medizin Die leichte kognitive Beeinträchtigung Ep i d e m i o l o g i s c h e , neuropsychologische un d n e u r o b i o l o g i s che Aspek te Ulrich Seidl, Elke Ahlsdorf, Pablo Toro Zusammenfassung: Die leichte kognitive Beeinträchtigung bezeichnet kognitive Defizite, die über die Altersnorm hinausgehen, ohne dass bereits die Kriterien einer Demenz erfüllt sind. Unter der Vielzahl von Klassifikationssystemen bezieht sich das Konzept des „age-associated cognitive decline“ (AACD) sowohl auf psychometrisch objektivierbare Befunde als auch auf subjektiv empfundenes Nachlassen der Gedächtnisfunktionen. Eigene Daten zeigen eine hohe Prävalenz bereits bei etwa 60jährigen „jungen Alten“. Die Leistungsprofile in neuropsychologischen Tests fallen graduell vom gesunden Alter über die leichte kognitive Beeinträchtigung bis zur manifesten AD ab. Auch die Befunde aus der cerebralen Bildgebung und der Liquordiagnostik unterstreichen die Mittelstellung der leichten kognitiven Beeinträchtigung zwischen gesundem Altern und Demenzerkrankung. Es wird die Aufgabe weiterer Studien sein, Verlaufsparameter zu untersuchen und Faktoren zu identifizieren, die im Sinne einer optimalen Therapie die frühzeitige Differenzierung und diagnostische Einordnung erlauben. Schlüsselwörter: Leichte kognitive Beeinträchtigung, AACD, Alzheimer-Demenz, Neuropsychologie, MRT, Volumetrie, Tau-Protein Einleitung Mit steigendem Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung wächst auch die Zahl altersbedingter Erkrankungen. Aus psychiatrischer Sicht kommt hier den Demenzerkrankungen und vor allem der Alzheimer-Demenz (AD) als häufigster zugrunde liegender Ursache eine besondere Bedeutung zu. Die leichte kognitive Beeinträchtigung bezeichnet kognitive Defizite, die über die Altersnorm hinausgehen, ohne dass bereits die Kriterien einer Demenz erfüllt sind. Die Betroffenen tragen jedoch ein erhöhtes Risiko, an einer manifesten Demenz zu erkranken (Übersicht in [1]). Verlaufsstudien zeigen, dass bei 10-15% der Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung nach einem Jahr eine AD festzustellen ist [2] bzw. bei etwa einem Drittel nach 32 Monaten [3]. Ähnliche Konversionsraten werden von Ritchie et al. [4] sowie von Busse et al. [5] berichtet. Zudem sind bei der Mehrzahl der Patienten mit AD retrospektiv leichte, noch unspezifische kognitive Defizite im Vorfeld der Erkrankung zu erheben [6]. 286 U. Seidl / journal of preventive medicine 3 (2007) 286–293 Konzeptualisierungen Eine eindeutige Unterscheidung zwischen physiologischen kognitiven Veränderungen im Alter und Störungen infolge beginnender pathologischer Prozesse ist klinisch oft nicht eindeutig möglich, wenngleich eine Differenzierung – ­gerade im Hinblick auf therapeutische Optionen – wünschenswert wäre. Zum Verhältnis von leichter kognitiver Beeinträchtigung, Demenzerkrankungen und kognitiven Veränderungen im Alter gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das „Kontinuitätskonzept“ beschreibt ein Kontinuum mit fließenden Übergängen vom gesunden Altern über altersassoziierte kognitive Einbußen in einem diagnostisch nicht weiter aufklärbaren Übergangsbereich bis hin zur Demenz. Das „Diskontinuitätskonzept“ dagegen beschreibt physiologisches Altern und Demenz jeweils als unterscheidbare Entitäten, zwischen denen überlappend eine spezielle Gruppe altersassoziierter Gedächtnisstörungen steht, die qualitativ und quantitativ von Ersteren abgrenzbar sind (Übersicht in [1]). Bei gegebenen