Buddhismus - Grosse Thailand-Info

Werbung
Buddhismus
Die thailändische Kultur ist sehr stark durch den Buddhismus
geprägt. Das Wissen, dass Besucher aus westlichen Ländern über
den Buddhismus haben, ist meist recht dürftig und Reiseführer
behandeln dieses Thema oft nur oberflächlich. Wer die Menschen
in diesem ostasiatischen Land besser verstehen und einen
tieferen Einblick in ihre faszinierende Kultur gewinnen will, sollte
sich schon vor Reiseantritt ausführlich darüber sachkundig
machen. Eine gute Gelegenheit dazu bietet das internationale
Netzwerk "Engagierter Buddhismus".
"Ich bin nicht daran interessiert, andere Menschen
zum Buddhismus zu bekehren, sondern daran,
was der Buddhismus dazu beitragen kann,
das Leiden in der Welt zu überwinden."
S.H. der 14. Dalai Lama
Sukhothai- Stiel
Lan Na (frühe Periode)
Lan Na (gemischter Stil)
U Thong (Stil A)
U Thong (Stil B)
U Thong (Stil C)
Dvaravati-Schule,
6. - 9. Jahrhundert
Sukhothai-Schule,
14. Jahrhundert
U Thong, Stil A,
13. Jahrhundert A.D.
Lopburi-Schule,
13. Jahrhundert
Haripunjaya-Schule,
13. Jahrhundert
Lan
Na-Schule,
13. Jahrhundert
Lan Na-Schule,
13. - 14. Jahrhundert
U-Thong, Stil B,
13. - 14. Jahrhundert A.D.
Buddhismus
Zahl der Buddhisten weltweit (Anfang 2000)
rd. 359 Mio.
Hauptverbreitungsgebiete
o
o
o
Südostasien
Ostasien
Zentralasien und Ostsibirien
überwiegend buddhistisch geprägte Länder und Gebiete
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
Birma
Kambodscha
Laos
Thailand
Sri Lanka
Vietnam
Japan
Bhutan
Mongolei
Tibet
Burjatien
Tuwinien
Hauptrichtungen
Hinajana (»kleines Fahrzeug«)
Mahajana (»großes Fahrzeug«)
Lamaismus (tibetischer Buddhismus)
Zen (japanischer Buddhismus)
wichtige Feste
Losar (tibetisches Neujahrsfest; Lamaismus, Februar)
Nirvana-Tag (Erinnerung an das Eingehen Buddhas ins Nirvana; Mahajana, 15. Februar)
Neujahr (Hinajana, April)
Hana Matsuri (»Blumenfest«, Erinnerung an die Geburt Buddhas; Mahajana, 8. April)
Wesak (Erinnerung an die Geburt, die Erleuchtung und das Sterben Buddhas; Hinajana,
Mai)
Saga Dawa (Erinnerung an die Geburt Buddhas; Lamaismus, Mai/Juni)
Rohatsu (Erinnerung an die Erleuchtung Buddhas; Zen, Oktober/November)
Bodhi-Tag (Erinnerung an die Erleuchtung Buddhas; Mahajana, 8. Dezember)
wichtige Wallfahrtsorte, heilige Stätten
Lumbini, Nepal (Geburtsort Buddhas)
Bodh Gaya, Indien (Ort der Erleuchtung Buddhas unter dem Bodhibaum)
Rajgir, Indien (Wirkungsstätte Buddhas und nach buddhistischer Überlieferung Ort des
ersten buddhistischen Konzils nach Buddhas Tod)
Anuradhapura, Sri Lanka (ältester historisch belegter Ableger des Bodhibaums)
Kandy, Sri Lanka (Zahnreliquie Buddhas)
die Berge Kailas und Emei Shan in China
© 2002 Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG
Buddhismus,
die von Buddha im 6. oder 5.Jahrhundert v.Chr. im nördlichen Indien gestiftete religiösphilosophische Lehre; ursprünglich als geistig-seelisches Heilverfahren, ohne die Absicht, eine
philosophische Erklärung von Mensch und Welt geben zu wollen, gedacht, wurde der Buddhismus erst später zu metaphysischen und religiösen Systemen ausgebaut.
