Elemente der Geometrie - Fachgruppe Didaktik der Mathematik

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Universität Paderborn
Lehrämter an Grundschulen sowie an
Haupt- und Realschulen und den entsprechenden
Jahrgangsstufen der Gesamtschulen
Elemente der
Geometrie
Skript zur Veranstaltung
Peter Bender
WS 2012/13
Dieses Skript und viele Abbildungen wurden von Hans-Dieter Rinkens entwickelt sowie von Peter Bender wesentlich neu bearbeitet und weiter entwickelt.
Internet-Adresse: math-www.upb.de/~bender
1
0.
Einleitung
I.
Fundamentale Eigenschaften ebener Figuren
I.1. Grundsätzliches zu Geraden und Strecken
I.2 Winkel
I.3. Kongruenz und Kongruenzabbildungen
I.4. Dreieck und Kreis
I.5. Dreieck und Geraden
I.6 Ortslinien
I.7 Strahlensätze und Ähnliches
I.8 Der Pythagoras-Satz und sein Umfeld
6
10
14
22
34
46
54
71
Abbildungen ebener Figuren
II.1. Grundsätzliches zu Abbildungen
II.2. Zentrische Streckungen
II.3. Kongruenzabbildungen
82
83
87
II.
III. Symmetrie
III.1. Symmetrien und Gruppen
III.2. Regelmäßige Vielecke und ihre Symmetriegruppen
III.3. Bandornamente und ihre Symmetriegruppen
III.4. Reguläre Körper und ihre Symmetriegruppen
(der letzte Abschnitt ist nicht im Skript enthalten)
2
6
82
99
99
101
103
2
0. Einleitung
Leitlinien des Geometrie-Unterrichts
Allgemeine Lernziele
Entdecken
Ordnen
von Zusammenhängen
Begründen
Problemlösen durch
Symmetrien Eigenschaften von Figuren/Körpern
Passung Messen von Längen|Winkeln/Flächen...
Raumlage Koordinaten ...
Fundamentale Ideen
Modellbildung
Algorithmisierung
Umgangssprache
Beschreiben durch Fachsprache
Formalisierung
Karopapier/Geodreieck/Zirkel
Konstruieren mit Zirkel und Lineal
Computer
Berechnen
(Algebra)
(TR/Computer)
Fundamentale Aktivitäten
Das Bild soll eine Orientierungshilfe für die Auswahl und Akzentuierung der Lerninhalte im Geometrieunterricht der gesamten Schulzeit sein. (Weiteres hierzu in den
Veranstaltungen zur Didaktik der Geometrie bzw. zur Didaktik der Linearen Algebra.)
Es kann auch eine Orientierungshilfe für die Veranstaltung "Elemente der Geometrie"
sein, die die fachlichen Grundlagen für diese Auswahl und Akzentuierung sichern
soll. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stehen
•
•
•
•
die Untersuchung der Formen unseres Anschauungsraums,
das Finden von konstruktiven Problemlösungen, insbesondere von Beweisen,
die Darstellung der dabei benutzten Methoden,
die Ausbildung gewisser Denkweisen.
3
Ein erstes Beispiel: Der Fünfeckstern mit
Umrahmung und ...
• Die Figur sieht sehr regelmäßig aus. —
Was heißt "regelmäßig"? Z.B. dass Strecken
gleich lang, Winkel gleich groß sind und folglich aufeinander passen; oder dass es Spiegel- und Drehsymmetrien gibt.
• Offensichtlich sind einige Winkel gleich
groß. — Was heißt hier "offensichtlich"? Woher wissen wir, dass sie gleich groß sind —
auch ohne sie zu messen? Wie viele verschieden große Winkel gibt es? Gibt es einen
Zusammenhang zwischen ihnen?
0.0.01
• Offensichtlich sind einige Strecken gleich lang. — Was heißt hier "offensichtlich"? Woher wissen wir, dass sie gleich lang sind — auch ohne sie zu messen? Wie
viele verschieden lange Strecken gibt es? Gibt es einen Zusammenhang zwischen
ihnen?
• Wie konstruiert man eine solche Figur? Womit? Welches Wissen über die Figur
brauchen wir dazu?
• Wie bauen wir das Wissen über diese Figur auf? — Wir können messen — mit
der allfälligen Mess-Ungenauigkeit. Oder wir können eine Eigenschaft der Figur aus
anderen Eigenschaften schließen. — Was folgt woraus? Wir müssen die verschiedenen Eigenschaften bzw. Aussagen lokal ordnen.
• Die Begründung erfolgt in der Umgangssprache. Wir gehen davon aus, dass
uns gewisse Begriffe (wie z.B. der Winkelbegriff) und die damit verbundenen Grundvorstellungen (z.B. das Winkelfeld, der Richtungsunterschied, die Richtungsänderung) vertraut sind. Wir thematisieren hier weder, wie man diese Grundvorstellungen
erwerben kann, noch wie man sie mit Hilfe anderer anschaulich evidenter Begriffe
(etwa den Winkel als geordnetes Paar von Halbgeraden) "definieren" kann (das geschieht in der Veranstaltung "Didaktik der Geometrie"). Doch manchmal ist es sinnvoll, das begriffliche Instrumentarium zu schärfen. Dann führen wir Fachtermini ein
(wie z. B. "Wechselwinkel" oder "Umfangswinkel" o.ä.) oder regeln sogar die Sprache
durch Formalisierung.
4
Ein erstes Problem ... mit vielen Problemen ...
In ein von zwei geraden Linien begrenztes Feld ("Kanal") soll ein möglichst großes
Objekt ("Werkstück") eingepasst werden. Die Stelle A im Innern des Kanals soll am
Rand des Werkstücks liegen. Das Werkstück soll folgende Form haben:
(K) Kreis
(Q) Quadrat
A•
(D) gleichseitiges Dreieck
Bei (Q) und (D) soll die Stelle A
(i) Eckpunkt sein,
(ii) auf dem Rand liegen.
0.0.02
Was ist eine Lösung des Problems?
Wenn man ein Verfahren angeben kann, auf Grund dessen man
•
•
zu jeder möglichen Stelle A
bei jeder möglichen geradlinigen Begrenzung des Kanals
begründet entscheiden kann,
•
•
ob es ein, kein oder mehrere Werkstücke der geforderten Art gibt und
wie man es bzw. sie mitsamt den Berührpunkten an den Rändern des Kanals
konstruieren kann.
Zur Lösung gehören also
•
•
•
eine Konstruktion,
eine Konstruktionsbeschreibung,
eine Begründung (Beweis der Richtigkeit der Konstruktion).
5
Welchen Weg wir in dieser Veranstaltung nicht gehen:
Keine axiomatische Geometrie
Im Laufe der vielen Jahrhunderte, in denen sich die Menschen mit der Sprache der
Formen, der Geometrie, auseinandergesetzt haben, kristallisierten sich gewisse Begriffe und Aussagen als besonders wichtig heraus, weil sie sich als unabhängig von
speziellen Figuren erwiesen und in vielen Begründungszusammenhängen auftauchten. Das Untersuchungsfeld, das man hinsichtlich seiner logischen Abhängigkeit ordnete, wurde immer größer. Um einen "regressus ad infinitum", ein Rückwärtsgehen
ohne aufzuhören, zu vermeiden, muss man gewisse Aussagen als "nicht zu beweisen", als Grundannahmen an den Anfang der Ordnung setzen: Axiome. Das Gleiche
gilt für gewisse Begriffe, die nicht mehr durch andere zu erläutern, zu "definieren"
sind: Grundbegriffe. Darin steckt eine gewisse Willkür, die auch im Laufe der Geschichte zu verschiedenen Geometrien geführt hat.
Aus dem Ziel, eine globale Ordnung zu schaffen, ergibt sich ein axiomatischer Aufbau der Geometrie: Mit Hilfe von Grundbegriffen und Axiomen werden weitere Begriffe definiert und Aussagen bzw. Sätze bewiesen. Dieses Vorgehen bezeichnet
man als deduktiv.
Als historische Eckdaten und Persönlichkeiten sind zu nennen: Euklid (von Alexandrien) schrieb um 300 v.Chr. das wohl erfolgreichste Lehrbuch der Geschichte, die
"Elemente". David Hilbert, ein Göttinger Mathematiker, veröffentlichte 1899 eine
vollständig axiomatisierte Theorie der klassischen Geometrie in seinem Buch
"Grundlagen der Geometrie".
Ein Aussagengebäude global zu ordnen, eine Theorie zu axiomatisieren, ist ein sehr
schwieriges Geschäft. Das Fertigprodukt, eine axiomatische Theorie, zu präsentieren
lässt davon nur wenig ahnen. Deshalb ist das nicht unser Weg.
Welchen Weg wir in dieser Veranstaltung auch nicht gehen:
Keine Analytische Geometrie
Geometrische Sachverhalte lassen sich mit Hilfe von Koordinaten durch arithmetische Ausdrücke beschreiben: Analytische Geometrie. Historisches Eckdatum ist das
Jahr 1637, in dem der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes
(latinisiert: Cartesius) sein Buch "Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences" ("Abhandlung über den Weg, seinen
Verstand zu leiten und die Wahrheit in den (Natur-) Wissenschaften zu finden") mit
einem 100-seitigen Teil "La géometrie" veröffentlichte. Dieser Weg ist einer der Zugänge zur Veranstaltung "Lineare Algebra".
6
I. Fundamentale Eigenschaften ebener Figuren
I.1. Grundsätzliches zu Geraden und Strecken
Punkte und Geraden
Die Grundgebilde, mit denen wir uns beschäftigen, sind Punkte und Geraden in der
Ebene oder — nicht in diesem Durchgang — im Raum. Wir können Punkte und Geraden als eigenständige Gebilde auffassen, die durch die Lagebeziehungen "(Punkt)
liegt auf (Gerade)" bzw. "(Gerade) geht durch
(Punkt)" und "(Geraden) schneiden sich in
(Punkt)" miteinander verknüpft sind.
Statt der Umgangssprache können wir die formalisierte Sprache der Mengenlehre zu Hilfe
nehmen und die Geraden als Mengen von
Punkten auffassen. "Der Punkt P liegt auf der
Geraden g " bzw. " g geht durch P " wird
dann kurz geschrieben " P∈g ". "Die Geraden
g und h schneiden sich im Punkt P " lautet
kurz " g∩h = {P} ".
Für die Lagebeziehungen gelten dabei
die folgenden Grundaussagen sowohl in der Ebene wie im Raum:
•
•
Durch einen Punkt gehen unendlich viele Geraden.
Durch zwei (verschiedene)
Punkte geht genau eine Gerade.
I.1.02
I.1.01
7
Parallelität
Die Parallelität ist eine Lagebeziehung zwischen
zwei Geraden. Nur in der Ebene gilt:
•
Zwei Geraden in der Ebene schneiden
sich entweder in genau einem Punkt,
oder sie sind parallel.
I.1.03
Dies ist sozusagen die elementare Definition
von Parallelität in der Ebene. Im Raum gibt es
für zwei (verschiedene) Geraden, die sich
nicht schneiden, eine weitere Möglichkeit:
Wenn sie nicht in einer Ebene liegen, nennt
man sie windschief.
Für die Wissenschaftsgeschichte der Geometrie von besonderer Bedeutung ist die folgende, selbstverständlich erscheinende Aussage,
das sog. Parallelenaxiom:
•
I.1.04
Zu einer beliebigen Geraden g und einem beliebigen Punkt P gibt es genau eine Gerade durch P , die parallel zu g ist.
Der Versuch, diese Aussage aus anderen Grundaussagen (Axiomen) zu beweisen,
führte in der Geschichte dazu, Geometrien zu ersinnen, in denen die anderen Axiome gelten, das Parallelenaxiom aber nicht.
Das war die Geburtsstunde der nicht-euklidischen Geometrien.
Wenn P auf g liegt, dann handelt es sich bei der Parallelen um g selbst. Insbesondere gilt "natürlich":
•
Jede Gerade ist parallel zu sich selbst.
8
Strecken und Längen
Eine Strecke AB ist ein durch zwei Punkte A und B begrenztes Geradenstück
bzw. (in der Mengensprache) die Menge aller Punkte, die auf der Geraden zwischen
A und B liegen; man braucht hier also noch eine Lagebeziehung, diesmal von drei
Punkten, die auf einer Geraden liegen: "(Punkt) liegt zwischen (zwei Punkten)".
Mit dem Begriff "Strecke" ist auch immer die Vorstellung der Länge AB
 verknüpft.
Zur Geometrie kommt nun auch die Zahl, die Arithmetik ins Spiel.
Wenn die Punkte A , B , C , D in dieser Reihenfolge auf einer Geraden liegen, dann sagen
wir "die Strecke AC ist länger als die Strecke
AB und kürzer als die Strecke AD " und
schreiben: AC
>
AB
 und AC
<
AD
.
I.1.05
Insbesondere folgt aus AC=AD , wenn C und D auf derselben Seite von A
liegen, dass C und D denselben Punkt markieren, also C=D ist; — und das werden wir bei Beweisen schon einmal ausnutzen, um zu zeigen, dass zwei Punkte tatsächlich zusammen fallen, d.h. dass es sich nur um einen einzigen Punkt handelt.
Um den Abstand zweier Punkte A und B zu bestimmen, muss man die Länge
der Strecke AB angeben. Für diese Länge gilt:
•
Die Strecke AB ist die kürzeste Verbindung zweier Punkte A und B .
I.W. bedeutet dies: Wenn C ein beliebiger dritter Punkt ist, dann gilt stets:
•
AB
≤AC
+
CB
;
die Gleichheit gilt genau dann,
wenn C zwischen A und B liegt.
Dieselbe Ungleichung, noch einmal anI.1.06
ders gesehen: Wir betrachten die drei
Punkte als Eckpunkte eines Dreiecks; dann liest sich die Ungleichung so:
•
In einem Dreieck ist eine Seite immer kürzer als die beiden anderen Seiten
zusammen, im degenerierten Sonderfall höchstens genau so lang.
Man nennt diese Ungleichung daher auch die Dreiecksungleichung.
9
Messen heißt Vergleichen
Um den Abstand zweier Punkte A und B zu bestimmen, muss man die Länge der
Strecke AB messen. Messen heißt: Mit der Länge einer Einheitsstrecke vergleichen, möglichst so, dass für die Länge zweier Strecken AB und AC jeweils ein
Vielfaches der Einheitslänge, zum Beispiel das m-Fache und das n-Fache herauskommt; dann kann man sagen, dass sich die beiden Strecken wie die beiden Zahlen
m und n zueinander verhalten bzw. dass AC das n/m-Fache von AB beträgt.
Pythagoras (um 570 – 495 v.Chr.) träumte davon, dass alles
in der Welt sich mit Hilfe der natürlichen Zahlen und ihrer
Verhältnisse — wir sagen heute den (positiven) rationalen
Zahlen — messen lassen könne.
Es war ein Schock für die
Pythagoräer, als sie entdeckten, dass das nicht
geht: Sie betrachteten im
Fünfeckstern die Entfernungen von einer festen
Spitze zu den übrigen Spitzen; es gibt zwei verschiedene Längen. Und beim Versuch, für beide
ein gemeinsames Maß, eine Einheitslänge, zu finden, kamen sie zu dem grundsätzlichen Schluss:
Eine solche kann es nicht geben.
I.1.07
Ein anderes Beispiel für denselben Schluss liefern die Seitenlänge und Länge der
Diagonale eines Quadrats: Sie sind "inkommensurabel", was nichts anderes heißt
als: Sie haben kein gemeinsames Maß.
Man braucht zum Messen mehr als nur die natürlichen Zahlen; auch die Brüche helfen nicht viel weiter. Man braucht zusätzlich die irrationalen Zahlen, also insgesamt
die (nicht-negativen) reellen Zahlen. Beim Beweis des Strahlensatzes werden wir
das merken.
10
I.2. Winkel
Wenn zwei Geraden sich in einem Punkt schneiden, entstehen vier Halbgeraden,
auch Strahlen genannt, und vier Winkel.
Ein Winkel ist bestimmt durch zwei Halbgeraden (Schenkel), die von einem Punkt
(Scheitel) ausgehen. Eigentlich muss man begrifflich das geometrische Objekt
'Winkel' (Winkelfeld; Teilmenge der Ebene) und das arithmetische Objekt 'Winkelmaß' (Grad; Zahl) unterscheiden. Wir werden für 'Winkelmaß' hin und wieder
auch 'Winkel' sagen und insbesondere durchweg dieselben (griechischen) Buchstaben verwenden. Zwei Grundvorstellungen sind mit dem Winkelbegriff verbunden:
Aus einer statischen Sichtweise heraus ist er ein Winkelfeld, das Gebiet zwischen
den beiden Halbgeraden, und das Winkelmaß ist der Unterschied zwischen zwei
Richtungen, repräsentiert durch die beiden
Halbgeraden, die vom Scheitel ausgehen.
Beweglich gesehen, ist er die Fläche, die
bei einer Richtungsänderung, einer Drehung (u.U., z.T., mehrfach) überstrichen
wird, die die Richtung des ersten ("festen")
Schenkels in die des zweiten ("freien")
Schenkels überführt. Damit ist gleichzeitig
eine Orientierung verbunden: Bei einer
Drehung entgegengesetzt zum Uhrzeigersinn nimmt man das Winkelmaß positiv, bei einer Drehung im Uhrzeigersinn
negativ.
I.2.01 Z
Wenn zwei Geraden sich in einem Punkt
schneiden, entstehen vier Winkel; die gegenüberliegenden heißen Scheitelwinkel,
die benachbarten heißen Nebenwinkel.
Scheitelwinkel sind gleich groß.
Nebenwinkel ergänzen sich zu 180°.
I.2.02 Z
Zur Geschichte des Winkelmaßes
Unser Winkelmaß von 90° für den rechten Winkel
stammt noch von den (Babylonierinnen &) Babyloniern
(ab 3. Jahrtausend v. Chr.). Sie betrachteten den Winkel
im vollkommensten aller Dreiecke, dem mit drei
gleich großen Winkeln, als Einheitswinkel. Da ihr Zahlensystem ein Sechziger-System war, wählten sie als
nächst kleinere Einheit (Grad) ein Sechzigstel dieses
Einheitswinkels. Das passte wunderbar dazu, dass
I.2.03
sechs dieser Einheitswinkel zusammen einen Kreis, also 360° ergeben, wo doch auch ihr Jahreskreis 360 Tage hatte.
11
Nach der Französischen Revolution, ganz im Zeichen der Aufklärung, versuchte
man, den rechten Winkel zum Maß aller Dinge zu machen und als nächst kleinere
Einheit (Neugrad) in Anbetracht unseres Dezimalsystems ein Hundertstel des neuen
Einheitswinkels zu wählen; ein rechter Winkel hat also 100 Neugrad, ein Vollwinkel
400 Neugrad.
... Nicht alles Neue setzt sich durch.
Winkelbezeichnungen
I.2.04
Wie sieht der Nullwinkel aus? — Wie muss man den Winkelbegriff modifizieren, damit es überhaupt überstumpfe Winkel und den Vollwinkel gibt? — Woher weiß man
jeweils, welches der beiden Winkelfelder gemeint ist?
Schneiden sich zwei Geraden unter vier gleich großen Winkeln oder — was Dasselbe ist — sind die Nebenwinkel gleich groß, dann stehen die Geraden senkrecht aufeinander; man sagt auch: sie sind orthogonal. Die Winkel heißen dann rechte Winkel.
Zu einer Geraden g und einem beliebigen Punkt A kann man immer genau eine Senkrechte zu g zeichnen, die
durch A geht. (was heißt "genau eine"?)
Die Senkrechte nennt man auch Lot (-gerade)
von A auf g , und den Schnittpunkt F der
Senkrechten mit g nennt man den Lotfußpunkt.
Liegt statt einer Geraden eine Strecke vor und
geht das Lot durch deren Mittelpunkt, dann nennt
man dieses Lot Mittelsenkrechte.
I.2.05
12
Zusammenhang zwischen Orthogonalität und Parallelität
Zwischen Orthogonalität und Parallelität gibt es den Zusammenhang:
Zwei Geraden, die auf einer dritten senkrecht stehen, sind parallel zueinander.
Damit haben wir eine zweite Grundvorstellung von Parallelität, die gegenüber der
ersten ("keinen Schnittpunkt haben") den Vorteil hat, dass sie anschaulicher ist und
nicht so negativ klingt.
Zusammenhang zwischen Parallelität und Winkeln
Diese zweite Grundvorstellung von Parallelität lässt sich noch verallgemeinern und
führt zu einem wichtigen Zusammenhang
zwischen Parallelität und Winkeln.
Werden zwei Parallelen von einer
dritten Geraden geschnitten, so gilt:
Stufenwinkel sind gleich groß.
Wechselwinkel sind gleich groß.
(Es fällt auf, dass wir die suggestiven Begriffe Stufenwinkel und Wechselwinkel nicht
definiert haben, bevor wir sie in Gebrauch
genommen haben. — Der Grund ist, dass
die Erklärung recht umständlich und damit
unverständlich würde. Im Rahmen eines
streng deduktiven Aufbaus dürfte das natürlich kein Grund für das Versäumnis sein.)
I.2.06 Z
In beiden Aussagen wird von Parallelität
auf Winkelmaßgleichheit geschlossen.
Auch die Umkehrung der beiden Aussagen
ist richtig. Formuliere sie!
I.2.07 Z
Die Umkehrung wird benutzt, um von Winkelmaßgleichheit auf Parallelität zu
schließen. Wenn man also, ausgehend von einer Geraden, zwei verschiedene Geraden an dieser mit gleich großen Stufen- oder gleich großen Wechselwinkeln abträgt, sind diese beiden Geraden automatisch parallel, d.h. sie schneiden sich nicht.
13
Winkelsätze im Dreieck
Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen den Winkeln an Parallelen und den
Winkeln im Dreieck:
Verlängere die Seite AB über B
hinaus, und zeichne die Parallele
zu AC durch B . Nun sollen die
Seite AB und der Winkel
fest
bleiben und der Punkt C auf
dem Schenkel von
, der A
gegenüber liegt, bewegt werden.
Beobachte dabei die drei Winkel
an B einerseits und die drei
I.2.08 Z
Dreieckswinkel bei A , B und C
andererseits. (nach Arnheim 1969)
Winkelmaßsummensatz:
Die Winkelmaßsumme im Dreieck beträgt 180° .
Beweis: Verlängere die Seite c über B hinaus: Schenkel s ; zeichne Parallele zu
b durch B: Schenkel t . Es entstehen die Winkel * zwischen s und t sowie *
zwischen t und a . Es gilt:
= * (Stufenwinkel an Parallelen),
= * (Wechselwinkel an Parallelen),
*+ *+ =180° (gestreckter Winkel in B ).
Also: + + =180° .
Im Dreieck kann es also höchstens einen Winkel 90° geben. Hat es einen stumpfen Winkel, nennt man es stumpfwinklig; hat es einen rechten Winkel, nennt man
es rechtwinklig (obwohl es immer zwei spitze Winkel hat); sind alle drei Winkel
spitz, heißt es spitzwinklig.
Ein Außenwinkel ist der Winkel, den
eine Dreieckseite mit der Verlängerung einer benachbarten Dreieckseite
im Äußeren des Dreiecks bildet. Wie
viele Außenwinkel gibt es an einer
Ecke?
Außenwinkelsatz:
Im Dreieck ist jeder AußenwinI.2.09 Z
kel so groß wie die beiden nicht
anliegenden Innenwinkel zusammen.
Außenwinkelmaßsummensatz:
Im Dreieck beträgt die Summe von drei Außenwinkeln an drei Ecken 360° .
Wie steht es mit der Verallgemeinerung der Begriffe "Innenwinkel" und "Außenwinkel" sowie des Winkelmaßsummensatzes auf Vierecke, Fünfecke, ..., n-Ecke?
14
I.3. Kongruenz und Kongruenzabbildungen
Kongruenzsätze
Zwei gleich lange Strecken nennt man auch kongruent (deckungsgleich), ebenso
zwei gleich große Winkel.
Einen intuitiven Begriff von Kongruenz von zwei Figuren (Punktmengen; z.B. Dreiecke, 17-Ecke, Kreise, Ellipsen usw.) könnte man so fassen: Sie heißen kongruent,
wenn man sämtlichen Punkten der einen Figur (Ecken, Randpunkten, inneren Punkten) die Punkte der anderen Figur so zuordnen kann, dass dabei entsprechende
Streckenlängen, Winkelmaße, Flächeninhalte usw. erhalten bleiben, kurz: ... die beiden Figuren deckungsgleich sind. — Nun ist eine effektive (oder nur gedankliche)
Prüfung dieser (unendlich vielen) Erhaltungen ein Ding der Unmöglichkeit. Deswegen reduziert man die Klasse der Figuren auf Dreiecke und dort auf die Erhaltung
von sechs "Stücken". Man weiß dann: wenn zwei Dreiecke in diesen sechs entsprechenden "Stücken" übereinstimmen (wenn die entsprechenden kongruent sind),
dann stimmen sie auch in allen anderen entsprechenden "Stücken" überein.
Die Seitenlängen des Dreiecks hängen zusammen über die Dreiecksungleichung,
die Winkelmaße des Dreiecks hängen zusammen über die Winkelmaßsummengleichung. Beziehungen zwischen Strecken(längen) und Winkel(maße)n werden über
die Kongruenzsätze hergestellt:
Zwei Dreiecke heißen kongruent, wenn sie in
allen drei Seiten(längen) und allen drei Winkel
(maße)n entsprechend übereinstimmen. (D.h.,
man kann den drei Ecken des einen Dreiecks so
die drei Ecken des anderen Dreiecks zuordnen,
dass die entsprechenden Seiten gleich lang,
d.h. kongruent, und die entsprechenden Winkel
gleich groß, d.h. kongruent, sind.)
Kongruenzsätze
I.3.01
Zwei Dreiecke sind insgesamt kongruent, wenn bei ihnen nur folgende sich
gegenseitig entsprechende Stücke kongruent, d.h. gleich groß sind:
alle drei Seiten oder
zwei Seiten und der eingeschlossene Winkel oder
eine Seite und die beiden anliegenden Winkel oder
eine Seite und überhaupt zwei entsprechend liegende Winkel oder
zwei Seiten und der Winkel, der der größeren Seite gegenüber liegt
SSS
SWS
WSW
SWW
SSWgr
15
Liegt (bei SSW) der Winkel nicht der größeren
Seite gegenüber, dann müssen zwei Dreiecke
nicht kongruent sein, auch wenn sie in SSW
übereinstimmen. Vielmehr gibt es zwei Kongruenztypen (s. I.3.02).
Stimmen zwei Dreiecke in den drei Winkelmaßen überein (WWW), dann müssen sie nicht
kongruent sein. (Wieso ist dies plausibel?)
Man kann die Kongruenzsätze auch so auffassen:
I.3.02 Z
Wenn zwei Menschen mit drei gegebenen
"Stücken" jeder ein Dreieck konstruiert, so
werden die beiden Dreiecke kongruent sein,
d.h. automatisch in allen sechs "Stücken" entsprechend übereinstimmen, jedenfalls wenn
es drei "Stücke" gemäß einem der o.a. Kongruenzsätze sind.
... jedoch i.A. nicht, wenn drei Winkelmaße gegeben sind, oder (statistisch) in der Hälfte der
Fälle, wenn SSW gegeben ist und der Winkel
nicht der größeren Seite gegenüber liegt.
I.3.03
Bei gewissen Vorgaben kann es sogar passieren, dass beide Menschen gar kein
Dreieck zustande bringen, nämlich ...?
Seiten-Winkel-Korrespondenz im Dreieck
Als Grundlage für zahlreiche Sachverhalte, mit denen wir uns noch befassen werden,
benötigen wir folgenden scheinbar unauffälligen und plausiblen Satz, der eigentlich
noch bewiesen werden müsste, den wir aber nicht beweisen werden. Er flankiert die
Kongruenzsätze inhaltlich:
Satz von der Seiten-Winkel-Korrespondenz im Dreieck:
In jedem Dreieck liegt der größeren von zwei Seiten der größere Winkel
sowie dem größeren von zwei Winkeln die größere Seite gegenüber.
Für die Anwendung des Kongruenzsatzes SSWgr ergibt sich daraus noch folgende
Vereinfachung: Wenn man weiß, dass der fragliche Winkel recht oder stumpf, d.h.
90° ist, ist die Voraussetzung dieses Kongruenzsatzes automatisch erfüllt und
braucht nicht mehr verifiziert zu werden. Dieser Winkel ist nämlich der größte im
Dreieck und liegt damit ohne Weiteres der größten Seite gegenüber.
16
Mit Hilfe der Seiten-Winkel-Korrespondenz lässt sich beweisen:
Zu jeder Geraden g und
jedem Punkt A mit Lotfußpunkt F auf g ist die
Strecke AF die kürzeste
Verbindung zwischen A
und g .
Ihre Länge nennt man den
Abstand von A zu g .
Fast von selbst ergibt sich noch
folgender allgemeinerer Satz:
Je weiter B auf g von F
entfernt ist, umso länger
ist die Strecke AB .
I.3.04 Z
Nun ergibt sich eine dritte Grundvorstellung für den Begriff der Parallelität:
Parallele Geraden haben überall den gleichen Abstand.
Das ist eine Eigenschaft, die wegen des "Überall" zum Nachweis von Parallelität
nicht so praktisch, als Folgerung aus der Parallelität aber sehr nützlich ist. (Wie stellt
man eigentlich den Abstand zwischen zwei — parallelen — Geraden fest?)
Das gleichschenklige Dreieck
Wenn nun in einem Dreieck zwei Seiten
gleich lang sind, dann müssen auch ihre
gegenüberliegenden Winkel gleich groß
sein, denn wäre einer dieser beiden Winkel
größer als der andere, dann müsste auch
seine gegenüberliegende Seite größer als
die andere sein. Mit dem entsprechenden
Argument folgt auch: Sind zwei Winkel
gleich groß, dann sind auch ihre gegenüberliegenden Seiten gleich lang.
I.3.05
Ein Dreieck mit zwei gleich langen Seiten heißt gleichschenklig; die beiden gleich
langen Seiten heißen Schenkel, die dritte Basis. Die beiden Winkel, die an der Basis anliegen, heißen Basiswinkel, der dritte heißt Winkel an der Spitze.
Wenn ein Dreieck gleichschenklig ist (zwei Seiten gleich lang sind), dann
sind die Basiswinkel gleich groß.
Wenn in einem Dreieck zwei Winkel gleich groß sind, dann ist es gleichschenklig (sind zwei Seiten gleich lang).
17
Im gleichschenkligen Dreieck gilt folgender
Spezialfall des Außenwinkelsatzes:
Im gleichschenkligen Dreieck ist der
Außenwinkel an der Spitze doppelt
so groß wie jeder der beiden Basiswinkel.
Dieser Satz wird später u.a. in der Form wie
in Abb. I.3.06 genutzt.
Wir nehmen noch einmal Abb. I.3.04 zum
Abstand eines Punktes A zu den Punkten
einer Geraden g auf: Lassen wir beim
Dreieck AMX die Ecke M von X weg
laufen, wird der Außenwinkel in M größer.
Er wird gerade dann genau doppelt so groß
wie der Innenwinkel in X , wenn die beiden
Seiten AM und XM gleich lang sind.
I.3.06 Z
Geometrische Abbildungen
Wenn man in der Ebene zwei kongruente
Figuren vor sich hat, z.B. zwei kongruente
Dreiecke, dann hat man den Eindruck, dass
man sie in folgendem Sinn zur Deckung
I.3.07 Z
bringen kann: Man schneidet ein Stück
Pappe aus, das genau das eine Dreieck
abdeckt, und legt es dann auf das andere
Dreieck, so dass es dieses genau abdeckt.
Die Bewegung des Stücks Pappe kann
man zwar völlig willkürlich vornehmen,
eventuell sogar zwischendurch aus der
Ebene heraus, eventuell mit mehrmaligem
Umklappen. Man kann sich aber auch vorstellen, dass man das Stück Pappe auf eine
"kanonische" Art bewegt, in der Zeichnung
z.B. von I nach II mittels einer Verschiebung entlang dem eingezeichneten Pfeil,
oder von I nach III mittels einer Drehung
um den Drehpunkt Z um 90° . Obwohl I
und IV auch kongruent sind, kann man
I.3.08 Z
das Stück Pappe, das genau auf I passt,
in der Ebene drehen, wie man will; man kriegt es nicht passend auf IV , sondern
muss es (aus der Ebene heraus) wenden. Solche Bewegungsvorstellungen geben
Anlass zu einer kraftvollen geometrischen Begriffsbildung, bei der man diese intuitiven Vorstellungen aber überwinden muss:
18
Geometrische Abbildungen: Jedem Punkt P der Ebene (jeweils der Urpunkt) wird
ein Punkt P' der Ebene (sein Bildpunkt) zugeordnet (wie bei Abbildungen von R in
R in der Sekundarstufe: jeder reellen Zahl wird eine reelle Zahl zugeordnet; durch
die Abbildung bzw. Funktion f(x)=x2 z.B. wird jeder reellen Zahl x die reelle Zahl x2
zugeordnet). In aller Deutlichkeit: Die Punkte werden zugeordnet; sie bewegen
sich nicht! — Da wir ja keine Analytische Geometrie betreiben und die Punkte keine
Koordinaten haben, mit denen wir die Abbildungsvorschrift angeben könnten, benötigen wir andere Mittel zur Festlegung der Zuordnung, z.B.
Verschiebung (Translation)
(entlang dem Verschiebungspfeil bzw. -vektor v ): Gegeben
ist ein Pfeil v . An jedem Punkt P
der Ebene wird nun ein dazu paralleler, gleich langer und gleich
orientierter Pfeil angesetzt. Die
Pfeilspitze ist dann jeweils der
Bildpunkt P' .
I.3.09 Z
"Offensichtlich" werden durch eine
Translation alle Strecken und Winkel in dazu kongruente abgebildet. Es werden
überhaupt alle geraden Linien in ebensolche abgebildet. Jedes Dreieck wird in ein
dazu kongruentes abgebildet. — Sprachregelung: Wenn bei einer Abbildung Längen,
Winkelmaße, Geradheit o.ä. erhalten bleiben, nennt man diese Abbildung längentreu, winkelmaßtreu, geradentreu usw.
Eine geometrische Abbildung, die, wie die Translationen, dieses leistet, nennt man
Kongruenzabbildung. Es genügt sogar zu fordern, dass sie längentreu ist. Man kann
nämlich beweisen, dass sich Winkelmaßtreue, Geradentreue, Flächeninhaltstreue
usw. aus der Längentreue automatisch ergeben. Also definiert man:
Eine geometrische Abbildung heißt Kongruenzabbildung, wenn sie längentreu ist.
Translationen sind also Kongruenzabbildungen. (Das müsste bewiesen werden,
ebenso bei den weiteren Typen. — Gibt es überhaupt weitere?)
(Geraden-, Achsen-) Spiegelung (an der Geraden bzw. Spiegelachse g ):
Gegeben ist eine Gerade g . Fälle von jedem Punkt P aus das Lot auf g , erhalte Lotfußpunkt P0 , verdopple die Strecke PP0 , und erhalte als Endpunkt
den Bildpunkt P' .
Geradenspiegelungen haben allerdings, anders
als Translationen, die Eigenart, dass sie den
Umlaufsinn (die Orientierung) verkehren: Marschiert man bei einem Dreieck von P über Q
nach R , so bewegt man sich entweder mit dem
oder gegen den Uhrzeigersinn (rechts oder links
herum); die entsprechende Bewegung im Bilddreieck hat dann genau den umgekehrten Umlaufsinn.
I.3.10 Z
19
Drehung (Rotation) (um das Drehbzw. Rotationszentrum Z um das
(orientierte) Dreh- bzw. Rotationswinkelmaß
zwischen -180° und
180° ): Gegeben ist ein Punkt Z . Für
jeden Punkt P zeichne Schenkel von
Z durch P , trage Winkel
ab, erhalte neuen Schenkel, trage auf diesem die Strecke ZP ab, und erhalte
P' . (In Abb. I.3.11 ist =60° ).
