Departement Gesundheit Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen Systematische Review zur Wirksamkeit und Kosteneffektivität von psychosozialen Interventionen, Psychotherapie und Pharmakotherapie Peter Rüesch, Nicole Maeder Fachstelle Gesundheitswissenschaften, ZHAW Winterthur, Mai 2010 Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Inhalt Glossar ..............................................................................................................................................................1 Zusammenfassung............................................................................................................................................6 1 Einleitung.................................................................................................................................................10 1.1 1.2 2 Problemstellung ..................................................................................................................................10 Zielsetzungen und Fragestellungen.....................................................................................................10 Methodisches Vorgehen ..........................................................................................................................11 2.1 Studienkonzept ...................................................................................................................................11 2.2 Systematische Literaturrecherchen .....................................................................................................11 2.3 Quantitative Daten zu Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich ...............................................................................................................................................13 3 Epidemiologie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen.................................................15 3.1 3.2 3.3 3.4 4 Daten zu Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen im Kt. Zürich .23 4.1 4.2 4.3 5 Angsterkrankungen .............................................................................................................................28 Depressive Erkrankungen ...................................................................................................................31 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS ........................................................................33 Störungen des Sozialverhaltens, Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten.....................................40 Wissenschaftliche Evidenz II: Wirtschaftlichkeit von Interventionen bei psychischen Störungen ....47 6.1 6.2 6.3 7 Fallzahlen und niedergelassene Fachärzte .........................................................................................23 Behandlungen und Medikamentenkosten bei Fachärzten ....................................................................24 Fazit....................................................................................................................................................27 Wissenschaftliche Evidenz I: Vergleichende Analyse der Wirksamkeit von Interventionen ..............28 5.1 5.2 5.3 5.4 6 Die vier häufigsten psychiatrischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen ...............................15 Zur Diagnostik psychischer Störungen ................................................................................................17 Leitlinien der Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen ................................20 Fazit....................................................................................................................................................22 Vorbemerkungen.................................................................................................................................47 Einzelne Störungsbilder ......................................................................................................................47 Fazit....................................................................................................................................................48 Diskussion und Schlussfolgerungen........................................................................................................49 7.1 7.2 Zentrale Befunde und Synthese ..........................................................................................................49 Schlussfolgerungen, Ausblick..............................................................................................................50 Literatur .........................................................................................................................................................52 Anhang A: Studienkonzept und Kosten für weiterführende Forschung.......................................................1 A1 A2 A3 Einleitung ..............................................................................................................................................1 Methodisches Vorgehen........................................................................................................................2 Kosten, Zeitplanung ..............................................................................................................................3 Anhang B: Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie ............5 B1 B2 B3 B4 Angsterkrankungen ...............................................................................................................................5 Depressionen........................................................................................................................................6 Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung ADHS ....................................................................................7 Störungen des Sozialverhaltens (inkl. Störungen mit Oppositionellem Trotzverhalten) ..........................8 Anhang C: Auswahl der wissenschaftlichen Literatur...................................................................................9 −i− Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Glossar Begriff ASSQ ADHS Bezeichnung Autism Spectrum Disorder Screening Questionnaire Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung Atomoxetin Erläuterung Messinstrument Die Substanz Atomoxetin ist ein Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Sie wird bspw. bei der Behandlung von ADHS verwendet (Gabbard, 2007). Atypische AntipsychoAtypische Antipsychotika gehören zur tika zweiten Generation der Antipsychotika. Sie werden u. a. gegen Psychosen verschrieben. Sie haben weniger Nebenwirkungen als die älteren typischen Antipsychotika. Behaviorale Therapien Fokus auf Veränderung von Verhaltensprozessen: Behaviorale Interventionen umfassen u. a. Komponenten des Kontingenzmanagements; Token-System, Bestrafung/Verstärkerentzug, Belohnung, unmittelbares Feedback und Time-out (Bachmann et al., 2008). CBCL Child Behavior Checklist Messinstrument CDI Children’s Depression Inventory “ CES-DC Center for Epidemiological Stud- “ ies Depression Scale for Children C-GAS Children’s Global Assessment “ Scale CGI-I Clinical Global Impression“ Severity and Improvement CPSST Cognitive Problem-Solving Skills Training DAWBA Development and Well-Being Messinstrument Assessment DCD Developmental Coordination “ Disorder DISC-IV Diagnostic Interview Schedule “ for Children DISC-P Diagnostic Interview Schedule “ for Children-Parent Version Disruptives Verhalten Aggressiv-dissoziales Verhalten Doppelblindstudien Bei einer Doppelblindstudie wissen weder die PatientInnen noch die Forschenden, wer welche Therapie bekommt. Bei einer Medikamentenstudie wird z. B. eine Substanz mit Plazebos verglichen. Somit ist bspw. die ärztliche Betreuung bei allen gleich und folglich sind mögliche Effekte eher der Substanz zuzuschreiben und nicht anderen Faktoren. −1− Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Begriff ECBI Effektgrad (Cookie & Sackett, 1996) Bezeichnung Erläuterung Eyberg Child Behavior Inventory Messinstrument Evidenzgrad I: Harte Evidenz beruhend auf mindestens einem systematischen Review, das verschiedene gute randomisierte Studien mit gutem Design einschliesst. Evidenzgrad II: Harte Evidenz beruhend auf mindestens einer kontrollierten randomisierten Studie angemessener Grösse mit gutem Design. Evidenzgrad III: Evidenz beruhend auf nichtrandomisierten Studien mit gutem Design, einzelne Gruppen vor/nach Intervention, Kohortenstudien, Serien in zeitlicher Folge oder Fall-Kontroll-Studien. Evidenzgrad IV: Evidenz beruhend auf nichtexperimentellen Studien und gutem Design, und die von mehr als einem Zentrum oder mehr als einer Forschungsgruppe durchgeführt wurden. Effektstärke niedrige Effektstärke mittlere Effektstärke hohe Effektstärke IPT Interpersonale Therapie IYP Incredible Years Program KI Konfidenzintervall −2− Evidenzgrad V: Meinung respektierter Experten, beruhend auf kritischer Evidenz, deskriptiven Studien oder Berichten von Expertenkomitees. Effektstärke ist ein universelles Wirksamkeitsmass. Es dient dazu bspw. in Meta-Analysen, die Resultate der einzelnen Studien miteinander vergleichbar zu machen (Bortz & Döring, 2006). Bei der IPT handelt es sich um eine KurzzeitPsychotherapie. Die theoretischen Grundlagen wurzeln in tiefenpsychologischen Ansätzen, es werden aber auch kognitiv-verhaltenstherapeutische Konzepte einbezogen. IYP fördert ein positives Verhältnis zwischen den Eltern und den Kindern/Jugendlichen. Die gewünschten Verhaltensmuster der Kinder/Jugendlichen werden durch Lob, Belohnung und das Setzen von Grenzen gefördert. Videoaufnahmen dienen zur Situationsanalyse. Lehrer können zusätzlich in das Programm miteinbezogen werden (Hutchings et al., 2007). Das KI beschreibt ein Intervall, in welchem ein numerischer Wert in der Grundgesamtheit geschätzt wird. Ist das KI weit, ist die Schätzung eher ungenau (Bailey et al., 2005). Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Begriff Kognitive Therapie Bezeichnung K-SADS-PL Schedule for Affective Disorders and Schizophrenia for SchoolAged Children; Present and Lifetime Version Kognitive Verhaltenstherapie KVT Erläuterung Fokus auf Veränderung der Denkprozesse. Sie beinhaltet bspw. Selbstmanagement, Aufmerksamkeitstraining, Organisatorische Fähigkeiten, Selbstinstruktionstraining. Messinstrument KVT beinhaltet sowohl kognitive-, wie auch verhaltenstherapeutische Komponenten. Diese Therapieform basiert auf der Theorie, dass die Kontrolle des eigenen Verhaltens erhöht werden kann, durch spezifische Förderung der kognitiven Fähigkeiten, welche Impulsivität und zielgerichtetes Verhalten steuern (Toplak et al., 2008). MOAS Modified Overt Aggression Scale Messinstrument Monotherapie Behandlung mit nur einer Therapieform MPH Methylphenidat Methylphenidat (bspw. Ritalin) gehört zur Gruppe der Stimulantien und wird in der Behandlung von ADHS eingesetzt. MST Multisystemic Treatment (Multisys- Der Behandlungsansatz von MST fokussiert temische Therapie) auf verschiedene Systeme (Individuum, Eltern, Schule, Kindergarten und/oder Gemeinde) und wird bspw. bei SDS angewendet. Multimodale BeBei der multimodalen Behandlung wird mehr handlung/Therapie als eine Therapieform eingesetzt, bspw. Psychopharmaka und Psychotherapie. Odds Ratio Mass für die Unterschiede zweier Gruppen. In einer Kohortenstudie wird die Quote einer Krankheit in der exponierten Gruppe durch die Quote bei den nicht-exponierten dividiert (Bailey et al., 2005) Open-label Studien Bei einer Open-label Studie sind die Forschenden und PatientInnen darüber informiert, wer welche Therapie erhält. Dieses Studiendesign kann die Aussagekraft der Resultate einschränken (siehe auch Doppelblindstudien). PCIT Parent-child Interaction Therapy PCIT basiert auf der Theorie des sozialen Ler(Eltern-Kind Interaktionstherapie) nens und der Bindungstheorie. Die Verbesserung der Interaktion zwischen Eltern und Kindern steht im Zentrum dieser Therapieform (Wagner & McNeil, 2008). PMT Parent Management Training PMT hat zum Ziel, dass Eltern das prosoziale Verhalten des Kindes verstärken und aversive Muster ignorieren oder bestrafen. Komponente von PMT beinhalten bspw. positive Wiederverstärkung, Time out und effektives Monitoring (Costin et al., 2004). −3− Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Begriff Prävalenz Bezeichnung Psychodynamische Psychotherapie P-Wert RCT Retard-Substanz SCARED SDQ SDS Selektive NoradrenalinWiederaufnahmehemmer SOC SOT SSRI Randomised Controlled Trial (randomisierte Kontrollstudie) Screen for Child Anxiety Related Emotional Disorders Strength and Difficulties Questionnaire Störung des Sozialverhaltens Sense of Coherence Scale Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten (Selektive) SerotoninWiederaufnahmehemmer −4− Erläuterung Prävalenz zeigt die Häufigkeit einer Krankheit in einer definierten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt (Bailey et al., 2005). Die Psychoanalyse von Sigmund Freud ist ein Beispiel der psychodynamischen Psychotherapien. Diese Therapieformen basieren auf der Annahme, dass psychische Krankheiten den Ursprung in der Kindheit haben. Der P-Wert gibt eine Wahrscheinlichkeit an. Je grösser der P-Wert, umso wahrscheinlicher ist es, dass gefunden Resultate zufallsbedingt sind (Beaglehole et al., 1997). Bei diesem Studiendesign werden die Studienteilnehmenden zufällig den verschiedenen Therapieformen zugewiesen (Beaglehole et al., 1997). Substanz mit verzögerter Wirkung Messinstrument “ Selektive NoradrenalinWiederaufnahmehemmer hemmen in der Nervenzelle die Wiederaufnahme von Noradrenalin; das Serotonin wird dagegen kaum beeinflusst. Messinstrument Selektive SerotoninWiederaufnahmehemmer (SSRI=Selective Serotonin Reuptake Inhibitor) sind eine Gruppe von Antidepressiva, welche die Konzentration des Neurotransmitters Serotonin im Gehirn erhöhen. SSRI beeinflussen Substanzen, welche die Nervenzellen im Gehirn verwenden, um Nachrichten zu senden. Diese chemischen Botenstoffe, Neurotransmitter genannt, werden von einer Nervenzelle freigesetzt und von anderen Nervenzellen aufgenommen. Neurotransmitter, die nicht durch andere Nervenzellen aufgenommen werden, werden von den sie ausscheidenen Nervenzellen wieder zurück genommen. Dieser Vorgang wird als "Wiederaufnahme" (reuptake) bezeichnet. SSRIs wirken durch die Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin − eine Maßnahme, die es ermöglicht mehr Serotonin im Gehirn zur Verfügung stellen. Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Begriff TCA Triple P Typische Antipsychotika Warteliste Kontrollgruppe Bezeichnung Erläuterung Trizyklische Antidepressiva Trizyklische Antidepressiva sind eine ältere Gruppe von Psychopharmaka. Sie hemmen die Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin in die Nervenzellen des Gehirns. Ihre Wirkung auf die Neurotransmitter-Systeme ist nur wenig selektiv. Heutzutage sind trizyklische Antidepressiva nicht mehr Mittel der ersten Wahl zur Depressions-Behandlung, da sie gegenüber moderneren Antidepressiva deutlich stärkere Nebenwirkungen aufweisen. Positive Parenting Program Die Eltern lernen in Rollenspielen den Umgang mit ihrem Kind. Sie werden angeleitet mit dem störenden Verhalten des Kindes umzugehen und die Entwicklung des Kindes zu unterstützen. Es beinhaltet keine direkte Therapie der Kinder. Die typischen Antipsychotika gehören zur ersten Generation der Antipsychotika. Sie werden u. a. gegen Psychosen eingesetzt. Nebenwirkungen sind häufiger als bei atypischen Antipsychotika. Mit der Warteliste-Kontrollgruppe kann die Intervention bei erkrankten PatientInnen im Vergleich mit PatientInnen mit der gleichen Diagnose ohne Therapie untersucht werden. Diese Kontrollgruppe wird bspw. angewendet, wenn es ethisch bedenklich ist, einer Gruppe die Therapie vorzuenthalten. −5− Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Zusammenfassung Ausgangslage, Fragestellungen Der Zürcher Regierungsrat wurde Ende Juli 2008 mit einem Postulat des Kantonsrates beauftragt, die Entwicklung der Diagnosestellung und Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen in den letzten fünf Jahren aufzuzeigen; ein besonderes Augenmerk galt der Behandlung mit Psychopharmaka. Ausserdem wünschten die Postulanten für drei weitere (zukünftige) Jahre ein Monitoring der Behandlung psychischer Störungen bei der Zielgruppe. Hintergrund des Postulates war der Eindruck und die Sorge der Postulanten, dass die pharmakologische Behandlung psychischer Probleme bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren zugenommen hat und andere Behandlungsformen − insbesondere die Psychotherapie − verdrängt. Exemplarisch wurde dabei die Behandlung der Hyperkinetischen Störungen bzw. der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung ADHS angeführt, bei der die Abgabe von Ritalin stark zugenommen habe. Die Gesundheitsdirektion gab deshalb eine Studie in Auftrag, bei der es zunächst primär um die Ermittlung des aktuellen Kenntnisstandes zur Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen geht. Vier Fragenkomplexe sollen im Rahmen der Studie untersucht werden: 1. Bestandesaufnahme von Krankheitshäufigkeiten, Behandlungsbedürftigkeit und der angewandten Behandlungen derjenigen Krankheiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die üblicherweise mit Psychopharmaka behandelt werden können. 2. Analyse der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Psychopharmakabehandlung bei den drei häufigsten für eine Psychopharmakotherapie indizierten psychischen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. Falls vorhanden: Vergleich der alleinigen Psychopharmakabehandlung im Vergleich mit anderen geeigneten Therapieformen oder mit Kombinationen von Psychopharmakabehandlung und anderen Behandlungen. 3. Darstellung potentieller Veränderungen und Verschiebungen der Therapieformen bei psychischen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter in den letzten zehn Jahren. 4. Darstellung von wesentlichen offenen Fragen, die für die gute Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie zwingend zu beantworten sind, aufgrund der Erkenntnisse der vorangehenden Recherche. Darlegung eines Vorschlages für ein Studienkonzept zur Beantwortung dieser Fragen sowie dessen Aufwand- und Kostenschätzung. Methodisches Vorgehen Die vorliegende Studie umfasst sechs Module: • Modul A: Epidemiologie der häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen (Frage 1) • Modul B: Zeitreihen zur Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich (Frage 3) • Modul C: Wirksamkeit verschiedener Behandlungsoptionen der drei häufigsten Störungen unter besonderer Berücksichtigung der Psychopharmakotherapie (Frage 2) • Modul D: Wirtschaftlichkeit verschiedener Behandlungsoptionen der drei häufigsten Störungen unter besonderer Berücksichtigung der Psychopharmakotherapie (Frage 2) • Modul E: Synthese der Befunde, Berichterstattung (Frage 4) • Modul F: Konzept für weiterführende Studie (Frage 4). Diese Teilstudien basieren im Wesentlichen auf systematischen Literaturrecherchen in Datenbanken wissenschaftlicher Literatur. Ausnahme ist Modul B, das sich auf Sekundärdaten des Santésuisse-Datenpools abstützt. −6− Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Es wurden separate Literaturrecherchen zu den häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Die Recherchen erfolgten nach einer klar definierten Suchstrategie. Im Anschluss an diese erste Stufe der Literatursuche wurden die identifizierten Referenzen einem Screening unterzogen, um geeignete Studien auszuwählen. Diese wurden dann mit einem Inhaltsraster erfasst und verarbeitet. Insgesamt wurden für die Literaturanalyse 91 Referenzen wissenschaftlicher Studien aus dem Zeitraum 2000-2009 berücksichtigt. Die häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen (KJ) Die häufigsten psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 6-18 Jahren sind nach der vorliegenden Analyse (Grundlage: 8 Studien bzw. Referenzen): • • • • Angsterkrankungen (Prävalenzen: 2-11%, je nach Studie), Störungen des Sozialverhaltens/Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten (2-8%), die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS (2-7%), Depressionen (1-5%). Jungen leiden tendenziell häufiger an psychischen Störungen als Mädchen. Aber bei spezifischen Diagnosen kann die Prävalenz zwischen den Geschlechtern auch gleichmässig verteilt sein oder bei Mädchen höher ausfallen. Behandlungen bei Kinder- und Jugendpsychiatern im Kt. Zürich Die Zahl der niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater/innen hat sich im Kanton Zürich zwischen 1998 und 2007 beinahe verdoppelt, noch stärker zugenommen hat die Zahl der behandelten Kinder und Jugendlichen ebenso wie die Konsultationen. Die direkten Kosten für Medikamente sind im Verhältnis zu den Gesamtkosten der Behandlung gering, ihr Anteil liegt knapp unter 1%. Allerdings haben die absoluten Kosten für Medikamente ebenso wie ihr Anteil an den Gesamtkosten in den letzten 10 Jahren − wenn auch auf tiefem Niveau – stark zugenommen. Aufgrund der verfügbaren Daten kann jedoch nicht geklärt werden, inwieweit für diesen Kostenanstieg ein Mengenwachstum verantwortlich ist. Von Bedeutung ist mit grosser Wahrscheinlichkeit auch das Preiswachstum der Psychopharmaka. Darüberhinaus ist aus den untersuchten Daten nicht ersichtlich, für welche Indikationen die Medikamente abgegeben wurden. Wirksamkeit von Interventionen für psychische Störungen bei KJ Die Wirksamkeit der folgenden Interventionen wurde auf der Basis von Recherchen wissenschaftlicher Literatur untersucht: psychotherapeutische Ansätze sowie in weiterem Sinne psychosoziale Interventionen (z.B. Beratung, Trainingsprogramme sozialer Fertigkeiten), Psychopharmakotherapie und kombinierte Interventionen (Psychotherapie+Psychopharmakobehandlung). Die separate Analyse für die vier häufigsten psychischen Störungsgruppen ergab die folgenden Resultate: • Angsterkrankungen (12 Referenzen): Psychotherapeutische Intervention (v.a. KVT) ist das Mittel der ersten Wahl zur Behandlung von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen. In spezifischen Situationen können aber auch Psychopharmakobehandlungen in Kombination mit einer Psychotherapie eingesetzt oder einer Psychotherapie vorgeschaltet werden. Die analysierten Studien belegen die Effektivität der kognitiven Verhaltenstherapie in der Behandlung von Angststörungen bei Kinder und Jugendlichen eindeutig. Ebenso können Antidepressiva vom Typ SSRI als effektiv in der Behandlung von Angsterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen beurteilt werden. Die Kombination von Psychopharmakobehandlung (mit SSRI) und Psychotherapie (KVT) zeigt womöglich eine erhöhte Effektivität im Vergleich zu Monotherapien. • Depressionen (10 Referenzen): Für die Behandlung von depressiven Störungen bei Kindern und Jugendlichen werden sowohl psychotherapeutische Interventionen (KVT, Interpersonale Therapie IPT) als auch Pharmakotherapien (v.a. SSRI) in der bearbeiteten Literatur als effektiv