Buddhas Lehre:
In seiner Lehre geht Buddha von den vier edlen Wahrheiten aus: 1) alles Leben ist
leidvoll; 2) Ursache des Leidens ist der »Durst«, die Begierde, der Lebenswille; die
Menschen bewegen sich in einem Netz von Konventionen und Illusionen, durch das sie
die Welt und sich wahrnehmen; 3) die Leiden können überwunden werden durch die
Abtötung von Begierden und Leidenschaften (v.a. Gier, Hass und Verblendung); 4)
der Weg dazu besteht im edlen achtfachen Pfad: rechte Anschauung und
Gesinnung, rechtes Reden, Handeln und Leben, rechtes Streben, Denken und
Sichversenken. Ziel der Heilung ist die Aufhebung der ichbezogenen Existenz, das endgültige
Erlöschen der Lebensillusionen, das Nirwana.
Nicht klar ausformulierte metaphysische und psychologische Äußerungen Buddhas führten
nach seinem Tode zu Konflikten im Orden. Es formierten sich unterschiedliche Schulen und
Strömungen, die sich zum Teil heftig bekämpften. Ausgangspunkt der Konflikte war u.a. Buddhas metaphysische These, alle Dinge seien ohne ein Selbst, ohne dauerhafte Substanz.
Hinajana- und Mahajana-Buddhismus:
Der Hinajanabuddhismus (»kleines Fahrzeug«) behauptet, alles, was wir als dauernde Seinsform ansehen, existiere gar nicht. Substanzen, Einzelwesen, Individuen existierten real nicht,
sondern seien lediglich Kausalreihen flüchtiger Daseinsformen. Es gebe keinen Denker, nur das
Denken, keinen Fühlenden, nur das Fühlen. Real seien allein die kleinen, kurz dauernden
Seinsabschnitte. Nirwana besteht demnach im Aufgeben dieser falschen Idee angeblich dauerhafter Substanzen.
Um die abendländische Zeitenwende entstand der Mahajanabuddhismus (»großes Fahrzeug«).
Hier dominieren die Yogacara-Schule und die von dem Philosophen Nagarjuna im
2.Jahrhundert begründete Madhyamika-Schule. Die Lehre der Yogacara-Schule bestimmt das
eigentliche Reale jenseits der Welt des Wandels und Scheins als reines Bewusstsein, reines
Denken, vertritt also einen metaphysischen Idealismus und nähert sich damit dem monistischen System des Vedanta und Brahmanismus. Nagarjuna dagegen bestimmte das wahrhaft
Reale als Shunyata (»Leerheit«). Nirwana ist demgemäß die Erkenntnis der »Leere«, aus der
und in der alles Vergängliche lebt. Der Mahajanabuddhismus wurde die eigentliche buddhistische Weltreligion. Er kam den religiösen Bedürfnissen des Volkes eher entgegen (größere Anschaulichkeit der religiösen Bilder, eine Vielzahl von Kulten und Riten), zudem versprach er
allen Menschen die Erlösung (Ideal des Bodhisattva). Im Unterschied dazu blieb der Hinajanabuddhismus hingegen in seinen Grundsätzen eine Asketen- und Mönchsreligion (Ideal des
Arhat).
Ausbreitung:
Im 3.Jahrhundert v.Chr. wurde der Buddhismus unter König Aschoka in Indien Staatsreligion.
Seitdem verbreitete er sich auch außerhalb Indiens. Sein ursprüngliches Wesen erfuhr dabei
vielfache Änderungen, da er sich den Volksreligionen anglich. In der Gegenwart besteht der
Buddhismus als Hinajanabuddhismus in Sri Lanka, Birma, Thailand, Laos, Kambodscha, als
Mahajanabuddhismus in Vietnam, China, Korea, Japan sowie in den Sonderformen des Lamaismus in Tibet, Bhutan, Nepal, Nordost-Indien (besonders Sikkim), Russland (Burjatien,
Kalmückien und Tuwa) und in der Mongolei. Auf dem indischen Subkontinent wurde er weitestgehend vom Hinduismus verdrängt, in Afghanistan, Ostturkestan und Indonesien, wo er im
Mittelalter verbreitet war, ist er heute verschwunden. Über ostasiatische Auswanderer gelangte
der Buddhismus nach Ozeanien (Hawaii) und nach Nord- und Südamerika. In Europa bestehen
seit dem Anfang des 20.Jahrhunderts buddhistische Gemeinden (Neubuddhismus). Weltweit
wird die Zahl der Buddhisten auf rund 359 Mio. geschätzt.