Bei Drehungen bleibt der Umlaufsinn erhalten, egal um welchen Winkel gedreht
wird, insbesondere auch bei einer 180°Drehung.
I.3.11 Z
Bei einer Drehung ist der von einer Geraden g und
ihre Bildgeraden h eingeschlossene Winkel so groß
wie der Drehwinkel. – Dies sieht man folgendermaßen
ein: Fälle das Lot vom Drehpunkt D auf g , und erhalte den Fußpunkt G (es wird sozusagen ein Griff
an der Geraden befestigt und dann mit ihr mit gedreht). Wegen der allgemeinen Eigenschaften von
Kongruenzabbildungen ist das Bild des Lots auf g
dann das Lot auf h mit Fußpunkt H (wegen der Erhaltung des rechten Winkels). Betrachte nun die Winkel in Abb. I.3.12.
I.3.12 Z
Außer den drei genannten Typen von Kongruenzabbildungen der Ebene gibt es einen weiteren Typ, die
Schubspiegelung (von der die Spiegelung ein Spezialfall ist). In Kap. II zeigen wir,
dass es darüber hinaus keine weiteren Typen mehr gibt. Z.B. ist die Punktspiegelung kein neuer Typ.
Punktspiegelung (am Zentrum Z ):
Gegeben ist ein Punkt Z . Für jeden
Punkt P zeichne Strecke von P nach
Z , verdopple die Strecke PZ , und erhalte als Endpunkt den Bildpunkt P'.
Die Punktspiegelung an Z ist nichts anderes als die Drehung an Z um 180° . In Abb.
I.3.13 kann man die Bildpunkte auch durch
eine Rotation um 180° erzeugen.
Hat man zwei kongruente Dreiecke, so findet
I.3.13 Z
man immer eine Kongruenzabbildung (der
ganzen Ebene auf sich), die das eine Dreieck auf das andere abbildet. Haben die
beiden Dreiecke bei der passenden Zuordnung der Ecken denselben Umlaufsinn,
gibt es eine Translation oder eine Rotation; haben sie verschiedenen Umlaufsinn,
20
dann gibt es eine Schubspiegelung, eventuell sogar eine Spiegelung, die das eine
auf das andere Dreieck abbildet.
Die triviale Abbildung, die jeden Punkt der Ebene auf sich selbst abbildet, also die
Identität, ist auch eine Kongruenzabbildung und wird deshalb hier mitgezählt. Man
kann sie als spezielle Translation (mit Verschiebungspfeil der Länge 0 ) und als
spezielle Rotation (um ein beliebiges Zentrum mit Drehwinkelmaß 0° ) auffassen.
Zwei Figuren, die durch eine Kongruenzabbildung aufeinander abgebildet werden,
müssen nicht verschieden sein. Z.B. kann der Fünfeckstern in Abb. 0.0.01 durch eine
Rotation um sein Zentrum Z um 72° auf sich selbst abgebildet werden; oder aber
auch durch eine Spiegelung an einer Geraden, die durch eine Ecke und den Mittelpunkt der gegenüberliegenden Seite geht. Natürlich wird jede Figur durch die Identität auf sich selbst abgebildet. Eine solche Figur (Punktmenge) ist dann Fixfigur (Fixmenge) unter der jeweiligen Abbildung.
Bei einer Achsenspiegelung ist z.B. jeder Punkt der Spiegelachse Fixpunkt, und jede Lotgerade zur Spiegelachse ist Fixmenge. Zwar sind alle Punkte auf einer solchen Lotgeraden (bis auf einen) von ihren Bildpunkten verschieden; die Gerade als
Menge wird aber insgesamt auf sich selbst abgebildet. Die Spiegelachse ist auch
Fixmenge; sie ist sogar Fixpunktmenge, weil jeder ihrer Punkte Fixpunkt ist.
Eine Translation (wenn sie von der Identität verschieden ist) hat keine Fixpunkte,
aber z.B. Fixgeraden in Translationsrichtung.
Ist eine Figur nicht nur bezüglich der Identität, sondern mindestens bezüglich einer
weiteren Abbildung Fixfigur, dann nennt man sie "symmetrisch" (bezüglich dieser
Abbildung). Der Fünfeckstern ist rotations- und achsensymmetrisch. Jedes
gleichschenklige Dreieck und jede Gerade ist achsensymmetrisch. Jedes Parallelogramm ist punktsymmetrisch mit
dem Diagonalenschnittpunkt als Zentrum, aber i.A. nicht achsensymmetrisch;
man könnte es auch als rotationssymmetrisch (mit einem Winkel von 180° )
bezeichnen. Der Fünfeckstern ist nicht
punkt-, aber rotationssymmetrisch.
I.3.14
Außer Kongruenzabbildungen gibt es noch andere, durchaus "ordentliche" geometrische Abbildungen, z.B.:
Zentrische Streckung (mit Zentrum Z und Streckfaktor k 0 ): Zeichne Gerade durch Z und P , ver- k -fache die Strecke ZP , und erhalte P' . Falls k<0,
wähle P' auf der anderen Seite von Z .
Unter einer zentrischen Streckung ist das Bilddreieck i.a. nicht kongruent zum Urdreieck, sondern alle Bildstrecken sind k -mal so lang wie die Urstrecken. Aber die
Bildwinkel sind alle kongruent zu den Urwinkeln. Geraden- und Winkelmaßtreue
müssten wieder bewiesen werden. — Geraden sind strecksymmetrisch (Streckung
mit Zentrum Z auf der Geraden und Faktor k 1 ). Für k =1 hat man sogar Kongruenzabbildungen, für k=-1 die Punktspiegelung, für k=1 die Identität.
21
I.3.15 Z
Zusammenfassung der verschiedenen "Treuen":
Treue?
AbstandsWinkelmaßGeradenParallelenKreisFlächeninhaltsUmlaufsinn-
Translation
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
Spiegelung
ja
ja
ja
ja
ja
ja
nein
Rotation
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
Zentrische Streckung
nur, falls k =1
ja
ja
ja
ja
nur, falls k =1
ja
Übersicht über die bis jetzt angesprochenen Abbildungstypen:
Alle sind winkelmaßtreu (und geradentreu)
orientierungserhaltend
Zentrische
Streckungen
180°
Rotationen
Id
Translationen
-verkehrend
Schubspiegelungen
Spiegelungen
Kongruenzabbildungen
22
I.4. Dreieck und Kreis
Mittelsenkrechte
Wir betrachten in der Ebene zwei Punkte A
und B und überlegen anschaulich: Wo befinden sich die Punkte X , die näher an A
liegen, wo die Punkte, die näher an B liegen, und wo die, die von A und B gleich
weit entfernt sind? — Es ist die Mittelsenkrechte der Strecke AB , die die Ebene in
die entsprechenden drei Bereiche zerlegt.
Begründen lässt sich das so: Wenn X auf
I.4.01 Z
der Mittelsenkrechten liegt, sind die beiden
Dreiecke AMX und BMX kongruent nach
dem Kongruenzsatz SWS . Das Dreieck ABX hat also zwei gleich lange Seiten AX
und BX und zwei gleich große Winkel in A und in B .
Wir bewegen nun X auf der Parallelen zur Seite AB nach links. Dann wird der
Winkel in A größer und der in B kleiner. Gemäß der Seiten-Winkel-Korrespondenz
im Dreieck ist dann BX länger als AX .
Nimmt man einmal nur die Mittelsenkrechte (und nicht die Halbebenen) in den Blick,
dann kann man formulieren:
•
•
Wenn X auf der Mittelsenkrechten liegt, dann gilt AX
=
BX
.
Wenn AX
=
BX
 gilt, dann liegt X auf der Mittelsenkrechten.
Die beiden Aussagen zusammengefasst:
•
X liegt auf der Mittelsenkrechten.
genau dann, wenn (gdw)
AX
=
BX
.
Daraus folgt direkt für das gleichschenklige
Dreieck (mit C statt X ):
•
•
In einem gleichschenkligen Dreieck geht
die Mittelsenkrechte der Basis durch die
Spitze des Dreiecks.
Geht in einem Dreieck die Mittelsenkrechte einer Seite durch die gegenüberliegende Ecke, dann ist das Dreieck gleichschenklig.
I.4.02 Z
Wenn die beiden Seiten AC und BC nicht gleich lang sind, dann
• geht die Mittelsenkrechte der Seite AB nicht durch C ,
• geht das Lot von C auf die Seite AB nicht durch deren Mittelpunkt M ,
• steht die Gerade durch C und M nicht senkrecht auf der Seite AB und
• ist diese Gerade nicht Winkelhalbierende in C .
23
Während die ersten drei Aussagen auf der Hand liegen, werden wir die vierte Aussage erst später (in I.5.) beweisen können. Sie besagt, dass wenn die beiden Winkel
ACM und BCM gleich groß sind, dann auch die Seiten AC und BC gleich lang
sein müssen. Den Kongruenzsatz SSW können wir hier jedenfalls nicht auf die beiden Dreiecke AMC und BMC anwenden, weil in beiden der Winkel in C der größeren der beiden gegebenen Seiten gegenüber liegen müsste.
Die Mittelsenkrechten gehören zu den
besonderen Linien im Dreieck:
Satz von den Mittelsenkrechten im
Dreieck:
• In jedem Dreieck schneiden sich
die drei Mittelsenkrechten in einem Punkt.
• Jedes Dreieck besitzt einen Umkreis, d.i. ein Kreis, der durch alle
Eckpunkte geht. Der Mittelpunkt
des Umkreises ist der Schnittpunkt der Mittelsenkrechten.
Beweis: Zuerst zeichnen wir die beiI.4.03 Z
den Mittelsenkrechten der Seiten
AB und AC . Die Punkte der einen
sind von A und B , die der anderen von A und C gleich weit entfernt. Ihr Schnittpunkt M (den gibt es immer; wieso?) ist also von allen drei Ecken A , B und C
gleich weit entfernt. Insbesondere liegen die drei Ecken auf einem Kreis um M .
Nun zeichnen wir die dritte Mittelsenkrechte, die der Seite BC . Würde M nicht
auf ihr liegen, dann wäre M näher an B oder an C (weil nur die Punkte auf dieser
Mittelsenkrechten von B und C gleich weit entfernt sind). Da aber M ja von B
und C gleich weit entfernt ist, muss M auf dieser Mittelsenkrechten liegen.
Wenn also ein echtes Dreieck vorliegt (d.h.
A , B , C nicht auf einer Geraden liegen),
gibt es einen Umkreis. Es gibt einen einzigen Umkreis, denn sein Mittelpunkt muss
auf dem gemeinsamen Schnittpunkt M der
drei Mittelsenkrechten liegen.
#
Verändert man nun das Dreieck ABC , so
liegt sein Umkreismittelpunkt M 'mal innerhalb, 'mal auf dem Rand, 'mal außerhalb
von ABC . Bei welcher Eigenschaft des
Dreiecks tritt welcher Fall auf? — Wir kommen später auf diese Frage zurück.
I.4.04 Z
24
Alternativer Beweis: Lege einen Kreis durch zwei Ecken des Dreiecks, etwa A und
B . Der Kreismittelpunkt liegt dann auf der Mittelsenkrechten von AB . Vergrößere,
oder verkleinere den Kreis, wobei er immer durch A und B gehen soll. Der Kreismittelpunkt bewegt sich dann auf der Mittelsenkrechten. Tue dies so lange, bis der
Kreis auch noch durch die dritte Ecke geht. — Ende der Aktion.
Es ist klar, dass man beim selben Umkreis landet, wenn man mit einem anderen
Ecken-Paar beginnt; denn sein Mittelpunkt muss ja auf allen drei Mittelsenkrechten
liegen.
#
Analogien zwischen Ebene und Raum
Was in der Ebene der Kreis, ist im Raum die Kugel. Was in der Ebene das Dreieck, ist im Raum
das Tetraeder. Es besteht aus vier, nicht notwendig regelmäßigen, Dreiecken.
•
•
Wo liegen alle Punkte, die von zwei Ecken
des Tetraeders gleich weit entfernt sind?
Besitzt jedes Tetraeder eine Umkugel?
I.4.05
Winkel am Kreis
Wir legen in der Ebene zwei Punkte A und B fest und messen für sämtliche Punkte
X der Ebene, wie groß der Winkel AXB ist. Nun legen wir ein Winkelmaß fest (z.B.
28,6° , 50° , 90° , 120° ) und suchen alle Punkte X , deren Winkel AXB gerade
dieses Maß hat. — Vermutung?
I.4.06 Z
I.4.07 (Walter Dröge, Kassel)
Nach diesen Präliminarien konzentrieren wir uns nun auf Kreise. Zunächst betrachten wir folgenden Sonderfall:
Satz des Thales (Thales von Milet, um 600 v.Chr.):
• Im Kreis sind alle Winkel über einem Durchmesser rechte.
Eigentlich zweifeln wir nicht an dieser Aussage, zumindest wenn wir sie mit der DGS
verifiziert haben. Wie bei vielen Beweisen in der Elementargeometrie geht es auch
25
hier weniger darum zu demonstrieren, dass der Satz wahr ist, sondern warum er
wahr ist, d.h. die zunächst versteckten Zusammenhänge zwischen den Voraussetzungen und der Aussage aufzuzeigen.
Beweis: Gegeben ist also die Strecke
AB , ein Kreis durch A und B , dessen
Mittelpunkt M auf dem Mittelpunkt der
Strecke AB liegt, einer der beiden Halbkreise um M durch A und B sowie ein
Punkt X auf dem Halbkreis ( A≠X≠B ).
Mit der Strecke XM entstehen zwei
gleichschenklige Dreiecke AMX und
BMX mit jeweils zwei gleich großen Basiswinkeln α und β . Diese vier Winkel
I.4.08 Z
machen zusammen gerade die drei Winkel des (großen) Dreiecks ABX aus. Die Hälfte davon ergibt die Winkel in A und
B , die andere Hälfte den Winkel in X ; also hat dieser 90° .
#
Zweiter Beweis: Betrachtet man statt der Strecke XM den Strahl von X durch M ,
so entsteht zu den beiden gleichschenkligen Dreiecken AMX und BMX je ein Außenwinkel an der Spitze, der doppelt so groß ist wie ein zugehöriger Basiswinkel, also mit Maßen 2·α und 2·β . Für diese ist 2·α+2·β=180° und damit für den Winkel
AXB über dem Halbkreis α+β=90° .
#
Für die Aussage ist wesentlich, dass der Kreismittelpunkt M auf der Strecke AB
liegt, dass diese also Kreisdurchmesser ist. — Während wir beim Vorgehen wie in
Abb. I.4.06, das zu einer Einteilung der Ebene wie in I.4.07 führte, das Winkelmaß
festlegten und dann beobachteten, dass alle Punkte mit diesem Winkelmaß auf einem Kreisbogen liegen, gehen wir beim Thales-Satz umgekehrt vor: Wir fangen mit
einem Kreisbogen an und beweisen,
dass alle Punkte darauf dasselbe
Winkelmaß haben, in dem Spezialfall
des Thales-Satzes 90° .
Wir werden jetzt also den Thales-Satz
verallgemeinern, und zwar auf Kreisbögen, deren Mittelpunkt M nicht
notwendig auf der Strecke AB liegt
(so dass also im Unterschied zur Situation beim Thales-Satz die Strecken
AM und BM nicht notwendig auf ein
und derselben Geraden liegen).
Sei X ( A≠X≠B ) ein Punkt auf einem
solchen Kreisbogen. Den Winkel AXB
nennen wir Umfangswinkel ξ und
AMB Mittelpunktswinkel µ (über
der Sehne AB ).
I.4.09 Z
Wie beim (zweiten) Beweis des Thales-Satzes zeichnen wir die Halbgerade von X
26
durch M , so dass wieder die beiden gleichschenkligen Dreiecke AMX und BMX
und in M wieder die beiden Außenwinkel an deren Spitzen entstehen. Diese ergeben zusammen den Mittelpunktswinkel µ=AMB . Jedes der beiden Dreiecke trägt
einen seiner beiden Basiswinkel zum Umfangswinkel ξ=AXB bei, und schon haben
wir einen Beweis geführt für den
Satz vom Mittelpunktswinkel:
• Im Kreis ist der Mittelpunktswinkel doppelt so groß wie der Umfangswinkel,
wenn diese beiden Winkel über derselben Sehne über demselben Bogen liegen.
Daraus folgt sofort der
Umfangswinkelsatz:
• Im Kreis sind die Umfangswinkel über derselben Sehne über demselben
Bogen gleich.
D.h. wenn man X den Kreisbogen entlang laufen lässt, ändert sich das Maß des
Umfangswinkels nicht, weil dieser ja
immer halb so groß wie der Mittelpunktswinkel ist und dieser sich bei
festen Punkten A und B nicht ändert (sondern nur seine Zerlegung in
die beiden Dreiecksaußenwinkel).
Allerdings liegt der Teufel im Detail.
Der Punkt X kann auch so liegen,
dass man den Beweis nicht so einfach
sieht:
X kann so liegen, dass der Umfangswinkel sich nicht als Summe, sondern
als Differenz ξ=β–α der Basiswinkel
aus den beiden Dreiecken BMX und
AMX ergibt. Dann ist auch der Mittelpunktswinkel die Differenz der entsprechenden Außenwinkel µ=2·β–
2·α , und er ist erneut doppelt so groß
wie der Umfangswinkel. (In der Druckversion haben wir da einen Umfangswinkel von ξ=63,35°–7,25°=56,1°
und einen Mittelpunktswinkel von
µ=126,7°–14,5°=112,2° .)
Oder X liegt auf dem kürzeren Kreisbogen. Da sind dann die Außenwinkel
der beiden Dreiecke BMX und AMX
auf der anderen Seite bezüglich der
beiden Schenkel MA und MB , aber
Satz und Beweis stimmen immer
noch.
I.4.10 Z
I.4.11 Z
27
Haben wir also einen Punkt X auf dem einen Bogen und einen Punkt Y auf dem
anderen Bogen, dann ergänzen sich die beiden Mittelpunktswinkel zu 360° und
folglich die beiden Umfangswinkel zu 180° . Sind die beiden Bögen verschieden
lang, dann ist der Umfangswinkel auf dem längeren Bogen spitz und der auf dem
kürzeren stumpf. Sind die beiden Bögen gleich lang, dann sind sie Halbkreise, die
beiden Mittelpunktswinkel je 180° und die beiden Umfangswinkel je 90° groß (dies
ist der Thales-Satz, als Spezialfall des Umfangswinkelsatzes).
Lasse den Punkt X um den ganzen Kreis laufen, und beobachte, wie sich die Winkel ändern, insbesondere auf dem langen Bogen beim Übergang vom additiven zum
subtraktiven Zustand, wobei Mittelpunkts- und Umfangswinkel immer gleich groß
bleiben. Erst beim Übergang auf den kurzen Bogen (der nicht stetig ist, da für X=A
und X=B keine Winkel definiert sind), gibt es eine sprunghafte Änderung, und auf
diesem Bogen ist alles wieder konstant. (Cinderella misst dann allerdings nicht mehr
die richtigen Winkel, und man muss das Winkelmessen neu festlegen.)
•
In jedem Kreis ergänzen sich zwei Umfangswinkel auf verschiedenen Seiten derselben Sehne zu 180°.
Wir wollen den Thales-Satz und den Umfangswinkelsatz erneut beweisen, und
zwar führen wir genuin kinematische Beweise. Dabei machen wir noch einmal deutlich, dass der Umfangswinkelsatz eine Verallgemeinerung des Thales-Satzes ist.
Thales-Satz: In der Thalessatz-Figur lassen
wir den Punkt X auf dem Halbkreis-Bogen
laufen. Wir beweisen, dass dabei sich das
Maß des Winkels AXB nicht ändert. Dazu
betrachten wir die beiden (gleichschenkligen) Dreiecke AMX und BMX . Die Bewegung bis zum Endpunkt X' kann man als
Drehung um M um das Winkelmaß δ aufI.4.12 Z
fassen, bei der die beiden Dreiecke AMX
und BMX in die (ebenfalls gleichschenkligen) Dreiecke AMX' und BMX' übergehen. Dabei nimmt in AMX der Winkel an der Spitze um δ ab, folglich die beiden
Basiswinkel zusammen um δ , jeder einzelne Basiswinkel also um δ/2 zu. Entsprechend nimmt in BMX der Winkel an der Spitze um δ zu, folglich die beiden Basiswinkel zusammen um δ , jeder einzelne Basiswinkel also um δ/2 ab. Der Winkel
AXB setzt sich ja aus je einem Basiswinkel aus AMX und aus BMX zusammen,
von denen also der eine um δ/2 zu- und der andere um δ/2 abnimmt, so dass ihr
Maß zusammen konstant ist. Damit ist gezeigt, dass alle Winkel in X auf dem Halbkreis gleichgroß sind, aber noch nicht, dass sie 90° groß sind.
Für einen bestimmten Punkt X kann man direkt das Maß zu 90° bestimmen, nämlich bei dem, der auf dem Lot durch M liegt, wo die beiden gleichschenkligen Dreiecke AMX und BMX rechtwinklig, ihre Basiswinkel also 45° groß sind.
Umfangswinkelsatz: Der Beweis, nun in der Umfangswinkelsatz-Figur, kann wortwörtlich übertragen werden, außer dem letzten Satz über die Rechtwinkligkeit. Hier
muss man stattdessen noch zeigen, dass der Umfangswinkel halb so groß wie der
28
Mittelpunktswinkel ist. Dies ergibt sich z.B. wie
bei Abb. I.4.09. Allerdings bräuchte man, wenn
man dieses nutzt, den kinematischen Beweis
nicht mehr, da dann ja der Umfangswinkelsatz
direkt folgt. Mir kommt es hier nur auf den kinematischen Beweis als solchen an.
Am Anfang des Abschnitts hatten wir folgende
Beobachtung gemacht: Eine Strecke AB legt ja
zwei Halbebenen fest. In jeder der beiden Halbebenen liegen alle Punkte X , von denen aus
I.4.13 Z
man AB unter demselben Winkel sieht, auf einem Kreisbogen. In der ganzen Ebene setzt sich die
Menge aller Punkte X mit demselben Umfangswinkel
aus zwei solchen Kreisbögen, unterbrochen nur durch
die Punkte A und B , zusammen. Dieser Doppelbogen ist eine achsensymmetrische Figur. Alle Punkte
innerhalb dieses Doppelbogens haben einen größeren,
alle außerhalb einen kleineren Umfangswinkel über
AB .
Umkehrung des Umfangswinkelsatzes:
• Alle Punkte, von denen aus man eine Strecke
unter demselben Blickwinkel sieht, liegen (in
jeder der beiden durch die Strecke bestimmten
Halbebenen) auf einem Kreisbogen. Die Punkte
mit kleinerem Blickwinkel liegen außerhalb, die
mit größerem Blickwinkel innerhalb dieses
Kreisbogens. (Blickwinkel = Umfangswinkel)
I.4.14 Z
Beweis: Sei AB eine Strecke, h eine der Halbebenen bezüglich AB und X ein Punkt innerhalb von h . Zeichne den Kreis durch A , B und
X (den Umkreis des Dreiecks ABX ). Es ist klar,
dass alle Punkte in h , die auf diesem Kreis liegen, denselben Umfangswinkel wie X haben.
Mit Hilfe der Kongruenzsätze ist klar, dass in der
anderen Halbebene die Punkte auf dem entsprechenden Kreisbogen denselben Umfangswinkel
haben.
I.4.15 Z
Wir nehmen nun einen Punkt C in h innerhalb
des Kreisbogens, zeichnen die Halbgerade von B durch C , erhalten als Schnittpunkt mit dem Kreisbogen den Punkt D und zeichnen die Strecken AC sowie AD .
Im Dreieck ACD ist der Außenwinkel ACB in C (Umfangswinkel von C ) größer
als der Innenwinkel ADC in D (Umfangswinkel von D ). — Bei einem Punkt C
außerhalb des Kreisbogens vertauscht man einfach die Rollen von C und D und
#
zeigt wie eben, dass nun der Umfangswinkel von D größer ist.
29
Damit haben wir bewiesen, dass das SchwarzWeiß-Grau-Bild von der Ebene (I.4.07) zutreffend ist. Bewegt man in I.4.16 bei festen Punkten A und B den Punkt M , dann kriegt man
sämtliche Kreisbögen in der Ebene über AB .
Liegt speziell M auf AB , dann haben alle (von
A und B verschiedenen) Punkte auf diesem
Kreis einen rechten, alle Punkte innerhalb einen
stumpfen und alle Punkte außerhalb einen spitzen Umfangswinkel. Wenn man sich von der
Strecke AB weg bewegt, werden die Umfangswinkel immer kleiner.
I.4.16 Z
Man nennt einen Kreis (-bogen) über einer Sehne auch Fasskreis (-bogen), weil er in einer Halbebene bezüglich der Sehne alle
Winkel gleichen Maßes "fasst".
Konstruktion: Sucht man zu einer gegebenen Strecke AB einen Punkt X , von
dem aus man diese unter einem bestimmten Winkel mit Maß ξ , z.B. 70° , sieht,
konstruiert man einen der beiden zugehörigen Fasskreisbögen: zunächst das gleichschenklige Dreieck AMB , dessen Winkel µ in der Spitze 2·ξ ( =140° ) beträgt, d.h.
man legt in A und B je einen Basiswinkel mit Maß 90°–ξ ( =20° ) an; dann einen
der beiden Kreisbögen von A nach B um M , hier den längeren (bei ξ>90° den
kürzeren).
#
Nach dieser Konstruktion ist auch klar (auf Grund der Kongruenzsätze):
•
Sind in ein und demselben Kreis zwei Sehnen gleich lang, so sind ihre Umfangswinkel auf den langen Bögen gleich groß und die auf den kurzen Bögen ebenfalls (entsprechend modifiziert, wenn die Sehnen Durchmesser sind).
Nachdem wir den Umfangswinkelsatz und seine
Umkehrung nun vollständig bewiesen haben,
wollen wir zu seiner erneuten Plausibilisierung
die Möglichkeiten der DGS noch einmal nutzen
und an Abb. I.3.07 anknüpfen: Bei festen Punkten A und M und Gerade g durch M lassen
wir X auf g laufen. Genau dann ist der Winkel
AXg halb so groß wie der Winkel AMg , wenn
die Strecke MX so lange wie die Strecke MA
ist, wenn also A und X denselben Abstand von
M haben. Dasselbe gilt für den Zusammenhang
der Punkte B , X und M . Also: genau für die
Punkte X auf dem Kreis (dem jeweiligen KreisI.4.17 Z
bogen) um M durch A und B ist der Umfangswinkel halb so groß wie der zugehörige Mittelpunktswinkel.
Als Spezialfall der Umkehrung des Umfangswinkelsatzes erhalten wir die
30
Umkehrung des Satzes von Thales:
• Alle Punkte, von denen aus man eine Strecke unter einem Blickwinkel von
90° sieht, liegen auf dem Kreis, dessen Durchmesser die Strecke ist.
• Anders ausgedrückt: Jeder der beiden Fasskreisbögen eines rechten Winkels über einer Strecke ist ein Halbkreis über dieser Strecke.
Formuliere noch einmal den Thales-Satz zusammen mit seiner Umkehrung; sowie
den Umfangswinkelsatz zusammen mit seiner Umkehrung.
Eine Tangente steht ja senkrecht auf ihrem
Berührradius. Zeichnet man in den beiden
Endpunkten einer Sehne die Tangenten,
dann gilt der
Satz vom Sehnen-Tangenten-Winkel
• Die beiden Sehnen-Tangenten-Winkel sind gleich dem Umfangswinkel
über der Sehne.
Beweis: Ist ξ der Umfangswinkel, dann
ist 2·ξ der Mittelpunktswinkel, und die
beiden gleich großen Basiswinkel im Dreieck AMB betragen zusammen 180°–
I.4.18 Z
2·ξ , jeder einzelne also 90°–ξ . Da der
Winkel zwischen Berührradius und Tangente 90° groß ist und dieser Winkel durch die Sehne AB in zwei Teilwinkel zerlegt
wird, von denen der eine 90°–ξ groß ist, bleibt für den anderen ξ übrig, und das ist
gerade der sog. Sehnen-Tangenten-Winkel.
#
Eine andere Umkehrung des Umfangswinkelsatzes als die obige könnte man darin
sehen, dass man in einem Kreis verschieden lange Sehnen betrachtet.
•
Ist in ein und demselben Kreis eine
Sehne kürzer als die andere, so ist ihr
Umfangswinkel auf dem langen Bogen kleiner und auf dem kurzen Bogen größer als der jeweils entsprechende Umfangswinkel der anderen
Sehne (entsprechend modifiziert, wenn
eine Sehne Durchmesser ist).
Beweis: Bei zwei Sehnen AB und C'D'
kann man (genau) eine Sehne CD zeichnen, die so lang wie C'D' ist und parallel zu
AB verläuft, so dass M nicht zwischen AB
und CD liegt. Dann hat man die Situation
I.4.19 (Z)
wie in I.4.19, und es ist (anschaulich) klar:
Bewegt man die längere Sehne stetig parallel in Richtung der kürzeren, d.h. von M
weg, wird sie immer kürzer, der Winkel über dem Bogen jenseits von M wird immer
#
kleiner und der andere immer größer.
31
Umkreis und Umfangswinkel
Den Umkreis eines Dreiecks ABC mit seinem Mittelpunkt M kann man für jede Seite
als deren Fasskreis mit dem gegenüberliegenden Winkel als Umfangswinkel auffassen. Der Winkel ist recht, wenn die zugehörige Seite durch M geht (Thales-Satz). Er
ist spitz, wenn die Ecke auf dem langen
Bogen, d.h. in derselben Halbebene wie M
liegt, und er ist stumpf, wenn sie auf dem
kurzen Bogen, d.h. in der anderen Halbebene als M liegt. Daraus:
Für ein Dreieck ABC und seinen Umkreismittelpunkt M gilt:
• Es ist spitzwinklig
gdw
M liegt im Inneren von ABC ,
• es hat einen rechten Winkel in C
gdw
M ist der Mittelpunkt von AB ,
• es ist stumpfwinklig
gdw
M liegt im Äußeren von ABC .
I.4.20 Z
Aus gegebenen Seiten und Winkeln eines
Dreiecks die übrigen zu berechnen, ist Sache der Trigonometrie. Ein wichtiges Hilfsmittel dabei ist der
Sinussatz:
• In einem Dreieck sind die Verhältnisse der Seiten zum Sinus der gegenüberliegenden Winkel gleich, und
zwar gleich dem doppelten Radius
2·r des Umkreises:
a
b
c
=
=
= 2·r
sin α
sin β
sin γ
I.4.21 Z
a sin α
=
und a=2·r·sinα
b sin β
usw. ─ Prüfe alle diese Verhältnisse, indem
du in den Zeichnungen I.4.20–22 bei festen
A und B zum einen C gegen c und zum
anderen C gegen A laufen lässt.)
(Daraus auch
Im spitzwinkligen Dreieck stellt der Sinussatz eine Präzisierung der Seiten-WinkelKorrespondenz dar: Im Bereich von 0° bis
90° ist nämlich die Sinusfunktion eine
streng monoton steigende Funktion, d.h.: ist
I.4.22 Z
32
dort ein Winkel größer als ein anderer, so ist sein Sinus größer, und dann ist nach
dieser Bruchgleichung auch die Seite länger.
Der Sinussatz ergibt sich aus folgendem Korrolar des Umfangswinkelsatzes:
•
Das Verhältnis von Sehne zu Durchmesser ist gleich dem Sinus des Umfangswinkels.
Beweis: (i) Wir betrachten zunächst ein
Dreieck ABC , dessen Winkel γ spitz ist,
und seinen Umkreis mit Mittelpunkt M , sodann das Dreieck ABC* , dessen Ecke C*
auf demselben Kreisbogen wie C liegt, und
zwar so, dass M auf der Seite AC* liegt.
Nach dem Umfangswinkelsatz ist γ*=γ , und
nach dem Thales-Satz über der Strecke
AC* ist β*=90° . Das in B rechtwinklige
Dreieck ABC* liefert gerade die Definition
c
des Sinus: sinγ*=
(Gegenkathete durch
2⋅r
Hypothenuse), und es ist ja sinγ=sinγ* .
I.4.23 (Z)
(Hier zeigt sich die Kraft des Umfangswinkelsatzes!)
(ii) Ist γ stumpf, dann liegt C auf dem kurzen Bogen bezüglich AB . Wähle C* auf
dem langen Bogen wie im obigen Fall beschrieben. Es ist ja γ*=180°–γ spitz, und
c
wie oben ist sinγ*=
, und wegen sinγ=sin(180°–γ) gilt auch nun die Behauptung.
2⋅r
(iii) Ist γ=90° , so hat man die Thalessatz-Konfiguration über der Seite c=AB , und
es ist sinγ=1 . Wegen c=2·r folgt also auch hier die Behauptung.
#
Außerdem ergibt sich aus der letzten Aussage mit Hilfe des Umkreises eine
Flächeninhaltsformel für das Dreieck:
• Dreiecksflächeninhalt = Produkt der
drei Seitenlängen durch vierfachen
Umkreisradius.
1
·g·h =
2
1
1
1
b
a ⋅b ⋅c
·c·hc = ·c·a·sinβ = ·c·a·
=
.
2
2
2
2⋅r
4 ⋅r
Gemäß der Zeichnung gilt F =
(Man überlege sich, dass man zum selben
Ergebnis kommt, wenn man z.B. mit a als
Grundseite beginnt.)
I.4.24 (Z)
33
Vierecke mit Umkreis
Nicht nur Dreiecke besitzen einen Umkreis,
manche (nicht alle) Vierecke auch. Ein Viereck mit Umkreis heißt auch Sehnenviereck. Aus dem Umfangswinkelsatz folgt der
Satz vom Sehnenviereck:
• Im Sehnenviereck ist die Summe der
gegenüberliegenden Winkel gleich
180° .
Es gilt auch die Umkehrung.
Beweis der Umkehrung: Sei in einem Viereck α+γ=180° und β+δ=180° . Wir können
(in jedem Viereck, bei dem nicht drei Ecken
auf einer Geraden liegen; und das ist hier
gegeben, weil sonst ein Winkel 0° oder
180° wäre) einen Kreis z.B. durch die drei
Ecken A , C , D zeichnen. Zu zeigen ist,
dass dieser Kreis auch noch durch B gehen muss:
Wir nennen die Halbebene bezüglich der
Geraden durch A und C , in der D liegt,
k und die andere h . Wegen der Winkelvorgaben muss B in h liegen. Wegen der
Umkehrung des Umfangswinkelsatzes enthält der Kreis sämtliche Punkte in h , deren
Umfangswinkel bezüglich der Sehne AC
das Maß β=180°–δ haben. Also
enthält er auch B .
I.4.25 (Z)
I.4.26 Z
Ein Parallelogramm besitzt nur
dann einen Umkreis, wenn es ein
Rechteck ist. Anders ausgedrückt:
Wenn ein Parallelogramm kein
Rechteck ist, dann hat es keinen
Umkreis.
I.4.27 Z
Oder: Wenn ein Parallelogramm einen Umkreis hat, dann ist es ein Rechteck.
Da jedes Rechteck ein Parallelogramm ist und einen Umkreis hat, gilt also: Ein Parallelogramm hat genau dann einen Umkreis, wenn es ein Rechteck ist.
Nicht jedes Trapez, nicht jeder Drachen besitzt einen Umkreis. — Unter welchen zusätzlichen Bedingungen doch?
