Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- ... Seite 1 von 20 Kindheit und Entwicklung April 2004 Vol. 13, No. 2, 80-96 © 2004 Hogrefe-Verlag Göttingen For personal use only--not for distribution doi: 10.1026/0942-5403.13.2.80 Übersichten Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- und Jugendalter: Ein evidenzbasierter Diskussionsvorschlag Silvia Schneider Klinische Kinder- und Jugendpsychologie, Universität Basel Manfred Döpfner Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Klinikum der Universität zu Köln Zusammenfassung. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, eine Diskussion über evidenzbasierte Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen des Kindes- und Jugendalters zu initiieren. In den letzten Jahren kam es zu wichtigen Fortschritten in der Klassifikation, klinischen Beschreibung und Epidemiologie dieser Störungsbilder, die zunächst einleitend vorgestellt werden. Eine reliable und valide Angstdiagnostik bei Kindern und Jugendlichen kann heute durch eine Kombination aus standardisierter Selbst- und Fremdbeurteilung gewährleistet werden. Die Zusammenschau der empirischen Befunde zur Psychotherapie macht deutlich, dass lediglich verschiedene Varianten standardisierter kognitiver Verhaltenstherapie mit und ohne Elterntraining als empirisch fundierte Psychotherapie bezeichnet werden können. Als möglicherweise wirksam zeigten sich nondirektive und psychodynamische Psychotherapien. Abschließend werden Rahmenbedingungen und Bausteine evidenzbasierter Psychotherapie der Angst- und Phobischen Störungen des Kindes- und Jugendalters dargestellt. Schlüsselwörter: Leitlinien, Diagnostik, Therapie, Angststörungen, Phobische Störungen, Kindesund Jugendalter Guidelines for the assessment and psychotherapy of anxiety and phobic disorders in childhood and adolescence: An evidence-based discussion paper Abstract. The present article aims to initiate a discussion about evidence-based psychotherapy for anxiety disorders and phobias in childhood and adolescence. Recent years have witnessed major advances in the classification, clinical description, and epidemiology of these frequent and disabling disorders. Reliable and valid diagnoses can be ensured by a combination of child and parent reports. Summarizing psychotherapy studies, it has consistently been found that CBT approaches are successful in treating child and adolescent anxiety using different combinations of participants (child alone or family together). In addition, there is preliminary support for nondirective and psychodynamic treatments. Finally, settings and ingredients of evidence-based psychotherapy are described. Keywords: guidelines, assessment, treatment, anxiety disorders, phobia, childhood and adolescence http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- ... Seite 2 von 20 In den letzten Jahren sind verstärkt Bemühungen unternommen worden, die Behandlung psychischer Störungen auf der Basis empirischer Daten zu planen und durchzuführen. In diesem Zusammenhang wurden von verschiedenen Gesellschaften und Berufsverbänden Leitlinien für die Diagnostik und Behandlung psychischer Störungen vorgelegt. Für die psychotherapeutische und psychopharmakologische Behandlung psychischer Störungen des Kindes- und Jugendalters wurden im deutschen Sprachraum von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, der Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und dem Berufsverband der Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie solche Leitlinien erstmals im Jahr 2000 bereitgestellt, eine überarbeitete Auflage erschien 2003. Die Fachgruppe für Klinische Psychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und die Bundesvereinigung Verhaltenstherapie im Kindes- und Jugendalter plant ebenfalls, Leitlinien für die psychotherapeutische Behandlung psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter herauszugeben. In den USA hat die American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (1997) Leitlinien für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Angststörungen entwickelt. Das vorliegende Papier möchte eine Diskussionsgrundlage für die Bereitstellung von Leitlinien zur evidenzbasierten Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- und Jugendalter geben. Dabei wird versucht, soweit dies möglich ist, die Empfehlungen anhand empirischer Daten zu formulieren. Sofern keine empirischen Befunde zu bedeutsamen Fragestellungen bzgl. Diagnostik oder Psychotherapie vorliegen, werden Empfehlungen aufgrund klinischer Erfahrungen vorgenommen. Diese sind entsprechend kenntlich gemacht. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die Klassifikation, das Erscheinungsbild und die Epidemiologie von Angst und Phobischen Störungen des Kindes- und Jugendalters gegeben, bevor Leitlinien für das diagnostische Vorgehen und die psychotherapeutische Behandlung benannt werden. Es wird dabei auf die Störung mit Trennungsangst, die Phobische Störung, die Störung mit sozialer Ängstlichkeit und Generalisierte Angststörung des Kindes- und Jugendalters eingegangen. Auf die Darstellung der beiden Angststörungen Panikstörung und Agoraphobie wird in diesem Überblick verzichtet, da beide Störungsbilder in der Regel erst im späten Jugendalter bzw. jungen Erwachsenenalter auftreten. In diesem Fall kann auf Leitlinien für die Psychotherapie psychischer Störungen im Erwachsenenalter zurückgegriffen werden. Klassifikation und Leitsymptome der Angststörungen im Kindes- und Jugendalter In den aktuell gültigen Forschungskriterien der ICD-10 werden separate Kriterien für insgesamt vier Angststörungen im Kindes- und Jugendalter definiert (Remschmidt, Schmidt & Poustka, 2001). Unter der Kategorie emotionale Störungen des Kindesalters (F93) werden die folgenden Störungsbilder voneinander unterschieden: die emotionale Störung mit Trennungsangst, die phobische Störung, die Störung mit sozialer Ängstlichkeit und die generalisierte Angststörung des Kindesalters. Darüber hinaus können nach der ICD-10 auch Angststörungen des Erwachsenenalters (z. B. Spezifische Phobie, Soziale Phobie, Generalisierte Angststörung) bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert werden. Die Phobische Störung (F93.1) und die Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters (F93.2) soll in der ICD-10 nur dann gegeben werden, wenn die Befürchtungen des Kindes entwicklungsphasenspezifisch sind. Damit ist gemeint, dass zumindest zu Beginn der Angststörung die Mehrheit der Kinder in dieser Altersphase ähnliche Ängste und Befürchtungen aufwiesen (z. B. Furcht vor Tieren im Vorschulalter). Gleichzeitig wird in der ICD-10 darauf hingewiesen, dass diese beiden Angststörungen des Kindesalters eindeutige Ähnlichkeiten mit den entsprechenden Störungen des Erwachsenenalters aufweisen. Insgesamt ist die in der ICD-10 vorgenommene Klassifikation für den Kinder- und Jugendpsychotherapeuten kompliziert und muss kritisch betrachtet werden: Für die vorgenommene Abgrenzung der Angst- und Phobischen Störungen des Kindesalters von denen des Erwachsenenalters ist die empirische Basis bisher eher schwach. Dies wird selbst von den Autoren der ICD-10 einschränkend erwähnt (Remschmidt et al., 2001, S. 47 f). Das DSM-IV (Saß et al., 1996) unterscheidet sich vom ICD-10 bei der Diagnostik von Angststörungen in wesentlichen Punkten. Das DSM-IV klassifiziert Angststörungen