Buddha: Der Erleuchtete
Die Zeit von 600 bis 500 v.Chr. war für die Entwicklung der indischen Kultur eine der entscheidenden Perioden. Um die Mitte des 1.Jahrtausends v.Chr. bildeten sich im Nordosten Indiens
Oligarchien und kleine Königreiche mit Städten als Zentren, in denen sich eine Stadtkultur
entwickelte. Allerdings gibt es aus dieser Zeit wie auch aus der vedischen Zeit außer der »bemalten grauen Keramik« keine bedeutsamen archäologischen Überbleibsel. Bis zum
3.Jahrhundert v.Chr. wurden überwiegend Holz, Lehm und luftgetrocknete Ziegel für Bauten
und Figuren verwendet, wie wir aus den Berichten des Griechen Megasthenes erfahren, der um
300 v.Chr. als Gesandter des Seleukos I. am Hofe des ersten Mauryaherrschers Candragupta
lebte. Aus dieser Zeit stammen auch unsere ersten verlässlichen Datierungen. Für die Darstellung der historischen und politischen Situation der hier behandelten Periode dienen uns in erster Linie religiöse Texte der Buddhisten und der Jainas als Quellen. Wie die Veden wurden auch
diese Texte zunächst durch Jahrhunderte mündlich überliefert. Wie wir aus den ceylonesischen
Chroniken in Pali-Sprache wissen, wurde zum Beispiel der buddhistische Kanon der Theravadaschule im 1.Jahrhundert v.Chr. schriftlich niedergelegt.
Die Oligarchien und das Machtzentrum Magadha
Zu Beginn des 6.Jahrhunderts v.Chr. erstreckte sich das indoarische
Herrschaftsgebiet in Indien vom Pandschab bis nach Bengalen und in Teile des
Dekhan. Die Buddhisten, Jainas und Epen berichten von sechzehn Großen
Stammesstaaten
(Mahajanapada),
die
wohl
zumindest
teilweise
aus
Zusammenschlüssen früherer kleinerer Stammesgebiete entstanden waren. Seit
etwa 600 v.Chr. wurden im mittleren Gangestal und im Nordwesten Städte
gegründet, die zu Hauptstädten dieser Großen Stammesstaaten wurden. Die
besonderen Merkmale der Gangesstädte gegenüber früheren Siedlungen der Indoarier sind die
Befestigungsanlagen, die anfangs aus Wassergräben, Erdwällen und Palisaden bestanden. Seit
etwa dem 5.Jahrhundert v.Chr. waren die Erdwälle mit Ziegeln bedeckt oder wurden durch
Ziegelmauern ersetzt. Die Städte waren durch Überlandstraßen oder an den Flussufern entlangführende Wege verbunden. Um 500 v.Chr. erscheinen auch erstmals Münzen, deren genormte Gewichte auf einen hoch entwickelten Handel schließen lassen. »Nördliche schwarz
polierte« Keramikware war ein ebenso begehrtes Handelsobjekt wie hochwertige
Baumwollstoffe aus Kashi (Varanasi), Wollstoffe und Edelsteine aller Art. Kaufleute sandten
Karawanen über ganz Indien und sogar über die Meere aus. Auch das Handwerk florierte, und
das religiöse
Leben
war sehr
Leben
frei.war sehr frei.
Um 600 v.Chr. waren einige der Großen Stammesstaaten als Republiken organisiert.
Sie wurden von wenigen Adelsfamilien oligarchisch regiert. Zu diesen Staaten
gehörten zum Beispiel die Republik der Vriji von Videha mit Vaishali als Hauptstadt,
die der Shakya mit Kapilavastu, die der Malla von Papa und Kushinagara. Daneben
gab es vier Königreiche, die sich immer weiter ausdehnten und deren Macht ständig
wuchs. Dies waren die Königreiche von Avanti, Vatsa, Kosala und Magadha, deren
jeweilige Herrscher ihre Reiche durch Eroberungen der Nachbarstaaten und kluge
Heirats- und Bündnispolitik zu stärken und zu vergrößern vermochten.
