20 Abs. 2 Satz 2 GWB

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Deutsches und Europäisches
Kartellrecht II
Prof. Dr. Daniel Zimmer, LL.M.
Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht, Univ. Bonn
Vorlesung vom 31. Mai 2011
Vertretung durch Martin Blaschczok
Vorbemerkung zu § 20 GWB
Art. 3 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003
(1) […] Wenden die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten
oder einzelstaatliche Gerichte das einzelstaatliche
Wettbewerbsrecht auf nach Artikel 82 des Vertrags
verbotene Missbräuche an, so wenden sie auch Artikel 82 des
Vertrags an.
(2) […] Den Mitgliedstaaten wird durch diese Verordnung nicht
verwehrt, in ihrem Hoheitsgebiet strengere innerstaatliche
Vorschriften zur Unterbindung oder Ahndung einseitiger
Handlungen von Unternehmen zu erlassen oder
anzuwenden.
§ 20 Abs. 1 GWB
Marktbeherrschende
Unternehmen,
Vereinigungen
von
miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen im Sinne
der §§ 2, 3 und 28 Abs. 1 und Unternehmen, die Preise nach § 28
Abs. 2 oder § 30 Abs. 1 Satz 1 binden, dürfen ein anderes
Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen
Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, weder unmittelbar
noch mittelbar unbillig behindern oder gegenüber gleichartigen
Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar
oder mittelbar unterschiedlich behandeln.
§ 20 Abs. 1 GWB
I. Normadressaten
•
Marktbeherrschende Unternehmen
• entsprechend der Definition des § 19 Abs. 2 GWB
• Vermutungen des § 19 Abs. 3 GWB ebenfalls anwendbar
•
Vereinigungen von miteinander im Wettbewerb stehenden
Unternehmen
• Freigestellte Kartelle gem. §§ 2, 3 und 28 Abs. 1 GWB
•
Unternehmen, die Preise nach § 28 Abs. 2 oder § 30 Abs. 1
S. 1 GWB binden
§ 20 Abs. 1 GWB
II. Behinderungs- und Diskriminierungsverbot
•
Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen
üblicherweise zugänglich ist
• Wann ein Geschäftsverkehr üblicherweise zugänglich ist,
richtet sich danach, was innerhalb der in Betracht
kommenden Kreise als allgemein geübt und angemessen
empfunden wird
§ 20 Abs. 1 GWB
•
Unbillige Behinderung
• Behinderung ist jedes Verhalten, das die
wettbewerbliche Betätigungsfreiheit eines anderen
Unternehmens nachteilig beeinflusst
•
Diskriminierung
• Diskriminierung ist die unmittelbare oder mittelbare
unterschiedliche Behandlung gleichartiger Unternehmen
ohne sachlich gerechtfertigten Grund
§ 20 Abs. 1 GWB
•
Ob eine Behinderung unbillig ist oder eine Diskriminierung
ohne sachlich gerechtfertigten Grund vorliegt, ist anhand
einer Interessenabwägung im Einzelfall festzustellen
•
Dabei sind die Interessen der Beteiligten unter
Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs
gerichteten Zielsetzung des GWB abzuwägen
•
Zu berücksichtigen ist in diesem Rahmen einerseits die
unternehmerische Handlungsfreiheit des Normadressaten,
andererseits das Ausmaß der Abhängigkeit des anderen
Unternehmens und ferner die Auswirkungen der konkreten
Maßnahme auf den Wettbewerb
§ 20 Abs. 1 GWB
•
Zudem sind die Wertungen des europäischen Kartellrechts
zu berücksichtigen
• insbesondere mit Blick auf die Freistellung bestimmter
Verhaltensweisen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV
beziehungsweise einer Gruppenfreistellungsverordnung
• Leitentscheidung: BGH, Beschluss vom 4.11.2003 –
Depotkosmetik im Internet, WuW/E DE-R 1203
§ 20 Abs. 1 GWB
•
Zudem sind die Wertungen des europäischen Kartellrechts
zu berücksichtigen
• insbesondere mit Blick auf die Freistellung bestimmter
Verhaltensweisen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV
beziehungsweise einer Gruppenfreistellungsverordnung
• Leitentscheidung: BGH, Beschluss vom 4.11.2003 –
Depotkosmetik im Internet, WuW/E DE-R 1203
Händler A selektives Vertriebssystem
Händler B freigestellt nach der Vertikal-GVO
Hersteller
Händler C
Händler D
Vereinbarungen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB
§ 20 Abs. 1 GWB
III. Erweiterung des Adressatenkreises durch
§ 20 Abs. 2 GWB
§ 20 Abs. 2 Satz 1 GWB
Absatz 1 gilt auch für Unternehmen und Vereinigungen von
Unternehmen, soweit von ihnen kleine oder mittlere
Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten
Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise
abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten,
auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen.