pathologischen Veränderungen gibt es offenbar modulierende Faktoren, die den Zeitpunkt der klinischen Manifestation einer Demenz individuell determinieren, etwa das Bildungsniveau [7, 8] oder auch allgemein das prä­ morbide kognitive Aktivitätsniveau [9]. Foto: iStockphoto Bereits in den 60er Jahren führte Kral [10] die Bezeichnung “benign senescent forgetfulness” ein, um leichte Gedächtnisstörungen im Alter zu beschreiben und von einer Demenzerkrankung abzugrenzen. Zur operationalisierten Diagnose der leichten kognitiven Beeinträchtigung sind inzwischen eine Vielfalt weiterer Konzepte, Skalen und diagnostischer Klassifikationssysteme entwickelt worden, von denen einige in Tab. 1 zusammengefasst sind. Von der leichten kognitiven Beeinträchtigung abzugrenzen ist die leichte kognitive Störung gemäß ICD-10, die sich ebenfalls auf kognitive Defizite bezieht, ohne dass die Kriterien einer Demenz erfüllt sind. Bei der leichten kognitiven Störung wird jedoch zusätzlich das Vorliegen einer körperlichen Erkrankung gefordert, etwa einer Infektionskrankheit, wobei eine zerebrale Beteiligung nicht zwingend erforderlich ist. Bei den unterschiedlichen Konzepten sollte berücksichtigt werden, dass die diagnostische Validität in erheblichem Maß von der Kontrolle der Faktoren Alter und Bildungsgrad abhängt. Zudem ist der Wahrnehmung kognitiver Defizite durch die be- troffenen Personen selbst ein hoher diagnostischer Stellenwert einzuräumen. Nach diesen Überlegungen sind Konzepte wie das AACD, die sowohl auf psychometrische Defizite als auch subjektive Klagen rekurrieren, sinnvoll. Entsprechend wurde in unseren eigenen Untersuchungen das AACD als Grundlage für die Diagnostik der leichten kognitiven Beeinträchtigung eingesetzt. Prävalenz und Verlauf In Abhängigkeit vom eingesetzten Kriterienkatalog und der untersuchten Stichprobe werden in der Literatur die Prävalenzraten für die leichte kognitive Beeinträchtigung unterschiedlich angegeben und reichen von 13,5 % bis 98 % [11, 12, 13, 14, 15]. Sinnvoll sind diese Angaben daher nur unter Berücksichtigung der jeweiligen diagnostischen Konzepte und methodischen Besonderheiten der Studien zu interpretieren. Hinsichtlich möglicher Stichprobeneffekte sind etwa Gruppen U. Seidl / journal of preventive medicine 3 (2007) 286–293 287 medizin Tab. 1: Übersicht über einige Konzepte der leichten kognitiven Beeinträchtigung Konzept Age-associated memory impairment (AAMI) Crook et al., 1986 Aging-associated cognitive decline (AACD) Levy, 1994 Mild cognitive impairment (MCI) Petersen et al., 2001 Kriterien –Klagen über verminderte Ge–eigen- oder fremdanamnestische dächtnisleistungen bei AlltagsakAngaben über einen schleitivitäten chenden Verlust kognitiver Funktionen –allmählicher Beginn, schleichende Progredienz –in Tests zu sekundärem Gedächtnis, Aufmerksamkeit und –Leistung in Tests zum sekundären Gedächtnis mindestens eine Konzentration, abstraktem Standardabweichung unterhalb Denken, Sprache und visuelldes Mittelwertes räumlichem Vorstellungsvermögen Leistung in einem der –IQ >95 Bereiche mindestens eine –keine Hinweise auf internistische, neurologische oder Standardabweichung unterhalb psychiatrische Erkrankungen, die des Mittelwertes Gedächtnisdefizite verursachen können –subjektiven Klagen über mnestische Störungen –unterdurchschnittliche Leistung in deklarativen Gedächtnistests gegenüber einer bildungs- und altersangeglichenen Vergleichsgruppe –intellektuelle Leistungsfähigkeit und Fähigkeit zur Bewältigung