Prof. Dr. Wolfgang Hiller Stichworte aus den gezeigten Folien zur Vorlesung Klinische Psychologie Thema: Depressive Störungen Depression: Symptome und einige typische Kennzeichen bedrückt; Konzentrationsschwierigkeiten; Gefühllosigkeit; Agitiertheit; niedergeschlagen; Verlangsamung; Appetitstörungen; Unfähigkeit, Freude zu empfinden; negative Sichtweise; Selbstabwertung; interesselos; Abstumpfung; Schuldgefühle; Schlaflosigkeit; Gedanken an den Tod Tönungen und Schweregrade von Depressivität eher leicht: bedrückt, bekümmert, elegisch, freudlos, gedrückt, griesgrämig, lustlos, miesepetrig, missmutig, moros, schwarzseherisch, trist, unfroh, unwohl, unzufrieden, verstimmt, wehmütig eher mittel: betrübt, defätistisch, deprimiert, dysphorisch, dysthym, geknickt, kleinmütig, melancholisch, mutlos, niedergeschlagen, pessimistisch, resigniert, traurig, übellaunig, unglücklich, verdrossen, wehleidig eher schwer: am Boden zerstört, ausgehöhlt, depressiv, desparat, elend, gebrochen, lebensmüde, niedergeschmettert, nihilistisch, schwermütig, teilnahmslos, tieftraurig, todunglücklich, trübselig, trübsinnig, verzagt, verzweifelt -2 Klassifikation affektiver Störungen DSM-5 ICD-10 Major Depression, einzelne Episode Major Depression, rezidivierend Depressive Episode Rezidivierende depressive Störung Bipolare Störung, Typ I Bipolare Störung, Typ II Manie/ Bipolare affektive Störung Persistierende depressive Störung Zyklothyme Störung Dysthymia Zyklothymia Verlaufsformen affektiver Störungen -3 Klassifikation depressiver Störungen DSM-IV DSM-5 Major Depression, einzelne Episode Major Depression, rezidivierend Major Depression, einzelne Episode Major Depression, rezidivierend Dysthyme Störung Persistierende depressive Störung Affektive Dysregulationsstörung Prämenstruelle dysphorische Störung Substanzinduzierte oder durch einen medizinischen Faktor bedingte depressive Störung Verlaufsformen depressiver Störungen -4 Diagnostische Kriterien der Major Depression (verkürzt) A. Depressive Symptomatik für die Dauer von mindestens 2 Wochen (jedes Symptom muss eine Änderung im Vergleich zu früher darstellen; die Symptome dürfen nicht eindeutig durch einen medizinischen Krankheitsfaktor, stimmungsinkongruenten Wahn oder Halluzinationen bedingt sein) mit mindestens 5 aus der Liste der folgenden 9 Symptome: (1) Depressive Verstimmung fast den ganzen Tag (2) Interesse oder Freude an Aktivitäten deutlich vermindert (3) Appetitstörung oder Gewichtsveränderung (4) Schlafstörung (5) Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung (6) Müdigkeit oder Energieverlust (7) Gefühle von Wertlosigkeit oder Schuldgefühle (8) Konzentrations- oder Denkstörungen (9) Suizidalität B. Klinisch bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. C. Nicht bedingt durch Substanzen oder einen medizinischen Krankheitsfaktor. Fremd- und Selbstbeurteilungsverfahren für depressive Störungen Verfahren Items S/F 21 F Hamilton (1960) BRMES Bech-Rafaelsen-Melancholie-Skala 11 F Bech & Rafaelsen (1986) MADRS Montgomery-Asberg-Depressionsskala 10 F Montgomery & Asberg (1979) BDI Beck Depressions-Inventar 21 S Beck et al. (1990); dt.: Hautzinger et al. (1994) BDI-FS Beck Depressions-Inventar Fast Screen for Medical Patients 7 S Beck et al. (2000) HADS Hospital Anxiety and Depression Scale 7 (DEP) S Zigmond & Snaith (1983) CES-D Center for Epidemiologic Studies Depression Scale; dt.: Allgemeine Depressionsskala 20 S D-S Depressivitäts-Skala 16 S von Zerssen (1976) FDD Fragebogen zur Depressionsdiagnostik nach DSM-IV 18 S Kühner (1997) HAMD Hamilton-Depressions-Skala Autoren Hautzinger & Bailer (1993) -5 Major Depression: Klinische Merkmale • häufigste Symptome: Energielosigkeit 97%; Ängste 90%; Schlafstörungen 80% • Suizidalität: ~ gedanken bei 60-80%, ~ rate 10-15% • häufige Komorbiditäten: Störungen durch psychotrope Substanzen, Panikstörung, Zwangsstörung, Anorexia und Bulimia nervosa, Borderline-Persönlichkeitsstörung Major Depression: Epidemiologische Befunde • Lebenszeit-Prävalenz bei Erwachsenen 15%; Frauen 10-25%, Männer 5-12% (2:1-Verhältnis unabhängig von Ländern und Kulturen) • Punktprävalenz: Frauen 5-9%, Männer 2-3% • häufiger bei: unverheirateten, geschiedenen, verwitweten, arbeitslosen, sozial isolierten Personen; sozioökonomischem Status, Einkommen, Armut; Bildung; häufiger in ländlichen Gebieten; kranken oder behinderten Personen Major Depression: Verlaufsmerkmale • Onset: bei 50% im 20-50. Lj.; Mittelwert 40. Lj. • Art des Onsets rasch (innerhalb von Tagen) bis langsam einschleichend (über Wochen hinweg) • Dauer: unbehandelt ~ 6-13 Monate (unabhängig vom Alter); behandelte MDE ~ 3 Monate • bei ~ 5-10% chronisch verlaufende MDE (> 2 J.) • Outcome: bei 70-80% komplette Remission