§ 20 Abs. 1 GWB
•
Normadressaten des § 20 Abs. 1 GWB sind auch sog.
marktstarke Unternehmen mit (nur) relativer Marktmacht
gegenüber abhängigen kleinen und mittleren Unternehmen
•
Bei der Abgrenzung des Kreises der kleinen und mittleren
Unternehmen ist grundsätzlich ebenso wie bei § 3 Abs. 1
GWB auf die relativen horizontalen Größenverhältnisse auf
dem betreffenden Markt abzustellen
•
Hinsichtlich der unternehmensbedingten Abhängigkeit ist
zusätzlich auch das vertikale Größenverhältnis zwischen dem
abhängigen und dem marktstarken Unternehmen zu
berücksichtigen
§ 20 Abs. 1 GWB
•
Sortimentsbedingte Abhängigkeit
• Spitzenstellungsabhängigkeit, wenn die Waren eines
bestimmten Herstellers eine so herausragende
Bedeutung auf dem Markt besitzen, dass ohne sie das
Sortiment des Händlers unvollständig wäre
• Spitzengruppenabhängigkeit, wenn zumindest einige
Produkte aus einer Gruppe von Herstellern beim
Händler vorhanden sein müssen, damit dieser
wettbewerbsfähig bleibt
§ 20 Abs. 1 GWB
•
Unternehmensbedingte Abhängigkeit
• wenn ein Unternehmen sich aufgrund einer langjährigen
Vertragsbeziehung so sehr auf ein Unternehmen der
Marktgegenseite ausgerichtet hat, dass ein Ausweichen
auf andere Unternehmen unzumutbar wäre
• insbesondere bei Vertragshändlern, die sich auf einen
einzigen Hersteller beschränken
•
Mangel- oder knappheitsbedingte Abhängigkeit
• wenn aufgrund einer Verknappung von Waren ein
Ausweichen auf andere Lieferanten nicht möglich ist
§ 20 Abs. 1 GWB
•
Nachfragebedingte Abhängigkeit
• wenn ein Nachfrager aus Sicht des Lieferanten einen
unverzichtbaren Absatzkanal darstellt
• Insbesondere bei Spezialisierung auf bestimmte
Nachfrager und bei Nachfragemonopolen der
öffentlichen Hand
• Nachfragebedingte Abhängigkeit wird unter den
Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 S. 2 GWB vermutet
§ 20 Abs. 1 GWB
§ 20 Abs. 2 Satz 2 GWB
Es wird vermutet, dass ein Anbieter einer bestimmten Art von
Waren oder gewerblichen Leistungen von einem Nachfrager
abhängig im Sinne des Satzes 1 ist, wenn dieser Nachfrager bei
ihm zusätzlich zu den verkehrsüblichen Preisnachlässen oder
sonstigen
Leistungsentgelten
regelmäßig
besondere
Vergünstigungen erlangt, die gleichartigen Nachfragern nicht
gewährt werden.
§ 20 Abs. 1 GWB
IV. Exkurs: Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV
Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die
missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf
dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben
durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen
kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
Dieser Missbrauch kann insbesondere in Folgendem bestehen:
[…]
c) der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei
gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern,
wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; […].
§ 20 Abs. 3 GWB
Marktbeherrschende Unternehmen und Vereinigungen von
Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 dürfen ihre Marktstellung
nicht dazu ausnutzen, andere Unternehmen im Geschäftsverkehr
dazu aufzufordern oder zu veranlassen, ihnen ohne sachlich
gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren. Satz 1 gilt auch für
Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen im
Verhältnis zu den von ihnen abhängigen Unternehmen.
§ 20 Abs. 4 GWB
Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren
Wettbewerbern überlegener Marktmacht dürfen ihre
Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber
unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Eine unbillige
Behinderung im Sinne des Satzes 1 liegt insbesondere vor, wenn
ein Unternehmen
1. Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuches unter Einstandspreis oder
2. andere Waren oder gewerbliche Leistungen nicht nur
gelegentlich unter Einstandspreis oder
§ 20 Abs. 4 GWB
3. von kleinen oder mittleren Unternehmen, mit denen es auf
dem nachgelagerten Markt beim Vertrieb von Waren oder
gewerblichen Leistungen im Wettbewerb steht, für deren
Lieferung einen höheren Preis fordert, als es selbst auf diesem
Markt
anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt. Das
Anbieten von Lebensmitteln unter Einstandspreis ist sachlich
gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, den Verderb oder die
drohende Unverkäuflichkeit der Waren beim Händler durch
rechtzeitigen Verkauf zu verhindern sowie in vergleichbar
schwerwiegenden
Fällen.