von Aufgaben des täglichen Lebens unbeeinträchtigt –im „Clinical Dementia Rating (CDR)“ Einstufung als „fragliche Demenz” Bemerkungen –Normwerte orientieren sich an jungen Erwachsenen, physiologische Altersveränderungen bleiben unberücksichtigt –hoher Mindest-IQ –erfasst primär den sog. „amnestischen Typ“ der leichten kognitiven Beeinträchtigung, da geforderte Defizite auf Gedächtnisleistung beschränkt –in der Revision 2004 auch andere kognitive Störungen berück­ sichtigt (Winblad et al., 2004) –Heterogenität der leichten kognitiven Beeinträchtigung wird berücksichtigt –Anwendung alters- und bildungs-angeglichener Normwerte aus Inanspruchnahmepopulationen bzw. der Allgemeinbevölkerung zu unterscheiden. Tatsächlich erbrachte eine Metaanalyse höhere Konversionsraten von der leichten kognitiven Beeinträchtigung zur manifesten AD bei Inanspruchnahme­ populationen [16]. Einen Vorteil bieten hier Studien wie die Interdisziplinäre Langzeitstudie des Erwachsenenalters (ILSE), in deren Rahmen wir Prävalenz und Verlauf der leichten kognitiven Beeinträchtigung in einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe untersucht haben. Die 500 Teilnehmer der Geburtsjahrgänge von 1930 bis 1932 wurden aus Leipzig (Sachsen) und dem Raum Heidelberg/Mannheim (Baden-Württem­ berg) rekrutiert. Die Studie bot den Vorteil, dass die Probanden nicht aus einer Inanspruchnahmepopulation stammten. Zudem kann bei der Untersuchung “junger Alter” die leichte 288 U. Seidl / journal of preventive medicine 3 (2007) 286–293 kognitive Beeinträchtigung in einem Stadium erfasst werden, in dem diese noch unbeeinflusst von körperlichen oder zerebralen Krankheiten auftritt bzw. durch diese im Verlauf noch nicht überlagert ist [17]. Zum ersten Untersuchungszeitpunkt betrug das Durchschnittsalter 62,4 +/- 2,4 Jahre, im Vier-Jahres-Verlauf waren die Teilnehmer im Durchschnitt 66,7 +/- 1,1 Jahre alt. Die Prävalenz des AACD war mit 13,4% bereits zum ersten Untersuchungszeitpunkt relativ hoch und stieg nach vier Jahren weiter auf 24,1%. Demgegenüber blieb die Prävalenz der leichten kognitiven Störung mit 5.8 % bzw. 8,0 %, korrespondierend mit den Verläufen der jeweiligen somatischen Grunderkrankungen, recht stabil (Abb. 1). Wie in der Studie von Ritchie et al. [4] zeigte auch in der eigenen Untersu- chung das AACD-Konzept eine hohe zeitliche Stabilität. Dieses Ergebnis stützt die Annahme, dass die leichte kognitive Beeinträchtigung eine eigenständige diagnostische Entität bildet. 52.3% der Probanden wurden nach vier Jahren unverändert als AACD diagnostiziert. Weitere 4,6% hatten anhaltende Defizite in der neuropsychologischen Testuntersuchung. Sie erfüllten jedoch nicht mehr die Kriterien des AACD, da sie schwere medizinische Begleiterkrankungen entwickelt hatten und nun als leichte kognitive Störung klassifiziert wurden. Nur 27,7% der ursprünglich als AACD diagnostizierten Probanden verbesserten sich in der neuropsychologischen Testuntersuchung; in einem einzigen Fall zeigte ein Proband im Verlauf weder objektivierbare kognitive Defizite noch subjektive Klagen über eine kognitive Beeinträchtigung (Abb. 2). Das AACD-Konzept war in unserer Verlaufsuntersuchung „junger Alter“ im Rahmen der ILSE nicht prädikativ für das Auftreten einer Demenz. Studien zu kognitiven Störungen im Vorfeld der AD belegen aber, dass kognitive Defizite nicht nur Jahre sondern sogar Jahrzehnte vor der Diagnose einer Demenz auftreten können [18, 19]. Eine höhere Prävalenz leichtgradiger depressiver