung, des »Aufhebens« aus dem Unbewussten ins Wahrnehmungsbewusstsein kann es aus einer gereiften Perspektive zur Neubewertung des Erlebens kommen. Die Wirkungen der Lebenssituationen von damals haben damit eine Chance »aufgehoben« zu werden, oder zumindest gelindert und das Ich-Bewusstsein kann sich neu adaptieren Durch diesen Schritt wird auch vermieden dass ein religiöses/spirituelles System mit seinen Protagonistinnen als Projektionsfläche idealisierender Wünsche dient, das, im Gegensatz zu einem Psychotherapeuten, etwaige Projektionen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht meta-hermeneutisch reflektieren kann. Damit ist die Gefahr gegeben, dass die spirituell gemeinte Wendung »nach innen« bei einer Anhaftung an Äußerem, wenn auch gut getarnt als Vielfalt spiritueller Praxis, verbleibt. Damit soll nicht gesagt werden dass spirituelle Praxis, in welcher Form auch immer nicht zielführend ist oder notwendig, sondern nur, dass diese nicht mit 169 einer Projektionsfläche zur Lösung innerer Konflikte verwechselt werden soll. „Many people want to be mystic, but they become misty“ sagte Frank Farrelly einst. In der Phase der emotionalen Differenzierung während des therapeutischen Prozesses kommt der Achtsamkeits-Meditation eine wichtige Rolle zu, indem sie, radikal neu für westlich sozialisierte Menschen, die Substanzlosigkeit des Selbst und aller damit verknüpften Phänomene einführt. Die Betrachtung »Ich bin nicht meine Gedanken und Gefühle, es sind nur elektrochemische Vorgänge in meinem Nervensystem, welches auf Grund des Geworden seins diesen Zustand eingenommen hat, den ich vorfinde und der sich auch verändern lässt« kann für den therapeutischen Prozess der »Aufhebung« von Leiden einen wertvollen Beitrag leisten. Wenn sich daraus das Bedürfnis nach vertiefender Meditationspraxis ergibt, liegt das in der Privatsphäre des Menschen und ist nicht mehr Gegenstand von Psychotherapie. 4.2.2 Destination »Nirwana«: Flight cancele Nibbana ist im Gegensatz zu den 5 Skandhas nicht phänomenologisch charakterisiert, es ist demnach kein eigenständiges Phänomen, wie Virtbauer (2013) ausführt. Daher findet dieses Konzept in einer phänomenologisch orientierten Psychotherapie Therapie wie der Integrativen keinen Platz - und um Missverständnisse zu vermeiden: Für Klienten in der Psychotherapie bedeutet »das Ende des Leidens« zuerst jedoch einmal etwas anderes. 4.2.3 Divergenzen im Selbst-Konzept Das westlich klinische Verständnis eines eigenständigen, über die Lebensspanne konstanten »Selbst« und der damit verknüpften Identität unterscheidet sich fundamental von der buddhistischen Sichtweise der Selbst-Losigkeit aller Phänomene, die stets im Wandel sind. Ob dieses Prinzip dem entspricht was Merleau-Ponty mit „eigentümlicher Seinsgrund“ meint wenn er sagt „ein eigentümlicher Seinsgrund, gleichsam ein tätiger Grund, orientiert den Fluß der Phänomene, ohne in irgendeinem für sich genommen explizit gesetzt bzw. setzbar zu sein“? Diese Passungen zwischen buddhistischer Philosophie und Psychologie mit denen kontemporärer phänomenologischer Psychologie stringenter auszuarbeiten ist Gegenstand zukünftiger Bemühungen. 170 4.2.4 Kulturelle Sensibilität und Würdigung Man kann von Religion und Buddhismus halten was man möchte. Wenn jedoch Inhalte und Konzepte von einer Geistesrichtung entlehnt werden, so gilt der Grundsatz »Ehrt die Quellen« im Sinne respektvoller Koexistenz. Dies ist nicht nur aus Copyright-Gründen angesagt sondern im vorliegenden Fall auf Grund der spirituellen Dimension des Gegenstandes. Bedauerlicherweise finden sich in einigen mindfulness Ansätzen diese Referenzen nicht oder zu wenig deutlich. So wird in der ACT als Bezugstheorie die Relational Frame Theorie herangezogen und die buddhistischen Quellen verschwiegen. Obwohl Eifert (2011) die ACT auch in Beziehung zur MBCT und DBT setzt, und Achtsamkeit – wie obenstehend augenscheinlich - mit den selben Merkmalen übersetzt wie Sati vor 2500 Jahren definiert wurde, finden die historischen Bezüge, Grundlagen und Konzepte der buddhistischen Psychologie keinerlei Erwähnung. Dieser Umstand ist gerade bei proklamierter »Werteklarheit« bedenklich und lässt die Beteuerung es soll sich bei ACT um keine neue Therapieform handeln nach außen hin, gerade in Bezug auf weniger informierte Laien, unglaubwürdig erscheinen. Ob dies an persönlichen Vermeidungsstrategien der Autoren liegt, oder der amerikanischen Psycho- Kultur- und Marktlogik entspricht, bleibt zu klären. 4.2.4.1 Entwicklung des Dharma Die Entstehung mehrerer Schulen in den ersten Jahrhunderten nachdem der Buddha mit seiner ersten Rede das Rad des Dharma in Bewegung gesetzt hatte, geschah mangels Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Mönchen und Nonnen, die sich über das Land verteilten und lehrten. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, welchen Einfluss eine global vernetzte und kommunizierende Kultur auf die Entwicklung des Dharma, der Lehre, wohl haben wird? Denn nie zuvor haben Menschen so unbeschränkten Zugang zu Informationen, zu Inhalten, zu unterschiedlichen Lehren, Philosophien gehabt wie heute. Noch nie zuvor war es so leicht möglich, die postulierten wahren Lehren einer Schule mit anderen Sichtweisen zur selben Materie zu kontrastieren. Der Mensch hat aber auch ein intrinsisches Bedürfnis nach Einfachheit und Überschaubarkeit. Daher bleibt die Frage spannend, wie denn »Ein universeller Dharma für den westlichen Menschen«, so sich einer überhaupt entwickeln kann, aussehen mag. Oder ob, ganz im Integrativen Sinne, ein mehrperspektivischer, pluralistischer Dharma erwünscht ist. Für jeden Menschen mit 171 seinen Fähigkeiten, Vorlieben, Bedürfnissen. Welcher dieser »Dharmas« findet in welche Forschungsansätze und klinische Behandlungsprogramme Einzug? 