der MDE Major Depression: Prognostische Faktoren • gute Prognose: leichte Episoden; später Onset; komplette Remissionen zwischen Episoden; stabile Freundschaften in der Jugendzeit; stabile familiäre Beziehungen; gute soziale Anpassung in den fünf Jahren vor erster MDE; keine Komorbidität; keine Persönlichkeitsstörung • schlechte Prognose: schwere und langandauernde Episoden; psychotische Merkmale; geringes Niveau der prämorbiden sozialen Anpassung; Komorbidität mit Substanzmissbrauch oder Angststörungen; bei Männern größeres Risiko für chronischen Verlauf Subklassifikation der Major Depression (DSM-5) • Schwere- bzw. Remissionsgrad • mit ängstlicher Anspannung • mit gemischten Merkmalen • mit melancholischen Merkmalen • mit psychotischen Merkmalen • mit atypischen Merkmalen • mit Katatonie • mit saisonalem Verkaufsmuster • mit peripartalem Beginn -6 Major Depression mit melancholischen Merkmalen Kriterien: (1) oder (2) plus mind. 3 aus (3) bis (8) (1) Verlust von Freude (2) Keine Aufhellbarkeit der Stimmung (3) Besondere Qualität = anders als Trauer (4) Morgentief (5) Früherwachen (6) Deutliche Änderung der Psychomotorik (7) Deutlicher Appetit- und Gewichtsverlust (8) Stark übermäßige Schuldgefühle Klinische Befunde bei Patienten mit melancholischen Merkmalen: prämorbide Persönlichkeitsstörung Auslöser für depressive Episoden Dexamethason-Nonsuppression • verringerte REM-Latenz • therapeutisch Ansprechbarkeit auf Antidepressiva und EKT • keine Geschlechtsunterschiede, aber häufiger bei älteren Personen Major Depression mit atypischen Merkmalen Kriterien: (1) plus mind. 2 aus (2) bis (5) (1) Aufhellbarkeit der Stimmung (2) Gewichtszunahme oder gesteigerter Appetit (3) Hypersomnie (4) Bleierne Schwere in Armen oder Beinen (5) Langbestehende Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisungen ••••• Melancholie-Kriterien nicht erfüllt Klinische Befunde bei Patienten mit atypischen Merkmalen: • Onset der MDE früher • psychomotorisch verlangsamter • im Verlauf längerdauernder, chronischer, weniger episodenhaft, seltener komplette Remissionen • erhöhtes Risiko für Bipolare Störung I oder saisonale Verlaufsform • therapeutisch bessere Ansprechbarkeit auf MAO-Hemmer als auf trizyklische Antidepressiva • jünger, 2-3mal häufiger bei Frauen • verändertes Komorbiditätsmuster -7 Depression und Suizidalität • ~ 60-80% aller Pat. mit depressiver Störung haben Suizidgedanken, ~ 10-15% begehen irgendwann einen Suizidversuch • Unterschiedliche Merkmale von Pat. mit MD + Suizidversuch in der Vorgeschichte vs. Pat. mit MD ohne bisherigen Suizidversuch: früherer Beginn der MD; Anzahl bisheriger MDE; alleinstehend, getrennt, geschieden; bipolare Störung, Komorbidität mit anderen psychischen Störungen (v.a. Alkoholismus); Hoffnungslosigkeit, Selbsthass, Schuldgefühle, Leeregefühl • Keine Unterschiede bzgl.: Depressions-Scores in Selbst- oder Fremdbeurteilungsverfahren (z.B. BDI, HAMD) Suizidalität • S = häufigste Notfallsituation bei psych. Störungen • in Deutschland seit 1980 fallender Trend: 1980 18.451 Suizide (23,6 je 100.000 Einwohner), 2007 9.402 Suizide (11,4 je 100.000 Einwohner) plus Dunkelziffer; dies waren 2007 1,1 % aller Todesfälle und 30,7 % der Todesfälle mit äußerer Ursache; => zum Vergleich: 4.949 Verkehrstote (2007) • Einflussfaktoren: (1) Alter: Bei 15- bis 19-Jährigen 2,1 (w.) bzw. 6,2 (m.) je 100.000 Einwohner, bei ≥ 85-Jährigen 17,9 (w.) bzw. 68,7 (m.) je 100.000 Einwohner (2007); (2) Geschlecht: Suizidsterblichkeit 5,7 (w.) bzw. 17,4 (m.) je 100.000 Einwohner; 2007 wurden 74,5 % aller Suizide von Männern ausgeführt • ~ 50% aller Psychiater und ~20% aller Psychologen verlieren irgendwann in ihrer Karriere einen in Behandlung befindlichen Pat. durch S • MD ist als Diagnose am häufigsten mit S assoziiert (40-60% aller Fälle), Alkoholismus am zweithäufigsten (~25%); Schizophrenie seltener (~10%) • S-Versuche:10-15 mal häufiger als vollendete Suizide; in Deutschland jährlich 100.000 bis 150.000 S-Versuche (plus Dunkelziffer) • Einflussfaktoren Alter und Geschlecht bei S-Versuchen umgekehrt wie bei vollendeten Suiziden: am häufigsten bei jungen Frauen, am seltensten bei älteren Männern; Stichprobenschätzungen für 2001: 131 (w.) bzw. 108 (m.) S-Versuche je 100.000 Einwohner Depressive Störungen: Ätiologische Faktoren biologisch/genetisch psychosozial psychologische Modelle Persönlichkeit Hinweise auf die Bedeutung biologischer Prozesse bei Depressionen (1) Verlaufsform: in einzelnen Fällen zyklisch-phasenhaft mit depressiven als auch manischen Stimmungsänderungen; z.T. unabhängig von äußeren Stressoren; Schweregrad jenseits der Grenzen ”normaler“ depressiver Reaktionen (”endogen“ = von innen) (2) Symptome mit hohem psychopathologischem Wert: Wahnideen, Halluzinationen, extreme Verlangsamung, Anhedonie, abnorme tageszeitliche Stimmungsschwankungen u.a. (nicht Bestandteile ”normaler“ depressiver Reaktionen) (3) Spezifische Wirksamkeit somatischer Therapien: EKT, trizyklische AD, SSRI, MonoaminoxidaseHemmer, Lithium (diese Substanzen haben keine Wirkungen bei gesunden Personen) (4) Medikamenten- oder drogeninduzierte Stimmungsänderungen: z.B. durch Reserpin ( Depression) oder Amphetamine (" maniforme Zustände) (5) Genetische Faktoren: höhere Konkordanzraten bei MZ im Vergleich zu DZ -8 Genetische Faktoren der Depression • Familienstudien: Risiko für Angehörige 1. Grades von Pers. mit unipolaren Depressionen (MD): ~ 20-30% für unipolare Depressionen (bei vorsichtig geschätzter Lifetimeprävalenz von ~ 10-15%) • Zwillingsstudien: Konkordanzrate für unipolare Depressionen: 50% (MZ) vs. 15-20% (DZ); ~ für bipolare affektive Störungen: 80% (MZ) vs. 15-20% (DZ) [Berger, 2004] Transmitter-Mangel-Modelle • Katecholamin-Mangel-Hypothese: Defizit von NA in wichtigen zentralen noradrenergen Funktionssystemen (ursprüngliche Annahme) • Monoamin-Mangel-Hypothese: Defizit von NA, 5-HT und DA Hintergrund: Substanzen mit Wirkung auf die Monoamine modulieren Affekte; z.B. Antidepressiva bewirken eine Anreicherung der Neurotransmitter im synaptischen Spalt; Reserpin reduziert NA und DA im synaptischen Spalt (und führt bei einer Reihe von Personen zu Depressionen) Rezeptor-Modelle • β-Rezeptor-Hypothese: Bei längerer Einnahme von AD wird die Anzahl und Bindungskapazität von (postsynaptischen) Rezeptoren verändert; v.a. bei noradrenergen β-Rezeptoren kommt es zu einer Verminderung der Anzahl und ihrer Empfindlichkeit (β-Down-Regulation); die Zeitspannen der therapeutischen Wirkung und dieser Veränderung sind etwa gleich. Cholinerg-aminerge Imbalance-Hypothese Nach diesem Modell besteht bei affektiven Störungen ein Ungleichgewicht zwischen den Aktivitäten des cholinergen und aminergen Systems; Depression: Übergewicht des cholinergen Systems; Manie: Übergewicht des aminergen Systems; Abbildung aus Lehrbuch: Berger M (Hrsg): Psychische Erkrankungen - Klinik und Therapie. -9 Störungen des Schlafs • Gestörter Schlaf: eines der häufigsten Symptome bei Depressionen und Manien (Einschlafzeit, Schlafkontinuität, Veränderungen der Schlafdauer) • Charakteristisch bei Depressionen: Vorverlagerung und Verlängerung der 1. REM-Phase; erhöhte Augenbewegungsdichte (REM-Intensität); Gesamtschlafzeit geht zurück Das REMSchlafsystem wird durch noradrenerge, serotonerge und cholinerge Mechanismen gesteuert; Abbildung aus Lehrbuch: Berger M (Hrsg): Psychische Erkrankungen - Klinik und Therapie. - 10 Behandlung durch Schlafentzug • Antidepressiver Effekt von Schlafentzug: 60-70% depressiver Pat. reagieren mit einer deutlichen Stimmungsaufhellung; davon entwickeln jedoch 83% wieder einen Rückfall in der darauffolgenden Nacht [Metaanalyse aus 1.700 dokumentierten und publizierten Schlafentzügen] Rückfälle können auch durch kurze Tagesschlafepisoden nach erfolgreichem Schlafentzug ausgelöst werden • PET-Studien zum Glukosemetabolismus: Depressive Pat. haben häufig einen gesteigerten Stoffwechsel, v.a. in dem zum limbischen System gehörenden und dicht cholinerg innervierten Gyrus cinguli; Pat. mit einem derartigen Hypermetabolismus reagieren am günstigsten auf Schlafentzug (dieser führt zu einer Normalisierung des Glukosestoffwechsels) Neuroendokrinologische Aspekte der Depression Hyperkortisolismus: Bei Depressiven meist gesteigerte Aktivität des Kortisolsystems (hormonelle Stressachse); vermutlich liegt eine Dysregulation des Feedbackmechanismus vor, der verhindert, dass das System wieder heruntergeregelt werden kann Befunde: CRH im Liquor, Kortisolspiegel im Urin, Blut und Liquor, pathologischer Dexamethason-Suppressionstest (DST) Dexamethason-Suppressionstest Durch die Gabe von 1 oder 1,5 mg Dexamethason, einem oral stark wirksamen synthetischen Glukokortikoid, wird direkt die ACTH-Freisetzung in der Hypophyse und damit indirekt die Kortisolproduktion der NNR supprimiert, d.h. unterdrückt. Der Plasma-Kortisolspiegel zwischen 7 und 8 Uhr am Folgetag ist bei z.B. bei Cushing-Patienten (endokrine Erkrankung) nicht verändert, bei Gesunden aber supprimiert. Ein pathologischer DST wurde früher als Marker für sog. endogene D. angesehen; dies hat sich jedoch als falsch erwiesen; die Testergebnisse hängen stark von Variablen wie Gewichtsverlust, Medikamenten- oder Alkoholentzug, situativ bedingtem Stress, individueller Sensibilität der HHN-Achse ab; vermutlich gibt es bidirektionale Zusammenhänge Depression und Life Events: Einteilung • Life Events als Auslöser: Den allermeisten depressiven Episoden gehen bedeutsame psychosoziale