Die leichte kognitive Beeinträchtigung

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medizin
Die leichte kognitive Beeinträchtigung
Ep i d e m i o l o g i s c h e , neuropsychologische
un d n e u r o b i o l o g i s che Aspek te
Ulrich Seidl, Elke Ahlsdorf, Pablo Toro
Zusammenfassung: Die leichte kognitive Beeinträchtigung bezeichnet kognitive Defizite, die über die Altersnorm hinausgehen, ohne dass
bereits die Kriterien einer Demenz erfüllt sind. Unter der Vielzahl von Klassifikationssystemen bezieht sich das Konzept des „age-associated
cognitive decline“ (AACD) sowohl auf psychometrisch objektivierbare Befunde als auch auf subjektiv empfundenes Nachlassen der Gedächtnisfunktionen. Eigene Daten zeigen eine hohe Prävalenz bereits bei etwa 60jährigen „jungen Alten“. Die Leistungsprofile in neuropsychologischen
Tests fallen graduell vom gesunden Alter über die leichte kognitive Beeinträchtigung bis zur manifesten AD ab. Auch die Befunde aus der
cerebralen Bildgebung und der Liquordiagnostik unterstreichen die Mittelstellung der leichten kognitiven Beeinträchtigung zwischen gesundem
Altern und Demenzerkrankung. Es wird die Aufgabe weiterer Studien sein, Verlaufsparameter zu untersuchen und Faktoren zu identifizieren, die
im Sinne einer optimalen Therapie die frühzeitige Differenzierung und diagnostische Einordnung erlauben.
Schlüsselwörter: Leichte kognitive Beeinträchtigung,
AACD, Alzheimer-Demenz, Neuropsychologie, MRT,
Volumetrie, Tau-Protein
Einleitung
Mit steigendem Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung
wächst auch die Zahl altersbedingter Erkrankungen. Aus
psychiatrischer Sicht kommt hier den Demenzerkrankungen
und vor allem der Alzheimer-Demenz (AD) als häufigster
zugrunde liegender Ursache eine besondere Bedeutung zu.
Die leichte kognitive Beeinträchtigung bezeichnet kognitive
Defizite, die über die Altersnorm hinausgehen, ohne dass bereits die Kriterien einer Demenz erfüllt sind. Die Betroffenen
tragen jedoch ein erhöhtes Risiko, an einer manifesten Demenz zu erkranken (Übersicht in [1]). Verlaufsstudien zeigen,
dass bei 10-15% der Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung nach einem Jahr eine AD festzustellen ist [2] bzw.
bei etwa einem Drittel nach 32 Monaten [3]. Ähnliche Konversionsraten werden von Ritchie et al. [4] sowie von Busse
et al. [5] berichtet. Zudem sind bei der Mehrzahl der Patienten mit AD retrospektiv leichte, noch unspezifische kognitive Defizite im Vorfeld der Erkrankung zu erheben [6].
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Konzeptualisierungen
Eine eindeutige Unterscheidung zwischen physiologischen
kognitiven Veränderungen im Alter und Störungen infolge
beginnender pathologischer Prozesse ist klinisch oft nicht
eindeutig möglich, wenngleich eine Differenzierung – ­gerade
im Hinblick auf therapeutische Optionen – wünschenswert
wäre. Zum Verhältnis von leichter kognitiver Beeinträchtigung, Demenzerkrankungen und kognitiven Veränderungen
im Alter gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das „Kontinuitätskonzept“ beschreibt ein Kontinuum mit fließenden
Übergängen vom gesunden Altern über altersassoziierte kognitive Einbußen in einem diagnostisch nicht weiter aufklärbaren Übergangsbereich bis hin zur Demenz. Das „Diskontinuitätskonzept“ dagegen beschreibt physiologisches Altern
und Demenz jeweils als unterscheidbare Entitäten, zwischen
denen überlappend eine spezielle Gruppe altersassoziierter
Gedächtnisstörungen steht, die qualitativ und quantitativ
von Ersteren abgrenzbar sind (Übersicht in [1]). Bei gegebenen pathologischen Veränderungen gibt es offenbar modulierende Faktoren, die den Zeitpunkt der klinischen Manifestation einer Demenz individuell determinieren, etwa
das Bildungsniveau [7, 8] oder auch allgemein das prä­
morbide kognitive Aktivitätsniveau [9].