4.2.5 Positionierung der Integrativen Therapie 4.2.5.1 Aufeinander zugehen Die explizite Nicht-Bezugnahme Petzolds (2011) auf den buddhistischen Achtsamkeitsbegriff ist aus Sicht des Autors unbefriedigend und ist angesichts der Entwicklungen in der kontemporären Psychotherapieforschung für die Perichorese des Integrationsparadigmas kontraindiziert. Gerade weil in dieser Arbeit die konzeptuelle Kompatibilität gezeigt werden konnte und weil in der Integrativen Theorie Pluralismus, wie auch in den Bewusstseinsmodellen gezeigt, immer wichtig war, kann eine Überschneidung, natürlicherweise mit anderen Prägnanzen und Tiefungen in konzeptueller und praxeologischen Hinsicht, doch begrüßt werden. Wenn auch kulturell unterschiedlich gegründet, finden sich leicht Passungen zwischen beiden Richtungen. Zum einen gibt es das Phänomen des »engagierten Buddhismus«, in dem Mitgefühl für den Mitmenschen und das Engagement für eine bessere Gesellschaft einen zentralen Platz einnimmt (Dies kann auf den Einfluss des Christentums im Westen mit seiner Wertestruktur zurückgeführt werden). Auf der anderen Seite erkennen wir die konzeptuelle Nähe zum melioristischen Engagements aus der Integrativen Theorie (Petzold, 2011). Es ist wünschenswert, dass beide Ansätze innerhalb des Integrativen Modells, mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, koexistieren können und als kohärente Bestrebungen für eine bessere Gesellschaft erkannt und anerkannt werden. 4.2.5.2 Bewusstseinsmodelle Unterschiede und Klärungsbedarf gibt es bei den Bewusstseinsmodellen. Petzold beschreibt im integrierten Bewusstseinsmodell das Nicht-Bewusste als transreflexiv, der leiblichen Erfahrung unzugänglich und das nur von Mystikern in meditativer Versunkenheit „näherungsweise erahnt und erspürt werden“ kann – als Teilhabe am Absoluten Sein. Gewahrsein versteht Petzold im Sinne von Awareness, des körperlichen Gewahrseins. Diese Sichtweise weicht von der buddhistischen Vorstellung jedoch ab. Batchelor weist ausdrücklich darauf hin, dass der Buddha kein Mystiker war. „Sein Erwachen 172 war keine alles bis in die Grundfesten erschütternde Einsicht in eine transzendente Wahrheit, die ihm die Mysterien Gottes offenbarte. Er maßte sich keine Erfahrung an, durch die ihm ein exklusives esoterisches Wissen um das wirkliche Funktionieren des Universums zuwuchs“ (Batchelor, 2010, S. 17). Gewahrsein im buddhistischen Sinne ist nicht auf die körperliche Awareness beschränkt, ist auch nichts was sich durch ein linear gedachtes Fortschreiten im Sinne eines Weitens des Bewusstseins, hinüber über stets subtilere Schwellen bis hin zum lichten, absoluten Bewusstsein entwickelt. Dieser Konzeption unterliegt ein grundsätzlicher Denkfehler, der im euklidisch-räumlich-linearen Denken gründet. Im buddhistischen Sinne muss nichts erst erreicht werden, es ist bereits da. Wir werden erkennen, wenn wir aufhören etwas erkennen zu wollen, etwas auf noch höhere Erkenntnisebene heben und entwickeln zu wollen. Wenn wir die Anhaftung an diese Bestrebungen, die ja in letzter Konsequenz auch nur Gedanken sind, aufgeben, werden wir erkennen, was ist, was Sein ist, dann wird der, der erkennt mit dem Erkannten eins sein. Das ist das entlarvende Paradox, das der Buddhismus dem Westen bieten kann, ein prinzipieller Koan um unseren kognitiv verbildeten Geist aufzuwecken. Damit ist die eidetische Schau Husserls, oder das rohe, ungestaltete Sein, das »Fleisch der Welt« (chair) Merleau-Ponty’s auch nicht nur mit dem Unbewussten gleichzusetzen (Petzold, 2003), sondern vielmehr mit der »Einheit von Welt und Seiendem in der Welt«. Dass Begriffe wie »Fleisch der Welt« hier wenig hilfreich erscheinen das letztgültige Sein zu erklären, geschweige denn erfahrbar zu machen, ist ein Argument für die weniger begrifflichen, doch in ihrer Einfachheit verblüffend effizienten Beschreibungen und Anleitungen zur Erfahrung von Gewahrsein – in welcher buddhistischen Tradition auch immer. Wenn man wissen will wie sich freier Fall anfühlt, muss man das Handbuch zur Seite legen und aus der Luke des Flugzeugs springen. 4.2.5.3 EMBI Wenngleich ein ethisch korrektes Vorgehen für Interventionen einer achtsamkeitsorientierten Psychotherapie mit Berücksichtigung persönlicher Motive und praxeologischer Begründung der Durchführung als selbstverständlich gelten soll, so kann die enge Beschränkung auf bestimmte Settings und Diagnosekategorien als nicht unbedingt notwendig erachtet werden, wenn wir uns an der Metatheorie und 173 den realexplikativen Theorien des Verfahrens orientieren. Damit werden auch im Einzelsetting Möglichkeiten zur Einbettung achtsamkeitsinformierter und achtsamkeitsbasierter Interventionen möglich, im Sinne von »EMBIs« - »embedded mindfulness based interventions« 4.2.6 Legitimation der TherapeutInnen im Spannungsfeld zwischen Buddhismus und säkularem therapeutischen Kontext Die meisten Autoren (Michalek et al., Germer et al.) sind sich darüber einig, dass TherapeutInnen, die mit ihren KlientInnen achtsamkeitsbasierte Psychotherapie anbieten möchten, über eigene vertiefte Meditationserfahrung verfügen müssen und zwar zumindest in dem Ausmaß, wie es für die Durchführung des Behandlungsprogramms vorgesehen ist. Im Fall von MBSR, d.h. 8 Wochen lang, täglich 45 Minuten formale Sitzmeditation. Dabei soll nicht der technische Aspekt im Vordergrund stehen, sondern die Tatsache, dass Achtsamkeit im täglichen Leben des Therapeuten eine wichtige Rolle einnimmt. Idealerweise sowohl als formelle Sitzmeditation als auch als informelle Praxis im Alltag. Mit dieser Selbsterfahrung aus der Innenperspektive können die TherapeutInnen