Stressoren voraus • Typische Arten von Stressoren: Verlust einer Person, einer Rollenfunktion (z.B. überflüssig werden) oder eines persönlich bedeutsamen Wertes (z.B. das eigene Kind wird delinquent Hilf- und Machtlosigkeit (z.B. einer unangenehmen Lage nicht entkommen können) Scheitern (z.B. eigene Anstrengungen bleiben erfolglos) Erniedrigung/ Demütigung (z.B. Infragestellung des eigenen Selbstwertgefühls oder Ansehens; Abwertung; in untergeordnete Rolle gezwungen werden) - 11 Zusammenhang zwischen Life Events und Depressionen aus einer Prospektivstudie mit Frauen [von Brown et al., 1995] 1. Fragestellung: Wenn eine depressive Episode aufgetreten ist, wie häufig hatte es vorausgehende Life-Events gegeben, die als Auslöser der depressiven Episode gelten können? (Angaben in Prozent) N=127 psychiatrische Patienten N=68 aus der Normalbevölkerung Letzte 6 Monate: Schwerwiegendes Ereignis 64 85 Letzte 6 Monate: Äquivalent eines schwerwiegenden Ereignisses, z.B. Beginn einer schwierigen Lebenslage 2 0 Verzögert: Schwerwiegendes Ereignis vor 27-38 Wochen 2 4 Verzögert: Äquivalent (s.o.) vor 27-38 Wochen 8 1 INSGESAMT 76 91 Nicht-schwerwiegendes Ereignis als schwerwiegend erlebt 6 1 Keine plausiblen vorangegangenen Ereignisse 18 7 Art der vorangegangenen Bedingung 2. Fragestellung: Wenn Life Events auftreten, wie hoch ist dann das nachfolgende Risiko, eine depressive Episode zu entwickeln? In der Studie von Brown et al. (1995) wurden 404 Frauen aus der Normalbevölkerung über zwei Jahre prospektiv untersucht. Es wurden 377 schwerwiegende Lebensereignisse festgestellt, von denen aber nur 58 eine depressive Episode auslösten (d.h. in etwa 15% der Fälle). - 12 Risiko einer nachfolgenden depressiven Episode bei bestimmten Arten schwerwiegender Lebensereignisse in einer Bevölkerungsstichprobe (Prospektivstudie) (nach Brown et al., 1995) Art des Lebensereignisses Risiko in % 1. Erniedrigung/ Demütigung: Trennung 34 2. Erniedrigung/ Demütigung: Delinquenz anderer 19 3. Erniedrigung/ Demütigung: Abwertung durch andere 38 4. als auswegslos empfundene Situation 34 5. Alleiniges Verlusterlebnis: Tod einer nahestehenden Person 29 6. Alleiniges Verlusterlebnis: Selbst herbeigeführte Trennung 11 7. Alleiniges Verlusterlebnis: Anderer bedeutungsvoller Verlust 7 8. Alleiniges Verlusterlebnis: Weniger schwerwiegender Verlust 2 9. Alleinige Gefahrensituation 3 1. = z.B. 14jährige Tochter entscheidet sich, bei ihrem Vater leben zu wollen; Freund teilt mit, dass er ”keine enge Bindung“ wünsche. 2. = z.B. die eigene Tochter ist beim Stehlen erwischt worden. 3. = z.B. Ehemann sagt der Betreffenden, sie sei abnormal (aufgrund einer Epilepsie) und als Mutter ungeeignet; körperlicher Angriff. 4. = z.B. Mitteilung, dass sich der Zustand des gelähmten und bettlägerigen Ehemannes nicht mehr bessern werde. 5. = z.B. Abtreibung bei einer Schwangerschaft, die aus einer beendeten Beziehung entstanden war; Aufgabe einer guten Arbeitsstelle, weil der Ehemann aus beruflichen Gründen den Wohnort ändern muss. 6. = z.B. Tod der Mutter, die die Betreffende schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat; Ehemann wird mitgeteilt, dass er keine Gehaltszuschläge mehr bekommen wird, so dass sich das Einkommen erheblich vermindert. 7. = Gewalttätiger Ex-Ehemann teilt mit, er habe jetzt herausgefunden, wo sich die Betreffende aufhalte. - 13 Psychologische Störungsmodelle der Depression Modell des Verstärkerverlusts der Depression (nach Lewinsohn) Lewinsohn-Modell der Depression: Belege und Kritik • Als belegt gelten: Zusammenhang zwischen negativen Alltagsereignissen und depressiver Stimmung; Defizite im Sozialverhalten (z.B. weniger positive Äußerungen, weniger Blickkontakt, reagieren langsamer auf Partner); erhöhte Sensibilität auf aversive Stimulation • Kausalität unklar (Verstärkerverlust als Ursache vs. Folge der Depression?) • Aversivität und Intensität negativer Lebensereignisse offenbar wichtiger als deren Anzahl • soziale Verstärkung depressiven Verhaltens fraglich • keine schwer depressiven Pat. untersucht • Depressionen nach großen Erfolgen nicht geklärt • mangelnde Selbstverstärkung Depressiver bleibt unberücksichtigt - 14 Kognitives Modell der Depression (nach Beck) Depressionsmodell von Beck: Belege und Kritik • Als belegt gelten: mehr dysfunktionale und negative Gedanken und Bewertungen; mehr Interpretationsfehler und unlogische Gedanken; negative Informationen werden besser erinnert; Kognitionen beeinflussen Befindlichkeit und physiologische Reaktionen • Kausalität unklar (dysfunktionale Kognitionen als Ursache vs. Folge der Depression?) • Manchmal realistischere Einschätzungen als bei nicht-depressiven Personen • Ende einer Depression wird nicht erklärt • soziale Umwelt