Foto: iStockphoto
Bereits in den 60er Jahren führte Kral [10] die Bezeichnung “benign senescent forgetfulness” ein, um leichte Gedächtnisstörungen im Alter zu beschreiben und von einer
Demenzerkrankung abzugrenzen. Zur operationalisierten
Diagnose der leichten kognitiven Beeinträchtigung sind inzwischen eine Vielfalt weiterer Konzepte, Skalen und diagnostischer Klassifikationssysteme entwickelt worden, von
denen einige in Tab. 1 zusammengefasst sind. Von der leichten kognitiven Beeinträchtigung abzugrenzen ist die leichte
kognitive Störung gemäß ICD-10, die sich ebenfalls auf kognitive Defizite bezieht, ohne dass die Kriterien einer Demenz erfüllt sind. Bei der leichten kognitiven Störung wird
jedoch zusätzlich das Vorliegen einer körperlichen Erkrankung gefordert, etwa einer Infektionskrankheit, wobei eine
zerebrale Beteiligung nicht zwingend erforderlich ist. Bei den
unterschiedlichen Konzepten sollte berücksichtigt werden,
dass die diagnostische Validität in erheblichem Maß von der
Kontrolle der Faktoren Alter und Bildungsgrad abhängt. Zudem ist der Wahrnehmung kognitiver Defizite durch die be-
troffenen Personen selbst ein hoher diagnostischer Stellenwert einzuräumen. Nach diesen Überlegungen sind Konzepte wie das AACD, die sowohl auf psychometrische Defizite als auch subjektive Klagen rekurrieren, sinnvoll.
Entsprechend wurde in unseren eigenen Untersuchungen
das AACD als Grundlage für die Diagnostik der leichten kognitiven Beeinträchtigung eingesetzt.
Prävalenz und Verlauf
In Abhängigkeit vom eingesetzten Kriterienkatalog und der
untersuchten Stichprobe werden in der Literatur die Prävalenzraten für die leichte kognitive Beeinträchtigung unterschiedlich angegeben und reichen von 13,5 % bis 98 % [11, 12,
13, 14, 15]. Sinnvoll sind diese Angaben daher nur unter Berücksichtigung der jeweiligen diagnostischen Konzepte und
methodischen Besonderheiten der Studien zu interpretieren.
Hinsichtlich möglicher Stichprobeneffekte sind etwa Gruppen
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Tab. 1: Übersicht über einige Konzepte der leichten kognitiven Beeinträchtigung
Konzept
Age-associated memory impairment
(AAMI) Crook et al., 1986
Aging-associated cognitive decline
(AACD) Levy, 1994
Mild cognitive impairment (MCI)
Petersen et al., 2001
Kriterien
–Klagen über verminderte Ge–eigen- oder fremdanamnestische
dächtnisleistungen bei AlltagsakAngaben über einen schleitivitäten
chenden Verlust kognitiver
Funktionen
–allmählicher Beginn, schleichende Progredienz
–in Tests zu sekundärem Gedächtnis, Aufmerksamkeit und
–Leistung in Tests zum sekundären Gedächtnis mindestens eine
Konzentration, abstraktem
Standardabweichung unterhalb
Denken, Sprache und visuelldes Mittelwertes
räumlichem Vorstellungsvermögen Leistung in einem der
–IQ >95
Bereiche mindestens eine
–keine Hinweise auf internistische, neurologische oder
Standardabweichung unterhalb
psychiatrische Erkrankungen, die
des Mittelwertes
Gedächtnisdefizite verursachen
können
–subjektiven Klagen über
mnestische Störungen
–unterdurchschnittliche Leistung
in deklarativen Gedächtnistests
gegenüber einer bildungs- und
altersangeglichenen Vergleichsgruppe