etwaige Schwierigkeiten ihrer KlientInnen auf dem Weg zur Entwicklung von Achtsamkeit besser nachvollziehen und nuancierter, einfühlender entgegensteuern. Dieser eigenleiblichen Erfahrung kommt mehr noch als bei anderen Verfahren aus z.B. der kognitiv behavioralen Domäne Bedeutung zu, da es sich um keine normierbare, regelbasierte Fertigkeit handelt, sondern diese das ganze Leben über durch kontinuierliche Praxis verfeinert werden muss, wie dies auch seit jeher verstanden wurde. Im professionellen Kontext kommt daher in Zukunft laufender Supervision mit Fokus auf achtsamkeitsbasierten Zugängen besondere Bedeutung zu. Eifert (2011) stellt für die Durchführung von ACT-Therapien die Notwendigkeit der Selbsterfahrung von Therapeuten allerdings noch zur Diskussion. In der Tradition des tibetischen Buddhismus spielt die »Übertragungslinie« eine wichtige Rolle. Die Legitimation einer Schule und eines Lehrers ergibt sich daraus, dass sie Erben von vorangegangenen Meistern sind, welche die Verwirklichung erlangt haben. Biografien solcher Meister sind oft in einer Sprache und mit indischtantrischer Semantik und Symbolik ausgeführt, die für heutige, und vor allem westliche Menschen, kaum bis gar nicht adäquat verständlich sind und vielfach 174 mystizistisch aufgefasst werden (müssen). Dies leistet dann der Externalisierung von Heilserwartungen weiteren Vorschub. Es bleibt damit die Frage nach Legitimierung der Lehre von Achtsamkeitsmeditation im heutigen westlich klinischen Sinne noch unbeantwortet. Längst haben sich Curricula und Trademarks geformt, die Originalität und Legitimierung jeweils für sich beanspruchen. Ob dieses, auch/hauptsächlich an einer Marktlogik orientiertes Vorgehen wirklich dazu führt, die ursprünglichen Lehren vor Verwässerung, Kognitivierung und »therapeutischer Vernutzung« (Petzold) zu schützen, muss kritisch hinterfragt werden. Aus Sicht des Autors ist es daher wichtig, wollen wir die Essenz des Abidhamma für weitere Generationen bewahren und sie im Herzen der Gesellschaft zu neuen Ausdrucksformen verhelfen, dass es zu einer umfassenden Durchdringung, zur »Perichorese« klinischer und buddhistischer Philosophien, mittels Polylogen zwischen allen Stakeholdern, kommt. 4.2.7 Reduktion auf den rationalen Aspekt ist unvollständig und kontraindiziert Die Fokussierung auf die kognitiven Aspekte des Achtsamkeitsparadigmas hat sicher dazu beigetragen, dass dieses Konzept überhaupt in eine rationale, forschungsorientierte, klinische social-world Einzug gefunden hat. Die gute Operationalisierbarkeit und Messbarkeit kognitiver Konstrukte – im Rahmen des vorherrschenden Paradigmas - hat in Folge, auf Grund der historisch überlieferten positiven Effekte von Meditation, zu großer Beachtung im klinischen Umfeld, sowie mittlerweile auch in der breiteren, interessierten Bevölkerung gefunden. Dabei kann das kognitive Modell eines von mehreren sein (Lazar, 2009). Wir sollen nebst dem Hype um Forschung und Neuroimaging und Studien auf keinen Fall vergessen, dass in den überlieferten Philosophien Achtsamkeit nicht der finale Zweck ist, sondern dass es bei der Anwendung des Dharma noch um mehr geht, nämlich um die Ebene für die es noch unzureichende Begrifflichkeiten gibt, die man am ehesten mit »Herzensebene« beschreiben könnte, um im Sinne Eva Jaeggis „zu heilen die zerstoßnen Herzen“. Auf die Gefahr der Überbetonung des rationalen Aspektes in der Psychotherapie, die zur Psychotechnik zu mutieren droht, weisen auch Grepmair und Nickel (2007) hin, wenn sie den Psychologieprofessor Hautzinger zitieren der meinte „Produzieren wir 175 mit dieser naturwissenschaftlichen, nüchternen‚ Neuropsychotherapie, nicht nur noch mehr Hinwendung zur ‚Esoterik’, zum ‚Glauben’ und zur Anwendung von ‚Handauflegung’?“. Die alten Griechen wussten um diese Problematik, die sie in der Dynamik von Apollo und Dionysos, dem gegensätzlichen Brüderpaar, dem Verhältnis von Rationalität und Irrationalität, dargestellt haben. Je mehr wir versuchen den irrationalen Aspekt aus unserem Leben zu verdrängen, desto stärker macht er sich, bis hin zum Wahn, bemerkbar. Integrieren wir Dionysos in unser Leben, bleiben wir von seinen schädlichen Folgen verschont. Dieses Kräftespiel ist in Euripides Drama »Die Backchen« eindrücklich dargestellt. „Auch die von den Forschern geforderte ‚Qualitätssicherung’ könnte im Sinne D.T. Suzuki (1981) die Psychotherapie ‚vivisezieren’ und damit das Herz der Psychotherapie töten“ (Grepmair & Nickel, 2007, S. 155). Mit diesen Skizzen wird schon deutlich dass es Meta-hermeneutischer Zirkel bedarf, um die Einbettung von Psychotherapie ins Gesundheitswesen, mit ihrer berechtigten Forderung nach Qualität, dem zu Grunde liegenden Wissenschaftsparadigma, den gesellschaftlich ökonomischen Implikationen und dem »gesunden Menschen« als eigentliches Ziel, förderlich und im Sinne melioristischen Engagements zu gestalten. Derzeit befinden wir uns in der zweiten Welle der Rezeption buddhistischer Lehren. Während in der ersten Welle der Fokus auf die Nutzbarmachung von Achtsamkeit im täglichen Leben von im Westen lebenden Menschen gelegt wurde, werden jetzt die therapeutisch wertvollen Methoden zur Entwicklung von Mitgefühl, Mitfreude, Gleichmut und Liebe in die Psychotherapie zu integrieren versucht (AnderssenReuster, 2013). Es wartet ein reicher Schatz an buddhistischer Praxis, der übersetzt und integriert werden will (Boddhicitta-Training, Lo-jong, Tonglen, ...). Dazu aber braucht es ein Forschungsumfeld, das die für die Methoden passenden paradigmatischen Rahmenbedingungen schaffen kann und kein rationalistisches Prokrustesbett. 