nicht berücksichtigt - 15 Modell der gelernten Hilflosigkeit nach Seligman • an Tiermodellen entwickelt: wiederholte unvermeidbare aversive Stimulation (keine Kontrolle) Vermeidungsparadigma (Warnreiz, aversiver S, Vermeidungsmöglichkeit) Vermeidungsverhalten wurde in der Experimentalgruppe schwerer erlernt Symptome äquivalent zur menschlichen Depression Seligmans Depressionsmodell der gelernten Hilflosigkeit Erlernte Hilflosigkeit bei Tieren Depression bei Menschen Manifestationen Passivität angesichts von Belastungen Passivität, “Willenslähmung” Verzögertes Lernen der Bewältigung von Bei Belastung oder Herausforderungen neStress gative Erwartungen, auch dann, wenn die Leistungen adäquat sind; Gefühl der Hoffnungslosigkeit Verschwinden des Effekts im Laufe der Verschwinden im Laufe der Zeit, wobei die Zeit Zeitdauer sehr unbestimmt ist, von Tagen bis zu Jahren reicht Gewichtsverlust Gewichtsverlust Noradrenalinentleerung des Gehirns Besserung, wenn Noradrenalin zunimmt Ätiologie Unkontrollierbare Belastung - nicht Belastung an sich, sondern Lernen, dass keine Reaktion zuverlässig die aversive Stimulation reduziert Unfähigkeit, Ereignisse im Leben zu kontrollieren, z.B. Verlust einer nahestehenden Person und körperliche Erkrankung, und Unvermögen, durch Handeln das Leiden zu lindern oder Befriedigung zu erreichen Erweitertes Modell der gelernten Hilflosigkeit nach Seligman • Kausalattributionen entscheidend für Hilflosigkeit im Verhalten depressiver Personen: Misserfolge werden intern, stabil und global erklärt Erfolge dagegen extern, instabil und spezifisch Beispiele für optimistische und pessimistische Attributionen DAUERHAFTIGKEIT: zeitweilig oder dauerhaft Ich bin total am Ende ------ Ich bin gerade erschöpft Ich hatte einen guten Tag ------ Ich habe immer Glück GELTUNGSBEREICH: spezifisch oder global Ich komme mir dumm vor ------ Das Thema hat mir nicht gelegen Ich bin gut in Mathematik ------ Ich bin fast immer gut PERSONALISIERUNG: internal oder external Ich habe mein Ziel nicht erreicht ------ Die Aufgabe war heute zu schwer Die gute Note war Glück ------- Ich kann günstige Umstände gut nutzen - 16 Psychoanalytisches Modell der Depression Psychoanalytische Theorie der Depression: Kritik • insgesamt so gut wie keine empirischen Belege • symbolischer Verlust wird erst retrospektiv aus dem Vorliegen der Depression erschlossen • mangelnde Vorhersagbarkeit, ob zu viel oder zu wenig orale Befriedigung vorliegt • unklar, warum die Aggression gegenüber dem Liebesobjekt überwiegt und nicht die positiven Gefühle • keine Belege, dass Trauernde den Tod einer nahestehenden Person als Liebesentzug wahrnehmen • in Träumen depressiver Personen überwiegen Verlust und Versagen, nicht Ärger und Feindseligkeit; in projektiven Tests identifizieren sie sich mit Opfern von Aggressionen, nicht mit dem Aggressor - 17 Therapie der Depression * Somatisch (z.B. Psychopharmaka, EKT = Elektrokrampftherapie; TMS = Transkranielle Magnetstimulation) * Psychologisch (z.B. Psychotherapie) Psychotherapie der Depression Therapieansatz Spezifische Therapieziele Therapieelemente Veränderung von problematischen VerhaltensVerstärker-Kontingenzen • Reduktion bzw. Bewältigung belastender Alltagserlebnisse • Entspannung und Zeitmanagement • Steigerung angenehmer Aktivitäten • Training sozialer Kompetenzen nach Beck Veränderung von negativen kognitiven Schemata • Identifikation automatischer Gedanken und grundlegender Einstellungen • Kritische Auseinandersetzung damit • “Sokratischer Dialog” • Verhaltensexperimente nach Seligman Veränderung negativer Kontrollattributionen • Reattributionstraining bzgl. Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse Veränderung inadäquater Selbstkontrollprozesse • Verbesserung der Selbstbeobachtung • Veränderung der Selbstbewertung • Selbstverstärkung Veränderung von dysfunktionalen sozialen Interaktionsmustern • Identifikation relevanter Emotionen und Kognitionen • Verbesserung der Kommunikation Verhaltensbezogene Ansätze nach Lewinsohn Kognitiv orientierte Ansätze Selbstkontrollorientierte Ansätze nach Rehm Interpersonell orientierte Ansätze nach Klerman & Weissman - 18 Kognitive Verhaltenstherapie der Depression: Die Komponenten 1. Information/ Therapierational 2. Aufbau positiver Aktivitäten 3. Verbesserung der sozialen Fertigkeiten 4. Veränderung von Kognitionen 5. Rückfallprophylaxe Aufbau positiver Aktivitäten − die Anzahl potentieller positiver Verstärker wird erhöht − weniger Zeit steht für depressionssteigernde Verhaltensweisen zur Verfügung (z.B. Passivität, Grübeln, Vor-sich-hin-Starren) − Wahrscheinlichkeit steigt für Verbesserung der Stimmung/ Befindlichkeit − Selbstwahrnehmung für Zusammenhang zwischen Stimmung und Aktivität