Wenn es unbedingt ein Junge sein soll … Geschlechts- und Eigenschaftswahl Ob wir in Zukunft die gesamte Bevlkerung genetisch registriert haben werden und jede Schwangere gesetzlich verpflichtet sein wird, ihr Kind im Bauch auf mgliche Schden durchchecken zu lassen, ist die eine Frage. Die andere ist die, was »freiwillig« noch so alles mglich sein wird. Denn Eltern werden ber Wahrscheinlichkeiten entscheiden knnen: Sollen sie Kinder in die Welt setzen, die an Krankheiten leiden, welche eventuell nach 30 Jahren ausbrechen knnten, oder nicht? Krankheiten, die vielleicht die Lebensqualitt einschrnken knnten aber mit denen man auch gut leben kann? Unsichtbare Krankheiten noch ohne jegliches Symptom? Der Angebotskatalog der Genetiker kann in absehbarer Zeit aber auch die Eigenschaften des zuknftigen Kindes umfassen: Haar- oder Augenfarbe, Grße, Dispositionen des Krperbaus (»Sportlich sollte es schon sein«), Intelligenz, Persnlichkeitsmerkmale wie Aufgeschlossenheit, Tatkraft, rasche Auffassungsgabe, die Liste ist beliebig verlngerbar, knnen demnchst im Voraus bestimmt werden. Mit PID wird es mglich sein, nicht nur »negative« Eigenschaften wie Erbkrankheiten zu selektieren, auch Fettleibigkeit, frhzeitiger Haarausfall oder andere zeitgeistabhngige »Unpsslichkeiten« knnten Ziel der Rasterfahndung vor der Lebenslizenz werden. Mit anderen Worten, die viel diskutierten »Designerbabys« knnten schneller Realitt werden, als wir das vielleicht fr mglich halten. Der Markt wird es auch hier verstehen, ber die Nachfrage das Angebot bereitzuhalten. Oder – besser gesagt – zunchst die technischen Mglichkeiten prsentieren, die dann die Nachfrage generieren. Dem ersten franzsische IVF-Forscher, Jaques Testard, wurden die »Visionen« seiner Kollegen recht schnell unheimlich, und er befrchtete schon 1988 in seinem Buch »Das transparente Ei«, dass die IVF außer Kontrolle geraten knne. Paare wrden womglich in Zukunft nach dem »Fertigkind« verlangen – Junge oder Mdchen und vor allem vollkommen »normal«. Testard hielt es fr 98 einen »Wahn« zu glauben, man knne einen Embryo durchschauen, denn selbst wenn die biologischen Funktionen weitgehend geklrt seien, hieße dies noch lange nicht, gleichzeitig die Prozesse zu verstehen, in denen Zellen zu einem Menschen werden und eine Seele erlangen. Elternwnsche nach einem bestimmten Geschlecht werden in den USA bereits in die Tat umgesetzt. Die Ethikkommission der Amerikanischen Gesellschaft fr Reproduktionsmedizin hat Anfang 2001 dafr grnes Licht gegeben. Natrlich zunchst nur in begrndeten Einzelfllen. Als legitimer Grund wird bereits erachtet, dass sich Eltern nur die Geburt eines Kindes mit einem ganz bestimmten Geschlecht wnschen und mit einem Kind des »falschen« Geschlechts »unglcklich« wren oder aber auf ein Kind lieber ganz verzichten wrden bzw. eine Abtreibung vornehmen lassen wrden. In Indien und in den arabischen Lndern wurden weibliche Embryonen nach Prnataldiagnostik massenhaft abgetrieben. Das hat dazugefhrt, dass in Indien bei Prnataldiagnostik das Geschlecht des Kindes offiziell nicht mehr mitgeteilt werden darf. Doch besonders die wohlhabende Bevlkerungsschicht findet nach wie vor Wege, mnnlichen Nachwuchs zu garantieren. Wer es sich leisten kann, lsst sein Kind in London per In-vitro-Fertilisation herstellen. Da berrascht es wenig, dass dermaßen entstandene Kinder berwiegend mnnlichen Geschlechts sind. Der Trend, Kinder vor der Geburt auf das »richtige« Geschlecht zu berprfen, bt jedoch auch auf Bewohner westlicher Industrienationen eine große Versuchung aus. Lngst bieten Reproduktionszentren in den Staaten die Wahl des Geschlechts ganz ungeniert an. Das Ganze luft dann unter der Rubrik eines ausgeglichenen »Familiendesigns« (balanced familiy design). Das Genetics IVF Institute in Fairfax, USA, bietet seinen Kundinnen einen Service, der sich großer Beliebtheit erfreut: Ihr neuer patentierter Spermiensortierer »MicroSort« trennt die schwereren X- von den leichteren Y-chromosom-tragenden Spermien. Mit dieser Technik kann das Geschlecht des Kindes 99 schon vor der Befruchtung beeinflusst werden. Auch in diesem Falle wurde das Verfahren zunchst entwickelt und angewandt, um Erbkrankheiten auszuschließen. Inzwischen wirbt das Institut ganz offen mit der Mglichkeit der Geschlechterwahl. Andere Institute benutzen PID, um die Geschlechtswahl zu ermglichen. Es gehe hauptschlich darum, ein mglichst optimales und harmonisches »Familiendesign« zu ermglichen, heißt es in einer Werbeschrift. Die Quotenregelung innerhalb der Familie sozusagen. Wer braucht schon drei von »derselben Sorte«? Solange eine reproduktive Methode keine negativen Auswirkungen auf andere habe, sollte dem Wunsch der Eltern nach einem bestimmten Geschlecht entsprochen werden, meint die Ethikkommission der amerikanischen Reproduktionsmediziner. Auch wenn diese Praxis nicht unbedingt gutgeheißen werden knne, heißt es weiter, bedeute dies noch lange nicht, dass man sie deshalb verbieten msse. Die Ethikkommission ußerte sich jedoch besorgt ber die Mglichkeit, dass Eltern, die das Geschlecht ihres Kindes im Voraus bestimmt haben, hohe Erwartungen in das geschlechtsspezifische Verhalten ihrer Kinder stellen knnten und sehr enttuscht wren, sollte sich das Kind womglich als homosexuell herausstellen. Die Rolle der Ethik in der Biomedizin veranlasste Elmar Brhler und Yve Stbel-Richter zu folgender Bemerkung: »Ethische Probleme (…) werden Ethikern mit dem Auftrag bergeben, das Handeln moralisch zu legitimieren. Kritiker werden als ewige Bedenkentrger abgewertet und in die forschungsfeindliche Ecke gestellt. Psychosoziale Probleme bei den Betroffenen werden Psychologen und Soziologen zur psychosozialen Entsorgung berantwortet.« In Schottland zog im Jahre 2000 ein Ehepaar vor Gericht, um das Geschlecht eines Embryos vor der Implantierung auswhlen zu knnen. Alan und Louise Masterton hatten vier Shne, ihre kleine Tochter Nicole starb ein Jahr zuvor bei einem Brand. Nun brauche die Familie eine neue Tochter, um die »weibliche Dimension« in der Familie wiederherzustellen, wie der Vater zitiert wird. Er meinte, psychologische Gutachten wrden besttigen, dass es notwendig sei, das Gleichgewicht in seiner Familie durch ein Mdchen wiederherzustellen. Das Gericht in Schottland ent100 schied gegen den Antrag der Mastertons. Diese erfllten sich ihren Wunsch schließlich in Italien. Ein Beispiel wie dieses zeigt, dass Eltern sich das Recht nehmen, die (Er-)Zeugung von Kindern auch aus eigenntzigen Motiven durchzusetzen. Kaum ist ein Verfahren technisch machbar, wird es Anwender finden, die zudem stets ein moralisches Tarnmntelchen finden, um ihre Wnsche zu rechtfertigen. Und ebenso sicher ist es, dass sich stets jemand finden lsst, der hilft, diese Wnsche – so unangemessen sie auch sein mgen – in die Tat umzusetzen. In Colorado wurde Anfang 2001 ein Retortenbaby mit der Absicht erzeugt, als Zellspender fr die an der tdlichen Knochenmarkerkrankung Fanconi leidende Schwester zu dienen. Das sechsjhrige Mdchen erhielt kurz nach der Geburt ihres Designer-Bruders ein Transplantat von Stammzellen aus seiner Nabelschnur. Die Zellen sollen dem Mdchen helfen, ein gesundes Immunsystem aufzubauen. Ein hnlicher Fall wurde kurz darauf bekannt. Britische Eltern hatten sich entschlossen, in den USA einen Embryo erzeugen zu lassen, der spter Knochenmark fr seinen an Leukmie erkrankten Bruder spenden soll. Beide Male wurde vor Einsetzung der Embryonen in die Gebrmutter getestet, inwieweit das Immunsystem der potenziellen Spenderembryos mit dem Immunsystem des erkrankten Kindes bereinstimmt. Das heißt, die Auswahl des passenden Embryos wurde bestimmt von Interessen Dritter. Was mit den »nicht passenden« Embryonen geschehen ist, ist nicht weiter bekannt. Beide Kinder wurden primr erschaffen, um das Leben ihrer