Symptome bei Patienten mit AACD im Vergleich zu Kontrollprobanden weist auf den engen Zusammenhang von kognitiver Beeinträchtigung und Stimmungs- und Antriebsstörung hin. Da Patienten mit manifester depressiver Symptomatik ausgeschlossen wurden, kann dieses Ergebnis nicht als Hinweis auf durch die depressive Symptomatik bedingte kognitive Beeinträchtigungen interpretiert werden. Neuropsychologische Differenzierung Zur Untersuchung neuropsychologischer Charakteristika wurden im Rahmen der Heidelberger Gedächtnisambulanz 191 Patienten rekrutiert, von denen 49 eine leichte kognitive Beeinträchtigung, 64 eine leichte und 16 eine mittelschwere AD sowie 36 eine depressive Störung aufwiesen [20]. 26 kognitiv und psychisch Gesunde dienten als Kontrollgruppe. Durchgeführt wurde neben Uhren- und Trail-Making Test die CERAD-Testbatterie mit ihren Untertests zu Wortflüssigkeit, Wortfindung, unmittelbarem und verzögertem episodischem Gedächtnis und zur konstruktiven Praxis. Die Rohwerte der Testleistungen wurden jeweils alters- und geschlechtsnormiert. Alle Subtests der CERAD unterschieden hochsignifikant zwischen den Diagnosegruppen. Die Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung waren gegenüber den Gesunden durch signifikant herabgesetzte Leistungen in den Subtests zum deklarativen Gedächtnis und zur Wortflüssigkeit charakterisiert. Mit Ausnahme der konstruktiven Praxis lagen alle Leistungen der Patienten mit leichter AD im Bereich von -1 bis -2 Standardabweichungen. Patienten mit mittelschwerer Demenz lagen in allen Untertests wenigstens 2 Standardabweichungen unterhalb der Normstichprobe. Auffällig war der starke Leistungsabfall in den Demenzgruppen beim verzögerten Wiedererkennen der Wortliste; leichte und mittelschwere AD waren erst über die Subtests Wortflüssigkeit und konstruktive Praxis zu differenzieren. Demgegenüber zeigten die Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung bessere Testergebnisse beim Wiedererkennen als beim Abruf der Wortliste, eine Rangfolge, wie sie physiologisch vorgegeben ist. Im Uhrentest erzielten die gesunden Probanden signifikant bessere Leistungen als alle anderen Diagnosegruppen; ebenso war eine Abgrenzung von leichter kognitiver Beeinträchtigung und leichter AD möglich. Im Teil A des Trail Making Test erzielten die Gesunden, auch gegenüber den Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung, wiederum die besten Ergebnisse; eine Differenzierung zwischen leichter kognitiver Beeinträchtigung, depressiver Störung und leichter AD war jedoch nicht möglich. Auch im Teil B des Trail Making Tests, einem Verfahren zur Erfassung der Exekutivfunktionen, setzten sich die Gesunden klar von den Erkrankten ab. Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung erzielten hier bessere Ergebnisse als solche mit leichter oder mittelgradiger AD. Die Leistungen depressiver Patienten in der CERAD, aber auch im Uhren- und Trail Making Test, bewegten sich überwiegend zwischen denen der Gesunden bzw. Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung. Auffälligerweise erreichten die depressiven Patienten in der Prüfung der konstruktiven Praxis trotz reduzierter Leistung beim unmittelbaren Kopieren der Figuren im verzögerten Abruf wieder durchschnittliche Werte. Umgekehrte Verhältnisse bestanden bei den Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung, bei denen die Leistung beim verzögerten Abruf deutlich abfiel. Diese doppelte Dissoziation unterstreicht den Stellenwert der verzögerten episodischen Gedächtnisdefizite bei der leichten kognitiven Beeinträchtigung und kann bei der Differentialdiagnose von leichter kognitiver Beeinträchtigung und Altersdepression hilfreich sein. U. Seidl / journal of preventive medicine 3 (2007) 286–293 289 medizin Erster Untersuchungszeitpunkt Zweiter Untersuchungszeitpunkt 10,4 % 80,8 % 13,4 % 57,4 % 24,1 % 5,8 % 8,0 % AACD leichte kognitive Störung keine kognitive Störung AACD leichte kognitive Störung keine kognitive Störung Unbekannt Abb. 1: Diagnosen der Probanden der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE) zum ersten Untersuchungszeitpunkt und zum zweiten Untersuchungszeitpunkt nach 4 Jahren Zerebrale Veränderungen Die frühesten hirnmorphologischen Veränderungen bei AD betreffen gemäß dem Stadienmodell von Braak und Braak [21] die transentorhinale Region einschließlich Anteilen des parahippocampalen Gyrus. Mit klinischer Manifestation der Symptomatik werden auch Hippocampus und Amygdala erfasst; andere neokortikale Areale, wie die frontalen und temporalen Kortizes, sind erst in späteren Verlaufsstadien beteiligt. Bildgebende Verfahren, insbesondere die Magnetresonanztomografie (MRT), erlauben die differenzierte Erfassung derartiger Veränderungen und zeigen schon bei Manifestation der Demenz atrophische Veränderungen von Amygdala und Hippocampus mit Volumenabnahmen um 20% (Übersicht in [22]). Während zahlreiche Autoren diesen Befund bestätigen konnten, werden Untersuchungen bei der leichten kognitiven Beeinträchtigung durch eine Reihe methodischer Fragen erschwert. Hierzu gehören insbesondere die bereits angesprochenen Selektionseffekte bei Rekrutierung von Probanden aus Inanspruchnahmepopulationen, die in der Regel schon schwerer betroffen sind, sowie die Stichprobenhomogenität. Letztere ist gerade im Hinblick auf das Lebensalter entscheidend, da die Volumina der medialen 290 U. Seidl / journal of preventive medicine 3 (2007) 286–293 temporalen Substrukturen altersabhängig abnehmen [23]. Mit Untersuchung einer Substichprobe aus der bereits erwähnten ILSE-Studie konnte diesen Einschränkungen begegnet werden [24[. Zudem wurde neben Gyrus parahippocampalis und Hippocampus als entorhinale bzw. limbische Prädilektionsstellen atrophischer Veränderungen auch das Ganzhirn und die Hirnlappen volumetrisch untersucht, während sich frühere Untersuchungen auf Hippocampaus und Gyrus parahippocampalis konzentriert hatten und extratemporale Strukturen unberücksichtigt ließen. Insgesamt wurden 21 gesunde Probanden bzw. 22 mit leichter kognitiver Beeinträchtigung sowie 12 Patienten mit leichtgradiger AD eingeschlossen. Probanden mit leichter kognitiver Beeinträchtigung zeigten rechtshemisphärisch gegenüber Gesunden signifikant geringere Volumina des Gyrus parahippocampalis, so wie sie auch bei Patienten mit manifester AD - allerdings in stärkerer Ausprägung - nachweisbar waren. Hier nahmen Probanden mit leichter kognitiver Beeinträchtigung eine Mittelposition ein. Demgegenüber waren hippocampale Veränderungen erst bei manifester AD nachweisbar. Diese Feststellung galt auch für das Ganzhirnvolumen sowie für die Volumina von Frontal- und Temporallappen. Darüber hi- Zweiter Untersuchungszeitpunkt: Verlauf des AACD 15,4 % 52,3 % 27,7 % 4,6 % AACD leichte kognitive Störung keine kognitive Störung Unbekannt Abb. 2: Diagnosen der Probanden der Interdisziplinären Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE), die zum ersten Untersuchungszeitpunkt die Kriterien