–intellektuelle Leistungsfähigkeit
und Fähigkeit zur Bewältigung
von Aufgaben des täglichen
Lebens unbeeinträchtigt
–im „Clinical Dementia Rating
(CDR)“ Einstufung als „fragliche
Demenz”
Bemerkungen
–Normwerte orientieren sich an
jungen Erwachsenen, physiologische Altersveränderungen
bleiben unberücksichtigt
–hoher Mindest-IQ
–erfasst primär den sog. „amnestischen Typ“ der leichten kognitiven Beeinträchtigung, da
geforderte Defizite auf Gedächtnisleistung beschränkt
–in der Revision 2004 auch andere
kognitive Störungen berück­
sichtigt (Winblad et al., 2004)
–Heterogenität der leichten
kognitiven Beeinträchtigung
wird berücksichtigt
–Anwendung alters- und bildungs-angeglichener Normwerte
aus Inanspruchnahmepopulationen bzw. der Allgemeinbevölkerung zu unterscheiden. Tatsächlich erbrachte eine Metaanalyse höhere Konversionsraten von der leichten kognitiven Beeinträchtigung zur manifesten AD bei Inanspruchnahme­
populationen [16]. Einen Vorteil bieten hier Studien wie die
Interdisziplinäre Langzeitstudie des Erwachsenenalters (ILSE),
in deren Rahmen wir Prävalenz und Verlauf der leichten kognitiven Beeinträchtigung in einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe untersucht haben. Die 500 Teilnehmer der
Geburtsjahrgänge von 1930 bis 1932 wurden aus Leipzig (Sachsen) und dem Raum Heidelberg/Mannheim (Baden-Württem­
berg) rekrutiert. Die Studie bot den Vorteil, dass die Probanden nicht aus einer Inanspruchnahmepopulation stammten.
Zudem kann bei der Untersuchung “junger Alter” die leichte
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kognitive Beeinträchtigung in einem Stadium erfasst werden,
in dem diese noch unbeeinflusst von körperlichen oder zerebralen Krankheiten auftritt bzw. durch diese im Verlauf noch
nicht überlagert ist [17].
Zum ersten Untersuchungszeitpunkt betrug das Durchschnittsalter 62,4 +/- 2,4 Jahre, im Vier-Jahres-Verlauf waren
die Teilnehmer im Durchschnitt 66,7 +/- 1,1 Jahre alt. Die
Prävalenz des AACD war mit 13,4% bereits zum ersten Untersuchungszeitpunkt relativ hoch und stieg nach vier Jahren
weiter auf 24,1%. Demgegenüber blieb die Prävalenz der
leichten kognitiven Störung mit 5.8 % bzw. 8,0 %, korrespondierend mit den Verläufen der jeweiligen somatischen
Grunderkrankungen, recht stabil (Abb. 1). Wie in der Studie
von Ritchie et al. [4] zeigte auch in der eigenen Untersu-
chung das AACD-Konzept eine hohe zeitliche Stabilität.
Dieses Ergebnis stützt die Annahme, dass die leichte kognitive Beeinträchtigung eine eigenständige diagnostische Entität bildet. 52.3% der Probanden wurden nach vier Jahren unverändert als AACD diagnostiziert. Weitere 4,6% hatten anhaltende Defizite in der neuropsychologischen Testuntersuchung. Sie erfüllten jedoch nicht mehr die Kriterien des
AACD, da sie schwere medizinische Begleiterkrankungen
entwickelt hatten und nun als leichte kognitive Störung klassifiziert wurden. Nur 27,7% der ursprünglich als AACD diagnostizierten Probanden verbesserten sich in der neuropsychologischen Testuntersuchung; in einem einzigen Fall zeigte
ein Proband im Verlauf weder objektivierbare kognitive Defizite noch subjektive Klagen über eine kognitive Beeinträchtigung (Abb. 2).