Werden
Lebensmittel
an
gemeinnützige Einrichtungen zur Verwendung im Rahmen ihrer
Aufgaben abgegeben, liegt keine unbillige Behinderung vor.
§ 20 Abs. 4 GWB
I. Allgemeines
•
Normadressaten des § 20 Abs. 4 GWB sind (nur)
Unternehmen, die gegenüber ihren kleinen und mittleren
Wettbewerbern marktmächtig
• entscheidend ist der relative (horizontale) Vergleich
zwischen den betroffenen Unternehmen
•
Unbillige Behinderung
• entsprechend § 20 Abs. 1 GWB
• Beweiserleichterung nach § 20 Abs. 5 GWB
§ 20 Abs. 4 GWB
§ 20 Abs. 5 GWB
Ergibt sich auf Grund bestimmter Tatsachen nach allgemeiner
Erfahrung der Anschein, dass ein Unternehmen seine
Marktmacht im Sinne des Absatzes 4 ausgenutzt hat, so obliegt
es diesem Unternehmen, den Anschein zu widerlegen und
solche anspruchsbegründenden Umstände aus seinem
Geschäftsbereich aufzuklären, deren Aufklärung dem
betroffenen Wettbewerber oder einem Verband nach § 33 Abs.
2 nicht möglich, dem in Anspruch genommenen Unternehmen
aber leicht möglich und zumutbar ist.
§ 20 Abs. 4 GWB
II. Untereinstandspreisverkäufe als
Regelbeispiel der unbilligen Behinderung
§ 20 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 und 2 GWB
Eine unbillige Behinderung im Sinne des Satzes 1 liegt
insbesondere vor, wenn ein Unternehmen
1. Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuches unter Einstandspreis oder
2. andere Waren oder gewerbliche Leistungen nicht nur
gelegentlich unter Einstandspreis […]
anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt.
§ 20 Abs. 4 GWB
•
Der Einstandspreis entspricht im Grundsatz dem tatsächlich
an den Hersteller gezahlten Preis nach Abzug aller Rabatte
und sonstiger Vergünstigungen
•
„nicht nur gelegentlicher“ Verkauf unter Einstandspreis
• nur bei § 20 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 GWB
• Unterscheidung zwischen systematischem Vorgehen und
Einzelaktionen
• BKartA : 3 Wochen auf demselben räumlichen Markt
•
Das Vorliegen einer Verdrängungsabsicht ist ebenso
entbehrlich wie eine Eignung zur Beeinträchtigung des
Wettbewerbs auf dem betroffenen Markt
§ 20 Abs. 4 GWB
•
Sachliche Rechtfertigung
• Beweislast beim marktmächtigen Unternehmen
• Interessenabwägung entsprechend § 20 Abs. 1 GWB
• Nach § 20 Abs. 4 S. 3 GWB bei Verderb und drohender
Unverkäuflichkeit von Lebensmitteln
§ 20 Abs. 4 Satz 3 GWB
Das Anbieten von Lebensmitteln unter Einstandspreis ist sachlich
gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, den Verderb oder die
drohende Unverkäuflichkeit der Waren beim Händler durch
rechtzeitigen Verkauf zu verhindern sowie in vergleichbar
schwerwiegenden Fällen.
§ 20 Abs. 4 GWB
III. Die Kosten-Preis-Schere als Regelbeispiel
der unbilligen Behinderung
§ 20 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 GWB
Eine unbillige Behinderung im Sinne des Satzes 1 liegt
insbesondere vor, wenn ein Unternehmen […]
3. von kleinen oder mittleren Unternehmen, mit denen es auf
dem nachgelagerten Markt beim Vertrieb von Waren oder
gewerblichen Leistungen im Wettbewerb steht, für deren
Lieferung einen höheren Preis fordert, als es selbst auf diesem
Markt
anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt.
§ 20 Abs. 6 GWB
Wirtschaftsund
Berufsvereinigungen
sowie
Gütezeichengemeinschaften dürfen die Aufnahme eines
Unternehmens nicht ablehnen, wenn die Ablehnung eine
sachlich nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung darstellen
und zu einer unbilligen Benachteiligung des Unternehmens im
Wettbewerb führen würde.
Deutsches und Europäisches Kartellrecht II – Vorlesung vom 31. Mai 2011
Reading Assignments
•
Kling/Thomas, Kartellrecht
•
•
•
§ 18 Rn. 82-119, 124-152, 175-206
§ 14 Rn. 25-28
§ 5 Rn. 90-91
Deutsches und Europäisches Kartellrecht II – Vorlesung vom 31. Mai 2011
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
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