Avanti im westlichen Zentralindien mit seinen Hauptstädten Ujjain und Mahishmati wurde zur
Zeit des Buddha von Canda Pradyota regiert. Er dehnte seinen Herrschaftsbereich bis nach
Magadha aus. Über das nördlich davon gelegene Königreich Vatsa regierte Udayana, der nacheinander die Töchter der Könige von Avanti und Magadha heiratete. Mit dem Königreich Kosala, das dem heutigen Oudh entspricht, und seiner Hauptstadt Ayodhya ist die im Epos Ramayana verherrlichte Sage von dem verbannten Prinzen Rama und seiner Gattin Sita, Tochter des
Herrschers von Videha, verbunden. Zur Zeit des Buddha erstreckte sich Kosala im Süden bis
Varanasi und im Norden bis zum nepalesischen Terai, wo das Adelsgeschlecht der Shakya regierte, aus dem der Buddha stammte. Herrscher über Kosala war zu dieser Zeit König Prasenajit, der zu einem treuen Laienanhänger und Freund des Buddha wurde. Er soll den Buddha
mehrmals am Tage aufgesucht haben, um sich in der buddhistischen Lehre unterweisen zu
lassen. Während eines dieser Besuche wurde er von seinem Sohn Virudhaka abgesetzt und
starb auf der Flucht nach Rajagriha, der Hauptstadt Magadhas. Virudhaka versuchte seinen
Herrschaftsbereich zu erweitern, indem er die Adelsrepublik der Shakya fast völlig vernichtete
und sich ihres Gebietes bemächtigte. Sein Reich erstreckte sich damit von Varanasi am mittleren Ganges bis zum Himalaya.
Das Königreich Magadha und der Nordosten
Das mächtigste Reich zur Zeit des Buddha war Magadha, über das König
Bimbisara herrschte. Durch Heiratspolitik hatte er die Herrscherhäuser von
Kosala und Videha verwandtschaftlich an sich gebunden. Durch seine eigene
Heirat mit der Schwester König Prasenajits von Kosala hatte er Teile des
Gebietes um Varanasi dazugewonnen und durch einen Sieg über den König
von Anga (Bengalen) dessen Herrschaftsbereich. Er wurde durch eine
Predigt des Buddha zu dessen Anhänger und Freund. Sein Reich scheint er
mit fester Hand regiert zu haben. Er baute Rajagriha zu seiner Hauptstadt
aus. Um die Verwaltung kümmerte er sich selbst und unternahm häufige
Inspektionsreisen. Nach 52 Regierungsjahren wurde er von seinem Sohn
Ajatashatru abgesetzt und festgenommen. Er starb sieben Jahre vor dem
Nirvana des Buddha in der Gefangenschaft den Hungertod.
Ajatashatru musste seinen Thron zunächst durch einen Krieg mit seinem
Onkel König Prasenajit von Kosala verteidigen, der wegen seiner Schwester,
der Mutter Ajatashatrus, Ansprüche auf die Herrschaft erhob. Ajatashatru
verlor, wurde aber von Prasenajit verschont und heiratete dessen Tochter. In der Folge
verstand er es, seine Herrschaft zu sichern und nach Norden hin auszudehnen, indem er die
Adelsrepublik Videha mit ihrer Hauptstadt Vaishali eroberte. Diese Ereignisse fanden um die
Zeit des Nirvana des Buddha statt. Vaishali soll damals eine überaus wohlhabende Stadt gewesen sein. Mit der Eroberung von Vaishali war die mächtigste Republik, die aus einer Konföderation von Adelsgeschlechtern bestanden hatte, untergegangen. Auch gegen König Canda Pradyota von Avanti führte Ajatashatru einen Eroberungsfeldzug.
Die Berichte über die Eroberungen, Landgewinne und anderen politischen Maßnahmen des Prasenajit, Bimbisara und seines Sohnes Ajatashatru zeigen, dass diese drei Könige bestrebt waren, möglichst große Teile der Gangesebene zu beherrschen. Daraus kann man schließen, dass
sie die ersten nicht nur mythischen Könige Indiens waren, die an die Eroberung und Gründung
eines möglichst großen Reiches dachten.