wird verbessert Gezielter Aufbau positiver Aktivitäten I. Ziele bestimmen Definition: Was möchte der Pat. erreichen? Kriterium setzen: Wann ist das Ziel erreicht? − Ziel positiv formulieren − Erreichbarkeit (keine unrealistischen Ziele!) − Kontrollierbarkeit (keine Ziele, die von anderen oder vom Zufall abhängen!) II. Unterziele bestimmen − Zerlegung der Ziele in kleine Schritte − Schritte operationalisieren, Kriterien des Erreichens setzen III. Etwaige Schwierigkeiten einschätzen − Bewältigungsmöglichkeiten erarbeiten IV. Verstärkungsplan festlegen − Verstärker auswählen, systematische Selbstbelohnung festlegen − auf kurzfristige Verstärkung achten − Erreichbarkeit, Kontrollierbakeit sichern - 19 Veränderung von Kognitionen − Zusammenhänge zwischen Stimmung und Kognitionen werden besser wahrgenommen − externe und innere Ereignisse werden anders bzw. neu bewertet − fehlerhafte Schlussfolgerungen werden reduziert bzw. aufgegeben − Depressionsfördernde und inadäquate Grundannahmen werden reduziert bzw. aufgegeben Veränderung von Kognitionen: Therapeutische Schritte I. Automatische Gedanken erkennen und verändern − Konzept der automatischen Gedanken vermitteln − Automatische Gedanken identifizieren − Gedanken modifizieren: Tagesprotokoll, Spaltentechnik, Suche nach rationaleren Gedanken II. Logische Denkfehler erkennen und verändern − Art logischer Denkfehler erklären − Logische Denkfehler identifizieren − Neubenennen: a. Realitätsgehalt überprüfen (Realitätstest) b. Reattribuieren c. Alternative Erklärungen suchen III. Fehlangepasste Grundannahmen erkennen und verändern − Konzept der dysfunktionalen Grundannahmen vermitteln − Fehlangepasste Grundannahmen identifizieren − Grundannahmen verändern Automatische Gedanken bei depressiven Patienten Alles ist so sinnlos Ich bin langweilig Ich bin ein Versager Ich bin zu nichts mehr gut Warum fällt mir alles so schwer? Ich bin wirklich gestört Alles mache ich falsch Ich vergesse einfach alles Warum kann ich mich so schlecht konzentrieren? Ich falle meiner Familie zur Last Nichts gelingt mir mehr Es gibt keine Hoffnung für meinen Zustand Mir ist nicht zu helfen Die anderen lehnen mich ab Ich darf den anderen nicht verärgern - 20 Automatische Gedanken identifizieren Das Konzept automatischer Gedanken Ereignis => Automatischer Gedanke => Gefühl Ich lese ein attraktives Stellenangebot => „Das schaffe ich nie“ => traurig, verzagt Mir ist beim Kochen ein Missgeschick passiert => “Ich habe wieder versagt” => selbstzweifelnd, resigniert Bei einem Treffen stehe ich auf einmal im Mittelpunkt => „Wo soll ich bloß hinschauen?“ => unsicher, verlegen Jemand kritisiert mich => “Ich kann es keinem Recht machen” => betrübt Der Ehemann kommt oft sehr spät nach Hause => “Er liebt mich nicht mehr” => eifersüchtig, ängstlich Im Nebenzimmer ist ein Geräusch => “Das ist ein Einbrecher” => erschrocken, Angst Der Chef gibt mir immer mehr Arbeit => “Früher habe ich mehr leisten können“ => Versagensgefühl, unzulänglich In einer Prüfung bekomme ich eine schlechte Note => “Ich bin zu dumm” => selbstunsicher, hoffnungslos Fehlerhafte Kognitionen (systematische Denkfehler) Alles-oder-nichts-Denken = Bewertungen sind dichotom, wie gut oder schlecht, Verlierer oder Gewinner Bei mir geht immer alles schief, alles ist meine Schuld Ich bin immer ein totaler Versager gewesen Übergeneralisierung = es wird unkritisch auf ähnliche oder unähnliche Situationen verallgemeinert Ich komme ständig zu spät Das wird sich nie ändern Willkürliche Schlussfolgerungen = es werden Schlüsse gezogen, ohne Beweise, die das rechtfertigen könnten Der Chef war heute so kurz angebunden, ich habe sicher etwas falsch gemacht Es muss an mir liegen, dass mich die anderen nur anrufen, wenn sie Probleme haben Über- oder Untertreibung = die Bedeutungen eines Ereignisses werden falsch eingeschätzt Ich mache alles nur halbherzig - kein Wunder, dass es immer schief geht Ich habe einen Fehler gemacht und werde deswegen nie mehr froh sein können Personalisierung = Tendenz, die Dinge auf die eigene Person zu beziehen Ich bin ein Narr (ein Trottel) Ich bin immer ein völliger Versager gewesen - 21 Logische Denkfehler verändern 1. Realitätsgehalt überprüfen • Was sind die Beweise für die Annahme? • Liegen genügend Daten vor, die Annahme zu stützen? • Welche weiteren Daten (Fakten) kann der Patient anführen? • Stützen diese Daten (Fakten) die Annahme? 2. Reattribuieren (v.a. bei Selbstabwertungen) • Sprechen die Fakten für die Selbstbeschuldigung des Pat.? • Hat er bei der Beurteilung anderer Personen die gleichen Kriterien? • Ist es sinnvoll, von einer “Alleinverantwortlichkeit” auszugehen? • Ist es sinnvoll, von einer 100%igen Ursache und Erklärung von Ereignissen auszugehen? 