176 4.3 Achtsamkeitsforschung 4.3.1 Methodik Einmal angenommen, Sie bewerben sich an einer Klinik als PsychotherapeutIn zur Durchführung von achtsamkeitsbasierten Verfahren. Sie wollen diese Stelle, ja Sie brauchen sie. Was werden Sie beim Fragebogen zur Erfassung ihrer Achtsamkeit beim Item „Ich finde es schwierig, auf das konzentriert zu bleiben, was im gegenwärtigen Augenblick passiert“ ankreuzen? Dies trifft das zentrale Problem zeitgemäßer psychometrischer Forschung. So methodisch korrekt diese auch durchgeführt werden, sie lassen die Motive des Untersuchungssubjekts diese Antwort anzukreuzen und nicht eine andere, völlig außer Acht. Die Diskussion der Problematik des logischen Empirismus im Rahmen eines phänomenologischen Untersuchungsfeldes führe hier zu weit. Bildgebende Verfahren zur Sichtbarmachung von Durchblutungsszenarien des Gehirns, oder seien es Phaserbündelverläufe, die bunt und eindrucksvoll dargestellt, von der Erklärung des Bewusstseins künden, sogar Gott sei im Gehirn lokalisiert, kann ebenso wenig zufriedenstellend als Methodik zur Erforschung dessen erachtet werden, was unter Gewahrsein, letzten Endes wieder nur individuell erfahrbar wird. Aber interindividuell verifizierbar ist. Vielmehr kann das derzeitige in der klinischen und psychologischen Forschung vorherrschende Wissenschaftsparadigma als eine neue, postmoderne „große Erzählung“ (Lyotard) betrachtet werden, welche die alten großen Erzählungen zu ersetzen droht und mehr wird als bloß eines von vielen heterogenen Sprachspielen, wie es Lyotard ursprünglich gedacht hatte. Wenn das rational positivistische Wissenschaftsverständnis hegemonialen Anspruch auf die Erklärung von Welt und Bewusstsein erhebt, wird sie damit zu einer neuen „großen Erzählung“ autoritärer Prägung. Wie zunehmend wichtig dabei die Wertschätzung der Perspektive der ersten Person innerhalb einer Wissenschaft ist, wie auch immer sie aussehen wird, kann im Kontext der Erforschung von phänomenologisch orientierten Achtsamkeitsansätzen deutlich werden. Dieses Wissenschaftsparadigma hat aber auch dazu geführt, dass die alte Weisheit Indiens in klinisch therapeutische Behandlungsprogramme Einzug gefunden hat. Das 177 ist auch gut so. Wir sollten aber um Verwässerung und vor allem Verknöcherung der Konzepte zu vermeiden auch »paradigmatisch in Bewegung bleiben«. 4.3.2 Ausblick Lazar (2009) nennt noch einige interessante Fragen für die zukünftige Forschung • Was sind die Langzeitwirkungen auf die Gesundheit? • Wie verändert sich der kognitive Stil von Menschen? Kommt es zu nachhaltigen konzeptuellen Veränderungen? • Können wir messen wie sich Weisheit entwickelt, z.B. mit dem Berliner Weisheitsparadigma (Theissig, 2013)? • Sind achtsamkeitsbasierte Verfahren in der Psychotherapie wirksamer als andere? Unterscheiden sich formale Sitzmeditation und informelle Meditation im Alltag bezüglich ihrer Wirksamkeit? • Welche Kontraindikationen gibt es? Gibt es schädliche Wirkungen? • Wie viel Training soll ein Therapeut haben um Achtsamkeit lehren zu können? Welche Art von Training – buddhistisch oder säkular – reicht die Technik oder bedarf es Herzenstraining? • Ergibt sich eine positive Wirkung wenn Therapeut und Patient die gleiche Theorie des Geistes haben und/oder beide Achtsamkeit praktizieren? 4.4 Fazit 4.4.1 Achtsamkeitspraxis als „Spirituelle Intervention“ oder „wertvolle Grundlage“ und „Beitrag zur Qualitätssicherung“ von Psychotherapie? Anhand der vorliegenden Evidenzen können wir ohne Zweifel festhalten, dass langjährige Praxis von Achtsamkeitsmeditation der PsychotherapeutInnen für ihre Arbeit durchwegs förderlich ist und sich in vielerlei Hinsicht positiv auf die Therapiebeziehung auswirkt – und, wie viele meinten, sogar Basis für psychotherapeutisches Arbeiten sei. Die gelebten Grundhaltungen der DharmaPraxis durchwirkt sehr zum Wohle der KlientInnen die Haltung der TherapeutInnen. Die dabei wichtige Kernaussage dieser Forschungsarbeit ist, dass all jene Philosophien, Meditationsformen, der Buddhismus, mit dem sich die TherapeutInnen 178 beschäftigen, für den Klienten „transparent“ ist. Diese Themen kommen begrifflich nicht in der Therapie vor. Wir bleiben auf säkularem Boden. Wenn es zu z.B. achtsamkeitsbasierten Wahrnehmungsübungen innerhalb der Therapie kommt, dann unter sorgfältiger, achtsamer Abwägung, ob dies für diesen Klienten zu diesem Zeitpunkt indiziert erscheint. Kommt es zu einer Intervention, so wird diese aber begrifflich nicht in den religiösen, philosophischen Kontext gestellt, sondern als Therapeut bleiben wir ganz bei unserem Ziel und unseren Methoden, den KlientInnen zu einer leiblichen Erfahrung zu verhelfen. Und genau das ist es, was wir in der orthodoxen Integrativen Therapie auch machen. Es kann also Entwarnung gegeben werden: Es handelt sich um keine „spirituelle Intervention“. Keine Einschränkung der Religionsfreiheit – niemand wird nach seiner Religion gefragt, oder nahegelegt zu einer anderen zu konvertieren, damit die Therapie erfolgreich ist und er geheilt wird. Der Autor betrachtet alle Tendenzen der Nach-Außen-Projektion unserer eigenen Themen in die vielfältigen esoterischen Irrgärten und „neuen Heilssehnsüchte“ und die „Mythenfaszination“ (Petzold, 2010) als den falschen Weg im Sinne eines Therapieprozesses, der als Ziel das integrierte Leib-Selbst hat, wie es auch die InterviewpartnerInnen als Ziel des von ihnen so verstandenen spirituellen Weges sehen. Doch was wenn der menschliche Geist „mehr zu bieten hat“, als das „Kommunizieren in ko-respondierenden Konsens- Dissensprozessen“ (ebd). Diese sind im sozialen Kontext äußerst wertvoll und wichtig, ohne Zweifel. Aber helfen sie uns TherapeutInnen mit uns, mit dem was IN uns liegt, besser umzugehen, das Leid unserer Klienten wofür es oft keine Begriffe mehr gibt, ein