beschrieben. Die Wirksamkeit ist für alle der genannten Behandlungen jedoch als eher be−7− Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht scheiden einzustufen (Psychotherapie: kleine bis mittlere Effekte; Pharmakotherapie: kleine Effekte). Die Evidenz für die Effektivität der Kombinationsbehandlung von Psychopharmaka (SSRI) und Psychotherapie (KVT) fehlt. • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, ADHS (24 Referenzen): Es überwiegen Studien zur psychopharmakologischen Behandlung bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS. Die Befundlage zu psychosozialen Therapien ist noch lückenhaft. Die analysierte Literatur bestätigt die Evidenz der Wirksamkeit von Methylphenidat (MPH), dem sog. ‚Ritalin’. Die Therapie mit MPH von Kindern im Vorschulalter sollte jedoch gemäss den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden. Es liegt eine gute Evidenz für die Wirksamkeit von Elterntraining, Interventionen in der Familie und Familientherapie vor. Inkonsistente Resultate werden über die Effektivität der kognitiven Therapien und der kognitiven Verhaltenstherapie bei ADHS berichtet. • Störungen des Sozialverhaltens (SDS) / Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten (SOT): Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP) stehen bei der Behandlung dieser Gruppe von psychischen Störungen psychosoziale Interventionen im Vordergrund. Der Einsatz von Psychopharmaka wird erst empfohlen, wenn Psychotherapien oder andere psychosoziale Interventionen keine Verbesserung der Symptome bewirken. Unter den psychozialen Interventionen erweisen sich besonders die Multisystemische Therapie und Elterntraining als wirksam. Zu beachten ist die häufig vorkommende Komorbidität von SDS/SOT mit anderen psychischen Erkrankungen (z.B. ADHS). Wirtschaftlichkeit der Interventionen Es liegen nur wenige Kosteneffektivitätsanalysen (12 Referenzen) von Interventionen für psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen vor, insbesondere mangelt es an Vergleichen zwischen pharmakologischen und anderen, v.a. psychotherapeutischen Interventionen. Die meisten der wenigen Kosteneffektivitätsanalysen befassen sich mit ADHS oder Depression. • • • Die Monotherapie von ADHS mit Methylphenidat (Ritalin) erweist sich als kosteneffektivste Intervention, wenn keine Komorbidität mit anderen Störungen vorliegt. Dies gilt jedoch nur für eine Minderheit der Patienten/innen. Bei Komorbidität (v.a. mit Störungen des Sozialverhaltens) weist die Kombinationsbehandlung von Psychopharmako- plus Psychotherapie (MPH+KVT) die beste Kosteneffektivität aus. Bei Depressionen bringt die Kombinationsbehandlung von Antidepressiva mit Psychotherapie (SSRI+KVT) im Vergleich zur Monotherapie mit Antidepressiva keinen Gewinn an Kosteneffektivität. KVT kann unter gewissen Umständen (fundierte psychotherapeutische Qualifikation der Behandelnden) kosteneffektiver als SSRI abschneiden. Bei Angsterkrankungen und bei Störungen des Sozialverhaltens erweisen sich Elterntrainingsprogramme als potentiell kosteneffektiv. Synthese Folgendes kann aufgrund der Synthese der Befunde festgehalten werden: • • Gesamthaft erweisen sich sowohl psychotherapeutische oder psychosoziale Interventionen als auch pharmakologische Behandlungen als wirksam in der Behandlung der häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Die kombinierte Anwendung beider Interventionsarten zeigt tendenziell positive Effekte, aber deren Zusatznutzen ist noch zuwenig gesichert aufgrund schmaler Studienlage. Die pharmakologische Behandlung zeigt besonders bei zwei Störungsbildern substantielle und gut abgesicherte positive Wirkungen: bei Angsterkrankungen und bei ADHS. Bei letzterer zeigen Psychopharmaka (insbesondere MPH bzw. ‚Ritalin’) stärkere positive Effekte als psychotherapeutische Interventionen. −8− Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht • Die Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen ist für alle der untersuchten Störungen belegt, wobei die stärksten Effekte in der Behandlung von Angsterkrankungen zu verzeichnen sind. • Die Studienlage zur Wirtschaftlichkeit von Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen ist schmal. Die Befunde stimmen jedoch im Wesentlichen mit der Bewertung der Wirksamkeit der Interventionen überein. Schlussfolgerungen und Ausblick Die Befunde stützen den heute unter Fachleuten anerkannten Grundsatz der multimodalen Behandlung, indem sie zeigen, dass verschiedene Arten von Interventionen wirksam sind. Sowohl aus Sicht der wissenschaftlichen Evidenz als auch der Behandlungsleitlinien der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist eine pharmakologische Monotherapie i.d.R. nicht das Mittel der Wahl zur Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Aber diese Medikamente stellen einen wichtigen Bestandteil der Therapie dar. Die vorliegende Studie beleuchtet das Thema der Behandlung häufiger psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen primär aus wissenschaftlicher und fachlicher Perspektive. Dieser Blickwinkel zeigt, dass für die ausgewählten psychischen Probleme heute Behandlungsleitlinien vorliegen und die Wirksamkeit einer Reihe von Behandlungsoptionen wissenschaftlich gesichert ist. Offen ist, wie psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen in der Praxis behandelt werden. Erfolgt die Behandlung beispielsweise weitgehend konform zu den Leitlinien der psychiatrischen Fachgesellschaften? Inwiefern sind Abweichungen zu verzeichnen, und wie lassen sich diese erklären? Es gibt für die Schweiz und auch für den Kanton Zürich (mit Ausnahme der Studie von Steinhausen aus den 90er Jahren) kaum aktuelle und publizierte, oder wenigstens zugängliche Daten zur Häufigkeit psychischer Störungen unter Kinder und Jugendlichen und den damit verbundenen Interventionen − Aber viele Vermutungen über diesen Sachverhalt. Der Aufbau eines Monitoringsystems, wie es die Postulanten aus dem Zürcher Kantonsrat vorschlugen, erscheint als kaum realisierbar und wäre ggf. mit erheblichen Kosten verbunden. Es wird deshalb eine weiterführende Studie (Gesamtkosten: rund CHF 110'000) vorgeschlagen, welche retrospektiv die Anliegen des Postulats zu klären versucht. Im Rahmen dieser Studie sollte untersucht werden, welche Rolle die Psychopharmakatherapie für die Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen heute in der Praxis im Kanton Zürich spielt, welche anderen Interventionen zur Anwendung kommen, und inwieweit es in den letzten Jahren zu allfälligen Veränderungen (z.B. einer Verschiebung von Psycho- zu Pharmakotherapien) gekommen ist. Es empfiehlt sich diese Ziele am Beispiel von ADHS zu untersuchen: die wissenschaftliche Evidenz zur Behandlung dieser Störung ist breit, die Relevanz von ADHS in der öffentlichen Wahrnehmung und deren Verbreitung unter Kindern und Jugendlichen sind gross. −9− Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 1 Einleitung 1.1 Problemstellung Der Zürcher Regierungsrat wurde Ende Juli 2008 mit einem Postulat des Kantonsrates beauftragt, die Entwicklung der Diagnosestellung und Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen in den letzten fünf Jahren aufzuzeigen; ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Behandung mit Psychopharmaka. Ausserdem wünschten die Postulanten für drei weitere (zukünftige) Jahre ein Monitoring der Behandlung psychischer Störungen bei der Zielgruppe. Hintergrund des Postulates war der Eindruck und die Sorge der Postulanten, dass die pharmakologische Behandlung psychischer Probleme bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren zugenommen hat und andere Behandlungsformen − insbesondere die Psychotherapie − verdrängt. Die Postulanten sprechen von einem Paradigmenwechsel in der Psychiatrie, der zu einer biologistischen Sichtweise der Entstehung und Behandlung psychischer Krankheiten geführt habe. Exemplarisch wurde dabei die Behandlung der Hyperkinetischen Störungen bzw. der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung ADHS angeführt, bei der die Abgabe von Ritalin stark zugenommen habe. 1.2 Zielsetzungen und Fragestellungen Die Gesundheitsdirektion gab deshalb eine Studie in Auftrag, bei der es zunächst primär um die Ermittlung des aktuellen Kenntnisstandes zur Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen geht. Vier Fragenkomplexe sollen im Rahmen der Studie untersucht werden: 1. Bestandesaufnahme von Krankheitshäufigkeiten, Behandlungsbedürftigkeit und der angewandten Behandlungen derjenigen Krankheiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die üblicherweise mit Psychopharmaka behandelt werden können. 2. Analyse der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Psychopharmakabehandlung bei den drei häufigsten für eine Psychopharmakotherapie indizierten psychischen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. Falls vorhanden: Vergleich der alleinigen Psychopharmakabehandlung im Vergleich mit anderen geeigneten Therapieformen oder mit Kombinationen von Psychopharmakabehandlung und anderen Behandlungen. 3. Darstellung potentieller Veränderungen und Verschiebungen der Therapieformen bei psychischen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter in den letzten zehn Jahren. 4. Darstellung von wesentlichen offenen Fragen, die für die gute Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie zwingend zu beantworten sind, aufgrund der Erkenntnisse der vorangehenden Recherche. Darlegung eines Vorschlages für ein Studienkonzept zur Beantwortung dieser Fragen sowie dessen Aufwand- und Kostenschätzung. − 10 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 2 Methodisches Vorgehen 2.1 Studienkonzept Die vorliegende Studie umfasst sechs Module, die in Tabelle 1 mit Zielsetzungen und angestrebten Ergebnissen dargestellt sind: Tabelle 1: Teilstudien mit Zielsetzungen und Endprodukten Modul (Zielsetzung, Auftrag) Endprodukt Modul A: Epidemiologie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen Die drei häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind identifiziert. Modul B: Zeitreihen zur Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich Aufwand und Kosten für die Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind, soweit Daten verfügbar, dargestellt für den Zeitraum der letzten zehn Jahre. Modul C: Wirksamkeit verschiedener Behandlungsoptionen der drei häufigsten Störungen unter besonderer Berücksichtigung der Psychopharmakotherapie Die medizinische und psychosoziale Wirksamkeit verschiedener Behandlungsoptionen ist dargestellt Modul D: Wirtschaftlichkeit verschiedener Behandlungsoptionen der drei häufigsten Störungen unter besonderer Berücksichtigung der Psychopharmakotherapie Die Behandlungsoptionen sind mit Blick auf ihre Kosteneffektivität bewertet. Modul E: Synthese der Befunde, Berichterstattung Die Befunde aus den Teilstudien (A-D) sind in Form einer Synthese verarbeitet. Vergleichende Analysen (d.h. welche Behandlung ist die wirksamste) werden, soweit Studien verfügbar, präsentiert. Wissenslücken mit besonderer Beachtung der Verhältnisse im Kanton Zürich sind dargestellt. Modul F: Konzept für weiterführende Studie Konzept mit Kostenvoranschlag für eine weiterführende Studie im Kanton Zürich ist entwickelt. Sämtliche Teilstudien − mit Ausnahme von Modul B − basieren auf Wunsch des Auftraggebers auf systematischen Recherchen der wissenschaftlichen Literatur. Das methodische Vorgehen für diese Recherchen wird im Folgenden dargestellt. 2.2 Systematische Literaturrecherchen 2.2.1 Epidemiologie psychischer Störungen Suchstrategie In einem ersten Schritt wurde eine Auswahl erster Suchbegriffe definiert und die Begriffe ‚mental health’, ‚mental illness’, ‚child$’1, ‚adolescent$’ und ‚psychiat$’ wurden in der Datenbank Medline (Ovid) angewendet. Diese Recherche ergab für die Jahre 1989-2008 insgesamt 207'011 Referenzen. Die hohe Anzahl der Studien erforderte es, die Zeitspanne zu limitieren. Die Eingrenzung auf fünf Jahre, bzw. auf die Jahre 2003-2008 führte zu einer Reduktion der Ergebnisse auf n=19'202. Um die Anzahl der Resultate weiter zu verringern, wurden die Begriffe 1 Das Dollarzeichen ($) kann in verschiedenen Datenbanken angewendet werden, um Variationen eines Wortes (z.B. Mehrzahl) zu finden. − 11 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht ‚epidemiolog$’ und ‚prevalence$’ als zusätzliche Stichwörter verwendet. Dies ergab die folgende definitive Syntax von Titelstichwörtern zur Durchführung der Recherche: ((mental and (health or illness)) or psychiat$) and (child$ or adolescent$) and (epidemiolog$ or prevalence$) Die mit dieser Suchstrategie ermittelten 257 Referenzen wurden anschliessend nach bestimmten Kriterien (s.u.) selektioniert. Dieses Screening hatte zur Folge, dass eine grosse Anzahl der Studien den Kriterien nicht genügte und ausgeschlossen werden musste. Zusätzlich zu den Studien aus der systematischen Literaturrecherche wurden auch wissenschaftliche Arbeiten miteinbezogen, die in Referenzlisten relevanter Studien lokalisiert wurden. Diese Studien sind in der Tabelle 3 (s.u., Kapitel 3) mit einem Asteriks (*) speziell gekennzeichnet. Selektion der Studien Die definitiv ausgewählten acht Studien wurden mit Hilfe eines Analyserasters detailliert ausgewertet. Das Analyseraster beinhaltete folgende Kriterien: • geographische Region, • Alter, • Stichprobengrösse, • Auswahl der angewandten Messinstrumente, • Klassifikationssystem (ICD oder DSM), • Prävalenz aller psychiatrischen Störungen, • Prävalenz der drei häufigsten Diagnosen. Eine grosse Anzahl der lokalisierten Studien musste ausgeschlossen werden, da die Resultate nicht oder sehr limitiert miteinander vergleichbar waren (vgl. auch Kuschel et al., 2004)). Um die psychische Gesundheit von Kindern- und Jugendlichen zu messen, existieren eine Vielzahl von Messinstrumenten. Diese Instrumente generieren aber nicht immer Resultate, die mit den Diagnosen der international anerkannten Klassifikationssysteme − ICD-10 (Remschmidt, 2006) oder DSM-IV (Sass, 2003) − vergleichbar sind. Resultate wie zum Beispiel ‚borderline’ oder ‚abnormal’ (in Ravens-Sieberer et al., 2008) lassen sich nur bedingt mit den Bezeichnungen in anderen Studien vergleichen. Auch Studien, welche die diagnostischen Kategorisierungen ‚externalisierende’ und ‚internalisierende’ Störungen verwenden (siehe z. B. Beyer & Furniss, 2007), konnten nicht berücksichtigt werden. In der vorliegenden Literaturrecherche werden verschieden Prävalenzraten, d. h. Punkt- und Periodenprävalenz von drei bis zwölf Monaten, als äquivalent behandelt. Es sollte beachtet werden, dass Punktprävalenzen die eigentliche Krankheitshäufigkeit unterschätzen können, da nur an einem bestimmten Zeitpunkt die relevanten Daten erhoben werden. Somit könnten Krankheiten mit phasischen Verläufen (z. B. bei depressiven Störungen) unterschätzt werden. Allerdings müssen Punkt- und Periodenprävalenz bei chronischen oder persistierenden Krankheiten, wie dies bei manchen psychischen Störungen der Fall ist, nicht stark voneinander abweichen (Ihle & Esser, 2002). Deshalb wurden in die vorliegende Literaturrecherche Studien mit beiden Messeinheiten einbezogen. 2.2.2 Wirksamkeit medikamentöser oder psychotherapeutischer Behandlung Suchstrategie Die Datenbanken Medline, Pubmed und Cochrane Library wurden nach geeigneten empirischen Studien, Metaanalysen und Reviews durchsucht. Die folgende Syntax wurde störungsspezifisch − 12 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht zur Lokalisation von wissenschaftlichen Studien in den Datenbanken Medline und Pubmed angewendet. Nachfolgend wird das Beispiel für Angsterkrankungen dargestellt: (anxiety and (disorder$ or disease$)) and (child$ or adolescent$ or young$) and ((cbt or (behaviour$ and therap$)) or (pharmaco$ or medicat$)) Es wurde beachtet, dass die Auswahl der Suchbegriffe sowohl auf pharmakologische, aber auch auf psychotherapeutische Behandlungen ausgerichtet war. Cognitive behavioral therapy (CBT) oder kognitive Verhaltenstherapie wurde aus den Leitlinien der Deutsche Gesellschaft für Kinderund Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (DGKJP) als zentrale Therapieform der Angsterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen identifiziert und als Schlagwort in die systematischen Literaturrecherche miteinbezogen. Die Schlagwörter wurden ausschliesslich im Titel (.ti) gesucht. In der Cochrane Library wurde in den themenspezifischen Kategorien (Topics for Cochrane Reviews) nach geeigneten Studien recherchiert. Die detaillierte Darstellung des Prozesses der Studienselektion, spezifisch für die ausgewählten Krankheitsbilder, kann Anhang C entnommen werden. Weiter sind im Anhang C alle in diesem Bericht referenzierten Studien in Tabellenform nach den folgenden Kategorien systematisch dargestellt: • Name der Studie, • Studiendesign, • kurze Zusammenfassung der Hauptresultate, • Forschungsschwerpunkt der Studie (z. B. Psychopharmakotherapie oder kognitive Verhaltenstherapie). 2.3 Quantitative Daten zu Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich Spezifische und allgemein zugängliche Daten zu unterschiedlichen Behandlungsformen2 psychischer Störungen von Kindern und Jugendlichen (Altersgruppe 6-18 Jährige) in den verschiedenen Settings (d.h. sowohl institutionsgebundene als auch in privaten Praxen erfolgende Behandlungen) liegen in der Schweiz und im Kanton Zürich nicht vor3. Relevante Informationen zum Gegenstand dieser Studie können nur die folgenden Datenbestände enthalten, wobei der Datenbezug aber kostenpflichtig und der Zugang beschränkt ist: • Santésuisse-Datenpool: Der Datenpool dient den Krankenversicherern als Brancheninformationssystem, um Aussagen über das Verhalten von Leistungserbringern sowie über die Prämienund Kostenentwicklung zu machen. Dateneigner: Santésuisse/OBSAN. 2 Unter besonderer Berücksichtigung pharmakologischer Interventionen. 3 Zwar liefert die ZAPPS-Studie von Steinhausen (vgl. Kapitel 3; Steinhausen et al., 1998; Steinhausen & Winkler Metzke, 2002) epidemiologische Daten zur Häufigkeit psychischer Störungen bei Schulkindern im Kanton Zürich; sie enthält jedoch keine Angaben zur psychopharmakologischen Behandlung der Kinder und liefert auch keine Zeitreihen. Darüberhinaus existieren kantonale Behandlungsstatistiken: PSYREC enthält Angaben zu Behandlungen von Kindern und Jugendlichen im stationären Kontext. Und der KJPD des Kantons führt ebenfalls eine Statistik, welche auch ambulante Behandlungen einschliesst. Beide Statistiken beschränken sich aber auf institutionsgebundene Interventionen, Behandlungen von Kindern und Jugendlichen durch niedergelassene Psychiater/innen oder Ärzte/innen sind nicht erfasst. Deshalb eignen sich sämtliche der erwähnten Datenbestände nicht oder nur unvollständig für eine Darstellung verschiedener Behandlungsformen psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen im Zeitverlauf. Gewisse Angaben könnte allenfalls die Schweizer Gesundheitsbefragung liefern: allerdings sind in dieser Erhebung nur Personen ab dem 15. Altersjahr erfasst, wobei es sich um Selbstangaben der Befragten handelt. Die Erhebung findet zudem nur alle fünf Jahre statt (1992/93, 1997, 2002, 2007). − 13 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht • Apotheken-/SD-Ärzteindex Schweiz: Der monatlich erscheinende Apotheken/SD-Ärzte Index erhebt nationale Marktdaten, die den schweizerischen Gesamtumsatz von Medikamenten in Apotheken und bei niedergelassenen Praxis-Ärzten widerspiegeln. Dateneigner: IMS Health. • Spezifische Daten einzelner Krankenkassen. Für die vorliegende Studie wurde der Santésuisse Datenpool verwendet, der durch das Schweizer Gesundheitsobservatorium (OBSAN) aufbereitet wird. Der Datenpool enthält Angaben zu Behandlungen bei Kinder-/Jugenpsychiater/innen sowie Psychiater/innen differenziert nach Altersgruppen der Patienten/innen. Die Angaben umfassen die Anzahl Konsultationen pro Jahr, die Kosten der abgegebenen Medikamente und die Gesamtkosten der Behandlungen. Abgebildet werden kann eine Zeitreihe der Jahre 1998-2007. Keine Angaben kann der Datenpool liefern zu den folgenden Aspekten: Anlass und Art der Behandlung, Hauptdiagnose der Patienten/innen, Art und Menge der abgegebenen Medikamente. Letztere Angaben könnten dem Apotheken-/SD-Ärzte Index entnommen werden. Die Datenlieferung ist jedoch kostenpflichtig. Im Unterschied zum Santésuisse-Datenpool, bei dem es sich praktisch um eine Vollerhebung der Daten aller Patienten/innen handelt, liefert der Apotheken-/SDÄrzte Index lediglich Stichprobendaten. Kurz vor der Fertigstellung dieser Studie wurden wir vom OBSAN über einen Fehler in den Santésuisse-Daten für die Jahre 2004-2008 hingewiesen: Für diese vier Jahre hatte eine grössere Krankenkasse fehlerhafte Daten geliefert, indem ab 2004 die Anzahl Konsultationen nicht korrekt angegeben wurden (von diesem Versicherer wurden zu wenig Konsultationen erfasst). Eine Korrektur war bis zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Berichts (Februar 2010) nicht möglich. Die Ergebnisse der Santésuisse-Daten (s.u. Kapitel 4) sind deshalb mit Vorbehalt zu interpretieren. Da der Fehler gemäss OBSAN aber systematischer Natur ist, äussert er sich primär in einer Unterschätzung der Häufigkeit der Konsultationen bei Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Psychiatrie. − 14 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 3 Epidemiologie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen 3.1 Die vier häufigsten psychiatrischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen 3.1.1 Übersicht Die Resultate der systematischen Literaturrecherche ergeben, dass Angsterkrankungen die am häufigsten vorkommende Gruppe von psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 6-18 Jahren sind. ADHS und Störungen des Sozialverhaltens/Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten nehmen zusammen den zweiten Rang ein. Da sich darüberhinaus die depressiven Erkrankungen in fünf der acht Studien innerhalb der ersten drei Ränge befinden, wurde beschlossen, vier anstatt nur drei der häufigsten psychischen Erkrankungen weiter zu bearbeiten (Tabelle 2). Zusätzlich sind die Prävalenzspannen der psychischen Störungen, welche von den analysierten Studien abgeleitet wurden (siehe Anhang C), mit aufgeführt. In der weiteren Analyse wurden Ticstörungen und Störungen der Ausscheidung ausgeschlossen. Grund dafür ist, dass beide Störungen nur einmal auf den Plätzen 1 bis 3 zu finden sind. Folglich ist anzunehmen, dass deren Prävalenz niedriger ist als die der anderen psychischen Störungen. Bedeutend für den Kanton Zürich ist die prospektive Längsschnittstudie (Zurich Adolescent Psychology and Psychopathology Study - ZAPPS), die seit den frühen Neunziger Jahren gesunde Entwicklungsschritte und die Entstehung von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen im Kanton untersucht. Die erste Studie von 1994 (Zürich Epidemiological Study of Child and Adolescent Psychopathology - ZESCAP) erfasste die Prävalenz von psychischen Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen (Steinhausen, H. C. et al., 1998) und ist bis dato die einzige Erhebung in der Schweiz, welche den Kriterien für einen Vergleich mit internationalen Forschungsarbeiten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie genügt. Die Studie fand Einschluss in die vorliegende Literaturrecherche. Die Follow-ups der ZAPPS fanden in den Jahren 1997, 2001 und 2004/5 statt (siehe bspw. Steinhausen, H. C. & Winkler Metzke, 1998, 2004). Tabelle 2: Rangliste der vier häufigsten psychischen Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen in epidemiologischen Studien 2003-2008 (vgl. Anhang C) Psychische Störungen (nach DSM-IV-TR*) 1. Angsterkrankungen Prävalenzspanne 2.4%−11.4% 2a. Störung des Sozialverhaltens/Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten (SDS/SOT) 2.4%−7.6% 2b. ADHS 2.2%−7.0% 3. Depressive Erkrankungen 0.9%−5.4% * Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-IV-TR (Sass, 2003) 3.1.2 Die Bedeutung von Geschlecht und Alter Aus der systematischen Literaturrecherche geht hervor, dass Jungen häufiger an psychischen Störungen leiden als Mädchen (Petersen et al., 2006; Roberts et al., 2007; Steinhausen et al., 1998). Beispielsweise schätzt die „Great Smoky Mountain Study“ (Costello et al., 2003) aus den USA die kumulative Prävalenz von psychischen Erkrankungen bei Jungen bis zu einem Alter von 16 Jahren höher ein als bei Mädchen (42.3% vs. 31.0%). Allgemein höhere Prävalenzen bei Jungen bedeuten aber nicht, dass diese grundsätzlich von jeder psychischen Erkrankung mehr betroffen sind. − 15 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Angsterkrankungen Über die Hälfte der analysierten Studien zeigt auf, dass bei Angsterkrankungen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede vorliegen (siehe z. B. Ford et al., 2003; Lynch et al., 2006; Zwirs et al., 2007). Einige wenige Studien kommen zum Schluss, dass Mädchen häufiger an Angststörungen leiden (Roberts et al., 2007) als Knaben. Im Gegensatz dazu fanden Steinhausen et al. (1998) im Rahmen der Zürcher Adoleszenten- Psychologie- und Psychopathologie-Studie (ZAPPS) keine statistisch signifikanten Ergebnisse, aber die Tendenz für eine erhöhte Prävalenz von Angsterkrankungen bei Mädchen im Vergleich zu Jungen (0.86% vs. 0.25%, p=0.07). Widersprüchlich sind auch die Befunde zur Frage, ob Angsterkrankungen in gewissen Altersgruppen häufiger auftreten. Nach einzelnen Studien scheinen Angsterkrankungen mit steigendem Lebensalter eher zuzunehmen (Ford et al., 2003; Roberts et al., 2007). In der deutschen BELLAStudie (Ravens-Sieberer et al., 2007) ist die Prävalenz von Angsterkrankungen bei 11–13 Jährigen (12.0%) am höchsten, sinkt jedoch wieder bei den Jugendlichen im Alter von 14-17 Jahren (9.4%). Demzufolge wäre es auch möglich, dass die Häufigkeit von Angsterkrankungen bis ins mittlere Pubertätsalter zunimmt, um dann wieder abzusinken. Gegen diese Sicht sprechen die Resultate der Studie von Lynch et al. (2006) aus Irland, die keine Verbindung zwischen Angsterkrankungen und Alter zeigen. Diese unterschiedlichen Ergebnisse könnten neben der Anwendung von verschiedenen Messinstrumenten auch damit zusammenhängen, dass spezifische Formen oder Untergruppen von Angsterkrankungen (z.B. Soziale Phobie oder Schulphobie) je nach Altersgruppe höhere oder tiefere Prävalenzen aufzeigen. Demzufolge können die Prävalenzen der übergeordneten Diagnose ‚Angsterkrankung’ je nach Altersgruppe stark variieren und ein divergentes Bild liefern. Depressive Erkrankungen Die eine Hälfte der analysierten Studien zeigt auf, dass kein signifikanter Geschlechtsunterschied bei depressiven Erkrankungen besteht (z. B.Ravens-Sieberer et al., 2007; Zwirs et al., 2007). Die andere Hälfte der Studien zeigt Tendenzen für (Steinhausen, H. C. et al., 1998) oder gar signifikant erhöhte Prävalenzen von depressiven Erkrankungen bei Mädchen auf. Costello et al. (2003) gibt die kumulative Prävalenz von depressiven Erkrankungen bis zum Alter von 16 Jahren mit rund 12% bei Mädchen und 7% bei Jungen an. Nur bei einer der analysierten Studien waren Jungen mehr von Affektiven Störungen betroffen als Mädchen (Petersen et al., 2006). Darüber hinaus bestätigt Schmidt (1999) in seinem Lehrbuch zur Kinder- und Jugendpsychiatrie den Befund der höheren Prävalenz von depressiven Erkrankungen bei Mädchen. Ebenfalls ungefähr die Hälfte der Studien zeigt keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen (z. B. Lynch et al., 2006; Roberts et al., 2007). Bei der anderen Hälfte der Studien geht klar ein Zusammenhang zwischen depressiven Störungen und Lebensalter hervor. Die schweizerische Studie von Steinhausen et al. (1998) sagt aus, dass die älteste Gruppe die höchste Prävalenz von depressiven Erkrankungen aufweist (1.25%) verglichen mit der jüngsten Gruppe von 0%. Zusätzlich berichten Ford et al. (2003), dass die Prävalenz von depressiven Erkrankungen mit höherem Lebensalter der Kinder und Jugendlichen tendenziell zunimmt. Im Alter von 5-7 Jahren ist die Prävalenz bei 0.14%, im Alter von 8-10 Jahren bei 0.34% und in der in der Gruppe der 13-15 Jährigen bei 2.53%. Der Unterschied des letzten Wertes zu den anderen Altergruppen ist statistisch signifikant (p<0.001). Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS Jungen sind häufiger von ADHS betroffen als Mädchen. Alle untersuchten Studien berichten diesen geschlechtsspezifischen Unterschied (z. B. Ford et al., 2003; Roberts et al., 2007; Steinhausen, H. C. et al., 1998). Statistisch signifikante Unterschiede der Geschlechterverteilung fanden Ford et al. (2003). In dieser britischen Studie waren rund 4% der Jungen und 1% der Mädchen zwischen dem fünften und fünfzehnten Lebensjahr von ADHS betroffen. − 16 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Die Ergebnisse der vorgenommenen Recherche ergeben der Tendenz nach, dass ADHS bei jüngern Altersgruppen häufiger auftritt. In der deutschen BELLA-Studie ist die Prävalenz von ADHS bei der jüngsten Altersgruppe (7-10 Jährige) am höchsten, sie reduziert sich jedoch im Alter von 14-17 Jahren auf 1.4% (Ravens-Sieberer et al., 2007). Ähnlich beschreibt die „Great Smoky Mountain Study“ von Costello et al. (2003) ADHS als Kinderkrankheit, welche nach dem 12. Lebensjahr fast verschwindet. Zusätzlich heben Lehmkuhl et al. (2008) hervor, dass die Prävalenz von ADHS im Vor- und Primarschulalter höher ist als in den anderen Altersgruppen. Andere Studien geben Prävalenzen an, die sehr ähnlich über die verschiedenen Altersgruppen verteilt sind (Ford et al., 2003; Roberts et al., 2007). Daher ist anzunehmen, dass ADHS tendenziell besonders häufig die jüngeren Altersgruppen trifft, aber auch bei den älteren Kindern und Jugendlichen ein relevantes psychisches Störungsbild darstellt. Störung des Sozialverhaltens, Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten Wie bei ADHS scheint die Geschlechterverteilung auch bei der Störung des Sozialverhaltens und der Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten (SDS/SOT) relativ klar zu sein. Die bearbeiteten Studien zeigen auf, dass SDS/SOT bei Jungen häufiger diagnostiziert werden als bei Mädchen (Ford et al., 2003; Roberts et al., 2007). Costello et al. (2003) berechneten die kumulative Prävalenz von SDS/SOT bis zum Alter von 16 Jahren. Bei der SDS liegen die Jungen (14.1%) im Vergleich zu den Mädchen (3.8%) deutlich vorne. Ähnliche Zahlen liegen bei der SOT vor; wobei die Prävalenz der Jungen (13%) diejenige der Mädchen (9%) übertrifft.. Die Häufigkeit von SDS/SOT scheint mit dem Alter eher zuzunehmen. Zum Beispiel stellen Ford et al. (2003) fest, dass in ihrem untersuchten Sample von Kindern und Jugendlichen im Alter von 5-15 Jahren die Gruppe der 13-15 Jährigen am meisten betroffen ist. SDS/SOT scheinen bei jüngeren Kindern weniger häufig vorzukommen (Roberts et al., 2007). Ein Anstieg der Prävalenz vom Vorbis zum Primarschulalter wird auch von Blanz (2002) berichtet. 3.1.3 Komorbiditäten Die hier aufgeführten psychischen Störungsbilder treten oft nicht isoliert auf sondern in Kombination mit noch anderen psychischen Störungen, d.h. es liegt eine Komorbidität vor. Bei ADHS liegt die Komorbidität sehr hoch: so zeigen nach Esser (2002) bis zu 50% der betroffenen Kinder eine Störung des Sozialverhaltens, 20-25% sind von Angststörungen betroffen, 15-20% haben affektive Störungen, 10-25% Lernstörungen und auch Tic- sowie Sprech- und Sprachstörungen treten gehäuft auf. Insgesamt ist bei bis zu 80% der Kinder mit hyperkinetischen Störungen mit einer Komorbidität zu rechnen (DGKJP, 2007). Depressionen sind ebenfalls häufig (in 60-80% der Fälle) komorbid, insbesondere mit Angststörungen, Störungen des Sozialverhaltens und Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten. Die Tatsache der Komorbidität psychischer Störungen bedingt deshalb für die Behandlung, dass oft eine multimodale Strategie angewandt werden muss, welche in verschiedenen Bereichen ansetzt. 3.2 Zur Diagnostik psychischer Störungen 3.2.1 Klassifikationssysteme Als Werkzeug für die Diagnosestellung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind heute primär zwei Klassifikationssysteme etabliert: • das Teilkapitel F für psychische Störungen aus der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10)“, welche von der WHO entwickelt und laufend angepasst wird (Dilling et al., 1997). − 17 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht In der deutschsprachigen Kinder- und Jugendpsychiatrie wird häufig eine Adaptation dieses Systems verwendet, das sogenannte „Multiaxiale Klassifikationsschema“4 (Remschmidt, 2006). • das „Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DMS-IV)“ der American Psychiatric Association (Sass, 2003). Die diagnostischen Klassifikationen, die mit diesen beiden Systemen vorgenommen werden können, sind grösstenteils vom einen auf das jeweils andere System übersetzbar. Im vorliegenden Bericht stützen wir uns auf das DSM-IV ab, weil die meisten der referenzierten Studien sich an diesem System orientieren. 3.2.2 Diagnostische Kriterien Vorbemerkungen Der folgende Abschnitt beschreibt eine Auswahl der diagnostischen Kriterien für die vier bzw. fünf häufigsten psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Die Kriterien wurden aus dem Klassifikationssystem DSM-IV-TR (Sass, 2003) übernommen. Die Diagnosekriterien sind z.T. sehr umfangreich. Dieser Abschnitt beschränkt sich auf eine Auswahl der Kriterien. Angsterkrankungen5 Angststörungen umfassen eine Gruppe von Störungen, die charakterisiert sind durch exzessive Angstreaktionen bei gleichzeitigem Fehlen akuter äusserer Gefahren. Angststörungen grenzen sich von der 'normalen' Angst v.a. durch Auslöser, Intensität, Dauer, Angemessenheit und Folgen der Reaktion ab. Nach DSM-IV werden die folgenden spezifischen Arten von Angststörungen beschrieben: • Panikstörung mit/ohne Agoraphobie, • Agoraphobie ohne Panikstörung, • Spezifische Phobie, • Soziale Phobie, • Zwangsstörung, • Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD), • Akute Belastungsstörung, • Generalisierte Angststörung, • Angststörung aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors, • Substanzinduzierte Angststörung, • Nicht näher bezeichnete Angststörung. Für jedes der spezifischen Krankheitsbilder ist i.d.R. eine umfassende Liste diagnostischer Kriterien definiert, wovon ein bestimmtes Minimum erfüllt sein muss, damit die Diagnose vergeben werden kann. 4 Im Multiaxialen Klassifikationsschema der Kinder- und Jugendpsychiatrie werden psychische Störungsgruppen (im Unterschied zur Vorlage der ICD-10) sechs Achsen zugeordnet; die psychische Problematik kann bei Bedarf auf mehreren Achsen klassifiziert werden: Achse I betrifft das klinisch-psychiatrische Syndrom, Achse II umschriebene Entwicklungsstörunge, Achse III das Intelligenzniveau, Achse IV die körperliche Symptomatik, Achse V assozierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände und Achse VI eine Globalbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus. 5 DSM-IV Diagnosen: 293.84, 300.00, 300.01, 300.02, 300.21-23, 300.29, 300.3, 309.81 ICD-10 Diagnosen: F06.4, F40.00, F40.01 F40.1, F40.2, F41.0, F41.1, F41.9, F42.0, F43.0, F43.1 − 18 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Die Diagnostik der Angststörungen im DSM-IV unterscheidet sich von jener in der ICD-10. Das DSM-IV ordnet ein breiteres Spektrum von Störungen diesem Bereich zu, insbesondere die Zwangsstörung, das PTSD und die akute Belastungsstörung. Die Zuordnung der Zwangsstörung ist unter Fachleuten allerdings umstritten (Morschitzky, 2009). Depressive Erkrankungen6 Die Gruppe der depressive Erkrankungen beinhaltet die Major Depression, die dysthyme Störung und die nicht näher bezeichnete depressive Störung. Beispiel dysthyme Störung: hier muss die depressive Verstimmung bei Kindern und Jugendlichen mindestens über ein Jahr vorliegen (bei Erwachsenen über mindestens zwei Jahre). Weiter müssen mindestens zwei der folgenden Symptome auftreten: • Appetitlosigkeit oder übermässiges Bedürfnis zu essen; • Schlaflosigkeit oder erhöhte Müdigkeit; • Energiemangel und Erschöpfung; • niedriges Selbstvertrauen; • Konzentrationsstörungen oder Entscheidungserschwernis; • Gefühle der Hoffungslosigkeit. ADHS7 Für die Diagnose ADHS müssen die Betroffenen mindestens sechs Symptome aus den Schwerpunktphänomenen der Unaufmerksamkeit oder der Hyperaktivität/Impulsivität aufzeigen (Kriterium A). Die Symptome sollten zudem in den letzten sechs Monaten aufgetreten sein und sich in einem Ausmass äussern, das mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbaren ist. Exemplarisch sind die möglichen Symptome bei Hyperaktivität aufgeführt: a) zappelt häufig mit Händen oder Füssen oder rutscht auf dem Stuhl herum; b) steht in der Klasse oder in Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird, häufig auf; c) läuft herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben); d) hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen; e) ist häufig "auf Achse" oder handelt oftmals, als wäre er/sie "getrieben"; f) redet häufig übermässig viel. Zusätzlich müssen bei der Diagnosestellung von ADHS vier weitere Hauptkriterien (B-E) erfüllt werden. Beeinträchtigende Symptome sind schon vor dem siebten Lebensjahr aufgetreten (Kriterium B) und mindestens zwei Lebensbereiche sind durch die Symptome gestört (Kriterium C). Zusätzlich müssen klare Indizien vorliegen für die Beeinträchtigung im schulischen, sozialen oder beruflichen Bereich (Kriterium D). Ausserdem sind die Symptome nicht durch eine Entwicklungsstörung, Schizophrenie oder andere psychotische Störung erklärbar oder werden durch eine andere psychische Erkrankung ausgelöst (z.B. affektive Störungen oder Angststörungen). 6 DSM-IV Diagnosen: 296.20-26, 296.30-36, 296.00-06, 296.4, 296.5, 296.6, 296.7. 296.8, 296.9, 301.13, 311, 330.4 ICD-10-Diagnosen: F06.30-33, F30-F39 7 DSM-IV Diagnosen: 314.00, 314.01, 314.9 ICD-10-Diagnosen: F90.0, F90.1, F90.9, F98.8 − 19 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Störungen des Sozialverhaltens8, Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten9 Bei den Störungen des Sozialverhaltens (SDS) handelt es sich um mehr als gewöhnlicher kindischer Unfug oder jugendliche Aufmüpfigkeit. Sie sind vielmehr durch wiederholtes und anhaltendes dissoziales, aggressives oder aufsässiges Verhalten definiert, welches die altersentsprechenden sozialen Erwartungen übersteigt (vgl. Dilling et al., 1997). Im Rahmen des DSM-IV werden SDS durch drei übergeordnete Kriteriengruppen (A-C) definiert, die ihrerseits durch spezifische Teilkriterien ausdifferenziert werden. Als diagnostisches Hauptkriterium (Kriterium A) gilt ein repetitives und anhaltendes Verhaltensmuster, durch das die grundlegenden Rechte anderer und wichtige altersentsprechende gesellschaftliche Normen oder Regeln verletzt werden. Das zweite Hauptkriterium (Kriterium B) verlangt, dass die Störung in klinisch bedeutsamer Weise Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen und beruflichen Bereichen zur Folge hat. Das dritte Hauptkriterium (Kriterium C) grenzt die Diagnose bei Personen, die älter als 18 Jahre sind, ein: bei diesen kann die Diagnose nur gestellt werden, wenn keine Antisoziale Persönlichkeitsstörung vorliegt. Die Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten (SOT) ist von den natürlichen Trotzphasen in der kindlichen Entwicklung abzugrenzen. Diese Störung beinhaltet ein mindestens sechs Monate anhaltendes Muster von negativistischem, feindseligem und trotzigem Verhalten, wobei mindestens vier der folgenden Symptome auftreten müssen: a) wird schnell ärgerlich; b) streitet sich häufig mit Erwachsenen; c) widersetzt sich häufig aktiv den Anweisungen oder Regeln von Erwachsenen; d) verärgert andere häufig absichtlich; e) schiebt häufig die Schuld für eigene Fehler oder eigenes Fehlverhalten auf andere; f) ist häufig empfindlich oder lässt sich von anderen häufig verärgern; g) ist häufig wütend und beleidigt; h) ist häufig boshaft und nachtragend. Störungen des Sozialverhaltens (SDS) und die Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten (SOT) werden in den beiden Systemen zur Diagnostik psychischer Erkrankungen, DSM-IV und ICD-10 (Kapitel F), unterschiedlich gewichtet. Im DSM-IV steht die SOT als eigenständiges Störungsbild auf gleicher Stufe wie die SDS (vgl. Kapitel 5.4), während in der ICD das SOT eine Untergruppe der SDS darstellt. Die Behandlungsleitlinien der DGKJP, welche sich an der ICD orientieren, gelten dagegen für alle SDS inklusive dem SOT, letzteres wird nicht gesondert behandelt. Aus diesem Grund behandeln wir im vorliegenden Bericht beide Störungsbilder gemeinsam. 3.3 Leitlinien der Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen In den letzten Jahren wurden für die relevanten Krankheitsbilder im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie Behandlungsleitlinien durch die Fachgesellschaften entwickelt. Dabei handelt es sich um strukturierte Behandlungsempfehlungen für spezifische Störungsbilder, die auf wissenschaftlich gesichertem Fachwissen beruhen bzw. evidenzbasiert sind. Für den vorliegenden Bericht haben wir uns auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie 8 DSM-IV Diagnosen: 312.8, 312.9 ICD-10-Diagnosen: F91.0-2, F91.9 9 DSM-IV Diagnosen: 313.81 ICD-10-Diagnosen: F91.3 − 20 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht (DGKJP) abgestützt. Diese liegen sowohl in gedruckter (DGFJP, 2007) als auch in web-basierter10 und laufend aktualisierter Form vor. Abbildung 1: Entscheidungsbaum der Leitlinien der DGKJP zur Behandlung von ADHS im Kindesund Jugendalter Das therapeutische Vorgehen wird in den Leitlinien jeweils grafisch in der Form von Entscheidungsbäumen dargestellt. Dies ist aufgrund der Komplexität der jeweiligen Problemstellungen notwendig. Im Rahmen dieses Berichtes sind die Entscheidungsbäume zur Behandlung der vier häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen im Anhang B aufgeführt. Als Beispiel werden an dieser Stelle die Empfehlungen zur Behandlung von ADHS dargestellt (Abbildung 1). 10 Siehe unter: http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/ll_028.htm (Stand: November 2009) − 21 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass in der Kinder- und Jugendpsychiatrie heute bei allen Störungsbildern ein multimodaler Behandlungsansatz als ‚State-of-the-Art’ gilt, indem i.d.R. mehrere Behandlungsformen miteinander kombiniert werden. Die Pharmakotherapie ist bei sämtlichen der ausgewählten Störungsbilder eine Behandlungsoption unter anderen, aber nie die ausschliessliche. Zu den anderen Behandlungsoptionen zählen verschiedene psychotherapeutische Verfahren, Elternberatung und Familientherapie, Spieltherapie, Übungsbehandlungen usw. Bei der Indikation der Behandlungen sind folgende Grundsätze zu beachten: (Störungs-)Spezifitität, altersund entwicklungsbezogene Anpassungsmöglichkeiten, Variabilität und Praktikabilität in Bezug auf Durchführung und Settings, Nachweis der Wirksamkeit (vgl. Remschmidt, 2005). 3.4 • Fazit Die häufigsten psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 6-18 Jahren sind nach der vorliegenden Analyse: - Angsterkrankungen, Störungen des Sozialverhaltens/Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten, ADHS, depressive Erkrankungen. • Jungen leiden tendenziell häufiger an psychischen Störungen als Mädchen. Aber bei spezifischen Diagnosen kann die Prävalenz zwischen den Geschlechtern auch gleichmässig verteilt sein oder sogar bei Mädchen vermehrt auftreten. • Die Mehrheit der bearbeiteten Studien kommt zum Schluss, dass es keine geschlechtspezifischen Unterschiede bei Angsterkrankungen gibt. Einige Studien berichten über eine höhere Prävalenz bei Mädchen. Die Recherche ergab zudem keine eindeutigen Resultate, ob Angsterkrankungen altersabhängig gehäuft auftreten. Tendenziell aber scheinen Angsterkrankungen bis zum mittleren Jugendalter zuzunehmen. • Alle Studien berichten, dass Jungen häufiger von der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung ADHS betroffen sind als Mädchen. Die Recherche zeigt zudem die Tendenz auf, dass speziell jüngere Knaben vermehrt an dieser Störung leiden. • Ebenfalls erkranken Jungen häufiger an Störungen des Sozialverhaltens oder des Oppositionellen Trotzverhaltens (SDS/SOT). Zudem ergab die Recherchearbeit eine tendenzielle Zunahme der Störung mit steigendem Alter. • Die Befunde zur Geschlechts- und Altersverteilung der depressiven Erkrankungen deuten in zwei Richtungen. Die eine Hälfte der analysierten Studien berichten, dass Mädchen und Jungen in etwa gleich häufig an depressiven Störungen leiden. Die andere Hälfte zeigt höhere Prävalenzen für Mädchen. Das gleiche Bild zeigt sich für die Altersverteilung: auf der einen Seite verzeichnen einige Studien einen Anstieg von depressiven Erkrankungen bis ins Jugendalter, andererseits berichten viele Studien über eine gleichmässige Verteilung zwischen den Altersklassen bei Kindern und Jugendlichen. • Für die im vorliegenden Bericht behandelten häufigen psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen haben psychiatrische Fachgesellschaften heute klare und wissenschaftlich fundierte Leitlinien der Behandlung definiert. Wir stützen uns dabei auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Als Grundsatz aller Leitlinien gilt heute das Prinzip der multimodalen Behandlung, indem bedarfsgerecht und patientenzentriert verschiedene Behandlungsansätze angewandt werden. − 22 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 4 Daten zu Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen im Kt. Zürich 4.1 Fallzahlen und niedergelassene Fachärzte Die Zahl der im Kanton Zürich niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater/innen hat zwischen den Jahren 1998 bis 2007 um den Faktor 1.7 bzw. von 54 (1998) auf 93 (2008) zugenommen (Abbildung 2). Leicht grösser war das Wachstum der Anzahl Patientinnen und Patienten, die durch diese Fachärzte behandelt wurden: diese nahm um den Faktor 2.3 von 3’443 (1998) auf 7'931 (2007) zu. 2.5 2.4 2.3 2.2 2.1 2.0 1.9 1.8 1.7 1.6 1.5 1.4 Niedergelassene KJ-Psychiater (1.0=54) 1.3 Patienten/innen bei KJ-Psychiatern (1.0=3'434) 1.2 1.1 1.0 0.9 0.8 0.7 0.6 0.5 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Abbildung 2: Patienten/innen (6-18 Jährige) und Niedergelassene Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Kanton Zürich, 1998-2007 (indexiert; Daten: Datenpool Santésuisse/OBSAN). Auch die Zahl der Konsultationen durch Patienten/innen im Alter von 6-18 Jahren hat bei Kinderund Jugendpsychiatern stark zugenommen (Abbildung 3). − 23 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 55'000 8'500 8'000 50'000 7'500 45'000 7'000 6'500 6'000 35'000 5'500 5'000 30'000 Patienten/innen Konsultationen 4'500 Anzahl Konsultationen Anzahl Patienten/innen 40'000 25'000 4'000 3'500 20'000 3'000 15'000 2'500 2'000 10'000 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Abbildung 3: Patienten/innen und Anzahl Konsultationen von Kinder und Jugendlichen (6-18 Jährige) bei Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Kanton Zürich, 1998-2007 (Daten: Datenpool Santésuisse/OBSAN). 4.2 Behandlungen und Medikamentenkosten bei Fachärzten Die Kosten für Medikamente, die in Behandlungen von Kinder- und Jugendpsychiatern abgegeben werden, haben sich zwischen 1998 und 2007 stark erhöht, nämlich von rund CHF 3'500 auf annähernd CHF 60'000 (Abbildung 4). Allerdings sind die Medikamentenkosten im Verhältnis zu den Gesamtkosten der Behandlungen sehr klein: die Gesamtkosten erreichten im Jahr 2007 den Betrag von CHF 7'396'338. Dementsprechend ist auch der Anteil der Medikamentenkosten an den Gesamtkosten der Behandlungen sehr klein, er lag im Durchschnitt auch im Jahr 2007 unter 1%. Allerdings hat sich der Kostenanteil der Medikamente von 1998-2007 deutlich, um den Faktor 7, erhöht (Abbildung 5). Während der Kostenanteil der Medikamente bei Behandlungen von jüngeren Kindern (6-10 Jährige) sehr niedrig geblieben ist, hat er sich bei älteren Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren − wenn auch immer noch auf tiefem Niveau − erhöht. − 24 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 8'000'000 100'000 95'000 7'500'000 90'000 7'000'000 85'000 75'000 6'000'000 Kosten (CHF) Medikamente 70'000 5'500'000 65'000 59'187 60'000 5'000'000 4'500'000 55'000 4'000'000 50'000 45'000 43'003 Kosten Medikamente Gesamtkosten Behandlung 40'000 3'500'000 40'900 3'000'000 Gesamte Behandlungskosten (CHF) 6'500'000 80'000 35'000 2'500'000 30'000 2'000'000 25'000 20'000 18'038 15'000 12'200 17'289 1'500'000 10'859 1'000'000 10'000 5'661 5'000 3'467 2'598 1998 1999 500'000 0 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Abbildung 4: Kosten für Medikamente und Gesamtkosten der Behandlung von Patienten/innen im Alter von 6-18 Jahren bei bei Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kanton Zürich, 1998-2007 (Daten: Datenpool Santésuisse/OBSAN). Weitere Aufschlüsse zur Zunahme von Konsultationen und Medikamentenkosten liefert Tabelle 3. Dabei zeigt sich, dass die Zunahme der Konsultationen teilweise auf die Zunahme an praktizierenden Kinder- und Jugendpsychiater/innen im Kanton (Zunahme 1998-2007: von 54 auf 93 bzw. 72%) zurückzuführen ist. Aber es werden auch mehr Konsultationen von Patienten/innen im Kindes- und Jugendalter pro Arzt und Jahr verzeichnet (Spalte 1, Zunahme 1998-2007: 45%). − 25 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Anteil Kosten Medis an Gesamtkosten Behandlung (%) 1.4% 1.2% Altersgruppen Patienten/innen 1.0% 6-10 Jahre 11-15 Jahre 16-18 Jahre 0.8% Gesamt 0.6% 0.4% 0.2% 0.0% 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Abbildung 5: Relative Kosten (Anteil an Gesamtkosten der Behandlung) nach Altersgruppen für medikamentöse Behandlung von Patienten/innen im Alter von 6-18 Jahren bei Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie, 1998-2007 (Daten: Datenpool Santésuisse/OBSAN). Der Anteil der Medikamentenkosten an den Gesamtkosten einer Behandlung liegt bei den Kinderund Jugendpsychiater/innen deutlich unter einem Prozent. Ähnlich wie die absoluten haben jedoch auch die relativen Medikamentenkosten bei Kinder- und Jugendpsychiater/innen stark zugenommen, und auch die Kosten für Medikamente pro Konsultation haben sich bei KJ-Psychiater/innen in den letzten zehn Jahren markant erhöht. − 26 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Tabelle 3: Weitere Kennwerte zu Behandlungen von Patienten/innen im Alter von 6-18 Jahren bei Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Kanton Zürich, 1998-2007 Jahre Konsultationen/Arzt/Jahra Anteil Medikamenten- an Gesamtkostenb Medi.kosten/Konsultationc 1998 338 0.0011 0.19 1999 319 0.0008 0.15 2000 422 0.0013 0.24 2001 423 0.0026 0.47 2002 364 0.0038 0.67 2003 330 0.0021 0.37 2004 410 0.0025 0.46 2005 485 0.0057 0.91 2006 523 0.0059 0.87 2007 488 0.0080 1.30 ∅, 19982007 416 0.0026 0.47 Daten: Datenpool Santésuisse/OBSAN ∅: Median; a: Anzahl Konsultationen 6-18-Jährige pro Arzt und Jahr; b: Anteil Medikamentenkosten an Gesamtkosten von Behandlungen bei 6-18-Jährigen pro Jahr; c: Medikamentenkosten in CHF pro Konsultation und Jahr 4.3 Fazit • Der Anteil der Medikamente an den Gesamtkosten einer Behandlung bei Kinder- und Jugendpsychiatern/innen ist niedrig, er liegt knapp unter 1%. • Allerdings haben die Kosten für Medikamente, die in Behandlungen von Kindern und Jugendlichen bei Kinder- und Jugendpsychiater/innen im Kanton Zürich abgegeben wurden, zwischen 1998 und 2007 stark bzw. um den Faktor 17 zugenommen. • Die Zunahme der Medikamentenkosten lässt sich partiell durch die Zunahme an Konsultationen (und die Zunahme an niedergelassenen Fachärzten) erklären. Aber auch unter Berücksichtigung dieses Aspektes sind die Medikamentenkosten pro Konsultation im Zeitraum 1998-2007 substantiell gestiegen (Zunahme um den Faktor 6.8). • Inwieweit die gestiegenen Medikamentenkosten Ausdruck eines Mengenwachstums und/oder von Preissteigerungen sind, kann mit den verfügbaren Daten nicht geklärt werden. Preissteigerungen dürften jedoch eine bedeutende Rolle spielen. • Allgemein ist zu beachten, dass die gesellschaftliche Sensibilisierung für psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren gestiegen ist. Auch dies führt zu einer Zunahme der psychiatrischen Behandlungen. − 27 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 5 Wissenschaftliche Evidenz I: Vergleichende Analyse der Wirksamkeit von Interventionen 5.1 Angsterkrankungen 5.1.1 Kognitive Verhaltenstherapie Allgemeine Befunde Aus der systematischen Literaturrecherche geht eindeutig hervor, dass KVT effektiv in der Behandlung von Angststörungen bei Kinder und Jugendlichen ist (James et al., 2005; Walkup et al., 2008). Bachmann et al. (2008) beschreiben in ihrer Übersichtsarbeit KVT als die Behandlung erster Wahl bei Angststörungen. Sie berichten über eine mittlere bis grosse Effektstärke der KVT. Gemäss der Leitlinien der DGKJP (2007) zur Behandlung von Angststörungen bei Kinder und Jugendlichen wird die Wirksamkeit der KVT mit Evidenzstufe II (höchste Stufe: I; tiefste Stufe IV) bewertet. Diese Resultate werden durch die Metaanalyse von James et al. (2005) gestützt. Die konservativen Intention-to-treat-Kriterien11 geben eine Remissionsrate von 56% bei der Gruppe mit KVT und 28% bei der Kontrollgruppe an. Kontrollgruppen sind Kinder- und Jugendliche auf der Warteliste zur KVT oder sogenannte ‚attention controls’12. Hier muss angefügt werden, dass in der genannten Metaanalyse nur Studien miteinbezogen wurden, die ambulante Patienten umfassten. Somit erschwert sich die Generalisierbarkeit der Resultate auf stationäre Patienten bzw. schwerere Formen der Angsterkrankungen (James et al., 2005). Zusätzlich zeigen einige Studien, dass die Wirkung von KTV auch über einen längeren Zeitraum, bspw. von mehreren Jahren, bestehen bleiben kann (Bachmann et al., 2008; James et al., 2005). KVT mit Einbezug der Eltern Im Unterschied zur oben berichteten eindeutigen Befundlage der Wirksamkeit der KVT stehen widersprüchliche Resultate zum zusätzlichen Einbezug der Eltern. Als einzige der referenzierten Studien berichtet Wood (2006) über eine verbesserte Effektivität der KVT mit Elterneinbezug im Vergleich zur kind-fokussierten KVT. Bogels und Siqueland (2006) belegen die Effektivität des Elterneinbezugs in die Therapie und zeigen, dass 57% der behandelten Kinder nach drei Monaten und 71% nach einem Jahr symptomfrei waren. Demzufolge bestätigt diese Studie zwar die Effektivität der Elternbeteiligung an der KVT, kann aber über die Wirksamkeit im Vergleich zu kindfokussierter KVT keine Aussage machen. Demgegenüber verglichen James et al. (2005) die Effektivität von Kind-fokussierter KVT, Gruppen-KVT und KVT mit Elterneinbezug und konnten zwischen den verschiedenen Therapieansätzen keine signifikanten Effektivitätssunterschiede feststellen. Auch eine randomisierte Kontrollstudie von Kendall (2008) fand keine erhöhte Effektivität von KVT durch Elterneinbezug. Die Therapiebeteiligung der Eltern kann aber in gewissen Situationen bevorzugt werden: Wenn neben dem Kind auch beide Elternteile an Angsterkrankungen leiden, besitzt Familien KVT möglicherweise eine grössere Effektivität in der Bekämpfung der Angstsymptomen der Kinder (Kendall et al., 2008). Zusätzlich könnte die Wirkung von KVT bei jüngeren Kindern oder Mädchen durch Elterntraining erhöht werden (Bachmann et al., 2008; Keeton & Ginsburg, 2008). 11 Intention-to-treat-Analyse: Bei dieser Art der Auswertung werden die Patienten für die Analyse in der Gruppe belassen, zu der sie ursprünglich zugeordnet wurden, unabhängig davon, welche Therapie sie später tatsächlich bekommen haben (analysed as randomised). Vergleicht man also z.B. die Ergebnisse einer koronaren Bypass-Operation mit denen einer Ballon-Dilatation, so werden die Patienten der Ballon-Dilatationsgruppe für die Auswertung in dieser Gruppe belassen, auch wenn sie später operiert wurden. Die Intention-to-treat Analyse beschreibt den Effekt unter Praxisbedingungen. Siehe hierzu auch die Per protocol Analyse. (Kleespies et al., 2003) 12 Attention controls“ bedeutet in diesem Fall die Betreuung durch einen Therapeuten oder Peer, d.h ohne Komponente der KVT. − 28 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 5.1.2 Psychopharmakotherapie bei Angststörungen Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Die Leitlinien der DGKJP (2007) empfehlen bei Angsterkrankungen in erster Linie psychotherapeutische bzw. verhaltenstherapeutische Interventionen. Erst bei erfolgloser Psychotherapie oder sehr schweren Fällen von Angststörungen kann zusätzlich eine Psychopharmakabehandlung in Betracht gezogen werden. Dabei sind unter den Antidepressiva die SSRI das Mittel der ersten Wahl, aber auch eine Behandlung mit Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), Trizyklischen Antidepressiva (TCA) oder Benzodiazepinen wird ggf. empfohlen (DGFJP, 2007). Die SSRI können aufgrund der vorgenommenen Literaturrecherche als effektiv in der Behandlung von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen beurteilt werden (z. B. Compton et al., 2007; Keeton & Ginsburg, 2008; Reinblatt & Riddle, 2007). Bachmann et al. (2008) schreiben den Substanzen Fluoxetin, Sertralin, Paroxetin und Fluvoxamin für die kurzfristige Wirksamkeit bei Sozialer Phobie, Trennungsangst und generalisierter Angststörung mittlere bis grosse Effekte zu. Die Leitlinien der DGKJP (2007) weisen der Effektivität der SSRI bei generalisierten- und Trennungsangststörungen die Evidenzstufe II zu. SSRI können initial verabreicht werden, um den Patienten die Teilnahme an einer Psychotherapie zu ermöglichen (Gabbard, 2007). Die Überwachung bei der Therapie mit SSRI wird als günstig beschrieben, Blutkontrollen sind nicht nötig und die Gefahr einer Überdosierung ist gering (Compton et al., 2007). Seit längerer Zeit wird aber kontrovers diskutiert, ob SSRIs die Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen erhöhen (Bachmann et al., 2008), insbesondere bei Patienten mit depressiven Erkrankungen und Komorbidität, bspw. bei Angsterkrankungen mit depressiven Störungen (Gabbard, 2007). Dennoch empfehlen fast alle der untersuchten Studien SSRI als erstes Mittel der Wahl, wenn Psychopharmaka bei Angsterkrankungen indiziert sind. Ein strenges Monitoring der Patienten sollte aber die Therapie begleiten (Bachmann et al., 2008; Reinblatt & Riddle, 2007). Trizyklische Antidepressiva Trizyklische Antidepressiva sind laut des Entscheidungsschemas der DGKJP (2007) eine mögliche Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit Angststörungen. In den Leitlinien weist aber die DGKJP darauf hin, dass in kontrollierten Studien keine ausreichende Effektivität der trizyklischen Antidepressiva bei Trennungsängsten und Panikstörungen festgestellt werden konnte. Die Leitlinien lassen offen, ob die Evidenz für die Behandlung anderer Angststörungen ausreicht. Bachmann et al. (2008) geben keine Effektstärken bezügl. TCA an13. Unsere Literaturrecherche fand Hinweise, dass die Behandlung mit TCA nur in bestimmten Situationen empfohlen wird. Der Wirkstoff Imipramin könnte die Teilnahme an der Psychotherapie erhöhen (Keeton & Ginsburg, 2008) und eine Schulphobie verbessern (Reinblatt & Riddle, 2007). Die Gefahr von Überdosierung erschwert jedoch die Verschreibung in der psychiatrischen Praxis. Einige Studien berichten, dass TCA in der Behandlung von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen mehrheitlich von SSRI abgelöst worden sind (Compton et al., 2007; Reinblatt & Riddle, 2007). Benzodiazepine Divergente Resultate ergeben sich in der systematischen Literaturrecherche für die Anwendung von Benzodiazepinen in der Therapie von Angsterkrankungen. Keeton und Ginsburg (2008) empfehlen diese Medikamentengruppe nur in sehr schweren Fällen zu verordnen oder bei akuter Angst einzusetzen (Gabbard, 2007). Williams und Miller (2003) bemängeln das Fehlen von kontrollierten Studien und beziehen sich auf Fallbeispiele, bei denen Benzodiazepine einen positiven Effekt auf Trennungsangst, Generalisierte Angststörungen und Panikstörungen hatten. Im Kontrast dazu stehen die Aussagen der DGKJP (2007) und von Dieleman (2008), welche die Wirkung von Benzodiazepin als nicht über den Plazeboeffekt hinausgehend beurteilen. Demzufolge kann nicht 13 Im Weiteren gilt: wenn die Evidenzstufe einer Interventionsart nicht aufgeführt wird, so wurde diese weder in den Leitlinien der DGKJP (2007) noch im Review von Bachmann et al. (2008) präsentiert. − 29 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht schlüssig beantwortet werden, wann die Indikation für die Behandlung mit Benzodiazepinen gegeben ist. 5.1.3 Kombinierte Behandlung: SSRI und kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Es liegen nur wenige Studien vor, die SSRI und KVT im Vergleich oder als Kombinationstherapie untersuchen (Keeton & Ginsburg, 2008); die bisherigen Ergebnisse sind aber viel versprechend. Walkup et al. (2008) verglichen die Wirkung der Monotherapie mit KVT, SSRI (Sertralin) oder Plazebos mit der Kombinationstherapie KVT und SSRI. Die Befunde: kein signifikanter Unterschied besteht zwischen der Monotherapie mit SSRI oder KVT, aber eine höhere Effektivität wurde in der Kombination dieser beiden Behandlungen erzielt14. Die Pediatric Obsessive-Compulsive Disorder Treatment Studie (POTS-Team, 2004) untersuchte bei der Behandlung von Zwangsstörungen KVT, SSRI (Sertralin) und deren Kombination im Vergleich mit Plazebo. Sie kam zum Schluss, dass die Kombinationsbehandlung effektiver war im Vergleich zu den Monotherapien. Diese Studie empfiehlt die initiale Behandlung von Zwangsstörungen mit der Kombinations- oder KVT. Weiter kommen Bachmann et al. (2008) in ihrer Übersichtsarbeit von 112 Metaanalysen und Reviews zum Schluss, dass die Kombination von pharmakologischen und psychotherapeutischen Ansätzen bei der Behandlung von Angsterkrankungen zu empfehlen ist. Möglicherweise könnte die Kombinationsbehandlung zu einer Reduktion der Medikamentendosis führen und allfälligen Nebenwirkungen der SSRI präventiv entgegenwirken (Compton et al., 2007). 5.1.4 Behandlungsentscheidung Die Leitlinien der DGKJP (2007) empfehlen bei Angsterkrankungen in erster Linie Psychotherapie. Erst bei sehr schweren Symptomen oder bei ausbleibendem Erfolg psychotherapeutischer Interventionen wird der Einsatz von Psychopharmaka nahe gelegt. Wenn es die Situation verlangt, ist es möglich, eine Psychopharmakatherapie der Psychotherapie vorzuschalten. Indikationen für eine initiale Psychopharmakabehandlung sind z.B. Komorbidität, Präferenzen des Patienten oder NichtVerfügbarkeit der KVT (Walkup et al., 2008). Im Weiteren könnte eine initiale Psychopharmakatherapie Angstsymptome soweit reduzieren, dass die Teilnahme von Kindern und Jugendlichen an einer Psychotherapie überhaupt möglich ist (Keeton & Ginsburg, 2008). Die initiale Psychopharmakabehandlung hat aber auch potentielle Nachteile: Medikamentös reduzierte Angstsymptome können die Motivation für eine begleitende Psychotherapie beeinträchtigen und deren Wirkung verringern (Keeton & Ginsburg, 2008). Dies könnte negative Auswirkungen auf die Zeit nach der Psychopharmakabehandlung haben, wenn Patienten vermehrt auf ihre eigenen Bewältigungsressourcen angewiesen sind (Keeton & Ginsburg, 2008). 5.1.5 Fazit • Psychotherapeutische Interventionen (v.a. kognitive Verhaltenstherapie KVT) sind das Mittel der ersten Wahl bei der Behandlung von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen. In spezifischen Situationen können aber auch Psychopharmakabehandlungen in Kombination mit einer Psychotherapie eingesetzt oder einer Psychotherapie vorgeschaltet werden (DGFJP, 2007). • Die analysierten Studien belegen die Effektivität der kognitive Verhaltenstherapie in der Behandlung von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen eindeutig (Bachmann et al., 2008; James et al., 2005; Walkup et al., 2008). Ob KVT mit dem zusätzlichen Einbezug der Eltern effektiver ist, kann die vorliegende Recherche nicht schlüssig beantworten. Möglich wäre eine erhöhte Effektivität bei jüngeren Kindern, bei Mädchen (Bachmann et al., 2008; Keeton & Gins- 14 Die Kombinationstherapie war effektiver als Sertalin (Odds Ratio 3.4; 95% CI, 2.0 to 5.9; P<0.001) und als KVT (Odds Ratio 2.8; 95% CI, 1.6 to 4.8; P = 0.001). − 30 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht burg, 2008) oder wenn beide Elternteile ebenfalls von Angsterkrankungen betroffen sind (Kendall et al., 2008). • Antidepressiva vom Typ SSRI können als effektiv in der Behandlung von Angsterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen beurteilt werden (Compton et al., 2007; Keeton & Ginsburg, 2008; Reinblatt & Riddle, 2007). Die Evidenzlage ob SSRI die Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen mit depressiven Symptomen oder depressiver Komorbidität erhöhen, scheint nach dem heutigen Forschungsstand noch unklar. Folglich sollten diese Medikamente nur unter strengem Monitoring verschrieben werden (Bachmann et al., 2008; Reinblatt & Riddle, 2007). • Die Kombinationsbehandlung von Psychopharmakobehandlung (mit SSRI) und Psychotherapie (Kognitive Verhaltenstherapie) zeigt womöglich eine erhöhte Effektivität im Vergleich zu Monotherapien (Bachmann et al., 2008; Walkup et al., 2008). • Die Pharmako-Behandlung mit anderen Arten von Medikamenten (namentlich mit Trizyklischen Antidepressiva TCA oder Benzodiazepinen) zeigt widersprüchliche oder unklare Befunde. Die Anwendung von TCA ist in spezifischen Situationen angezeigt (z. B. Schulphobie). Die Wirksamkeit von Benzodiazepinen ist fraglich. 5.2 Depressive Erkrankungen 5.2.1 Psychotherapeutische Interventionen bei depressiven Störungen Kognitive Verhaltenstherapie Das psychotherapeutische Verfahren der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) wird sowohl bei leichten bis schweren Depression (Bachmann et al., 2008) als auch bei mittelgradigen bis schweren depressiven Störungen (DGFJP, 2007) empfohlen. Im Unterschied zur ausgeprägten Effektivität der KVT bei Angststörungen, scheint sie jedoch bei depressiven Störungen eher geringere Effekte aufzuweisen (Bachmann et al., 2008). Trotzdem wird sie als die Methode der ersten Wahl zur Behandlung von depressiven Störungen bei Kindern und Jugendlichen empfohlen (Bachmann et al., 2008). Die Wirksamkeit der KVT ist besser als jene der pharmakologischen Behandlung mit SSRI (s.u. Kapitel 5.2.2). Zudem wurde die KVT auch in der Akut- und Langzeitbehandlung als effektiv beurteilt. Die Analyse der publizierten Studien zwischen 2007 bis April 2009 bestätigt zusätzlich die Effektivität von KVT bei der Behandlung von depressiven Störungen (Carr, 2008; Cheung et al., 2007; David-Ferdon & Kaslow, 2008; Klein et al., 2007). Die Befunde zeigen, dass KVT zwar als wirksam beurteilt werden kann, aber eher kleine bis mittlere Effekte aufweist. Die geringere Wirksamkeit dieser Therapieform kann womöglich auch damit zusammenhängen, dass für Erwachsene entwickelte Therapieansätze, teilweise ohne Adaption auf Kinder und Jugendliche angewendet werden (Bachmann et al., 2008; Seiffge-Krenke, 2007). Darüber hinaus ist die Nachhaltigkeit der Effekte der KVT nach Abschluss der Therapie noch unklar. Bachmann et al. (2008) weisen auf divergierende Resultate hin; einige Studien berichten von einer anhaltenden Wirksamkeit der Therapie, andere zeigen abnehmende Effekte nach ca. einem Jahr. Der DGKJP (2007) berichtet über neuere Studien, die ‚booster sessions’ zur Auffrischung der erlernten Denkens- und Verhaltensmuster empfehlen. Ähnlich wie bei den Angsterkrankungen, ist die Frage offen, ob der Einbezug der Eltern die Effektivität der KVT erhöht (Bachmann et al., 2008; DGFJP, 2007). Die Review von Carr (2008) berichtet, dass zurzeit nicht genügend wissenschaftliche Studien existieren um diese Frage eindeutig zu beantworten. Seiffge-Krenke (2007) schlägt vor, die Familie mit einzubeziehen aufgrund erhöhter Prävalenzen bei Verwandten ersten Grades. Interpersonale Therapien Die Leitlinien der DGKJP (2007) empfehlen aufgrund der Analyse von randomisierten Kontrollstudien bei mittelschweren, aber nicht bei schweren depressiven Störungen, das Verfahren der Inter− 31 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht personalen Therapie (IPT)15. Die Resultate der systematischen Literaturrecherche belegen IPT als effektive Intervention bei depressiven Störungen (bspw. Carr, 2008; Cheung et al., 2007; Young et al., 2006)16. Santor und Kusumakar (2001) betonen die Effektivität von IPT auch bei Komorbidität. 60% der Teilnehmer litten neben depressiven Störungen zusätzlich an bspw. Posttraumatischem Stresssymptom, Generalisierten Angststörungen oder Anorexia Nervosa. Die Effektsstärke der IPT ist im Vergleich zur Wirksamkeit der KVT ähnlich gross und liegt im kleinen bis mittleren Bereich (Bachmann et al., 2008). KVT hat eine gute Evidenzlage bei Kindern und Jugendlichen, aber bei der IPT liegen relativ wenige RCTs mit Jugendlichen und fast keine mit Kindern vor (Bachmann et al., 2008; David-Ferdon & Kaslow, 2008). Bei schweren Formen depressiver Störungen reichen womöglich IPT oder KVT als Monotherapie nicht mehr aus, und der Einsatz von Psychopharmaka muss in Erwägung gezogen werden. 5.2.2 Psychopharmakologische Therapien Selektive Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bei depressiven Störungen Bei schweren depressiven Störungen oder wenn psychotherapeutische Interventionen zu keiner Verbesserung der Symptome geführt haben, kann nach Absprache und Aufklärung aller Beteiligten eine psychopharmakologische Behandlung in Betracht gezogen werden (bspw. Carr, 2008; Kölch & Fegert, 2007; Seiffge-Krenke, 2007). Bachmann et al. (2008) empfehlen bei Nicht-Verfügbarkeit oder erfolgloser KVT/IPT, den Einsatz von SSRI17 als Therapie der zweiten Wahl. Die Leitlinien der DGKJP empfehlen bei ineffektiver KVT/IPT und Familientherapie, zusätzlich zu diesen Therapieverfahren die Gabe von Psychopharmaka. Psychopharmakainterventionen bei Depressionen von Kindern und Jugendlichen scheinen somit nur in Kombination mit einer psychotherapeutischen Behandlung sinnvoll (Bachmann et al., 2008). Aufgrund der bearbeiteten Literatur erweist sich Fluoxetin als der Wirkstoff mit dem besten NutzenRisiko-Verhältnis ist (Bachmann et al., 2008; Goodyer et al., 2008; Kölch & Fegert, 2007). Bachmann et al. beschreiben in ihrer Übersichtsarbeit die Effektstärke von SSRI (Fluoxetin) bei depressiven Störungen als klein. Bei anderen Wirkstoffen wie zum Beispiel Citalopram, Paroxetin und Fluvoxamine scheint die Evidenz noch unklar (Bachmann et al., 2008; Kölch & Fegert, 2007). Die Leitlinien der DGKJP beschreiben Fluoxetin als Wirkstoff der ersten Wahl, aber es kann auch Sertralin verabreicht werden. Beiden Substanzen wird der Evidenzgrad II zugeteilt. Wie bei der Behandlung von Angsterkrankungen bereits besprochen (Kapitel 5.1), scheint der heutige Stand der Forschung noch keine schlüssige Antwort darauf zu liefern, ob SSRIs zu erhöhter Suizidalität führen (Bachmann et al., 2008). Folglich ist eine adäquate Überwachungder SSRITherapie bei Angsterkrankungen, erforderlich. 15 Bei der IPT handelt es sich um eine Kurzzeit-Psychotherapie. Die theoretischen Grundlagen wurzeln in tiefenpsychologischen Ansätzen, es werden aber auch kognitiv-verhaltenstherapeutische Konzepte einbezogen. 16 Zum Beispiel in der randomisierten Kontrollstudie von Young et al. (2006) wurden 41 Kinder und Jugendliche mit leichten bis mittelschweren depressiven Störungen entweder mit IPT-AST (Interpersonal Psychotherapy-Adolescent Skills Training) behandelt oder sie bekamen Schulbasierte Beratung ohne IPT Komponente. Die Effektstärke von IPT-AST (adaptierte Form von IPT für Jugendliche) ist mit 1.52 gross. Die Follow-up Messung nach sechs Monaten bestätigt diese Resultate. 17 Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI=Selective Serotonin Reuptake Inhibitor) sind eine Gruppe von Antidepressiva, welche die Serotonin-Konzentration im Gehirn erhöhen. SSRI beeinflussen Substanzen, welche die Nervenzellen im Gehirn verwenden, um Nachrichten zu senden. Diese chemischen Botenstoffe, Neurotransmitter genannt, werden von einer Nervenzelle freigesetzt und von anderen Nervenzelllen aufgenommen. Neurotransmitter, die nicht durch andere Nervenzellen aufgenommen werden, werden von den sie ausscheidenen Nervenzellen wieder zurück genommen. Dieser Vorgang wird als "Wiederaufnahme" (reuptake) bezeichnet. SSRIs wirken durch die Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin − eine Maßnahme, die es ermöglicht mehr Serotonin im Gehirn zur Verfügung stellen. − 32 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Trizyklischen Antidepressiva Trizyklische Antidepressiva (TCA)18 wurden in der bearbeiteten Literatur nicht zur Behandlung von depressiven Störungen bei Kindern und Jugendlichen empfohlen (Bachmann et al., 2008; Cheung et al., 2007; DGFJP, 2007). Bachmann et al. (2008) berichten von schwachen Effekten der TCA bei Jugendlichen berichtet, aber bei Kindern konnte bis jetzt keine Wirksamkeit nachgewiesen werden. Zusätzlich kann die Verabreichung mit schweren Nebenwirkungen verbunden sein. In der Review von Cheung et al. (2007) wurde die Behandlung mit TCA wegen nachgewiesener Ineffektivität nicht in die Analyse mit aufgenommen. Unklar erscheinen die Leitlinien der DGKJP: auf der einen Seite werden die TCA als mögliche Behandlung im Entscheidungsschema aufgeführt, aber im dazugehörigen Text wird klar davon abgeraten. 5.2.3 Kombinationsbehandlungen Wie bei den Angsterkrankungen scheint die Evidenzlage für eine Kombinationstherapie von SSRI und KVT gegen depressive Störungen noch nicht endgültig geklärt (Bachmann et al., 2008; DavidFerdon & Kaslow, 2008). Die analysierten Studien für die Zeit von 2007 bis April 2009 zeigen weiterhin Unklarheiten über die Effektivität einer Kombinationstherapie (vgl. Goodyer et al., 2008; oder die TADS Studie March et al., 2007) . 5.2.4 Fazit • Für die Behandlung von depressiven Störungen bei Kindern und Jugendlichen werden sowohl psychotherapeutische Interventionen (KVT, IPT) als auch Pharmakotherapien (v.a. SSRI) in der bearbeiteten Literatur als effektiv beschrieben. Die Wirksamkeit ist für alle der genannten Behandlungen jedoch als eher bescheiden einzustufen (Psychotherapie: kleine bis mittlere Effekte; Pharmakotherapie: kleine Effekte). • Die KVT ist nicht so effektiv in der Behandlung von depressiven Störungen wie erhofft. Dies hängt womöglich auch damit zusammen, dass einige für Erwachsene entwickelte Behandlungsansätze ohne oder nur mit geringer Anpassung auf Kinder und Jugendliche übernommen wurden (Bachmann et al., 2008; Seiffge-Krenke, 2007). • Die Effektivität der Kombinationsbehandlung von SSRI und KVT, Elterneinbezug sowie die Nachhaltigkeit der Effekte von KVT scheint unklar. • Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI können bei schweren depressiven Störungen oder Ineffektivität der Psychotherapie als Behandlungsoption in Betracht gezogen werden. Ob der Einsatz von SSRI zu erhöhter Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen führt, vermag der heutige Forschungsstand nicht eindeutig zu klären. Folglich ist ein strenges Monitoring der Patienten unabdingbar. 5.3 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS 5.3.1 Psychosoziale Therapien bei ADHS Die Bedeutung von psychosozialen Therapien, Psychoedukation In den letzten zwei Jahren wurden einige Studien über nicht-medikamentöse Interventionen veröffentlicht (Johnson, K. A. et al., 2008). Die Evidenzlage für die Mehrzahl nicht-medikamentöser Therapien oder Therapiekomponenten ist noch relativ schmal und kann nicht schlüssig beurteilt werden. Zusätzlich ist die Heterogenität dieser Studien gross, was ihre Vergleichbarkeit erschwert (Bachmann et al., 2008). Psychoedukation ist jedoch ein Beispiel dafür, wie trotz schmaler Evidenzbasis bereits Empfehlungen für Behandlungsleitlinien ausgesprochen werden können. Die 18 Trizyklische Antidepressiva sind eine ältere Gruppe von Psychopharmaka. Sie hemmen die Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin, Dopamin in die Nervenzellen des Gehirns. Ihre Wirkung auf die NeurotransmitterSysteme ist nur wenig selektiv. Heutzutage sind trizyklische Antidepressiva nicht mehr Mittel der ersten Wahl zur Depressions-Behandlung, da sie gegenüber moderneren Antidepressiva deutlich stärkere Nebenwirkungen aufweisen. − 33 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Psychoedukation bzw. die Aufklärung und Beratung der Eltern und gegebenenfalls der Lehrpersonen an der Schule wird von der DGKJP empfohlen. Obwohl dieser Schritt in der Behandlung wichtig erscheint, ist die wissenschaftliche Evidenz für deren Effektivität noch wenig vorhanden (DGFJP, 2007; Toplak et al., 2008). Training der Eltern, Interventionen in der Familie und Familientherapie Für die Familientherapie sowie für allgemeine Interventionen in der Familie und Training der Eltern19 liegt eine gute Evidenz für deren Wirksamkeit vor (Cormier, 2008; DGFJP, 2007; Wagner & McNeil, 2008). Die Leitlinien der DGKJP (2007) bewerten diese Interventionen mit der höchsten Evidenzstufe I. Bachmann et al. (2008) teilen die Beurteilung der hohen Effektivität von Elterntraining, weisen aber darauf hin, dass Elterntraining eine geringere Wirkung als medikamentöse Therapien aufweist. Jans et al. (2008) befürworten das Elterntraining mit Blick auf den Erziehungsstil und dessen Bedeutung für die Ausprägung von ADHS auf der Verhaltensebene; zudem kann die Beziehung zwischen Eltern und Kind durch ADHS erschwert sein, wodurch zusätzliche Unterstützung notwendig ist. Elterntrainings können auch Komponenten der KVT beinhalten (Cormier, 2008). Diese verhaltenstherapeutischen Interventionen können die oppositionellen Verhaltensweisen des Kindes positiv beeinflussen und somit auch die dadurch oft belastete Beziehung zwischen den Elternteilen verbessern (Antshel & Barkley, 2008). In der wissenschaftlichen Literatur wurden darüberhinaus spezifische Ansätze von Familientinterventionen untersucht, über diese wird im Folgenden berichtet: Parent-child Interaction Therapy (PCIT): wird in der Literatur mehrheitlich als wirksam in der Behandlung von Störungen des Sozialverhaltens bezeichnet (LaForett et al., 2008; Wagner & McNeil, 2008). Der theoretische Ursprung von PCIT basiert auf der Bindungstheorie und der Theorie des sozialen Lernens. Ein Schwerpunkt von PCIT liegt auf der Verbesserung der Interaktion zwischen den Eltern und dem betroffenen Kind. Die Therapie ist nicht gekennzeichnet durch eine bestimmte Anzahl von Sitzungen, sondern wird dann beendet, wenn die neuen Verhaltensweisen gelernt wurden (Wagner & McNeil, 2008). Es wird angenommen, dass PCIT auch bei ADHS wirksam ist, obwohl die Beweislage eher schmal ist. Die Review von Ghuman et al. (2008) zeigt auf, dass die analysierten Studien über die Wirksamkeit von PCIT bei störendem Verhalten auch Kinder mit ADHS miteinbezogen haben und somit die Resultate eine gewisse Generalisierbarkeit zulassen. Die bearbeitete Literatur zeigt widersprüchliche Aussagen mit Blick auf spezifische ADHSSymptome, die von PCIT positiv beeinflusst werden. Die Übersichtsarbeit von LaFortett et al. (2008) weist darauf hin, dass PCIT die oppositionellen Verhaltensweisen von ADHS-betroffenen Kindern oder Jugendlichen reduziert, aber sich als weniger wirksam bei der Reduktion von Unaufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsymptomen erweist. Andererseits belegt die Review von Wagner und McNeil (2008) die Wirksamkeit von Teilaspekten von PCIT, welche Unaufmerksamkeit und Impulsivität verbessern können. Incredible Years Program (IYP) ist eine multimodale Intervention und beinhaltet im Minimum zwölf Monate Elterntraining, inkl. Rollenspiele und Videoaufnahmen. LaForett et al. (2008) berichten über die wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit von IYP bei Kindern mit Störungen des Sozialverhaltens. Dieselbe Studie zeigt, dass die Evidenzlage auch für die Wirkung bei Kindern mit ADHS vielversprechend ist. New Forest Parenting Package (NFPP) ist ein achtwöchiges Programm, welches aus Hausbesuchen und direkten Beobachtungen der Eltern-Kind-Interaktion besteht. Diese Therapieform wird von LaForett et al. (2008) als möglicherweise effektiv bei der Behandlung von ADHS bezeichnet. Allerdings kann wegen des limitierten Rahmens dieser Literaturrecherche über diese Behandlungsform kein schlüssiges Urteil abgeben werden. 19 Elterntrainings beinhalten z.B. Ausbildungseinheiten, welche das Verstehen für das Verhalten des Kindes fördern oder die Vermittlung von Kenntnissen über Einfluss- und Auslösefaktoren spezifischer Verhaltensweisen des Kindes (Jans et al., 2008). − 34 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Triple P wird von LaForett et al. (2008) als eine sehr effektive Therapieform für Kinder mit ADHS im Vorschulalter bezeichnet, da sie individuell anpassbar ist und den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes berücksichtigt. Die Langzeitwirkung dieser Therapie ist unklar und longitudinale Studien sind nötig. Aufgrund der limitierten Anzahl der bearbeiteten Studien in Bezug auf Triple P kann diese Recherche die Effektivität nicht endgültig bestätigen. Psychotherapien nach dem Ansatz der Verhaltenstherapie (Behaviorale Therapien) Die Evidenz für die Wirksamkeit von verhaltenstherapeutischen Interventionen ist laut der analysierten Literatur gut (Cormier, 2008; DGFJP, 2007; LaForett et al., 2008). Bachmann et al. (2008) bezeichnen die Wirksamkeit dieser psychotherapeutischen Interventionen als evidenzbasiert, aber als weniger effektiv im Vergleich zu medikamentösen Therapien. Demgegenüber beurteilt die Übersichtsarbeit von Antshel und Barkley (2008) die Wirksamkeit behavioraler psychotherapeutischer Interventionen als vergleichbar mit jener von psychopharmakologischen Interventionen. Verhaltenstherapeutische Interventionen sind sowohl innerhalb der Familie als auch in der Schule effektiv (Antshel & Barkley, 2008; LaForett et al., 2008). Die Leitlinien der DGKJP (2007) bewerten Interventionen in der Schule und im Kindergarten mit dem Evidenzgrad I. Schulinterventionen sind wichtig, da durch ADHS soziale Kontakte sowie die Lernfähigkeit negativ beeinflusst werden können (Jans et al., 2008)20. Eine mögliche Schwierigkeit stellt das Aufrechterhalten der Therapie im Schulrahmen oder im Kindergarten über einen längeren Zeitraum dar. Das Engagement der Lehrpersonen ist eine Grundvoraussetzung für den Behandlungserfolg (LaForett et al., 2008). Negative Effekte verhaltenstherapeutischer Interventionen sind vergleichbar mit denen einer medikamentösen Therapie (Jans et al., 2008). So scheint die Wirksamkeit nur über einen begrenzten Zeitraum anzuhalten. Einzelne Kinder reagieren auch negativ auf die Intervention (Jans et al., 2008). Die Untersuchung von möglichen Nebenwirkungen der Verhaltenstherapie wurde bis jetzt allerdings weitgehend vernachlässigt und sollte wie bei den Psychopharmaka systematisch untersucht werden (Antshel & Barkley, 2008). Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Die analysierten Studien im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von KVT bei ADHS liefern inkonsistente Resultate. Die Studien bescheinigen entweder keine Wirkung (Toplak et al., 2008) oder eine limitierte Wirkung von KVT (Antshel & Barkley, 2008; Cormier, 2008). Bachmann et al. (2008) bestätigen die divergierenden Resultate bezüglich der KVT und weisen eine kleine Effektstärke aus. Womöglich ist KVT in einer multimodalen Vorgehensweise wirksamer im Vergleich zum Einsatz als Einzeltherapie. Die Effektivität von KVT kann sich womöglich durch das Lernen von sozialen Fertigkeiten und Ärgerkontroll-Training verbessern (Toplak et al., 2008). Die Übersichtsarbeit, bzw. Metaanalyse von Toplak et al. (2008) schliesst nicht aus, dass KVT eher bei Jugendlichen, aber weniger bei Kindern mit ADHS wirksam sein könnte. Kinder verfügen womöglich noch nicht über die erforderlichen kognitiven Fähigkeiten, um von KVT profitieren zu können. Folglich sollte vor Therapieentscheid der individuelle Entwicklungsstand des Kindes eingeschätzt werden (Toplak et al., 2008). Kognitive Therapien Kognitive Therapien werden in den Leitlinien der DGKJP nur kurz behandelt und mit dem Evidenzgrad II beurteilt. Entsprechend berichten Bachmann et al. (2008) über unterschiedliche Resultate zur Effektivität von kognitiven Therapien. Kognitive Therapien können bspw. die Verminderung von 20 Die Leitlinien der DGKJP (2007) empfehlen, wenn Verhaltensauffälligkeiten zuhause und in der Schule auftreten, an beiden Orten Massnahmen zu treffen, da im Allgemeinen eine Generalisierbarkeit der Effekte nicht erwartet werden kann. − 35 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht impulsiven und die Verbesserung der unstrukturierten Verhaltensweisen zum Ziel haben. Im Folgenden wird eine Auswahl möglicher kognitiver Interventionen kurz beschrieben. Selbstmanagement ist eine mögliche kognitive Intervention. Sie beinhaltet u. a. Selbstbeurteilung, Selbstbeobachtung und Selbstverstärkung (DGFJP, 2007). Selbstmanagement-Techniken unterstützen den Patienten darin, eigene Therapieziele zu setzen und mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Dies kann sich motivierend auf den Therapieprozess auswirken, aber gleichzeitig sollte auch eine Überforderung des Kindes vermieden werden (Jans et al., 2008). Selbstmanagement-Techniken stellen erst bei Kindern ab dem Schulalter eine Therapieoption dar, dann sollten sie aber bei jeder Intervention in der Schule angewendet werden. Die alleinige Intervention mit Selbstmanagementtechniken ist jedoch unzureichend, diese sollten immer Teil einer umfassenderen, multimodalen Therapie darstellen (DGFJP, 2007). Aufmerksamkeitstrainings sind womöglich effektiv (Toplak et al., 2008). In einer analysierten Studie von Toplak et al. (2008) wurde die Reaktionszeit und Konzentrationsfähigkeit von Kindern mit und ohne ADHS miteinander verglichen. Organisatorische Fähigkeiten: Einige Studien deuten darauf hin, dass eine Verbesserung der organisatorischen Fähigkeiten die Symptome von ADHS lindert (Banaschewski, Tobias et al., 2008). Zusätzliche empirische Studien sind nötig, um organisatorische Interventionen als evidenz-basierte Massnahmen zu bezeichnen. Selbstinstruktionstraining besitzt laut Bachmann et al. (2008) eine widersprüchliche Evidenzbasis. Die Leitlinien der DGKJP (2007) empfehlen Selbstinstruktion nicht als Einzelintervention, sondern als zusätzliche Therapiemassnahme in der Schule, bzw. zu Hause. 5.3.2 Pharmakologische Behandlung von ADHS mit Stimulantien Methylphenidat (MPH) Die Leitlinien der DGKJP (2007) empfehlen, dann eine zusätzliche medikamentöse Therapie in Betracht zu ziehen, wenn psychosoziale Interventionen (v.a. Selbstinstruktionstraining, Elterntraining, Interventionen in der Schule und Familie) nicht zu einer gewünschten Verbesserung der Symptome führen. Bei einem schweren Verlauf von ADHS kann eine primäre Psychopharmakatherapie verordnet werden (DGFJP, 2007; Jans et al., 2008). Die Evidenzlage für Stimulantien ist sehr gut (Bachmann et al., 2008). Die DGKJP (2007) bewertet Stimulantien (Methylphenidate und Amphetamine) als sehr effektiv mit einem Evidenzgrad von I. Bachmann et al. (2008) bezeichnen die Effektivität von Stimulantien als bestätigt mit mittleren bis grosser Effektstärken. Im speziellen wird MPH (z. B. Ritalin®) als Substanz der ersten Wahl beschrieben (Jans et al., 2008; Johnson, K. A. et al., 2008; Sonuga-Barke et al., 2008). MPH mit verzögertem Wirkungseintritt MPH mit schnellem Wirkungseintritt (IR „immediate release“) erfordern eine mehrmals tägliche Verabreichung (z. B. Ritalin®). Bei Retard-Substanzen kann die Einnahme auf einmal pro Tag reduziert werden. Retard- und IR-MPH scheinen gleichermassen wirksam zu sein (Banaschewski, Tobias et al., 2008; Schachar et al., 2008; Steinhoff, 2008). Auch bei MPH mit verzögerter Wirkung gibt es Substanzen mit unterschiedlichem Wirkungsprofil (Sonuga-Barke et al., 2008). Das Alter des betroffenen Kindes oder Jugendlichen sollte bei der Entscheidung, ob eine Psychopharmakotherapie indiziert ist, zusätzlich berücksichtigt werden. Die Behandlung mit MPH in verschiedenen Altersgruppen Die Leitlinien der DGKJP (2007) empfehlen die ADHS-Behandlung mit MPH bei Kindern im Vorschulalter nur in Situationen, in denen zuvor eine psychotherapeutische Behandlung ohne Erfolg verlief. Es wird betont, dass eine Psychopharmakotherapie im frühen Kindesalter die Ausnahme − 36 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht bleiben sollte und nur indiziert ist, wenn aufgrund von ADHS eine Integration in der Familie oder Schule nicht möglich ist. Die Wirksamkeit von MPH wird bei der Altersgruppe der Drei- bis Fünfjährigen mit dem Evidenzgrad II bewertet. Die Reviews von Ghuman et al. (2008) und LaForett et al. (2008) bestätigen die Effektivität von Stimulantien (d. h. von MPH und Amphetaminen) in dieser Altersklasse. Bei der pharmazeutischen Behandlung dieser Altersgruppe ist jedoch trotz Effektivität grosse Sorgfalt geboten, da häufiger über Nebenwirkungen berichtet wird als bei älteren Kindern (DGFJP, 2007; Ghuman et al., 2008). Darüberhinaus sind die Folgen der MPH-Behandlung auf das sich entwickelnde Gehirn von Kindern noch weitgehend unklar (Ghuman et al., 2008). Die Forschung konzentriert sich mehrheitlich auf psychopharmakologische Behandlungen von ADHS bei Kindern im Vorschulalter, die psychosozialen Interventionen wurden eher marginal behandelt. Bachmann et al. (2008) nehmen an, dass bei der Altersgruppe der Sechs- bis Zwölfjährigen ADHS die meist erforschte psychische Krankheit ist. Amphetamine In der bearbeiteten Literatur sind sich die Autoren über die Wirksamkeit von Amphetaminen21 in der Behandlung von ADHS einig (Bachmann et al., 2008; Cormier, 2008; Findling, R. L., 2008), die Effektstärke wird als vergleichbar mit jener von MPH beschrieben. Die Leitlinien der DGKJP (2007) empfehlen die Verschreibung von Amphetaminen erst, wenn unter MPH keine Verbesserung der Symptome festgestellt werden konnte. In der Review von Najib et al. (2009) wurde die Wirksamkeit des Amphetamins Lisdexamfetamine dimesylate (LDX) untersucht. Die Wirksamkeit dieser RetardSubstanz ist für Kinder zwischen dem sechsten bis zwölften Lebensjahr sowie für Erwachsene belegt. Im Vergleich zu anderen Amphetaminen scheint das Missbrauchspotential von LDX kleiner, da die Wirkung mit Verzögerung eintritt. Nebenwirkungen von Stimulantien Die häufigsten Nebenwirkungen von Stimulantien sind verminderter Appetit, Übelkeit, Bauch- und Kopfschmerzen sowie Schlafprobleme (Biederman et al., 2007). Oft kann eine Reduktion dieser Nebenwirkungen durch eine Dosisanpassung und angepasste Einnahmezeiten erlangt werden (Jans et al., 2008). Zusätzlich können Stimulantien das Körperwachstum von Kindern und Jugendlichen verzögern. Zusätzlich können Stimulantien das Körperwachstum von Kindern und Jugendlichen verzögern, was die kontinuierliche Überwachung von Körpergrösse und Körpergewicht erfordert22. Weiter besteht ein Risiko für psychotische oder manische Nebenwirkungen, welche aber als sehr selten bezeichnet werden (Najib, 2009). Kardiovaskuläre Nebenwirkungen sind möglich, aber ebenfalls selten (Cormier, 2008; Najib, 2009; Pelz et al., 2008). Plötzlicher Herztod bei Kindern und Jugendlichen wurde in Verbindung mit der Einnahme von Stimulantien gebracht (Cormier, 2008). Blutdruck und Herzfrequenz können sich durch die Einnahme von Stimulantien (leicht) erhöhen, folglich ist eine Überwachung der Vitalzeichen zu empfehlen. Stimulantien sind u. a. bei Psychosen, Angina Pectoris, Glaukom, Hypertonie, Hyperthyreose, Herzrhythmusstörungen und schweren depressiven Störungen kontraindiziert (Banaschewski, T. & Rothenberger, 2010). Stimulantien weisen ein potentielles Missbrauchsrisiko (Wilens et al., 2008) auf. Bestehen Hinweise für Missbrauch, beispielsweise durch missbräuchliche Einnahme oder den Verkauf der Substanz, sollte die Therapie abgebrochen werden. Atomoxetin kann als Alternativtherapie verordnet werden (Walitza et al., 2009). Andererseits belegen Studien mögliche präventive Wirkungen von 21 Z.B.: Dexamphetamin, D-/L-Amphetamin, gemischte Amphetaminsalze. 22 Zu den Kontrolluntersuchungen zählen die Analyse des weissen und roten Blutbildes, Elektrolyte, Schilddrüsenfunktion (FT3, FT4, und TSH basal), Nierenfunktionswerte, Transaminasen und Bilirubin. Diese Kontrolluntersuchungen sollten alle sechs Monate durchgeführt werden. Leidet der Patient nicht an Vorerkrankungen und spricht er gut auf die Behandlung an, können die Kontrollen auch in grösseren Abständen stattfinden (Walitza et al., 2009). − 37 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Stimulantien für Substanzmissbrauch (legale und illegale Drogen) bei Patienten mit ADHS. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil Patienten/innen mit ADHS im Allgemeinen ein erhöhtes Risiko für Substanzmissbrauch aufweisen (Wilens et al., 2008). 5.3.3 Behandlung von ADHS mit Nicht-Stimulantien Atomoxetin Als mögliche Alternative zur Therapie mit Stimulantien besteht die Option zur Behandlung mit Nicht-Stimulantien. Die Stubstanz Atomoxetin ist ein Noradrenalin-Wideraufnahmehemmer und ist in der Schweiz unter dem Namen Stattera® seit Anfang 2009 zugelassen (Heilmittelinstitut, 2009). Die Effektstärke von Atomoxetin wurde in der bearbeiteten Literatur mehrheitlich als geringer als jene von MPH bewertet (Bachmann et al., 2008; Cormier, 2008; DGFJP, 2007). Bachmann et al. (2008) beschreiben die Effektstärke bei MPH als mittel bis stark, bei Atomoxetin als mittel. Atomoxetin wird oft als Substanz der zweiten Wahl empfohlen, wenn MPH nicht zu einer Verbesserung von ADHS führt oder bei spezifischen Rahmenbedingungen. Die DGKJP (2007) und die Übersichtsarbeit von Jans et al. (2008) empfehlen den Einsatz von Atomoxetin bei Komorbidität mit Angst- und Ticstörungen. Das Missbrauchspotential von Atomoxetin ist kleiner als jenes von MPH (DGFJP, 2007). Als Nebenwirkungen von Atomoxetin werden Übelkeit und Müdigkeit genannt, seltener kommen dagegen Appetitminderung oder Schlafstörungen vor (Jans et al., 2008). Weitere Substanzen Weitere mögliche Nicht-Stimulantien für die Behandlung von ADHS werden im Folgenden kurz zusammengefasst: Trizyklische Antidepressiva (TCA) sind laut der analysierten Literatur in der Behandlung von ADHS effektiv (Cormier, 2008; DGFJP, 2007). Bachmann et al. (2008) berichten von einer kleinen bis mittleren Effektivität, welche somit geringer als jene von Atomoxetin und MPH ist. Die Sicherheit dieser Medikamentengruppe ist nicht klar. Bupropion und Alpha-Agonisten (Clonidin, Guanfazin) sind gemäss den Leitlinien der DGKJP (2007) als effektiv einzustufen, aber ebenfalls geringer als Atomoxetin und MPH. Die Behandlung von ADHS mit Neuroleptika ist durch Risiken gekennzeichnet und die Anwendung sollte im Einzellfall genau abgeklärt werden (DGFJP, 2007). 5.3.4 Multimodaler Behandlungsansatz bei ADHS Obwohl die Evidenz für Kombinationsbehandlungen bzw. für den multimodalen Behandlungsansatz bei ADHS noch eher schwach ausfällt (LaForett et al., 2008; Wagner & McNeil, 2008), zeigen die wenigen existierenden Studien vielversprechende Resultate (Bachmann et al., 2008). Bachmann et al. beschreiben die Kombinationstherapie (Medikamente und Psychotherapie) als „Behandlungsform der Zukunft“ und deren Effekte als hoch. Döpfner und Sobanski (2010) unterstützen im kürzlich erschienen ‚Handbuch ADHS’ die multimodale Behandlung bei ADHS. Insbesondere bei Patienten mit ADHS und Komorbidität wird dieser Behandlungsansatz empfohlen. Die individuelle Zusammenstellung der einzelnen Komponenten auf die Bedürfnisse der Patienten ist dabei unabdingbar. Die Leitlinien der DGKJP bauen ihre Empfehlungen auf dem multimodalen Ansatz auf und betonen „die Behandlung wird in der Regel als multimodale Behandlung durchgeführt“ (DGFJP, 2007, S. 244). Die DGKJP empfiehlt bei „stark ausgeprägten und situationsübergreifenden“ Symptomen von ADHS die Behandlung mit Psychopharmaka. Bei einer Verbesserung der Symptome können psychosoziale Interventionen eingesetzt werden. Zusätzlich wird aber betont, dass psychosoziale Beratung und Aufklärung immer durchgeführt werden sollte. Die anderen Behandlungskomponenten werden entsprechend der Ausprägung der Symptome ausgewählt: − 38 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht „Grundlage der multimodalen Behandlung ist die Aufklärung und Beratung der Eltern und des Kindes/Jugendlichen (ab dem Schulalter), die immer durchgeführt wird. Die anderen Interventionen werden bei entsprechenden Indikationen durchgeführt, die dem Entscheidungsbaum für die multimodale Therapie bei Schulkindern und Jugendlichen entnommen werden können.“ (DGFJP, 2007, S. 245) Folglich ist es möglich, die Psychopharmakobehandlung als Monotherapie bei entsprechender Aufklärung der Eltern durchzuführen. Allerdings ist ADHS eine chronische Erkrankung und die Fähigkeit, mit den Symptomen richtig umzugehen, sollte gelernt werden. Dies ist mit der alleinigen medikamentösen Behandlung schwierig zu erreichen (Bachmann et al., 2008). Zu beachten ist auch, dass es im Moment noch wenige Studien gibt, welche mögliche Langzeiteffekte der Behandlung mit Psychopharmaka und psychosozialen Therapien bei ADHS untersuchen. Folglich lassen sich Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Interventionen über einen längeren Zeitraum kaum beurteilen (Toplak et al., 2008). 5.3.5 Vergleichsstudien Vergleichsstudien − z.B. Monotherapie vs. multimodale Therapie − liegen noch wenige vor (Toplak et al., 2008). Eine Studie von Van der Oord et al. im Jahr 2007 fand keinen zusätzlichen Nutzen der multimodalen Behandlung im Vergleich zur Monotherapie mit Psychopharmaka. Van der Oord et al. (2007) folgerten daraus, dass multimodale Interventionen nicht bei allen Kinder und Jugendlichen mit ADHS routinemässig eingesetzt werden sollten. Aber die Autoren anerkennen, dass die Effekte der verhaltenstherapeutischen Intervention womöglich erst nach einem längeren Zeitraum überhaupt sichtbar werden. In den Follow-up Studien der MTA (Multimodal Treatment Study of ADHD)23 wurden die Langzeiteffekte im Rahmen einer 14-monatigen Interventionsstudie24 mit Psychopharmaka, Verhaltenstherapie, deren Kombination und Gemeindeintervention untersucht. Die Behandlung mit Psychopharmaka und die Kombinationstherapie wurde im Anschluss an die Intervention, aber auch 10 Monate25 nach der Intervention (bzw. 24 Monate nach Therapiebeginn), als wirksamer im Vergleich zu den anderen Interventionen beurteilt (Jensen et al., 2007). Die Wirkung schwächte sich allerdings nach 10 Monaten ab. Die Follow-up Studie nach zwei bzw. drei Jahren konnte keine Überlegenheit der Psychopharmakatherapie mehr finden (Jensen et al., 2007). Und sechs bis acht Jahre nach Therapieende konnte für die damals gewählte Interventionsform überhaupt kein Effekt mehr auf den Verlauf von ADHS nachgewiesen werden. Andere Faktoren (wie z. B. der sozioökonomische Status spielten laut dieser Studie beim Verlauf von ADHS eine grössere Rolle (Molina et al., 2009)). Im Gegensatz zu diesem Befund der MTA-Studie stehen die Resultate einer Metaanalyse von Toplak (2008), welche der Kombinationsbehandlung mittlere Effekte und somit höhere Wirksamkeit im Vergleich zur Monotherapie mit Psychopharmaka zuschreiben. Aufgrund der divergenten Befundlage von Vergleichsstudien kann gegenwärtig nicht eindeutig geklärt werden, ob eine Kombinationstherapie effektiver ist als die Monotherapie mit Psychopharmaka (Bachmann et al., 2008). 23 Die MTA Studien werden von sechs unabhängigen Forschungsgruppen in den USA durchgeführt. Im Zeitraum zwischen 1999 und 2009 wurden RCTs und Follow-up Studien publiziert. Diese Studien wurden in einigen der selektionierten Reviews analysiert. Die meisten dieser Publikationen liegen aber ausserhalb unserer untersuchten Zeitspanne (2007-2009). Eine kurze Sichtung dieser Studien zeigte, dass deren Resultate unserem Fazit im Allgemeinen entsprechen. 24 Siehe MTA. (1999). A 14-Month Randomized Clinical Trial of Treatment Strategies for Attention Deficit/Hyperactivity Disorder. Archives of General Psychiatry, 56, 1073-1086. 25 Siehe MTA (2004). National Institute of Mental Health Multimodal Treatment Study of ADHD follow-up: 24-month outcomes of treatment strategies for attention-deficit/hyperactivity disorder. Pediatrics, 113(4), 754-761. − 39 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 5.3.6 Fazit • Es überwiegen Studien zur psychopharmakologischen Behandlung bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS. Die Befundlage zu psychosozialen Therapien ist schmaler. • Die analysierte Literatur bestätigt die Evidenz der Wirksamkeit von Methylphenidat (MPH) bzw. ‚Ritalin’. Die Therapie mit MPH von Kindern im Vorschulalter sollte jedoch gemäss den Leitlinien der DGKJP nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden. • Amphetamine werden in der Literatur als vergleichbar effektiv wie MPH bei der Behandlung von ADHS bezeichnet. Ihre Anwendung wird aber erst empfohlen, wenn mit MPH keine Erfolge erzielt werden können. Zudem weisen Stimulantien (und v.a. Amphetamine) ein Missbrauchsrisiko auf. • Es liegt eine gute Evidenz für die Wirksamkeit von psychosozialen Interventionen bei ADHS vor; bei diesen Interventionen handelt es sich um: Elterntraining, Interventionen in der Familie und Familientherapie. Verhaltenstherapeutische Interventionen, zuhause oder im Kindergarten/Schule, werden von der analysierten Literatur als effektiv beurteilt. • Inkonsistente Resultate werden über die Effektivität von Psychotherapie (v.a. kognitive Therapien, kognitive Verhaltenstherapie) bei ADHS berichtet; die kognitive Verhaltenstherapie zeigt kleine Effekte in der referierten Studien. • Die heutige Evidenzbasis für ausgewählte psychosoziale Interventionen bei ADHS fällt divergierend aus. Sie werden tendenziell als weniger effektiv als pharmakologische Interventionen eingestuft. Dies sollte aber nicht zur Schlussfolgerung führen, dass ausschliesslich eine pharmakologische Monotherapie zur Behandlung von ADHS eingesetzt werden sollte. • Mehrere Autoren proklamieren die multimodale Therapie von ADHS als einen vielversprechenden Behandlungsansatz, aber dessen wissenschaftliche Evidenz fällt derzeit noch schmal aus. 5.4 Störungen des Sozialverhaltens, Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten 5.4.1 Vorbemerkungen Störungen des Sozialverhaltens (SDS) und die Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten(SOT) werden in den beiden Systemen zur Diagnostik psychischer Erkrankungen, DSM-IV und ICD-10 (Kapitel F), unterschiedlich gewichtet. Im DSM-IV steht die SOT als eigenständiges Störungsbild auf gleicher Stufe wie die SDS (vgl. Kapitel 3.2), während in der ICD das SOT eine Untergruppe der SDS darstellt. Diese unterschiedliche Gewichtung äussert sich auch in einem unterschiedlichen Umgang mit SDS/SOT in der Forschungsliteratur und den Behandlungsleitlinien. In der häufig am DSM-IV orientierten Forschungsliteratur werden SOT oftmals isoliert betrachtet und die Wirksamkeit von Interventionen spezifisch für dieses Störungsbild untersucht. Die Behandlungsleitlinien der DGKJP, welche sich an der ICD orientieren, gelten dagegen für alle SDS inklusive dem SOT, letzteres wird nicht gesondert behandelt. Aus diesem Grund wird im vorliegenden Bericht die Wirksamkeit von Interventionen für beide Störungsbilder in einem Kapitel gemeinsam behandelt. Es wird jeweils im Text darauf hingewiesen, wenn Studien ein bestimmtes Störungsbild adressieren. Für die folgenden Ausführungen ist ausserdem die hohe Komorbidität von SDS/SOT mit anderen psychischen Störungen zu beachten, z.B. mit ADHS. In der Praxis stellt sich also die Entscheidung für eine bestimmte Intervention komplex dar und ein multimodales Vorgehen drängt sich schon deshalb auf. Weiter ist zu bemerken, dass die psychopharmakologische Behandlung von SDS/SOT nach den Leitlinien der DGKJP (vgl. Anhang B4) nicht zentral ist (sie gewinnt v.a. an Bedeutung bei entsprechenden Komorbiditäten), sondern vielmehr psychosoziale Interventionen im Vordergrund stehen. − 40 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 5.4.2 Psychosoziale Therapien bei Störungen des Sozialverhaltens Heutiger Forschungsstand Störungen des Sozialverhaltens (SDS) ist eines der besser untersuchten psychischen Krankheitsbilder bei Kindern und Jugendlichen (Bachmann et al., 2008). Im Sinne einer Gesamtbilanz können psychosozialen Therapieformen für SDS im Durchschnitt mittlere Effektstärken zugeschrieben werden. Eine Herausforderung scheint jedoch die Differenzierung zwischen Diagnosen und Symptomen bei SDS: Die Mehrheit der bis heute durchgeführten Studien untersuchte Kinder und Jugendliche mit aggressiven Symptomen (Bachmann, 2008; Johnson, M. E. & Waller, 2006). In diesen Studien war nur ein Teil der Studienteilnehmenden mit SDS diagnostiziert. Nur eine Minderheit der verfügbaren Studien bezog sich ausschliesslich auf Patienten mit der Diagnose SDS. Es wird empfohlen, vermehrt Studien mit diagnostizierten Kindern und Jugendlichen durchzuführen, um die Evidenzbasis für eine effektive Behandlung zu verbessern (Johnson, M. E. & Waller, 2006). Insbesondere im Bereich der psychotherapeutischen Behandlung von SDS ist ein Bedarf an Wirksamkeits-Studien erkannt (Bachmann, 2008). Aufgrund dieser methodischen Einschränkungen der aktuellen Studienlage ist es fraglich, inwieweit deren Resultate auf das Alltagsleben der Patient/innen und ihres Umfeldes generalisierbar sind. Elterntraining und Interventionen in der Familie Elterntraining (Parent Management Training): Die analysierte Literatur belegt die Wirksamkeit von Elterntrainings (PMT) in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Störungen des Sozialverhaltens (Bachmann, 2008; Bushra, 2007; DGFJP, 2007; Johnson, M. E. & Waller, 2006; McGuinness, 2006; Obsuth et al., 2006; Thomas, 2006). Die Leitlinien der DGKJP (2007) bewerten die Effektivität von Elterntrainings mit dem höchsten Evidenzgrad von I. Die Leitlinien betonen die Wichtigkeit der primären Behandlung von elterlichen Problemen (z. B. Substanzmissbrauch, Aufbau eines konsistenten Erziehungsstils usw.). Das Ziel ist es, angemessene positive Verstärkungen und ruhiges Entgegenwirken bei negativem Verhalten des Kindes in die Erziehung zu integrieren. Nach einigen Wochen der Therapie im familiären Umfeld können Bezugspersonen in der Schule in die Behandlung miteinbezogen werden. Kontinuität kann gewährleistet werden, wenn Lehrpersonen die beschriebenen Techniken auch im schulischen Alltag anwenden (Johnson, M. E. & Waller, 2006). Bachmann et al. (2008) beschreiben die Effekte von Elterntraining als klein bis mittel. Die Review von Bushra et al. (2007) zeigt positive Effekten von Familien- und Elterninterventionen auf die Kriminalitätsrate von Jugendlichen mit SDS und auf die Aufenthaltsdauer der Patienten/innen in Institutionen. Obwohl der Einfluss des Alters der Patienten/innen auf den Erfolg von Elterntrainings noch nicht schlüssig geklärt ist, empfehlen Bachmann et al. (2008) bis zu einem Alter von elf Jahren Elterntraining als die Methode der ersten Wahl. Multisystemische Therapie (MST) stellt bei älteren Kindern die empfohlene Behandlung dar. Einige der evaluierten Studien geben klar an, dass PMT neben SDS auch bei Störungen mit Oppositionellem Trotzverhalten (SOT) Wirkung zeigt (Costin et al., 2004; Johnson, M. E. & Waller, 2006). In einer australischen Studie von Costin et al. (2004) wurden Eltern mit an SOT erkrankten Kindern mit Elterntraining (PMT) (n=22) oder kognitiven Intervention (n=18) für Stressbewältigung und zur Förderung von Problemlösungsfähigkeiten behandelt. Die Behandlungsdauer betrug acht Wochen. Die kognitiven Interventionen beinhalteten die Veränderung von Wahrnehmung, von kognitiven Mustern und von der emotionalen Reaktion auf das Kind. In Bezug auf das Verhalten der Kinder insgesamt erwiesen sich beide Interventionen gleich wirksam. Aber in spezifischen Bereichen zeigte sich PMT besonders effektiv, nämlich in der Reduktion von Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen sowie in der Verringerung von Verhaltens- und emotionalen Störungen. Steiner und Remsing (2007) haben als eine der wenigen in ihrer Studie auch über mögliche unerwünschte Nebenwirkungen von PMT berichtet. Sie weisen auf das Missbrauchspotential dieser − 41 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Therapie hin, das zu übermässiger Kontrolle des Kindes führen oder Auseinandersetzungen zwischen Kindern und Eltern erhöhen kann. Incredible Years Program (IYP): Das „Webster Stratton’s Incredible Years Program“ (WebsterStratton & Hancock, 1998) wird in der evaluierten Literatur als wirksame Intervention bei SDS beschrieben (Hutchings et al., 2007; Johnson, M. E. & Waller, 2006; Loeber et al., 2009). Das Incredible Years Programm (IYP) ist nicht nur in der Behandlung, sondern womöglich auch in der Prävention von SDS wirksam. In England untersuchten Hutchings et al. (2007) die Effekte von IYP in der Prävention von SDS bei Vorschulkindern. Die Resultate der Studie zeigten eine signifikante Verbesserung der anti-sozialen und hyperaktiven Symptome in der Therapiegruppe. Das IYP ist womöglich nicht nur bei SDS wirksam, sondern auch bei SOT (Johnson, M. E. & Waller, 2006; Reid et al., 2003)26. Parent-child Interaction Therapy (PCIT): Eine weitere effektive Intervention bei SDS stellt die Parent-child Interaction Therapy (PCIT) (Bachmann, 2008; Johnson, M. E. & Waller, 2006; Loeber et al., 2009) dar. Bachmann et al. (2008) schreiben dieser Therapieform kleine bis mittlere Effekte zu. PCIT fokussiert auf die frühen Entwicklungsstadien von Verhaltensstörungen. Sie wurde ursprünglich für Kleinkinder bis zum frühen Schulalter entwickelt. Die Anwendung erfolgt innerhalb der Familie und beinhaltet direkte Beobachtung der Eltern-Kind Interaktionen (Loeber et al., 2009). Die evaluierte Literatur unterstützt die Wirksamkeit von PCIT bei der Behandlung von SOT (Barcalow, 2006; Burke et al., 2002; Loeber et al., 2009). Eine Studie von Nixon (2001) welche die Effekte von PCIT auf Kinder mit SOT untersuchte, kam zum Schluss, dass PCIT zu einer signifikanten Verbesserung des oppositionellen Verhaltens im Vergleich zur Warteliste-Kontrollgruppe führte. Aber es fanden sich keine signifikanten Verbesserungen im Vergleich zu einer weiteren Kontrollgruppe von Kindern ohne psychische Erkrankungen. Kognitive Problemlösungsstrategien Die Literaturrecherche lokalisierte zu den kognitiven Problemlösungsstrategien mehrheitlich Studien, welche die Effektivität dieser Therapien belegen (z. B. Barcalow, 2006; Steiner & Remsing, 2007). Allerdings bezeichnen Bachmann et al. (2008) Problemlösetraining nur als wahrscheinlich wirksame Intervention bei SDS und SOT. Hamilton (2008) beschreibt die Problemlösungsinterventionen als ähnlich effektiv wie Elterntraining. Die Therapie hat zum Ziel, impulsive und wut-basierte Reaktionen zu reduzieren und soziale Fähigkeiten zu verbessern. Interpersonales Fertigkeitstraining Die Verbesserung sozialer Kompetenzen stellt einen wichtigen Pfeiler der Behandlung von SDS dar (Johnson & Waller, 2006; Tcheremissine & Lieving, 2006). McGuiness (2006) befürwortet interpersonales Fertigkeitstraining, um kognitive Prozesse zu verändern und zwischenmenschliche Beziehungen zu verbessern. Zum Beispiel werden im Rahmen der Trainings erwünschte soziale Verhaltensmuster in Spielen und Übungen positiv verstärkt. Die Patienten/innen können durch Rollenspiele Konfliktlösungsstrategien erlernen. Interpersonales Fertigkeitstraining beruht auf der Annahme, dass die Verhaltensstörungen des Kindes auf problematischen zwischenmenschlichen Beziehungen beruhen; deren Veränderung soll sich dann positiv auf das gestörte soziale Verhalten der betroffenen Kinder und Jugendlichen auswirken (Tcheremissine & Lieving, 2006). Die Leitlinien der DGKJP (2007) empfehlen auf der einen Seite die Verbesserung der sozialen Fertigkeiten bei 26 In einer Studie von Reid et al. (2003) wurden Kinder mit der Diagnose SOT im Alter von 4-7 Jahren mit IYP behandelt. Die Familien wurden zu den folgenden Gruppen randomisiert zugeteilt: Elterngruppe (EG); EG und Lehrertraining (LT); Kindergruppe (KG); KG und LT; EG, KG und LT sowie einer Warteliste-Kontrollgruppe. Die Effektivität wurde kurz nach sowie 1-2 Jahren nach Therapieende evaluiert. Unmittelbar nach Abschluss der Therapie wurden in jeder Interventionsgruppe signifikant tiefere Verhaltensprobleme gefunden im Vergleich zur Kontrollgruppe. Im Follow-up nach zwei Jahren waren die Effekte mehrheitlich stabil. Ungefähr 60% der Mütter (p<0.01) berichteten, dass mit Hilfe von Eltern- und Lehrertraining die Verhaltensstörungen der Kinder im Vergleich zum Zustand vor der Therapie um 20% abgenommen haben. − 42 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Jugendlichen, aber ohne Nennung des Evidenzgrades für diese Intervention. Bachmann et al. (2008) können der patientenfokussierten KVT mit sozialem Fertigkeitstraining nur kleine Effekte zuschreiben. Eine Verbesserung der Effektivität von Interpersonalem Fertigkeitstraining kann möglicherweise durch die Kombination mit Elterntraining erreicht werden (Thomas, 2006). Psychodynamische Psychotherapien Aufgrund der Ergebnisse der vorliegenden Literaturrecherche ist von psychodynamischen Interventionen bei SDS abzuraten. Die Leitlinien der DGKJP führen psychodynamische Ansätze bei den „entbehrlichen Therapiemassnahmen“ auf und Bushra (2007) beschreibt sie als ineffektiv bei der Behandlung von SDS. Bachmann et al. (2008) weisen auf die Diskrepanz zwischen der Verbreitung der psychodynamischen Therapie und deren eher noch schmalen wissenschaftlichen Evidenzbasis hin. Multisystemische Therapie Die multisystemische Therapie (MST) wird in der analysierten Literatur mehrheitlich als effektiv in der Behandlung von SDS beschrieben (siehe bspw. Loeber et al., 2009; Tcheremissine & Lieving, 2006; Thomas, 2006). MST beinhaltet diverse Komponenten wie z. B. Interventionen beim Individuum, in der Familie, in der Schule oder bei der Freizeitgestaltung (DGFJP, 2007). Bei diesem Ansatz sollten evidenzbasierte effektive Therapien miteinander kombiniert werden. Zusätzlich empfehlen Bushra et al. (2007) die Arbeit in einem multidisziplinären Team. Die Leitlinien der DGKJP (2007) schreiben der MST den Evidenzgrad II zu (Henggeler & Sheidow, 2003). Bachmann et al. (2008) ordnen der MST mittlere Effekte zu. Obwohl MST in der Behandlung von SDS mehrheitlich als effektiv beschrieben wird, besteht in Bezug auf die Wirkungsweise noch Klärungsbedarf. Bachmann et al. (2008) weisen auf die widersprüchliche Datenlage zur Stabilität der MSTWirkungen über einen längeren Zeitraum hin. Somit ist es nach dem heutigen Forschungsstand noch unklar, ob MST zu längerfristigen Verbesserung von SDS führen kann. Divergierende Resultate zeigen sich bei der Behandlung von SOT: Bachmann et al. (2008) bewerten hier MST mit mittleren Effekten. Empfohlen wird MST von der Mehrzahl der analysierten Studien (bspw. Fraser, 2008; Loeber et al., 2009) trotz z.T. fehlender Angaben zur empirischen Evidenz. SOT tritt häufig als komorbide Störung auf und die Schlussfolgerung liegt somit nahe, die Therapie auch multimodal aufzubauen. Aber die Evidenz für deren Effektivität oder deren relativen Effektivität im Vergleich mit anderen Interventionen ist nicht vorhanden (Steiner & Remsing, 2007). 5.4.3 Psychopharmakologische Behandlungen Heutiger Forschungsstand Die Aufzählung der möglichen psychopharmakologischen Behandlungen von SDS/SOT in den Leitlinien der DGKJP (2007) fällt knapp aus. Dies reflektiert die untergeordnete Priorität von Psychopharmaka in der Therapie von SDS/SOT. Leider werden in den Leitlinien die Indikationen für eine Psychopharmakointervention bei SDS nicht näher erläutert. Bachmann et al. (2008) beschreiben den derzeitigen Wissensstand zu psychopharmakologischen Behandlungen bei SDS im Vergleich zu den psychotherapeutischen als schmal. Die Autoren empfehlen den Einsatz von Psychopharmaka erst, wenn psychosoziale Interventionen zu keiner Linderung der Symptome führen. Weiter raten Tcheremissine und Lieving (2006), Psychopharmakatherapien ausschliesslich bei komorbiden Patienten/innen oder Jugendlichen mit aggressivem und destruktivem Verhalten anzuwenden. Die meisten Studien zu pharmakologischen Behandlungen bei SDS wurden mit stationären und komorbiden Patienten/innen durchgeführt, weshalb sich deren Resultate oft auf schwerere Formen der Störung beziehen. Um die Therapie für Kinder und Jugendliche im nicht-stationären Umfeld optimal anzupassen, sind zusätzliche Studien nötig. Tcheremissine und Lieving (2006) empfehlen, psychopharmakologische Behandlungen von Kindern und Jugendlichen innerhalb verschiedener − 43 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Altersgruppen zu untersuchen, da die neuralen Strukturen des Gehirns während der Entwicklung noch Veränderungen unterworfen sind und somit die Wirkung der Therapien variieren kann. Ob eine Kombinationstherapie mit Psychopharmaka und psychosozialer Therapie effektiver ist als Monotherapien, kann der heutige Forschungsstand (noch) nicht beantworten (Bachmann, 2008). Die nun folgenden Abschnitte untersuchen eine Auswahl an möglichen psychopharmakologischen Interventionen. Typische Antipsychotika Typische Antipsychotika27 werden in der behandelten Literatur mehrheitlich als effektiv beschrieben, aber aufgrund der möglichen Nebenwirkungen nur mit grosser Zurückhaltung oder in Einzelfällen empfohlen (Bachmann, 2008; Tcheremissine et al., 2004). Bachmann et al. (2008) schreiben den typischen Antipsychotika eine mittlere Effektstärke zu. Das Medikament Pipamperon erhält von den Leitlinien der DGKJP (2007) den Evidenzgrad II zugeteilt. Typische Antipsychotika sind effektiv in der Milderung aggressiven Verhaltens bei Kindern mit SDS. Es besteht aber bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Neuroleptika das Risiko von z. T. gravierende Nebenwirkungen wie bspw. Sedierung, extrapyramidale Störungen, Spätdyskinesien oder Malignes Neuroleptisches Syndrom28 (Tcheremissine et al., 2004). Die Folge dieser potentiellen Nebenwirkungen ist, dass die Forschung sich heute vermehrt auf die atypischen Antipsychotika konzentriert. Atypische Antipsychotika Die Gruppe dieser Antipsychotika wird als „atypisch“ bezeichnet aufgrund des im Allgemeinen niedrigeren Risikos für extrapyramidale Störungen (Tcheremissine & Lieving, 2006). Das atypische Antipsychotika Risperidon wird sowohl in der kurzfristigen Therapie wie auch in der längerfristigen Anwendung als effektiv beschrieben (Bachmann, 2008; DGFJP, 2007; Findling, R. et al., 2006). Die Leitlinien der DGKJP (2007) ordnen Risperidon (bei Patienten/innen mit tiefem Intelligenzquotienten) den Evidenzgrad II zu. Bachmann et al. (2008) berichten von grossen Effektstärken dieser Substanz. Trotz positiver Tendenzen für die Wirksamkeit von einigen Substanzen (wie z. B. Risperidon) ist die Evidenzlage von anderen atypischen Antipsychotika und weiteren Substanzgruppen noch eher schmal und sollte mit Vorsicht beurteilt werden (Bachmann, 2008; Masi et al., 2006). Olanzapin ist womöglich effektiv in der Behandlung von spezifischen Subgruppen der SDS bei Jugendlichen (Masi et al., 2006; Tcheremissine & Lieving, 2006). Die Studie von Masi et al. (2006) ergab, dass affektive-impulsive Aggressionstypen eher auf Olanzapin ansprachen als Betroffene mit gemischten Aggressionen und einem höheren Anteil von kontrolliert-räuberischen Komponenten. Es wird allerdings hervorgehoben, dass die an der Studie teilnehmenden Patienten schon vor der Intervention mit Psychotherapie behandelt wurden. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass die Verbesserung der Symptome auch auf die verzögerten Effekte der Psychotherapie zurückzuführen sind und nicht (allein) mit der Psychopharmakotherapie zusammenhängen (Masi et al., 2006). Die analysierte Literatur ist sich über die Wirksamkeit von Aripiprazol bei der Behandlung von akuten Aggressionen bei Kindern und Jugendlichen (Findling, R. et al., 2006) und bei Kindern mit SDS und aggressiven Anteilen (Tcheremissine & Lieving, 2006) einig. Die Substanz zeichnet sich durch eine sichere Anwendung und gute Verträglichkeit aus (Tcheremissine et al., 2004). Findling et al. (2006) untersuchten die Wirksamkeit des Antipsychotikums Quetiapin. Es konnte eine signifikante Verbesserungen von Aggressivität und Verhaltensstörungen nach Abschluss der Behandlung festgestellt werden. 27 Z.B. Molindon, Thioridazin, Pipamperon oder Haloperidol 28 Malignes Neuroleptisches Syndrom: seltene aber mögliche Nebenwirkung von typischen Antipsychotika; Symptome sind bspw. Rigidität, Fieber und autonome Instabilität; kann zum Tod führen (Gabbard, 2007). − 44 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Über die Wirksamkeit bei der Monodiagnose SOT liegen zurzeit keine Studien vor (Turgay, 2009). Risperidon scheint effektiv in der Therapie von Patienten/innen mit der Doppeldiagnose SOT/SDS oder SOT/ADHS zu sein. Stimulantien Eine wachsende Evidenzbasis belegt die Anwendung von Methylphenidat (MPH) als wirksame Therapie bei SDS (Findling, R. et al., 2006; Tcheremissine & Lieving, 2006). Stimulantien wurden lange Zeit als ungeeignet in der Behandlung von SDS erachtet. Neuere Studien weisen jedoch auf eine Effektivität in der Behandlung von antisozialem Verhalten hin (Tcheremissine & Lieving, 2006). Bachmann et al. (2008) berichten bei MPH von mittlerer bis grosser Effektstärke, besonders bei bestehender Komorbidität von SDS mit ADHS. Die Leitlinien der DGKJP (2007) stufen den Evidenzgrad von MPH bei II ein. MPH wird als effektiv bei aggressivem Verhalten von Kindern mit SDS beschrieben (Findling, R. et al., 2006) und es wird ihm eine gute Verträglichkeit zugeschrieben (Bachmann, 2008). Allerdings gibt es auch vereinzelte Hinweise, dass MPH bei der Behandlung von SDS paradoxerweise Aggressionen erhöhen kann (Masi et al., 2006). Für die Behandlung von SOT als Einzeldiagnose mit Stimulantien liegen keine Befunde vor. Indessen kann die Vergabe von Stimulantien bei Komorbidität mit ADHS als effektiv beurteilt werden. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass bei dieser Patientengruppe die Symptome von SOT durch eine Intervention mit Stimulantien reduziert werden (Fraser, 2008; Steiner & Remsing, 2007; Turgay, 2009). Die Leitlinien der DGKJP (2007) geben den Evidenzgrad II für die Therapie von SDS und SOT mit MPH an. Insbesondere bei Komorbidität von SDS und ADHS berichten Bachmann et al. (2008) über mittlere bis grosse Effektstärken einer MPH-Behandlung. Stimmungsstabilisierer Valproinsäure wird in der analysierten Literatur weitgehend als effektiv beschrieben (siehe bspw. Khanzode et al., 2006; Tcheremissine et al., 2004). Trotz der berichteten Wirksamkeit dieser Substanz wird sowohl ihr Evidenzgrad als auch die Effektsstärke als gering beurteilt: die Leitlinien der DGKJP (2007) geben den Evidenzgrad von III, womit die Evidenzlage primär auf nichtrandomisierten Studien oder Fall-Kontrollstudien beruht. Bachmann et al. (2008) schreiben der Valproinsäure in höheren Dosen nur kleine Effektstärken zu. Valproinsäure besitzt womöglich positive Eigenschaften in der Regulierung der Selbstbeherrschung und Impulskontrolle (Tcheremissine & Lieving, 2006). Im Weiteren sind Wirkungsunterschiede von Valproinsäure in Bezug auf mentale Kognitionen und bei der Verbesserung von Depression und Impulskontrolle möglich (Khanzode et al., 2006). Als weitere Substanz zählt Lithium zu den Stimmungsstabilisierern. Einige Studien bescheinigen Lithium als wirksam bei der Therapie von SDS (Masi et al., 2006; Tcheremissine & Lieving, 2006). Die Effektstärke ist aber eher klein (Bachmann, 2008) und der Evidenzgrad ist mit IV tief (DGFJP, 2007). Die Langzeit-Tolerabilität und Sicherheit ist laut der analysierten Literatur gegeben, aber Nebenwirkungen sind zu beachten (Findling, R. et al., 2006). Die Evidenzlage zur Wirksamkeit dieser Substanzklasse für die Behandlung von SOT ist marginal. Antidepressiva Die bearbeitete Literatur ergibt widersprüchliche Resultate zur Behandlung von SDS mit Antidepressiva. Diese Behandlungsform wird weder in den Leitlinien der DGKJP (2007) noch in der Übersichtsarbeit von Bachmann et al. (2008) als Behandlungsoption von SDS diskutiert. Aber die Review von Tcheremissine und Lieving (2006) berichtet von zunehmender Evidenz für die Wirksamkeit von Antidepressiva in der Therapie von aggressiven Komponenten und der Impulskontrolle bei SDS. Sie argumentieren, dass SSRI (Trazodon, Fluoxetin und Citalopram) im Allgemeinen effektiv bei aggressivem Verhalten von Kindern und Jugendlichen sind. Der selektive NoradrenalinWiederaufnahmehemmer Reboxetin hat womöglich positive Effekte auf aggressive Verhaltenswei− 45 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht sen von Kindern und Jugendlichen mit SDS. Ferner besitzt der selektive Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion eine positive Wirkung auf Jugendliche, welche an SDS, ADHS und Substanzmissbrauch erkrankt sind (Tcheremissine & Lieving, 2006). Es sollte an dieser Stelle jedoch vermerkt werden, dass die Review von Tcheremissine und Lieving mehrheitlich Referenzen aus ‚Open-Label’ Studien (vgl. Glossar) analysierten. Somit ist die Möglichkeit für einen Bias in den Resultaten erhöht im Vergleich zu bspw. randomisierten Doppelblindstudien (Tcheremissine & Lieving, 2006). Nur eine limitierte Anzahl von Studien zeigt die Effektivität von SSRI bei Komorbidität von SOT und affektiven Störungen (Steiner & Remsing, 2007). Aufgrund der möglichen Nebenwirkungen von SSRIs sollten sie nicht als Therapie der ersten Wahl bei SOT angewandt werden. Antiepileptika Die Effektivität von Antiepileptika (bspw. Carbamazepin), Beta-Blocker oder Antihypertonika kann an dieser Stelle nicht schlüssig beurteilt werden. Die Leitlinien der DGKJP (2007) und die Übersichtsarbeit von Bachmann et al. (2008) geben keine Auskunft über deren Effektivität. 5.4.4 Fazit • In den Leitlinien zur Behandlung von SDS/SOT stehen psychosoziale Interventionen im Vordergrund − im Unterschied zu anderen psychischen Erkrankungen. Im Allgemeinen werden mittelgrosse Effekte sowohl für die psychotherapeutischen als auch für die psychopharmakologischen Therapien bei SDS/SOT berichtet. Die Evidenzlage für psychopharmakologische Behandlungen erweist sich als relativ dürftig. • Multisystemische Therapie (MST) wurde in der analysierten Literatur mehrheitlich als effektiv beschrieben. Gegenwärtig ist man sich in der wissenschaftlichen Literatur uneinig, ob MST auch Langzeiteffekte zeigt. MST sollte aus evidenzbasierten Komponenten aufgebaut sein, wobei Elterntraining eine wichtige Option darstellt. • Eindeutig scheint die Evidenzlage für die Effektivität von Elterntraining bei der Behandlung von SDS. Der Evidenzgrad liegt bei der höchsten Stufe I. • Der Einsatz von Psychopharmaka wird erst empfohlen, wenn eine Komorbidität mit anderen Störungen vorliegt und/oder Psychotherapie und andere psychosoziale Interventionen keine Verbesserung der Symptome bewirken. Die untersuchte Literatur empfiehlt u. a. den Einsatz von atypischen Antipsychotika. • Methylphenidat (MPH) wird in den analysierten Studien als mögliche Therapie vorgeschlagen und mit mittleren bis grossen Effektstärken bewertet. • Antidepressiva (z.B. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) stellen eine mögliche Therapieoption dar, die Befundlage ist jedoch noch zu schmal für eine schlüssige Bewertung der Effektivität. • Der heutige Forschungsstand erlaubt noch keine validen Aussagen zur Effektivität von Kombinationsbehandlungen (z.B. Psycho- mit Pharmakotherapie) bei SDS/SOT. − 46 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 6 Wissenschaftliche Evidenz II: Wirtschaftlichkeit von Interventionen bei psychischen Störungen 6.1 Vorbemerkungen Ökonomische Analysen zu Kosten und insbesondere Kosteneffektivitätsanalysen von Interventionen für psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind relativ selten. Wir konnten für den Zeitraum 2000-2009 insgesamt 12 publizierte Studien identifizieren. Die Mehrheit der Studien bezieht sich auf Interventionen bei ADHS und Depressionen, nur vereinzelte Arbeiten liegen zur Kosteneffektivität von Interventionen bei Angsterkrankungen und Störungen des Sozialverhaltens vor. 6.2 Einzelne Störungsbilder 6.2.1 Angsterkrankungen Lediglich eine geeignete Studie konnte zur Kosteneffektivität von Intervention bei Angsterkrankungen von Kindern oder Jugendlichen identifiziert werden. (Bodden et al., 2008) vergleichen die Kosteneffektivität von zwei Ansätzen der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), nämlich eine KVTorientierte Familientherapie vs. KVT-Einzeltherapie. Dabei wird die KVT-Einzeltherapie als kosteneffektiver bewertet als die familientherapeutische Variante. 6.2.2 Depressionserkrankungen Bei den Depressionserkrankungen vergleichen drei Studien die Kosteneffektivität von Psychotherapie (kognitiver Verhaltenstherapie KVT) mit der pharmakologischen Behandlung durch SSRI. (Domino et al., 2008) schätzen sowohl Psychotherapie (KVT) als auch die Behandlung mit Antidepressiva (SSRI) als kosteneffektiv ein, aber im Vergleich zur Kombinationsbehandlung KVT+SSRI wird die Monotherapie mit SSRI als kosteneffektiver bewertet. Zu ähnlichen Schlüssen kommen (Goodyer et al., 2008): sie finden keinen Hinweis für eine Überlegenheit der Kombination von KVT+SSRI gegenüber der Kosteneffektivität alleiniger SSRI-Behandlung bei Jugendlichen. Zu einer anderen Einschätzung gelangen hingegen (Haby et al., 2004), wenn KVT günstig und qualifiziert geleistet wird: KVT durch Fachpersonen mit fundierter psychotherapeutischer Ausbildung erweist sich als die kosteneffektivste Behandlungsoption für Major Depression bei Kindern und Jugendlichen; geringer ist die Kosteneffektivität im Vergleich dazu von SSRI, aber auch von KVT, welche durch Nicht-Psychologen erbracht wird. 6.2.3 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS Für Interventionen bei ADHS wurden fünf Kosteneffektivitätsanalysen identifiziert; bei weiteren drei Publikationen geht es um reine Kostenanalysen in Bezug auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten sowie in Bezug auf medikamentöse Behandlungen. Im Folgenden beschränken wir uns auf die Kostenwirksamkeitsstudien. (Jensen, P. S. et al., 2005) bewerten die alleinige medikamentöse Behandlung von ADHS mit MPH als die kosteneffektivste Intervention insbesondere bei ADHS-Patienten ohne Komorbidität; es folgen die Kombinationsbehandlung MPH mit (verhaltensorientierter) Psychotherapie (PT) und schliesslich die alleinige psychotherapeutische Behandlung. Bei komorbiden Patienten schneidet die Kombinationsbehandlung MPH mit PT besser ab. Zu ähnlichen Schlüssen kommen auch (Foster et al., 2007), sie gehen aber näher auf die Bedeutung der Komorbidität ein: Demnach erweist sich die Kombinationsbehandlung MPH mit PT insbesondere bei Komorbidität von ADHS mit Störungen des Sozialverhaltens29 als am kosteneffektivsten. (Foster et al., 2007) zeigen aber auch, dass die Frage der Kosteneffektivität im Kontext der 29 Die Relevanz dieses Befundes liegt darin, dass bis zu 50% der ADHS-betroffenen Kinder eine Komorbidität mit Störungen des Sozialverhaltens aufweisen (Esser, 2002). − 47 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Zahlungsbereitschaft einer Gesellschaft (oder von Politikern) zu bewerten ist. Bei geringer Zahlungsbereitschaft erweist sich die Monotherapie mit MPH immer am kosteneffektivsten. Mit steigender Zahlungsbereitschaft (z.B. weil auch zukünftige, indirekte Kosten von ADHS wie etwa Delinquenz einkalkuliert werden) gewinnt die Psychotherapie (mit oder ohne Medikation) an Relevanz mit Blick auf die Kosteneffektivität. Weitere gesundheitsökonomische Analysen beschränken sich auf den Vergleich verschiedener Psychopharmaka: So zeigen (Cottrell et al., 2008) und (Hong et al., 2009), dass Amotexin eine kosteneffektive Alternative zu MPH darstellt. (Donnelly et al., 2004) belegen die Kosteneffektivität von Dexamphetamine (DEX) und MPH, wobei DEX besser abschneidet als MPH. 6.2.4 Störungen des Sozialverhaltens und Oppositionelles Trotzverhalten Lediglich zwei Kosteneffektivitätsanalysen zu Interventionen bei Störungen des Sozialverhaltens von Kindern und Jugendlichen konnten für den Zeitraum 2000-2009 identifiziert werden. (Dretzke et al., 2005) bewerten in einer systematischen Review die Wirksamkeit und Kosteneffektivität von Elterntraining und Elternfortbildungsprogrammen. Sie schätzen diese Programme als potenziell kosteneffektiv ein, die schmale Datenlage erlaubt aber keine differenzierte Bewertung nach Programmen unterschiedlicher Ausrichtung. Wenig bekannt ist auch über Langzeiteffekte. Auch (Edwards et al., 2007) fokussieren auf Elterntraining und schätzen dies − im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (Warteliste) von Eltern ohne Teilnahme an Trainingsprogrammen − als kosteneffektiv ein. 6.3 Fazit • Es liegen nur wenige (bzw. 12) aktuelle Kosteneffektivitätsanalysen von Interventionen für psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen vor, insbesondere mangelt es an Vergleichen zwischen pharmakologischen und anderen, v.a. psychotherapeutischen Interventionen. Die meisten dieser Kosteneffektivitätsanalysen befassen sich mit ADHS oder Depression. • Die Monotherapie von ADHS mit MPH erweist sich als kosteneffektivste Intervention, wenn keine Komorbidität mit anderen Störungen vorliegt. Dies gilt jedoch nur für eine Minderheit der Patienten/innen. Bei Komorbidität (v.a. mit Störungen des Sozialverhaltens) weist die Kombinationsbehandlung von MPH+KVT die beste Kosteneffektivität aus. • Bei Depressionen bringt die Kombinationsbehandlung von SSRI+KVT im Vergleich zur Monotherapie mit SSRI keinen Gewinn an Kosteneffektivität. KVT kann unter gewissen Umständen (fundierte psychotherapeutische Qualifikation der Behandelnden) kosteneffektiver als SSRI abschneiden. • Bei Angsterkrankungen und bei Störungen des Sozialverhaltens erweisen sich Elterntrainingsprogramme als potentiell kosteneffektiv. • Sämtliche der referenzierten Kosteneffektivitätstudien stammen aus dem englischsprachigen Raum. Inwieweit die Übertragbarkeit der Befunde auf Schweizer Verhältnisse gegeben ist, wäre zu diskutieren. − 48 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht 7 Diskussion und Schlussfolgerungen 7.1 Zentrale Befunde und Synthese 7.1.1 Synthese der Wirksamkeit von Interventionen Die wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit der analysierten Interventionen bei psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen ist zusammenfassend in Tabelle 4 dargestellt. Sie basiert wesentlich auf einer Synthese der Resultate von Bachmann et al. (2008) und den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (DGFJP, 2007). Bachmann et al. verwenden Effektstärken nach Cohen und die Leitlinien richten sich nach dem Evidenzgrad von Cookie und Sackett . Die Effektstärke (gross, mittel, kleine Effekte) wurden äquivalent aus den Publikationen von Bachmann et al. in die Tabelle 4 (in der Form von: +++, ++, +:) übernommen. Die Evidenzgrade I und II der Leitlinien der DGKJP wurden als „ausreichend“ und die Evidenzgrade III-IV als „begrenzte“ Evidenz definiert. In Eckklammern ist jeweils die spezifische Intervention angegeben, auf welche sich die Befunde zur Evidenz beziehen. Tabelle 4: Wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit von Interventionen bei psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen Psychische Störung Psychotherapie, psychoz. Interventionen Pharmakotherapie Kombinationsbehandlung Angsterkrankungen ++ ++ ¦+¦ [KVT] [SSRIs, v. a. bei generalisierten- und Trennungsangststörungen, Sozialer Phobie] x Anmerkungen SSRI: langfristige Wirkung unklar, sehr grosse Bandbreite bei den Effekten, mögliche Nebenwirkungen [allg. Pharmakotherapie von Angsterkrankungen] Depression ADHS + + [KVT, (IPT)] [SSRI (Fluoxetin)] + ++ [Elterntraining] [MPH, Stimulantien] ¦+¦ ¦+¦ ¦+¦ [KVT] Störung des Sozialverhalten / Störung mit. Opp. Trotzverhalten + x [MST, Elterntraining, KVT] allg. Pharmakotherapie bei SDS und SOT x +++, ++, +: starker, mittlerer, kleiner positiver Effekt mit ausreichender Evidenz ---, --, -: starker, mittlerer, kleiner negativer Effekt mit ausreichender Evidenz ∅: kein Effekt mit ausreichender Evidenz ¦+¦: positiver Effekt mit begrenzter Evidenz (d.h. unzureichende od. eingeschränkte Studien- bzw. Befundlage) ×: kaum od. keine Evidenz (d.h. nur wenige oder keine soliden Studien liegen vor) Folgendes kann aufgrund dieser Synthese festgehalten werden: • Gesamthaft erweisen sich sowohl psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen als auch pharmakologische Behandlungen als wirksam in der Behandlung der häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Die kombinierte Anwendung beider Interventi- − 49 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht onsarten zeigt tendenziell positive Effekte, aber deren Zusatznutzen ist noch zuwenig gesichert aufgrund schmaler Studienlage. • Die pharmakologische Behandlung zeigt besonders bei zwei Störungsbildern substantielle und gut abgesicherte positive Wirkungen: bei Angsterkrankungen und bei ADHS. Bei letzterer zeigen Psychopharmaka (insbesondere MPH bzw. ‚Ritalin’) stärkere positive Effekte als psychotherapeutische Interventionen. • Die Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen ist für alle der untersuchten Störungen belegt, wobei die stärksten Effekte in der Behandlung von Angsterkrankungen zu verzeichnen sind. 7.1.2 Befunde zur Wirtschaftlichkeit Die Studienlage zur Wirtschaftlichkeit von Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen ist schmal. Lediglich bei zwei Störungsbildern liegt eine grössere Zahl von Untersuchungen vor: ADHS und Depressionserkrankungen. Die Analysen belegen bei ADHS die grosse Kosteneffektivität der pharmakologischen Behandlung; sie zeigen aber auch, dass beim häufig vorkommenden Fall einer Komorbidität von ADHS mit anderen psychischen Störungen, Psychotherapie kosteneffektiver als eine pharmakologische Monotherapie sein kann. Bei Depressionserkrankungen erweisen sich sowohl Psycho- als auch Pharmakotherapie als kosteneffektiv, indessen zeigt die kombinierte Behandlung auch unter der Berücksichtigung der Kosten keinen Zusatznutzen. 7.1.3 Behandlungen im Kanton Zürich Die einzige gut zugängliche Datenquelle zu unterschiedlichen, insbesondere auch pharmakologischen, Behandlungsformen psychischer Störungen bei Kinder und Jugendlichen im Kanton Zürich ist der Santésuisse-Datenpool. Dieser enthält u.a. Angaben zu den Kosten für die Abgabe von Medikamenten sowie für die Gesamtkosten der Behandlung. Aufgrund eines Erhebungsfehlers seitens des Santésuisse sind die Befunde mit Vorbehalt zu bewerten, indem v.a. die Zahl der Konsultationen unterschätzt wird. Dennoch kann festgehalten werden, dass der Anteil der Kosten für Medikamente in den Behandlungen von Kinder- und Jugendpsychiater/innen sehr gering ist, nämlich knapp 1%. Es hat jedoch zwischen 1998-2007 ein markantes Kostenwachstum bei den Medikamenten stattgefunden, dass nicht allein durch die Zunahme an Behandlungen zu erklären ist. Aufgrund der verfügbaren Daten kann jedoch nicht geklärt werden, inwieweit für diesen Kostenanstieg ein Mengenwachstum verantwortlich ist. Von Bedeutung ist mit grosser Wahrscheinlichkeit auch das Preiswachstum der Psychopharmaka. Darüberhinaus ist aus den untersuchten Daten nicht ersichtlich, für welche Indikationen die Medikamente abgegeben wurden. 7.2 Schlussfolgerungen, Ausblick Die Befunde zur Wirksamkeit der Interventionen stützen den heute anerkannten Grundsatz der multimodalen Behandlung, indem sie zeigen, dass verschiedene Arten von Interventionen wirksam sind. Sowohl aus Sicht der wissenschaftlichen Evidenz als auch der Behandlungsleitlinien der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist eine pharmakologische Monotherapie i.d.R. nicht das Mittel der Wahl zur Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Aber diese Medikamente stellen einen wichtigen Bestandteil der Therapie dar. Es fällt auf, dass negative Effekte oder (unerwünschte) Nebenwirkungen von Interventionen wenig berichtet werden. Am ehesten werden sie noch im Zusammenhang mit der Anwendung von Psychopharmaka thematisiert. Hingegen sind sie bei psychotherapeutischen oder -sozialen Interventionen kaum Thema. Dies ist als eine u.E. bedeutende Forschungslücke zu bewerten und sollte in zukünftigen Studien untersucht werden − 50 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Die vorliegende Studie beleuchtet das Thema der Behandlung häufiger psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen primär aus wissenschaftlicher und fachlicher Perspektive. Dieser Blickwinkel zeigt, dass für die ausgewählten psychischen Probleme heute Behandlungsleitlinien vorliegen und die Wirksamkeit einer Reihe von Behandlungsoptionen wissenschaftlich gesichert ist. Offen aber ist, wie psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen in der Praxis behandelt werden. Erfolgt die Behandlung beispielsweise weitgehend konform zu den Leitlinien der psychiatrischen Fachgesellschaften? Inwiefern sind Abweichungen zu verzeichnen, und wie lassen sich diese erklären? Es gibt für die Schweiz und auch für den Kanton Zürich (mit einer Ausnahme; siehe Steinhausen et al., 1998) kaum aktuelle und publizierte, oder wenigstens zugängliche Daten zur Häufigkeit psychischer Störungen unter Kinder und Jugendlichen und den damit verbundenen Interventionen − Aber viele Vermutungen über diesen Sachverhalt. Der Aufbau eines Monitoringsystems, wie es die Postulanten aus dem Zürcher Kantonsrat vorschlugen, erscheint als kaum realisierbar und wäre ggf. mit erheblichen Kosten verbunden. Es wird deshalb eine weiterführende Studie (Gesamtkosten: rund CHF 110'000) vorgeschlagen, welche retrospektiv die Anliegen des Postulats zu klären versucht. Im Rahmen dieser Studie sollte untersucht werden, welche Rolle die Psychopharmakatherapie für die Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen heute in der Praxis im Kanton Zürich spielt, welche anderen Interventionen zur Anwendung kommen, und inwieweit es in den letzten Jahren zu allfälligen Veränderungen (z.B. einer Verschiebung von Psycho- zu Pharmakotherapien) gekommen ist. Es empfiehlt sich diese Ziele am Beispiel von ADHS zu untersuchen: die wissenschaftliche Evidenz zur Behandlung dieser Störung ist breit, die Relevanz von ADHS in der öffentlichen Wahrnehmung und deren Verbreitung unter Kindern und Jugendlichen sind gross (vgl. dazu Anhang A). − 51 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen:Schlussbericht Literatur Antshel, K. M., & Barkley, R. (2008). Psychosocial Interventions in Attention Deficit Hyperactivity Disorder. Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America, 17(2), 421-437. 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Prevalence of Psychiatric Disorders Among Children of Different Ethnic Origin. Journal of Abnormal Child Psychology, 35(4), 556-566. − 56 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang Anhang A: Studienkonzept und Kosten für weiterführende Forschung A1 Einleitung A1.1 Problemstellung Die vorliegende Studie beleuchtet das Thema der Behandlung häufiger psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen primär aus wissenschaftlicher und fachlicher Perspektive. Dieser Blickwinkel zeigt, dass für die ausgewählten psychischen Probleme heute Behandungsleitlinien vorliegen und die Wirksamkeit einer Reihe von Behandlungsoptionen wissenschaftlich gesichert ist. Offen aber ist, wie psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen in der Praxis behandelt werden. Erfolgt die Behandlung beispielsweise weitgehend konform zu den Leitlinien der psychiatrischen Fachgesellschaften? Inwiefern sind Abweichungen zu verzeichnen, und wie lassen sich diese erklären? Im Raum der öffentlichen Debatte steht immer auch die sogenannte Medikalisierungshypothese, wonach zunehmend mehr (bisher als normal erachtete) Lebensprobleme zu einem medizinischen Problem umettiketiert werden und in der Folge entsprechende medizinische Leistungen generieren. Es gibt jedoch für die Schweiz und auch für den Kanton Zürich kaum aktuelle und publizierte oder wenigstens zugängliche Daten zur Häufigkeit psychischer Störungen unter Kinder und Jugendlichen und den damit verbundenen Interventionen − Aber viele Vermutungen über diesen Sachverhalt. Der Aufbau eines Monitoringsystems, wie es die Postulanten aus dem Zürcher Kantonsrat vorschlugen (KR-Nr. 202/2006), erscheint als kaum praktikabel und es wäre darüber hinaus aber sehr aufwändig und mit erheblichen Kosten verbunden. Im Folgenden wird eine kostengünstigere Studie konzipiert, welche retrospektiv die Anliegen des Postulats zu klären versucht. Es soll untersucht werden, welche Rolle die Psychopharmakatherapie in der Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen heute spielt, welche anderen Interventionen zur Anwendung kommen, und inwieweit es in den letzten Jahren zu allfälligen Veränderungen (z.B. eine Verschiebung von Psycho- zu Pharmakotherapien) gekommen ist. Wir schlagen vor, diese Themen am Beispiel eines ausgewählten Störungsbildes zu untersuchen, wofür sich u.E. ADHS aus verschiedenen Gründen empfiehlt: die breite wissenschaftliche Evidenz zur Behandlung von ADHS, die Relevanz dieser Störung in der öffentlichen Wahrnehmung und die Häufigkeit unter Kindern und Jugendlichen. A1.2 Ziele, Fragestellungen Die geplante Studie sollte aufgrund der zuvor dargelegten Problemstellungen drei Fragenkomplexe am Beispiel von ADHS bearbeiten, diese betreffen die Verbreitung dieser psychischen Störung unter Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich im Zeitverlauf (Frage 1), den Entscheidungsprozess der Eltern für die Inanspruchnahme von welcher Art der professionellen Hilfe (Frage 2) und die Bedeutung des sozialen Umfeldes (insbes. der Schule) von ADHS-Kindern für die Wahl bestimmter Interventionen (Frage 3). 1. Wie verbreitet ist ADHS unter Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich? Wie haben sich Art, Umfang (Anzahl Fälle, Anzahl Behandlungen) und Kosten von krankenkassenpflichtigen Leistungen für die Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen (6-18 Jahre) im Kanton Zürich entwickelt (Zeitraum: letzte 10 Jahre ab Studienbeginn)? Wer hat die Leistungen veranlasst (Allgemeinpraktiker, Fachärzte etc.)? 2. Wie, unter welchen Bedingungen und warum entscheiden sich Eltern von Kindern mit ADHS für welche Art von Behandlung? Wie sieht die Behandlungskarriere der Eltern und ihrer Kinder aus? Wieviel Zeit verstreicht, bis professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird? − A1 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang 3. Wie werden ADHS-Kinder und -Jugendliche zum Problem für ihr soziales Umfeld (Familie, Schule, Betrieb, Nachbarschaft)? Von wem bzw. von welchen Akteuren geht die Initiative für welche Art von Intervention aus? A2 Methodisches Vorgehen A2.1 Studiendesign Die vorgeschlagene Untersuchung setzt sich aus drei Teilstudien (Module A-C) zusammen, die ihren Gegenstand aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten: Modul A (vgl. Fragestellung 1) untersucht anhand von Sekundärdaten einer (ggf. mehrerer) grossen Krankenkasse ADHS-Diagnosen und die damit verbundenen Leistungen im Zeitraum der letzten 10 Jahre im Kanton Zürich. Ergänzend beigezogen werden können Stichprobendaten aus dem Apotheken-/SD-Ärzteindex Schweiz. Modul B (Fragestellung 2) untersucht aus der Perspektive betroffener Eltern das Phänomen ADHS, wobei es v.a. um die Entscheidungsprozesse der Eltern für eine bestimmte Behandlung geht. Diese Teilstudie erfolgt zweistufig: In einem ersten Schritt wird im Rahmen von qualitativen Interviews mit betroffenen Eltern (N=10) das Thema exploriert. Aufgrund der Ergebnisse dieser Interviews wird in einem zweiten Schritt die schriftliche Befragung einer für den Kanton Zürich repräsentativen Stichprobe von Eltern (N=300)30 mit ADHS-Kindern im Schulalter durchgeführt. Die Rekrutierung der Eltern erfolgt über die Volksschule. Modul C (Fragestellung 3) befasst sich mit dem breiteren sozialen Kontext von ADHS, insbesondere auch der Schule. Für diese Teilstudie wird wiederum ein qualitatives Vorgehen mit der Durchführung von Fokusgruppeninterviews vorgeschlagen. Fokusinterviews basieren auf der persönlichen Befragung und Diskussion innerhalb einer klar umgrenzten Gruppe und fokussieren gezielt auf bestimmte Inhalte. Ziel dieser Methode ist es, die subjektive Meinung des Einzelnen wie auch der Gruppe widerzuspiegeln. Fokusinterviews sind deshalb zur Erschliessung komplexer Befragungsinhalte und Zusammenhänge gut geeignet. Es sollen drei Fokusgruppen durchgeführt werden, in denen die wesentlichen Akteure im Themenfeld ADHS vertreten sind. Die Gruppen (zu 6-8 Personen) setzen sich wie folgt zusammen: (1) eine Gruppe aus Vertretenden der Volksschule und -schulbehörden, (2) eine Gruppe aus Vertretenden des Gesundheits- und Sozialsystems bzw. der Leistungserbringenden (Ärzte, Psychologen, etc.) und (3) einer gemischten Gruppe mit Eltern und Vertretenden aus den beiden anderen Gruppen. A2.2 Arbeitsschritte, Zeitplan In Tabelle A1 ist eine Übersicht der zentralen Arbeitschritte in den oben skizzierten Teilstudien mit Berichterstattung dargestellt und mit einem Zeitplan verbunden. Die vorgeschlagene Studie erstreckt sich über 16 Monate. Ausgehend von einem fiktiven Jahr 1 mit Projektstart anfang Januar wäre die Studie somit im darauffolgenden Jahr 2, Mitte April mit der Abgabe des definitiven Schlussberichts beendet. 30 Wir gehen von einer Rücklaufquote von 30% aus, sodass für eine Stichprobengrösse von N=300 rund 1000 Fragebogen versandt werden müssen. − A2 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang Tabelle A1: Zentrale Arbeitsschritte und Zeitplan mit Meilensteinen Arbeitsschritte M W Mt., Jahr 01-02 laufend 01.1 laufend 03-04 05-07 7-15 16 01.1 02.1 02.-04.1 04.1 B1: Qualitative Interviews (N=10) • Entwicklung Interviewleitfaden • Rekrutierung Eltern • Durchführung u. Transkription Interviews • Analyse 17-18 18 19-23 23-25 04.-05.1 05.1 05.-06.1 06.1 B2: Quantitative Befragung • Entwicklung u. Pretest Fragebogen • Versand Fragebogen, Eingabe Daten und Datenkontrolle • Analyse • Zwischenbericht 2 26-27 28-38 39-43 44 06.-07.1 07.-09.1 09.-10.1 11.1 45-46 47 48-51 01-05 11.1 11.1 11.-12.1 01.-02.2 06-11 12-13 14-15 02.-03.2 03.2 04.2 Koordination (laufend) • Sitzungen • Detailkonzept • Projektplanung Modul A: Analyse Sekundärdaten (Krankenkasse, IMS-Daten) • • • • Organisation, Spezifikation Daten Aufbereitung Daten Analyse Zwischenbericht 1 Modul B: Elternbefragung Modul C: Fokusgruppen (3 Gruppen) mit zentalen Akteuren • • • • Entwicklung Leitfaden Fokusgruppen-Interview Organisation Fokusgruppen, Rekrutierung Durchführung u. Transkription Fokusgruppen Analyse Berichterstattung • Schlussbericht 1. Fassung • Review • Schlussbericht Def. Fassung M: Meilensteine; W: Woche; Mt.: Monat; Jahr (jeweils ab Studienbeginn) − Annahme einer Studie mit Start anfang Januar A3 Kosten, Zeitplanung Die Gesamtkosten der Studie belaufen sich auf rund CHF 110'000 (inkl. MwSt.), die in Tabelle A2 detailliert dargestellt sind. − A3 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang Tabelle A2: Leistungen und Kosten Arbeitsschritte h CHF 8 16 24 760 1'520 2'280 20 48 144 1'900 4'560 13'680 B1: Qualitative Interviews (N=10) • Entwicklung Interviewleitfaden • Rekrutierung Eltern • Durchführung u. Transkription Interviews • Analyse 24 8 90 56 2'280 760 8'550 5'320 B2: Quantitative Befragung (N=300) • Entwicklung u. Pretest Fragebogen • Versand Fragebogen, Eingabe Daten und Datenkontrolle • Analyse 36 78 72 3'420 7'410 6'840 24 16 54 72 2'280 1'520 5'130 6'840 16 16 96 1'520 1'520 9'120 32 3'040 Koordination • Sitzungen • Detailkonzept • Projektplanung Modul A: Analyse Sekundärdaten (Krankenkasse, IMS-Daten) • Organisation, Spezifikation Daten • Aufbereitung Daten • Analyse Modul B: Elternbefragung Modul C: Fokusgruppen (3 Gruppen) mit zentalen Akteuren • • • • Entwicklung Leitfaden Fokusgruppen-Interview Organisation Fokusgruppen, Rekrutierung Durchführung u. Transkription Fokusgruppen Analyse Berichterstattung • • • • • Zwischenbericht 1 (Ende Modul A) Zwischenbericht 2 (Ende Modul B) Schlussbericht 1. Fassung Review Schlussbericht Def. Fassung Sachkosten • • • • • Kosten Bezug Sekundärdaten (KK, IMS) Reisespesen Elterninterviews Spesen Teilnehmende Fokusgruppen Druckkosten Fragebogen Versandkosten Fragebogen 8'000 300 1'200 1'000 800 Zwischentotal MwSt. 8% 950 TOTAL 101'550 8’124 109’674 − A4 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang Anhang B: Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie B1 Angsterkrankungen − A5 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang B2 Depressionen − A6 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang B3 Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung ADHS − A7 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang B4 Störungen des Sozialverhaltens (inkl. Störungen mit Oppositionellem Trotzverhalten) − A8 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang Anhang C: Auswahl der wissenschaftlichen Literatur C1 Epidemiologische Studien Lokalisiert durch systematische Literaturrecherche n = 248 n = 250 Studien auf Einschluss getestet n = 8 Studien eingeschlossen Lokalisiert durch Referenzlisten 2 Gründe für Nicht-Selektion von n = 242 Studien (37) Ausserhalb EU, Nordamerika, Kanada, skandinavischen Länder (5) Altersgruppe nicht zwischen 4-18 Jahre (59) Untersuchung zu Prävalenzen in spez. Gruppen: Obdachlose, psych. Behinderte, Migranten, Missbrauchsopfer, Adoptivkinder etc. (20) Publikationen ohne epidemiologische Vergleichsdaten über psych. Krankheiten (10) Resultate nicht in vergleichbaren diagnostischen Klassifikation dargestellt (z. B. ICD oder DSM) (12) Prävalenzen von psychischen Erkrankungen in spez. Settings: z. B Krankenhausaufnahmen, Notfallstation (10) Schwerpunkt nicht auf Kinder oder Jugendlichen (32) Versorgungsforschung (z. B. Therapieangebote, Ausbildung Fachpersonal, Validierung von Messinstrumente, Psychopharmakaverordnung) (43) Komorbidität (bspw. Sucht, Posttraumat. Stresssyndrom, Adipositas) (7) mehrere Publikationen derselben Studie (7) kein Zugriff Zusammenfassung der Studien (siehe Tabelle 1 Analyseraster) Abbildung C1: Selektion von Studien zur Epidemiologie psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen − A9 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A10 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A11 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang C2 Angsterkrankungen Studien lokalisiert durch Referenzlisten n = 2 Studien lokalisiert durch systematische Literaturrecherche n = 59 Gründe für Nicht-Selektion von n = 49 Studien auf Grund folgender Schwerpunkte: - (8) Untersuchung spezifischer Angsterkrankungen - (1) Interventionen auf gesundheitspolitischer Ebene - (9) Behandlungen von Angsterkrankungen in vulnerablen Gruppen - (3) Studien über Angstentstehung und Aufrechterhaltung - (6) Kommentare, Protokolle - (1) nicht auf Deutsch oder Englisch - (3) Sozio-ökonomische Faktor, die eine Therapie beeinflussen könnten - (2) Spezifische Settings: Krankenhaus - (6) weitere Behandlungsmethoden (z. B. Komplemtär Medizin, neurochirurgische Interventionen) - (2) Psychopharmaka ausserhalb von SSRI, Benzodiazepine und TCA - (3) Altersgruppen ausserhalb Kinder und Jugendlichen - (4) Kein Zugriff auf Publikationen - (1) Duplikation n = 61 Studien auf Einschluss getestet n = 12 Studien eingeschlossen Empirische Studien Metaanalysen und Reviews (2) Vergleich Kind KVT, Familien KVT und/oder Gruppen KVT (1) Nur Familien KVT (2) Psychopharmaka und KVT (1) Vergleich Kind KVT, Familien KVT und/oder Gruppen KVT (1) Psychopharmaka und KVT (4) Psychopharmakatherapie (1) Psychopharmaka- und Psychotherapien Abbildung C2: Selektion von Studien zu Interventionen bei Angsterkrankungen − A12 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A13 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A14 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A15 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A16 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang C3 Depressionen Lokalisiert durch systematische Literaturrecherche n = 103 n = 105 Studien auf Einschluss getestet n = 10 Studien eingeschlossen Empirische Studien (2) Vergleich KVT und SSRI (2) IPT Lokalisiert durch Referenzlisten 2 Gründe für Nicht-Selektion von n = 95 Studien wegen folgender Schwerpunkte: - (5) Untersuchungen in spezifischen Gruppen (z. B. Kriegsopfer, Missbrauchsopfer) oder Settings - (17) anderes Krankheitsbild, Komorbidität - (8) weitere Behandlungsmethoden (z. B chirurg. Eingriffe) - (7) Beeinflussende Faktoren für Behandlungsaufnahme und -erfolg - (4) Ausserhalb EU, Nordamerika, Kanada oder skandinavische Länder - (11) Publikation derselben Studie - (5) Schwerpunkt auf bspw. Suizid, schul. Leistungen, Screening, Kosten-Effektivität und nicht auf Behandlung - (1) Substanzmissbrauch - (1) Tierversuche - (4) Nicht auf Deutsch oder Englisch - (13) Kein Zugriff - (19) Kommentare Metaanalysen und Reviews (2) Psychopharmaka- und Psychotherapien (1) Psychopharmakatherapien (2) Psychotherapien (1) KVT Abbildung C3: Selektion von Studien zu Interventionen bei Depressionen − A17 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A18 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A19 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A20 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang C4 Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung ADHS Lokalisiert durch systematische Literaturrecherche n = 273 n = 276 Studien auf Einschluss getestet n = 24 Studien eingeschlossen Lokalisiert durch Referenzlisten 3 Gründe für Nicht-Selektion von n = 252 Studien auf Grund folgender Schwerpunkte - (23) Auswirkungen von ADHS Auswirkungen von versch. Lebensbereiche Freundschaft, Eltern, Familie, Schule etc - (42) Andere Krankheit (Lernbehinderung, Substanzmissbrauch etc) - (22) Ursachenforschung und Diagnostik von ADHS - (29) Neurobiologie - (32) Komorbidität - (2) Plazebo - (6) Schlafverhalten bei ADHS - (2) Medikamente ohne Bezug direkt auf ADHS - (14) Alternative Therapie (Gründe für Ausschluss wegen noch mangelnder Evidenz) - (15) ADHS in spezif. Gruppen oder Settings (Ethnien, Erwachsene) - (7) Compliance - (6) Schwerpunkt auf Nebenwirkungen und nicht Effektivität - (2) Leitfäden (auf Grund möglicher methodischer Schwächen) - (7) Protokoll (Planungsphase, noch keine Ergebnisse) - (5) Wiederholungen - (33) Kein Zugriff - (5) Andere Themen im Zusammenhang mit ADHS, z. B. rechtliche Aspekte Empirische Studien Metaanalysen und Reviews (5) Psychopharmaka (3) Vergleichsstudie Psychopharmaka vs. Kombinationstherapie (7) Psychopharmaka (5) Psychosoziale Interventionen (4) Psychopharmaka und Psychosoziale Interventionen Abbildung C4: Selektion von Studien zu Interventionen bei ADHS − A21 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A22 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A23 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A24 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A25 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A26 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A27 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang C5 Störungen des Sozialverhaltens, SDS Lokalisiert durch systematische Literaturrecherche n = 123 n = 124 Studien auf Einschluss getestet Lokalisiert durch Referenzlisten 1 Gründe für Nicht-Selektion von n = 111 Studien auf Grund folgender Schwerpunkte (27) Ursachen, Einflüsse von Umfeld auf SDS (7) Kommentar (16) Komorbidität (15) Substanzmissbrauch + SDS (10) Genforschung (15) Gleiche Publikation; gleiche Studie (5) nicht auf Deutsch oder Englisch (3) Schwerpunkt Diagnosestellung (3) Studiendesign, stationäre Behandlung, Pilot (5) ausserhalb geographischer Region (4) anderes Krankheitsbild (1) alternative Therapien (nicht auf Leitlinien der DGFJP) n = 13 Studien eingeschlossen Empirische Studien Metaanalysen und Reviews (1) Psychopharmaka (4) Psychosoziale Interventionen (2) Psychopharmaka und Psychosoziale Interventionen (3) Psychopharmaka (3) Psychosoziale Interventionen Abbildung C5: Selektion von Studien zu Interventionen bei SDS − A28 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A29 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A30 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A31 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A32 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang C6 Störungen mit Oppositionellem Trotzverhalten, SOT Lokalisiert durch systematische Literaturrecherche n = 168 n = 169 Studien auf Einschluss getestet Lokalisiert durch Referenzlisten 1 Gründe für Nicht-Selektion von n = 157 Studien auf Grund folgender Schwerpunkte (21) Diagnostik (40) Komorbidität (6) ausserhalb gesuchter geographischer Raum (1) Schlafprobleme bei psych. Störungen (3) Einflussfaktoren auf Therapieerfolg (5) Neurobiologische Vorgänge (1) SOT bei Erwachsenen (5) Prävalenzstudien (9) Ursachen und Risiken um SOT zu entwickeln (8) Genetik und SOT (1) Gesundheitsökonomie (7) Psychologische Tests über Symptome von SOT (39) Wiederholungen Publikationen (2) Kommentare (1) Fallstudie (8) Keine Zugriff n = 12 Studien eingeschlossen Empirische Studien Metaanalysen und Reviews (2) Psychopharmaka (3) Psychosoziale Interventionen (5) Psychopharmaka und Psychosoziale Interventionen (2) Psychosoziale Interventionen Abbildung C6: Selektion von Studien zu Interventionen bei SOT − A33 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A34 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A35 − Interventionen bei psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen: Anhang − A36 −