Vorwort S1 Ethik der Kosten-Nutzen-Bewertung medizinischer Maßnahmen Prof. Dr. Jürgen Wasem Prof. Dr. Georg Marckmann Herausgeber Prof. Dr. Jürgen Wasem Prof. Dr. Georg Marckmann Bibliografie DOI 10.1055/s-0029-1220697 Gesundheitswesen 2009; 71(Suppl. 1): S1 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0949-7013 Korrespondenzadresse Prof. Dr. J. Wasem Universität Duisburg-Essen Schützenbahn 70 45127 Essen Juergen.wasem@medman. uni-due.de Mit dem „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKVWSG), der heftig umstrittenen Gesundheitsreform der Großen Koalition von 2007, hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass auf Basis einer Kosten-Nutzen-Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung einen Erstattungshöchstbetrag für neue, patentgeschützte Arzneimittel festlegen kann. Dies kann eine bedeutsame Veränderung für die Leistungsansprüche der Versicherten bedeuten. Denn bislang galt in Deutschland, dass die pharmazeutischen Hersteller die Preise für patentgeschützte Arzneimittel frei festsetzen und die Krankenkassen diese erstatten mussten – nur wenn eine Nutzenbewertung durch das IQWiG zu dem Ergebnis kam, dass das Medikament keinen Zusatznutzen gegenüber preiswerteren Alternativen aufweist, konnte der Gemeinsame Bundesausschuss auch schon bisher den Leistungsanspruch der Versicherten begrenzen. Mit KostenNutzen-Bewertung und Erstattungshöchstbetrag sind nunmehr aber auch Situationen denkbar, bei denen ein neues Arzneimittel unzweifelhaft einen Zusatznutzen gegenüber bisherigen Arzneimitteln aufweist, der Spitzenverband aber einen Erstattungshöchstbetrag festsetzt, der deutlich unterhalb des vom Pharmaunternehmen festgesetzten Preises liegt. Patienten mit geringeren Einkommen werden sich das Arzneimittel dann möglicherweise nicht leisten können, müssen also auf den Zusatznutzen verzichten. Die Kosten-Nutzen-Bewertung wirft damit verschiedene ethische Fragen auf, allen voran die folgende: Ist es – und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen – ethisch vertretbar, Patienten die solidarische Finanzierung von medizinischen Maßnahmen vorzuenthalten, die einen geringen Zusatznutzen bei vergleichsweise hohen Zusatzkosten bieten? Um die ethischen Implikationen der Kosten-Nutzen-Bewertung möglichst frühzeitig in die Überlegungen einzubeziehen, haben wir im Frühjahr 2008 einen Workshop zur Ethik der Kosten-Nutzen-Bewertung medizinischer Maßnahmen organisiert. Die dabei gehaltenen Vorträge werden, ergänzt um zwei weitere Beiträge, in diesem Heft vorgelegt. Der Gliederung des Symposiums entsprechend diskutieren die ersten beiden Beiträge zunächst die ethischen Grundlagen der Kosten-Nutzen- Bewertung. Georg Marckmann entwickelt Perspektiven für eine ethisch vertretbare KostenNutzen-Bewertung, die neben dem Prinzip der Nutzenmaximierung auch gerechtigkeitsethische Überlegungen berücksichtigt. David Schwappach bietet im Anschluss eine Übersicht zu empirischen Studien, die Allokationspräferenzen in der Bevölkerung untersucht haben. Die nächsten zwei Beiträge widmen sich den gesundheitsökonomischen Methoden. Erik Nord diskutiert zunächst, wie gesellschaftliche Gerechtigkeitsüberlegungen in Kosten-Nutzen-Bewertungen integriert werden können. Anschließend begründet Franz Hessel, warum gesundheitsökonomische Evaluierungen auch indikationsübergreifende Vergleiche von Kosten und Nutzen medizinischer Maßnahmen umfassen sollten. Praktische Erfahrungen mit der Kosten-Nutzen-Bewertung stehen im Mittelpunkt des dritten Blocks. Reinhard Busse bietet einen Überblick über internationale Erfahrungen; Stirling Bryan berichtet, wie das britische National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) die Kosten-Effektivität medizinischer Maßnahmen mit anderen ethischen Überlegungen verbindet. Die letzte Gruppe von Beiträgen entwickelt schließlich Perspektiven für die Kosten-Nutzen-Bewertung in Deutschland. Zunächst stellen Klaus Koch, Charalabos-Markos Dintsios und Peter T. Sawicki den ersten Methodenvorschlag des IQWiG für die Kosten-NutzenBewertung im deutschen Gesundheitswesen vor. Jürgen Wasem diskutiert diesen Vorschlag anschließend aus gesundheitsökonomischer Perspektive, während Stefan Huster die juristischen Grundlagen und Implikationen der Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG untersucht. Den Abschluss des Schwerpunktheftes bilden die Beiträge zur Podiumsdiskussion, bei der Entscheidungsträger aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitssystems zu Wort kamen: Ulrich Dietz vom Bundesministerium für Gesundheit, Rainer Hess als Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses und Eva Susanne Dietrich vom Wissenschaftlichen Institut der Techniker Krankenkasse. Der Firma Sanofi-Aventis danken die Herausgeber für die von jeder Einflussnahme freie finanzielle Unterstützung für dieses Projekt. Prof. Dr. Jürgen Wasem, Universität DuisburgEssen Prof. Dr. Georg Marckmann, MPH, Universität Tübingen Wasem J, Marckmann G. Ethik der Kosten-Nutzen-Bewertung … Gesundheitswesen 2009; 71 (Suppl. 1): S1 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. The Ethics of Cost-Benefit Evaluations of Medical Interventions