Stück mitzutragen? Da gibt’s noch mehr zu entdecken als den intellektuellen Diskurs über das Gute, Wahre, Schöne, den Sinn. Nicht statt, sondern sowohl als auch. Integrierend eben. Wie gezeigt werden konnte, gibt es viele Überschneidungsflächen mit dem Theoriegebäude der Integrativen Therapie. Ebenso gibt es viele Divergenzen in konzeptueller Hinsicht, wenn wir die buddhistische Philosophie und Methoden aus der Dharma-Praxis in ihrer ganzen Breite und Tiefe in die Psychotherapie integrieren wollten. Eine buddhistische Psychotherapie sähe freilich anders aus, als die hier dargelegten Ansätze. Das war aber auch nicht Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit. Ausgangspunkt für einen weiterführenden Integrationsprozess kann und darf es allemal sein. »Jenseits von Begriffen ist im Herzen ein Ort, dort begegnen wir uns« (frei nach Rumi) 179 5 Verzeichnisse 5.1 Literaturverzeichnis Allmen, Fred von. (2007). Buddhismus – Lehren, Praxis, Meditation. Bielefeld: Theseus. Batchelor, Stephen. (2011). 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Abbildung 2: Dimensionen der Relationalität (Petzold, 2003) ................................... 15! 187 Abbildung 3: Perzeptions-Halluzinations-Meditations-Kontinuum-Modell (Petzold, 2003, Fisher, 1974) ............................................................................................ 26! Abbildung 4: Das Bewusstseinsspektrum (Modell nach Petzold, 1975, aus Petzold, 2003) .................................................................................................................. 27! Abbildung 5: Geschichtliche Entwicklung – Vom Indien Buddhas zum heutigen Westen (Allmen, 2007, S. 70-71) ....................................................................... 35! Abbildung 6: Bedeutung des Wortes »Yoga« (Wolz-Gottwald, 2006) ....................... 38! Abbildung 7: The 5th Wave by Rich Tennant ............................................................ 39! Abbildung 8: Durch Achtsamkeit die Erleuchtungsfaktoren ins Gleichgewicht bringen (Allmen, 2007, S. 238)........................................................................................ 70! Abbildung 9: Verortung von Achtsamkeit innerhalb der buddhistischen Psychologie (Wasner, 2014, nach Olendzki, 2009) ................................................................ 71! Abbildung 10: Übersicht Achtsamkeitsübungen (Germer et al., 2009)...................... 85! Abbildung 11: Scientific evidence for complementary therapies (Quelle: McCandless, 2009, Cochrane.org, Meta-studies via pubmed.org) .......................................... 87! Abbildung 12: Anzahl an Publikationen zum Thema Achtsamkeit 1970-2009 (Mindfulness Research Monthly, Vol1. Num. 6, July 2010)................................ 88! Abbildung 13: Anzahl der Publikationen zum Thema Achtsamkeit für 2013-2014 (Quelle: Mindfulness Research Monthly Newsletter, eigene Darstellung) ......... 89! Abbildung 14: EEG Untersuchung des Genetikers und Buddhisten Matthieu Ricard bei Dr. Davidson, Madison. ................................................................................ 97! Abbildung 15: Zeitlicher Klärungsperspektive’ Verlauf von der T-Werte Meditations- für und die Skala ‚STEPP- Kontrollgruppe (nach Grepmair&Nickel, 2007, S. 46)......................................................................... 103! Abbildung 16: Zeitlicher Verlauf Problemlösungsperspektive’ der von T-Werte Meditations- für und die Skala ‚STEPP- Kontrollgruppe (nach Grepmair&Nickel, 2007, S. 46)......................................................................... 103! Abbildung 17: Zeitlicher Beziehungsperspektive’ Verlauf von der T-Werte Meditations- für und die Skala Kontrollgruppe ‚STEPP(nach Grepmair&Nickel, 2007, S. 47)......................................................................... 104! Abbildung 18: f4analyse – Screenshot der Codierung ............................................ 110! Abbildung 19: Profilmatrix - Ausschnitt .................................................................... 111! Abbildung 20: Demografischer Hintergrund der InterviewpartnerInnen .................. 113! Abbildung 21: Erfahrungshintergrund in der Psychotherapie .................................. 113! 188 Abbildung 22: Inhaltliche Ausrichtungen in der Psychotherapie.............................. 114! Abbildung 23: Erfahrungshintergrund in der Meditationspraxis ............................... 115! Abbildung 24: Inhaltliche Ausrichtungen in der Meditationspraxis .......................... 115! Abbildung 25: Arbeitsfelder in der therapeutischen Praxis ...................................... 116! Abbildung 26: Wirkfaktoren - Anzahl IP ................................................................... 117! Abbildung 27: Wirkfaktoren - Betonung ................................................................... 118! Abbildung 28: Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung - Anzahl IP .......... 125! Abbildung 29: Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung - Betonungen ...... 125! Abbildung 30: Einfluss auf Settingfragen – Anzahl IP ............................................. 140! Abbildung 31: Einfluss auf Settingfragen – Betonung ............................................. 140! Abbildung 32: Religiöse Aspekte – Anzahl IP ......................................................... 145! Abbildung 33: Religiöse Aspekte – Betonung ......................................................... 145! Abbildung 34: Übungen mit KlientInnen – Anzahl IP ............................................... 151! Abbildung 35: Übungen mit KlientInnen – Betonung ............................................... 152! Abbildung 36: Qualitätssicherung - Anzahl IP ......................................................... 157! Abbildung 37: Qualitätssicherung – Betonung ........................................................ 158! 189 6 Anhang 6.1 Profilmatrix – Zitate zu den Codes Dieser Anhang (168 Seiten) ist auf Anfrage separat erhältlich 6.2 Codesystem mit Originalzitaten Dieser Anhang (100 Seiten) ist auf Anfrage separat erhältlich 6.3 Profilmatrix – Häufigkeiten 190 Nennungen Betonung 1 1 0 0 1 0 0 Körperarbeit 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Traumatherapie 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Paare 1 0 0 0 0 0 0 0 1 Gruppen 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Erziehungs- u Familienberatung 1 0 0 0 0 0 0 0 1 Achtsamkeitslehrerin 1 0 0 0 0 0 0 1 0 8 3 2 1 2 2 1 1 1 13 1,6 4 3 1 0 0 1 0 2 0 7 1,8 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1,0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1,0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1,0 2 0 0 0 0 1 0 0 1 2 1,0 6 2 1 1 1 1 0 0 1 7 1,2 2 0 1 0 1 0 0 0 0 2 1,0 2 1 0 0 0 0 0 0 2 3 1,5 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Klara Gunther Claudia Waltraud Manfred 0 Erika Angelika Fritz 3 IP Gesamt Aufstellungsarbeit Summe 50 55 28 42 38 29 36 37 Erfahrungshintergründe Psychotherapie 0 0 0 0 0 0 0 0 vor Dharmapraxis 6 0 0 1 1 1 1 1 1 bis 1 Jahr 1 1 0 0 0 0 0 0 0 bis 5 Jahre 0 0 0 0 0 0 0 0 0 bis 10 jahre 0 0 0 0 0 0 0 0 0 bis 20 Jahre 2 0 1 0 0 0 0 1 0 bis 30 Jahre 4 0 0 0 1 1 1 0 1 mehr als 30 Jahre 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ausrichtung Gestalttherapie 3 0 0 1 0 0 1 1 0 Klientenzentriert 2 0 0 0 1 1 0 0 0 Transaktionsanalyse 2 0 0 0 0 1 1 0 0 Integrative Therapie 1 1 0 0 0 0 0 0 0 Psychodrama 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Verhaltenstherapie Tiefenpsychologie mit systemischen Erweiterungen 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 Meditationspraxis vor Psychotherapie 2 1 1 0 0 0 0 0 0 bis 1 Jahr 0 0 0 0 0 0 0 0 0 bis 5 Jahre 1 0 0 0 0 0 0 1 0 bis 10 Jahre 1 0 0 0 0 0 0 0 1 bis 20 Jahre 5 1 0 1 1 1 1 0 0 bis 30 Jahre 1 0 1 0 0 0 0 0 0 mehr als 30 Jahre 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ausrichtung Zen & MBSR 2 0 0 1 1 0 0 0 0 Vipassana & christliche Meditation 1 1 0 0 0 0 0 0 0 Tibetischer Buddhismus 2 0 1 0 0 0 0 0 1 Thich Nhat Hanh 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Arbeitsfelder Wirkfaktoren 1. Einfühlendes Verstehen, Mitgefühl, Empathie 2. Emotionale Annahme und Stütze, Akzeptanz, Selbstakzeptanz, Förderung positiver Verhaltensweisen/Mitgefühl für sich selbst 3. Hilfe bei der praktischen Lebensbewältigung 4. Förderung des emotionalen Ausdrucks und der Willenskraft 5. Förderung von rationaler Einsicht und Sinnerleben 6. Förderung von Beziehungsfähigkeit und kommunikativer Kompetenz 7. Förderung leiblicher Bewusstheit, Selbstregulation und psychophysischer Entspannung 8. Förderung von Lernmöglichkeiten, Lernprozessen und Interessen 9. Förderung kreativer Erlebnis- und Gestaltungsmöglichkeiten 10. Erarbeitung von positiven Zukunftsperspektiven 11. Förderung eines positiven Wertebezugs 12. Förderung von prägnantem Selbstund Identitätserlebens, sowie Souveränität Betonung Nennungen Klara Gunther Claudia Waltraud Manfred Erika Angelika Fritz IP Gesamt 13. Förderung tragfähiger sozialer Netzwerke 14. Ermöglichen von Solidaritätserfahrungen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 14 2,8 14 3,5 17 2,1 Auswirkungen auf therapeutische Beziehung Vertiefte Beziehung 5 1 4 0 3 3 0 3 0 stärker im Kontakt wahrnehmend 1 0 0 0 0 0 0 1 0 Beziehung wird inniger, tiefer 1 0 0 0 0 0 0 1 0 Auf gleiche Augenhöhe ausrichten 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Es geht um liebende Aufmerksamkeit Therapie nur möglich, wenn es eine Herzensverbindung gibt Eine sichere Bindung zur Verfügung stellend, über die Herzöffnung 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 bin liebesfähiger geworden Verbundenheit zu spüren, Intersein, wechselseitige Verflochtenheit 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 Handlungsspielraum in der Beziehungsgestaltung wird größer als in VT vorgesehen 1 0 0 0 1 0 0 0 0 loslassen nach jeder Stunde trotz loslassen zwischen den Stunden stabile Therapiebeziehung anbieten können 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Nachnährung wird verbessert 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Mitleid wird zu Mitgefühl 1 0 0 0 0 0 0 1 0 Mitgefühl wird am Polster trainiert 1 0 0 0 1 0 0 0 0 4 5 0 0 2 0 1 6 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Verringertes Kontrollbedürfnis Erkennen, wenn ich als Therapeutin etwas tun/sein/erreichen will Arbeitsweise ist nicht mehr so gefährlich, muss nicht mehr so viel kontrollieren 1 0 0 0 1 0 0 0 0 Kontrollbedürfnis wird weniger 2 0 0 0 1 0 0 1 0 Vorstellungen 'was sein sollte' loslassen Veränderungs- / Anpassungswunsch /-druck ist weniger geworden 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 Abgeben des Machen an ES soll machen 1 1 0 0 0 0 0 0 0 Nicht ICH mache, sondern ES geschieht Erkennen können, wenn ich versuche zu kontrollieren 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 Kreativer Raum jenseits des Ich Mache 1 1 0 0 0 0 0 0 0 Mit dem Lebendigen, dem Entwicklungspotenzial in Verbindung bleiben, Hoffnung 1 1 0 0 0 0 0 0 0 prozessuale Diagnostik eignet sich besser Abweichverhalten des Klienten innerlich tolerieren 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 Abwehrverhalten überwinden 1 0 0 0 0 0 0 1 0 Das Unangenehme unangenehm sein lassen 1 0 0 0 0 0 0 1 0 8 1 5 1 3 2 1 1 3 3 1 0 0 0 0 0 1 1 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 2 0 0 1 