34
I.5. Dreieck und Geraden
Mittelsenkrechten und Höhen
Neben den Mittelsenkrechten gibt es im
Dreieck weitere besondere Geraden, die
wir bereits in der Schule kennen gelernt
und in der Veranstaltung z.T. schon intuitiv
genutzt haben. Wir werden sie nun nach
und nach genauer untersuchen:
Im Dreieck heißen die drei Lote von den
Ecken A , B , C auf die gegenüber liegenden Seiten a , b , c Höhen
(-geraden), ihre Schnittpunkte mit den
durch die Seiten bestimmten Geraden
Höhenfußpunkte Ha , Hb , Hc (diese
können auch außerhalb einer Dreieckseite
oder in einer Ecke liegen; in welchen Fällen?) und die Strecken AHa , BHb , CHc
bzw. deren Längen (= Abstände der
Ecken von den gegenüberliegenden Seiten) Höhen ha , hb , hc . (Zwischen den
Geraden, Strecken und Längen wird, wie
gesagt, nicht immer unterschieden, wenn
keine Irrtümer möglich sind.)
I.5.01 Z
I.5.02 Z
Wir wollen nun zeigen, dass die drei
Höhen eines Dreiecks sich in einem Punkt
schneiden (den wir H nennen). Wir führen den Beweis für das kleine Dreieck
ABC in Abb. I.5.03 und benutzen dabei
das große Dreieck A'B'C' als Hilfsfigur.
Die beiden Dreiecke ABC und A'B'C'
sind in einem tiefen Sinne verwandt: Ausgehend von ABC kann man A'B'C'
durch Zeichnen gewisser Parallelen erzeugen. Wie?
Von der Parallelität kann man auf die
Gleichheit gewisser Winkel schließen.
I.5.03
Mit welchen Sätzen?
Das große Dreieck A'B'C' besteht aus vier kleinen Dreiecken. Alle vier Dreiecke
haben entsprechend gleiche Winkel. Warum?
Zwei benachbarte kleine Dreiecke sind kongruent. Nach welchem Kongruenzsatz?
Also stimmen die vier kleinen Dreiecke auch in entsprechenden Seitenlängen überein. Dies noch etwas anders ausgedrückt: Die Eckpunkte des Dreiecks ABC sind
die Seitenmitten im Dreieck A'B'C' .
35
Demnach sind die Mittelsenkrechten des Dreiecks A'B'C' zugleich die Höhengeraden des Dreiecks ABC . ─ Wieso?
Aus dem Satz von den Mittelsenkrechten folgt somit der
Satz von den Höhen (-geraden) im Dreieck:
In einem Dreieck schneiden sich die Höhen (-geraden) in einem Punkt.
Man kann auch, wenn man zuerst A'B'C' hat, durch Parallelenbildung das
kleine Dreieck ABC erzeugen, dessen Ecken die Seitenmitten des großen
Dreiecks und dessen Seiten parallel zu denen des großen Dreiecks sind.
Konstruktion: (i) Dazu zeichnet man, etwa durch die Mitte A von B'C' , die beiden
Parallelen zu C'A' und B'A' . Dass die beiden entstehenden Schnittpunkte B und
C auf der Mitte von A'C' bzw. von A'B' liegen und dass die entstehende Strecke
BC parallel zu B'C' ist, steht nicht automatisch fest, sondern ist zu beweisen.
(ii) Die beiden Dreiecke CB'A (links oben) und BAC' (unten) sind kongruent nach
dem Stufenwinkelsatz bezüglich
und
und nach dem Kongruenzsatz WSW, weil
die Seiten AB' und AC' gleich lang sind.
Also sind AC und C'B sowie AB und B'C gleich lang.
(iii) Nach (i) hat der Winkel im Dreieck ABC in A das Maß 180°– – = . Mit dem
Kongruenzsatz SWS zu
ergibt sich, dass das (innere) Dreieck ABC kongruent zu
den beiden bisher betrachteten kleinen Dreiecken CB'A und BAC' ist. Also treten im
inneren Dreieck auch die beiden Winkel
und
auf, die Seite BC ist parallel zu
C'B' und so lang wie AB' und AC', also halb so lang wie C'B' .
(iv) Damit treten auch im kleinen Dreieck A'CB (rechts oben) entsprechend die Winkel ,
und
auf, und wegen der gemeinsamen Seite BC mit dem inneren Dreieck besteht auch hier Kongruenz (nach Kongruenzsatz WSW).
(v) Alle vier kleinen Dreiecke sind also kongruent, die Strecken B'C und A'C sowie
C'B und A'B sind auch kongruent, und BC ist parallel zu C'B'. — Damit halbieren
also die drei Ecken des inneren Dreiecks die Seiten des großen, und die Seiten des
inneren Dreiecks sind parallel zu denen des äußeren.
#
Bei dieser Konstruktion kann wieder Abb. I.5.03 verwendet werden. Lediglich der
Entstehensprozess ist ein anderer als bei der Konstruktion von A'B'C' aus ABC .
Ab jetzt (wo alles bewiesen ist) können wir mit Fug und Recht über die beiden Dreiecke in I.5.03 sagen: Das kleine Dreieck ist das Seitenmittendreieck des großen.
Die Seiten des kleinen sind halb so lang wie die des großen und parallel zu diesen.
Geht man von einem der beiden Dreiecke aus, gibt es verschiedene Vorgehensweisen, das jeweils andere zu konstruieren (s.a. Übung). Naheliegend ist: Vom großen
36
Dreieck die Seitenmitten nehmen; zum kleinen Dreieck die Parallelen zu den Seiten
durch die gegenüberliegenden Ecken zeichnen. Dann ergeben sich jeweils alle Eigenschaften. Führt man die beiden Vorgehensweisen abwechselnd durch, erhält
man abwechselnd die beiden Dreiecke.
In der elementaren Geometrie scheinen uns Konstruktionen näher zu liegen als Beweise. Aber jetzt erkennt man deutlich, dass eine Konstruktion letztlich nichts anderes als ein Beweis ist, nämlich der Beweis für die Korrektheit der Konstruktion. S.o.
(i).
Winkelhalbierenden
"Einen Winkel halbieren" heißt, zu den
beiden Schenkeln a und b einen dritten
Schenkel c ("zwischen" a und b ) anzugeben, so dass der Winkel zwischen a
und c so groß wie der Winkel zwischen
c und b ist; man nennt c die Winkelhalbierende.
Problem bei überstumpfen Winkeln!?
(Diese betrachten wir in diesem Abschnitt
nicht.)
I.5.04 Z
Winkelhalbierende als Mittellinie
Ist Q eine beliebiger Punkt auf der Winkelhalbierenden, dann hat Q von
den beiden Schenkeln a und b den gleichen Abstand.
Beweis: Sei Q ein beliebiger Punkt auf der Winkelhalbierenden. Wir fällen von Q
aus die Lote auf a sowie b und erhalten die Lotfußpunkte A und B (die rechten
Winkel liegen an A und an B und nicht an Q !). Nach dem Kongruenzsatz SWW
sind die beiden Dreiecke SAQ und SBQ kongruent und folglich die beiden Strecken QA und QB gleich lang.
#
Wir betrachten in der Ebene zwei
Geraden a und b , die nicht parallel sind, sondern sich in einem
Punkt S schneiden und vier
Winkel definieren. Wir zeichnen
die vier Winkelhalbierenden ein:
Die Winkelhalbierenden
von Nebenwinkeln sind
I.5.05 Z
orthogonal.
Die Winkelhalbierenden von Scheitelwinkeln ergeben zusammen eine Gerade.
37
Beweis: Zwei Nebenwinkel
und
ergeben ja zusammen 180° . Ihre Winkelhal-
bierenden schließen zusammen
und
, also 90° ein. Der zweite Teil ergibt
2
2
sich daraus, dass der Scheitelwinkel der Nebenwinkel des Nebenwinkels ist.
#
Für jeden Punkt X der Ebene stellen wir fest, ob er näher an a , näher an b oder
von beiden gleich weit entfernt ist. Offenbar haben in jedem der vier Winkelfelder die
Punkte auf der Winkelhalbierenden von den beiden Schenkeln denselben Abstand.
Rückt X von der Winkelhalbierenden weg, nähert er sich auf offensichtliche Weise
einem der Schenkel und entfernt sich vom anderen. Offensichtlich wird die Ebene
durch die vier orthogonalen Winkelhalbierenden in vier Quadranten eingeteilt, in denen X näher an a bzw. näher an b liegt, während X auf den Winkelhalbierenden
gleich weit von a und b entfernt ist.
In der Tat gilt auch die
Umkehrung der Mittellinien-Eigenschaft der Winkelhalbierenden:
Hat Q in einem Winkelfeld den gleichen Abstand von den beiden Schenkeln a und b , dann liegt Q auf der Winkelhalbierenden.
Beweis: Sei Q ein Punkt, der von den beiden Schenkeln denselben Abstand hat.
Wir fällen wieder von Q aus die Lote auf a sowie b und erhalten die Lotfußpunkte
A und B . In den beiden entstehenden Dreiecken SAQ und SBQ sind die Seiten
SQ identisch, die Seiten QA und QB gleich lang und die Winkel in A und in B
sind gleich groß, nämlich 90° . Somit sind die Winkel in A bzw. in B die größten in
den Dreiecken SAQ bzw. SBQ , sie liegen jeweils der größten Seite gegenüber,
und wir können den Kongruenzsatz SSW gr anwenden (vgl. die Bemerkung auf S.15):
SAQ und SBQ sind also kongruent, und damit sind die beiden entsprechenden
Winkel in S kongruent, d.h. die Strecke SQ halbiert den Ausgangswinkel.
#
Beim Vergleich der beiden Beweise des Satzes "Winkelhalbierende als Mittellinie"
und seiner Umkehrung stellt man fest: Beides Mal wurde ein Kongruenzsatz benutzt.
Beim ersten war SWW gegeben und wurde eine Seitenkongruenz bewiesen. Beim
zweiten war SSW gr gegeben und wurde eine Winkelkongruenz bewiesen. — Bei
beiden Beweisen ergibt sich dieselbe Zeichnung I.5.04; lediglich deren
Entstehensprozess ist unterschiedlich.
Den Satz über die Mittellinien-Eigenschaft der Winkelhalbierenden und seine Umkehrung können wir so zusammenfassen:
In jedem Winkelfeld gilt:
Q liegt auf der Winkelhalbierenden
Q hat den gleichen Abstand von den beiden Schenkeln a und b.
Hinweis: Jeder Winkel ist achsensymmetrisch mit der Winkelhalbierenden als
Spiegelachse.
gdw
38
Winkelhalbierenden im gleichschenkligen Dreieck
In einem gleichschenkligen Dreieck ist die
Mittelsenkrechte der Basis zugleich Winkelhalbierende des Winkels an der Spitze.
D.h.: wenn eine Gerade Mittelsenkrechte ist,
dann ist sie Winkelhalbierende.
In einem gleichschenkligen Dreieck ist die
Winkelhalbierende des Winkels an der Spitze
zugleich Mittelsenkrechte der Basis.
D.h.: wenn eine Gerade Winkelhalbierende ist,
dann ist sie Mittelsenkrechte.
I.5.06
Beweis: Wir bezeichnen das gleichschenklige Dreieck mit ABC , wobei AB Basis, C Spitze, M Mittelpunkt der Basis und P der
Schnittpunkt der Winkelhalbierenden in C mit der Basis ist. (Zu zeigen ist beides
Mal: M=P .)
Wir wissen bereits, dass im gleichschenkligen Dreieck die Basiswinkel gleich groß
sind und dass die Mittelsenkrechte durch die Spitze C gehen muss.
(i) Bei der ersten Aussage des Satzes vergleichen wir die beiden Dreiecke AMC
und BMC . Außer den Winkeln in A und B sind auch die beiden Winkel in M
gleich groß, nämlich 90° . Nach dem Winkelmaßsummensatz müssen auch die beiden Winkel in C gleich groß sein, d.h. der Strahl von C durch M ist die Winkelhalbierende des Winkels ACB . Außerdem ist P=M .
(ii) Bei der zweiten Aussage des Satzes vergleichen wir die beiden Dreiecke APC
und BPC . Außer den Winkeln in A und B sind nach der Voraussetzung auch die
beiden Winkel in C gleich groß. Nach dem Winkelmaßsummensatz müssen auch
die beiden Winkel in P gleich groß sein. Da diese beiden zusammen 180° ergeben, ist jeder 90° groß. In den beiden Dreiecken stimmen nun fünf (!) "Stücke" entsprechend überein, und wir können mehrere Kongruenzsätze anwenden, damit auch
noch das sechste "Stück" entsprechend übereinstimmt, z.B. WSW mit der Seite AC
bzw. BC . Also ist M=P und die Gerade durch P und C die Mittelsenkrechte der
Basis.
#
Im gleichschenkligen Dreieck ist die Mittelsenkrechte
der Basis nicht nur zugleich Winkelhalbierende des
Winkels in der Spitze, sondern auch Höhengerade
durch die Spitze und Symmetrieachse.
Problem:
Teile in einem gleichschenkligen Dreieck ABC die Basis AB durch zwei Teilpunkte P und Q in drei gleich
lange Teile und verbinde P und Q mit der Spitze C .
Zeige: Die Strecken PC und QC sind gleich lang.
Frage: Sind auch die drei Teilwinkel an der Spitze
gleich groß?
I.5.07
39
Winkelhalbierenden und Inkreis
Die Winkelhalbierenden gehören zu den
besonderen Linien im Dreieck. Es gilt:
Satz von den Winkelhalbierenden im
Dreieck:
In einem Dreieck schneiden sich die
Winkelhalbierenden in einem Punkt.
Jedes Dreieck besitzt einen Inkreis,
d.h. einen Kreis, der alle Seiten beI.5.08 Z
rührt. Der Mittelpunkt des Inkreises
ist der Schnittpunkt der Winkelhalbierenden.
Beweis (vergleiche auch mit dem Beweis zum Umkreismittelpunkt):
Das Dreieck ist die gemeinsame Schnittfläche der drei (unbeschränkten) Winkelfelder ,
und .
Zeichne die beiden Winkelhalbierenden der Winkel
und
(als Strahlen ab A
bzw. ab B ). Ihre Punkte im Inneren des Dreiecks haben denselben Abstand von b
und c bzw. von a und c . Der Schnittpunkt W der beiden (existiert auf jeden Fall
im Inneren des Dreiecks) hat dann denselben Abstand von den drei Seiten des Dreiecks, und es gibt einen Kreis um W , der die drei Seiten berührt, den Inkreis.
W ist insbesondere auch von a und b gleich weit entfernt. Nach der Umkehrung
des Satzes über die Winkelhalbierende als Mittellinie muss auch die Winkelhalbierende von
durch W gehen.
Es gibt einen einzigen Inkreis, denn sein Mittelpunkt muss ja W sein.
#
Was heißt eigentlich "Berühren des Inkreises"? Fällt man das Lot von W auf eine
der Dreiecksseiten, erhält man den Lotfußpunkt P . Alle Punkte Q auf dieser Dreiecksseite sind ja weiter von W entfernt als P . Also ist P der einzige Punkt dieser
Seite, der zugleich auf dem Kreis liegt: Seite und Kreis "berühren" sich; die Seite ist
also Tangente zum Kreis. Zusätzlich ist ein Anschmiegen (Begriff aus der Analysis!)
von Tangente und Kreis aneinander ersichtlich.
Alternativer Beweis: Klemme einen kleinen
Kreis in der Nähe einer Ecke zwischen die
zwei Seiten. Der Kreismittelpunkt liegt dann
auf der Winkelhalbierenden. Blähe den Kreis
auf, wobei die Berühr-Eigenschaft erhalten
bleiben soll. Der Kreismittelpunkt bewegt sich
auf der Winkelhalbierenden von der Ecke
weg, bis der Kreis auch noch die dritte Seite
berührt.
I.5.09 Z
Es ist klar, dass man beim selben Inkreis landet, wenn man in einer anderen Ecke
anfängt; denn sein Mittelpunkt muss ja auf allen drei Winkelhalbierenden liegen.
#
40
Winkelhalbierenden und Ankreis
Verlängere im Dreieck ABC
die drei Seiten a , b und c
zu Geraden, und nenne diese auch entsprechend a ,
b , c . Es entstehen drei Bereiche außerhalb des Dreiecks, die jeder von diesen
drei Geraden begrenzt werden. Jeder solche Bereich
ist die Schnittfläche zweier
Dreieckaußenwinkel, z.B.
der Außenbereich, der der
Seite b anliegt, mit den beiden Halbgeraden a und c .
Die beiden Winkelhalbierenden der beiden Außenwinkel
I.5.10 Z
in A und in C sind von b
und c bzw. von a und b
gleich weit entfernt. Sie schneiden sich in einem Punkt; wir nennen in W b . Er ist von
a , b und c gleich weit entfernt, und es gibt im betrachteten Außenbereich einen
Kreis um W b , der a , b und c berührt, der Ankreis. Darüber hinaus ist die Winkelhalbierende des Innenwinkels in B , die im Dreieck beginnt, die Seite b schneidet und im betrachteten Außenbereich weiterläuft, ja von a und c gleich weit entfernt und muss daher durch W b gehen.
Die Zeichnung erinnert uns daran, dass die Winkelhalbierenden der sechs Außenwinkel senkrecht auf den entsprechenden Winkelhalbierenden der drei Innenwinkel
stehen. Die drei Ankreismittelpunkte bilden also ein Dreieck, auf dessen Seiten die
Ecken des ursprünglichen Dreiecks ABC liegen, und dessen Winkelhalbierenden
sind die Höhen des Ankreismittelpunktedreiecks W aW bWc .
41
Höhen und Winkelhalbierenden
Wir haben gerade (lediglich mit anderen Bezeichnungen) ohne große Anstrengung festgestellt: Wenn man zu
einem Dreieck DEF sein Ankreismittelpunktedreieck ABC konstruiert,
dann sind die Winkelhalbierenden des
kleinen Dreiecks die Höhengeraden
des großen Dreiecks.
Die Aussage wird jetzt verallgemeinert, indem wir nun direkt mit einem
(großen) Dreieck ABC anfangen, ohI.5.11 Z
ne vorauszusetzen, dass es das
Ankreismittelpunktedreieck eines anderen Dreiecks ist. Wir setzen voraus, dass es
spitzwinklig ist, und betrachten sein Höhenfußpunktedreieck DEF . Dann gilt
In einem spitzwinkligen Dreieck sind die Höhen (-geraden) zugleich die
Winkelhalbierenden im Höhenfußpunktedreieck.
Wir haben hier einen ähnlichen Zusammenhang wie den vom Anfang des Abschnitts:
Dort gelangt man von einem (großen) Dreieck durch Seitenmitten-Bildung zu seinem
(kleinen) Seitenmittendreieck und durch Parallelen-Bildung zum ursprünglichen Dreieck zurück (entsprechend vom kleinen Dreieck zum großen und zurück). Dabei tauschen die Mittelsenkrechten und die Höhengeraden jeweils ihre Rollen.
Hier gelangt man von einem (großen) spitzwinkligen Dreieck durch Höhen-Bildung zu
seinem (kleinen) Höhenfußpunktedreieck und durch Ankreis-Bildung wieder zum ursprünglichen Dreieck zurück (entsprechend vom kleinen Dreieck zum großen und
wieder zurück). Dabei tauschen die Höhengeraden und die Winkelhalbierenden jeweils ihre Rollen.
Es ist offensichtlich, dass man die Operation mit einem großen recht- oder stumpfwinkligen Dreieck nicht durchführen kann, und man kann zeigen, dass das
Ankreismittelpunktedreieck immer spitzwinklig ist, egal, von welchem Dreieck man
ausgeht.
42
Beweis des Satzes:
D , E , F seien die Fußpunkte der Höhen durch A , B , C . Bekanntlich schneiden
sich die Höhen in einem Punkt, dem Höhenschnittpunkt H .
Voraussetzung:
Das Dreieck ABC ist spitzwinklig; das bedeutet: Alle Höhen verlaufen bis zu ihrem
Fußpunkt im Innern des Dreiecks ABC .
Behauptung:
Die Winkel HFE und HFD sind gleich groß.
Die Winkel HDE und HDF sind gleich groß.
Die Winkel HED und HEF sind gleich groß.
Beweis:
Wir beweisen lediglich die 1. Aussage; die übrigen Beweise verlaufen in gleicher
Weise. Der Beweis basiert auf zwei Ideen:
Die beiden Dreiecke ACD und BCE haben je einen rechten Winkel (in D und in
E ). Außerdem haben sie in C einen gemeinsamen Winkel. Folglich sind ihre beiden
dritten Winkel DAC und EBC gleich groß.
Nun betrachten wir das Viereck AFHE . Da seine Winkel in F und in E beide 90°
groß sind, ist die Summe der Maße dieser beiden einander gegenüber liegenden
Winkel 180° , und dann ist natürlich die Summe der Maße der beiden anderen einander gegenüber liegenden Winkel, nämlich in A und in H , ebenfalls 180° .
AFHE ist also ein Sehnenviereck, d.h. die vier Punkte A , F , H , E liegen auf
einem Kreis.
Diesen fassen wir als Fasskreis über der Sehne HE auf, so dass sich die beiden
Umfangswinkel HAE und HFE als gleich groß erweisen.
Aus einer analogen Überlegung (welcher?) folgt, dass die Winkel HFD und HBD
gleich groß sind.
Daraus folgt für die Winkelmaße (erläutere die einzelnen Gleichsetzungen)
HFE = HAE = DAC = EBC = HBD = HFD .
Also ist die Höhengerade FH des großen Dreiecks tatsächlich Winkelhalbierende im
kleinen Dreieck DFE .
#
43
Zum Schluss drei "Minimal"-Aufgaben
Der kürzeste Umweg
Gegeben sind eine Gerade g und zwei Punkte
A und B außerhalb der Geraden. Sei C ein
beliebiger Punkt auf g . ("Beliebig" heißt bei der
DGS-Konstruktion, dass man C auf g bewegen kann, ohne die Gerade g zu bewegen!)
I.5.12 Z
Bewege C auf der Geraden g , und miss die
Länge des Weges von A über C nach B
(d.h. die Summe der Streckenlängen AC und CB ). — An welcher Stelle Cmin
der Geraden g ist der Weg minimal? — Wie kann man den Punkt Cmin exakt konstruieren? — Warum ist der Weg über Cmin dann minimal?
Der kürzeste Rundweg
Gegeben sind zwei sich schneidende Geraden
g und h sowie ein Punkt A außerhalb der beiden Geraden. Das Winkelfeld zwischen den beiden Geraden, in dem A sich befindet, soll spitz
sein. Sei B ein beliebiger Punkt auf g und C
ein beliebiger Punkt auf h . Zeichne die Strecken AB , BC und CA , miss ihre Längen und
bestimme die Länge des Rundweges von A
über B und C nach A zurück.
I.5.13 Z
Bewege B auf g und C auf h . An welchen Stellen Bmin und Cmin ist der Rundweg minimal? — Wie kann man die Punkte Bmin und Cmin exakt konstruieren?
Was ist anders, wenn das Winkelfeld, in dem A sich befindet, recht oder stumpf ist?
Das Problem von Fagnano (1775)
Gegeben ist ein spitzwinkliges Dreieck DEF
und auf jeder Dreiecksseite ein beliebiger Punkt
(keine Ecke): A auf EF , B auf DF , C auf
DE . — Zeichne den Rundweg ABCA , und
miss seine Länge.
Bewege A , B , C auf den jeweiligen Seiten
des großen Dreiecks. — An welchen Stellen
Amin , Bmin und Cmin ist der Rundweg minimal? — Wie kann man die Punkte Amin , Bmin
und Cmin exakt konstruieren?
I.5.14 Z
44
Satz von Fagnano
Im spitzwinkligen Dreieck ist der kürzeste Rundweg, der alle drei Seiten berührt, der zwischen den Höhenfußpunkten.
(Wäre das Dreieck nicht spitzwinklig, würden die Höhenfußpunkte nicht auf den
Seiten - ohne die Ecken - liegen, und der Satz könnte gar nicht so formuliert werden.)
Beweis: (i) Wir spiegeln A an DF und erhalten A' sowie an DE und erhalten A" .
Zunächst zeigen wir, dass die Strecke A'A" das Dreieck DEF durchquert, indem
sie die Seiten DF und DE schneidet:
Wegen der spitzen Winkel in F und in E liegen die Punkte A' und A" in derselben Halbebene bezüglich der Geraden EF , in der auch die Ecke D liegt.
Nun nehmen wir den Winkel =
A'DA" in den Blick: Er ist doppelt so
groß wie der Winkel =FDE im
Ausgangs-Dreieck; denn =
w(A'DA)+w(ADA") = w(A'DF)+
w(FDA)+w(ADE)+w(EDA") =
2·w(FDA)+2·w(ADE) = 2· , und
zwar gilt dies, weil DF und DE als
Spiegelachsen die Winkel w(A'DA)
und w(ADA") halbieren.
Da
spitz ist, ist <180° , und
damit ist der Winkel A'DA" in Richtung des Dreiecks FDE geöffnet.
(ii) Die Streckenzüge ABCA und
A'BCA" sind gleich lang (warum?).
Unter allen Streckenzügen von A'
nach A" ist die Strecke (gerade
Verbindung) der kürzeste. D.h. bei
festem A liefern die Schnittpunkte
der Strecke A'A" mit den Dreiecksseiten, in der Zeichnung Bmin und
Cmin genannt, den kürzesten Rundweg für diesen Punkt A .
I.5.15 Z
I.5.16 Z
(iii) Wir radieren nun den Rundweg aus und betrachten nur noch die Strecke A'A" ,
deren Länge ja die des Rundwegs ist und mit der wir die beiden Punkte B und C
und damit den Rundweg jederzeit rekonstruieren können. Wir bewegen A auf seiner
Seite (wobei sich A' und A" mit bewegen) und stellen fest, bei welcher Lage von A
die Strecke A'A" am kürzesten ist.
Dazu nehmen wir das Dreieck A'DA" in den Blick: Es ist gleichschenklig; denn die
beiden Seiten A'D und A"D sind beide Spiegelbilder der Strecke AD , also beide
so lang wie diese, also gleich lang. In (i) haben wir gezeigt, dass der Winkel
in der
Spitze 2· groß ist. Daraus ergibt sich für die beiden Basiswinkel je 90°– .
45
Dies gilt für jede Lage von A , d.h. wenn wir A wandern lassen, wandert zwar auch
das Dreieck A'DA" , aber seine Gleichschenkligkeit und seine drei Winkelmaße
bleiben immer erhalten, da diese nur vom Winkel
des Ausgangsdreiecks DEF
abhängen und dieser ja fix ist. — Unter allen Lagen von A suchen wir nun diejenige,
bei der die Basis A'A" des gleichschenkligen Dreiecks A'DA" am kürzesten ist.
Dies ist gleichwertig damit, dass dessen Schenkel am kürzesten sind.
(Wenn in zwei Dreiecken alle drei Winkel entsprechend übereinstimmen, dann weiß
man aus der Ähnlichkeitslehre, dass die drei Verhältnisse aus den Seiten des einen
Dreiecks zu den entsprechenden des anderen Dreiecks gleich sind; d.h. wenn eine
Seite des einen Dreiecks länger ist als die entsprechende Seite des anderen Dreiecks, dann gilt dies für die beiden anderen Seiten auch. — Allerdings haben wir die
Ähnlichkeitslehre in dieser Veranstaltung noch nicht behandelt. — Stattdessen können wir den Sinussatz benutzen: Wenn in zwei — spitzwinkligen — Dreiecken alle
drei Winkel entsprechend übereinstimmen, dann sind die Sinus entsprechend gleich,
b
c
b'
a
a'
und man hat in den beiden Dreiecken
=
=
sowie
=
=
sin
sin
sin
sin
sin
c'
a
b
c
und daraus
=
=
.)
sin
a'
b'
c'
Die Schenkel A'D=A"D sind dann am kürzesten, wenn die Strecke AD am kürzesten ist. Dies ist der Fall, wenn A der Lotfußpunkt (= Höhenfußpunkt) von D auf EF
ist.
(iii) Dieselbe Betrachtung führen wir für die Punkte B und C durch. Angenommen,
wir hätten einen minimalen Rundweg gefunden, wo B der Höhenfußpunkt ist, A
aber nicht. Dann wäre das doch nicht ein minimaler Rundweg, denn durch Bewegung von A hin zu seinem Höhenfußpunkt könnte der Rundweg noch verkürzt werden. Also müssen alle drei Punkte A , B , C in ihren entsprechenden Höhenfußpunkten liegen.
#
Das erste dieser Probleme kann man auch als Rundweg-Minimierung auffassen:
Welches ist der kürzeste Rundweg von A über die Gerade und B zurück nach A ?
Außerdem kann man noch ein nulltes (triviales) Rundweg-Problem betrachten: Gegeben sind 3 verschiedene Punkte A , B und C . Welches ist der kürzeste Rundweg von A über B und C zurück nach A ?
Insgesamt haben wir jetzt vier Probleme, wo jeweils drei Stücke gegeben sind,
zwischen denen ein kürzester Rundweg gesucht ist. Beim nullten Problem sind 3
Punkte und 0 Geraden gegeben. Beim Übergang zum jeweils nächsten Problem
wird die Zahl der Punkte um 1 vermindert und die der Geraden um 1 erhöht, bis
schließlich 0 Punkte und 3 Geraden gegeben sind. Wie wir gesehen haben, wird
dabei das Rundweg-Problem immer schwieriger. Das ist plausibel: Bei einem Punkt
weiß man genau die Stelle, über die der Rundweg gehen muss. Bei einer Gerade
muss diese Stelle zuerst ermittelt werden, und je mehr Geraden dabei sind, desto
größer ist die (durch Wechselwirkung zusätzlich gesteigerte) Unsicherheit.
46
I.6. Ortslinien
Ortslinien oder Ortskurven kann man auf zwei Arten charakterisieren:
• statisch: als Menge aller derjenigen Punkte, die einer bestimmten Bedingung
genügen,
• dynamisch: als Bahn eines sich bewegenden Punktes. (Eigentlich bedeutet
"dynamisch" in der Physik "unter Berücksichtigung von Kräften". Das ist hier ja
nicht der Fall. Trotzdem ist die Bezeichnung gebräuchlich.)
Eigentlich ist die Rede vom sich bewegenden Punkt nicht korrekt. In der Ebene als
Punktmenge bewegt sich nichts. Es sind wir, die wir Geometrie treiben, die wir uns
die Bewegung einbilden, sie uns suggerieren, indem wir nacheinander die Punkte auf
einer (gezeichneten oder gedachten) Linie betrachten oder indem wir eine Linie erzeugen (mit dem Stift oder dem Computer zeichnen) und die Punkte (Pixel!) nacheinander betrachten, wie sie eingefärbt werden. Diese Einfärbung ist im Prinzip
nichts anderes als das Stück Pappe, mit dem wir bei den geometrischen Abbildungen zwei Figuren miteinander verglichen haben. Es sind optische Hilfsmittel für uns.
— Trotzdem werden wir uns auch in Zukunft der suggestiven Redeweise von sich
bewegenden Punkten oder Figuren befleißigen, da wir ja jetzt wissen, was sie eigentlich bedeutet.
Dass man verschiedenen Punkten auf einer Linie denselben Buchstaben zuweist,
z.B. B (mit der Vorstellung " B bewegt sich und ist 'mal da, 'mal dort"), ist eigentlich
nicht korrekt. Man denkt sich vielmehr, dass man als die oder der Geometrietreibende zu verschiedenen Zeitpunkten t verschiedene Punkte betrachtet, und nennt diese dann Bt . t kann z.B. eine Zahl zwischen 0 und 1 sein, und während man die
Ortslinie durchläuft, vergeht die Zeit von 0 bis 1 , und man kommt durch die Punkte
Bt von t=0 bis t=1 , d.h. man läuft von B0 bis B1 . t kann auch alle nicht-negativen Zahlen durchlaufen, z.B. bei einer Halbgeraden als Ortslinie, und t kann sogar
negativ werden, etwa bei einer ganzen Gerade als Ortslinie.
Beispiele für statisch definierte Ortslinien:
Menge aller Punkte,
• die von einer festen Geraden g den
Abstand a haben:
• die von zwei festen Punkten A und
B denselben Abstand haben:
• die von zwei Geraden g und h
denselben Abstand haben:
•
•
•
die von einem festen Punkt P den
Abstand a haben:
von denen man eine Strecke AB unter einem Blickwinkel von 90° sieht
von denen man eine Strecke AB unter einem festen Blickwinkel α sieht
Ortslinie
die beiden Parallelen zu g im Abstand a
die Mittelsenkrechte von AB
die Mittelparallele, falls die Geraden parallel sind, die vier Winkelhalbierenden
sonst
Kreis um P mit dem Radius a
Kreis mit dem Durchmesser AB
Doppelkreisbogen über der Sehne AB
und dem zugehörigen Mittelpunktswinkel
2·α (s. Abb. I.4.12)
47
Die DGS erlaubt insbesondere, dynamisch definierte Ortslinien darzustellen. Entsteht dabei eine bekannte Ortslinie (z.B. Gerade, Kreis), sollte man stets hinterfragen: Warum ist das so? Hätte man das auch ohne DGS vorhersagen können?
1. Beispiel:
Gegeben zwei Punkte A und B sowie zwei
sich schneidende Kreise um A bzw. B mit
gleichem Radius. Sei P einer der Schnittpunkte der beiden Kreise. — Verändere den Radius
der beiden Kreise. Auf welcher Ortslinie bewegt
sich P ?
I.6.01 Z
2. Beispiel:
Gegeben eine Gerade a und ein (fester) Punkt
A . Sei B ein beliebiger Punkt auf a . Konstruiere die Punkte C und D so, dass das Viereck ABCD ein Quadrat ist. — Bewege nun
den Punkt B auf der Geraden a . Auf welchen
Ortslinien bewegen sich die Eckpunkte C und
D des Quadrats? Gib die Lage der Ortslinien
relativ zu den Elementen a und A an.
I.6.02 Z
Lösung von Konstruktionsproblemen mit Hilfe von Ortslinien
3. Beispiel:
Gegeben ein Kreis um M mit dem Radius r
und ein Punkt A . Sei B ein beliebiger Punkt
auf dem Kreis. Konstruiere die Punkte C und
D so, dass ABCD ein Quadrat ist. (Es gibt
zwei Möglichkeiten; entscheide dich für eine.)
— Bewege nun den Punkt B auf dem Kreis.
a) Auf welcher Ortslinie bewegt sich der Eckpunkt D des Quadrats? — Es ist "offensichtI.6.03 Z
lich" ein Kreis mit dem Radius r . — Wie könnte man, zu gegebenem M und A , den Mittelpunkt dieses von D beschriebenen
Kreises konstruieren?
Lösung: Betrachte die Rotation (der ganzen Ebene) um A um 90° gegen den
Uhrzeigersinn. Darauf kommt man auf Grund der Konstruktion von D aus B , und
48
zwar unabhängig davon, wo B liegt. Sei M' das Bild von M unter dieser Rotation.
Jedes Bild D eines Kreispunkts B hat von M' denselben Abstand wie B von M ,
nämlich r . Also bilden die Bilder von B den Kreis um M' mit Radius r . Also ist M'
das Bild von M unter dieser Rotation, und die Ortslinie von D ist der Kreis um M'
mit Radius r .
#
Würde B auf irgendeiner anderen Linie laufen, dann wäre die Ortslinie von D die
dazu kongruente, um 90° um A gedrehte Linie. — Eigentlich ist nicht das Quadrat
ABCD , und schon gar nicht der Kreis das Wesentliche, sondern die Tatsache, dass
D aus B durch die Rotation um A um 90° nach links festgelegt ist.
b) Auf welcher Ortslinie bewegt sich der Eckpunkt C des Quadrats? — Es ist "offensichtlich" wieder ein Kreis, diesmal mit einem größeren Radius.