Das AACD-Konzept war in unserer Verlaufsuntersuchung „junger Alter“ im Rahmen der ILSE nicht prädikativ
für das Auftreten einer Demenz. Studien zu kognitiven Störungen im Vorfeld der AD belegen aber, dass kognitive Defizite nicht nur Jahre sondern sogar Jahrzehnte vor der Diagnose einer Demenz auftreten können [18, 19]. Eine höhere
Prävalenz leichtgradiger depressiver Symptome bei Patienten
mit AACD im Vergleich zu Kontrollprobanden weist auf den
engen Zusammenhang von kognitiver Beeinträchtigung und
Stimmungs- und Antriebsstörung hin. Da Patienten mit manifester depressiver Symptomatik ausgeschlossen wurden,
kann dieses Ergebnis nicht als Hinweis auf durch die depressive Symptomatik bedingte kognitive Beeinträchtigungen
interpretiert werden.
Neuropsychologische Differenzierung
Zur Untersuchung neuropsychologischer Charakteristika
wurden im Rahmen der Heidelberger Gedächtnisambulanz
191 Patienten rekrutiert, von denen 49 eine leichte kognitive
Beeinträchtigung, 64 eine leichte und 16 eine mittelschwere
AD sowie 36 eine depressive Störung aufwiesen [20]. 26 kognitiv und psychisch Gesunde dienten als Kontrollgruppe.
Durchgeführt wurde neben Uhren- und Trail-Making Test
die CERAD-Testbatterie mit ihren Untertests zu Wortflüssigkeit, Wortfindung, unmittelbarem und verzögertem episodischem Gedächtnis und zur konstruktiven Praxis. Die
Rohwerte der Testleistungen wurden jeweils alters- und geschlechtsnormiert.
Alle Subtests der CERAD unterschieden hochsignifikant
zwischen den Diagnosegruppen. Die Patienten mit leichter
kognitiver Beeinträchtigung waren gegenüber den Gesunden
durch signifikant herabgesetzte Leistungen in den Subtests
zum deklarativen Gedächtnis und zur Wortflüssigkeit charakterisiert. Mit Ausnahme der konstruktiven Praxis lagen alle
Leistungen der Patienten mit leichter AD im Bereich von
-1 bis -2 Standardabweichungen. Patienten mit mittelschwerer
Demenz lagen in allen Untertests wenigstens 2 Standardabweichungen unterhalb der Normstichprobe. Auffällig war der
starke Leistungsabfall in den Demenzgruppen beim verzögerten Wiedererkennen der Wortliste; leichte und mittelschwere
AD waren erst über die Subtests Wortflüssigkeit und konstruktive Praxis zu differenzieren. Demgegenüber zeigten die Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung bessere Testergebnisse beim Wiedererkennen als beim Abruf der Wortliste,
eine Rangfolge, wie sie physiologisch vorgegeben ist. Im
Uhrentest erzielten die gesunden Probanden signifikant bessere Leistungen als alle anderen Diagnosegruppen; ebenso war
eine Abgrenzung von leichter kognitiver Beeinträchtigung
und leichter AD möglich. Im Teil A des Trail Making Test erzielten die Gesunden, auch gegenüber den Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung, wiederum die besten Ergebnisse; eine Differenzierung zwischen leichter kognitiver Beeinträchtigung, depressiver Störung und leichter AD war jedoch
nicht möglich. Auch im Teil B des Trail Making Tests, einem
Verfahren zur Erfassung der Exekutivfunktionen, setzten sich
die Gesunden klar von den Erkrankten ab. Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung erzielten hier bessere Ergebnisse als solche mit leichter oder mittelgradiger AD.