Dass die Stadtstaaten und Königreiche im Nordosten Indiens um die Mitte des 1.Jahrtausends
v.Chr. wirtschaftlich florierten, kann man den Erzählungen über zahlreiche Schenkungen von
Königen und reichen Bürgern an die verschiedenen Religionsgemeinschaften entnehmen. So
stiftete König Bimbisara von Magadha dem Buddha und seinem Orden einen Park bei Rajagriha. Dort hielt sich der Buddha bei seinen Besuchen in Rajagriha häufig auf. Ein reicher Kaufmann stiftete dem Buddha einen Park bei Shravasti, in dessen Nachbarschaft König Prasenajit
von Kosala ein Kloster für den Buddha errichten ließ. Auch anderen gegenüber erwies sich dieser König als sehr freigebig.
Der Nordosten blieb weiterhin das Zentrum der altindischen Geschichte. Udayin, der Sohn des
Königs Ajatashatru, verlegte die Hauptstadt von Magadha nach Pataliputra am Ganges, dem
heutigen Patna, das damals zur wichtigsten Stadt des alten Indien wurde und über 700 Jahre
das Zentrum indischer Großreiche bildete. Nach buddhistischen Quellen hatte auch Udayin seinen Vater Ajatashatru umgebracht, um an die Macht zu kommen. In den Jaina-Quellen wird
dies bestritten. In ihnen wird er als Förderer und gläubiger Anhänger der Jainas gepriesen.
Über das Schicksal Magadhas nach dem Tod von König Udayin schweigen die buddhistischen
und jainistischen Quellen. Nach der früheren Datierung des Buddha, von der später noch zu
handeln sein wird, wurde die Zeitspanne von König Udayin bis zur Nandadynastie als 150 Jahre
errechnet. Nach heutigem Wissen ist es wahrscheinlicher, dass es sich nur um eine Periode
von etwa 50 Jahren handelt, über die wir von der Entwicklung in Magadha nichts wissen.
Als in der Mitte des 4.Jahrhunderts v.Chr. die Nandadynastie die Herrschaft in Magadha übernahm, kontrollierte sie von der Hauptstadt Pataliputra aus die gesamte Gangesebene sowie
das übrige Nordindien außer Rajasthan, Sind, dem Pandschab und dem Nordwesten. Die früheren Reiche waren entweder aufgelöst oder in den Status von unbedeutenden Vasallenstaaten
abgesunken. Mahapadma, der erste Nandakönig, soll der Sohn einer Shudrafrau gewesen sein
und soll die Kshatriya in seinem Reich ausgerottet haben. Ihm folgten in der Herrschaft nacheinander seine acht Söhne. Der Reichtum der Nanda, den sie in unersättlicher Geldgier durch
Eroberungen von fremden Völkern und durch hohe Abgaben von ihrem eigenen Volk erworben
hatten, wird sogar in südindischen Quellen erwähnt.
Mit den Nanda wird die indische Geschichte zum ersten Mal etwas deutlicher fassbar für uns,
da wir dafür auch griechische und römische Quellen besitzen. Über die niedrige Herkunft des
ersten Nandaherrschers berichtet zum Beispiel um die Zeitenwende der römische Schriftsteller
Curtius Rufus in seiner »Geschichte Alexanders des Großen« (9, 2, 67). Er bezeichnet ihn als
Sohn eines Barbiers, der den König tötete und dessen Gemahlin heiratete. Auch über die große
Heeresmacht des ersten Nandaherrschers lesen wir bei Curtius Rufus sowie den griechischen
Schriftstellern und Geschichtsschreibern Diodor (Historische Bibliothek 17, 93, 2) und Plutarch
(Leben des Alexander 62). Allerdings stimmen die Angaben der Heeresstärke in diesen Quellen
nicht überein. Die wichtigsten Eroberungen des Nandakönigs scheinen Kalinga (Orissa), das
Land südlich von Magadha, und andere Teile des Dekhan gewesen zu sein. Aus den Thronfolgestreitigkeiten am Ende der Nandazeit ging Candragupta siegreich hervor. Er wurde um 320
v.Chr. der Begründer der Mauryadynastie, die mit Pataliputra als Hauptstadt das erste nordindische Großreich beherrschte. In seiner Blütezeit umfasste dieses Reich einen großen Teil des
indischen Subkontinents. Es wird an anderer Stelle behandelt werden.