Lösung: Die geometrische Abbildung, die B auf C abbildet, ist jedoch keine Rotation, sondern: Betrachte zunächst die Rotation um A um 45° gegen den Uhrzeigersinn und anschließend die zentrische Streckung an A mit Faktor 2 . Mit der
Hintereinanderausführung dieser beiden Abbildungen, einer sog. Drehstreckung,
wird B auf C abgebildet, und zwar, egal, wo B liegt. Sei M" das Bild von M unter dieser Drehstreckung. Jedes Bild C eines Kreispunkts B hat von M" den 2 fachen Abstand wie B von M , nämlich 2 ·r . Also bilden die Bilder den Kreis um
M" mit Radius 2 ·r . Also ist M" gerade das Bild von M unter dieser Drehstreckung, und die Ortslinie von C ist der Kreis um M" mit Radius 2 ·r .
#
Eigentlich ist nicht das Quadrat ABCD , und schon gar nicht der Kreis das Wesentliche, sondern die Tatsache, dass C aus B durch die Drehstreckung um A um 45°
nach links mit dem Streckfaktor 2 festgelegt ist.
4. Beispiel:
Gegeben drei verschiedene parallele Geraden g, h, j ( h zwischen g und j ). ─ Konstruiere drei Punkte A∈g , B∈h und C∈j ,
so dass das Dreieck ABC gleichseitig ist.
Typisches Vorgehen: Lege einen Punkt A
I.6.04 Z
auf g fest, den Ausgangspunkt für die Konstruktion (es ist klar, dass jeder Punkt auf g hierfür in Frage kommt). Dann lege einen (halb-festen; was heißt das?) Punkt B auf h , und konstruiere, von der Seite
AB ausgehend, eines der beiden gleichseitigen Dreiecke ABC . Der Punkt C wird
nicht auf der Gerade j liegen. Selbst wenn, so wäre das reiner Zufall, und die Konstruktion wäre keineswegs vollendet.
Lasse B auf h laufen, und beobachte, auf welchem Typ Linie sich C bewegt.
Bestimme die Lage der Ortslinie von C möglichst genau, und begründe, dass diese
Ortslinie mit j genau einen Schnittpunkt hat. ─ Wie kann man die Ortslinie von C
und diesen Schnittpunkt konstruieren?
49
Lösung: Betrachte die Rotation um A um 60° , so dass B auf C abgebildet wi rd,
in der Zeichnung also nach links. Damit werden alle auf h liegenden Punkte B auf
ihre entsprechenden Punkte C (jeweils im gleichseitigen Dreieck) abgebildet. Durch
die Rotation wird auch die Gerade h auf ihre Bildgerade k abgebildet, die, wie wir
von I.3.12 wissen, um 60° gegen h geneigt ist. Da alle B auf h liegen, müssen
alle C auf k liegen, und jeder Punkt auf k ist ein Bildpunkt eines Punktes auf h ,
d.h. ganz k wird erfasst.
Die Gerade k lässt sich einfach konstruieren: Fälle, wie bei I.3.12, das Lot von A
auf h , erhalte den Lotfußpunkt H , konstruiere dessen Bildpunkt K unter einer Rotation um A um 60° . Dann ist die Senkrechte zu AK durch K die gesuchte Gerade k und deren Schnittpunkt mit j der gesuchte Punkt C .
Nun brauchen wir noch den endgültigen Punkt B : Zeichne Kreis um A mit Radius
AC . Der richtige Schnittpunkt dieses Kreises mit h liefert die Lösung.
#
Ellipse
Eine statische Definition der Ellipse ist die folgende:
• Eine Ellipse ist die Menge aller Punkte der Ebene, deren Abstände von zwei
festen Punkten A und B eine konstante Summe haben.
(Was ist, wenn A=B ?)
Eine praktische Umsetzung der statischen Definition ist die sog. (Gärtnerinnen- &)
Gärtner-Konstruktion: Nimm einen Faden
und befestige seine Enden an den Punkten
A und B , aber so, dass er noch locker ist.
Lege nun einen Bleistift so an den Faden
an, dass er stramm wird. Bewege den Bleistift nun entlang des strammen Fadens, der
ja in seiner Länge immer konstant bleibt: Es
wird eine (halbe) Ellipse gezeichnet.
Wie macht man aus der statischen Definition eine dynamische Version für die DGS?
Lege die beiden Punkte A und B fest. Die
konstante Abstandssumme r muss natürI.6.05 Z
lich größer als der Abstand AB sein.
Zeichne den Kreis um A mit dem Radius r , den sog. Leitkreis, und einen beliebigen Punkt C darauf: AC ist sozusagen der Faden, nur am falschen Endpunkt C
befestigt; wir müssen die Strecke AC irgendwo — in einem Punkt P — "knicken",
so dass PC=PB ist. Das bedeutet: P ist der Schnittpunkt der Mittelsenkrechten
g von BC mit der Strecke AC . Bewege nun C auf dem Leitkreis, dann bewegt
sich P auf einer Ellipse.
Die Mittelsenkrechte g von BC hat noch zwei weitere interessante Eigenschaften:
50
•
Für jeden Punkt Q ( ≠P ) der Mittelsenkrechten g gilt: Die Summe der Abstände von Q nach A bzw. B ist größer als die Abstandssumme r von P .
Beweis mit Hilfe der Dreiecksungleichung:
Es ist AQ+QB=AQ+QC>AC=AP+PC=AP+PB , und das >Zeichen gilt im Dreieck AQC . (Wo haben wir eine ähnliche Argumentation
schon einmal genutzt?)
Anschaulich: P ist der einzige Punkt, den die Gerade g mit der Ellipse gemeinsam hat; alle anderen Punkte von g liegen außerhalb der Ellipse. Man nennt
deshalb g die Tangente an die Ellipse im Punkt P . — Hinweis wieder auf das
Anschmiegen von Ellipse und Tangente aneinander.
•
Der Winkel, den die Strecke AP mit der Mittelsenkrechten bildet, ist genau so
groß wie der, den die Strecke BP mit ihr bildet.
Begründung: g ist Winkelhalbierende im
gleichschenkligen Dreieck BCP , also sind die
beiden Winkel BPM und CPM gleich groß.
CPM wiederum ist Scheitelwinkel des Winkels
#
zwischen AP und g .
Anschaulich: Betrachtet man AP als einen
Lichtstrahl und die Mittelsenkrechte g als einen
Spiegel, dann läuft der reflektierte Strahl durch
B . Egal, welche Richtung der Strahl AP hat,
der mit dem Punkt P mitlaufende Spiegel g reflektiert die Strahlen immer so, dass sie in B
gebündelt werden. Das Gleiche gilt auch von B
aus in Richtung A . Deshalb heißen A und B
auch die Brennpunkte der Ellipse.
Anwendungen: (i) Nierensteinzertrümmerer
I.6.06
(Abbildung aus Griesel & Postel: Mathematik
heute, 2000) Das Gerät ist ein halbes Ellipsoid. Im einen Brennpunkt werden die
Schallwellen erzeugt. Das Gerät wird so an den menschlichen Körper angesetzt,
dass der andere Brennpunkt genau im Nierenstein liegt. Dadurch werden die
Schallwellen in diesem gebündelt, und sie können ihn wirkungsvoll zertrümmern.
(ii) In einem Raum mit ellipsenförmigen Grundriss wird der Schall von einem
Brennpunkt zum anderen besonders gut übertragen, und zwar besser als zu
Punkten dazwischen.
Nutze den Zugmodus, und verändere den Kreisradius r (= Abstandssumme). — Wie
ändert sich die Form der Ellipse?
Wo liegen die Punkte X der Ebene, für die die Summe der Abstände von A und
von B kleiner (größer) als bei den Punkten auf der Ellipse ist? (Begründung!)
Hinweis: Die Ellipse ist achsensymmetrisch bezüglich der Geraden durch A und
B (Begründung!) und bezüglich der Mittelsenkrechten zu AB (d.h. A und B sind
"gleichberechtigt", obwohl sie bei der Konstruktion der Ellipse unterschiedliche Rollen
haben) (Begründung!) und punktsymmetrisch (Zentrum?).
51
Hyperbel
Ein scheinbar unsinniges Experiment: Starte mit der DGS-Konstruktion der Ellipse,
wie oben beschrieben, und lasse den Radius r des Leitkreises kleiner werden als den
Abstand zwischen den Brennpunkten A
und B .
Es entsteht eine neuartige Ortslinie, eine
Hyperbel. Eine genauere Analyse zeigt,
dass sie folgender — statischen — Definition genügt:
•
•
•
•
•
•
I.6.07 Z
Eine Hyperbel ist die Menge aller
Punkte der Ebene, deren Abstände von zwei festen Punkten A und B eine konstante Differenz haben.
(Diese Abstandsdifferenz ist gerade der Radius r des Leitkreises.)
Warum besitzt die Hyperbel zwei getrennte Äste? (Der linke Ast besteht aus allen Punkten P mit AP–BP=-r , der rechte aus denen mit AP–BP=r .)
Wenn der Punkt C entlang des Leitkreises bewegt wird, gibt es zwei Stellen, an
denen die Mittelsenkrechte von BC parallel zu der Geraden AC verläuft. Da es
dann keinen Schnittpunkt P gibt, wird aus der Tangente eine Asymptote an
die Hyperbel.
Wie läuft P , wenn C den ganzen Leitkreis durchläuft? Was passiert mit dem
Punkt P speziell dann, wenn C die beiden besonderen Stellen überquert?
Die (feste) Hyperbel (mit Abstandsdifferenz r ) mit ihren beiden Ästen teilt ja die
Ebene in fünf Bereiche ein (linke Fläche, linker Ast, mittlere Fläche, rechter Ast,
rechte Fläche). Wie kann man die fünf Bereiche mit Hilfe von Abstandsdifferenzen charakterisieren? — Setze für alle Punkte X der Ebene die Abstandsdifferenz mit d=AX–BX (sie kann also <0 , =0 oder >0 sein) an. Wenn man
in der Zeichnung von links nach rechts marschiert, gilt für d nacheinander:
d<-r
d=-r
-r<d<r
d=r
d>r
Wie verändert sich nun die Hyperbel, wenn man ihre Abstandsdifferenz r variiert? Was geschieht, wenn die Abstandsdifferenz gegen 0 geht?
Hinweis: Die Hyperbel ist achsensymmetrisch bezüglich der Geraden durch A
und B (Begründung!) und bezüglich der Mittelsenkrechten zu AB (d.h. A und B
sind "gleichberechtigt", obwohl sie bei der Konstruktion der Hyperbel unterschiedliche
Rollen haben) (Begründung!) und punktsymmetrisch (Zentrum?).
52
Parabel
Um eine Parabel — zunächst statisch — zu definieren, gehen wir von einer festen
Geraden l , der "Leitgeraden", und einem festen Punkt B außerhalb von l aus:
•
Eine Parabel ist die Menge aller Punkte der Ebene, deren Abstand zu dem
festen Punkt B gleich ihrem Abstand zur Leitgeraden l ist.
Auch ohne zu zeichnen, erkennt man, dass
• der Punkt "in der Mitte zwischen B und l " ein besonderer ist: Er hat den kürzesten Abstand zum Punkt B und den kürzesten Abstand zur Leitgerade l ;
man nennt ihn den Scheitelpunkt der Parabel. Bezüglich der Senkrechten zur
Leitgeraden durch den Scheitelpunkt liegen die Parabelpunkte symmetrisch
(warum?). Deshalb nennt man diese Senkrechte auch die Achse der Parabel.
• die Parabel keine geschlossene Kurve sein kann; denn die Abstände werden
immer größer, je weiter man sich vom Scheitelpunkt entfernt.
Wie macht man aus der statischen Definition
eine dynamische für die DGS?
Lege die Leitgerade l und den Punkt B fest.
"Abstand" assoziiert "Lot". Sei C ein beliebiger Punkt auf l und c die Orthogonale zu l
durch C . Dann muss es auf c einen Parabelpunkt P geben, für den also PC=PB
ist. Also ist P der Schnittpunkt von c mit der
Mittelsenkrechten g von CB . Bewege nun C
auf der Leitgeraden, dann bewegt sich P auf
der Parabel.
I.6.08 Z
Die Mittelsenkrechte g von CB hat noch zwei weitere interessante Eigenschaften:
•
Für jeden Punkt Q ( ≠P ) der Mittelsenkrechten g gilt: Der Abstand von Q zur
Leitgeraden l ist kleiner als der Abstand von Q zu B ; denn: alle Q auf g
haben ja von C und B denselben Abstand; wenn nun Q≠P , dann ist
Ql<QC=QB. Anders ausgedrückt: P ist der einzige Punkt, den die Parabel mit der Geraden g gemeinsam hat; alle anderen Punkte der Parabel liegen
in der von g bestimmten Halbebene, in der auch der Brennpunkt liegt. Man
nennt deshalb g auch die Tangente an die Parabel im Punkt P . — Hinweis
auch hier auf das Anschmiegen von Parabel und Tangente aneinander.
•
Der Winkel, den die Strecke AP mit der Mittelsenkrechten bildet, ist genau so
groß wie der, den die Strecke BP mit ihr bildet. (Warum?)
Anschaulich: Betrachtet man die Lotgerade zu l durch P als einen Lichtstrahl
(in der Zeichnung von A Richtung P ) und die Mittelsenkrechte g als einen
Spiegel, dann wird der Strahl an g reflektiert und läuft durch B . Alle Strahlen
senkrecht zur Leitgeraden werden so in B gebündelt. Deshalb heißt B auch
Brennpunkt der Parabel. (Argument wie bei der Ellipse)
53
Anwendung: (i) Im Brennpunkt des Parabolspiegels werden die Lichtstrahlen
weit entfernter Himmelskörper oder die Radiowellen vom Fernseh-Satelliten gebündelt. (ii) Bei den Scheinwerfern eines Autos wird in einer punktförmigen
Quelle Licht erzeugt und über einen paraboloiden Reflektor in parallelen Strahlen
nach vorne geschickt (Umkehrung des Strahlenverlaufs gegenüber (i)).
Die Parabel teilt ja die Ebene in drei Bereiche ein. Wie kann man diese mit Hilfe von
Abstandsdifferenzen charakterisieren? (Setze für alle Punkte X der Ebene die Differenz mit d=lX–BX an.)
Warum heißen die Kegelschnitte "Kegelschnitte"?
Man betrachtet einen räumlichen Doppelkegel und schneidet ihn mit einer Ebene. Je
nach dem, wie die Ebene zum Doppelkegel
liegt, entsteht ein Kreis (als spezielle Ellipse), eine (nicht-kreisförmige) Ellipse, eine
Parabel oder eine Hyperbel (mit ihren beiden Ästen). Abb. I.6.09 zeigt den Sachverhalt im Querschnitt.
Bei ganz besonderen Lagen der Ebene
entsteht als Schnittgebilde ein Punkt oder
eine Doppelgerade (bei welchen Lagen?).
I.6.09
I.6.10 (nach Angela Schwenk, TFH Berlin)
Von einem Lampenschirm, der das Licht nach oben und unten herauslässt, wird in
normaler Stellung an einer Wand ein Schatten in Form einer Hyperbel und an der
Decke ein Kreis geworfen. Durch Schiefhalten der Lampe kann man auch einen ellipsen- und einen parabelförmigen Schatten erzeugen. (Probiere mit Taschenlampe!)
54
I.7. Strahlensätze und Ähnliches
Strahlensatzfigur ("Zweistrahl") mit Strahlen und mit Geraden
I.7.01
I.7.02
Der Name "Strahlensatz" bezieht sich eigentlich auf die Konfiguration in Abb. I.7.01,
wo tatsächlich vom Scheitel S zwei
Strahlen ausgehen, während bei der Figur
in I.7.02 ja zwei Geraden vorliegen. Die
Rede vom "Zweistrahl" ist in I.7.01 klar,
und sie soll auch auf den Sachverhalt in
I.7.02 übertragen werden, obwohl sie dort
ungenau ist. Man kann die Konfiguration in
I.7.02 auf die in I.7.01 zurückführen, indem
I.7.03
man statt A' und B' (z.B. mit Hilfe einer
Punktspiegelung an S ) die Punkte A" und B" jeweils auf der anderen Seite von
S im jeweils selben Abstand von S betrachtet (I.7.03). Wegen des Kongruenzsatzes SWS können dann alle Aussagen über die Kongruenz von Seiten und Winkeln
(Parallelität), die mit der Konfiguration in I.7.01 gewonnen werden, auf die in I.7.02
übertragen werden. — Dieser Zusammenhang wird bei den folgenden Aussagen und
Beweisen nicht immer extra erwähnt.
Bei der Strahlensatzfigur (I.7.01 oder I.7.02) spielen, ausgehend vom Strahl a , drei
Zahlen (Längenverhältnisse) eine Rolle:
• SA
:
SA'
 (zwei Scheitelabschnitte auf einem Strahl)
• SA
:
SB
 (zwei entsprechende Scheitelabschnitte auf den beiden Strahlen)
• SA
:
AB
 (ein Scheitelabschnitt und die Strecke auf der entsprechenden
Querlaufenden)
Es gilt der Satz ("Strahlensatz"):
Wenn die beiden Querlaufenden parallel sind, dann gilt
• 1. Strahlensatz:
SA
:
SA'
=
SB
:
SB'

(beide Strahlen beteiligt) und
• 2. Strahlensatz:
SA
:
SA'
=
AB
:
A'B'

(ein Strahl mit zwei Scheitelabschnitten und die beiden Querlaufenden beteiligt).
(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen)
Durch einfache Umstellungen ergeben sich viele weitere Verhältnisgleichungen, die
jeweils gleichwertig sind, d.h.: wenn man von einer ausgeht, erhält man jeweils die
anderen:
55
SA
:
SB
=
SA'
:
SB'
 (1.) sowie SA
:
AB
=
SA'
:
A'B'
 (2.) und weiter
SB
:
SB'
=
AB
:
A'B'
 (2.) sowie SB
:
AB
=
SB'
:
A'B'
 (2.).
Betrachtet man zusätzlich noch die Abschnitte AA' und BB' auf den beiden Strahlen, so gilt weiter
AA'
:
SA
=
BB'
:
SB
 (1.) und
AA'
:
BB'
=
SA
:
SB
 (1.) u.ä. wegen
AA'
SA' − SA
SA'
SB'
SB' − SB
BB'
=
=
−1 =
−1 =
=
,
SA
SA
SA
SB
SB
SB
aber i.a. nicht AA'
:
SA
=
A'B'
:
AB
 o.ä. (wieso nicht?).
Diese Verhältnisgleichungen liefern alle nichts wesentlich Neues über den 1. und den
2. Strahlensatz hinaus. Man benötigt sie aber manchmal in der jeweiligen Form.
Die beiden Strahlensätze und ihre Beweise bauen wir jetzt sukzessive auf.
Die Umkehrungen der beiden Strahlensätze würde man etwa so formulieren:
• Gegeben: Ein "Zweistrahl" und zwei (nicht notwendig parallele) Querlaufende (mit Schnittpunkten A , B , A' , B' wie in Abb. I.7.01 bzw. I.7.02).
Umkehrung 1. Strahlensatz:
:
SA'
=
SB
:
SB'
 (oder eine entsprechende Verhältnisglei• Wenn SA
chung mit Beteiligung beider Strahlen), dann sind die beiden Querlaufenden parallel.
Umkehrung 2. Strahlensatz:
• Wenn SA
:
AB
=
SA'
:
A'B'
 (oder eine entsprechende Verhältnisgleichung mit Beteiligung eines Strahls und der beiden Querlaufenden), dann
sind die beiden Querlaufenden parallel.
(Schluss von der Gleichheit von Zahlenverhältnissen auf die Parallelität)
Wir werden sehen: Die Umkehrung des 1. Strahlensatzes gilt nur unter einer
(unauffälligen) Zusatz-Bedingung, und die Umkehrung des 2. Strahlensatzes
gilt nicht.
56
Zunächst Sonderfall des Strahlensatzes (mit Längenverhältnissen 1:2 )
• Gegeben ein "Zweistrahl" mit Scheitel S und zwei Querlaufende mit
Schnittpunkten A und A' auf dem einen und entsprechend B und B'
auf dem anderen Strahl.
Die beiden Querlaufenden seien parallel.
(i) Wenn SA' doppelt so lang wie SA ist, dann ist
1. SB' doppelt so lang wie SB und
2. A'B' doppelt so lang wie AB .
(ii) Wenn SB' doppelt so lang wie SB ist, dann ist
1. SA' doppelt so lang wie SA und
2. A'B' doppelt so lang wie AB .
(iii) Wenn A'B' doppelt so lang wie AB ist, dann ist
1. SA' doppelt so lang wie SA und
2. SB' doppelt so lang wie SB .
(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen)
Warum braucht man hier, anders als beim allgemeinen Strahlensatz, die drei Teile
(i), (ii) und (iii)? — Teil (ii) ist gleichwertig zu (i); da wird nur mit dem anderen Strahl
angefangen. — Teil (iii) ist eine wesentlich andere Aussage. Da wird nämlich mit den
Querlaufenden angefangen und auf die Verhältnisse auf den beiden Strahlen geschlossen. — Zusammenfassend:
Wenn die beiden Querlaufenden parallel sind, dann gilt:
• Wenn eines der drei Verhältnisse SA'
:
SA
 , SB'
:
SB
 und
A'B'
:
AB
 gleich 2 ist, dann sind die beiden anderen auch gleich 2 .
(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen)
Beweis von (i): Gemäß der o.a. Vorbemerkung führen wir den Beweis entlang einer
Konfiguration wie in I.7.01, also an einem echten Zweistrahl. — Wir wissen dann,
dass er ohne Weiteres auch für unechte Zweistrahlen, also Konfigurationen wie in
I.7.02, gilt. — Er stellt faktisch eine Wiederholung des Beweises bei der Erzeugung
des Seitenmittendreiecks aus einem gegebenen Dreieck dar (s. im Anschluss an
Abb. I.5.03).
Wir gehen von der Figur in Abb. I.7.01
aus und setzen voraus, dass die beiden Querlaufenden durch A und B
bzw. durch A' und B' parallel sind
und dass SA' doppelt so lang wie
SA ist, A also die Strecke SA' halbiert. Nun zeichnen wir als Hilfslinie
die Parallele zu SB' durch A mit
dem Schnittpunkt H auf der Geraden
A'B' und verbinden H mit B .
I.7.04
Dabei setzen wir nicht voraus, dass HB parallel zu SA' ist, sondern dieses folgt
aus unseren Überlegungen im Anschluss an Abb. I.5.03 (zum großen und kleinen
Dreieck): Dort haben wir in der Tat bewiesen, dass auch B die Strecke SB' halbiert
#
und AB halb so lang wie A'B' ist.
57
Teil (ii) wird wie (i) bewiesen. — Beweis von Teil (iii) wird hier nicht geführt.
Umkehrung der Teile (i)1. und (ii)1. des (1:2-) Sonderfalls des Strahlensatzes:
• Gegeben ein "Zweistrahl" mit Scheitel S und zwei Querlaufende mit
Schnittpunkten A und A' auf dem einen und entsprechend B und B'
auf dem anderen Strahl, so dass sich die Reihenfolgen der Punkte S, A, A'
und der Punkte S, B, B' entsprechen.
Wenn SA' doppelt so lang wie SA und SB' doppelt so lang wie SB ist,
dann sind die beiden Querlaufenden parallel, und A'B' ist doppelt so lang
wie AB .
(Schluss von der Gleichheit von Zahlenverhältnissen auf die Parallelität)
Beweis: Kreis um A mit Radius SB
und Kreis um B mit Radius SA ergibt
Schnittpunkt H . Das Dreieck AHB ist
nach dem Kongruenzsatz SSS kongruent
zum Dreieck BSA . Daraus folgt wiederum
(nach Umkehrung Wechselwinkelsatz),
dass BH parallel zu SA und AH parallel
zu SB sind. Als Stufenwinkel an parallelen
Geraden sind die Winkel A'AH , ASB ,
HBB' gleich groß. Nach Voraussetzung
I.7.05
sind die Strecken AA' und SA sowie BB'
und SB jeweils gleich lang. Also sind die Dreiecke A'AH , ASB , HBB' kongruent.
Daraus wiederum ergibt sich, dass A'H , AB , HB' parallel sind. Also liegen A', H,
B' auf einer Geraden, und diese ist parallel zu AB .
Wenn nun die Querlaufenden parallel sind, dann kann Teil (i)2. bzw. (ii)2. angewen#
det werden, und A'B' ist doppelt so lang wie AB .
•
•
Warum muss man für diese Umkehrungen die Entsprechung der Reihenfolgen von S, A, A' und von S,
B, B' voraussetzen? — In Abb. I.7.06
ist SA' doppelt so lang wie SA , und
sowohl SB" , als auch SB' ist doppelt
so lang wie SB , aber nur mit B" erI.7.06 Z
gibt sich eine Parallele A'B" zu AB ,
während die Gerade A'B' nicht parallel zu AB ist. Dies liegt daran, dass S, B,
B" in der entsprechenden Reihenfolge wie S, A, A' liegen, aber S, B, B' nicht.
Statt der Entsprechung der Reihenfolgen kann man auch die Bedingung
SA
:
AA'
=
SB
:
BB'

(beide =1 oder, im unechten "Zweistrahl"-Fall, beide =3 ) fordern. Aus dieser
Bedingung folgt nämlich unmittelbar die Entsprechung der Reihenfolgen.
Warum ist die Umkehrung der Teile (i)2., (ii)2., (iii)1. und (iii)2. des 1:2-Sonderfalls des Strahlensatzes selbst dann nicht richtig, wenn man die Entsprechung der o.a. Reihenfolgen voraussetzt? — S. Abb. I.7.07: Es sind S,
A, A' und S, B, B' und S, B, B" in den entsprechenden Reihenfolgen, SA' ist
doppelt so lang wie SA , und A'B' sowie A'B" ist doppelt so lang wie AB .
58
Aber nur A'B" ist parallel zu AB , nicht
dagegen A'B' . — Es gibt zwar nur die
beiden Punkte B' und B" , die die
Voraussetzungen einer (versuchten)
Umkehrung des 2. Teils erfüllen, aber
nur einer der beiden führt zu einer Parallelen zu AB . Deshalb ist die Umkehrung falsch.
I.7.07 Z
Schwacher Strahlensatz (1:n-Sonderfall des Strahlensatzes für beliebige n∈
∈N )
Schwacher Strahlensatz
• Gegeben ein "Zweistrahl" mit Scheitel S und zwei Querlaufende mit
Schnittpunkten A und A' auf dem einen und entsprechend B und B'
auf dem anderen Strahl.
Die beiden Querlaufenden seien parallel.
(i) Wenn SA' n-mal (n∈
∈N) so lang wie SA ist, dann ist
1. SB' n-mal so lang wie SB und
2. A'B' n-mal so lang wie AB .
(ii) Wenn SB' n-mal (n∈
∈N) so lang wie SB ist, dann ist
1. SA' n-mal so lang wie SA und
2. A'B' n-mal so lang wie AB .
(iii) Wenn A'B' n-mal (n∈
∈N) so lang wie AB ist, dann ist
1. SA' n-mal so lang wie SA und
2. SB' n-mal so lang wie SB .
(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen)
Umkehrung der Teile (i)1. und (ii)1. des Schwachen Strahlensatzes:
• Gegeben ein "Zweistrahl" mit Scheitel S und zwei Querlaufenden mit
Schnittpunkten A und A' auf dem einen und entsprechend B und B'
auf dem anderen Strahl, so dass sich die Reihenfolgen der Punkte S, A, A'
und der Punkte S, B, B' entsprechen.
∈N) so
Wenn SA' n-mal (n∈
lang wie SA und SB' n-mal so
lang wie SB ist, dann sind die
beiden Querlaufenden parallel,
und A'B' ist n-mal so lang wie
AB .
(Schluss von der Gleichheit von
Zahlenverhältnissen auf die Parallelität)
I.7.08 Z
Bewiesen haben wir das alles bereits
für n=2 . Das Vorwärtsarbeiten mit
kongruenten Dreiecken muss jetzt einfach weiter getrieben werden.
#
59
Wie schon für n=2 geht es nun auch für beliebige n∈N bei der Umkehrung von
(i)1. und (ii)1. nicht ohne Entsprechung der Reihenfolgen der relevanten Punkte auf
den beiden Strahlen und funktioniert die Umkehrung der anderen Teile gar nicht (vgl.
Abb. I.7.06–07).
Der schwache Strahlensatz liefert ein Verfahren, eine gegebene Strecke SA' in n
gleich lange Teilstrecken einzuteilen: Man zeichnet einen (zusätzlichen) Strahl ab
S , trägt dort eine (kleine) Strecke ab S ab und trägt diese insgesamt n-mal ab, womit man die Punkte B=B1, B2 ... usw. bis B'=Bn erreicht. Dann verbindet man B'
mit A' und zeichnet alle Parallelen zu dieser Strecke B'A' durch die Punkte Bk .
So kann man auch einen beliebigen rationalen Anteil
m
(mit natürlichen Zahlen
n
m und n ) einer Strecke markieren. (Wie?)
Seitenhalbierende
Die Verbindungsstrecke im Dreieck zwischen einer Ecke und der gegenüber liegenden Seitenmitte heißt Seitenhalbierende.
Als Folgerung aus dem 1:2-Sonderfall und seiner Umkehrung erhalten wir den
Satz von den Seitenhalbierenden:
• In einem Dreieck schneiden sich die
Seitenhalbierenden in einem Punkt,
dem Schwerpunkt (wenn man ein
Pappdreieck waagrecht hält und in diesem Punkt unterstützt, verbleibt es in
einem labilen Gleichgewicht).
• Der Schwerpunkt teilt jede Seitenhalbierende im Verhältnis 2:1 , wobei
der längere Teil an der Ecke liegt.
Beweis: P, Q, R sind die Seitenmitten, AP
I.7.09
und CR also zwei Seitenhalbierenden mit
dem Schnittpunkt S . Zeichne die Gerade durch P und R .
In die Beweisfigur kann man zweimal die 1:2-Strahlensatz-Figur "hineinsehen". (Wo
liegt jeweils der Scheitel?) Dann gilt:
•
•
Scheitel B : Die Gerade AC ist parallel zu PR , und die Strecke AC ist doppelt
so lang wie PR ; denn ...
Scheitel S : Die Strecke CS ist doppelt so lang wie SR , und die Strecke AS
ist doppelt so lang wie SP , denn ...
Zwischenstand: Der Schnittpunkt S der Seitenhalbierenden AP und CR teilt diese
im Verhältnis 2:1 (mit dem längeren Teil an A bzw. C ).
60
Wir können denselben Gedankengang für die Seitenhalbierenden AP und BQ
durchführen mit dem Ergebnis: Der Schnittpunkt S* der Seitenhalbierenden AP
und BQ teilt beide im Verhältnis 2:1 (längerer Teil an Ecke).
Da AP in beiden Fällen im Verhältnis 2:1 geteilt wird (mit dem längeren Teil an der
#
Ecke), muss S*=S sein.
Seitenmittenparallelogramm
Eine verblüffende Aussage macht der
Satz (von Varignon) über das Seitenmittenparallelogramm:
• In einem (konvexen) Viereck ist das
Seitenmittenviereck ein Parallelogramm.
Sein Flächeninhalt ist halb so groß
wie der des Vierecks.
Sein Umfang ist gleich der Summe
der Diagonalenlängen des Vierecks.
I.7.10
Beweisidee: Zeichne die Diagonalen des Vierecks ein, und sieh in die Zeichnung
1:2-Strahlensatz-Figuren hinein!
#
Gilt der Satz von Varignon
auch für nicht-konvexe
Vierecke ohne Überkreuzung? — Gilt er auch für
Vierecke mit Überkreuzung? — Gilt er auch für
Streckenzüge im Raum, die
aus vier Strecken bestehen,
die nicht notwendig in einer
Ebene liegen?
I.7.11
61
Strahlensätze: Der allgemeine Fall
Die allgemeinen Strahlensatzfiguren sehen aus wie beim 1:2-Sonderfall (Abb. I.7.01,
02); nur ist jetzt nicht notwendig mehr A' doppelt so weit wie A von S entfernt.
1. Strahlensatz:
• Wenn ein "Zweistrahl" von zwei parallelen Geraden geschnitten wird, dann
verhalten sich die Abschnitte auf dem einen Strahl wie die entsprechenden
Abschnitte auf dem anderen Strahl.
Auch: ... dann sind die Verhältnisse aller Abschnitte auf dem einen Strahl zu ihrem je entsprechenden Abschnitt auf dem anderen Strahl gleich.
SA
:
SA'
:
AA'
=
SB
:
SB'
:
BB'
 (drei Verhältnisgleichungen!),
D.h.:
auch: SA
:
SB
=
SA'
:
SB'
=
AA'
:
BB'

(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen)
2. Strahlensatz:
• Wenn ein "Zweistrahl" von zwei parallelen Geraden geschnitten wird, dann
verhalten sich die Abschnitte auf den Parallelen wie die entsprechenden
Scheitelabschnitte auf jedem der beiden Strahlen.
D.h.:
SA
:
SA'
=
AB
:
A'B'
=
SB
:
SB'
,
auch: SA
:
AB
=
SA'
:
A'B'
 und SB
:
AB
=
SB'
:
A'B'

(Schluss von der Parallelität auf die Gleichheit von Zahlenverhältnissen)
Warum kann der Satz nur stimmen, wenn die parallelen Abschnitte auf die Scheitelabschnitte und nicht auf beliebige Abschnitte auf den Strahlen bezogen werden?
Umkehrung des 1. Strahlensatzes:
• Wenn ein "Zweistrahl" von zwei Geraden so geschnitten wird, dass sich alle drei Abschnitte auf dem einen Strahl wie die entsprechenden Abschnitte
auf dem anderen Strahl verhalten, dann sind die beiden Geraden parallel.
Auch: Wenn ..., dass alle drei Abschnitte auf dem einen Strahl dasselbe Verhältnis zu ihrem entsprechenden Abschnitt auf dem anderen Strahl haben, dann ...
(Schluss von der Gleichheit von Zahlenverhältnissen auf die Parallelität)
Die Voraussetzung bei der Umkehrung des 1. Teils des schwachen Strahlensatzes
(und des 1:2-Sonderfalls), dass z.B. SA
:
SA'
=
SB
:
SB'
 (eine Verhältnisgleichung) gilt und die Reihenfolgen von S, A, A' und S, B, B' sich entsprechen müssen, ist jetzt durch die scheinbar schärfere Voraussetzung SA
:
SA'
:
AA'
=
SB
:
SB'
:
BB'
 (drei Verhältnisgleichungen) ersetzt. — In der Tat folgt aus diesen die Entsprechung der Reihenfolgen
(wieso?). Aber auch: aus der Entsprechung
der Reihenfolgen und dem Zutreffen einer
Verhältnisgleichung folgen die beiden anderen (wieso?). Also sind die Voraussetzungen gleichwertig.
Dass diese Voraussetzung notwendig ist,
haben wir schon beim 1:2-Sonderfall erkannt (s. Abb. I.7.06). Hier noch eine Konfiguration (I.7.12), wo man schon bei einem
I.7.12 Z
62
echten Zweistrahl diese Notwendigkeit sieht: Zwar ist SA
:
AA'
= SB
:
BB'
,
aber da die Reihenfolgen von S, A, A' und S, B, B' sich nicht entsprechen, sind
AB und A'B' nicht parallel. Die Verhältnisgleichung stimmt auch, wenn man B'
durch B" ersetzt, und da die Reihenfolgen von S, A, A' und S, B, B" sich entsprechen, sind AB und A'B" parallel. ( B" und B' sind die einzigen Punkte auf
dem Strahl durch B , für die die Verhältnisgleichung gilt.)
Die Umkehrung des 2. Strahlensatzes
gilt nicht.
Selbst wenn die beiden Reihenfolgen der
relevanten Punkte auf den beiden Strahlen
sich entsprechen, muss trotz der Gleichung
SA
:
AB
=
SA'
:
A'B'
 die Strecke A'B'
nicht zu AB parallel sein. Außer der Parallelität (in Abb. I.7.13 durch den Punkt B"
bestimmt) gibt es allerdings höchstens eine
weitere Lage (die durch B' bestimmte).
(Vgl. a. I.7.07.)
I.7.13 Z
Zum vollständigen Beweis der Strahlensätze benötigt man einen infinitesimalen
Beweisgedanken. Das liegt daran, dass das Verhältnis von zwei Streckenlängen irrational sein kann. In solchen Fällen erhält man durch ganzzahliges Teilen und Aneinanderlegen von Teilen des einen Abschnitts niemals exakt den anderen Abschnitt,
sondern nur näherungsweise.
Beweis des 1. Strahlensatzes
a) Der rationale Fall, d.h. es gibt zwei natürliche Zahlen m und n , so dass sich die
Längen von SA und SA' wie m zu n
verhalten.
Mit dem Verfahren zur Streckenteilung erzeugen wir eine Strecke x , deren Länge
den m-ten Teil von SA und damit zugleich den n-ten Teil von SA' beträgt.
(In der Zeichnung ist m=5 und n=8 .)
Nach dem schwachen Strahlensatz verhalten sich die entsprechenden Abschnitte auf
dem anderen Strahl entsprechend.
I.7.14
b) Der irrationale Fall (d.h. das Verhältnis a =SA:SA' ist eine irrationale Zahl):
Konstruiere, ausgehend von der Parallelen durch A' , durch fortgesetztes Halbieren
der Strecke SA' und der entstehenden Teilstrecken, die A enthalten, eine Schar
von Parallelen. Die Parallelen dieser Schar gehen zwar alle nicht durch A , sie
schließen aber A (und auf dem anderen Strahl B ) beliebig eng ein.
63
Die rationalen Zahlen (Quotienten), die durch diese Schar von Parallelen auf dem
Strahl durch A bestimmt werden, schließen die irrationale Zahl a beliebig eng ein.
Auf dem Strahl durch B bestimmt nach dem gerade Bewiesenen jede Parallele dieselbe rationale Zahl (denselben Quotienten) wie auf dem Strahl durch A . Auf dem
Strahl durch B schließen also diese rationalen Zahlen genau dieselbe irrationale
Zahl ein wie auf dem Strahl durch A , nämlich a .
I.7.15 Z
Jede Parallele, die, von S aus gesehen, vor A liegt, liegt auch vor B , und jede,
die hinter A liegt, liegt auch hinter B . Also liegt B genau an der Stelle, wo das
Verhältnis SB:SB'= a ist. (Das war die infinitesimale Betrachtungsweise.) #
Beachte: In der Formulierung des 1. Strahlensatzes ist nur von "Abschnitten", nicht
von Scheitelabschnitten die Rede. Es ist klar, dass man den Beweis auch mit anderen Abschnitten führen kann, z.B. SA gegenüber AA' oder SA' gegenüber AA' .
Beweis der Umkehrung des 1. Strahlensatzes:
Voraussetzung: SA
:
SA'
=
SB
:
SB'
 , und S, A, A' liegen in der entsprechenden Reihenfolge wie S, B, B' (diese
Modifizierung der o.a. Voraussetzung
ergibt sich nach der o.a. Bemerkung
daraus, dass die Verhältnisgleichung
ja für alle Abschnitte gelten soll).
Behauptung: AB und A'B' sind parallel.
Beweis: Angenommen, A'B' wäre
nicht parallel zu AB . Dann zeichne
die Parallele zu AB durch A' ; sie
schneide den zweiten Strahl in B* ,
d.h. A'B* ist parallel zu AB .
I.7.16
64
Nach dem 1. Strahlensatz ist aber SA
:
SA'
=
SB
:
SB*
 , und folglich SB'
=
 , also B'=B* , und A'B' ist doch parallel zu AB .
#
SB*
Beim 2. Strahlensatz verzichten wir auf den Beweis.
Strahlenbüschel
• Ein Strahlenbüschel (bzw. Geradenbüschel) schneide aus jeder Parallelen einer Parallelenschar Abschnitte
in einer bestimmten Reihenfolge
aus. Dann sind die Verhältnisse entsprechender Abschnitte auf je zwei
Parallelen gleich.
Zum Beweis wählt man einen der Strahlen
aus und wendet auf ihn nacheinander zusammen mit jedem anderen Strahl den 2.
Strahlensatz an.
I.7.17
Parallele Streifen
• Zwei parallele Streifen schneiden
aus einer quer zu ihnen laufenden
Gerade Abschnitte im Verhältnis ihrer Breiten aus.
Auch hier liegt die Strahlensatzfigur zu
Grunde; aber die Parallelen werden jetzt als
die primären und die "Strahlen" als die sekundären Objekte gesehen.
Beweis der Aussage?
I.7.18
Ähnliche Dreiecke
Man kann auf die Strahlensatzfiguren (s. Anfang des Abschnitts) auch "mit anderen
Augen" sehen; dann sieht man zwei Dreiecke SAB und SA'B' , die — Stufenwinkel
an Parallelen! — in allen drei Winkelmaßen übereinstimmen. Die Strahlensätze besagen dann, dass die Verhältnisse entsprechender Seiten übereinstimmen. Auch die
Umkehrung ist richtig. Deshalb kann man alle Aussagen zusammenfassen zum sog.
Hauptsatz der Ähnlichkeitslehre (zum Namen "Ähnlichkeit" s.u.):
• Zwei Dreiecke haben entsprechende gleich große Winkel
gdw
entsprechende Seiten bilden gleiche Verhältnisse.
Wegen der Kongruenzsätze gilt der Hauptsatz auch für Dreiecke, die nicht "ineinander" liegen, und lautet, mit entsprechenden Bezeichnungen, allgemein:
65
α = α' und β = β' und γ = γ' (es genügen zwei dieser Gleichungen; warum?) gdw
BC
:
CA
:
AB
=
B'C'
:
C'A'
:
A'B'
 (bzw.
BC
:
B'C'
=
CA
:
C'A'
=
AB
:
A'B'
)
Die Verhältnisse können zwischen den Seitenlängen jeweils eines Dreiecks gebildet
werden, und die drei Verhältnisse im einen Dreieck sind dann denen im anderen
Dreieck gleich. — Die Verhältnisse können aber auch zwischen den entsprechenden
Seiten beider Dreiecke gebildet werden und sind dann alle gleich: Alle Seiten des ei#
nen Dreiecks sind a-mal so lang wie die entsprechenden Seiten des anderen.
Der Satz folgt auch unmittelbar aus dem Sinussatz: Nach diesem hat man nämlich
a
b
c
a'
b'
c'
in beiden Dreiecken
=
=
= 2·r bzw.
=
=
= 2·r' .
sin α sin β sin γ
sin α' sin β' sin γ'
Division der beiden Gleichungsketten ergibt
a sin α' b sin β' c sin γ' r
·
= ·
= ·
= .
a' sin α b' sin β c' sin γ r '
Wenn nun die Winkelmaße entsprechend gleich sind, sind die entsprechenden Sinus-Werte gleich, und es folgt direkt die Gleichheit der drei Seitenlängenverhältnisse.
Sind umgekehrt die drei Seitenlängenverhältnisse gleich, dann stimmt auch das Verhältnis der beiden Umkreisradien mit diesen überein, und deswegen sind die SinusWerte entsprechender Winkel gleich.
Zwischen 0° und 90° ist ja die Sinus-Funktion streng monoton steigend, und daher
gilt: Sind zwei Winkel spitz, und haben sie denselben Sinus-Wert, dann sind sie identisch. ─ Wenn also beide Dreiecke spitzwinklig sind, folgt aus der Gleichheit entsprechender Sinus-Werte die Gleichheit der zugehörigen Winkelmaße.
Sei nun einer der sechs Winkel, z.B. γ , nicht spitz. Dann ist c die längste Seite in
ABC und damit c' die längste in A'B'C' , also γ' der größte Winkel in A'B'C' (Seiten-Winkel-Korrespondenz im Dreieck). Die vier anderen Winkel sind jedenfalls spitz,
und damit gilt α=α' und β=β' . Daraus folgt schließlich γ=γ' (Winkelsummensatz). #
•
Zwei n-Ecke heißen ähnlich, wenn sie in entsprechenden Winkeln und im
Verhältnis entsprechender Seiten übereinstimmen.
An Parallelogrammen kann man leicht sehen, dass die Gleichheit entsprechender
Winkelmaße allein nicht ausreicht, um "gleiche Form" im Sinne von Ähnlichkeit zu charakterisieren. — Und wenn man das Quadrat mit einer nicht-quadratischen Raute vergleicht, sieht man, dass die Gleichheit der
Seitenlängenverhältnisse ebenfalls nicht
ausreicht. — Der Hauptsatz der ÄhnlichI.7.19
keitslehre besagt dagegen, dass bei Dreiecken eine der beiden Bedingungen bereits Ähnlichkeit erzwingt.
66
Folgerungen aus den Strahlensätzen bzw. aus dem Hauptsatz der Ähnlichkeitslehre
Für Dreiecke :
Noch ein Satz von den Winkelhalbierenden:
• Eine Winkelhalbierende teilt die gegenüber liegende Dreiecksseite im Verhältnis der beiden anliegenden Seiten.
Beweis:
Sei AP die Winkelhalbierende von
α . Zeichne durch C eine Parallele zu
AP ; ihr Schnittpunkt mit der verlängerten Seite AB sei D .
Dann gilt:
Die Winkel CDA und PAB sind
gleich groß (Stufenwinkelsatz), und
die Winkel ACD und CAP sind
gleich groß (Wechselwinkelsatz).
Also ist AD=AC, weil im Dreieck
ACD die diesen Seiten gegenüber
liegenden Winkel gleich groß sind.
I.7.20 Z
Diese Gleichheit ergibt sich auch folgendermaßen: Zeichne die Winkelhalbierende des Außenwinkels von α .
Nach I.5.05 steht sie senkrecht auf der
Winkelhalbierenden von α und damit
I7.21 Z
senkrecht auf deren Parallele durch C
(und D ). Möge sie diese in E schneiden. Dann sind die beiden Dreiecke AED und
AEC nach Kongruenzsatz WSW kongruent, und damit ist AD=AC .
Also gilt: PB:PC=AB:AD (1. Strahlensatz mit Scheitel B ) =AB:AC . #
Satz über die Flächeninhalte ähnlicher Dreiecke
• Das Flächeninhaltsverhältnis zweier ähnlicher Dreiecke ist gleich dem
Quadrat des Längenverhältnisses.
Beweis: Die Seiten des einen Dreiecks seien k-mal so lang wie die entsprechenden
Seiten des anderen Dreiecks. Dann ist k auch das Verhältnis entsprechender Höhen. Sei g die Länge einer Seite und h die zugehörige Höhe im ersten Dreieck,
1
dann hat dieses den Flächeninhalt F = ·g·h . Wählt man im zweiten Dreieck die
2
entsprechenden Größen g' (=k·g) und h' (=k·h) , dann hat dieses den Flächeninhalt
1
1
1
#
F' = ·g'·h' = ·(k·g)·(k·h) = k2·( ·g·h) = k2·F .
2
2
2
67
Aus diesem Satz folgt (wie?) der
Satz über die Flächeninhalte ähnlicher Vielecke
• Das Flächeninhaltsverhältnis zweier ähnlicher Vielecke ist gleich dem
Quadrat des Längenverhältnisses.
Folgerungen aus den Strahlensätzen bzw. dem Hauptsatz der Ähnlichkeitslehre
Für Kreise :
Sekantensatz
• Schneiden sich zwei Sekanten innerhalb
oder außerhalb eines Kreises, so ist das
Produkt aus den Abschnitten der einen Sekante gleich dem Produkt der Abschnitte
der anderen Sekante.
Beweis durch Umstrukturierung der Wahrnehmung: Statt der Sekanten die Winkel in den Blick
nehmen! Die Winkel ABC und ADC sind gleich
groß (Umfangswinkel über der — nicht eingezeichneten — Sehne AC ). Also (?) haben die Dreiecke
SBC und SDA insgesamt gleich große Winkel.
I.7.22 Z
DS·SC=BS·SA≈51,4
Nach dem Hauptsatz der Ähnlichkeitslehre gilt
SB:SC=SD:SA . Nun ist aus der Verhältnis- eine Produktgleichung zu machen.
#
Wenn die Punkte C und D zusammenfallen, wird
aus der einen Sekante eine Tangente. Der Winkel
ADC existiert nicht mehr. Dennoch haben die
Dreiecke SCA ( =SDA ) und SBC gleich große
Winkel (nach dem Sehnen-Tangenten-WinkelSatz), und wieder ist SB:SC=SD:SA (mit
C=D ).
I.7.23 Z
DS·SC=BS·AS≈106
Der Satz bleibt also auch in diesem Randfall gültig:
Sekanten-Tangenten-Satz:
• Schneidet eine Sekante eine Tangente, so
ist das Produkt aus den Abschnitten der
Sekante gleich dem Quadrat über dem
Tangentenabschnitt.
In geometrischer Sprache: ...so ist das Rechteck
mit den beiden Sekantenabschnitten als Seiten so
groß wie das Quadrat über dem Tangentenabschnitt.
I.7.24 Z
SC2=SA·SB≈55,8
68
Dies liefert die Grundlage für folgende Konstruktion: Gegeben ein Rechteck. Konstruiere ein dazu flächeninhaltsgleiches Quadrat!
Der Kreis des Apollonius (Apollonius von Perga, ca. 262−190 v.Chr.)
Im Kapitel I.6 über Ortslinien haben wir zu zwei verschiedenen Punkten A und B in
der Ebene alle Punkte X mit konstanter Abstandsdifferenz bezüglich A und B
betrachtet, d.h. zu einer positiven Zahl r alle X mit AX−BX= r . So sind wir
auf Hyperbeln gestoßen mit dem Randfall der Mittelsenkrechten von AB bei r=0 .
Nun wollen wir statt Abstandsdifferenzen Abstandsverhältnisse studieren: Zu zwei
verschiedenen Punkten A und B und einer positiven reellen Zahl r sind alle Punkte X der Ebene gesucht mit AX:BX= r .
Einen solchen Punkt ─ wir nennen ihn P ─ findet man direkt auf der Strecke AB :
Für rationale positive r haben wir im Anschluss an den schwachen Strahlensatz
(I.7.08) eine Konstruktion kennen gelernt: Ist r=m/n die Darstellung als gewöhnlicher
Bruch, dann muss man auf irgendeinem Strahl
von A aus eine Strecke (m+n)-mal abtragen,
usw. ─ Ist r irrational, so braucht man für eine
geometrische Konstruktion irgendwo zwei Musterstrecken, deren Längenverhältnis r:1 lautet,
und kann dann, analog zum rationalen Fall, mit
Hilfe des 1. Strahlensatzes P zwischen A und
I.7.25 Z
B konstruieren.
Außer für r=1 gibt es auf der Geraden gAB einen weiteren Punkt, Q , mit
AQ:BQ= r . Für r<1 liegt er näher an A , für r>1 näher an B . Die Konstruktion
verläuft entsprechend der von P .
Man sagt, die beiden Punkte teilen die Strecke AB harmonisch im Verhältnis r .
Bestimmt gibt es solche Punkte X mit AX:BX= r auch außerhalb von gAB : ─
Sei X irgendein Punkt außerhalb gAB . Dann haben wir im Dreieck ABX ein bestimmtes Abstandsverhältnis AX:BX= rX . Der Schnittpunkt PX der Winkelhalbierenden von ξ mit der Seite AB teilt diese dann im Verhältnis rX (nach dem o.a.
Satz von den Winkelhalbierenden). Man müsste X so hinkriegen, dass rX=r ist.
Vorher konstruieren wir aber noch den zugehörigen äußeren Teilungspunkt QX .
Dazu muss natürlich rX≠1 sein, und wir betrachten o.B.d.A. den Fall rX<1 : Kreis um
X mit Radius AX ; D sei dessen Schnittpunkt mit BX ; Parallele zu AD durch X ; E
sei deren Schnittpunkt mit gAB . Nach dem 1.
Strahlensatz mit Scheitel in B , Schenkeln
von B durch A und durch X sowie Querlaufenden AD und EX gilt: AE:BE=
I.7.26 Z
DX:BX=AX:BX= rX , also ist E=QX .
69
Der Strahl von X durch QX steht senkrecht auf dem Strahl von X durch PX (der
Winkelhalbierenden von ξ ) und ist daher die Winkelhalbierende des Außenwinkels in X . ─ Begründung: Da das Dreieck AXD gleichschenklig ist, steht die Winkelhalbierende von ξ senkrecht auf der Basis AD , zu der ja der Strahl von X
durch QX parallel ist.
Zusammenfassung des Bisherigen: Für jedes echte Dreieck ABX gilt: Liegt X
nicht auf der Mittelsenkrechten von AB , dann liefert die Winkelhalbierende von ξ
zusammen mit der Winkelhalbierenden des Außenwinkels von ξ zwei Punkte P
und Q , die die Strecke AB im Verhältnis AX:BX harmonisch teilen.
Wegen der Orthogonalität der beiden Winkelhalbierenden liegt X auf dem ThalesKreis durch P und Q , und jeder Punkt
X , der bei dieser Konstruktion dasselbe Teilungsverhältnis generiert, liegt auf demselben Thales-Kreis.
Diesen nennt man Kreis des Apollonius
zur Strecke AB und dem Verhältnis r .
I.7.27 Z
Lässt man nun das Teilungsverhältnis r von 1 bis 0 gehen, wandert P vom Mittelpunkt von AB in Richtung A . Q und der Apolloniuskreis-Mittelpunkt M wandern aus dem Unendlichen ebenfalls in Richtung A . Die beiden Randfälle sind die
Mittelsenkrechte bei r=1 und der Nullkreis um A bei r=0 .
Für r≥1 hat man alles entsprechend auf der anderen Seite der Mittelsenkrechten
von AB . Man betrachtet ja jetzt alle Kehrwerte der bisher betrachteten Verhältnisse
≤1 , d.h. im Verhältnis AX:BX werden die Rollen von A und B vertauscht.
Bei gegebenen A, B haben keine zwei Apollonius-Kreise Punkte gemeinsam. Jeder
Punkt der Ebene liegt auf einem Apollonius-Kreis (inklusive der Randfälle). Man kann
die komplette Ebene mit Apollonius-Kreisen als Ortslinien für Punkte X mit konstanten Abstandsverhältnissen AX:BX überdecken, mit der Mittelsenkrechten
zu AB und den beiden Punkten A und B als Randfällen. Das ganze Bild ist symmetrisch bezüglich dieser Mittelsenkrechten und bezüglich der Geraden gAB . Es erinnert stark an die Überdeckung der Ebene mit
Hyperbeln als Linien konstanter Abstandsdifferenzen. Während aber alle Hyperbeln ins Unendliche laufen (wir hatten uns bei den Parabeln überlegt, warum), sind die Ortslinien jetzt
Kreise und verbleiben im Endlichen (wegen
des konstanten rechten Winkels PXQ bei alI.7.28
len Punkten X auf einer Ortslinie).
Wir haben außerdem gerade begründet: Seien A, B zwei verschiedene Punkte, r≠1
eine positive Zahl, P, Q die Punkte der harmonischen Teilung von AB , k der zugehörige Apollonius-Kreis. Für alle Punkte X auf k (außerhalb gAB ) gilt: Die
Halbgeraden von X durch P und durch Q sind die Winkelhalbierenden des
Winkels ξ im Dreieck AXB und von dessen Außenwinkel.
70
Durch einfaches Umstellen erhält man aus der Gleichung AP:BP=AQ:BQ
für die harmonische Teilung von AB durch P und Q die Gleichung
AP:AQ=BP:BQ , und man sieht, dass gleichzeitig die Strecke PQ von A
und B harmonisch geteilt wird, allerdings i.a. in einem anderen Verhältnis.
Kreiskonstruktionen
(lediglich Darstellung von möglichen Aufgaben)
1.
Gegeben sind drei verschiedene Punkte. Konstruiere einen Kreis durch
diese Punkte.
Gibt es für jede Lage der Punkte eine Lösung? Wie konstruiert man ggfs. eine
Lösung? Welcher Satz gibt Hinweis und Begründung für ein Konstruktionsverfahren? Gibt es mehrere Lösungen?
2.
Gegeben sind drei verschiedene Geraden. Konstruiere einen Kreis, der die
drei Geraden berührt.
Gibt es für jede Lage der Geraden eine Lösung? Wie konstruiert man gegebenenfalls eine Lösung? Welcher Satz gibt Hinweis und Begründung für ein Konstruktionsverfahren? Gibt es mehrere Lösungen?
3.
Gegeben sind zwei verschiedene Punkte und eine Gerade. Konstruiere einen Kreis durch die zwei Punkte, der die Gerade berührt.
Unterscheide folgende Lagen:
a) Beide Punkte liegen auf der Geraden.
b) Ein Punkt liegt auf der Geraden.
c) Kein Punkt liegt auf der Geraden, wobei die Punkte
(i) auf verschiedenen Seiten,
(ii) auf derselben Seite
der Geraden liegen.
Gibt es jeweils eine Lösung? Wie konstruiert man ggf. eine Lösung? Welcher
Satz gibt Hinweis und Begründung für ein Konstruktionsverfahren? Gibt es mehrere Lösungen?
Steckbrief für c)(ii):
Gesucht ist ein dritter Kreispunkt; dann können wir den Kreis konstruieren
(wie?). Es ist naheliegend, als dritten Punkt den Berührpunkt der Tangente zu
suchen.
Fallunterscheidung:
• Die beiden gegebenen Kreispunkte liegen auf einer Parallelen zur Tangente.
Einfacher Fall!
• Die Gerade durch die beiden gegebenen Kreispunkte schneidet die Tangente. Tipp zur Konstruktion des Berührpunktes: Sekanten-Tangenten-Satz!
4.
Gegeben sind ein Punkt und zwei Geraden. Konstruiere einen Kreis durch
den Punkt, der die beiden Geraden berührt. Tipp: Zentrische Streckung.
71
I.8. Der Pythagoras-Satz und sein Umfeld
Literatur u.a.: Peter Baptist: Pythagoras und kein Ende? (Leipzig 1997). — In seinem 1940 erschienenen Buch "The Pythagorean Proposition" hat der amerikanische Mathematiklehrer und College-Professor Elisha Scott Loomis ca. 370 Beweise zusammengetragen und klassifiziert. — Weitere Applets
zu diesem Thema: IES Inc.
Wieder einmal legen wir in der Ebene zwei
Punkte A und B fest und betrachten die
Verbindungsstrecke AB=c (wir bezeichnen auch die Länge AB mit c ) sowie
das Quadrat über c mit dem Flächeninhalt
c2 . Für sämtliche Punkte X ( =C ) der
Ebene (eigentlich nur: einer Halbebene bezüglich AB ) bilden wir die Verbindungsstrecken AC=b , BC=a , betrachten die
Quadrate über b und a mit Flächeninhalten b2 und a2 , bilden die Summe a2+b2
und vergleichen diese schließlich mit dem
Quadrat c2 . — Beobachtung?
Offensichtlich spielen die Dreiecke mit einem rechten Winkel in C eine besondere
Rolle. Da haben die Seiten sogar eigene
I.8.01 Z
Namen: Hypotenuse heißt die dem rechten Winkel gegenüber liegende Seite c , Kathete heißt jede der beiden anliegenden
Seiten an C .
Satz des Pythagoras:
• Im rechtwinkligen Dreieck ist das Hypotenusenquadrat genauso groß wie
die beiden Kathetenquadrate zusammen.
Zwar gilt in jedem echten Dreieck immer a+b>c , aber im rechtwinkligen Dreieck ist
a2+b2=c2 , und wie wir beobachtet haben, gilt, wenn der Winkel in C stumpf ist, sogar a2+b2<c2 , und nur wenn dieser Winkel spitz ist, gilt a2+b2>c2 .
Als Mathematiklehrerin & -lehrer sollte man mindestens drei verschiedene Typen von
Beweisen kennen:
1.Typ:
1.1
1.2
1.3
1.4
2. Typ:
2.1
2.2
Scherungsbeweise
Scherung — Drehung — Scherung von Parallelogrammen
Scherung — Schiebung — Scherung von Parallelogrammen
Scherung — Drehung — Scherung von Dreiecken ("Tänzerinnen"-Beweis)
Scherung — Schiebung — Scherung von Dreiecken ("Tänzerinnen"-Beweis)
Zerlegungs-Ergänzungs-Beweise
Zerlegung — Verschiebung von Quadratteilen
Ergänzung zum Quadrat — Verschiebung von dreieckigen Teilen (indischer
Beweis)
2.3 Zerlegung und Ergänzung (Stuhl der Braut, Clairaut um 1750)
3. Typ: Ähnlichkeitsbeweis (beliebige Flächen über den Seiten, die einander ähnlich sind)
72
Bei allen nun folgenden Beweisen ist die DGS mehr oder weniger nützlich: zum Veranschaulichen, zum Strukturieren, zur Entwicklung von Vermutungen und Ideen, sowie zur visuellen Veränderung der Gesamtfigur, dabei Erzeugung vieler Fälle und
Verstärkung des Glaubens an den Beweis. — Der eigentliche Beweis wird fast
durchweg mit Hilfe statischer Argumente geführt, auch wenn dies im Zuge einer Bewegung oder Verformung geschieht. Diese Bewegung wird irgendwann angehalten,
und es wird am statischen Bild argumentiert und dabei erst der Beweis geliefert. Lediglich beim "Stuhl der Braut" wird die Bewegung als Beweisargument genutzt: dort
wird gesagt, dass die kürzere Strecke immer länger und die längere immer kürzer
wird, so dass sie irgendwann gleich lang sein müssen.
1.1 Scherung — Drehung — Scherung von Parallelogrammen
Beweis: Wir zeichnen die Höhengerade hc
(als komplette Gerade) und zerlegen damit
das Hypotenusenquadrat (über c ) in zwei
Rechtecke. Wir zeigen: jedes dieser beiden
Rechtecke hat denselben Flächeninhalt wie
das ihm anliegende Kathetenquadrat. Wir
zeigen es für das linke:
Wir beginnen mit dem Kathetenquadrat
ACFG . Es hat denselben Flächeninhalt wie
das Parallelogramm mit den Ecken G , A
und B (dessen vierte Ecke wir T nennen).
Auch das Kathetenquadrat ist ein Parallelogramm. Beide Parallelogramme haben dieselbe Grundseite AG und dieselbe Höhe
I.8.02 Z
AC . Der Flächeninhalt ist das Produkt aus
Grundseite und Höhe und deshalb für beide Parallelogramme gleich.
Nachträglich führen wir mit der DGS das Quadrat ACFG mit Hilfe einer Scherung
(d.i. eine stetige Verformung, bei der der Flächeninhalt gleich bleibt) entlang der Seite AG in das Parallelogramm ABTG über. In der Schule haben wir die Flächeninhaltstreue einer Scherung nicht bewiesen, und wir benutzen sie hier lediglich zur
Veranschaulichung. Dagegen haben wir die Flächeninhaltsformel für das Parallelogramm in der Schule sehr wohl bewiesen. Diese Formel hat hier also Beweiskraft,
während die Scherung lediglich sehr anschaulich und suggestiv ist.
Anschließend drehen wir das Parallelogramm ABTG um die Ecke A so weit, bis
die Seite AB auf die Seite AD fällt (beide mit Länge c ), d.h. wir müssen um 90°
drehen. — Wird dabei die Ecke G auf C abgebildet? — Jawohl, denn auch die
beiden Seiten AG und AC haben dieselbe Länge, nämlich b , und sie schließen
ebenfalls einen Winkel von 90° ein, der bei der Rotation gerade überwunden wird.
Die vierte Ecke des Parallelogramms T wird auf S abgebildet (wieso liegt das Bild
von T auf hc ?), und wir haben jetzt das Parallelogramm ADSC , dessen Fläche so
groß wie die des Parallelogramms ABTG ist (weil diese beiden Parallelogramme
durch eine Rotation aufeinander abgebildet worden sind und damit sogar deckungsgleich, d.h. kongruent sind).
73
Das Parallelogramm ADSC hat dieselbe Grundseite AD und dieselbe Höhe AQ
wie das "Parallelogramm" ADLQ , d.h. auch die Flächeninhalte sind gleich.
Insgesamt hat also das Kathetenquadrat ACFG denselben Flächeninhalt wie das
Rechteck ADLQ .
Zur Veranschaulichung führen wir jetzt wieder nachträglich eine Scherung entlang
der Seite AD durch und transformieren so das Parallelogramm ADSC unter Erhaltung des Flächeninhalts stetig in das Rechteck ADLQ , auch dies wieder zum Zwe#
cke der Veranschaulichung und Beeindruckung.
Wir könnten den ganzen Beweis auch in umgekehrter Richtung führen, d.h. ausgehend
vom Rechteck über Scherung, Drehung und
Scherung zum Kathetenquadrat.
1.2 Scherung — Schiebung — Scherung
von Parallelogrammen
Wir verwenden dieselbe Ausgangsfigur wie in
1.1, fangen aber zur Abwechslung mit dem
Rechteck ADLQ an, das durch die Höhengerade hc vom Hypotenusenquadrat abgetrennt wurde. Dieses "scheren" wir entlang
DA in das Parallelogramm mit den Ecken D ,
A und C . Dieses neue Parallelogramm verschieben wir um c nach oben und scheren
es dann in das Kathetenquadrat.
In Abb. I.8.03 ist das für beide Rechtecke
zugleich gemacht, und wir sehen eine
Momentaufnahme, wo die beiden Rechtecke nach der Scherung als Parallelogramme simultan auf dem Verschiebungsweg nach oben sind. Sind sie
oben angelangt, dann wird das eine
nach links und das andere nach rechts
geschert.
I.8.03 Z (von Tim Rinkens)
1.3, 1.4 Scherung — Drehung (bzw.
Schiebung) — Scherung von
Dreiecken ("Tänzerinnen"-Beweis)
Zum Beweis wird mit Dreiecken an Stelle von Parallelogrammen gearbeitet. —
Welche kleine Zusatzüberlegung ist erforderlich? — Welchen kleinen Vorzug
hat die Verwendung von Dreiecken?
I.8.04 Z
74
2.1 Zerlegung — Verschiebung von Quadratteilen
Wähle das größere der beiden Kathetenquadrate (oder, falls sie gleich groß sind,
eines der beiden), und markiere seinen
Mittelpunkt (z.B. als Schnittpunkt der beiden Diagonalen). Zeichne durch den Mittelpunkt eine Gerade, die parallel zur Seite c ist, und eine weitere Gerade senkrecht dazu. Das Kathetenquadrat wird so
in vier Teile zerlegt.
Verschiebe diese vier Teile einzeln in das
Hypotenusenquadrat, und passe sie mit
ihrem rechten Winkel genau in die jeweils
entsprechende Ecke des Hypotenusenquadrats.
Zeige, dass in die jetzt noch freie Fläche
im Hypotenusenquadrat genau das andere Kathetenquadrat passt (mit Hilfe von
Aussagen über die Winkelmaße und Seitenlängen der verschobenen Teile).
I.8.05 Z
2.2 Ergänzung zum Quadrat — Verschiebung von dreieckigen Teilen (indischer
Beweis)
Zum rechtwinkligen Dreieck
mit den Katheten a , b und
der Hypotenuse c zeichnen
wir ein Quadrat mit der Seitenlänge a+b . In dieses
Quadrat passen wir nun vier
Kopien des Dreiecks ein,
einmal wie in Abb. I.8.06 im
linken, dann wie im rechten
Quadrat. Wieso bleiben als
Restflächen ein bzw. zwei
Quadrate? Um welche Quadrate handelt es sich dabei?
I.8.06
Die zugehörige arithmetische Gleichungskette macht den einfachen Beweis (allerdings nur in Verbindung mit der Zeichnung) vollends trivial:
c2 = (a+b)2 – 4·
a ⋅b
= a2+2·a·b+b2 – 2·a·b = a2+b2 .
2
75
2.3 Zerlegung und Ergänzung (Stuhl der Braut, Clairaut um 1750)
I.8.07 Z
Beweis: Zu einem rechtwinkligen Dreieck mit Katheten a und b und Hypotenuse c
werden die beiden Kathetenquadrate nebeneinander gelegt wie in der Zeichnung.
Auf der Strecke AICI mit der Länge a+b wird der Punkt HI im Abstand b von AI
markiert. Es ist klar, dass die beiden Dreiecke HIDIAI und GIHICI kongruent zum
ursprünglichen sind. Sie werden abgeschnitten und wie in der Zeichnung neu angelegt. — Begründe, dass Alles passt und dass ein Quadrat mit Seitenlänge c ent#
steht. — Wieso ist nun der Pythagoras-Satz bewiesen?
Dasselbe nun als Bewegungsbeweis (rechte Zeichnung). Vorgehen (mit Abschneiden und Anlegen) wie eben. Nur wird H jetzt nicht festgelegt, sondern ist auf der
Strecke AC beweglich. H soll von A nach C laufen. Dabei werden die Strecke
AH und die dazu kongruente Strecke EL immer länger und die Strecke HC und
die dazu kongruente Strecke FK immer kürzer. Was bleibt bei der Bewegung von H
immer gleich? Wenn schließlich K mit L zusammen fällt (wird dieser Zustand zwingend erreicht?), dann lauten die Maße ... (wie?) und ist die entstandene Figur das
Hypotenusenquadrat (wieso?).
#
76
3. Ähnlichkeitsbeweis (beliebige Flächen über den Seiten, die einander ähnlich
sind)
Beweis: Mit den Bezeichnungen wie in Abb.
I.8.08 sind die Dreiecke ABC , ACH und
CBH ähnlich, weil sie alle einen rechten Winkel und direkt sichtbar den Winkel α oder
den Winkel β haben, woraus sich der jeweils
andere Winkel zu β bzw. α ergibt. Da entstehen viele Verhältnisgleichungen, z.B.
c a b
= = . Daraus c·q=b2 . Analog ergibt
b h q
sich c·p=a2 und durch Addition
a2+b2=c·(p+q)=c·c=c2 .
#
I.8.08
Nun an Stelle dieser arithmetischen Schlussweise ein Ähnlichkeitsbeweis mit Bewegungen:
Über den drei Seiten a , b , c des in C
rechtwinkligen Dreiecks sind zunächst Quadrate gezeichnet. Sie sind zueinander ähnlich, und ihre Flächeninhalte verhalten sich
wie a2 zu b2 zu c2 . Die Zeichnung ist so
angelegt, dass man durch Ziehen an D und
E die Form des Hypotenusenquadrats verändern kann und dass sich die Formen der
Kathetenquadrate entsprechend ändern,
d.h. dass die drei Flächen ähnlich bleiben
und sich ihre Flächeninhalte immer wie a2
zu b2 zu c2 verhalten, d.h. es gibt immer eiI.8.09 Z
ne Zahl r , so dass die drei Flächeninhalte
r·a2 , r·b2 und r·c2 lauten. Am Anfang bei den Quadraten beträgt r=1 . Bei den Figuren in der Zeichnung ist ungefähr r=0,3 , usw.
Dies Alles gilt auch, wenn man z.B. E auf A zieht und dadurch Dreiecke erzeugt.
Dabei gehen Q nach A und G nach C . Lässt man D wie in der Zeichnung,
dann ist ungefähr r=0,15 . Nun kann man D noch ziehen, wobei P und F sich
entsprechend bewegen, so dass die Dreiecke immer ähnlich bleiben. Man kann sogar D auf die andere Seite der Hypotenuse ziehen, wobei das Dreieck ABD zwischendurch entartet ist. Dabei wandern P und F ebenfalls auf die andere Seite ihrer jeweiligen Katheten (und diese beiden Dreiecke ACP und CBF sind im selben
Moment wie das Hypotenusendreieck auch entartet).
Nun zieht man speziell D auf C . Dann wandern P und F beide auf H , den Höhenfußpunkt von C im Dreieck ABC . Diese beiden Punkte müssen dort hin wandern, weil ja die Kathetendreiecke ACP und CBF immer ähnlich zum Hypotenusendreieck ABD sein müssen und wir am Anfang des Abschnitts festgestellt haben,
dass genau die Dreiecke AHC und CHB und ACB ähnlich sind. Auch jetzt gibt es
ein r , so dass die drei Dreiecke die Flächeninhalte r·a2 , r·b2 und r·c2 haben, un-
77
gefähr 0,25 . Zugleich ist klar, dass die beiden Kathetendreiecke zusammen das
Hypotenusendreieck ergeben, dass also r·a2+r·b2=r·c2 und damit insbesondere
a2+b2=c2 ist. Dies ist genau die Pythagoras-Gleichung für die anfänglichen Quadrate.
#
Rückblick: Weil die Gleichung r·a2+r·b2=r·c2 für eine bestimmte Metamorphose der
drei Figuren gilt, gilt sie für alle anderen Metamorphosen auch: Wenn nur schön die
Ähnlichkeit bewahrt wird, ist immer die Summe der Flächeninhalte der Kathetenfiguren gleich dem Flächeninhalt der Hypotenusenfigur, und dies gilt auch, falls diese die
Form von Quadraten (oder Halbkreisen oder ...) haben.
Zur "Satzgruppe des Pythagoras" gehören noch
Kathetensatz des Euklid:
• Im rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat über der Kathete flächeninhaltsgleich zu dem Rechteck, das aus der Hypotenuse und dem anliegenden
Hypotenusenabschnitt gebildet ist.
Der Hypotenusenabschnitt ist durch den Höhenfußpunkt festgelegt. Beim Beweistyp
1.1 wurde genau der Kathetensatz bewiesen.
Höhensatz des Euklid:
• Im rechtwinkligen Dreieck ist das Quadrat über der Höhe auf der Hypotenuse flächeninhaltsgleich zu dem Rechteck, das aus den beiden Hypotenusenabschnitten gebildet ist.
h p
In den ähnlichen Dreiecken AHC und CHB mit q=AH , p=BH , h=HC gilt
= ,
q h
und daraus folgt h2=p·q (Bezeichnungen s. Abb. I.8.08).
78
Die alten (Ägypterinnen &) Ägypter konstruierten einen rechten Winkel mit Hilfe des
12-Knoten-Seils (Hinweis: 3+4+5=12 und 32+42=52 ). Sie benutzten damit die
Umkehrung des Satzes von Pythagoras:
• Ist in einem Dreieck das Quadrat über einer Seite so groß wie die Quadrate
über den beiden anderen Seiten zusammen, so ist das Dreieck rechtwinklig. (Der rechte Winkel liegt — natürlich! — dem großen Quadrat gegenüber.)
Beweis: Wir analysieren die Gleichung
a2+b2=c2 (entsprechend ginge man vor bei
a2+c2=b2 oder c2+b2=a2 ). Wir halten die
Ecken A und B mit der Seite c fest und
lassen C wandern. Wir betrachten den
Streifen, den die beiden zu c senkrechten
Geraden durch A und durch B bilden.
Liegt C außerhalb des Streifens oder auf
dem Rand, dann ist der Winkel in A oder
B stumpf oder recht und entweder a≥c
oder b≥c und jedenfalls a2+b2>c2 .
Liegt C im Innern des Streifens, dann lasI.8.10 Z
sen wir C auf einer Parallelen zu den
Streifenrändern wandern: Wenn C sich
der Seite c nähert, werden a und b kleiner, bis schließlich im Entartungsfall, wenn
C auf c liegt, a+b=c und damit a2+b2<a2+2·a·b+b2=(a+b)2=c2 ist. Wandert nun C
von c weg, werden a und b und damit a2+b2 kontinuierlich größer, und zwar beliebig groß, wenn C nur weit genug wandert, insbesondere wird dieser Term also irgend wann einmal >c2 . Bei dieser Wanderung überschreitet C einen Punkt, bei
dem gerade a2+b2=c2 ist. Wir wissen genau, wo dieser Punkt ist. Wo nämlich C
den Kreis (mit dem Durchmesser AB ) passiert, ist nach dem Thales-Satz der Winkel
ACB ein rechter, und nach dem Pythagoras-Satz gilt dort a2+b2=c2 .
Insgesamt hat man: Vor und nach dem Erreichen dieses Kreises gilt die PythagorasGleichung nicht, und genau beim Passieren des Kreises gilt sie. D.h.: Wenn die Gleichung gilt, muss C auf dem Kreis liegen und damit der Winkel in C recht sein.
#
Zusammenfassung: Liegt C im Innern dieses Kreises, ist sein Winkel stumpf, und
es ist a2+b2<c2 . Liegt C außerhalb, ist sein Winkel spitz, und es ist a2+b2>c2 . Liegt
C auf der Kreislinie, ist sein Winkel recht, und es ist a2+b2=c2 .
79
Ist der Winkel in C nicht recht, so lässt sich die Ungleichung zwischen a2 , b2 und
c2 unter Einbezug von cosγ wieder zu einer Gleichung machen, mit Hilfe vom
Kosinussatz:
• In jedem Dreieck gilt:
c2 = a2 + b2 – 2·a·b·cosγγ .
Der Kosinussatz in dieser Form ist ein
wichtiges Hilfsmittel, um aus gegebenen Seiten und Winkeln eines Dreiecks die übrigen "Stücke" zu berechnen. Speziell für γ=90° ist bekanntlich
cosγ=0 , und wir haben die Pythagoras-Gleichung. ─ Was passiert, wenn
von da aus γ kleiner oder größer
wird? ─ Wie lauten die Gleichungen
des Kosinussatzes, wenn mit α oder
β statt γ gearbeitet wird?
Der Kosinussatz ist eine direkte
(arithmetische) Konsequenz aus folgendem geometrischen Satz:
I.8.11 Z
(Geometrische) Verallgemeinerung des Kathetensatzes
• Errichte im Dreieck über jeder Seite
das Quadrat, und zerlege jedes Quadrat durch die zugehörige Höhengerade in zwei Rechtecke. Dann gilt:
Von diesen sechs Rechtecken sind
immer jeweils die beiden Rechtecke,
die an dieselbe Dreiecksecke stoßen, gleich groß.
Im rechtwinkligen Fall ist dies der Kathetensatz: Da die Höhengeraden durch die
90°-Ecke gehen, stimmen zwei davon mit
den anliegenden Seiten überein, und die
beiden Rechtecke an der 90°-Ecke haben
je den Flächeninhalt 0 , ihre beiden Quadratergänzungen sind komplette Quadrate,
nämlich die Kathetenquadrate. Diese sind
also je so groß wie ihre zugeordneten Teilrechtecke des Hypotenusenquadrats.
I.8.12 Z
Besser als beim Kosinussatz in seiner üblichen Formulierung wird hier die vollständige "Gleichberechtigung" aller drei Seiten des Dreiecks klar.
Im stumpfwinkligen Fall haben die beiden Rechtecke an der stumpfen Ecke "negativen" Flächeninhalt, und ihre beiden Quadrat-"Ergänzungen" sind größer als die Quadrate.
80
Beweis der Verallgemeinerung des Kathetensatzes:
Wir setzen zunächst voraus, dass γ spitz ist. Nun gehen wir genau wie beim "Scherung-Drehung-Scherung"-Beweis des Pythagoras-Satzes vor, und zwar gemäß der
dort abschließenden Bemerkung in der Richtung "von einem der beiden Teilrechtecke des Hypotenusenquadrats zum entsprechenden Kathetenquadrat" (Abb. I.8.02).
Durch die Höhengerade hc wird das Quadrat über AB in zwei Rechtecke zerlegt.
Wir arbeiten mit dem linken ADLQ : Wir ersetzen es (durch Scherung zu veranschaulichen) durch das gleich große Parallelogramm ADSC und rotieren dies um
90° um A in das dazu kongruente Parallelogramm ABTG . In der Tat: A ist Fixpunkt. Durch die 90°-Rotation werden die Seiten AD und AC auf die Seiten AB
und AG ihrer jeweiligen Quadrate abgebildet. Und das Bild von S liegt auf der Parallelen zu AG durch B , also auf der Höhengeraden hb , und auf der Parallelen zu
AB durch G , also ist es T .
Das Parallelogramm ABTG wiederum wird durch das gleich große Parallelogramm
AHbNG ersetzt (wieder durch Scherung zu veranschaulichen) ( Hb ist der Höhenfußpunkt zu B ). Tatsächlich ist AHbNG ein Rechteck, und zwar bei Zerlegung des
Quadrats über AC durch die Höhengerade hb in zwei Teilrechtecke das an A liegende.
Der Unterschied zum genannten Pythagorassatz-Beweis besteht darin, dass sich am
Schluss nicht das ganze Quadrat über AC ergibt, sondern eben nur das durch hb
definierte Teilrechteck an A .
Bei γ=90° läuft hb durch die Ecke C , und das "Teilrechteck" AHbNG ist mit dem
Quadrat identisch. Dasselbe gilt für das Quadrat über der Seite BC . Auf beiden Seiten hat das "Restrechteck" (an C ) die Breite 0 und damit den Flächeninhalt 0 ,
und diese beiden "Restrechtecke" sind gleich groß (nämlich 0 ).
Ist nun γ>90°, so funktioniert der Beweis immer noch in gleicher Weise. Nur optisch
sieht der Sachverhalt anders aus: Die beiden Höhengeraden hb und ha verlaufen ja
nun außerhalb des Dreiecks, das Rechteck AHbNG ist jetzt größer als das Quadrat
und das "Restrechteck" hat negativen Flächeninhalt.
Dies alles lässt sich durch Ziehen mit der DGS durch Übergang aus dem spitzwinkligen Fall sehr schön veranschaulichen.
#
Nun folgern wir den eigentlichen Kosinussatz:
(i) Zunächst im spitzwinkligen Fall: Das
Quadrat über c ist ja so groß wie die Summe der beiden Quadrate über b und über
a , abzüglich der beiden an C liegenden
Rechtecke. — Wie groß sind diese? — Das
an der Seite b hat die Seitenlängen b und
I.8.13 Z
81
CHb . Im Dreieck CHbB ist in Hb ein rechter Winkel, CHb ist die Ankathete und
CB=a die Hypotenuse zum Winkel γ , also ist CHb=a·cosγ , und damit hat dieses
fragliche Rechteck den Flächeninhalt a·b·cosγ .
Auf der rechten Seite der Gesamtfigur geht man in gleicher Weise vor. Dort kriegt
man ebenfalls den Flächeninhalt a·b·cosγ . Addiert man Alles auf, erhält man endlich
c2=a2+b2–2·a·b·cosγ .
Diese Gleichung gilt, wie gesagt, für spitze Winkel γ und, wie wir wissen, noch für
rechte Winkel γ .
(ii) Im stumpfwinkligen Fall (γ >90° ) müssen ja die Flächeninhalte der beiden
"überstehenden" Rechtecke noch zu a2
und b2 addiert werden, um c2 zu erhalten. — Wie vereinbart sich das mit dem Minuszeichen in der Kosinusgleichung? —
Natürlich ist der Flächeninhalt etwa des
Rechtecks CFNHb nach wie vor b·CHb .
Die Länge CHb hat, ähnlich wie vorhin,
im rechtwinkligen Dreieck CHbB (mit rechtem Winkel in Hb und γ'=180°–γ<90° in
I.8.14 Z
C ) den Wert a·cosγ' . Weil γ' der Nebenwinkel von γ ist, gilt a·cosγ'=-a·cosγ>0 . Der Flächeninhalt lautet -a·b·cosγ>0 . Dieser Wert ist zu addieren, und der Term gilt auch in diesem Fall.
Was gibt es noch im Umfeld des "Pythagoras"?
• Diophant (um 250): Wie findet man natürliche Zahlen a , b , c , für die
c2=a2+b2 gilt?
Solche Zahlen heißen Pythagoräische Zahlen.
Gibt es dafür eine Formel?
• Fermat (1601–1665) hat bei dem Versuch, den Pythagoras-Satz zu verallgemeinern, festgestellt: Die Gleichung an+bn=cn besitzt für n>2 keine Lösung, die nur
aus positiven natürlichen Zahlen besteht. Erst 1994 wurde die sog. Fermatsche
Vermutung von Andrew Wiles endgültig bewiesen.
• Chaostheorie (2. Hälfte 20. Jhdt.): Ein Pythagoräisches Fraktal entsteht so: Betrachte jedes Kathetenquadrat als neues Hypotenusenquadrat, wobei das neue
rechtwinklige Dreieck zum alten ähnlich ist. Zeichne die neuen Kathetenquadrate. Dann betrachte ... usw. Es entstehen faszinierende Bilder.
82
II. Abbildungen ebener Figuren
II.1. Grundsätzliches zu Abbildungen
Wir wollen uns nun etwas systematischer mit geometrischen Abbildungen befassen.
"Abbildung" und "Funktion" (auch "Transformation" und "Operation") sind verschiedene Namen für denselben Begriff, der charakterisiert ist durch die Angabe des Definitionsbereichs ("was wird abgebildet?"), des Wertebereichs ("wohin wird abgebildet?") und der Abbildungs- oder Funktionsvorschrift ("wie wird abgebildet?").
In unserem Fall besteht sowohl der Definitions- wie der Wertebereich aus den Punkten der Ebene. Wir betrachten dabei nur bijektive Abbildungen, d.h. solche, die jeden Punkt einem und nur einem Punkt zuordnen. (Gegenbeispiel: orthogonale Projektion auf eine Gerade; zeichne eine Gerade, und ordne sämtlichen Punkten X der
Ebene ihren Lotfußpunkt auf der Geraden zu; Beispiele: Translation, Spiegelung,
Rotation, zentrische Streckung usw.). Man spricht auch von umkehrbar eindeutigen
Zuordnungen. Diese besitzen immer eine Umkehr-Abbildung. Die
Hintereinanderausführung (HAF) von Abbildung und Umkehr-Abbildung ergibt die
identische Abbildung (Identität ), bei der jeder Punkt auf sich selbst abgebildet
wird.
Wir bezeichnen Abbildungen mit kleinen griechischen Buchstaben: , ,
und ihre Umkehr-1
Abbildungen mit
etc. — Die HAF von
und
("erst , dann ") bezeichnen wir mit
.
Demnach gilt:
ist Umkehr-Abbildung von
genau dann, wenn
=
= .
Die HAF ist assoziativ, d.h. wenn man drei beliebige Abbildungen , ,
hintereinander
ausführt, dann kann man zum einen
als
neue Abbildung
auffassen und erst
und
dann
ausführen (
) , oder man fasst
als neue Abbildung
auf und führt sie nach
aus (
) : Die resultierende Abbildung ist dieselbe. Kurz: Es ist immer
=
.
II.1.01
In Abb. II.1.01 ist die Assoziativität mit drei Translationen, repräsentiert durch ihre Verschiebungsvektoren, veranschaulicht. Dass das Anhängen
des Pfeils
an =
zum selben Ergebnis
führt wie das Anhängen des Pfeils
=
an
, müsste noch elementargeometrisch bewiesen
werden (wie?). Beachte nach wie vor: durch jede
Translation wird die ganze Ebene abgebildet!.
II.1.02 Z
Die HAF ist i.A. nicht kommutativ, d.h. i.A.
. Abb. II.1.02 liefert ein Beispiel mit zwei Spiegelungen, wo g
h(ABC) =
A'B'C' und h
g(ABC) = A"B"C" (beachte wieder: es wird immer die ganze Ebene
abgebildet.)
83
II.2. Zentrische Streckung
Eigenschaften einer zentrischen Streckung:
Z ist Fixpunkt, im Fall k 1 der einzige.
Geradentreue, d.h. das Bild einer Geraden ist wieder eine Gerade.
Beweis: Wir betrachten eine Strecke
AB , einen Punkt C auf ihr, und zeigen, dass dann der Bildpunkt C' auf
der Bildstrecke A'B' liegt. Da die Verhältnisgleichungen
ZA : ZA' = ZB : ZB' = ZC : ZC'
gelten, müssen wegen der Umkehrung
des 1. Strahlensatzes die Strecken
A'B' , A'C' und B'C' parallel zu AB ,
II.2.01 Z
AC und BC sein. Da AB , AC und
BC untereinander parallel sind, müssen auch A'B' , A'C' und B'C' untereinanderparallel sein. Also liegen A' , C'
und B' auf einer Geraden.
Bild- und Urgeraden sind parallel: Beweisführung analog "Geradentreue". Insbesondere sind die Geraden durch Z Fixgeraden.
Winkeltreue: folgt nach Stufen- bzw. Wechselwinkelsatz direkt aus der Parallelität von Bild- und Urgeraden. Insbesondere werden Dreiecke in dazu ähnliche
abgebildet.
Kennt man von einem Punkt A ( Z ) den Bildpunkt A' , so kann man ohne
Kenntnis des Streckfaktors k zu jedem anderen Punkt B den Bildpunkt konstruieren (Bezeichnungen wie in Abb. II.2.01): Gerade BZ , Gerade AB , Parallele zu AB durch A' , Schnittpunkt mit Gerade BZ ist Bildpunkt B'.
k >1 Figuren werden vergrößert,
k =1 zentrische Streckung ist Kongruenzabbildung,
k <1 Figuren werden verkleinert,
k>0
Bildpunkte auf derselben Seite bezüglich Z wie Urpunkte,
k<0
Bildpunkte auf der anderen Seite bezüglich Z als Urpunkte,
k=-1
zentrische Streckung ist Punktspiegelung,
k=1
zentrische Streckung ist Identität,
k=0
nicht erlaubt.
84
Den Zusammenhang zwischen der Ähnlichkeitslehre und der zentrischen Streckung
stiftet der
Satz von den zentrisch ähnlichen Dreiecken:
Zwei Dreiecke, deren entsprechende Seiten parallel, aber nicht gleich lang
sind, lassen sich durch eine zentrische Streckung aufeinander abbilden.
II.2.02 Z
Was ist, wenn entsprechende Seiten nicht nur parallel, sondern auch noch gleich
lang sind (in Abb. II.2.02 das Dreieck A"B"C" im Vergleich zu ABC )? — Dann liefert die Translation (mit dem Spezialfall der Identität) oder die Punktspiegelung (=
Rotation um 180° ) die Abbildung des einen Dreiecks auf das andere.
Für zwei zentrische Streckungen am selben Zentrum Z und den Faktoren k und j
ist die HAF wieder eine zentrische Streckung an Z mit dem Faktor k·j .
1
, handelt es sich bei der HAF um die Identität. Zwei zentrische
k
Streckungen sind invers zueinander, falls sie dasselbe Zentrum haben und für ihre
1
Streckfaktoren gilt: j= , insbesondere müssen dafür k und j beide positiv oder
k
beide negativ sein.
Speziell wenn j=
85
Besondere Linien und Punkte im Dreieck
Wir knüpfen noch einmal an den Zusammenhang zwischen Mittelsenkrechten und
Höhengeraden in I.5 an und wenden auf die
Konfiguration von Abb. I.5.03 (jetzt II.2.03)
den Satz von den zentrisch ähnlichen Dreiecken an:
Es gibt eine zentrische Streckung, die ABC
auf A'B'C' abbildet; der Streckfaktor ist
k=-2 . Das Streckzentrum ist der Schnittpunkt der Strecken AA' und BB' und liegt
auch auf CC' . Diese Strecken sind die Seitenhalbierenden im Dreieck A'B'C' (auch
im Dreieck ABC , wegen der zentrischen
II.2.03 Z
Streckung). — Damit haben wir einen neuen Beweis für den Satz von den Seitenhalbierenden, wobei der Schwerpunkt gleich
dem Streckzentrum ist.
Bei der genannten zentrischen Streckung wird der Umkreismittelpunkt des Dreiecks
ABC auf den Umkreismittelpunkt des Dreiecks A'B'C' abgebildet (warum?). Dieser
ist aber zugleich Höhenschnittpunkt im Dreieck ABC . Also gilt der
Satz von der Eulerschen Geraden:
Höhenschnittpunkt H , Schwerpunkt S und Umkreismittelpunkt M liegen
auf einer Geraden.
Der Schwerpunkt teilt die Strecke zwischen Höhenschnittpunkt und Umkreismittelpunkt im Verhältnis 2:1 , wobei das längere Stück am Höhenschnittpunkt liegt.
II.2.04 Z
86
Mit Hilfe von zentrischen Streckungen folgt mit deutlich mehr Aufwand der
Satz vom Feuerbachschen Neun-Punkte-Kreis:
In einem Dreieck ABC liegen die drei Seitenmitten Ma, Mb, Mc (wichtig), die
drei Höhenfußpunkte Ha, Hb, Hc (wichtig) und die drei Mitten Va, Vb, Vc der
Verbindungsstrecken von den Ecken zum Höhenschnittpunkt (nebensächlich) auf einem Kreis.
Der Radius des Feuerbachschen Kreises ist halb so groß wie der Umkreis
des Dreiecks.
Der Mittelpunkt F des Feuerbachschen Kreises liegt auf der Eulerschen
Geraden in der Mitte zwischen dem Höhenschnittpunkt H und dem Umkreismittelpunkt M .
Der Feuerbachsche Kreis berührt sowohl den Inkreis wie die drei Ankreise.
II.2.05 Z
87
II.3. Kongruenzabbildungen
Wir wiederholen (ohne Beweise):
Kongruenzabbildungen sind geraden-, längen- und winkeltreu.
Aus den Kongruenzsätzen folgt weiterhin der
Satz von der Eindeutigkeit von Kongruenzabbildungen
Kennt man bei einer Kongruenzabbildung zu drei nicht-kollinearen Punkten ihre
Bildpunkte, dann kennt man die Kongruenzabbildung insgesamt, d.h. auf allen
Punkten der Ebene.
Anders ausgedrückt: Stimmen zwei Kongruenzabbildungen in der Ebene in drei
nicht-kollinearen Punkten überein, dann sind sie identisch.
Etwas Ähnliches hatten wir schon bei der Funktionenlehre in der Sekundarstufe. Zur
Bestimmung einer Funktion muss man zu jedem Element des Definitionsbereichs
sein zugeordnetes Element im Wertebereich angeben, z.B. mit einer Funktionsvorschrift. Wenn man diese nicht kennt, kann man sich mit einer Wertetabelle helfen,
aber nicht, wenn der Definitionsbereich unendlich viele Elemente enthält. Wenn man
aber einige Eigenschaften der Funktion kennt, braucht man vielleicht doch wieder
nur für wenige Elemente ihre Bilder, um damit die ganzen Funktion zu bestimmen.
Beispiel: Wenn man weiß, dass es eine lineare Funktion von R in R (eine Gerade)
ist, dann genügt es, von zwei Zahlen x ihre Bilder f(x) zu kennen, und man kennt
für alle anderen Zahlen ihre Bilder auch und damit die ganze Funktion. In der Geometrie der Ebene gilt: Wenn man weiß, dass die Abbildung eine Kongruenzabbildung
ist, dann genügt es, für drei nicht-kollineare Punkte P ihre Bildpunkte (P) zu
kennen, und man kennt für alle anderen Punkte X der Ebene ihre Bildpunkte unter
.
Der tiefere Grund ist (Beweisskizze für den Satz):
Wenn ein Punkt X bezüglich eines Dreiecks PQR
eine bestimmte Lage hat,
d.h. zu den drei Ecken P ,
Q , R je einen bestimmten
Abstand, dann muss sein
Bildpunkt X' zum Bilddreieck P'Q'R' die entsprechende Lage, nämlich zu
den drei Bildecken P' ,
II.3.01 Z
Q' , R' die entsprechenden Abstände haben. X liegt nämlich auf drei Kreisen um die drei Punkte P , Q ,
R , und der Bildpunkt X' muss auf drei Kreisen mit entsprechend gleichen Radien
um die entsprechenden Bildpunkte liegen. Bereits wenn wir nur zwei Kreise, etwa
um P' und Q' , betrachten würden, gäbe es für X' nur zwei Möglichkeiten. Von
denen wird dann durch den dritten Kreis noch eine festgelegt. — Ist man überhaupt
sicher, dass sich von den drei Kreisen um die Bildpunkte überhaupt immer zwei
schneiden? Jawohl, wegen der Kongruenzsätze. — ... und dass sich alle drei Kreise
um die Bildpunkte in einem Punkt schneiden? Ebenfalls: jawohl, wegen der Kongru-
88
enzsätze. — Ist man sicher, dass die drei Kreise nicht zwei verschiedene gemeinsame Schnittpunkte haben können? In der Tat gibt es nur dann einen eindeutigen
Schnittpunkt, wenn P , Q , R und damit P' , Q' , R' ein echtes Dreieck bilden,
d.h. nicht auf einer Geraden liegen.
Wenn sie dagegen auf einer Geraden liegen, dann
gibt es für das Bild von X
zwei Möglichkeiten, nämlich in jeder der beiden
Halbebenen bezüglich dieser Geraden eine. Man hat
dann nämlich für die Kongruenzabbildung nicht
mehr Information, als wenn
man nur von zwei Punkten
ihre Bilder kennen würde.
II.3.02 Z
Dieser Satz erlaubt es, dass wir uns bei der Analyse von Kongruenzabbildungen auf
deren Wirkung auf (echte) Dreiecke (sogar auf deren drei Ecken) beschränken.
(Geraden-) Spiegelung
Wir knüpfen an die Begriffe, Definitionen und Ergebnisse von I.3 an:
Eigenschaften einer (Geraden-) Spiegelung
Die Geradenspiegelung ist Umkehrabbildung von sich selbst.
Für jeden Punkt P mit seinem Bildpunkt P' ist die Spiegelachse Mittelsenkrechte der Strecke PP' .
Die einzigen Fixgeraden sind die Spiegelachse und alle dazu senkrechten Geraden.
Die Spiegelachse ist sogar Fixpunktgerade.
Wird eine Gerade h gespiegelt, dann ist die
Spiegelachse g entweder Mittelparallele
des Streifens zwischen h und Bildgerade h'
oder Winkelhalbierende eines Winkels zwischen h und h' .
Die Geradenspiegelung verkehrt den Umlaufsinn.
Für jede Figur f ist die mit ihrem Bild f'
II.3.03 Z
vereinigte Figur f f' achsensymmetrisch.
89
Satz von den drei Spiegelungen
Zwei kongruente Dreiecke können durch Hintereinanderausführung von
höchstens drei Spiegelungen aufeinander abgebildet werden.
Beweis (die Ecken
der beiden kongruenten Dreiecke ABC
und DEF seien
passend benannt):
1.
2.
3.
Mittelsenkrechte
von AD . Spiegelung daran
bildet A auf
A' , B auf B',
C auf C' ab,
II.3.04 Z
und zwar ist
A'=D .
(Falls schon vor 1. Schritt A=D , dann entfällt dieser Schritt, und es wird direkt
A=A'=D , B=B' und C=C' genannt.)
Winkelhalbierende von B'DE . Spiegelung an ihr bildet A' auf A" , B' auf B" ,
C' auf C" ab, und zwar ist A"=A'=D Fixpunkt und B"=E , d.h. die Seiten A"B"
und DE sind identisch).
(Falls schon vor 2. Schritt B'=E , dann entfällt dieser Schritt, und es wird direkt
D=A'=A" , E=B'=B" und C'=C" genannt.)
Gerade durch D und E . Spiegelung an ihr bildet A" auf A"' , B" auf B"', C"
auf C"' ab. A"'=A"=A'=D sowie B"'=B"=E sind Fixpunkte, und C"'=F , weil
C"'D = C"'A"' = CA = FD und C"'E = C"'B"' = CB = FE .
(Falls schon vor 3. Schritt C"=F , dann entfällt dieser Schritt, und es wird direkt
D=A'=A"=A"' , E=B"=B"' und F=C"=C"' genannt.)
Mit der HAF von höchstens drei Spiegelungen kann man das Dreieck ABC auf das
dazu kongruente Dreieck DEF abbilden. Es ist klar, dass bei jeder Spiegelung sich
der Umlaufsinn verkehrt. Wenn also die beiden Dreiecke verschiedenen Umlaufsinn
haben, braucht man eine ungerade Anzahl von Spiegelungen, d.h. 3 oder 1 . Wenn
sie denselben Umlaufsinn haben, braucht man eine gerade Anzahl, also 2 oder 0
(im letzteren Fall sind die beiden Dreiecke von vorne herein identisch).
Auf die ganze Ebene bezogen lautet der Dreispiegelungssatz:
Jede Kongruenzabbildung der Ebene kann als Produkt von höchstens drei
Spiegelungen dargestellt werden.
Ist eine Kongruenzabbildung das Produkt einer geraden Anzahl von Spiegelungen, dann erhält sie die Orientierung aller Dreiecke; sie ist orientierungserhaltend.
Ist eine Kongruenzabbildung das Produkt einer ungeraden Anzahl von Spiegelungen, dann verkehrt sie die Orientierung aller Dreiecke; sie ist orientierungsverkehrend.
90
Translation
Die Translationen sind genau die
HAFen zweier Spiegelungen mit parallelen Spiegelachsen.
Die Achsen stehen orthogonal auf dem
Verschiebungspfeil, ihr Abstand ist
halb so groß wie dessen Länge. Die
Reihenfolge der beiden Spiegelungen
ergibt sich aus der Orientierung des
Verschiebungspfeils.
Es handelt sich um die Nullschiebung
(= Identität = Nulldrehung)
gdw
die beiden Spiegelungen (und ihre
Achsen) sind identisch.
Beweis: Seien die Achsen g1 und g2 mit
Abstand a gegeben, sowie X irgendein
Punkt der Ebene. Wir machen keine FallII.3.05 Z
unterscheidung, in welchem Bereich X
liegen kann, sondern führen den Beweis für eine beliebige Lage von X :
Zeichne die Lotgerade durch X zu den beiden Spiegelachsen. Wir wissen bereits,
dass der Zwischenbildpunkt X* (nach der ersten Spiegelung) und der endgültige
Bildpunkt X' (nach der zweiten Spiegelung) auf dieser Lotgeraden liegen. Wir prägen der Lotgeraden die reellen Zahlen (eine Koordinate) so auf, dass ihr Schnittpunkt mit g1 den Wert 0 und ihr Schnittpunkt mit g2 den Wert a ( 0) erhält. Es
ist dann für jede Zahl klar, wo sie auf der Lotgeraden zu liegen hat (außer im trivialen
Fall a=0 , wo die beiden Spiegelgeraden übereinstimmen und wir als HAF direkt die
Nullschiebung erhalten). Die Koordinate unseres Punkts X sei x .
Zu zeigen ist, dass der
endgültige Bildpunkt X'
die Koordinate x+2·a hat!
(Das gilt ja dann für jeden
Punkt der Ebene, also für
die ganze Translation.)
II.3.06 Z
Sehr leicht finden wir den
Wert für den Zwischenpunkt X* , nämlich -x (auf der Koordinatengeraden an 0
gespiegelt; ist x>0 , dann -x<0 , und umgekehrt).
Nun zur Spiegelung an g2 , d.h. auf der Koordinatengeraden an der Stelle a : Sei y
die Koordinate irgendeines Punktes Y . Dann müssen wir die Differenz a–y bilden
und auf der anderen Seite von a abtragen, d.h. a+a–y bilden. Falls y links von a
liegt, dann ist a–y positiv, und der Wert a+a–y liegt rechts von a und geht aus y
durch Spiegelung an a hervor. Falls y rechts von a liegt, dann ist a–y negativ
und a+a–y liegt links von a , entsteht also auch aus y durch Spiegelung an a .
Da Y=X* die Koordinate -x hat, hat X' die Koordinate a+a–(-x) = x+2·a .
91
Eigenschaften einer Translation, die nicht die Nullschiebung ist:
Die Translation besitzt keinen Fixpunkt; denn ...
Alle Geraden in Verschiebungsrichtung sind Fixgeraden.
Gerade und Bildgerade sind parallel (wieso?).
Die Translation ist orientierungserhaltend, denn ...
Sind g1 und h1 zueinander parallele Geraden und g2 und h2 ebenfalls und
mit gleicher Richtung und mit gleichem orientierten Abstand wie g1 und h1 ,
dann bilden die beiden HAFen g1
h1 und
g2
h2 dieselbe Translation.
Die letzte Aussage hat folgende praktische Bedeutung:
Wenn wir eine Translation als HAF zweier (Geraden-) Spiegelungen darstellen
wollen, ist die einzige Bedingung, die wir erfüllen müssen, dass die beiden Geraden parallel sind, senkrecht zur Verschiebungsrichtung verlaufen und ihr Abstand halb so groß ist wie der Verschiebungspfeil lang; ansonsten dürfen sie
beliebig liegen.
Eine Translation lässt sich also charakterisieren durch
— einen Pfeil (Vektor) oder
— zwei parallele Geraden.
Bildet eine Translation (mit ihrem Vektor)
den Punkt X auf X" ab und möchte man
danach eine zweite Translation ausführen,
muss man den Pfeil dieser zweiten Translation an X' hängen und erhält als dessen
Spitze den nächsten Bildpunkt X" . — Dies
zeigt, wie man bezüglich der ganzen Ebene
die HAF zweier Translationen kriegt (s. Abb.
II.1.01). Man zeichnet den ersten Pfeil irII.3.07 Z
gendwohin und hängt den zweiten Pfeil mit
seinem Anfang an die Spitze des ersten.
Der "Überbrückungs"-Pfeil (vom Anfang des ersten zur Spitze des zweiten Pfeils)
liefert dann die Abbildungsvorschrift für die HAF. (Wie sehen die Achsen für die beiden Spiegelungen aus, die diese dritte Translation erzeugen?)
Weiterhin erkennt man hier, dass bei der HAF zweier Translationen das Kommutativgesetz gilt: Setzt man den zweiten Pfeil an
X an, erhält man damit X* , und hängt man daran den ersten
Pfeil, so landet man genau bei dem Punkt X" wie vorher. — Beweisen lässt sich das elementargeometrisch: Ausgehend vom
Dreieck XX'X" trägt man die Seite X'X" mit dem Winkel X'X"X
an der Halbgeraden XX" an und erhält so X* . Daran trägt man
den Winkel XX'X" an. Der neue Schenkel schneidet die Halbgerade XX" in X** . Nach dem Kongruenzsatz WSW ist das Dreieck XX*X** kongruent zum Dreieck XX'X" , und deshalb ist
X**=X" .
Was ist mit der HAF von drei Spiegelungen an drei Parallelen?
( 1
( 3
2)
3 = ( 4
3)
3 = 4
3) = 4 , also eine
Spiegelung an einer Parallelen zu den dreien.
II.3.08 Z
92
Rotation
Die Rotationen sind genau die
HAFen zweier Spiegelungen mit
Spiegelachsen, die sich schneiden.
Die Achsen schneiden sich im Rotationszentrum und schließen den halben
Rotationswinkel ein. Die Reihenfolge
der beiden Spiegelungen ergibt sich
aus der Orientierung des Rotationswinkels.
Es handelt sich um die Nulldrehung
(= Identität = Nullschiebung)
gdw
die beiden Spiegelungen (und
ihre Achsen) sind identisch.
Es handelt sich um die Halbdrehung
(= Punktspiegelung)
gdw
die
beiden Spiegelachsen sind orthogonal.
II.3.09 Z
Den Beweis führen wir nicht. Er geht ähnlich wie bei den Translationen. Die Rolle,
die dort die Koordinatengerade mit ihren Längen spielte, spielt jetzt der Kreis mit seinen Winkelmaßen von -180° bis 180° . Plausibel kann man sich diesen Sachverhalt machen, indem man einen Punkt X auf h betrachtet und seinen Bildpunkt unter h
g konstruiert. Dabei erkennt man auch, ob mit dem oder gegen den Uhrzeigersinn gedreht wird.
Zwei Rotationen mit demselben Drehpunkt D , deren (orientierte) Drehwinkel 1
und 2 sich um ein ganzzahliges Vielfaches von 360° unterscheiden, sind identisch, z.B. D,0° = D,360° oder D,180° = D,-180° oder D,280° = D,-80° oder D,1100° =
D,20° usw. Es kommt nicht auf den "Weg" an, wie man ihn sich vorstellt, wie einem
Punkt sein Bildpunkt zugeordnet wird (wie oft, wie weit, in welcher Richtung wird D
umrundet?), sondern nur, wo die jeweiligen Bildpunkte im Vergleich zu den Urpunkten liegen. (Solche Bewegungen wie Drehung, Verschiebung usw. sind nur mentale
Krücken wie seinerzeit die Scherung beim Pythagoras-Satz.)
Wir legen fest: Es gibt nur Drehwinkel zwischen +180° (einschließlich) und -180°
(ausschließlich). Das entspricht der Tatsache, dass man zwischen zwei Spiegelgeraden "den" Winkel zwischen erster und zweiter Gerade immer zwischen +90° (einschließlich) und -90° (ausschließlich) annehmen kann. Kommt, etwa durch die Addition zweier Winkelmaße bei der HAF zweier Rotationen, rechnerisch doch einmal
ein Wert >180° oder -180° zustande, so muss man 360° subtrahieren bzw. addieren (wodurch sich ja an der Abbildung nichts ändert!) und ist wieder im erlaubten
Intervall.
In Abb. II.3.09 hat der Winkel von h nach g das Maß 30° , und es ist
D,-60° eine Rotation um D im Uhrzeigersinn.
h
g
=
93
Eigenschaften einer Rotation, die nicht die Nulldrehung ist:
Der Schnittpunkt D der beiden Spiegelachsen ist der einzige Fixpunkt der Rotation; denn ...
Alle Kreise um D sind Fixkreise.
Jede Gerade g und ihre Bildgerade h schließen den Drehwinkel ein (s.
I.3.12).
Die Rotation ist orientierungserhaltend, denn ...
Schneiden sich die Geraden g1 und h1 unter dem (orientierten) Winkel
und
die Geraden g2 und h2 ebenfalls (bei gleicher Orientierung!) und gehen alle
vier Geraden durch denselben Punkt D , dann bilden die beiden HAFen
g1
h1 und
g2
h2 dieselbe Rotation.
Die letzte Aussage hat folgende praktische Bedeutung:
Wenn wir eine Rotation um den Winkel
als HAF zweier (Geraden-) Spiegelungen
darstellen wollen, ist die einzige Bedingung, die wir erfüllen müssen, dass die beiden
Geraden durch den Drehpunkt D gehen und sich dort unter einem Winkel von /2
(unter Beachtung der Orientierung!) schneiden; ansonsten dürfen sie beliebig liegen.
II.3.10 Z
HAF zweier Rotationen: Wir betrachten die Rotation um D als HAF der beiden
Spiegelungen g1 und g2 sowie die Rotation um E als HAF der beiden Spiegelungen g3 und g4 .
Wir ersetzen die Geradenpaare (g1; g2) und (g3; g4) durch die beiden
Geradenpaare (h1; h2) und (h3; h4) in folgender Weise: Auch h1 und h2 schneiden sich in D , und der Winkel von h1 bis h2 hat dasselbe Maß wie der von g1 bis
g2 ; auch h3 und h4 schneiden sich in E , und der Winkel von h3 bis h4 hat dasselbe Maß wie der von g3 bis g4 . Aber h2 ist diejenige Gerade durch D , die auch
durch E geht, und h3 ist diejenige Gerade durch E , die auch durch D geht. (Falls
D=E ist, kann h2 beliebig gewählt werden und h3 muss mit h2 zusammenfallen.)
Interessant ist nun der Winkel zwischen h1 und h4 : Sein Maß ist die Summe der
94
beiden Maße von h1 bis h2 und von h3 bis h4 , und das ist nichts anderes als die
Summe der beiden Maße von g1 bis g2 und von g3 bis g4 . — Nun gilt für die
HAF 1. Drehung 2. Drehung :
(
= ( h1
( h3
( h2
h2)
h4) = h1
h3)
h4 = h1
h4 = h1
h4 , und das ist eine Rotation um den doppelten Winkel von h1 bis h4,
also um die Summe der beiden Drehwinkel der beiden Rotationen vom Anfang, um
den Schnittpunkt F zwischen h1 und h4 .
g1
g2)
(
g3
g4)
Man kann prägnant schreiben:
Falls
1+
2>180°
oder
D, 1
E, 2
=
F, 1+ 2
(falls
1+
2
0° )
–180° , muss noch 360° subtrahiert bzw. addiert werden.
Außerdem muss noch von den ganzen Überlegungen der Fall 1+ 2=0° ausgenommen werden. In diesem Fall sind nämlich h1 und h4 parallel, und bei der Abbildung h1
h4 handelt es sich um eine Translation. Lediglich in dem trivialen Fall,
dass sogar h1=h4 ist, dem Fall der Nullschiebung, hat man doch eine Drehung,
nämlich die Nulldrehung.
Im Fall D=E (wieder mit beliebigen 1 und
d.h.:
2 ) ist
D, 1
D, 2 = D, 1+ 2 ;
die HAF zweier Rotationen um denselben Drehpunkt ist wieder eine Rotation um diesen Drehpunkt mit der Summe der beiden Drehwinkel als
Drehwinkel. In diesem Fall gilt offensichtlich das
Kommutativgesetz; denn auch bei der HAF in
umgekehrter Reihenfolge ergibt sich D,w1+w2 .
Was ist mit der HAF von drei Spiegelungen,
die sich in einem Punkt D schneiden?
( 1
( 3
2)
3 = ( 4
3)
3 = 4
3)
= 4 , also eine Spiegelung an einer vierten
Geraden, die ebenfalls durch D geht.
II.3.11 Z
Punktspiegelung
Wir wissen bereits, dass die Punktspiegelung
eine Rotation um 180° ist, d.h.
Die Punktspiegelungen sind genau die
HAFen zweier Spiegelungen mit orthogonalen Spiegelachsen mit deren
Schnittpunkt als Spiegelzentrum.
Die Reihenfolge der beiden Spiegelungen
ist egal, denn Z,180° = Z,-180° .
Eigenschaften einer Punktspiegelung:
Jede Gerade g und ihre Bildgerade h
II.3.12 Z
sind parallel.
Alle Geraden durch das Spiegelzentrum Z sind Fixgeraden.
95
Selbstverständlich gelten alle Eigenschaften von Rotationen für den Spezialfall der
Punktspiegelung. Insbesondere ist die Punktspiegelung orientierungserhaltend, im
Gegensatz zu den Geradenspiegelungen.
Zusammenfassung zu den orientierungserhaltenden Kongruenzabbildungen
Wir haben nun alle Fälle von Doppelspiegelungen untersucht. Aus dem Satz von
den drei Spiegelungen folgt:
Satz von den orientierungserhaltenden Kongruenzabbildungen:
Zwei gleichsinnig kongruente Dreiecke können entweder durch eine einzige Rotation (im Spezialfall durch eine Punktspiegelung oder die Nulldrehung) oder durch eine einzige Translation (im Spezialfall durch die Nullschiebung) aufeinander abgebildet werden, d.h.
jede orientierungserhaltende Kongruenzabbildung ist eine Rotation oder
eine Translation.
Bildet man die HAF 1
2 zweier Spiegelungen, dann ist ihre HAF
2
1 in umgekehrter Reihenfolge i.A. eine andere Abbildung, und zwar die Umkehrabbildung
der ersten; denn: ( 1
( 2
( 2
2)
1) = 1
2)
1 = 1
1 = 1
1 = .
Die Vertauschbarkeit von 1 und 2 ist genau dann gegeben, wenn die beiden
Spiegelachsen orthogonal (Punktspiegelung) oder identisch (Nulldrehung, Nullschiebung) sind.
Zu den HAFen von orientierungserhaltenden Kongruenzabbildungen:
Es ist klar, dass die HAF zweier orientierungserhaltender Abbildungen (Translationen und/oder Rotationen) wieder orientierungserhaltend (Translation oder Rotation)
ist. Die HAF zweier Translationen sowie die HAF zweier Rotationen haben wir bereits untersucht. — Betrachten wir nun noch die HAF einer Translation und einer
(echten) Rotation: Das Bild einer Geraden ist nicht parallel zu ihr, weil ja die Richtung bei der Translation erhalten bleibt und durch die echte Rotation geändert wird.
Also muss diese HAF eine Rotation sein, und zwar mit demselben Drehwinkel wie
die Ausgangsrotation.
96
Schubspiegelung
Nun zu den Dreifachspiegelungen:
Definition:
Eine Schubspiegelung ist eine Kongruenzabbildung, die durch HAF (zuerst) einer Spiegelung und (danach) einer Translation in Richtung der Spiegelgeraden entsteht.
Ist die Translation die Nullschiebung, dann handelt es
sich bei der Schubspiegelung um den Spezialfall der
Spiegelung.
II.3.13 Z
Eigenschaften einer Schubspiegelung, die nicht die
Spiegelung ist:
Vertauscht man die Reihenfolge der HAF, erhält man dieselbe Kongruenzabbildung; denn:
Es seien 1 die Spiegelung und 2
3 die Translation mit den beziehungsweisen Spiegelachsen g1 , g2 , g3 , wo g2 und g3 zueinander parallel und
beide orthogonal zu g1 sind. Dann gilt, weil die HAF von Spiegelungen an
orthogonalen Achsen vertauschbar ist:
( 2
( 1
( 3
1
3) = ( 1
2)
3 = ( 2
1)
3 = 2
3) = 2
1) =
( 2
3)
1 , und nun steht die Translation vorne und die Spiegelung hinten.
Die Schubspiegelung besitzt keinen Fixpunkt; denn ...
Die Spiegelgerade ist die einzige Fixgerade; denn ...
Die Bedeutung der Schubspiegelung wird deutlich in folgendem
Satz von den orientierungsverkehrenden Kongruenzabbildungen:
Zwei gegensinnig kongruente Dreiecke können durch eine einzige Schubspiegelung (im Spezialfall durch eine Spiegelung) aufeinander abgebildet
werden.
Jede orientierungsverkehrende Kongruenzabbildung ist eine Schubspiegelung.
Beweis: Nach dem Satz von den drei Spiegelungen braucht man zur Abbildung
zweier gegensinnig kongruenter Dreiecke entweder eine oder drei Spiegelungen.
Bleibt die HAF von drei beliebigen Spiegelungen mit ihren Achsen g1 , g2 , g3 zu
untersuchen: 1
2
3 .
97
II.3.14: vor 1. Schritt
II.3.15: vor 2. Schritt
II.3.16: nach 2. Schritt
II.3.17: gegebenenfalls vor 0. Schritt
1. Fall: g1 und g2 schneiden sich im Punkt P .
1. Schritt: Wir betrachten zwei Geraden g'1 und g'2 durch P , die denselben orientierten Winkel wie g1 und g2 einschließen, und erhalten so zwei Spiegelungen '1
und '2 , deren HAF '1
'2 dieselbe Rotation ist wie 1
2 . Und zwar wählen
wir die beiden Geraden so, dass g'2 und g3 orthogonal sind mit Schnittpunkt Q .
Es ist ( 1
'2)
( '2
2)
3 = ( '1
3 = '1
3) .
2. Schritt: Wir betrachten die beiden orthogonalen Geraden g"2 und g'3 durch Q ,
für die g"2 parallel zu g'1 ist, und erhalten so zwei Spiegelungen "2 und '3 , deren HAF "2
'3 dieselbe Rotation (nämlich Punktspiegelung an Q ) ist wie
'2
.
Dann
ist
'1 ( '2
( "2
'3) = ( '1
"2)
'3 . Da g'1 und
3
3) = '1
g"2 untereinander parallel und senkrecht zu g'3 sind, liegt hier also das Produkt einer Translation und einer Spiegelung mit Achse in Translationsrichtung vor.
2. Fall: g1 und g2 sind parallel. Wenn g3 auch noch parallel ist, liegt bei der HAF
der drei zugehörigen Spiegelungen eine einzige Spiegelung vor, wie wir uns oben
98
bei den Translationen klar gemacht haben (Abb. II.3.08). Sei also g3 nicht parallel
zu den beiden anderen Geraden und habe mit g2 den Schnittpunkt R .
0. Schritt: Wir betrachten zwei Geraden g'2 und g'3 durch R , die denselben orientierten Winkel wie g2 und g3 einschließen, und erhalten so zwei Spiegelungen '2
und '3 , deren HAF '2
'3 dieselbe Rotation ist wie 2
3 . Und zwar wählen
wir die beiden Geraden so, dass g'2 die Gerade g1 schneidet. Den Schnittpunkt
nennen wir P . — Dann haben wir die Konfiguration vom 1. Fall und arbeiten mit
dem dort angegebenen 1. Schritt (mit leicht veränderter Bezeichnung) weiter.
Zusammenfassung zu den Kongruenzabbildungen (der Ebene)
Es gibt 3 Typen von Kongruenzabbildungen (der Ebene): die Rotation (mit
den Spezialfällen der Identität und der Punktspiegelung), die Translation
(mit dem Spezialfall der Identität) und die Schubspiegelung (mit dem Spezialfall der Spiegelung).
Jede HAF von zwei dieser Kongruenzabbildungen kann durch eine einzige
dieser Kongruenzabbildungen ersetzt werden.
orientierungserhaltend orientierungserhaltend =
orientierungsverkehrend orientierungsverkehrend = orientierungserhaltend ;
orientierungserhaltend orientierungsverkehrend =
orientierungsverkehrend orientierungserhaltend = orientierungsverkehrend .
Z.B.:
Schubspiegelung
Schubspiegelung = Translation/Rotation .
Diese Gleichungen geben schon starke Hinweise, von welchem Typ die HAF zweier
bestimmter Kongruenzabbildungen ist. Nach weiteren Betrachtungen, z.B. über die
Existenz von Fixpunkten oder Neigung von Bild- und Urgeraden gegeneinander, hat
man i.d.R. den Typ bestimmt, oft sogar die Abbildung selbst (mit Drehpunkt und
Drehwinkel oder Verschiebungspfeil oder Schubspiegelachse mit Verschiebungspfeil). Ganz genau lassen sich diese Merkmale immer bestimmen, wenn man die
beteiligten Abbildungen als HAF von (bis zu sechs) Spiegelungen in der Weise analysiert, wie in Skript und Vorlesung mehrfach durchgeführt.
99
III. Symmetrie
III.1. Symmetrien und Gruppen
heißt so viel wie Ebenmaß, richtiges Verhältnis, Harmonie.
Definition: Eine Kongruenzabbildung der Ebene, die eine Figur auf sich abbildet, heißt Symmetrie (Kurzform für: Symmetrieabbildung) dieser Figur. Eine Figur heißt symmetrisch, wenn es eine von der Identität
verschiedene Symmetrie der Figur gibt.
Merke: 1. Nicht die einzelnen Punkte
der Figur müssen bei der Kongruenzabbildung fix bleiben, sondern
nur die Figur als Ganzes.
2. Jede Figur besitzt mindestens eine Symmetrie, nämlich die identische Abbildung, obwohl nicht jede
Figur symmetrisch ist.
Fundamental sind die folgenden beiden Aussagen:
Satz von der Abgeschlossenheit
der Menge der Symmetrien einer
Figur
Die HAF zweier (mehrerer) Symmetrien einer Figur ist wieder eine Symmetrie dieser Figur.
Anders formuliert: Die Menge der Symmetrien einer Figur ist bezüglich der
HAF (als Verknüpfung) abgeschlossen.
Satz von der Existenz der inversen Symmetrie
Jede Symmetrie einer Figur besitzt eine inverse Symmetrie. Das ist eine
Kongruenzabbildung, deren HAF mit der Symmetrie die identische Abbildung ergibt.
Die HAF ist so etwas wie eine Rechenoperation in der Menge der Symmetrien einer
Figur. Man kann Symmetrien daher auch mit algebraischen Mitteln untersuchen. Dabei kommt als fundamentale algebraische Struktur die Gruppe ins Spiel.
100
Definition:
Eine Menge zusammen mit einer Verknüpfung in dieser Menge heißt Gruppe, wenn
1. die Verknüpfung abgeschlossen ist, d.h. das Ergebnis der Verknüpfung
zweier Elemente der Menge wieder ein Element der Menge ist,
2. die Verknüpfung assoziativ ist,
3. ein neutrales Element in der Menge existiert, dessen Verknüpfung mit
einem Element der Menge, gleich in welcher Reihenfolge, immer dieses
Element ergibt,
4. zu jedem Element der Menge ein inverses Element in der Menge existiert; das ist ein Element, dessen Verknüpfung mit dem Element, gleich
in welcher Reihenfolge, das neutrale Element ergibt.
Die Anzahl der Elemente in einer endlichen Gruppe heißt Ordnung der
Gruppe.
Die Menge der Symmetrien einer Figur (eines Körpers) mit der HAF als Verknüpfung bilden eine
Gruppe.
Beispiel: Symmetriegruppe des Quadrats
{ ; a ; b ; c ; d ; 90° ; 180° ; -90° }
Erinnerung:
0°
= .
III.1.01
Definition:
Eine Teilmenge einer Gruppe, die mit derselben Verknüpfung ihrerseits eine Gruppe ist, heißt Untergruppe.
Satz von Lagrange (1771)
Die Ordnung einer Untergruppe ist Teiler der Gruppenordnung.
Beispiel:
Die Symmetriegruppe des Quadrats kann nur Untergruppen der Ordnung 4 , 2
und 1 haben.
Eine Gruppe der Ordnung 1 kann nur aus der identischen Abbildung bestehen.
Die Untergruppen der Ordnung 4 sind:
{ ; a ; b ; 180° } , { ; c ; d ; 180° } , { ; 90° ; 180° ; -90° } ,
Es gibt fünf Untergruppen der Ordnung 2 , nämlich ...
101
III.2. Regelmäßige Vielecke und ihre Symmetriegruppen
Definition:
Ein Vieleck (n-Eck)
heißt regelmäßig,
wenn es keine Überkreuzungen hat, alle
Eckpunkte auf einem
Kreis liegen und alle
Seiten gleich lang
sind.
III.2.01
Symmetrien des regelmäßigen n-Ecks:
n Drehungen:
Drehwinkel (360°/n)·k,
Drehwinkel (360°/n)·k,
k = 0, 1, 2, ..., (n–1)/2
k = 0, 1, 2, ..., (n/2–1), n/2
für ungerade n
für gerade n
n Spiegelungen:
Ist n ungerade, gehen alle Spiegelachsen durch eine Ecke und die Mitte der
gegenüberliegenden Seite.
Ist n gerade, geht die Hälfte der Spiegelachsen durch gegenüberliegende Ecken,
die andere Hälfte durch gegenüberliegende Seitenmitten.
Definition:
Die Symmetriegruppe des regelmäßigen n-Ecks heißt auch Diedergruppe
und wird mit Dn abgekürzt. (Di-eder = "Zweiflächner" als "Spezialfall" von
Poly-eder = "Vielflächner"; gemeint ist Vorder- und Rückseite des n-Ecks als Figur der Dicke 0 im Raum.)
Die Diedergruppe Dn hat die Ordnung 2n .
Die n Drehungen bilden eine Untergruppe der Ordnung n ; sie wird mit Cn
abgekürzt; alle Symmetrien aus Cn lassen sich durch HAF aus der Elementardrehung um 360°/n erzeugen (man sagt auch: Cn ist zyklisch).
Wieso bilden die n Spiegelungen keine Untergruppe?
Beispiele:
D4 ist die Symmetriegruppe des Quadrats.
D3 ist die Symmetriegruppe des gleichseitigen Dreiecks.
D2 wäre die Symmetriegruppe des "regelmäßigen Zweiecks"(?). Die Symmetriegruppe D2 besteht aus der Identität, einer Drehung und zwei Spiegelungen.
Aus der Abgeschlossenheit folgt, dass die Drehung eine Punktspiegelung ist und
die beiden Spiegelachsen aufeinander senkrecht stehen. Figuren mit diesen
Symmetrien sind z.B. Strecke (= "Zweieck"), Rechteck und Raute.
102
In D2 ist jede Symmetrie zu sich selbst invers. ("Kleinsche Vierergruppe").
Man kann allgemein zeigen, dass eine Vierergruppe entweder Kleinsch oder zyklisch
ist, also entweder D2 oder C4 .
C2 besteht nur aus der Identität und einer Punktspiegelung: Parallelogramm.
D1 besteht nur aus der Identität und einer Spiegelung: Drachen.
Klassifikationssatz für endliche Gruppen ebener Kongruenzabbildungen
Die einzigen endlichen Gruppen ebener Kongruenzabbildungen sind die
Diedergruppen Dn und ihre zyklischen Untergruppen Cn .
Die Beweisbedürfigkeit liegt bei dem Wort "einzigen".
Sei G eine Gruppe ebener Kongruenzabbildungen, von der wir lediglich voraussetzen, dass sie nur endlich viele Elemente enthält.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
G kann keine echten Translationen und keine echten
Schubspiegelungen enthalten; denn ...
D.h. G enthält außer der
Identität nur Drehungen und
Spiegelungen.
Enthält G mehrere Drehungen, müssen sie alle ein gemeinsames Drehzentrum
haben; ...
Alle vorkommenden Drehungen in G werden von einer
Elementardrehung erzeugt;
...
Wenn G eine Drehung und
eine Spiegelung enthält,
muss die Spiegelachse durch
das Drehzentrum gehen; ...
Wenn G mehrere Spiegelungen enthält, dann enthält
G auch Drehungen; ...
Wenn G insgesamt n Drehungen einschließlich der
Identität enthält, dann enthält
G entweder keine Spiegelungen oder n Spiegelungen.
103
BANDORNAMENTBANDORNAMENTBANDORNAMENTBANDORNAMENTBANDORNAMENTBA
III.3. Bandornamente und ihre Symmetriegruppen
Typisch für Bandornamente ist die (theoretisch) unendliche Wiederholung eines Musters entlang eines Streifens. Man kann z.B. ein Bandornament durch Abrollen eines
Zylinders erzeugen, auf dessen Mantel ein Muster eingeprägt ist.
Unendliche Wiederholung eines Musters entlang eines Streifens bedeutet beliebig
häufige HAF einer bestimmten Translation — in beiden Richtungen, also mitsamt
ihrer Inversen.
Sei
eine Translation mit der Verschiebungslänge a . Wir kürzen die mehrmalige
HAF wie bei der Potenz-Schreibweise bei der Multiplikation ab:
2
=
, n+1 = n
, 1 = , 0 = , -n = ( -1)n .
Die Symmetrien eines Bandornaments bilden eine Gruppe, die wir als BO-Gruppe
bezeichnen.
Definition:
Eine BO-Gruppe ist eine Gruppe von Kongruenzabbildungen, in der es eine
Translation
gibt, so dass sich jede Translation der Gruppe in der Form
n
mit ganzzahligem n darstellen lässt. Die Verschiebungslänge a von
heißt Elementardistanz.
Die Translationen einer BO-Gruppe bilden eine Untergruppe T = {
n
| n ganz}.
Welche Symmetrien kann es sonst noch in einer BO-Gruppe geben?
1.
Wenn eine BO-Gruppe eine Spiegelung enthält, kann die Spiegelachse nur entweder in Translationsrichtung ("Längsachse") oder senkrecht dazu ("Querachse") liegen; weil nur bei solchen Spiegelungen der Streifen mit seinen beiden
Randgeraden auf sich selbst abgebildet wird.
Eine BO-Gruppe kann außer Punktspiegelungen keine sonstigen Drehungen
enthalten; denn ...
R
2.
R
R
R
R
R
R
Es kann nur eine einzige Spiegelung l geben, deren Spiegelachse l in Translationsrichtung liegt — wir wollen sie Spiegelung an der Längsachse oder Längsspiegelung nennen —; denn ...
Mit l liegen auch die Schubspiegelungen l n in der BO-Gruppe; denn ...
T , vereinigt mit der Menge dieser Schubspiegelungen, bildet eine BO-Gruppe,
nämlich T
l(T) .
D
D
D
D
D
D
D
104
3.
Wenn es eine Spiegelung q gibt, deren Spiegelachse q senkrecht zur Translationsrichtung liegt, dann gibt es davon unendlich viele, nämlich q n , deren
Spiegelachsen ("Querachsen") immer den Abstand a/2 , also halbe Elementardistanz haben — wir wollen sie Querspiegelungen nennen.
T , vereinigt mit der Menge dieser Querspiegelungen, bildet eine BO-Gruppe,
nämlich T
q(T) ; denn ...
A
4.
A
A
A
A
A
Wenn es eine Punktspiegelung P gibt, dann gibt es davon unendlich viele,
nämlich P n , deren Spiegelzentren immer im Abstand a/2 , also halbe Elementardistanz, in Translationsrichtung liegen.
T , vereinigt mit der Menge dieser Punktspiegelungen, bildet eine BO-Gruppe,
nämlich T
P(T) ; denn ...
Z
5.
Z
Z
Z
Z
Z
Z
Wenn eine BO-Gruppe zwei der drei Symmetrietypen l , q , P enthält, dann
auch den dritten (warum?); dabei liegen die Spiegelzentren der Punktspiegelungen in den Schnittpunkten der Querachsen mit der Längsachse.
T
l(T)
q(T)
P(T) bildet eine BO-Gruppe; denn ...
O
6.
O
O
O
O
O
O
Kann es außer den unter 2. genannten noch andere Schubspiegelungen in einer
BO-Gruppe geben?
Die HAF einer Schubspiegelung mit sich selbst ergibt eine Translation: Diese
muss in T liegen. Also: Wenn es eine solche Schubspiegelung l ' gibt, wobei die Verschiebungslänge von ' möglichst klein sein soll, dann muss ihre
Spiegelachse in Richtung von
liegen (Längsachse) und die Verschiebungslänge von ' muss a/2 , also gleich der halben Elementardistanz, sein.
Mit l ' liegen auch die Schubspiegelungen l ' n in der BO-Gruppe.
T , vereinigt mit der Menge dieser Schubspiegelungen, bildet eine BO-Gruppe,
nämlich T
'(T); denn ...
l
b
7.
A
p
b
p
b
p
b
p
b
p
b
p
b
p
Wenn es in einer BO-Gruppe die Schubspiegelung l ' wie in 6. beschrieben
gibt, dann kann diese Gruppe keine Längsspiegelung enthalten; denn ...
Wenn eine BO-Gruppe zwei der drei Symmetrietypen l ' , q , P enthält,
dann auch den dritten; dabei liegen die Spiegelzentren der Punktspiegelungen in
der Mitte zwischen den Schnittpunkten der Querachsen mit der Längsachse.
T
'(T)
l
q(T)
P(T) bildet eine BO-Gruppe; denn ...
105
Klassifikationssatz für Bandornamente:
Es gibt sieben wesentlich verschiedene BO-Gruppen:
n
T={
| n ganz}
T
q(T)
T
P(T)
T
l(T)
T
l(T)
T
l
T
l
q(T)
P(T)
'(T)
'(T)
q(T)
P(T)
Prof. Dr. Peter Bender, Uni Paderborn, EIM-Mathematik
WS 2012/13
Elemente der Geometrie
Die Aufgaben sind immer nachvollziehbar zu lösen. Wenn der Lösungsweg nicht
offensichtlich ist, sind durchweg Begründungen erforderlich.
0. Existenz irrationaler Zahlen: Zeige, dass
natürlichen Zahlen m und n gibt, so dass
2 irrational ist, d.h. dass es keine
m
2=
.
n
1. Winkelsumme im n-Eck: Betrachte nur n-Ecke ohne
überschlagene Seiten, also nicht solche wie das dritte
Beispiel in Abb. I.7.11 im Skript. Betrachte nicht nur
Dreiecke und Vierecke, sondern auch n-Ecke mit größerem n . Zeichne einige hin, und zerlege sie in Dreiecke, und zwar in möglichst wenige. — Wie viele Dreiecke ergeben sich? — Wie groß ist die Winkelmaßsumme im n-Eck? (Beide Antworten begründen!)
Nimm nun an, dass das n-Eck regelmäßig ist, d.h. insbesondere, dass alle seine
n Winkel gleich groß sind. — Wie groß ist jeder Winkel im regelmäßigen n-Eck?
— Gib die Ergebnisse von n=3 bis n=12 in einer Tabelle an, etwa so:
n-Eck
Winkelmaßsumme
Winkel im regelmäßigen n-Eck
Außenwinkelmaßsumme
3
180°
60°
360°
...
...
...
...
12
1800°
150°
2. Außenwinkel im n-Eck (Fortsetzung von Aufg.
1.): Betrachte nur n-Ecke mit Winkeln <180° ,
zeichne an jede Ecke einen Außenwinkel, und
berechne die Summe der Außenwinkelmaße.
(Hinweis: Wie hängt das Maß eines Außenwinkels mit dem Maß seines Innenwinkels zusammen? Gib nun die Summe der Außenwinkelmaße mit Hilfe der Summe der Innenwinkelmaße für n=3, 4, ..., 12 an. Probiere zuerst mit
speziellen und allgemeinen Vierecken; verallgemeinere dann.)
3. Der kürzeste Umweg (s. Abb. I.5.12) (mit Cinderella bearbeiten!): Gegeben
eine Gerade g und zwei Punkte A und B in einer der beiden Halbebenen. Sei
C ein beliebiger Punkt auf g . ("Beliebig" heißt bei der DGS-Konstruktion, dass
du C auf g bewegen kannst, ohne die Gerade g zu bewegen!) Bewege C
auf der Geraden g , und miss die Länge des Weges von A über C nach B
(d.h. die Summe der Streckenlängen AC und CB ). — An welcher Stelle
Cmin der Geraden g ist der Weg minimal? — Wie kannst du den Punkt Cmin
exakt konstruieren? — Warum ist der Weg über Cmin dann minimal?
Hinweis: Spiegele B an g , und ...
4. Kongruenzsätze: Konstruiere (mit Cinderella) ein Dreieck ABC mit
a) AB = 7 , AC = 5 , BC = 4 ;
b) AB = 7 , AC = 2 , BC = 4 ;
2
c) AB = 7 , α = 30° , BC = 5 ;
d) AB = 5 , α = 30° , BC = 7 ;
e) AB = 7 , α = 70° , BC = 3 ;
f)
g) α = 80° , β = 90° , γ = 30° ;
h) α = 70° , β = 90° , γ = 20° .
α = 128° , AB = 5 , β = 66° ;
Wenn es mehrere nicht-kongruente Lösungen gibt, gib mindestens zwei an.
Wenn es gar keine Lösungen gibt, begründe.
5. Erforsche mit Cinderella den "Kongruenzsatz" SSW: Zeichne zunächst die fixe
Seite c mit den Ecken A und B , und trage daran in A im Winkel von α=40°
einen Strahl an. Lasse nun die Seitenlänge a variieren (Kreis um B mit verschiedenen Radien). Beschreibe die verschiedenen Fälle, die sich ergeben,
wenn a immer größer wird ( 0, 1, 2, mehr? Lösungen, besondere Winkel, besondere Dreiecksarten?).
6. Abstand von einer Geraden: Betrachte eine Gerade g , einen Punkt A außerhalb sowie den Lotfußpunkt F von A auf g (Skizze!; vgl. Abb. I.3.04 im
Skript).
a) Beweise mit Hilfe eines Kongruenzsatzes (mit welchem?): Wenn B und C
auf g auf verschiedenen Seiten von F liegen und von F gleichen Abstand
haben, dann sind die beiden Strecken AB und AC gleich lang (Skizze!).
Formuliere diese Aussage, falls nicht A und g , sondern ein Dreieck ABC
gegeben ist (Skizze!); beginne so: Im Dreieck ABC wird das Lot von A auf
die gegenüber liegende Seite BC gefällt, mit Lotfußpunkt F . — Wenn ...
b) Beweise mit Hilfe der Seiten-Winkel-Korrespondenz im Dreieck: Die Strecke
AF ist die kürzeste Verbindung zwischen A und g ;
c) und: je weiter B auf g von F entfernt ist, umso länger ist die Strecke AB .
(Beweise dies zuerst, wenn "die" B alle auf einer Seite von F liegen, und
dann, wenn "sie" auf zwei verschiedenen Seiten von F liegen.)
7. Beweise mit Hilfe eines Kongruenzsatzes (mit welchem?): Fällt man im gleichschenkligen Dreieck das Lot von der Spitze C (mit Winkel γ ) auf die Basis
AB , mit Lotfußpunkt F , dann
a) sind die beiden Teildreiecke AFC und BFC kongruent, und daraus:
b) wird die Basis AB halbiert (d.h. das Lot ist Mittelsenkrechte auf AB ),
c) wird der Winkel in C halbiert (d.h. das Lot ist Winkelhalbierende von γ ),
d) ist das Lot Symmetrieachse des Dreiecks ABC (d.h. durch Spiegelung an
der Lotgeraden wird das Dreieck auf sich selbst abgebildet).
8. Geometrische Abbildungen: Zeichne ins Koordinatensystem das Urdreieck
∆=ABC und die sieben Bilddreiecke ∆1=A1B1C1 , ..., ∆7=A7B7C7 mit
∆
∆1
∆2
∆3
∆4
∆5
∆6
∆7
A
( -8; 12)
( 4; 0)
(14; 18)
( -4; 28)
(24; 24)
( 7; 12)
(-11; 12)
(14; 0)
B
( 2; 12)
( 4; 10)
(24; 18)
( -4; 18)
(14; 24)
(12; 12)
(-16; 12)
(14; 10)
C
( 2; 18)
(10; 10)
(24; 24)
( 2; 18)
(14; 18)
(12; 15)
(-16; 9)
(20; 10)
Gib für jedes Bilddreieck diejenige geometrische Abbildung an, mit der das Urdreieck auf es abgebildet wird, und zwar bei einer Spiegelung die Geradenglei-
3
chung der Spiegelachse, bei einer Translation den Verschiebungsvektor als Koordinatenpaar, bei Rotationen und Streckungen das Zentrum als Koordinatenpaar und außerdem den Rotationswinkel bzw. den Streckfaktor. (Hinweis: falls
du die Schubspiegelung noch nicht kennst, lasse das 7. Bilddreieck weg.) Für
die Ermittlung der Lösungen genügt zeichnerisches Probieren.
Fertige von der ganzen Situation (mit den Lösungen) eine Zeichnung mit Cinderella (mit Koordinatensystem!) an; nur zur Not mit Bleistift und Papier.
9. Lege einen Translationsvektor v fest. Wähle zwei Punkte A, B , und konstruiere ihre Bildpunkte A' , B' unter der entsprechenden Translation.
Beweise: Die Bildstrecke A'B' ist kongruent und parallel zur Urstrecke AB .
Benutze dazu den Parallelogrammsatz in folgender Version: Sind in einem
Viereck zwei Seiten gleich lang und parallel, dann sind auch die beiden anderen
Seiten gleich lang und parallel.
10. Der kürzeste Rundweg (Fortsetzung von Aufg. 3; s. Abb. I.5.13 im Skript): Gegeben sind zwei sich schneidende Geraden g und h und ein Punkt A außerhalb der beiden Geraden. Das Winkelfeld zwischen den beiden Geraden, in dem
A sich befindet, ist spitz. Sei B ein beliebiger Punkt auf g und C ein beliebiger Punkt auf h . Zeichne mit Cinderella die Strecken AB , BC und CA , miss
ihre Längen und bestimme die Länge des Rundweges von A über B und C
nach A zurück.
Bewege B auf g und C auf h . An welchen Stellen Bmin und Cmin hat der
Rundweg minimale Länge? Wie kannst du die Punkte Bmin und Cmin exakt konstruieren?
Hinweis: Spiegele A an g : erhalte A' ; spiegele A an h : erhalte A" . Usw.
Zusatz: Was ist anders, wenn das Winkelfeld, in dem A sich befindet, recht
oder stumpf ist?
11. Dreiecksumkreis: Zeichne (mit Cinderella) ein Dreieck und zwei Mittelsenkrechten. Bezeichne deren Schnittpunkt mit M (bist du sicher, dass die beiden
Mittelsenkrechten einen Schnittpunkt haben müssen? begründe dies!). Bevor
du die dritte Mittelsenkrechte zeichnest, stelle dir vor, sie würde folgendermaßen entstehen: Vom Mittelpunkt der dritten Seite aus wird ein kleines Geradenstück (Strecke) gezeichnet und sukzessive in beide Richtungen verlängert. Dabei kommt man immer näher an M . Wenn man immer weiter zeichnet, kommt
man dann links an M oder rechts an M vorbei oder durch M durch? Begründe deine Antwort, und zeichne dann die dritte Mittelsenkrechte.