Die Leistungen depressiver Patienten in der CERAD,
aber auch im Uhren- und Trail Making Test, bewegten sich
überwiegend zwischen denen der Gesunden bzw. Patienten
mit leichter kognitiver Beeinträchtigung. Auffälligerweise erreichten die depressiven Patienten in der Prüfung der konstruktiven Praxis trotz reduzierter Leistung beim unmittelbaren Kopieren der Figuren im verzögerten Abruf wieder
durchschnittliche Werte. Umgekehrte Verhältnisse bestanden bei den Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung, bei denen die Leistung beim verzögerten Abruf deutlich abfiel. Diese doppelte Dissoziation unterstreicht den
Stellenwert der verzögerten episodischen Gedächtnisdefizite
bei der leichten kognitiven Beeinträchtigung und kann bei
der Differentialdiagnose von leichter kognitiver Beeinträchtigung und Altersdepression hilfreich sein.
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Erster Untersuchungszeitpunkt
Zweiter Untersuchungszeitpunkt
10,4 %
80,8 %
13,4 %
57,4 %
24,1 %
5,8 %
8,0 %
AACD
leichte kognitive Störung
keine kognitive Störung
AACD
leichte kognitive Störung
keine kognitive Störung
Unbekannt
Abb. 1: Diagnosen der Probanden der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) zum ersten Untersuchungszeitpunkt und zum
zweiten Untersuchungszeitpunkt nach 4 Jahren
Zerebrale Veränderungen
Die frühesten hirnmorphologischen Veränderungen bei AD
betreffen gemäß dem Stadienmodell von Braak und Braak
[21] die transentorhinale Region einschließlich Anteilen des
parahippocampalen Gyrus. Mit klinischer Manifestation der
Symptomatik werden auch Hippocampus und Amygdala erfasst; andere neokortikale Areale, wie die frontalen und temporalen Kortizes, sind erst in späteren Verlaufsstadien beteiligt. Bildgebende Verfahren, insbesondere die Magnetresonanztomografie (MRT), erlauben die differenzierte Erfassung derartiger Veränderungen und zeigen schon bei
Manifestation der Demenz atrophische Veränderungen von
Amygdala und Hippocampus mit Volumenabnahmen um
20% (Übersicht in [22]). Während zahlreiche Autoren diesen
Befund bestätigen konnten, werden Untersuchungen bei der
leichten kognitiven Beeinträchtigung durch eine Reihe methodischer Fragen erschwert. Hierzu gehören insbesondere
die bereits angesprochenen Selektionseffekte bei Rekrutierung von Probanden aus Inanspruchnahmepopulationen,
die in der Regel schon schwerer betroffen sind, sowie die
Stichprobenhomogenität. Letztere ist gerade im Hinblick auf
das Lebensalter entscheidend, da die Volumina der medialen
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temporalen Substrukturen altersabhängig abnehmen [23].
Mit Untersuchung einer Substichprobe aus der bereits erwähnten ILSE-Studie konnte diesen Einschränkungen begegnet werden [24[. Zudem wurde neben Gyrus parahippocampalis und Hippocampus als entorhinale bzw. limbische
Prädilektionsstellen atrophischer Veränderungen auch das
Ganzhirn und die Hirnlappen volumetrisch untersucht,
während sich frühere Untersuchungen auf Hippocampaus
und Gyrus parahippocampalis konzentriert hatten und extratemporale Strukturen unberücksichtigt ließen. Insgesamt
wurden 21 gesunde Probanden bzw. 22 mit leichter kognitiver Beeinträchtigung sowie 12 Patienten mit leichtgradiger
AD eingeschlossen.