mit Ausnahme der Störung mit Trennungsangst im Rahmen der allgemeinen Kategorien der Angststörungen (F40/F41), die auch für das Erwachsenenalter gelten. Bei manchen Diagnosen von Angststörungen sind jedoch einige spezifische Kriterien für das Kindesalter aufgenommen worden, wodurch die Notwendigkeit einer separaten Diagnose für das Kindesalter entfällt. Kinder und Jugendliche erleben (oder zumindest beschreiben) weniger die typischen vegetativen Anzeichen von Ängsten, http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- ... Seite 3 von 20 wie sie üblicherweise von Erwachsenen berichtet werden. Das ICD-10 nimmt (im Gegensatz zu DSM-IV) in den allgemeinen Angstkategorien (F40/F41) bei der Definition der Angststörungen sehr stark Bezug auf diese vegetativen Komponenten. Daher ist es meist sinnvoll, bei sozialen Ängsten, umschriebenen Phobien und generalisierten Angststörungen im Kindesalter die entsprechenden Kategorien von F93 zu verwenden. Im Jugendalter können auch die allgemeinen Kategorien von F40/F41 gewählt werden, wenn die Angststörung erwachsenentypisch ist (vgl. Döpfner, 2000). Die in der ICD-10 vorgenommene Unterscheidung führt in der klinischen Praxis nicht selten zu Zuordnungsproblemen. Hier bedarf es dringend weiterer Forschung, um die Unterscheidung zu rechtfertigen bzw. eindeutige Regeln für die Zuordnung zu den Störungsbildern festzulegen (vgl. hierzu auch Poustka, 1994, S. 223 f). Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters (F93.0) Kinder mit einer Störung mit Trennungsangst zeigen eine übermäßig starke und unrealistische Angst in Erwartung der oder unmittelbar bei einer Trennung von den Eltern oder anderen engen Bezugspersonen. Sie befürchten, den Eltern oder ihnen selbst könnte in solchen Situationen etwas Schlimmes zustoßen, was sie dauerhaft voneinander trennen würde (z. B. Autounfall der Eltern, Entführung des Kindes). Häufig vermeiden diese Kinder, abends alleine einzuschlafen, mit einem Babysitter zu Hause bleiben, alleine tagsüber zu Hause zu bleiben, bei Freunden zu übernachten, zum Kindergarten bzw. zur Schule zu gehen. Die Kinder können eine gereizte, aggressive oder auch apathische Stimmung aufweisen, wenn eine Vermeidung der Trennungssituation nicht möglich ist. So kann das Kind weinen, schreien, um sich schlagen oder sich an die Bezugsperson klammern, mit dem Ziel, die anstehende Trennung zu verhindern. Körperliche Symptome treten ebenfalls auf und umfassen typischerweise somatische Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen. Weitere Symptome der Trennungsangst sind Träume, von den Eltern getrennt zu sein, oder bei jüngeren Kindern das Bedürfnis, immer in unmittelbarer Nähe der Bezugsperson zu sein. Die Kinder zeigen extremes Leiden in Erwartung, während oder unmittelbar nach der Trennung von den Eltern oder der Bezugsperson. Die Störung muss vor dem 6. Lebensjahr begonnen haben, über mindestens vier Wochen anhalten und das Vorliegen einer generalisierten Angststörung des Kindesalters muss ausgeschlossen werden. Spezifische Phobie (F40.2)/ Phobische Störung des Kindesalters (F93.1) Kinder mit einer Spezifischen Phobie zeigen eine unangemessene, anhaltende und starke Angstreaktion gegenüber bestimmten Objekten, Situationen oder Tieren, von denen keine reale Gefahr ausgeht. Die Angst tritt in der Regel unmittelbar durch die Konfrontation mit dem phobischen Stimulus (z. B. Hund) auf. Das Kind reagiert häufig in Form von Schreien, Wutanfällen, Gelähmtsein oder Anklammern an eine Bezugsperson. Üblicherweise beginnen die betroffenen Kinder mit der Zeit, die gefürchtete Situation zu vermeiden. Stark ausgeprägte Phobien führen zu erheblichen Beeinträchtigungen des Kindes in den Bereichen Familie, Schule und Freizeit. Die Phobie muss über mindestens vier Wochen bestehen und darf nicht mit einer generalisierten Angststörung des Kindesalters einhergehen. Wie bereits oben diskutiert werden in der ICD-10 zwei Formen von phobischen Störungen unterschieden. Für entwicklungsphasenspezifische Ängste (z. B. Angst vor Phantasiegestalten, Dunkelheit), die anhaltend oder wiederkehrend auftreten, ein abnormes Ausmaß angenommen haben und zu einer deutlichen sozialen Beeinträchtigung geführt haben, steht in der ICD-10 die Kategorie Phobische emotionale Störung des Kindesalters (F93.1) zur Verfügung. Handelt es sich um eine eng umgrenzte Furcht (z. B. enge Räume), die nicht http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- ... Seite 4 von 20 entwicklungsphasenspezifisch ist, kann die Diagnose Spezifische Phobie (F40.2) gegeben werden. Die häufigsten Inhalte der phobischen emotionalen Störung des Kindesalters bzw. der Spezifischen Phobie sind bei Vorschulkindern Angst vor Fremden, Dunkelheit und Tieren; bei Grundschulkindern kommen Ängste vor Stürmen, Gewitter und um die eigene Sicherheit hinzu. Bei den 12 - 17-Jährigen sind die häufigsten Angstinhalte Angst vor Blut, Tieren, Naturkatastrophen und vor Situationen wie enge Räume, Höhen etc. (Muris et al., 2000). Soziale Phobie (F40.1)/ Störung mit sozialer Ängstlichkeit (F93.2) Die Soziale Phobie/Störung mit sozialer Ängstlichkeit ist durch eine anhaltende Angst in sozialen Situationen charakterisiert, in denen das Kind auf fremde Erwachsene oder Gleichaltrige trifft. Das Kind zeigt große Befangenheit, Verlegenheit oder auch übertriebene Sorge über die Angemessenheit seines Verhaltens gegenüber der fremden Person. In Erwartung oder während der gefürchteten sozialen Situation kommt es zu körperlichen (Herzklopfen, Zittern, Schwitzen, Erröten, Schwächegefühl, Übelkeit) und kognitiven Reaktionen (die anderen werden mich auslachen) sowie Verhaltensänderungen (Weinen, Schweigen, Weglaufen). In der Regel ist durch die Soziale Phobie die soziale Kontaktfähigkeit des Kindes eingeschränkt, und es besteht ein erheblicher Leidensdruck. Zu Familienmitgliedern und gut bekannten Gleichaltrigen besteht meist ein recht inniges Verhältnis. Anders als Erwachsene sind Kinder oft nicht in der Lage, den Grund ihrer Ängste zu benennen. Insbesondere bei jüngeren Kindern kann es sein, dass die Einsicht bezüglich der Unangemessenheit ihrer Ängste nicht vorhanden ist. Die Störung mit Sozialer Ängstlichkeit (F93.2) muss vor dem 6. Lebensjahr beginnen, mindestens vier Wochen anhalten und darf nicht mit einer Generalisierten Angststörung des Kindesalters einhergehen. Für die Diagnose einer Sozialen Phobie (F40.1) wird keine Altersbeschränkung bezüglich Beginn und auch keine Mindestdauer der Störung festgelegt. Darüber hinaus kann bei der Diagnose Soziale Phobie gleichzeitig auch eine Generalisierte Angststörung vorliegen. Generalisierte Angststörung des Kindesalters (F93.80)/ Generalisierte Angststörung (F41.1) Kinder oder Jugendliche mit Generalisierter Angststörung des Kindesalters machen sich übermäßig starke oder unbegründete und nicht kontrollierbare Sorgen über verschiedene Situationen und Lebensbereiche: Sorgen über Kleinigkeiten wie Unpünktlichkeit, Sorgen darüber, sich richtig verhalten zu haben, gut genug in der Schule oder im Sport zu sein oder genug Freunde zu haben. Viele dieser Kinder haben ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung und Rückmeldung über erbrachte Leistungen und ihr sonstiges Verhalten. Kennzeichnend für diese Störung ist weiterhin das Auftreten körperlicher Symptome der Nervosität und Anspannung. So klagen diese Kinder häufig über