Ziehe nun an den Ecken des Dreiecks, und beobachte, wie sich dabei M bewegt. — Wann liegt M innerhalb des Dreiecks, wann außerhalb, wann auf einer
Seite? Kann M in einer Ecke zu liegen kommen? Was passiert, wenn eine Ecke
bis zu der ihr gegenüberliegenden Seite bewegt wird? — Alles begründen!
12. Analogien zwischen Ebene und Raum: Was in der Ebene der Kreis, ist im
Raum die Kugel. Was in der Ebene das Dreieck, ist im Raum das Tetraeder, bestehend aus vier (nicht notwendig regelmäßigen und nicht notwendig kongruenten) Dreiecken (s. Abb. I.4.05 im Skript).
4
Wo im Raum liegen alle Punkte, die von zwei Ecken des Tetraeders gleich weit
entfernt sind? — Besitzt jedes Tetraeder eine Umkugel?
Schreibe einen kleinen Aufsatz zum Thema "Mittelsenkrechte — Analogien zwischen Ebene und Raum", in dem du auch o.g. Fragen beantwortest!
13. Umfangswinkelsatz in der Ebene (mit Cinderella): Zeichne zwei Punkte A
und B.
a) Zeichne einen Kreis durch A und B , so dass für alle Punkte X auf dem
einen Kreisbogen gilt: der Winkel AXB (Umfangswinkel) ist 60° groß. —
Beschreibe genau, wie du den Mittelpunkt dieses Kreises konstruierst.
b) Zeichne nun sämtliche Kreise durch A und B , so dass die entsprechenden
Umfangswinkel 40°, 60°, 90°, 120° bzw. 140° gro ß sind. — Welche Beziehungen gelten zwischen den Mittelpunkten dieser Kreise?
14. Kinematischer Beweis zum Umfangswinkelsatz: Seien A, B zwei verschiedene Punkte auf einem Kreis. Beweise gemäß Abb. I.4.13: Wenn X auf einem
der beiden Kreisbögen von A nach B läuft, ändert sich das Maß des Winkels
AXB nicht. ─ Orientiere dich an dem entsprechenden Beweis des Thales-Satzes, aber schreibe den Beweis nicht ab, sondern führe ihn selbstständig.
15. Dreieckskonstruktionen mit dem Umfangswinkelsatz und dessen Umkehrung (mit Cinderella): Beim Dreieck ABC ist die Seite AB mit der Länge 5
und deren gegenüberliegender Winkel γ=50° gegeben. Konstruiere bei jeder
der folgenden Teilaufgaben zuerst AB und den Fasskreis für C . Konstruiere
dann das Dreieck mit Cinderella, wenn zusätzlich gegeben ist:
a) Winkel α=70° . (Hier soll nicht β ausgerechnet, sondern der Umfangswinkelsatz mit Umkehrung, ähnlich Aufgabe 13., genutzt werden.)
b) Umkreisradius r=4 .
c) Länge der Seite AC mit 6 .
Falls es keine Lösung gibt, erläutere. Falls es mehrere nicht-kongruente Lösungen gibt, konstruiere mindestens zwei davon.
Zu jeder Teilaufgabe ist eine Konstruktionsbeschreibung anzufertigen. Dabei
soll, zwecks Übung, der Anfang, wo AB und der Fasskreis konstruiert werden,
erneut aufgeschrieben werden, obwohl dies in Aufgabe 13. schon einmal geleistet wurde. — Gib bei allen drei Teilaufgaben die Cinderella-Konstruktionen
und die Konstruktionsbeschreibungen mit ab.
16. Konstruiere mit Cinderella die Strecke APQB so, dass |AP| = |PQ| = |QB| .
Füge einen Punkt C so hinzu, dass ein gleichschenkliges Dreieck ABC entsteht.
a) Begründe: |CP| = |CQ| .
b) Sind auch die drei Teilwinkel an der Spitze
gleich groß? Immer? Nie? Manchmal (wann)?
c) Erster Zusatz: Beweise die Beobachtung aus b)!
Hier eine Möglichkeit: Zeichne den Umkreis zu
AQC , und verlängere die Strecke CP , bis sie
5
den Kreis bei P' schneidet. Wieso weiß man, dass P' näher an A als an
Q liegt? Was lässt sich also über die Länge der Sehnen AP' und P'Q
aussagen? Entwickle nun mit den Folgerungen aus dem Umfangswinkelsatz
ein vollständiges Argument!
d) Weiterer Zusatz: Bewege C auf dem Lot zu AB , und beobachte den Weg
von P' dabei. – Beweise die Beobachtung.
Hinweis: Wende den Umfangswinkelsatz auf die Sehne AC im Kreis durch
A, Q, C an, und suche gleichschenklige Dreiecke.
Cinderella-Konstruktionen und schriftliche Begründungen abgeben.
Anmerkung: Die Lösung ist auch mit Hilfe des Sinus-Satzes möglich. Dieser
Weg soll aber nur gegangen werden, wenn der o.a. Weg nicht zum Ziel führt.
17. a) Zeichne mit Cinderella einen Kreis mit festem Radius, zwei feste Punkte A
und B auf der Kreislinie, auf einem der beiden Bögen einen dritten, beweglichen Punkt C sowie den Umfangswinkel ACB und seine Winkelhalbierende. Diese schneidet ja den Kreis in einem zweiten Punkt; nenne ihn D .
Bewege nun C auf dem Bogen. Was passiert mit D ? — Begründe!
Mache Dasselbe mit C auf dem anderen Bogen zwischen A und B .
b) Mache Dasselbe wie bei a) mit folgender Änderung: Statt der Winkelhalbierenden von ACB zeichne eine Gerade g durch C , die innerhalb des Winkelfelds ACB verläuft und mit der Geraden AC in einem festen Winkel
steht (den man vor dem Zeichnen von g festlegen muss).
Bewege nun C auf dem Bogen. Was passiert mit D ? — Begründe!
c) Welche besondere Lage hat D in Teilaufgabe a)? — Begründe!
Cinderella-Konstruktion und schriftliche Begründungen abgeben.
18. Sehnenvierecke I:
a) Studiere das nebenstehende Haus der Vierecke, beschreibe seine
Struktur, und gib für jeden Viereckstyp eine
Definition an. Dabei soll
deutlich werden, wie er
als Spezialfall aus dem
Vorgängertyp (im Stockwerk darüber) entsteht;
z.B.: Der Drachen ist ein
Viereck, bei dem eine
der beiden Diagonalen
von der anderen halbiert
wird. Der spiegelsymmetrische Drachen ist
ein Drachen mit orthogonalen Diagonalen.
Nenne für jeden Viereckstyp einige weitere besondere Eigenschaften (über die Definition hinaus).
6
Führe nun bei jedem der folgenden vier Viereckstypen Trapez, spiegelsymmetrischer Drachen, Parallelogramm, Raute durch:
b) Konstruiere ihn mit Cinderella, und zwar so, dass die Konstruktion in c)
daran angeschlossen werden kann.
c) Konstruiere in Cinderella einen Kreis durch 3 der 4 Ecken, ziehe die vierte Ecke auf den Kreis, und vermute, welcher Sonderfall des Vierecktyps nun
entsteht. (Hinweis auf den rechtwinkligen Drachen, der im Haus der Vierecke nicht aufgeführt ist!)
d) Begründe die Vermutung.
e) Konstruiere in Cinderella bei allen vier Viereckstypen den Sonderfall mit
Umkreis, und zwar soll dabei zuerst der Umkreis gezeichnet werden.
Cinderella-Konstruktionen und schriftliche Konstruktionsbeschreibungen
zu b) und e) mit abgeben.
19. Sehnenvierecke II: Zeichne einen Kreis mit festem Radius und darin ein Sehnenviereck ABCD . Zeichne die Winkelhalbierenden der Innenwinkel des Sehnenvierecks. Die Schnittpunkte der Winkelhalbierenden benachbarter Winkel bilden ein Viereck EFGH . — Ziehe an A, B, C, D , und beobachte.
Benenne zunächst noch für das Folgende die Winkel in ABCD mit α, β,
γ=180°– α, δ=180°– β , sowie die Ecken im neuen Viereck mit E (aus den Winkelhalbierenden von α und β entstanden), F (aus β und γ ), G (aus γ und
δ ), H (aus δ und α ). Berechne den Winkel in E mit Hilfe der beiden (halben)
Winkel in A und B , usw.
a) Ist EFGH ein Sehnenviereck? — Begründe.
b) Kann EFGH ein Quadrat sein? — Wann? — Wann nicht? — Begründe.
Hinweis: Benutze die Winkelberechnung aus a).
Cinderella-Konstruktion zu a) und schriftliche Begründungen abgeben.
20. Zu Abb. I.5.03 im Skript soll, ausgehend vom Dreieck ABC , das Dreieck A'B'C'
anders als dort konstruiert werden, und zwar sollen nicht Parallelen zu den Seiten von ABC gezeichnet werden, sondern:
An die drei Seiten von ABC soll je ein kongruentes Dreieck konstruiert werden
mit entsprechend gleichen Seitenlängen, z.B. B'C soll so lang sein wie AB ,
und B'A soll so lang sein wie CB . — Entsprechend sollen A' und C' konstruiert werden. (mit Cinderella, Konstruktion abgeben)
Es entsteht ja ein Sechseck mit den sechs Ecken B', A, C', B, A', C . — Was ist
das Besondere an diesem "Sechseck"? — Beweise diese Besonderheit!
21. Zeichne mit Cinderella ein Dreieck ABC mit sämtlichen 6 Außenwinkeln (s.
Abb. I.5.10 im Skript). Konstruiere für alle 3 Innen- und alle 6 Außenwinkel die
Winkelhalbierenden (wenigstens eine dieser Winkelhalbierenden nicht mit dem
Cinderella-Button, sondern klassisch wie mit Zirkel und Lineal konstruieren!).
Da gibt es einen Punkt innerhalb des Dreiecks und drei Punkte außerhalb des
Dreiecks, wo sich je drei dieser Winkelhalbierenden schneiden. Im Dreieck ist es
der Inkreismittelpunkt W . Um die drei Schnittpunkte außerhalb ( W a , W b , Wc )
7
geht es jetzt. Wähle einen von ihnen aus, z.B. Wc ; führe die Aufgabe mit ihm
durch, und schließe auf die anderen beiden:
a) Welche drei Winkelhalbierenden schneiden sich in W c ? — Beweise, dass
diese sich in W c schneiden. Erläutere, was wohl ein Ankreis ist. Welche
drei Geraden berührt der Ankreis mit Mittelpunkt W c ? Konstruiere ihn mit
Cinderella.
b) Wieso liegen die Ecken A , B , C des kleinen Dreiecks auf den Seiten des
Ankreismittelpunkte-Dreiecks W aW bWc ?
c) Was sind die Höhen des Dreiecks W aW bWc ? Begründung?
d) Beweise: Das Ankreismittelpunkte-Dreieck WaWbWc ist immer spitzwinklig.
(Hinweis: Betrachte z.B. das Dreieck AW aWc .)
Cinderella-Konstruktion mit abgeben.
22. Arbeite für den Satz von den Höhengeraden als Winkelhalbierende im Höhenfußpunkte-Dreieck (Skript S. 41f) den Beweis für die 2. Aussage (auf S. 42)
aus.
23. Ein Teil des Satzes von Fagnano (s.a. Abb. I.5.14, 15): Zeichne ein spitzwinkliges Dreieck DEF und den Höhenfußpunkt von D . Nenne ihn A . Beweise:
Der kürzeste Rundweg von A über die Seite DF , die Seite DE und zurück zu
A geht über die beiden anderen Höhenfußpunkte (bezeichne den von DF mit
B und den von DE mit C ).
Anleitung: Spiegele A an DF und an DE ; nenne die beiden Bilder A' und
A" . Gemäß Aufg. 10. liefert die Strecke A'A" den kürzesten Rundweg. Zu beweisen ist, dass diese Strecke durch B und C geht. Zeige dazu, dass der Winkel A'BC (entsprechend A"CB ) gestreckt ist (u.a. mit dem Satz, dass die Höhen von DEF die Winkelhalbierenden von ABC sind).
Zusatzfrage: Wieso handelt es sich hier nicht um den kompletten Satz von
Fagnano, sondern nur um einen Teil?
24. Arbeite den Beweis zum Satz von Fagnano (Skript S. 43ff) durch, so dass du
ihn in der nächsten Übungssitzung erläutern kannst.
25. Ortslinien mit Cinderella, mit plausiblen Überlegungen, ohne Beweise (I)
a) Zeichne einen Kreis k . Lege 3 Punkte A , B , C auf k , und verbinde sie
zu einem Dreieck. Konstruiere den Höhenschnittpunkt H des Dreiecks.
Bewege einen Eckpunkt auf k . — Welche Ortslinie beschreibt H ? Durch
welche Punkte geht sie immer? Warum?
b) Zeichne mit Cinderella eine Gerade g , auf ihr 2 Punkte A , B und eine
Parallele h . Lege einen Punkt C auf h , verbinde die 3 Punkte zu einem
Dreieck, und konstruiere den Höhenschnittpunkt H . Bewege C auf h .
Welche Ortslinie beschreibt der Höhenschnittpunkt? Ziehe h näher an und
weiter weg von g . — Leitfragen für die Analyse:
Durch welche Punkte geht die Ortslinie immer? Warum? — In welchen Fällen meidet, berührt, schneidet sie h ? — Genau wann liegt H auf g ? Auf
h ? Zwischen g und h ? Von g aus gesehen jenseits von h ? Von h aus
gesehen jenseits von g ?
8
26. Gegeben eine Gerade a und ein Punkt A außerhalb von a . Sei B ein beliebiger Punkt auf a . Konstruiere die Punkte C und D so, dass ABCD ein Quadrat ist. Bewege den Punkt B auf a . — Auf welcher Ortslinie bewegt sich D ?
Gib ihre Lage relativ zu a und A an, und konstruiere sie (d.h. ohne den Ortslinien-Button) (Konstruktionsbeschreibung und Begründung der Korrektheit der
Konstruktion).
27. Gegeben ein Kreis j um M und ein Punkt A . Sei B ein beliebiger Punkt auf
dem Kreis. Konstruiere den Punkt C so, dass ABC ein gleichseitiges Dreieck
ist. — Bewege nun den Punkt B auf dem Kreis: Die Ortslinie von C ist ebenfalls ein Kreis; nenne ihn k . — Erzeuge ihn mit dem Ortslinien-Button. — Verändere den Radius von j und die Lage von A .
Beschreibe nun, wie sich der Mittelpunkt N von k und der Kreis k konstruieren lassen (d.h. ohne den Ortslinien-Button), und begründe die Korrektheit der
Konstruktion (d.h. beweise!).
28. Ortslinien mit Cinderella, mit plausiblen Überlegungen, ohne Beweise (II)
a) Zeichne mit Cinderella einen Kreis k mit dem Mittelpunkt A . Lege zwei
Punkte B , C auf k , verbinde A, B, C zu einem Dreieck, und konstruiere
dessen Höhenschnittpunkt H . Bewege B auf k . — Beobachte. —
Zeichne die Ortslinie von H in Abhängigkeit von B . — Wann durchläuft H
welche Orte? — Wann verschwindet H ins Unendliche?
b) Zeichne mit Cinderella 2 Punkte A und B sowie einen Kreis k und einen Punkt C auf k . Verbinde die 3 Punkte zu einem Dreieck und konstruiere dessen Höhenschnittpunkt H . Bewege C auf k . — Beobachte. —
Zeichne die Ortslinie von H in Abhängigkeit von C , und bewege dann A
und/oder B . — Betrachte viele Fälle, wie A und/oder B bezüglich der
Kreislinie liegen können.
Bei b) nur eine Zeichnung mit Ortslinie abgeben, nichts Schriftliches.
29. Gegeben ist ein Winkelfeld mit den Schenkeln g und h und im Inneren ein
Punkt A . Aufgabe: Konstruiere ein gleichseitiges Dreieck mit einer Ecke auf
A und den beiden anderen Ecken auf den beiden Schenkeln.
Die endgültige Cinderella-Zeichnung, aus der man die Konstruktion ersehen kann, sowie eine schriftliche Konstruktionsbeschreibung und -begründung abgeben.
Anleitung: Lege B auf g , und konstruiere zur Strecke AB eines der beiden
gleichseitigen Dreiecke ABC . Wenn B auf g läuft, welche Ortslinie beschreibt
dann C ? Typ der Linie, Neigung um wie viel Grad gegen welchen Schenkel?
Begründung wie im Abschnitt über Konstruktionsprobleme (Skript S. 47ff)! — Lösche B und C wieder, konstruiere die Ortslinie als Bildgerade von g unter
einer geeigneten Rotation um A und damit die endgültigen Punkte B und C .
30. Zeichne drei paarweise verschiedene parallele Geraden g, h, j , und zwar h
zwischen g und j . Aufgabe: Konstruiere ein Quadrat ABCD , so dass A auf
g , B auf h und C auf j liegt.
Die endgültige Cinderella-Zeichnung, aus der man die Konstruktion ersehen kann, sowie eine schriftliche Konstruktionsbeschreibung und -begründung abgeben.
9
Gehe so vor: Wähle festen Punkt A auf g , wähle beweglichen Punkt B auf
h , und konstruiere eines der beiden möglichen Quadrate ABCD . Wenn B auf
h läuft, ... (weiter analog zu Aufg. 29.).
31. Erläuterung: In der Papier-und-Bleistift-Geometrie sind wir gewöhnt, in ein Winkelfeld einen kleinen Bogen (mit dem Scheitel als Mittelpunkt) zu zeichnen, um
dadurch zu verdeutlichen, welchen Winkel wir meinen. In unserer CinderellaVersion 1.4 funktioniert das nicht ohne Weiteres. Man muss dort vielmehr eine
Ortslinie erzeugen: Zeichne eine Strecke vom einen zum anderen Schenkel
und einen Kreis um den Scheitel. Lege den Urpunkt auf die Strecke, zeichne eine Gerade vom Scheitel durch den Urpunkt, schneide diese Gerade mit dem
Kreis und erhalte so den Bildpunkt. Führe nun die Ortslinien-Konstruktion zu diesem Ur- und diesem Bildpunkt durch, und erzeuge so den gewünschten Bogen.
Aufgabe: a) Gib dir einen nicht-trivialen Winkel vor, und erzeuge, wie beschrieben, einen Bogen im Winkelfeld. Beschreibe dein Vorgehen!
b) Gib dir einen Kreis und zwei Punkte auf ihm vor. Erzeuge, wie beschrieben,
den größeren der beiden Bögen (bzw. wenn sie gleichgroß sind, einen der
beiden) auf dem Kreis zwischen den beiden Punkten. Beschreibe dein Vorgehen!
c) Gib eine kurze Erläuterung, warum man in Cinderella Kreisbögen so umständlich erzeugen muss.
32. a) Zeichne zwei verschiedene Punkte A , B in der Ebene. Ordne jedem Punkt
X der Ebene die Summe s = AX+BX seiner beiden Abstände zu A
und zu B zu. Bewege X über die Ebene, stelle qualitativ fest, wie s sich
ändert, und suche Linien, wo s konstant ist.
Nutze dazu den Abschnitt über Ellipsen im Skript, und konstruiere für mindestens vier verschiedene Werte von s die Ellipse (und zusätzlich für den
Entartungsfall s = AB ). Mache dann alle Elemente außer A , B , den
Leitkreisen und den Ellipsen unsichtbar.
b) Wie a), jedoch soll jetzt für jeden Punkt X der Ebene die Differenz d =
AX–BX (die auch negativ sein kann!) betrachtet, der Abschnitt im Skript
über Hyperbeln genutzt, mindestens vier verschiedene Hyperbeln (sowie
der Entartungsfall d=0 ) konstruiert und wieder entsprechende Elemente
(wie bei a)) unsichtbar gemacht werden.
Beides Mal Cinderella-Zeichnungen mit abgeben, und schriftlich andeuten,
wie die Werte von s und d über die Ebene verteilt sind.
c) Welche Beziehung besteht zwischen der funktionalen Betrachtung in b) und
der Mittelsenkrechten von AB ?
33. a) Konstruiere einen funktionierenden Scheibenwischer gemäß der Vorlage
(s.u.). Beschreibe die Konstruktion genau, insbesondere die Reihenfolge der
Konstruktionsschritte und die Maße (Abstände |AB| und |AD| ).
b) (ähnlich Aufg. 29.) Zeichne einen Winkel mit Schenkeln g und h und im
Inneren des Winkelfelds einen Punkt A . Lege einen Punkt B auf g , und
ergänze die Strecke AB zu einem regelmäßigen Fünfeck ABCDE . Bewege zunächst B auf g so, dass E auf h zu liegen kommt. ─ Nun kommt
die Konstruktionsaufgabe:
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Konstruiere die Ortslinie von E in Abhängigkeit von B , und konstruiere so
die endgültigen Punkte B auf g und E auf h .
Auf welchen geometrischen Zusammenhang kommt es für diese Konstruktion der endgültigen Punkte B und E nur an? (Nicht auf das ganze Fünfeck,
sondern …)
c) Erfinde selbst eine Ortslinien-Aufgabe, durchaus in Anlehnung an Vorlesung, Übung und Skript, aber doch etwas abweichend, und skizziere die Lösung.
34. Beweise Teil (iii) vom (1:2-) Sonderfall des Strahlensatzes (Skript S. 56f), analog zu Teil (i)1. (Das Vorgehen ist aber etwas anders als dort!)
35. Dreieck im Parallelogramm ABCD (Skizzen auf Papier mit abgeben!).
a) Sei E die Seitenmitte von DC und S der Schnittpunkt der Diagonalen DB
mit der Strecke AE . — Skizze! — Wie groß ist die Fläche des Dreiecks
ABS im Vergleich zur Fläche von ABCD ? — Begründe!
b) Wo auf der Geraden durch C und D muss der Punkt E liegen, damit der
Flächeninhalt des Dreiecks ABS ein Sechstel des Flächeninhalts des Parallelogramms beträgt? Gibt es auch auf dem Rand des Parallelogramms einen solchen Punkt E ? Wo? — Skizze! — Begründe!
36. Dreieck mit Schwerpunkt im Kreis (Cinderella-Konstruktion mit abgeben!):
Gegeben ist ein Kreis um M mit dem Radius r . Lege drei Punkte A, B, C auf
den Kreis, und zeichne das Dreieck ABC . Konstruiere die Seitenmitten D (gegenüber A ), E (gegenüber B ), F und den Schwerpunkt S des Dreiecks.
Halte B und C fest, und lasse A laufen. — Wie bewegen sich D, E, F, S ? —
Zuerst vermuten, dann Ortslinie zeichnen, dann genau beschreiben (Sind es
Kreise? Lage der Mittelpunkte, Größe, durch welche Punkte gehend?), und beweisen.
Verwende bei allen vier Beweisen die Idee der zentrische Streckung: Wo ist jeweils das Streckzentrum? Wie groß ist der Streckfaktor? Welcher Punkt (in seiner Bewegung) wird auf welchen Punkt (in dessen Bewegung) abgebildet? Warum sind die Ortslinien vom selben Typ wie die Bewegungslinie von A ?
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37. Vierecksseitenmittelpunkte-Viereck (Satz von Varignon):
a) Zeichne ein unregelmäßiges konvexes Viereck ABCD (d.h. alle Innenwinkel <180° ). Zeichne die vier Seitenmittelpunkte E (zwischen A und
B ), F , G , H , und verbinde sie zum Viereck EFGH . — Verziehe ABCD .
Was fällt auf? — Beweise diese Auffälligkeit. — Zeichne dazu die Diagonale
AC , und siehe zwei 1:2-Strahlensatz-Figuren in die Konfiguration. Zeichne
dann die Diagonale BD , und siehe wieder zwei 1:2-Strahlensatz-Figuren
hinein.
b) Verziehe nun das Viereck ABCD , so dass es nicht mehr konvex, aber
nach wie vor ohne Überkreuzung ist. — Aufgabe wie a). — Wo liegt der
Unterschied zu a)?
c) Verziehe nun das Viereck ABCD , so dass sich zwei Seiten überkreuzen.
— Aufgabe wie a). — Wo liegt der Unterschied zu a) und zu b)?
d) Stelle dir nun ABCD als räumlichen (nicht-ebenen) Streckenzug vor. —
Aufgabe wie a).
e) Das Viereck ABCD sei eine Raute, ein Rechteck, ein Quadrat. — Von welchem Typ ist dann jeweils das Viereck EFGH (mit Begründung)?
f)
Kann man die in e) ermittelten Viereckstypen für EFGH aus jeweils allgemeineren Viereckstypen ABCD als aus Raute bzw. Rechteck bzw. Quadrat
erhalten? Aus welchen? Begründung!
Hinweis zu e) und f): Benutze Aussagen über die Diagonalen von ABCD .
Skizzen (auch nur auf Papier möglich) mit abgeben.
38. Gegeben ist ein Winkelfeld (mit Scheitel C , Schenkeln a und b ) und darin
ein Punkt P . — Konstruiere eine Gerade g , die die beiden Schenkel des Winkelfelds schneidet ( a in A und b in B ) und folgende Bedingungen erfüllt:
a) g geht durch P , und CA
 : CB
 = 3 : 5 . (Hinweis: Trage von C aus
auf a und b je eine Strecke ab, deren Längen im Verhältnis 3 : 5 stehen;
ergänze zu einer Strahlensatzfigur, die P einbezieht.)
b) g geht durch P , und PA
 : PB
 = 3 : 5 . (Hinweis: Zeichne Parallele zu
a durch P , suche den Scheitel S einer geeigneten Strahlensatzfigur.)
c) g geht nicht durch P , und P ist der Schwerpunkt des Dreiecks ABC .
Hinweis: Nutze, dass die Seitenhalbierenden im (noch nicht gezeichneten)
Dreieck ABC von P im Verhältnis 1 : 2 geteilt werden. Eine Seitenhalbierende könnte wie in b) konstruiert werden. Dann muss man noch g konstruieren. (Es gibt noch andere Möglichkeiten des Vorgehens.)
Fertige jeweils Skizze, Konstruktionsbeschreibung und Begründung an!
39. "Anti"-Strahlensätze: Zeichne einen echten Zweistrahl mit Scheitel S und
Strahlen a und b , dazu zwei quer laufende Geraden (nicht durch S ), die a in
A und A' sowie entsprechend b in B und B' schneiden, so dass
a) SA:AA'=SB:BB'
b) SA:SA'=AB:A'B'
c) AA':BB'=AB:A'B'
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gilt, aber die quer laufenden Geraden nicht parallel sind.
Jede dieser drei Konfigurationen ist ja ein Gegenbeispiel gegen einen bestimmten mathematischen Satz im Umfeld der Strahlensätze. Gegen welchen jeweils?
Welche Voraussetzung des jeweiligen Satzes wurde bei der jeweiligen Konfiguration außer Acht gelassen? Bzw. welcher Satz gilt tatsächlich nicht?
40. Gegeben ist ein Dreieck ABC sowie das Dreieck A'B'C' , das aus ABC durch
Zeichnen der Parallelen zu den Seiten durch die jeweils gegenüber liegende
Ecke entsteht (wie im Skript I.5.03; s. für die ganze Aufgabe auch S. 85). (Cinderella-Konstruktion anfertigen und mit abgeben!)
a) Begründe (z.B. mit Strahlenbüschelsatz): Die Seitenhalbierendengeraden
von ABC sind identisch mit denen von A'B'C' .
b) Mitteilung: Es gibt eine zentrische Streckung, die ABC auf A'B'C' abbildet. — Aufgabe: Gib das Streckzentrum und den Streckfaktor an, mit Begründung.
c) Beweise (unter Nutzung von a) und b)), dass im Dreieck ABC der Schwerpunkt S , der Höhenschnittpunkt H und der Umkreismittelpunkt M auf einer Geraden liegen (der sog. Eulerschen Geraden), dass S zwischen H
und M liegt und H doppelt so weit von S entfernt ist wie M .
41. Schwerpunkt in Abhängigkeit von einer Ecke: Gegeben ist eine Gerade g
parallel zu einer Strecke AB . Ein Punkt C auf g bildet mit A und B das
Dreieck ABC .
Wie bewegt sich der Schwerpunkt S dieses Dreiecks, wenn C auf g wandert?
— Finde (z.B. mit Hilfe von Cinderella) eine Vermutung, und beweise sie.
Wie ändert sich der Flächeninhalt des Dreiecks dabei? — Vermute und beweise.
42. Diagonalen im konvexen Viereck: Beweise: Teilt eine Diagonale ein konvexes
Viereck in zwei flächeninhaltsgleiche Dreiecke, so halbiert sie die andere Diagonale.
43. Beweise: Im Dreieck verhalten sich zwei beliebige Höhen umgekehrt wie die
Längen ihrer zugehörigen Seiten.
44. Rechtecksverwandlungen:
a) Gegeben ist ein Rechteck mit den Seitenlängen 3 cm und 5 cm . Konstruiere mit Hilfe des Sekantensatzes ein flächeninhaltsgleiches Rechteck, dessen
eine Seitenlänge 6 cm beträgt.
b) Zu dem in a) gegebenen Rechteck soll jetzt mit Hilfe des Sekanten-Tangenten-Satzes ein flächeninhaltsgleiches Quadrat konstruiert werden.
c) Gegeben ist ein Quadrat mit der Seitenlänge 4 cm . Konstruiere mit Hilfe
des Sekanten-Tangenten-Satzes ein flächeninhaltsgleiches Rechteck, dessen eine Seitenlänge 3 cm beträgt.
Fertige jeweils Skizze mit Cinderella (färbe die Rechtecks- inklusive die
Quadratflächen), Konstruktionsbeschreibung und -begründung an!
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45. Blickwinkel: Ein Fotograf will von einer Straße (Gerade g ) aus die Fassade
eines Hauses (Strecke CD ) fotografieren. Das Haus steht schräg zur Gerade
(nicht parallel) und ist ein Stück von dieser entfernt.
Wo muss sich der Fotograf platzieren, damit der Blickwinkel auf die Fassade am
größten ist? (Konstruiere den optimalen Standort des Fotografen!)
Hinweis (s.u. Zeichnung): Fasse CD als Sehne eines Kreises für den Umfangswinkel auf. Auf welcher Linie müssen die Mittelpunkte aller solchen Kreise
liegen? Betrachte denjenigen dieser Kreise, der g berührt (Skizze!). Begründe,
wieso dieser Berührpunkt B der optimale Standort für den Fotografen ist. —
Nun muss B konstruiert werden: Verlängere (in der Skizze) CD bis g , wodurch der Schnittpunkt S entsteht, und sieh den Sekanten-Tangenten-Satz in
die Figur hinein. Konstruiere nun wie in Aufg. 44.b) eine Strecke SA , für die
|SA|2 = |SC|·|SD| . I.a. liegt A nicht auf g , und die Strecke SA muss noch dort
hin übertragen werden: es ergibt sich der gesuchte Punkt B .
Fertige die Konstruktion mit Cinderella, Konstruktionsbeschreibung und
-begründung an!
D
D
C
g
C
Fotograf
g
S
B
46. a) Zeichne eine Strecke AB , und teile sie harmonisch im Verhältnis 2 : 5 .
b) … im Verhältnis 1: 2 . (Dabei soll dieses Verhältnis geometrisch konstruiert werden, z.B. mit Hilfe von Seite und Diagonale eines Quadrats.)
Cinderella-Konstruktionen, Konstruktionsbeschreibungen und -begründungen abgeben!
47. Kreis des Apollonius: Zeichne eine Strecke AB und drei Punkte X außerhalb
der Geraden durch A und B, für die gilt: AX:BX=2:5 . ─ Konstruiere die
drei Schnittpunkte P der Winkelhalbierenden von AXB und die drei Schnittpunkte Q der Winkelhalbierenden des Außenwinkels bei X im Dreieck AXB .
─ Begründe, dass die drei Punkte P identisch sind und die drei Punkte Q identisch sind. ─ Konstruiere den Thales-Kreis über dem Durchmesser PQ , und begründe, dass die drei Punkte X auf ihm liegen.
Cinderella-Konstruktionen, Konstruktionsbeschreibungen und -begründungen abgeben!
48. Führe sorgfältig folgende Beweise des Pythagoras-Satzes (aus dem Skript):
a) 1.2: Scherung — Schiebung — Scherung von Parallelogrammen,
b) 1.3 oder 1.4: Scherung — Drehung (bzw. Schiebung) — Scherung von
Dreiecken.
(Teil b) kann man sehr kurz abhandeln, indem man sich auf a) bzw. auf 1.1 der
Vorlesung beruft.)
49. Führe sorgfältig den sog. indischen Beweis des Pythagoras-Satzes (Skript 2.2).
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50. Hier ist ein Bilderbeweis
für "die Möndchen des
Hippokrates". Schreibe
den Satz auf, und beweise ihn sorgfältig mit
deinen eigenen Worten,
eventuell unter Benutzung des Ansatzes
k·a2 + k·b2 + F(∆) – k·c2
= ...
π
(mit k= ; wieso?)
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51. Verwandle ein Rechteck mit den Seitenlängen 4 und 9 in ein flächengleiches
Quadrat (Cinderella-Konstruktionen anfertigen und mit abgeben!), mit Hilfe
a) des Katheten-,
b) des Höhen-Satzes.
Konstruktionsbeschreibungen und -begründungen!
52. Beweise den Sekantensatz (für den Fall,
dass die beiden Sekanten sich innerhalb
des Kreises schneiden)
mit Hilfe der neben
stehenden Zeichnung
unter Benutzung des
Höhensatzes.
53. Finde mindestens fünf
verschiedene Tripel
(a; b; c) natürlicher
Zahlen, die die Pythagoras-Gleichung
a2+b2=c2 erfüllen. —
Unter den zugehörigen
rechtwinkligen Dreiecken mit diesen Seitenlängen sollen mindestens drei nicht-ähnlich sein. — Beweise für die angegebenen Tripel die jeweilige Ähnlichkeit oder Nicht-Ähnlichkeit
der zugehörigen Dreiecke.
Hilfen: (i) Wie findet man leicht zu einem gegebenen Dreieck ein ähnliches?
(ii) Setze speziell c=b+1 , und probiere, für welche b die Differenz
c2–b2 eine Quadratzahl ist.
54. Von den sechs Stücken eines Dreiecks a, b, c, α, β, γ sind jeweils drei gegeben, und die anderen drei sollen (mit dem Taschenrechner auf zwei Stellen hinter dem Komma genau) berechnet werden, und zwar a) und b) mit dem Kosinussowie c) mit dem Sinus-Satz. Mache bei a) und b) die Probe mit Hilfe der Winkelsumme und bei c) mit Hilfe des Kosinus-Satzes.
a) a=4 , b=5 , c=6
b) a=4 , b=5 , γ=120°
c) a=4 , β=40° , γ=120°
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55. Vollziehe den Beweis des Kosinus-Satzes für γ>90° aus der Vorlesung
nach. ─ Dabei soll Folgendes geleistet werden: Die Situation des Kosinus-Satzes soll mit Cinderella gezeichnet werden (Zeichnung mit abgeben), und zwar
beweglich in A, B, C . Die beiden Scherungen und die Drehung des Parallelogramms (wie in der Vorlesung vorgeführt) sollen nicht programmiert werden. Anhand dieser Zeichnung (wobei die genannten Bewegungen lediglich im Kopf
nachzuvollziehen sind) soll der Kosinus-Satz für γ>90° schriftlich bewiesen
werden.
56. Welcher Beweis wird mit
den beiden Figuren in der
Zeichnung rechts visualisiert? – Führe ihn ausführlich und genau durch.
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