Probanden mit leichter kognitiver Beeinträchtigung
zeigten rechtshemisphärisch gegenüber Gesunden signifikant
geringere Volumina des Gyrus parahippocampalis, so wie sie
auch bei Patienten mit manifester AD - allerdings in stärkerer Ausprägung - nachweisbar waren. Hier nahmen Probanden mit leichter kognitiver Beeinträchtigung eine Mittelposition ein. Demgegenüber waren hippocampale Veränderungen erst bei manifester AD nachweisbar. Diese Feststellung galt auch für das Ganzhirnvolumen sowie für die
Volumina von Frontal- und Temporallappen. Darüber hi-
Zweiter Untersuchungszeitpunkt: Verlauf des
AACD
15,4 %
52,3 %
27,7 %
4,6 %
AACD
leichte kognitive Störung
keine kognitive Störung
Unbekannt
Abb. 2: Diagnosen der Probanden der Interdisziplinären Längsschnittstudie des
Erwachsenenalters (ILSE), die zum ersten Untersuchungszeitpunkt die Kriterien
auch auf nicht-mnestische kognitive Domänen auswirken eine Beobachtung, der das von uns verwendete AACD-Konzept durch die Berücksichtigung einer großen Bandbreite
kognitiver Defizite Rechnung trägt.
Die atrophischen Veränderungen im parahippocampalen Gyrus waren in der ILSE-Studie lediglich rechtshemisphärisch signifikant. Ein analoger Befund wurde von Kaye
et al. [27] und Mega et al. [28] vorgelegt; entsprechend beschrieben Moossy et al. [29] in einer neuropathologischen
Studie an 16 Patienten mit AD rechtsseitig ausgeprägtere
neurofibrilläre Veränderungen in der entorhinalen Region
und im Prosubiculum, während die neokortikale Pathologie
vollständig symmetrisch ausgeprägt war. Die funktionelle
und pathogenetische Relevanz dieser Befunde ist unklar, sie
könnten jedoch auf eine selektive Vulnerabilität der rechtshemisphärischen medialen temporalen Substrukturen hinweisen.
Molekularbiologische Charakteristika
für AACD erfüllten, zum zweiten Untersuchungszeitpunkt nach 4 Jahren
naus waren die Volumina des Gyrus parahippocampalis und
des Hippocampus signifikant mit der globalen kognitiven
Leistungsfähigkeit sowie mit den mnestischen Leistungen
korreliert.
Diese Befunde bestätigen die Hypothese, dass erste zerebrale Veränderungen bei der leichten kognitiven Beeinträchtigung, entsprechend dem transentorhinalen Stadium (Stadium I-II nach Braak), akzentuiert die Area entorhinalis einschließlich des Gyrus parahippocampalis betreffen. Gerade
die Integrität des Hippocampus ist mit dieser Interpretation
gut vereinbar, da hier Veränderungen erst zu einem späteren
Zeitpunkt, nämlich im limbischen Stadium (Stadium III-IV)
der AD, zu erwarten sind.
Neuroanatomische und tierexperimentelle Studien [25,
26] zeigen, dass der Gyrus parahippocampalis eine zentrale
Konvergenz- und Divergenzstruktur für den Informationsfluss zwischen Hippocampus und assoziativen Neukortexgebieten bildet. Der mediale Temporallappen ist damit nicht
nur für das deklarative Gedächtnis relevant, sondern dient
als eine Art Relais-Station auch der Integration und adäquaten Verarbeitung von multimodalen Afferenzen aus sekundären und tertiären assoziativen Rindenarealen. Schädigungen im Gyrus parahippocampalis können sich damit
Die histopathologische Trias der AD besteht in einem Verlust
vorwiegend kortikaler Neurone, einer ebenfalls vorwiegend
kortikalen extrazellulären Ablagerung von neuritischen Plaques und intrazellulär lokalisierten Neurofibrillenbündeln,
wie sie bereits von Alois Alzheimer [30] beschrieben wurden.
Die Kombination von neuritischen Plaques und Neurofibrillenbündeln ist für die AD typisch, jedoch nicht spezifisch.
Wesentlicher Bestandteil der neuritischen Plaques ist das
Beta-Amyloid, ein aus 40 bis 43 Aminosäuren zusammengesetztes Polypeptid. Nachdem Beta-Amyloid bzw. die daraus
zusammengesetzten Amyloidfibrillen unter bestimmten Bedingungen zytotoxisch wirken, wird angenommen, dass Bildung und Ablagerung dieser Proteine zum Untergang von
Neuronen wesentlich beitragen. Ähnlich wie die neuritischen
Plaques bestehen auch die Neurofibrillenbündel aus einem
wesentlich kleineren Vorläuferprotein, dem Tau-Protein.
Grundsätzlich kann sowohl bei der AD als auch bei anderen
neurodegenerativen Erkrankungen die Konzentrationen des
Tau-Proteins im Liquor cerebrospinalis erhöht sein. Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung nehmen meist
eine Mittelstellung mit Werten zwischen denen von Gesunden und Patienten mit AD ein. Depressiv Erkrankte zeigen
in der Regel keine erhöhten Tau-Spiegel; Zusammenhänge
zwischen der Konzentration des Tau-Proteins und einer
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­ edikamentösen Therapie, insbesondere mit Psychopharm
maka, konnten bisher nicht bestätigt werden. Diese Befunde
gelten sowohl für die Gesamtfraktion als auch die verschiedenen hyperphosphorilierten Unterformen des Tau-Proteins
[31, 32] und sind in Längsschnittstudien für die Konversion
der leichten kognitiven Beeinträchtigung zur AD prädiktiv
(Übersicht in [33]).
Resümee und Ausblick
Die leichte kognitive Beeinträchtigung gemäß dem Konzept
des AACD stellt mit zunehmendem Alter eine vergleichsweise
häufige Erscheinung dar, die bereits bei „jungen Alten“ nachweisbar ist. Das Leistungsprofil in neuropsychologischen Untersuchungen belegt dabei einen graduellen Übergang vom gesunden Altern über die leichte kognitive Beeinträchtigung bis
zur leichten und mittelschweren AD, wobei die Defizite nicht
auf die mnestischen Funktionen beschränkt sind. Gleichzeitig
ist eine Abgrenzung zur Depression möglich; ein Befund, der
die pathogenetische Bedeutung affektiver Störungen für die
leichte kognitive Beeinträchtigung relativiert. Die neurobiologischen Veränderungen erlauben zusammengenommen ebenfalls eine Abgrenzung der leichten kognitiven Beeinträchtigung vom physiologischen Altern einerseits und der beginnenden AD andererseits. Ungeklärt bleiben jedoch die zerebralen Mechanismen, deren Störungen bei der leichten
kognitiven Beeinträchtigung zu den neuropsychologischen
Defiziten führen. Nach den Ergebnissen klinischer Studien
werden erste zerebrale Veränderungen offenbar über einen längeren Zeitraum ausgeglichen, wofür unter anderem Kompensationsvorgänge im Sinne einer kognitiven Reserve verantwortlich sein dürften. Unklar bleibt, wie die leichte kognitive
Beeinträchtigung im Einzelfall als präklinisches Stadium einer
Demenz identifiziert werden kann. Zur Beantwortung dieser
Frage können insbesondere Längsschnittstudien beitragen, die
weitere Auskunft über mögliche Verlaufsprädiktoren geben.
Eine möglichst frühzeitige Diagnose demenzieller Erkrankungen ist schließlich – gerade im Hinblick auf einen optimalen Einsatz bereits heute zur Verfügung stehender – Therapien
von erheblicher Bedeutung.
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Dr. med. Ulrich Seidl
Seit 1998 Arzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, Mitarbeiter der Sektion Gerontopsychiatrie, derzeit Leiter der Gedächtnisambulanz. Wissenschaftliche Schwerpunkte: demenzielle Erkrankungen, insbesondere nicht-kognitive Störungen bei
Demenzen, sowie autobiografisches Gedächtnis bei Demenzen und anderen psychiatrischen Störungen.
Universität Heidelberg
Zentrum für Psychosoziale Medizin
Klinik für Allgemeine Psychiatrie
Sektion Gerontopsychiatrie
Voßstraße 4, 69115 Heidelberg
Tel. 06221/56-34446 oder -5468 (Sekretariat)
Fax 06221/56-7862
[email protected]
U. Seidl / journal of preventive medicine 3 (2007) 286–293
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