Die Achämeniden und Alexander der Große in Indien
Über den Einfluss des altpersischen Herrschergeschlechts der Achämeniden auf die Bildung der
ersten größeren Staaten in Indien wurde viel spekuliert. Im 6.Jahrhundert v.Chr. gab es im
Nordwesten des alten Indien zwei Reiche: Gandhara erstreckte sich entlang dem Indus und
umfasste im Westen den heutigen Distrikt von Kabul-Peshawar in Ostafghanistan, mit der
Hauptstadt Pushkalavati, und im Osten den Distrikt von Rawalpindi in Nordpakistan, mit Takshashila als Hauptstadt. Kamboja umfasste die heutigen Gebiete von Kaschmir und Nuristan in
Ostafghanistan. Takshashila lag an der Handelsstraße, die Baktrien mit Indien verband, und
wurde deshalb zum größten Handelszentrum. Zur Zeit des Buddha herrschte in Takshashila
König Pushkarasarin, der mit König Bimbisara von Magadha befreundet war und der Legende
nach durch ihn zum Buddhismus bekehrt wurde. Daraufhin soll er der Welt entsagt haben und
zum Buddha nach Magadha gewandert sein, um sich von ihm belehren zu lassen. Takshashila
beherbergte die erste Universität Indiens. Die Studenten kamen von weither, aus Magadha,
Kurukshetra und anderen Teilen Indiens, um neben den drei Veden (Rigveda, Samaveda, Yajurveda) und den achtzehn traditionellen Wissenschaften Medizin, Ritualwissenschaften und
Magie zu studieren. Die Studiengebühren waren sehr hoch.
Schon unter dem Achämenidenherrscher KyrosII. scheinen Teile von Gandhara im
6.Jahrhundert v.Chr. als Satrapie in das Perserreich eingegliedert worden zu sein. Der erste
Versuch des Kyros, Indien zu erobern, scheiterte aber zunächst an den schlechten Straßenverhältnissen. Er soll mit nur sieben Soldaten von diesem Eroberungszug zurückgekehrt sein, wie
der um die Zeitenwende lebende griechische Schriftsteller Strabon in seiner »Geographie«
(15,1,5; 2,5) schreibt und der griechische Schriftsteller Arrian in seinem »Alexanderzug«
(6,24,23) mehr als hundert Jahre nach Strabon berichtet. Nach der im 1.Jahrhundert n.Chr.
entstandenen »Naturgeschichte« (6,92) des römischen Schriftstellers Plinius des Älteren eroberte und zerstörte Kyros immerhin Kapisha mit seiner Hauptstadt Kapishi (Begram bei Kabul
in Afghanistan) und wurde somit Herr des südlichen Hindukusch. Auch Gandhara scheint er
danach eingenommen zu haben, da in einer Inschrift aus dem Jahre 519 der Name Gandharas
als 19. der 23Satrapien des Achämenidenherrschers DareiosI. erscheint. 515 eroberte Dareios
außerdem die Provinz von Sind am unteren Indus, die nach den »Historien« (3,94) des im
5.Jahrhundert v.Chr. lebenden Geschichtsschreibers Herodot die 20.Satrapie wurde. Die Ausdehnung dieser Satrapie ist nicht ganz sicher, sie umfasste aber wohl auch weite Teile des
Pandschab. Nach inschriftlichen Berichten und Herodot waren die Tribute, die die indischen
Satrapien leisten mussten, höher als die aller anderen. Unter den Soldaten, die der Achämenidenherrscher XerxesI. 480 in die Schlacht bei den Thermopylen und 479 in die Schlacht von
Plataiai gegen die Griechen führte, werden auch Inder aus Sind erwähnt, die von Herodot
(7,65f.) als mit Baumwollgewändern bekleidet und mit eisenspitzenbewehrten Bambusbogen
und -pfeilen bewaffnet beschrieben werden. Gegen Ende des 5.Jahrhunderts v.Chr. veröffentlichte Ktesias von Knidos, der Leibarzt von König DareiosII. und ArtaxerxesII. