Schwierige Arbeitsmarktintegration

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S C H W E R P U N K T | Sozialhilfe
Schwierige Arbeitsmarktintegration
Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen in der Sozialhilfe
Text: Dorothee Guggisberg
Politische Entwicklungen und fachliche Herausforderungen
prägen das Arbeitsfeld der Sozialhilfe und verlangen von
allen Beteiligten Aufmerksamkeit, Innovationsgeist und
hohe Professionalität. Armut und sozialer Ausschluss stellen
an jede Gesellschaft grosse Anforderungen, auch wenn in
der Schweiz die Zahlen deutlich tiefer liegen als in andern
europäischen Ländern.
Die Sozialhilfestatistik weist für 2009 rund 230 000 Sozial­
hilfebeziehende aus. Im Vergleich zum Vorjahr ist die So­
zialhilfequote somit um 0,1 Prozentpunkte auf 3 Prozent
gestiegen (siehe auch Kasten Seite 11), allerdings mit erheb­
lichen kantonalen und regionalen Unterschieden. Trotz der
unterschiedlichen Fallentwicklung hat sich die Hypothese
der drastischen Zunahme der Sozialhilfebeziehenden we­
gen der Wirtschafts- und Finanzkrise also bisher nicht be­
stätigt. Die Sozialhilfe bekommt die Auswirkungen von
wirtschaftlichen Entwicklungen und die Veränderungen
in den vorgelagerten Sozialversicherungen allerdings erst
verzögert zu spüren, sodass anzunehmen ist, dass die So­
zialhilfequote 2010 tendenziell eher steigend ist.
Zu den Fotos
Die Mitarbeitenden der Sozialhilfe Basel-Stadt im Porträt
Die Anforderungen an die Sozialhilfe sind in den letzten
­J ahren auf verschiedenen Ebenen gestiegen. Dies hat
auch Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen für das
Personal in den Sozialdiensten. Mehr Effizienz, mehr
Kontrolle, mehr Fälle – reflektiertes methodisches Han­
deln wird für die unterschiedlichen Professionen in den
Sozialdiensten immer anspruchsvoller. Wie erleben die
Mit­a rbeitenden der Sozial­h ilfe in Basel ihren zunehmend
anspruchsvolleren Arbeitsalltag zwischen interner Re­
organisation, öffentlicher Politdebatte und den Ansprü­
chen der KlientInnen? SozialAktuell hat seinen Fotogra­
fen Luc-François Georgi für einen Tag ins Basler Sozial­
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SozialAktuell | Nr.2 _ Februar 2011
amt an der Klybeckstrasse 15 geschickt. Er brachte neun
Fotoporträts vom Mitarbeitenden in die Redaktion zu­
rück. Sie alle ver­s uchen in ihrer eigenen Funktion und
mit den Möglichkeiten ihres Aufgaben­p rofils, den Sozial­
hilfe beziehenden Menschen ein menschenwürdiges
­L eben zu ermöglichen. Die berufliche Reflexion ihrer Ar­
beit mit den KlientInnen zeigt, dass der Spagat zwischen
Kontrolle und Sanktionen einerseits sowie der Aktivie­
rung und materiellen Existenzsicherung andererseits nur
gelingen kann, wenn neben rechtlich vorgeschriebenen
Auflagen auch Beziehungsarbeit und gegenseitige Wert­
schätzung weiterhin grossgeschrieben werden. nm
Sozialhilfe | S C H W E R P U N K T
Armut ist auch ein strukturelles Problem
Die Sozialhilfe kommt zum Tragen, wenn die Bedürftigkeit
nicht mit einem Erwerbseinkommen oder anderen Mit­
teln behoben werden kann. Die auf Notlagen ausgerichte­
ten Unterstützungsleistungen sollen die individuelle Exis­
tenz sichern und Integration gewährleisten. Immer mehr
Personen sind heute aber auch nach einem Jahr noch auf
Sozialhilfe angewiesen. Diese muss somit vermehrt struk­
turelle Armutsrisiken auffangen und übernimmt nebst
der subsidiären immer mehr eine komplementäre Rolle im
System der sozialen Sicherung.
Die Zunahme der Armut ist nur teilweise auf den wirt­
schaftlichen und sozialen Strukturwandel zurückzufüh­
ren. Darüber hinaus ist sie auch Ergebnis eines Rückbaus
der Sozialversicherungen. Die Revisionen der Arbeitslosenund der Invalidenversicherung führen zu einem sukzessi­
ven Leistungsab- und -umbau. Die Lasten werden zuneh­
mend auf die letzten Netze der sozialen Sicherung verlagert.
Zahlreiche AkteurInnen in der schweizerischen Sozial­
politik haben mit ihren im vergangenen Jahr, dem Euro­
päischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer
Ausgrenzung, publizierten Armutsstrategien gezeigt, dass
­A rmutsbekämpfung nicht nur auf individueller Ebene an­
setzen muss, sondern dass dafür auch strukturelle und
­politische Weichenstellungen notwendig sind. Armuts­
Investitionen in die soziale Sicherheit sind
ein kollektiver Gewinn für die Gesellschaft
politik ist kein isoliertes Politikfeld, sondern eine Quer­
schnittsaufgabe von Sozial-, Arbeitsmarkt-, Familien-, Bil­
dungs-, Gesundheits- und Migrationspolitik. Sie fordert
vereinte Kräfte und einen klaren politischen Willen.
Armutserfahrung in bestimmten Lebensabschnitten oder
schlecht gemeisterte Übergänge in zentralen Lebensphasen
können nachhaltige Beeinträchtigungen der finanziellen
Existenzsicherung und sozialen Integration nach sich
­ziehen. Daher drängen sich aus armutspolitischer und prä­
ventiver Perspektive gezielte Investitionen zur guten Be­
wältigung von wichtigen Lebensabschnitten auf, wie
etwa der frühen Kindheit oder der Berufsbildung.
Umstrittenes Aktivierungsprinzip
Aus diesem Grund setzt sich die SKOS, die Schweizerische
Konferenz für Sozialhilfe, unter anderem für die Einfüh­
rung von Ergänzungsleistungen an einkommensschwa­
che Familien, für nachhaltige Verbesserungen an der
Schnittstelle Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe zur
Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit, für die Früh­
förderung der Kinder sowie für die Harmonisierung des
Stipendien- und Sozialhilfewesens ein.
Es zeigt sich, dass die Integration in den ersten Arbeits­
markt heute kaum mehr als realistisches Ziel für alle Be­
troffenen gewertet werden kann, denn der Arbeitsmarkt
bietet nicht ausreichend Arbeitsplätze. Das Ende der Voll­
beschäftigung wird heute von den meisten Kreisen aner­
kannt. Ein Leben ohne Arbeit im ersten Arbeitsmarkt wird
folglich für immer mehr Sozialhilfebeziehende Realität.
Der sogenannte zweite Arbeitsmarkt kann zwar Entlas­
tung bieten, löst das Problem aber ebenfalls nicht umfas­
send. Langfristig müssen soziale Betätigungen im und für
das Gemeinwesen gleich gewichtet werden wie berufliche
Leistungen.
Sozialhilfequote
Leichte Zunahme der SozialhilfebezügerInnen
Ende 2009 waren in der Schweiz rund 230 000 Personen auf So­
zialhilfe angewiesen. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Sozialhilfe­
quote um 0,1 Prozentpunkte auf 3 Prozent gestiegen. Das ist die
erste Zunahme seit 2006. Gemäss BFS ist die Zunahme vor allem
darauf zurückzuführen, dass Ausländer und Flüchtlinge, die vor­
läufig aufgenommen sind und die länger als sieben Jahre in der
Schweiz leben, neu in der Statistik berücksichtigt worden sind. Die
Wirtschaftslage und die gestiegenen Arbeitslosenzahlen hätten
sich in der Statistik noch nicht niedergeschlagen. Die erstmals auf
einer Vollerhebung in allen Kantonen basierende Sozialhilfestatis­
tik zeigt auch, dass die Sozialhilfe in Städten und städtisch ge­
prägten Kantonen stärker beansprucht wurde.
Bezogen auf die Altersstruktur zeigt sich folgendes Bild: Nach wie
vor war die Sozialhilfequote bei Kindern, Jugendlichen und jungen
Erwachsenen bis 25 Jahre am höchsten. Bei ihnen war aber eine
sinkende Tendenz festzustellen, besonders bei den 18- bis 25-Jäh­
rigen. Sorgen bereitet die Gruppe der 56- bis 64-Jährigen. Bei
­ihnen hat die Quote in den letzten fünf Jahren stetig zugenom­
men. Einmal in der Sozialhilfe, ist es für sie schwierig, in den Ar­
beitsprozess zurückzufinden. Gemessen an der Gesamtzahl der
Sozialhilfebezüger ist der Anteil dieser Altersgruppe von 6,9 auf
7,1 Prozent gestiegen.
Bei Schweizerinnen und Schweizern betrug die Sozialhilfequote
unverändert 2 Prozent. Bei den Ausländern stieg sie leicht um
0,1 Prozentpunkte auf 6,1 Prozent an. 45,5 Prozent aller Sozial­
hilfebezüger waren Ende 2009 Ausländer. Das Risiko, in die Sozial­
hilfe zu fallen, war bei ihnen wie schon in den Vorjahren dreimal
so hoch wie bei Schweizern. Hauptgründe hierfür sind tiefere be­
rufliche Qualifikationen und grössere Familien. Die Sozialhilfe­
quote der Ausländer aus den 27 EU-Ländern und den Efta-Staa­
ten lag bei 2,8 Prozent.
Unverändert bleibt der Befund der Vorjahre, dass Alleinerziehende
das höchste Sozialhilferisiko aufweisen. 30 Prozent aller Perso­
nen, die Sozialhilfe beziehen, leben in Haushalten von Allein­
erziehenden. Und jeder sechste Haushalt mit einem alleinerzie­
henden Elternteil war von Sozialhilfe abhängig. nm
Im Zusammenhang mit der immer längeren Verweildauer
in der Sozialhilfe muss die Frage gestellt werden, welche
Anforderungen Sozialhilfe für die langfristige Unterstüt­
zung von Personen erfüllen muss und wie das Aktivie­
rungsprinzip diesen Realitäten begegnen kann. Der Ansatz
der aktivierenden Sozialhilfe, der sich seit der letzten Ge­
samtrevision im Jahr 2005 auch in den SKOS-Richtlinien
niederschlägt, schliesst mit ein, dass für eine Sozialhilfe­
leistung eine Gegenleistung erbracht werden muss. Im
Rahmen der individuellen Möglichkeiten soll ein Beitrag
zur Problemlösung geleistet werden. Mithilfe von finan­
ziellen Anreizen soll insbesondere die berufliche Integra­
tion zu einer möglichst nachhaltigen Ablösung von der
Sozialhilfe führen.
Dorothee Guggisberg,
Sozialarbeiterin FH und
­M aster of Public Administra­
tion Universität Bern, ist
­G eschäftsführerin der
Schweizerischen Konferenz
für Sozialhilfe (SKOS).
Nr.2 _ Februar 2011 | SozialAktuell
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S C H W E R P U N K T | Sozialhilfe
Obwohl heute in weiten Teilen der Sozialhilfe umgesetzt
und anerkannt, führt dieser Ansatz nach wie vor zu vielen
kritischen Debatten. Nicht die Förderung und Forderung
von Bemühungen der Sozialhilfebeziehenden zu einem
­eigenständigen Leben, sondern der flächendeckende Ein­
satz und die Wirksamkeit von Anreizmethoden bei gleich­
zeitiger Senkung des Grundbedarfs sind Gegenstand der
kritischen Auseinandersetzung. Workfare sei eine Mass­
nahme zur Disziplinierungs der sozial Schwächsten, lautet
denn auch einer der Vorwürfe. Umgekehrt findet auf der
anderen Seite das Paradigma des «Forderns und Förderns»
heute politisch breite Resonanz.
Die Soziale Arbeit muss mitgestalten und
ihr Professionsverständnis wahrnehmen
Die SKOS-Richtlinien bieten eine Grundlage für eine mit
dem Berufskodex der Sozialen Arbeit vereinbare Anwen­
dung. Durch individuell auf die Bedürfnisse und Möglich­
keiten zugeschnittene Integrationsleistungen kann die
Soziale Arbeit ihre Innovationskraft beweisen. Wenn sie
zeigen kann, dass sich Investitionen nicht nur in die beruf­
liche, sondern auch in die soziale Integration lohnen, kann
vielerorts auch die Politik zur Bereitstellung der nötigen
Ressourcen überzeugt werden.
Das Image der Sozialhilfe hat durch die Missbrauchsdebatte
gelitten. Die Sozialdienste haben aber viel geleistet, um das
Bild, das die Öffentlichkeit von der Sozialhilfe hat, zu korri­
gieren und die Realität in den Vordergrund zu rücken. Ein
Blick in die Sozialdienste zeigt, dass diese an den meisten
Orten hoch professionell arbeiten, mit qualifiziertem Per­
sonal, betriebswirtschaftlicher Organisationsweise, ethi­
schen Prinzipien und methodisch klarem Rahmen.
Die Bewältigung der anforderungsreichen Aufgaben erfor­
dert Innovation. Die Sozialhilfe muss ihr Wissen zuhanden
Um einen verbindlichen Rahmen festzulegen,
fordert die SKOS ein Bundesrahmengesetz
zur Existenzsicherung und Integration
der Sozialplanung nutzbar machen und gleichzeitig die
­ alance zwischen dem Dienst am Menschen einerseits
B
und administrativen Anforderungen andererseits halten.
Setzen manche Dienste auf die Trennung zwischen Sozial­
arbeit und Administration, arbeiten andere mit unter­
schiedlichen KlientInnenkategorien, um den individuel­
len Bedürfnissen besser Rechnung tragen zu können. Und
an wieder anderen Orten stehen die regelmässigen
­K lientInnengespräche im Vordergrund oder wird in neue
Systeme der beruflichen und sozialen Integration inves­
tiert. Obwohl die Akzeptanz dieser Reformmodelle seitens
der Sozialarbeitenden unterschiedlich ist, bleibt unbe­
Zum Thema
Stefan Michel,
Verwaltungswissenschaftler und
­S ozialarbeiter FH, arbeitet als Case Manager
bei der Sozialhilfe Basel-Stadt und ist Mitglied
der Redaktionsgruppe von ­S ozialAktuell.
Thomas Roth
ist Abteilungsleiter Höhere Fachschulen an
der BFF Bern und Mitglied der Redaktions­
gruppe von SozialAktuell.
Integrationsbemühungen in der Sozialhilfe
Während in der Fachpresse und in den Publikationen der wichtigs­
ten Sozialhilfe­a kteure seit einigen Jahren die strukturellen Ursachen
für den Sozialhilfebezug in den Vordergrund rücken, bildet in der öf­
fentlichen Wahrnehmung das individuelle Verschulden nach wie vor
die Hauptursache für einen Sozialhilfebezug. Insbesondere die SKOS
und die Städteinitiative Sozialpolitik propagieren in zahlreichen
Stellungnahmen, Positionspapieren und Absichtserklärungen, dass
die Sozialhilfe ihren Integrationsauftrag nicht auf die berufliche
­Integration beschränken, sondern verstärkt auch auf die soziale In­
tegration ausweiten müsse. Damit ist die Einsicht verbunden, dass
neben der individuellen Lebensgestaltung vor allem sozialräumliche
und gesellschaftliche Faktoren massgebend dafür sind, ob eine Per­
son bedürftig wird oder nicht.
In den Massenmedien wird dagegen mit stark verengter Sichtweise
weiterhin darüber berichtet, mit welchen Mitteln Sozialhilfebezüger
auf Teufel komm raus in das Arbeitsleben reintegriert, «Integrations­
unwillige» vom Sozialhilfebezug abgehalten sowie «Sozialschma­
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SozialAktuell | Nr.2 _ Februar 2011
rotzer» entlarvt und bestraft werden können. Eine differenzierte
Darstellung gegenüber der breiten Öffentlichkeit ist, so scheint es,
politisch nach wie vor nicht opportun.
So bewegen sich die Sozialarbeitenden in einem dauerhaften Span­
nungsfeld zwischen ihren eigenen professionellen Ansprüchen an
ihre Arbeit mit SozialhilfebezügerInnen auf der einen und den Wahr­
nehmungen und Forderungen der breiten Öffentlichkeit auf der an­
deren Seite. Die Verantwortlichen der Sozialdienste, welche ihre
­Tätigkeiten gegenüber der Bevölkerung darlegen müssen, sind die­
ser Gratwanderung besonders ausgesetzt. In dieser Ausgabe von
SozialAktuell steckt Dorothee Guggisberg aus Sicht der SKOS die
­a ktuellen Tendenzen der ­S ozialhilfe ab, während Brigitte Hunziker
aus Sicht des Berufsverbandes AvenirSocial die Zwickmühle be­
schreibt, welche die Rolle der Sozialarbeitenden in der Sozialhilfe
prägt. In den weiteren Beiträgen analysieren ForscherInnen die Si­
tuation verschiedener Klientengruppen der Sozialhilfe. Dieter Haller
untersucht dabei die Situation der durch eine Mehrfachproblematik
belasteten Personen und zieht daraus notwendige Konsequenzen
für die Sozialarbeit. Insgesamt wird deutlich, wie unterschiedlich die
Anforderungen der jeweiligen Gruppen an die Sozialarbeitenden
sind bzw. welch ausdifferenziertes Instrumentarium diese komplexe
Ausgangslage erfordert.
Schliesslich wird am Beispiel des Passage-Modells der Stadt Winter­
thur die Gratwanderung zwischen Inklusion und Exklusion verdeut­
licht, wenn Ernst Schedler, Leiter des Sozialdienstes in Winterthur,
und der Soziologe Kurt Wyss ihre sehr unterschiedlichen Positionen
zur obligatorischen einmonatigen «Arbeitsgegenleistung als Vor­
aussetzung für den Bezug von Sozialhilfe» darlegen. Die damit ein­
geleitete Debatte zu Sinn oder Unsinn von Zwang bzw. Verpflich­
tung zu einer Gegenleistung in der Sozialhilfe ist eine Einladung an
alle LeserInnen, diese wichtige Diskussion (wieder) aufzunehmen.
Dies umso mehr, als nach der Stadt Winterthur nun auch die drei
grössten Deutschschweizer Städte ein ähnliches Modell in die Pra­
xis umgesetzt haben oder bald umsetzen werden. Wir freuen uns
auf Ihren Beitrag und somit auf einen offenen Diskurs um eine der
zentralen Fragen der Sozialen Arbeit.
Sozialhilfe | S C H W E R P U N K T
Franziska Altermatt
Sozialberaterin in der Abteilung Migration
«
In den Sozialberatungen mit Flüchtlingen und Asyl­
suchenden bin ich oft mit sprachlichen und kulturellen
Barrieren konfrontiert. Weil uns nur sehr beschränkt
­f inanzielle Ressourcen für Dolmetscher zu Verfügung
stehen, ist es eine besondere Herausforderung, die
meist komplexen Problemstellungen der KlientInnen
zu erfassen und mit ihnen Zielvereinbarungen treffen
zu können. Vor dem Hintergrund der meist fehlenden
Sprachkompetenz ist aber auch das Vermitteln von ge­
setzlichen Grundlagen besonders zeitaufwendig und
anforderungsreich, sind diese doch selbst für Deutsch­
sprachige nicht immer nachvollziehbar.
»
dern gehen sie zu wenig weit. Um einen für alle verbind­
lichen Rahmen festzulegen, fordert die SKOS seit vielen
Jahren ein Bundesrahmengesetz zur Existenzsicherung
und Integration.