Geschwister zu retten, nicht weil die Eltern sich ein weiteres Kind wnschten. Inzwischen besteht die Mglichkeit, passende Geschwister als Zellspender »nachzuzeugen« auch in Großbritannien mit Billigung der Human Fertilisation and Embryology Authority. Dort erweckte eine einzige Ausnahmeregelung innerhalb von Wochen eine wahre Antragsflut hnlicher Flle. Und nicht nur das. Inzwischen wurden bereits Antrge gestellt, so genannte »Designer-Babys« zu erzeugen. Dabei sollen nicht lediglich Krankheiten aussortiert werden, sondern vielmehr soll die 101 PID-Technik eingesetzt werden, um Kinder mit bestimmten gewnschten Eigenschaften zu erzeugen. Natrlich regte sich Kritik: »Diese Entscheidung bedeutet einen weiteren Dammbruch bei der Anwendung der Gentechnik in Europa«, ließ zum Beispiel der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bioethik im Europischen Parlament, Dr. Peter Liese, verlauten. Aber wen verwundert das denn eigentlich? Haben Kritiker nicht seit Jahren vor einer Ausweitung in den nichtmedizinischen Bereich gewarnt? Der Kaplan des Selly Oak Hospitals, Barry Clark fordert in einem Leserbrief an die TIMES strikte gesetzliche Vorgaben, da es fr Betroffene schwer sein kann, nicht alles zu fordern, was mglich wre. Er schreibt: »Meine Tochter ist in Folge einer Hirnhautentzndung taub. Ich mchte natrlich gerne, dass sie wieder hren knnte, und dieser Wunsch knnte leicht meine moralische und ethische Perspektive verschieben. Eine der Funktionen von Ethik und von Organisationen wie HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority, TdJ) ist es eben, zu versuchen, Kopf und Herz in Balance zu bringen, um betroffene Individuen zu schtzen und letztendlich der Gesellschaft zu dienen. Trotz meiner Ausbildung als Ethiker frchte ich, dass ich in dem Moment, in dem eine Therapie fr meine Tochter gefunden wrde, versucht wre, es erst zu probieren, und Fragen auf spter verschieben wrde. Sicherheitsmechanismen mssen daher geschaffen werden, die uns vor unseren eigenen Wnschen schtzen, wie gut gemeint sie auch sein mgen.« Wolfgang Frhwald, Prsident der Humboldt-Stiftung, betrachtet diese Entwicklung seit geraumer Zeit mit großer Besorgnis und gibt zu bedenken, »dass der Mensch seinen Zweck in sich selbst hat, dass er nicht zu einem anderen Zweck instrumentalisiert werden darf.« Bundesprsident Johannes Rau bezog in seiner Rede in der Staatskanzlei Berlin im Mai 2001 auch Stellung zu der Situation unfreiwillig kinderloser Paare. »Wenn es die Mglichkeit gibt, Kinder knstlich zu erzeugen oder die genetischen Anlagen eines Embryos zu testen, entsteht dann nicht leicht eine Haltung, dass jede und jeder, der eigene Kinder bekommen will, auch ein Recht dazu habe, und zwar sogar das 102 Recht auf gesunde Kinder? (…) Noch so verstndliche Wnsche und Sehnschte sind keine Rechte. Es gibt kein Recht auf Kinder. Aber es gibt sehr wohl ein Recht der Kinder auf liebende Eltern – und vor allem das Recht darauf, um ihrer selbst willen zur Welt zu kommen und geliebt zu werden.« Die Instrumentalisierung der Schaffung menschlichen Lebens kennt kaum noch Grenzen. Um kinderlosen Paaren, denen auch eine IVF- oder ICSI-Behandlung nicht geholfen hat, doch noch ein Kind zu beschaffen, kndigte der heftig umstrittene italienische Reproduktionsmediziner Severino Antinori an, Klonierungstechniken am Menschen anzuwenden. Antinori, der durch den Einsatz regulrer IVF bereits mehrere Sechzigjhrige zu Mttern machte (wobei auch eine Großmutter das Kind ihrer Tochter austrug), verteidigt seinen Entschluss damit, dass er Eltern lediglich ihr »Recht« auf ein eigenes Kind erfllen mchte. Selbstverstndlich erfolgte auf diese Ankndigung ein Aufschrei der Emprung durch die wissenschaftliche Gemeinde. Allerorten distanzierten sich »serise« Reproduktionsmediziner flugs von diesem Vorhaben. Und doch scheint es lediglich eine Frage der Zeit, wann auch dieses »letzte« Tabu bricht. 103