3. Alternative Erklärungen suchen • Alle möglichen und denkbaren Erklärungshypothesen zusammentragen ( = “Brainstorming”) • Einschätzungen der Wahrscheinlichkeit: 0 - 100% • Alternative Erklärungen als prüfbare Hypothesen formulieren und anschließend überprüfen Pharmakotherapie der Depression Antidepressiv wirkende Medikamente verfügbar: 1. Tri- und tetrazyklische Antidepressiva 2. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) 3. MAO-Hemmer 4. Atypische Antidepressiva Antidepressiv wirkende Medikamente Klasse Substanzen (Beispiele) Biologische Wirkung Besonderheiten der Wirkung Tri-/tetrazyklische AD Amitriptylin Imipramin Clomipramin Desimipramin Doxepin Maprotilin • Hemmung der Rückresorption von NA und 5-HT • Veränderung der Sensitivität postsynaptischer NA- und 5- HT-Rezeptoren [Wirkanteile der verschiedenen Substanzen auf diese Transmittersysteme unterschiedlich] • z.T. anticholinerge Wirkung • sedierend (in unterschiedlicher Intensität) • schlafanstoßend SSRI Fluvoxamin Fluoxetin Paroxetin Citalopram Sertralin selektive Hemmung der 5-HT-Wiederaufnahme keine Sedierung MAOHemmer Tranylcypromin Phenelzin Moclomebid hemmt den Abbau von NA und 5-HT durch das Enzym MAO keine Sedierung Atypische AD Buspiron Trazodon Mianserin Mirtazapin Trimipramin andere Wirkungen als Wiederaufnahmehemmung; wirken unterschiedlich auf das dopaminerge, serotonerge und noradrenerge System meist sedierend und schlafanstoßend - 22 Empirische Evidenz zur Therapie depressiver Störungen • Metaanalysen von Gloaguen et al. (1998) und Cuijpers et al. (2010) • Empfehlungen der Leitlinie Affektive Störungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) nach de Jong-Meyer, Hautzinger, Kühner & Schramm (2007) Leichte mit mittelschwere Depressionen: Metaanalyse zur kognitiven Therapie Gloaguen V, Cottraux J, Cucherat M, Blackburn IM (1998). A meta-analysis of the effects of cognitive therapy in depressed patients. Journal of Affective Disorders, 49, 59-72. Ziel: Vergleich CT mit Kontrollbedingungen (Standardversorgung, Wartegruppen, Antidepressiva, Verhaltenstherapie, andere Psychotherapien); nur randomisierte Studien Diagnostische Kriterien: Major Depression oder dysthyme Störung, keine psychotischen Depressionen oder bipolaren Störungen Gefundene Studien: 48 mit insgesamt 72 Vergleichen Patienten der Stichproben: insgesamt 2.765, die meisten ambulant, 71% Frauen, mittleres Alter 39 Jahre , überwiegend leichte bis mittelschwere Depressionen Zahl der Vergleiche: 20 CT vs. WL/Placebo, 17 CT vs. Antidepressiva, 13 CT vs. Verhaltenstherapie, 22 CT vs. andere Psychotherapien Ergebnisse Prä-Post: CT > WL/Placebo (d = 0.82) CT > Antidepressiva (d = 0.38) CT = Verhaltenstherapie CT > andere Psychotherapien (d = 0.24); diese waren psychodynamisch (4), interpersonal (4), nichtdirektiv (2), supportiv (4), Entspannung (4), Bibliotherapie (1) Keine Zusammenhänge zwischen Effektstärke sowie BDI-Werten, Geschlecht und Alter Ergebnisse Follow-up: 8 Studien verglichen CT und Antidepressiva bei einem Follow-up von mindestens einem Jahr. In 5 dieser Studien zeigte sich für CT ein präventiver Effekt: Rückfall (Rezidiv) bei CT 29,5%, bei Antidepressiva 60,0% Schlussfolgerung der Autoren: CT ist wirksam bei Pat. mit leichten bis mittelschweren depressiven Störungen und bei diesen der Therapie mit Antidepressiva überlegen. Chronische Depressionen: Metaanalyse zur Psychotherapie Cuijpers P, van Straten A, Schuurmans J, van Oppen P, Hollon S, Andersson G (2010). Psychotherapy for chronic major depression and dysthymia: A meta-analysis. Clinical Psychology Review, 30, 51–62. Ziel: Untersuchung der Wirksamkeit von Psychotherapie bei chronischer Depression; nur RCTs. Datenmaterial: 16 Studien mit insgesamt 2.116 erwachsenen Patienten (689 mit Psychotherapie, 167 in Kontrollbedingungen, 692 mit Pharmakatherapie, 569 kombinierte Therapie); mittleres Alter 30-50 Jahre, überwiegend verheiratete Frauen; überwiegend ambulante Therapien. Therapien: 21 Formen, darunter 7 KVT, 6 IPT, 8 andere (Problemlösungstherapie, kognitiv-interpersonale Therapie, CBASP, supportiv) Kontrollbedingungen: Placebo, TAU, unspezifisches Vorgehen, WL Outcomemaß: Depressionsskalen (HAMD, BDI, CDRS) - 23 Ergbnisse der Studie von Cuijpers et al. (2010): Number needed to treat (NNT) = 7,69 Number needed to treat (NNT) = 5,75 - 24 Number needed to treat (NNT) = 7,69 Number needed to treat (NNT) = 4,00 Drop-outs: keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen Psycho- und Pharmakotherapie Follow-up: nicht analysiert, da zu wenige Studien Fazit der Autoren: „We conclude that psychotherapy is effective in the treatment of chronic depression and dysthymia but probably not as effective as pharmacotherapy (particularly the SSRIs).“ (p. 51) - 25 Leitlinie Affektive Störungen der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie in der DGPs erstellt durch Renate de Jong-Meyer (Münster), Martin Hautzinger (Tübingen), Christine Kühner (Mannheim) und Elisabeth Schramm (Freiburg) Publiziert bei Hogrefe, Göttingen, 2007 Bewertung: Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) • Beurteilung: „wirksam und spezifisch“; beste Einstufung aller Psychotherapien bei Depressionen • > 80 kontrollierte Studien mit KVT bei Depressionen • wirksamer als Warte-, Placebo-, Clinical Management- und supportive Behandlungen • mindestens vergleichbare Effekte wie Pharmakotherapie oder eine andere spezifische Psychotherapie • Metaanalysen: Prä-Post-Effektstärken zwischen d = 1.5 und 2.3; bei milden bis mittelschweren Depressionen Überlegenheit gegenüber Wartegruppe/Placebo, Medikation und anderen Psychotherapien • keine Schweregradseinschränkungen; in allen Schweregraden können Effekte ähnlich wie bei Pharmakotherapie erwartet werden • Längerfristige Effekte: Akutbehandlung mit KVT senkt die Rückfallquote deutlicher als medikamentöse Akutbehandlung alleine • noch keine Aussagen zur Wirksamkeit von KVT bei schwersten Depressionen im stationären Setting möglich Bewertung: Interpersonelle Psychotherapie (IPT) • Erste Effektivitätsprüfung von Weinman et al. (1979): IPT gleich wirksam wie Pharmakotherapie (Amitriptylin) und besser als Kontrollgruppe mit unspezifischer Behandlung • NIMH-Studie: IPT gleich wirksam wie KVT und Pharmaka, niedrigste Rate von Therapieabbrechern • Metaanalysen: IPT gleich wirksam wie KVT und Pharmakotherapie, allen Kontrollbedingungen überlegen; längerfristige Wirksamkeit vergleichbar mit KVT Bewertung: Gesprächs- und humanistische Psychotherapien • standen bislang nicht im Zentrum der Depressionsforschung; überwiegend als Kontrollbedingung eingesetzt mit meist geringeren Effekten • 2 Studien mit „Process-Experiential-Therapie“ erbrachten Effekte ähnlich wie bei den erwiesen wirksamen Therapien • Für die herkömmliche Gesprächstherapie fehlen kontrollierte Wirksamkeitsnachweise - 26 Bewertung: Psychodynamische Kurztherapien • 2 Metaanalysen (Crits-Christoph, 1992; Leichsenring, 2001): Aufgrund von 11 bzw. 6 Studien kommen beide zu dem Ergebnis, dass die Therapien wirksam und bezogen auf die Besserung der Depressionssymptomatik mit anderen Psychotherapien vergleichbar sind (Effektstärken d = 0.81 bis 1.12) • Einschränkung #1: Es existieren keine Studien mit längeren Katamnesezeiträumen • Einschränkung #2: IPT wurde in als psychodynamische Therapie mitgezählt; ohne IPT wäre die empirische Evidenz geringer Bewertung: Psychoanalyse „Psychoanalysen bzw. langfristige, hochfrequente tiefenpsychologische Psychotherapien wurden bislang nicht in kontrollierten Therapiestudien evaluiert, so dass sie für eine evidenzbasierte Depressionsbehandlung nicht empfohlen werden können.“ (S. 28) Empfehlungen für Einzeltherapien bei Depressionen: Behandlungsempfehlungen auf dem Evidenzniveau „wirksam“ − Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) − Interpersonelle Psychotherapie (IPT) − Psychodynamische Kurzzeittherapie Behandlungsempfehlungen auf dem Evidenzniveau „möglicherweise wirksam“ − Process-Experiential Gesprächspsychotherapie (PEGPT); Behandlungen „bislang ohne ausreichende Wirknachweise“ − Psychoanalyse, Psychodynamische Langzeittherapie und alle (Ansatz der Gruppe um Watson) anderen Psychotherapien − Psychologische Therapien als Monotherapien im stationären Setting Bei leichter bis mittelschwerer Depression zeigen sowohl KVT als auch IPT vergleichbare Wirksamkeit mit der Antidepressivatherapie. Der Anteil an Respondern (weitgehend symptomfreier Patienten) ist unter KVT und IPT höher. Unter KVT und IPT brechen weniger Patienten die Behandlung ab. Unter dem Aspekt längerfristiger Wirksamkeit hat die KVT Vorteile gegenüber rein medikamentöser Therapie. Einige weiterführende Literatur zu depressiven Störungen Beck AT, Rush AJ, Shaw BF, Emery G (1994). Kognitive Therapie der Depression (4. Aufl). Weinheim, Beltz. Gotlib IH, Hammen CL (2009). Handbook of Depression (2nd Ed). New York: The Guilford Press. Hautzinger M (2013). Kognitive Verhaltenstherapie bei Depression (7. Aufl). Weinheim, Beltz. Hautzinger M (2010). Akute Depression. Reihe Fortschritte der Psychotherapie. Göttingen, Hogrefe. Herrle J, Kühner C (1994). Depressionen bewältigen. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Gruppenprogramm nach P.M. Lewinsohn. Weinheim, Beltz. McCullough J (2006). Psychotherapie der chronischen Depression. München, Elsevier. S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression => www.depression.versorgungsleitlinien.de [Stand: WS 2014/15]