NUZ – 14.1.13 – Golling Das Drama eines Komödianten Der Schauspieler Ramadan Ali floh nach monatelanger Haft aus Syrien – und spielt nun in Ulm seine Geschichte. Das Theaterstück zeigt die Methoden totalitärer Systeme. Und den Triumph der Menschlichkeit über die Willkür. Am Mittwoch wird es uraufgeführt Ulm Ramadan Ali ist gut gelaunt, als er zurück in seine Heimat Syrien fährt. Gerade erst hatte er bei einem Fest im Libanon mit einer Comedy-Nummer die Besucher zum Lachen gebracht, ein Erfolg für den jungen Schauspieler. Er ruft bei seiner Mutter an: „Mutter, ich komme heute zurück aus Beirut“, sagt er. „Ich habe dich vermisst, dein wunderbares Essen. Ich möchte essen, bis ich platze.“ Doch statt an Mamas Herd führt Ali seine Reise ins Gefängnis. Dort bleibt er fast drei Monate, eingesperrt in eine nur einen Quadratmeter große Zelle ohne Tageslicht und wird immer wieder brutal verhört. Und das alles nur, weil er ein paar Witze gemacht hat – allerdings vor dem falschen Publikum: Ramadan Ali ist Kurde, Veranstalter der Feier zum kurdischen Neujahrsfest war eine in Syrien verbotene kurdische Partei. Rund zwei Jahre später kauert der junge Mann wieder in seiner Zelle, doch die ist jetzt eine zusammengefaltete Decke auf dem Boden des Proberaums im Ulmer Akademietheater. Seine Wünsche, aber auch die Verwünschungen gegen seine Peiniger, murmelt, schreit und singt er nun nicht mehr auf Kurdisch oder Arabisch, sondern auf Deutsch, eine Sprache, die ihm noch vor zwei Jahren völlig fremd war. Ramadan Ali tut das, was er am liebsten tut: schauspielern. Doch diesmal ist es sein eigenes Schicksal, das auf dem Spielplan steht: die Geschichte eines jungen Mannes, der willkürlich in die Mühlen eines Unrechtssystems gerät; die Geschichte eines passionierten Schauspielers, der seine Familie, seine Heimat so sehr liebt und doch fliehen muss. „Das ist eine große Chance für mich“, sagt er. „Frühling der Freiheit“, so der Name des Stückes, feiert am Mittwoch seine Uraufführung im Akademietheater in Ulm. Stellvertretend für andere, die noch Schlimmeres erlebt haben Vor dem Beginn der Probe sitzt Ali an einem Tisch in dem kargen Theatersaal mit den nur stellenweise verputzten Wänden, an der Seite der anderen Darsteller und von Ralf Rainer Reimann, Leiter von Theater und Schauspielschule. Er hat mit dem syrischen Schauspieler die Geschichte aufgeschrieben und in ein Theaterstück verwandelt, das auch über die Region hinaus Aufmerksamkeit bekommt – ist es doch die derzeit wohl einzige Aufarbeitung des Themas Syrien auf deutschen Theaterbühnen. Zumindest die einzige dieser Art. Die Sender Arte und ZDF Kultur berichten über Ali und „Frühling der Freiheit“, das badenwürttembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst fördert das Stück, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Interesse an einer ganzen Tournee. Doch Ali und Regisseur Reimann geht es nicht darum, ein Einzelschicksal und persönliche Betroffenheit auf die Bühne zu bringen. „Ramadan ist ein Pars pro Toto“, erklärt der Theaterchef. „Er steht stellvertretend für die, die noch Schlimmeres erfahren haben.“ So wie viele Menschen aus Syrien, die sich oft nicht trauen, ihre Geschichte zu erzählen, sagt Reimann. Manche aus Angst vor dem syrischen Geheimdienst, andere aus Angst um ihre Familien. Ob Kurde oder Angehöriger einer anderen Volksgruppe spielt dabei keine Rolle: Ramadan Ali beschreibt das Syrien von heute als einen Staat, in dem jeder plötzlich verhaftet werden kann. Notfalls auch ohne Grund. Und das liege nicht einmal unbedingt an Assad, bei dessen Amtsantritt auch Ramadan Ali Hoffnung auf eine bessere Zukunft geschöpft hatte. Der Inhalt von „Frühling der Freiheit“ lasse sich, so Reimann, aber auch auf jedes andere totalitäre System übertragen, manches davon auch auf die Lebensläufe der anderen beiden Darsteller: Sängerin Jehan Salim, 22, wie Ali aus Syrien, wurde in Deutschland mit einem Türken verheiratet, der sie wie eine Sklavin hielt, quälte, missbrauchte, bis sie schließlich floh. Und Ismail Yavuzkurt, Absolvent der zum Theater gehörenden Akademie der darstellenden Kunst (AdK), im Stück so etwas wie das Alter Ego Alis. Er ist der Sohn eines Kurden, der vor Jahrzehnten vor türkischer Verfolgung nach Deutschland floh. Yavuzkurt: „Die Geschichte von Ramadan hat auch viel mit meiner Geschichte zu tun. “Wer Ali, den seine Freunde im Theater Ramo nennen, kennenlernt, weiß, dass „Frühling der Freiheit“ eines jedoch nicht sein kann: die Geschichte eines gebrochenen Mannes. Der 27-Jährige scheint von innen zu strahlen, wenn er die Theaterbühne betritt, jede Anekdote erzählt er mit dem verschmitzten Grinsen eines Komikers. Ramadan Ali hat das Lachen genauso wenig verlernt wie das Herumkaspern. In „Frühling der Freiheit“ balanciert der schmale Mann mit dem dunklen Haar Kissen auf seinem Kopf, gestikuliert und glotzt mit großen Augen wie ein Clown. Wie ein Kind hat er Spaß daran, anderen Freude zu machen: ein geborener Schauspieler, ein Entertainer. Einer, der nicht viele Worte braucht, damit man ihn sympathisch findet. Alis Geschichte, wie sie „Frühling der Freiheit“ erzählt, ist auf ihre Weise einzigartig: weil sie auch vom Triumph der Menschlichkeit über die Willkür erzählt. Denn irgendwann, nach unzähligen Verhören im Gefängnis, dreht Ali den Spieß einfach um. Plötzlich fragt er zurück: Ob der Verhörer in seinem Beruf glücklich sei? Ali macht weiter, fragt weiter. Er habe sein Gegenüber so sehr provoziert, sagt Ali heute, dass der ihn auch hätte erschießen können. Doch er tut es nicht. Stattdessen ist er plötzlich auf der Seite des Häftlings. Ali wird freigelassen, entkommt den Mühlen des Systems. Doch aus dem eigentlich unpolitischen Künstler war durch die Erfahrung der Willkür und der Haft ein politischer Aktivist geworden, der offen im Internet für freie Meinungsäußerung, für die freie Kunst eintritt. Wieder kommt er in Haft, diesmal über zwei Monate. Als einer von rund 50 Häftlingen wird er in eine 25 Quadratmeter große Zelle eingepfercht, in der es nichts gibt außer einem Latrinenloch und einem Eimer Wasser daneben. „Es ist unvorstellbar“, sagt Reimann, für den die Arbeit mit Ali alles andere als Routine ist. Sein Bruder – Ramadan ist eines von 13 Geschwistern – kauft ihn schließlich frei. Doch in Syrien hat der Schauspieler keine Zukunft mehr. Nach insgesamt fünfeinhalb Monaten Haft flieht er aus seinem Heimatdorf über die nahe türkische Grenze und mogelt sich mit einem falschen bulgarischen Pass bis auf den Düsseldorfer Flughafen durch. Auch dort wird er wieder acht Stunden lang befragt und weitergeschickt – nach Bielefeld, München und schließlich nach Neu-Ulm. Sein Asylantrag ist mittlerweile positiv beantwortet, seit einigen Tagen hat er eine eigene Wohnung in Ulm, nachdem er zuvor monatelang in der Asylbewerberunterkunft in der Neu-Ulmer Eckstraße verbracht hatte, einem Männerheim, wo, so sagt der inzwischen 27-Jährige, nicht nur gute Menschen wohnen. Auf der Bühne ist er für die Zuschauer wieder in Syrien. Er spielt auf seiner Tanbur, einer langhalsigen Laute, singt zusammen mit Yavuzkurt und Sängerin Salim Lieder seiner Heimat. In der Sprache seiner Heimat. Doch das Stück selbst ist auf Deutsch. „Theater hat keine Sprache, keine Religion“, sagt Ali, der für seinen Traum, Schauspieler zu sein, in Syrien tagsüber als Schreiner arbeitete. Und doch sei es anders, auf Deutsch zu spielen als auf Arabisch oder Kurdisch: „Wenn ich ‚Ich liebe dich‘ auf Deutsch sage, habe ich kein Gefühl, es sind nur Worte“, sagt er. Doch genau diese Distanz hilft ihm. Die schlimmste Zeit seines Lebens immer und immer wieder durchzugehen, es wäre wohl nur schwer zu ertragen. Doch auch so geht er an die Schmerzgrenze: In den Verhörszenen etwa schlüpft Ali in die Rolle eines sadistischen Peinigers, stolziert mächtig und selbstsicher um den (von Yavuzkurt gespielten) Gefangenen herum, drückt ihm ein hölzernes Lineal an die Gurgel, zischt ihm Drohungen ins Ohr. Szenen, die ins Mark gehen, auch weil sie sich in Syrien vielleicht tausendfach so abspielten und immer noch abspielen. Eine Episode aus Neu-Ulm, die dem Spaßmacher gefällt Beinahe wäre Ramadan Ali übrigens auch in Deutschland gewissermaßen Opfer polizeilicher Willkür geworden – es ist eine Episode, wie sie dem syrischen Spaßmacher nur zu gut gefällt: Eines Tages nämlich standen Beamte vor dem Asylbewerberheim, um vermeintlich gestohlene Fahrräder einzuladen – darunter auch das des jungen Syrers. „Doch ich war wahrscheinlich der Einzige, der sein Rad gekauft hatte“, sagt Ali. Das konnte er schließlich auch mit der Quittung beweisen, das Gefährt wurde wieder abgeladen, die Beamten spendierten ihm später sogar ein neues Schloss. Ali kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Ich kann mit Recht behaupten: Die Polizei hat versucht, mein Fahrrad zu stehlen.“ Ramadan Ali ist keiner, der sich alles gefallen lässt.