Ein- und Durchschlafprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten in der Schule oder bei den Hausaufgaben, Muskelverspannungen, Müdigkeit und Reizbarkeit. Des Weiteren kann es zu Nägel kauen oder Haare drehen kommen, insbesondere während das Kind sich sorgt oder grübelt. Die Sorgen und Ängste müssen sich auf mehrere Bereiche beziehen (z. B. Schule und Familie) und beinhalten nicht nur Sorgen, die in Verbindung mit einer anderen psychischen Störung stehen (z. B. Angst vor Trennung von der Bezugsperson). Der Beginn der Störung muss vor dem 18. Lebensjahr liegen, die Sorgen müssen über mindestens 6 Monate anhalten und an mehr als der Hälfte der Tage vorhanden sein. Die Sorgen und Ängste dürfen nicht Folge einer Substanzaufnahme (z. B. psychotrope Substanzen, Medikamente) oder einer organischen Erkrankung (z. B. Hyperthyreose) sein. Bei Jugendlichen kann auch die Diagnose einer generalisierten Angststörungen (F41.1) gestellt werden, wenn die Angststörung von Inhalt und Ausprägung her erwachsenentypische Merkmale aufweist. Komorbidität Weiterhin zeigen epidemiologische Studien, dass Angststörungen eine hohe Komorbidität aufweisen (Überblick bei Essau et al., 2004). So erfüllen beispielsweise Kinder mit Trennungsangst häufiger auch die Diagnosekriterien für eine Spezifische Phobie oder Sozialphobie. Darüber hinaus entwickeln sich mit zunehmender Chronifizierung der Angststörungen auch Depressive Störungen. Ein Teil der Kinder zeigt ein Komorbiditätsmuster mit externalisierenden Störungen (z. B. Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen, Störung mit oppositionellem Trotzverhalten) (Plück et al., 2000). Verlauf http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- ... Seite 5 von 20 Der Beginn von Angststörungen ist je nach Art der Störung unterschiedlich (Überblick bei Essau et al., 2004). Den frühesten Beginn zeigen Trennungsängste und Spezifische Phobien, die bereits im Kleinkindalter auftreten können. Im Kindesalter treten erste Generalisierte Angststörungen auf und die Soziale Phobie zeigt einen Auftretensgipfel in der Adoleszenz, kann aber auch bereits im Kindergartenalter auftreten. Agoraphobien sind nach der Adoleszenz zu beobachten mit einem Erstauftretensgipfel im jungen Erwachsenenalter. Während über lange Zeit Ängste im Kindesalter als passagere Entwicklungsphasen betrachtet wurden, belegen neue Forschungsarbeiten, dass Angststörungen in der Kindheit zumindest für einen Teil der Betroffenen stabil sind (z. B. Keller et al., 1992) bzw. ein Risikofaktor für die Ausbildung psychischer Störungen, wie Angststörungen, Depressionen oder Substanzabhängigkeit im Erwachsenenalter sind (z. B. Pine et al., 1998; Schneider & Nündel, 2002; Woodward & Fergusson, 2001). Im Folgenden werden nun auf der Basis empirischer Befunde Empfehlungen für die Diagnostik und Psychotherapie von Phobischen und Angststörungen des Kindes- und Jugendalters gegeben. Diagnostisches Vorgehen In der Diagnostik von Phobien und Angststörungen im Kindes- und Jugendalter müssen folgende Besonderheiten beachtet werden: Kinder zeigen über die verschiedenen Entwicklungsphasen eine Reihe von Ängsten, die bei fast allen Kindern zu finden und entsprechend für diese Altersphasen als normal zu betrachten sind (z. B. AchtMonats-Angst, Dunkelangst). Es muss daher bei der Diagnose einer Phobie oder Angststörung immer beurteilt werden, inwieweit die Angst des Kindes altersgemäß oder übermäßig ist. Zudem kann es sein, dass das ängstliche Verhalten nicht generell, sondern nur in bestimmten Situationen (z. B. Schule) auftritt. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Tatsache, dass sich Eltern und Kinder in ihren Angaben zur Art und Häufigkeit von Symptomen beim Kind z. T. stark unterscheiden (Schneider et al., 1995). Am schlechtesten stimmen Eltern und Kinder dann überein, wenn sie über die innere Befindlichkeit des Kindes befragt werden (Plück et al., 1997). Es wird daher empfohlen, bei Angststörungen und Phobien mehrere Informationsquellen und diagnostische Methoden miteinander zu kombinieren. Insbesondere die direkte Befragung des Kindes ist für die detaillierte Erfassung der Angst unerlässlich. In der diagnostischen Phase gilt es zunächst die folgenden Fragen zu klären: 1. Was ist die primäre psychische Störung des Kindes (sorgfältige Differenzialdiagnostik nach ICD-10)? 2. Liegen zusätzliche, komorbide Störungen vor, die im weiteren Verlauf der Therapie behandelt werden müssen? 3. Was sind die konkreten auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen für das Problemverhalten des Kindes? Die diagnostische Phase enthält idealerweise die folgenden Schritte: 1. Gemeinsames Erstgespräch mit Eltern und Kind zur Klärung eines allgemeinen Eindrucks und Vermittlung eines Überblicks für das weitere Vorgehen. Dabei ist auf den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung vor allem bei ängstlichen Kindern besonders zu achten (ausführliche Hinweise siehe Döpfner, 2000). 2. Diagnostische Einordnung einschließlich Differenzialdiagnostik mithilfe reliabler und valider standardisierter Verfahren (z. B. strukturiertes Interview, Diagnose-Checklisten), jeweils separat mit Eltern http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- ... Seite 6 von 20 bzw. Kind (CASCAP-D: Döpfner et al., 1999; DISYPS-KJ: Döpfner & Lehmkuhl, 2000; Kinder-DIPS: Unnewehr, Schneider & Margraf, 1995). Häufig werden auch halbstrukutrierte Explorationsschemata benutzt, z. B. das Explorationsschema für Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter (EPSKI; Döpfner et al., 2000). Solche Explorationsschemata erlauben neben der Erfassung der aktuellen Symptomatik auch die Erhebung der Entwicklungsgeschichte, sowie der psychosozialen Bedingungen. 3. Medizinische Differenzialdiagnostik zum Ausschluss organischer Ursachen. 4. Einsatz reliabler und valider Fragebogen und evtl. Tagebücher (vgl. Tab. 1 und 2). 5. Detailanalyse der auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen. Eine Intelligenzdiagnostik ist bei einer Angstsymptomatik nicht zwingend notwendig. Sie ist dann indiziert, wenn sich aus der Anamnese Hinweise auf Entwicklungsverzögerungen ergeben oder wenn schulische Leistungsprobleme vorliegen, insbesondere wenn ausgeprägte Leistungsängste und damit verbundene Leistungsschwächen bzw. -defizite auftreten (vgl. Suhr & Döpfner, 2000). Fragebogen Bei der Diagnostik von Angststörungen können Fragebogenverfahren sehr hilfreich sein, weil sie auf eine ökonomische Weise eine Übersicht über die Auffälligkeiten und Probleme des Kindes oder Jugendlichen geben und weil sie es ermöglichen, die Perspektiven verschiedener Beurteiler (Eltern, Erzieher, Lehrer, Jugendliche selbst) miteinander zu vergleichen. Außerdem fällt es manchen Kindern und Jugendlichen leichter, Probleme zunächst per Fragebogen anzugeben. Wegen der hohen Komorbiditätsraten bei Kindern und Jugendlichen mit Angst- und Zwangsstörungen empfiehlt es sich, neben Fragebogen zur Erfassung von Angststörungen auch Fragebogenverfahren einzusetzen, die ein breites Spektrum psychischer Auffälligkeiten erfassen (z. B. Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen, CBCL 4 - 18; Fragebogen für Jugendliche, YSR; Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1998 a, b; Übersicht bei Döpfner et al., 2000). Für die Selbst- und Fremdbeurteilung der Angstsymptomatik des Kindes und Jugendlichen können die in Tabelle 1 und 2 vorgestellten Verfahren eingesetzt werden. Für die Selbstbeurteilung der Angstsymptomatik eignen sich sowohl Verfahren, die die DSM- und ICD-Kriterien anhand eines Fragebogens erfassen (FBB-ANG/SBB-ANG), als auch Verfahren, die wichtige Angstkonstrukte (z. B. CASI: Angstsensitivität, SASC-R-D: Angst vor negativer Bewertung) dimensional erfassen. Neben den in den Tabellen aufgeführten störungsbezogenen Fragebogen können auch Fragebogenverfahren hilfreich sein, die Erziehungsverhalten oder familiäre Beziehungen erfassen, z. B. das Erziehungsstil-Inventar (ESI) von Krohne und Pulsack (1995). Das ESI befragt Kinder und Jugendliche (8 - 16 Jahre) über ihre Wahrnehmung des elterlichen Erziehungsstils und zwar getrennt für Mutter und Vater. Es erfasst die folgenden vier Komponenten: Einschränkung und Inkonsistenz (Kontrollverlust), Negative Rückmeldung, Lob und Unterstützung. Medizinische Differenzialdiagnose Aufgrund der begleitenden körperlichen Beschwerden des Kindes darf auf eine organische Differenzialdiagnose nicht verzichtet werden. Hierzu bietet es sich an, mit dem zuständigen Pädiater des Kindes Kontakt aufzunehmen, der das Kind meist schon gut kennt. In unserer klinischen Erfahrung zeigt sich immer wieder, dass der Bericht der Eltern und der des behandelnden Arztes zur Verursachung der somatischen Beschwerden nicht übereinstimmen müssen. So können Eltern organische Ursachen für die körperlichen Beschwerden des Kindes berichten, die vom Arzt nicht bestätigt werden. Eine solche Diskrepanz ist von großer Bedeutung für die weitere Therapie und sollte daher immer geprüft werden. Analyse der auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- ... Seite 7 von 20 Die folgenden Punkte sollten mit dem Kind und den Eltern im Gespräch erarbeitet werden, da sie die Grundlage für die Planung einer evidenzbasierten Psychotherapie darstellen: Aufrechterhaltung Die konkreten auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen für die Angstsymptomatik des Kindes müssen exploriert werden. Folgende Aspekte sollten erfragt werden: Was sind die konkreten angstauslösenden Reize (Situationen, Objekte, Tiere, Gedanken)? Wie reagiert das Kind auf die angstauslösenden Reize? Körperlich: z. B. Bauchschmerzen, schnelles Herzklopfen, veränderte Atmung, Hitzegefühl Kognitiv: Gedanken an Bedrohung, Katastrophen etc. Verhalten: Weinen, Anklammern an Bezugsperson, Rückzug aus Situation, Schreien, aggressives Verhalten etc. Operantes Lernen: Wie reagieren die Eltern oder andere Bezugspersonen in der angstauslösenden Situation? übertriebene Beruhigung, Unterstützung von Vermeidungsverhalten des Kindes, aggressives, impulsives Verhalten, übermäßige Zuwendung bei ängstlichem Verhalten Modell-/Instruktionslernen: Modellverhalten der Eltern oder anderer Bezugspersonen bzw. Instruktionen der Eltern an das Kind Ängstlichkeit/Psychopathologie der Eltern Umgang der Eltern mit eigenen Ängsten, schwierigen Situationen (z. B. Vermeidung von Ängsten, problemfokussierender oder emotionsfokussierender Copingstil) Instruktionen an das Kind über die Bedrohlichkeit der vom Kind gefürchteten Situation (z. B. Die Welt steckt voller Gefahren) Eltern-Kind-Interaktion: Überbehütendes, wenig autonomieförderndes Verhalten auf Seiten der Eltern Mangelnde Empathie, hohe Kritikäußerung Entwicklung der Angstsymptomatik Hier können verschiedene Aspekte betrachtet werden, die sich in der empirischen Forschung als Risikofaktoren für die Entwicklung von Angststörungen erwiesen haben. Streng empirisch betrachtet besteht keine Evidenz dafür, dass die Exploration solcher Genesemodelle für eine erfolgreiche Behandlung der Angstsymptomatik des Kindes erforderlich ist. Die klinische Erfahrung zeigt jedoch, dass die Compliance insbesondere in der Arbeit mit Eltern dadurch verbessert werden kann. Folgende Punkte können exploriert werden: Temperament/genetisches Makeup des Kindes (insbesondere Behaviorial Inhibition: übermäßig gehemmtes, vorsichtiges Verhalten des Kindes in neuen, unvertrauten Situationen von klein an), http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- ... Seite 8 von 20 Elterliche Psychopathologie, Überbehütender Erziehungsstil: dadurch möglicherweise zu geringe Unterstützung des Kindes bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben des Kindes, Unsichere Bindung des Kindes an Eltern bzw. primäre Bezugsperson, Traumatische Erfahrung des Kindes, Operante Verstärkung von ängstlichem Verhalten des Kindes. Die genannten Aspekte sollten generell bei allen Angststörungen beachtet werden; Hinweise auf spezifische Aspekte einzelner Angststörungen sind an anderer Stelle dargestellt (Döpfner, 2000). Psychotherapeutische Interventionen Bevor wir evidenzbasierte Empfehlungen für die psychotherapeutische Behandlung von Phobischen und Angststörungen des Kindes- und Jugendalters darstellen werden, soll die empirische Befundlage an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden. Was ist überprüft und was ist wirksam? Empirische Validierung In den letzten Jahren wurden mehrere Arbeitsgruppen (task forces) zur Definition, Identifikation und Verbreitung von Informationen über empirisch validierte Behandlungsformen psychischer Störungen gegründet. Diese Arbeitsgruppen formulierten wissenschaftliche Standards, anhand derer beurteilt werden kann, ob ein Therapieverfahren (1) ausreichend untersucht und (2) ob es wirksam ist. Chambless und Ollendick (2001) fassen in ihrem umfassenden Überblick die Ergebnisse der verschiedenen Arbeitsgruppen bis zum Jahr 1998 zusammen, und teilen die untersuchten Therapieverfahren auf die folgenden Kategorien auf: gut wirksam und gut überprüft, wahrscheinlich wirksam, noch nicht ausreichend überprüft, möglicherweise wirksam, jedoch nicht angemessen überprüft (vgl. Döpfner & Lehmkuhl, 2002). Die von Chambless und Ollendick zusammengetragenen Ergebnisse werden in Tabelle 3 und 5 zusammengefasst. Tabelle 3 zeigt die Befunde zu den Angststörungen (Trennungsangst, Kontaktvermeidung, Überängstlichkeit) und Tabelle 4 die Ergebnisse zu den Phobien des Kindesalters. Diesem Überblick zufolge können für die Angststörungen lediglich die Kognitive Verhaltenstherapie mit und ohne Elterntraining als wahrscheinlich wirksam eingeschätzt werden, wobei zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Überblicks noch nicht ausreichend kontrollierte Gruppenvergleiche vorlagen, um die Wirksamkeit abschließend zu beurteilen. Als möglicherweise wirksam wird die psychodynamische Psychotherapie eingeordnet, jedoch fehlen Studien, die die geforderten methodischen Standards erfüllen, um dieses Verfahren als evidenzbasiert zu beurteilen. Für die Phobien ergibt sich ein etwas anderes Bild. Da hier auch viele der älteren Behandlungsstudien mit einbezogen werden konnten, die vor der Einführung des DSM-III durchgeführt wurden, ist die empirische Lage insgesamt besser. Zusammenfassend zeigten sich bei Kindern mit phobischen Störungen verhaltenstherapeutische Verfahren als erfolgreich. Dabei scheinen zwei Punkte von Bedeutung: 1. Insbesondere bei jüngeren Kindern ist die Unterstützung und Mitarbeit von Eltern wichtig. 