auch auf nicht-mnestische kognitive Domänen auswirken eine Beobachtung, der das von uns verwendete AACD-Konzept durch die Berücksichtigung einer großen Bandbreite kognitiver Defizite Rechnung trägt. Die atrophischen Veränderungen im parahippocampalen Gyrus waren in der ILSE-Studie lediglich rechtshemisphärisch signifikant. Ein analoger Befund wurde von Kaye et al. [27] und Mega et al. [28] vorgelegt; entsprechend beschrieben Moossy et al. [29] in einer neuropathologischen Studie an 16 Patienten mit AD rechtsseitig ausgeprägtere neurofibrilläre Veränderungen in der entorhinalen Region und im Prosubiculum, während die neokortikale Pathologie vollständig symmetrisch ausgeprägt war. Die funktionelle und pathogenetische Relevanz dieser Befunde ist unklar, sie könnten jedoch auf eine selektive Vulnerabilität der rechtshemisphärischen medialen temporalen Substrukturen hinweisen. Molekularbiologische Charakteristika für AACD erfüllten, zum zweiten Untersuchungszeitpunkt nach 4 Jahren naus waren die Volumina des Gyrus parahippocampalis und des Hippocampus signifikant mit der globalen kognitiven Leistungsfähigkeit sowie mit den mnestischen Leistungen korreliert. Diese Befunde bestätigen die Hypothese, dass erste zerebrale Veränderungen bei der leichten kognitiven Beeinträchtigung, entsprechend dem transentorhinalen Stadium (Stadium I-II nach Braak), akzentuiert die Area entorhinalis einschließlich des Gyrus parahippocampalis betreffen. Gerade die Integrität des Hippocampus ist mit dieser Interpretation gut vereinbar, da hier Veränderungen erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich im limbischen Stadium (Stadium III-IV) der AD, zu erwarten sind. Neuroanatomische und tierexperimentelle Studien [25, 26] zeigen, dass der Gyrus parahippocampalis eine zentrale Konvergenz- und Divergenzstruktur für den Informationsfluss zwischen Hippocampus und assoziativen Neukortexgebieten bildet. Der mediale Temporallappen ist damit nicht nur für das deklarative Gedächtnis relevant, sondern dient als eine Art Relais-Station auch der Integration und adäquaten Verarbeitung von multimodalen Afferenzen aus sekundären und tertiären assoziativen Rindenarealen. Schädigungen im Gyrus parahippocampalis können sich damit Die histopathologische Trias der AD besteht in einem Verlust vorwiegend kortikaler Neurone, einer ebenfalls vorwiegend kortikalen extrazellulären Ablagerung von neuritischen Plaques und intrazellulär lokalisierten Neurofibrillenbündeln, wie sie bereits von Alois Alzheimer [30] beschrieben wurden. Die Kombination von neuritischen Plaques und Neurofibrillenbündeln ist für die AD typisch, jedoch nicht spezifisch. Wesentlicher Bestandteil der neuritischen Plaques ist das Beta-Amyloid, ein aus 40 bis 43 Aminosäuren zusammengesetztes Polypeptid. Nachdem Beta-Amyloid bzw. die daraus zusammengesetzten Amyloidfibrillen unter bestimmten Bedingungen zytotoxisch wirken, wird angenommen, dass Bildung und Ablagerung dieser Proteine zum Untergang von Neuronen wesentlich beitragen. Ähnlich wie die neuritischen Plaques bestehen auch die Neurofibrillenbündel aus einem wesentlich kleineren Vorläuferprotein, dem Tau-Protein. Grundsätzlich kann sowohl bei der AD als auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen die Konzentrationen des Tau-Proteins im Liquor cerebrospinalis erhöht sein. Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung nehmen meist eine Mittelstellung mit Werten zwischen denen von Gesunden und Patienten mit AD ein. Depressiv Erkrankte zeigen in der Regel keine erhöhten Tau-Spiegel; Zusammenhänge zwischen der Konzentration des Tau-Proteins und einer U. Seidl / journal of preventive medicine 3 (2007) 286–293 291 medizin ­ edikamentösen Therapie, insbesondere mit Psychopharm maka, konnten bisher nicht bestätigt werden. Diese Befunde gelten sowohl für die Gesamtfraktion als auch die verschiedenen hyperphosphorilierten Unterformen des Tau-Proteins [31, 32] und sind in Längsschnittstudien für die Konversion der leichten kognitiven Beeinträchtigung zur AD prädiktiv (Übersicht in [33]). Resümee und Ausblick Die leichte kognitive Beeinträchtigung gemäß dem Konzept des AACD stellt mit zunehmendem Alter eine vergleichsweise häufige Erscheinung dar, die bereits bei „jungen Alten“ nachweisbar ist. Das Leistungsprofil in neuropsychologischen Untersuchungen belegt dabei einen graduellen Übergang vom gesunden Altern über die leichte kognitive Beeinträchtigung bis zur leichten und mittelschweren AD, wobei die Defizite nicht auf die mnestischen Funktionen beschränkt sind. Gleichzeitig ist eine Abgrenzung zur Depression möglich; ein Befund, der die pathogenetische Bedeutung affektiver Störungen für die leichte kognitive Beeinträchtigung relativiert. Die neurobiologischen Veränderungen erlauben zusammengenommen ebenfalls eine Abgrenzung der leichten kognitiven Beeinträchtigung vom physiologischen Altern einerseits und der beginnenden AD andererseits. Ungeklärt bleiben jedoch die zerebralen Mechanismen, deren Störungen bei der leichten kognitiven Beeinträchtigung zu den neuropsychologischen Defiziten führen. Nach den Ergebnissen klinischer Studien werden erste zerebrale Veränderungen offenbar über einen längeren Zeitraum ausgeglichen, wofür unter anderem Kompensationsvorgänge im Sinne einer kognitiven Reserve verantwortlich sein dürften. Unklar bleibt, wie die leichte kognitive Beeinträchtigung im Einzelfall als präklinisches Stadium einer Demenz identifiziert werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage können insbesondere Längsschnittstudien beitragen, die weitere Auskunft über mögliche Verlaufsprädiktoren geben. Eine möglichst frühzeitige Diagnose demenzieller Erkrankungen ist schließlich – gerade im Hinblick auf einen optimalen Einsatz bereits heute zur Verfügung stehender – Therapien von erheblicher Bedeutung. Literatur: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 292 U. Seidl / journal of preventive medicine 3 (2007) 286–293 Pantel J, Schröder J. Zerebrale Korrelate klinischer und neuropsychologischer Veränderungen in den Verlaufsstadien der AlzheimerDemenz. Untersuchungen mit der quantitativen Magnetresonanztomographie. Darmstadt: Steinkopff 2006. Petersen RC, Smith GE Waring SC, Ivnik RJ, Kokmen E, Tangalos E. Aging, memory, and mild cognitive impairment. Int Psychogeriatr 1997; Suppl 9:65-69. Jack CR Jr, Petersen RC, Xu YC, O´Brien PC, Smith GE, Ivnik RJ, Boeve BF, Waring SC, Tangelos EG, Kokmen E. 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Wissenschaftliche Schwerpunkte: demenzielle Erkrankungen, insbesondere nicht-kognitive Störungen bei Demenzen, sowie autobiografisches Gedächtnis bei Demenzen und anderen psychiatrischen Störungen. Universität Heidelberg Zentrum für Psychosoziale Medizin Klinik für Allgemeine Psychiatrie Sektion Gerontopsychiatrie Voßstraße 4, 69115 Heidelberg Tel. 06221/56-34446 oder -5468 (Sekretariat) Fax 06221/56-7862 [email protected] U. Seidl / journal of preventive medicine 3 (2007) 286–293 293