Die Entwicklung der Sozialhilfe steht im Spannungsfeld
von fachlichen, individuellen, politischen und öffentli­
chen Interessen. Die Sozialhilfe selber muss proaktiv und
klar Position beziehen und pragmatische Lösungen anstre­
ben unter Einbezug aller relevanten Kräfte. Investitionen
in die soziale Sicherheit und in den sozialen Ausgleich sind
ein kollektiver Gewinn für die ganze Gesellschaft.
stritten, dass die Soziale Arbeit ihre zentrale mitgestal­
tende Funktion und ihr Professionsverständnis wahrneh­
men muss.
Ein Bundesgesetz zur Existenzsicherung und Integration
Die Ausgestaltung der Sozialhilfe in der Schweiz basiert
auf deren föderalistischer Struktur und richtet sich nach
kantonalen Gesetzgebungen. Vielerorts ist der Vollzug
dann ganz oder teilweise an die Gemeinden delegiert.
Diese wiederum führen entweder alleine einen Sozial­
dienst oder schliessen sich zu regionalen Zentren zusam­
men. Die Entscheid- und Aufsichtsstrukturen sind jeweils
unterschiedlich, was Typologisierungsversuche erschwert.
Die Organisation der Sozialhilfe ist also massgeblich von
kommunalen, regionalen und kantonalen Gegebenheiten
sowie von politischen Rahmenbedingungen geprägt.
Die SKOS setzt sich seit ihrer Gründung vor über 100 Jahren
für die Harmonisierung der Sozialhilfe in der Schweiz ein –
sozusagen anstelle einer gesetzlichen Grundlage. Die
SKOS-Richtlinien definieren das soziale Existenzminimum
und die Bemessung der Sozialhilfe. Die Richtlinien beru­
hen auf einem Aushandlungsprozess unter den Mitglie­
dern der SKOS, zu denen die Kantone, viele Gemeinden und
Städte sowie Bundesämter und private Organisationen des
Sozialwesens gehören. Diese Richtlinien haben nur emp­
fehlenden Charakter – und werden jeweils auch von Kritik
begleitet: Den einen gehen die Richtlinien zu weit, den an­
Veranstaltungshinweis
Wie gestaltet sich das Management für kleine und mittlere Sozialdienste
in der Deutschschweiz? Welche Controlling- und Fallssteuerungsinstru­
mente eignen sich für Institutionen dieser Grösse am besten? Diesen Fra­
gen widmet sich eine Fachtagung, die von der SKOS und der Hochschule
Luzern – Soziale Arbeit und Wirtschaft gemeinsam am 23. Februar 2011
durchgeführt wird. Mehr unter www.skos.ch/de/?page=veranstaltungen/
SKOS-Richtlinien
Teuerungsbedingte Anpassung des Grundbedarfs
Die SKOS hat ihre Richtlinien in den vergangenen zwei Jahren in
verschiedenen Bereichen überarbeitet und ergänzt. Sämtliche Än­
derungen treten per 2011 in Kraft. Betroffen sind folgende Be­
reiche: Ein- und Austrittsberechnung, Leistungskürzungen und
-einstellung, Rückerstattungspflicht, Teuerung, situationsbe­
dingte Leistungen und Entschädigung für Haushaltsführung. Die
aktualisierten SKOS-Richtlinien sind seit Anfang Jahr auf der Web­
site der SKOS aufgeschaltet.
Der Grundbedarf für den Lebensunterhalt gemäss SKOS-Richt­
linien unterliegt der Teuerung. Diese wurde ebenfalls per Anfang
2011 wirksam und beträgt 1,75 Prozent. Die Anpassung des
Grundbedarfs erfolgte somit zeitgleich mit der Teuerungsanpas­
sung der Ergänzungsleistungen zu AHV und IV. Der Vorstand der
SKOS hatte sich für diese neue Regelung entschieden, die auch
von der SODK unterstützt wird. Die neuen Zahlen stehen auf der
Website der SKOS zur Verfügung.
www.skos.ch
Nr.2 _ Februar 2011 | SozialAktuell
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