2. Die entscheidende Wirkvariable erfolgreicher Angstbehandlung scheint die Konfrontation in vivo zu sein. Neben Konfrontationsverfahren zeigen auch Lernen am Modell und operante Verfahren eine gute Wirksamkeit. http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- ... Seite 9 von 20 Was ist überprüft und was ist wirksam? Meta-Analysen Neben der Definition von Kriterien zur Beurteilung eines Therapieverfahrens als empirisch validiert können auch Meta-Analysen herangezogen werden, wenn es darum geht zu beurteilen, ob sich ein Therapieverfahren bewährt hat. Zwei globale Meta-Analysen von der Arbeitsgruppe um Weisz analysieren Interventionsstudien mit Kindern und Jugendlichen bis zum Jahr 1993. Für die Problembereiche Angst und Phobien berechnen die Autoren mittlere (ungewichtete) Effektstärken von .74 (Weisz et al., 1987) und .57 (Weisz et al., 1995), wobei die Autoren bei dieser Subanalyse nicht nach den verschiedenen Therapiemethoden unterscheiden. Die jüngst publizierte Meta-Analyse von Beelmann und Schneider (2003) überblickt die Befunde zur Wirksamkeit von Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen im deutschsprachigen Raum für den Zeitraum von 1952 bis 1997. Im Problembereich Angst liegen die meisten Behandlungsvergleiche (N = 5) für verhaltensmodifikatorische/lerntheoretisch fundierte Behandlungen vor, die mit einer durchschnittlichen (gewichteten) Effektstärke von .97 bei Therapieende die beste Effektivität nachweisen können. Weitere Effektstärken wurden für die Kognitive Verhaltenstherapie (ES = .68), Entspannungsverfahren (ES = .30), Stationäre/teilstationäre Behandlung (ES = .44) und nicht-behaviorale Verfahren (ES = .44) berechnet. Hier ging aber jeweils nur ein Behandlungsvergleich ein. In einer gerade abgeschlossenen störungsspezifischen Meta-Analyse von Schneider und In-Albon (In-Albon & Schneider, 2003) wurden im Unterschied zu den bisher berichteten Meta-Analysen ausschließlich Arbeiten berücksichtigt, in denen Kinder behandelt wurden, die die DSM- oder ICD-Kriterien für eine Angststörung erfüllten, und in denen die Zuteilung auf die Behandlungsbedingung randomisiert erfolgte. Es wurden alle vorliegenden englisch- oder deutschsprachig publizierten Studien bis einschließlich Dezember 2002 in die MetaAnalyse aufgenommen. Da seit Mitte der 1990er Jahr zahlreiche methodisch anspruchsvolle Therapiestudien zu Phobien und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt wurden, ist diese Meta-Analyse eine wichtige Ergänzung zu den oben berichteten Analysen, in denen nur Arbeiten bis zu dem Jahr 1997 berücksichtigt und zudem oft Studien integriert wurden, bei denen die klinische Relevanz der behandelten Angstphänomene unklar ist. Als erstes Ergebnis ist festzuhalten, dass lediglich Therapiestudien aus dem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Spektrum die o.g. Einschlusskriterien erfüllten. In die Berechnung der Effektstärken gingen insgesamt 17 Studien ein. Bis auf eine Studie wurden in allen Studien Gruppen von Kindern mit unterschiedlichen Angststörungen untersucht, so dass Aussagen für die einzelnen, spezifischen Angststörungen nicht möglich sind. Nach der Zusammenschau der Studien konnte in der aktiven Behandlungsbedingung eine durchschnittliche Effektstärke für den Prä-post-Vergleich von .93 für Trait-Angst und .88 für die phobische Symptomatik beobachtet werden. Für die Wartelistebedingung ergaben sich Effektstärken von .14 (Trait-Angst) und .28 (phobische Angst). Darüber hinaus wurden für die depressive Symptomatik ebenfalls signifikante Verbesserungen der behandelten Kinder beobachtet (ES = .70). Die Behandlungserfolge zeigten sich bis zu einem Nachuntersuchungszeitraum von einem Jahr als stabil bzw. es konnten weitere Verbesserungen beobachtet werden (Trait-Angst: ES = 1.28, phobische Angst: ES = 1.69). Ohne eine primäre Angstdiagnose waren nach Ende der Therapie im Durchschnitt 69 % der behandelten Kinder und nur 14 % der Kinder in der Wartegruppe. Zum Follow-Up-Zeitraum bis zu einem Jahr waren 72 % ohne Diagnose. In einer der Studien konnte die Stabilität des Therapieerfolgs sogar bis 6 Jahre nach Abschluss der Therapie dokumentiert werden (Barrett et al., 2001). Schließlich zeigten weitere Analysen, dass kognitive Verhaltenstherapie einzeln oder in der Gruppe durchgeführt vergleichbar effektiv ist. Um einen Vergleich der analysierten Studien mit den Studien der Metaanalyse von Beelmann und Schneider (2003) zu ermöglichen, wurde außerdem die Effektstärke für den Post-Treatment-Vergleich nach der von Beelmann und Schneider angewandten Formel berechnet. Mit einer Effektstärke von .57 zeigen die in die MetaAnalyse von Schneider und In-Albon eingegangenen Untersuchungen tendenziell eine schlechtere Effektivität im Vergleich zu den Studien der Metaanalyse von Beelmann und Schneider (2003) und zwar insbesondere zu den Studien, in denen verhaltensmodifikatorische/lerntheoretisch fundierte Behandlungen durchgeführt wurden. Zusammenfassung der empirischen Befunde http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kinde... Seite 10 von 20 Die am besten untersuchten psychotherapeutischen Behandlungen für Angststörungen und Phobien bei Kindern und Jugendlichen sind verschiedene Varianten standardisierter kognitiver Verhaltenstherapie mit und ohne Elterntraining. Es liegen mehrere randomisierte Kontrollgruppenvergleiche vor, die die Wirksamkeit dieser Verfahren belegen. Als erfolgreich zeigten sich sowohl einzeln als auch in Gruppen durchgeführte KVT-Programme zwischen 9 und 20 Sitzungen. Der Einbezug der Eltern verbessert den Therapieerfolg inbesondere bei jüngeren Kindern. Nach einer standardisierten KVT sind im Durchschnitt 69 % der Kinder bei Therapieende ohne Diagnose, mit weiteren Verbesserungen auf 72 % zum 1-Jahres-Follow-up. Diese Ergebnisse blieben über einen langen Zeitraum bestehen, mit dem längsten Follow-up-Zeitraum von 6 Jahren. Als möglicherweise wirksam können nondirektive und psychodynamische Psychotherapien eingeschätzt werden; wobei jedoch hinreichend umfangreiche randomisierte Kontrollgruppenvergleiche fehlen, welche die Wirksamkeit belegen (vgl. American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 1997). Für andere in der klinischen Praxis eingesetzten Psychotherapieverfahren wie z. B. systemische Therapie oder Gestalttherapie liegen bislang keine kontrollierten Interventionsstudien bei Kindern mit Phobien oder Angststörungen vor. Aufbauend auf diesen Befunden wird folgende Empfehlung gegeben: Psychotherapie der ersten Wahl bei Kindern und Jugendlichen mit Phobien und Angststörungen ist die kognitive Verhaltenstherapie mit und ohne Elterntraining. Wenn diese Programme keine Wirksamkeit zeigen, können psychodynamische Verfahren (ergänzend) eingesetzt werden. Es gibt keine empirischen Belege dafür, dass für besonders komplexe oder schwere Phobien und Angststörungen eine Ergänzung der KVT um psychodynamische oder psychopharmakologische Behandlung notwendig ist. Rahmenbedingungen und Bestandteile einer evidenzbasierten Psychotherapie von Phobien und Angststörungen im Kindes- und Jugendalter Rahmenbedingung der Behandlung Ambulant vs. stationär Bislang liegen keine empirischen Daten vor, die darauf hinweisen, dass bei Phobien und Angststörungen im Kindes- und Jugendalter eine stationäre Therapie indiziert ist. Die Meta-Analyse von Beelmann und Schneider (2003) zeigt sogar eine deutlich geringere Effektstärke (ES = .44) für die stationäre Behandlung im Vergleich zu ambulant durchgeführten behavioralen Verfahren (ES = .80). Die Angstbehandlung sollte daher zunächst immer ambulant erfolgen. In besonderen Fällen kann eine stationäre Therapie indiziert sein, wenn in der ambulanten Behandlung keine Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Therapie gefunden werden können. Dies kann bei Störungen mit Trennungsangst der Fall sein, wenn sie mit chronifizierter (über Monate andauernder) Verweigerung des Schulbesuchs und geringen Ressourcen im familiären Umfeld einhergeht. Bei stationärer Therapie ist auf eine enge Einbindung der Bezugspersonen in die Behandlung und auf eine nahtlose ambulante Weiterbehandlung zu achten, um eine Generalisierung und Stabilisierung der Behandlungserfolge zu ermöglichen. http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kinde... Seite 11 von 20 Einbezug der Eltern bzw. anderer Bezugspersonen Aufgrund der empirisch gut belegten familiären Häufung von Angststörungen (vgl. hierzu Unnewehr et al., 1998), stellt sich die Frage, ob der Einbezug der Eltern bzw. der primären Bezugspersonen für eine erfolgreiche Angstbehandlung des Kindes notwendig ist. Während im nordamerikanischen Raum eher kindfokussierte Behandlungen vorgezogen werden (vgl. hierzu Kendall et al., 2003), werden in Europa sowie auch in Australien meist Behandlungen durchgeführt, in denen die Eltern maßgeblich in die Behandlung des Kindes mit einbezogen werden (vgl. hierzu Barrett & Short, 2003). Empirisch konnte eindrücklich belegt werden, dass die Angstbehandlung des Kindes signifikant verbessert wurde, wenn die Eltern (1) ihre eigenen Ängste bewältigen lernten und (2) gezielt im Umgang mit den Ängsten des Kindes geschult wurden (Windheuser, 1977; Barrett et al., 1996; Cobham et al., 1998). Allerdings weist die Studie von Cobham und Mitarbeitern auch darauf hin, dass der Einbezug der Eltern keine weitere Verbesserung für die Angstbehandlung des Kindes ergibt, wenn die Eltern nicht unter klinisch relevanten Ängsten leiden. Über die Notwendigkeit, Lehrer oder andere Erziehungspersonen mit einzubeziehen liegen keine empirischen Daten vor. Aus klinischer Sicht muss bei trennungsängstlichen Kindern häufig Kontakt mit der Lehr/Erziehungsperson aufgenommen werden, um über das Störungsbild der Trennungsangst aufzuklären oder Konfrontationsübungen in Kindergarten/Schule/Hort zu besprechen. Bei anderen Ängsten kann es ebenfalls sinnvoll sein, den Kontakt mit den Lehr- bzw. Erziehungspersonen zu suchen, wenn die Symptomatik des Kindes in Verbindung mit diesen Institutionen steht. Aufbauend auf den vorliegenden empirischen Befunden und klinischen Erfahrungen (vgl. Döpfner, 1995, 1999; Kirchhoff & Döpfner, 1999) werden folgende Empfehlungen gegeben: Bei klinisch relevanter Ängstlichkeit der Eltern bzw. primären Bezugspersonen sowie bei weiteren familiären Bedingungen, die zur Aufrechterhaltung der Symptomatik beitragen (ausgeprägt überbehütendem Erziehungsverhalten; beeinträchtigter Fähigkeit, Grenzen zu setzen), sollten die Eltern intensiv in die Behandlung mit einbezogen werden. Neben konkreten Hinweisen darüber, wie die Eltern eine Reduktion der Ängste ihres Kindes und die Autonomieentwicklung ihres Kindes unterstützen können, sollten die Eltern auch eine gezielte Hilfestellung für die Bewältigung eigener Ängste erhalten. Falls keine klinisch relevante Ängstlichkeit der Eltern und keine die Problematik des Kindes aufrechterhaltenden familiären Bedingungen vorliegen, reicht es aus, die Eltern über die Angstproblematik des Kindes aufzuklären und Möglichkeiten im Umgang mit der Angst des Kindes zu besprechen. Bei Kindern bis 6 Jahren bzw. vor Schuleintritt sollte die Therapie elternzentriert sein. Bislang liegen allerdings keine Studien vor, die die Effektivität von Psychotherapie in dieser Altersgruppe untersuchten. Diese Empfehlung beruht daher auf klinischen Erfahrungen. Mit zunehmendem Alter des Kindes kann auf den Einbezug der Eltern verzichtet werden. So kann bei Jugendlichen auch eine rein patientenzentrierte Behandlung durchgeführt werden. Überblick über empirisch validierte Behandlungsprogramme Zentrale Ziele empirisch validierter Behandlungsprogramme sind: Veränderung der Bewertung von Angstauslösern und Angstsymptomen, Abbau von Vermeidungsverhalten, ggf. Aufbau sozial kompetenten Verhaltens, ggf. Veränderung der Eltern-Kind-Interaktion. http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kinde... Seite 12 von 20 Die dabei eingesetzten Interventionen umfassen: Psychoedukation, Kognitive Techniken (inkl. Problemlösetraining), Reizkonfrontationsverfahren (insbesondere graduiertes Vorgehen), Operante Techniken, Soziales Kompetenztraining/Selbstsicherheitstraining, Entspannungstraining, Hausaufgaben, Elterntraining. Diese Interventionen sollen im Folgenden kurz umrissen werden. Psychoedukation von Eltern und Kind Eltern und Kind werden über normale und pathologische Angst aufgeklärt. Kind und Eltern werden über die drei Komponenten der Angst (Körpersymptome, Gedanken, Verhalten), vermutete Ätiologie und Aufrechterhaltung informiert. Insbesondere beim Kind ist auf eine altersgerechte Vermittlung dieser Informationen zu achten. Es werden anschauliche Bildmaterialien oder Bücher verwendet, die diese Informationen in kindgerechter Weise darbieten. Diese Informationen stellen die Grundlage dafür da, um das Kind anzuleiten, eigene Symptome der Angst, Befürchtungen und Bewältigungsstrategien zu benennen. Kognitive Interventionen Kognitive Interventionen zielen darauf ab, die angstfördernden Gedanken des Kindes abzubauen. Das Kind lernt, seine angstfördernden Gedanken zu identifizieren, zu überprüfen und zu modifizieren. Zentrales Anliegen dieser Interventionen ist, mit dem Kind die Verbindung zwischen Gedanken, Gefühlen und Körpersymptomen herauszuarbeiten. Es werden Gedanken und Selbstinstruktionen erarbeitet, die dem Kind helfen sollen, die angstauslösenden Situationen zu bewältigen. Eine Studie von Kanfer und Kollegen (1975) weist darauf hin, dass v. a. Selbstinstruktionen zur Steigerung der Selbstwirksamkeit (z. B. Ich bin ein mutiges Mädchen/mutiger Junge. Ich kann in der Dunkelheit gut auf mich aufpassen.) sinnvoll sind. Ungeeignet sind hingegen Selbstinstruktionen, die versuchen, die gefürchtete Situation schönzureden (z. B. Die Dunkelheit ist ein lustiger Ort. Es gibt viele gute Dinge in der Dunkelheit.). Reizkonfrontationsverfahren Mit dem Begriff der Reizkonfrontation werden Verfahren zusammengefasst, bei denen Kinder mit Phobien und Angststörungen den angstauslösenden Stimuli (z. B. Hund, Dunkelheit) ausgesetzt werden. Dabei können zwei Klassen von Verfahren unterschieden werden. Bei der einen Verfahrensklasse werden die Kinder angeleitet, bei Auftreten der Angst sofort angstreduzierende Strategien wie etwa Entspannung einzusetzen. Zu dieser Klasse von Verfahren gehören die systematische Desensibilisierung und Angstbewältigungstrainings. Bei der zweiten Klasse von Reizkonfrontationsmethoden soll das Kind die Angst so lange ertragen, bis es zu einem Rückgang der Angst kommt, ohne dabei jedoch angstreduzierende Techniken einzusetzen. Als empirisch am besten validiert kann die graduelle Konfrontation in vivo bezeichnet werden, bei denen keine angstreduzierende Strategien wie Entspannung eingesetzt werden. Das konkrete Vorgehen ist bei Schneider (2004) beschreiben. Systematische Desensibilisierung http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kinde... Seite 13 von 20 Obwohl die Therapieforschung überzeugend dargelegt hat, dass die Wirksamkeit der Systematischen Desensibilisierung v. a. auf der Konfrontationskomponente beruht (vgl. hierzu Kazdin & Wilcoxon, 1976), kann in manchen Fällen der Einsatz dieses Verfahrens sinnvoll sein. Zum Beispiel dann, wenn sich Kind und Eltern nicht auf ein Konfrontationsverfahren einlassen können oder auch wenn der gefürchtete phobische Stimuli mit einer realen Gefährdung des Kindes verbunden ist. In diesen Fällen kann die Anwendung dieses Verfahrens überlegt werden. Ansonsten sollte aber die Konfrontation in vivo immer an erster Stelle stehen. Operante Techniken Um die Motivation des Kindes zur Angstbehandlung zu erhöhen, ist der Einsatz von Verstärkern oft notwendig. Das Kind kann für seine Bereitschaft verstärkt werden, sich der ängstigenden Situation auszusetzen, für die erfolgreiche Bewältigung der ängstigenden Situation und für die Durchführung von Therapieaufgaben im häuslichen Umfeld. Neben sozialer Verstärkung können Token-Systeme eingesetzt werden. Bei Kindern, die während der Angstreaktion ausgeprägt aggressives Verhalten in Form von Wutanfällen aufweisen, kann es sinnvoll sein Verstärkerentzugs-Programme einzusetzen. Soziales Kompetenztraining/Selbstsicherheitstraining Ein Mangel an sozialen Fertigkeiten kann den Erfolg von Konfrontationsübungen insbesondere bei sozialphobischen Kindern untergraben. Positive soziale Fertigkeiten werden daher anhand hypothetischer Situationen im Rollenspiel eingeübt. Aber auch wenn die sozialen Fertigkeiten angemessen sind, verhalten sich ängstliche Kinder und Jugendliche oft passiv oder aggressiv, wenn sie unter Stress stehen. Die Unterschiede zwischen diesen Interaktionstypen werden mit dem Kind besprochen und adäquate Verhaltensweisen werden mit ihm im Rollenspiel eingeübt. Selbstsicherheitsübungen werden in Angsthierarchien mit aufgenommen und in einer Vielzahl von Situationen geprobt. Entspannungstraining Ein weiterer Baustein der Behandlung von Angststörungen und Phobien bei Kindern und Jugendlichen sind Entspannungstrainings, wie z. B. die Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training oder Atemtraining. Die Progressive Muskelentspannung in einer leicht modifizierten, spielerischeren Version wird bei Kindern am häufigsten eingesetzt (vgl. Petermann, 2004). Ungeklärt ist jedoch, welchen Stellenwert Entspannungsverfahren als Wirkfaktor in der Behandlung von Angststörungen und Phobien bei Kindern und Jugendlichen wirklich zukommt. Ihr Einsatz scheint v. a. dann indiziert, wenn körperliche Symptome im Vordergrund stehen. Im Weiteren findet sie Verwendung in der Behandlung von Generalisierter Angststörung, Prüfungsangst und wenn die Eltern Reizkonfrontationsverfahren ablehnen. Entspannungsverfahren können auch als Ersatz von kognitiver Restrukturierung durchgeführt werden, wenn diese, aufgrund mangelnder Konzentrationsfähigkeit und Unfähigkeit still zu sitzen, nicht möglich ist. Hausaufgaben (Therapieaufgaben) Hausaufgaben sind zentraler Bestandteil empirisch validierter psychotherapeutischer Behandlungen und werden regelmäßig am Ende einer Sitzung dem Kind mit nach Hause gegeben. Hausaufgaben umfassen in Abhängigkeit von dem aktuellen Behandlungsabschnitt verschiedene Themen: Zu Beginn werden meist Hausaufgaben vergeben, bei denen es darum geht, die Ängste bzgl. verschiedener Aspekte genauer zu beobachten. Im weiteren Verlauf beziehen sich die Hausaufgaben immer mehr auf Konfrontationsübungen, die das Kind alleine oder gemeinsam mit den Eltern durchführen soll. Für den erfolgreichen Einsatz von Hausaufgaben ist jedoch bedeutsam, dass diese von dem Therapeuten zu Beginn jeder Sitzung mit dem Kind bzw. den Eltern besprochen werden und das Kind für die Erledigung der Hausaufgabe gelobt wird. Elterntraining Empirisch validierte Elterntrainings zur Behandlung der Angststörung des Kindes beinhalten typischerweise die folgenden Themen: http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kinde... Seite 14 von 20 Bearbeiten von dysfunktionalen Gedanken der Eltern in Bezug auf das Kind und die vom Kind gefürchteten Situationen, Abbau inadäquaten Elternverhaltens in den vom Kind gefürchteten Situationen, Abbau von überbehütendem Verhalten der Eltern/Förderung der Autonomie des Kindes, ggf. Behandlung der Ängstlichkeit der Eltern. Kognitive Arbeit mit den Eltern Hier werden die dysfunktionalen Gedanken der Eltern in Bezug auf das Kind (z. B. Ich bin eine schlechte Mutter/schlechter Vater, wenn ich mein Kind in dieser Situation allein lasse) bzw. die vom Kind gefürchteten Situationen (z. B. Fahrstuhl fahren ist wirklich gefährlich) exploriert und ggf. bearbeitet werden. Die explorierten dysfunktionalen Gedanken werden im Gespräch mit den Eltern systematisch auf ihren Realitätsgehalt überprüft und korrigiert. Abbau inadäquaten Elternverhaltens in den vom Kind gefürchteten Situationen Das Verhalten der Eltern in den für das Kind angstauslösenden Situationen muss besprochen werden. So reagieren beispielsweise die Eltern mit eigenen Angststörungen häufig panisch statt beruhigend, wenn das Kind starke Angstreaktionen in Form von Weinen, Klammern, Schreien oder Wutanfällen zeigt. Andere Eltern reagieren impulsiv und aggressiv auf die Angst des Kindes, statt Bewältigungsstrategien zu fördern und ängstliches Verhalten zu löschen. Hier ist es notwendig, den Eltern genaue Verhaltensregeln vorzugeben und diese mit ihnen konkret einzuüben. Durch Informationsvermittlung und Rollenspiele werden operante Techniken eingeführt und eingeübt (vgl. Operante Techniken). Auch werden mit den Eltern Hinweise und ggf. Übungen besprochen, wie sie ihre eigenen Ängste bewältigen lernen. Abbau von überbehütendem Verhalten der Eltern/Förderung der Autonomie des Kindes Ein weiterer Schritt in der Elternarbeit ist es zu analysieren, inwieweit die Eltern einen überbehütenden Erziehungsstil zeigen. Hier werden die Eltern in Abhängigkeit vom Alter des Kindes dazu ermuntert werden, dem Kind mehr Eigenverantwortung zu übergeben und so seine Selbstständigkeit zu fördern. Rückfallprophylaxe In der Endphase der Behandlung werden typischerweise Eltern und Kind unabhängig voneinander gebeten, festzuhalten was für sie bedeutende Elemente (Hauptbotschaft) der Therapie waren und was sie in der Therapie gelernt haben. Des Weiteren wird mit Eltern und Kind ein Worst-Case-Szenario besprochen werden, bei dem überlegt wird, was getan wird, wenn etwa das trennungsängstliche Kind nach den Schulferien, die Schule nicht mehr aufsuchen möchte. Auch hier kann geprüft werden, inwieweit Eltern und Kind in der Lage sind, die neu gelernten Fertigkeiten alleine umzusetzen. Schließlich wird darauf vorbereitet, dass insbesondere nach Krankheiten, Schulferien oder belastenden Lebensereignissen Rückschläge auftreten können. Störungsspezifische Behandlungsempfehlungen Anders als im Bereich der Angststörungen des Erwachsenenalters liegen für die spezifischen Angststörungen des Kindes- und Jugendalters kaum spezifische Behandlungsansätze vor. Eine Ausnahme stellen soziale Ängste bei Kindern und Jugendlichen dar (z. B. Joorman & Unnewehr, 2002). Im Folgenden sollen störungsspezifische Interventionen oder Themen aufgeführt werden, die für die erfolgreiche Behandlung sinnvoll sind und in Ergänzung zu den o.g. Leitlinien betrachtet werden sollten. Diese Empfehlungen beruhen meist auf klinischen Erfahrungen. Tabelle 5 gibt einen Überblick über empirisch validierte psychotherapeutische Interventionen bei den einzelnen Angststörungen des Kindes- und Jugendalters. http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kinde... Seite 15 von 20 Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters Bei diesem Störungsbild ist ein starker Einbezug der Eltern notwendig. In der ersten Phase der Therapie mit den Eltern ist es sinnvoll, das Thema Entwicklungsaufgaben von Kindern einzuführen. Kinder müssen für die Entwicklung von psychischer Gesundheit lernen, Trennungen von den primären Bezugspersonen auszuhalten und Autonomie aufzubauen. Dysfunktionale Gedanken der Eltern bezüglich des Themas Trennung sollten bearbeitet werden. Des Weiteren sind folgende Punkte zu beachten: Bei Schulvermeidung sollte so schnell wie möglich ein regelmäßiger Schulbesuch eingeübt werden. Hierzu sollten Absprachen mit den Lehrern getroffen werden. Gelingt ein Einstieg in einen Schulbesuch innerhalb der ersten vier bis sechs Behandlungswochen nicht, dann sollten intensivere Interventionen (Behandlung im häuslichen Umfeld; stationäre oder teilstationäre Therapie) bedacht werden. Die Eltern müssen instruiert werden, die in Trennungssituationen ausgelösten körperlichen Symptome wie etwa Übelkeit und Erbrechen zu ignorieren bzw. neutral entgegenzutreten. Die Eltern müssen dem Kind klar signalisieren, dass sie erwarten, dass das Kind in den Kindergarten/die Schule geht oder abends im eigenen Bett schläft. Das Thema Trennungsangst darf nicht Dauergesprächsstoff in der Familie sein (bei den gemeinsamen Mahlzeiten usw.). Bei allgemein ungünstiger Eltern-Kind-Interaktion sollte auf den Aufbau gemeinsamer, angenehmer ElternKind-Aktivitäten geachtet werden. Spezifische Phobie/Phobische Störung des Kindesalters Klar umschriebene spezifische Phobien können in der Regel in wenigen Therapiestunden mit einer graduellen Konfrontation in vivo behandelt werden. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass in real gefährlichen Situationen der Therapeut bzw. die Eltern die Situation unter maximaler Kontrolle hat (vgl. oben). Bei jüngeren Kindern sollte immer ein Verstärkerprogramm integriert werden. Auch ist darauf zu achten, dass das Kind in der Vorbereitung der Konfrontationsübungen Selbstvertrauen aufbaut, die gefürchteten Situationen bewältigen zu können. Wichtig ist dem Kind, altersgerechte Möglichkeiten zur Kontrolle der Situation an die Hand zu geben. So kann einem fünfjährigen Kind mit Dunkelangst und Angst vor Monstern ein Monsterspray an das Bett gegeben werden, mit dem es selbst die Monster vertreiben kann. Soziale Phobie/Störung mit sozialer Ängstlichkeit Bei sozialen Ängsten ist nach Möglichkeit eine Gruppenbehandlung vorzuziehen. Vielen sozialphobischen Kindern fehlt es an Basis-Kompetenzen wie Augenkontakt zu halten, klar zu sprechen, angemessenem Körperausdruck und Kommunikationsfertigkeiten. Daher sollte immer ein Soziales Kompetenz/Selbstsicherheitstraining in die Behandlung integriert werden. Vor den ersten Konfrontationsübungen sollte im Rollenspiel geprüft werden, ob das Kind über die notwendigen sozialen Fertigkeiten verfügt. Bei den Freizeitbeschäftigungen und Hobbys des Kindes sollte darauf geachtet werden, dass diese auch Aktivitäten mit anderen enthalten. Generalisierte Angststörung des Kindesalters Kinder mit generalisierten Angststörungen haben oft den Wunsch, perfekt zu sein und keine Fehler zu machen. Sinnvolle Konfrontationsübungen bei Kindern mit generalisierten Angststörungen können daher sein: Absichtlich zu spät in die Schule kommen. Eine Hausaufgabe absichtlich nicht machen. http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kinde... Seite 16 von 20 Dem starken Wunsch nach Rückversicherung des Kindes muss in der Therapie begegnet werden. Insbesondere Eltern und ggf. auch Lehrer müssen instruiert werden, den Fragen des Kindes nach Rückversicherung nicht mehr nachzugeben. Dem Kind darf etwa einmal versichert werden, dass es die Hausaufgaben gut gemacht hat und danach nicht mehr. Zum Abbau der anhaltenden Nervosität und Anspannung des Kindes ist der Einsatz von Entspannungstraining sinnvoll. Schulische Leistungsängste Schulische Leistungs- und Prüfungsängste treten bei Kindern häufig auf. Ihre diagnostische Einordnung macht jedoch Schwierigkeiten; nach DSM-IV werden sie den sozialen Ängsten zugeordnet, nach ICD-10 ist die Zuordnung nicht geklärt. Die Zuordnung zu sozialen Ängsten erscheint dann sinnvoll, wenn die Angst von negativer Bewertung durch andere (z. B. auslachen) im Vordergrund steht (vgl. Suhr & Döpfner, 2000). Dies ist oft bei mündlichen Leistungen der Fall. Bei schriftlichen Leistungen steht jedoch häufiger die Angst vor negativen Konsequenzen in der Zukunft im Zentrum (z. B. keinen guten Beruf zu bekommen). Die Behandlung von Leistungsängsten orientiert sich an den genannten Prinzipien. Die Einbeziehung der Eltern und die Veränderung dysfunktionaler Kognitionen und Erwartungen der Eltern ist oft von zentraler Bedeutung. Wie bei sozial ängstlichen Kindern, müssen bei Leistungsängsten häufig auch Fertigkeiten trainiert werden - hier schulische Fertigkeiten - um die ängstigenden Situationen erfolgreich zu bewältigen (vgl. Suhr & Döpfner, 2000; im Druck). Ausblick Dieser Entwurf soll eine Diskussion über evidenzbasierte Diagnostik und Psychotherapie bei Angst- und Phobischen Störungen im Kindes- und Jugendalter anregen. Ein erstes Ziel ist es, Leitlinien für die Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen des Kindes- und Jugendalters zu entwickeln, die auf empirischen Befunden beruhen und von einem klinischen Konsens getragen werden. Längerfristiges Ziel ist es, in regelmäßigen Abständen aktualisierte evidenzbasierte Leitlinien für die Psychotherapie psychischer Störungen des Kindes- und Jugendalters bereitzustellen. Dabei werden diese Leitlinien jedoch nicht den an die individuelle Angstsymptomatik des Kindes angepassten Behandlungsplan ersetzen können. Die Bereitstellung evidenzbasierter Leitlinien ist ein wichtiger Schritt, um die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu professionalisieren und zu verbessern. Die Leitlinien sind dabei nicht statisch zu verstehen, sondern als ein Werkzeug, das sich in der Weiterentwicklung befindet und zukünftige, neue Forschungsbefunde immer wieder zu integrieren hat. Literatur American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (1997). Practice Parameters for the Assessment and Treatment of Children and Adolescents with Anxiety Disorders. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 36, 69 S-84 S. 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Empirisch validierte Behandlungen für Kinder und Jugendliche mit Angststörungen (Trennungsangst, Kontaktvermeidung, Überängstlichkeit): Zusammenfassung der Befunde aus den verschiedenen Arbeitsgruppen (modifiziert nach Chambless & Ollendick, 2001) Empirisch validierte Behandlungen für Kinder und Jugendliche: Zusammenfassung 4. http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004 Leitlinien zur Diagnostik und Psychotherapie von Angst- und Phobischen Störungen im Kinde... Seite 20 von 20 der Befunde aus den verschiedenen Arbeitsgruppen (modifiziert nach Chambless & Ollendick, 2001) 5. Empirisch validierte Interventionen für die einzelnen Angststörungen des Kindes- und Jugendalters http://www.psycontent.com/psyjournals/hh/kie/2004/02/kie1302080.html 28.06.2004