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Unmittelbare Wahrnehmung unmittelbare Wahrnehmen was ist, ohne Konzepte zu haben leibliche (energetische) Gegenübertragung kann ins Gespräch übertragen werden Vertrauensbasis schaffen, um eigene Wahrnehmungen anzubieten Spüren statt moralische und Werturteile richtig/falsch/Das Urteilen besser überwinden Am stärksten ist das "Nicht-Werten" Offensein für Widersprüchliches Leibliches Einfühlen, Körper als Wahrnehmungsorgan, Wahrheit vermitteln, Interkation auf Beziehungsebenehmen Präzise Wahrnehmung der Körpersprache und Sprache 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Übertragungsdynamiken bewusst werden 2 0 1 0 0 1 0 0 0 Klient in ihrem emotionalen Alter erfassen Wahrnehmung des Veränderlichen und Veränderbaren 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 muss niemanden bekehren 1 0 0 0 0 0 0 0 1 sich weniger von Sympathien beeinflussen lassen 1 0 0 0 0 1 0 0 0 Den Klienten vorurteilsfrei so sein lassen. 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 4 2 1 3 3 2 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 Therapien sind lustiger, entspannter geworden Viel leichter! Wie beim Eiskunstlauf - Ich laufe zum Großteil "Kür" 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 Humor kommt von Herzensgüte Sich Zeit lassen, das langsame sich begegnen, den Klient Zeit geben 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 0 unaufgeregt in aufgeregten Situationen 1 0 0 0 0 0 0 0 1 geduldiger 4 0 0 0 1 1 0 2 1 Therapie ist anstrengender als Meditation 1 0 0 0 0 0 0 1 0 6 3 0 1 2 0 1 2 1 Leiden besser aushalten, besser begleiten 2 0 0 0 0 0 1 1 0 unerschrockener mit Situationen umgehen "Die Katastrophe des Lebens" annehmen lernen, nicht alls weg machen wollen Sich nicht im Klienten verlieren, zentriert bleiben, wieder in Mitte finden Kontaktgrenze subtiler gestalten. Nicht ins Elend hineingezogen werden 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 2 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 Positive Auswirkung auf Nicht-Fürchten 1 1 0 0 0 0 0 0 0 Nicht-Fürchten wird als heilsam erlebt 1 1 0 0 0 0 0 0 0 weniger ängstlich was alles passieren kann Es darf auch was passieren, ohne dass sofort etwas daneben geht - entspannter 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 4 0 1 1 1 0 1 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 2 0 1 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 5 1 1 0 1 0 1 0 1 Selektive Offenheit wird erleichtert Modell Lernen durch in Resonanz gehen mit eigenem Weg 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 selektive Offenheit 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Das "sich Raum geben" hat Modellwirkung. Wahrnehmungsbereitschaft Dinge sein lassen u können ist sehr stark als Modell wirksam 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 3 0 1 0 1 0 0 0 2 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 1 6 3 3 2 1 0 2 0 1 2 0 0 2 0 0 1 0 0 2 1 0 0 1 0 0 0 0 2 1 4 0 0 0 0 0 0 2 1 1 0 0 0 0 0 0 3 0 1 2 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 1 0 0 angstfreier Abgrenzungsthematik Wohlwollende Neutralität - Verbundenheit & Unterscheidung gleichzeitig Anderes Verständnis von Abgrenzung vs Verbundensein Inneren Raum weiten statt sich abzugrenzen Modellwirkung Verbesserte Defusion Gleichmut gegenüber Emotionen und Gedanken entwickeln Bewußtsein der subjektiven, konstruierten Weltsicht, also die Klientenperspektive Ich erschaffe die Welt durch Projektion. Trennung von Welt und Ich-Bw spielt sich in Logik ab. Nicht mehr auf jeden emotionalen Zug aufspringen nach Retreats Wahrnehmung der leiblichen Resonanzphänomene wird präziser, zeitlich unmittelbarer, geschärft, leichter, weniger angestrengt Eigenes Erleben ist Grundlage für die Vermittlung der Achtsamkeits-Haltungen (dass sich Gefühle verändern können) Eigene Themen aus Retreat kommen danach bei Klienten, habe dann Vorsprung, De-Identifikation mit eigenen Prozessen leichter, besser aus Konfluenz lösen/Weniger ärgern, die Themen bei den Klienten lassen Besser bei sich zentriert bleiben können Therapeutische Arbeit als Dharmapraxis zu sehen, wo die Übung nie aufhört, Mitgefühl für andere wächst mit Mitgefühl für sich selbst Unterscheidung ob weiter Therapie oder doch besser mit Freundin reden erleichtert. Betonung 5 Arbeit wird ruhiger, lustiger, entspannter Arbeit wird entspannter, mehr Vertrauen durch Nicht-wissen-müssen Nennungen Klara Gunther Claudia Waltraud Manfred Erika Angelika Fritz IP Gesamt Entspannter Arbeitsmodus 14 2,8 11 1,8 4 1,0 5 1,0 4 1,3 17 2,8 10 2,5 Einfluss auf Settingfragen Finanzielle Unabhängigkeit 4 2 5 0 0 1 0 2 0 Kontraktgestaltung unabhängiger von eigener existentieller Situation 3 1 1 0 0 0 0 1 0 Rücksichtnahme auf finanzielle Situation 2 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Im Fluss sein auf finanzieller Ebene, vertrauen 2 1 1 0 0 0 0 0 0 Andere Einkommensquellen haben 1 0 1 0 0 0 0 0 0 5 0 2 0 1 3 2 1 0 Dem Klienten überlassen/außer in kritischen Phasen/Wertfreiheit, Klient kann frei entscheiden ob wir miteinander arbeiten wollen 2 0 2 0 0 0 0 2 0 Klient leichter loslassen können 1 0 1 0 0 0 0 0 0 im Vertrauen auf seine Buddha-Natur Spürbar, es ist ein Weg zu Ende, aber Heilung geht weiter durch Fokussierung auf formulierte Ziele des Klienten Durch intesivere Meditation wird die Essenz der therap. Beziehung spürbarer und dadurch etwaiges Therapieende leichter ansprechbar 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 weniger Therapieabbrüche Beziehung, Interbeing, über Therapieende hinaus/Beispiel - Lernen von Sozialkontakten nur außerhalb der Therpaie - aber mit Therapeutin - möglich 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 2 0 0 0 0 2 1 1 0 0 0 0 0 0 2 1 2 0 0 0 0 0 0 Therapiedauer professionelle Netzwerke nicht von Infos an Zuweiser beeinflussen lassen/Welche Klienten kann ich annehmen, welche Netzwerke kann ich nutzen/für meinen Bedarf an persönlichem Freiraum/ (ethische Dimension) Betonung 1 Nennungen Klara Gunther Claudia Waltraud Manfred Erika Angelika Fritz IP Gesamt Die Interessen des anderen besser wahrnehmen, nicht von meinen eigenen geleitet werden Trotz defacto-Abhängigkeit sich geistig von Bindung an Klienten freimachen 12 2,4 3 1,5 17 2,8 11 1,8 7 2,3 7 1,4 Religiöse Aspekte Religionsfreiheit gewährleistet 6 1 1 0 1 3 3 0 4 Religionsfreiheit ist gewährleistet/Menschen nicht religiös / philosophisch /spritituell beinflussen/kein missionarischer Auftrag 4 0 3 0 1 0 1 0 1 Die Rolle des Buddhismus 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Buddhismus wird als solcher gar nicht erwähnt 3 0 0 0 0 1 1 0 1 kann eine Überreligiöse Sprache Buddhistische meditation ist kein Widerspruch zur christlichen Kultur (ist Theologe) es benennen, wenn jemand bewußt danach sucht 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 Haltung, auf die andere Ansätze aufsatteln Verantwortung für Auswirkungen ohne KarmaBegriff/Ethik als guideline - ohne Dogmas Meditationspraxis durchwirkt mein ganzes Leben, ist völlig integriert./Achtsamkeit erstreckt sich über den ganzen Tag, von privat über Arbeit dann wieder zu privat 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 2 1 0 0 0 0 0 2 0 0 6 2 1 1 1 1 0 0 1 4 1 1 1 2 0 0 0 0 3 4 0 0 0 1 0 0 1 3 0 0 4 0 1 0 2 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 2 0 0 1 0 0 0 1 0 5 0 1 0 1 2 2 0 1 2 0 0 0 0 1 0 0 1 Erfahrungsbasiert Die Erfahrung ist entscheidend, nicht die Methoden oder Konzepte, oder metaphysische Spekulationen Verankerung in Leibmitte / Fokus auf das IN uns liegende, der Buddha-Natur / Selbstverantwortung / Achtsamkeitskonzept ist transkonfessionell / kein externer Gott Spiritualität Spiritualität heißt ein Kind der Erde werden (weltimmanent zu sein) Spiritualität als Entwicklung zum körperlosen Geist ist tragischer Irrtum Spir ist Dialogisch - Im Wechsel zw Verbundenheit und Autonomie - auf allen Ebenen SPIRIT ist Zugang zum Göttlichen Kern finden/Therapie mit dieser Ausruchtung ist implizit spirituell SPIRITU In Kontakt mit mir selbst sein SPIRITU Nicht nur mich im Auge haben, sondern alle Wesen/Bewusstsein für die Verbindung aller Wesen. Übungen mit Klienten Atemübung Anleiten zum bewussten Atmen 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 Abwägen, wie ich die Atem-Übung benenne 1 0 0 0 0 1 0 0 0 keine Atemübungen anleiten 1 0 0 0 0 0 1 0 0 3 0 0 1 0 1 0 1 0 3 0 0 1 0 2 0 1 0 4 1 1 0 0 1 0 1 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 2 0 1 0 5 0 0 0 2 2 3 2 2 Bodyscan Bodyscan & Körperwahrnehmung Defusionstechniken Ich-Wahrnehmung differenzieren, Wahrnehmungsübungen bei Beginn mit Gruppen De-Identifikation mit Lebensgeschichte Beobachterperspektive auf Gedanken und Gefühle zur Distanzgewinnung einnehmen Meditation Meditation ersetzt nicht Psychotherapie, das sind zwei Wege 3 0 0 0 1 0 0 1 1 noch nie jemanden gesagt er soll meditieren Die Übungen nicht als Meditation benennen oder in eine Richtung werben Achtsamkeit hilft bei Wahrnehmung was kann der Klient nehmen - Atemübung oder nicht. 1 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 Antwort geben wenn jemand danach fragt 1 0 0 0 0 0 1 0 0 Bei Indikation Vorschlag zu MBSR Kurs 1 0 0 0 0 0 0 1 0 kein Achtsamkeitstraining, sondern nur Elemente 1 0 0 0 0 1 0 0 0 Meditation anleiten Aufstellungsarbeit ist hoch buddhistisch Unsinnigkeit von Wertungen wird leiblich erfahrbar 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 1 0 0 3 0 2 0 1 1 0 0 0 Hinweisen auf die eigene Buddha-Natur - durch Geschichten 2 0 0 0 1 1 0 0 0 Methode des Widmens bei Schuldgefühlen 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Mitfreude gegen Neid bei Kinderwunsch 1 0 1 0 0 0 0 0 0 Buddhistische Techniken Betonung 1 Tiefer atmen als Modell für KlientIn Sich 5 Minuten für sich und das Thema Zeit nehmen Nennungen Klara Gunther Claudia Waltraud Manfred Erika Angelika Fritz IP Gesamt Atemmeditation 5 Minuten zu Beginn um Verbindung herzustellen 4 1,3 5 1,3 11 2,2 4 1,3 9 1,3 4 1,0 6 1,5 Qualitätssicherungsaspekte verbessertes Selbstmanagement 7 2 1 1 0 2 1 1 1 verbessertes Selbstmanagement 1 1 0 0 0 0 0 0 0 Selbstfürsorge 1 0 0 0 0 0 1 0 0 Spüren, wieviel Stunden pro Tag möglich sind leistungsfähiger - Kann im Alter mehr arbeiten und es ist weniger anstrengend Burnout Prophylaxe, gegen Verhärtung und Zynismus - ohne spirituelle Praxis nicht machbar 1 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 Prävention für psychosomatische Beschwerden 1 0 0 0 0 0 0 0 1 Viel Mitgefühl-Training ohne auszupowern Hilfe, wenn man in der Therapie nicht weiter weiß Verbesserte Selbstwahrnehmung führt zu besserer Wahrnehmung des Klienten 1 0 1 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 4 1 1 1 0 0 1 0 0 nicht im Leidensraum des anderen verlieren 1 0 0 0 0 0 1 0 0 Durch das Dunkle nicht nach unten ziehen lassen Verlust Trauer mit Einfachheit geschützt Halten können 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 Klient nicht "nach Hause" mitnehmen 1 0 1 0 0 0 0 0 0 4 1 0 1 3 0 1 0 0 Meditation als Basisübung 1 0 0 1 0 0 0 0 0 (Zen) Meditation die radikalste Selbsterfahrung Meditation/Schweigen ist radikalste Form der Selbsterfahrung Dharmapraxis & Lehre die beste Weiterbildung die ich gemacht habe (in 30 Jahren) 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 Psychotherapie alleine wäre mir zu wenig. 2 1 0 0 1 0 0 0 0 Abgrenzungsthematik Meditation als Basisübung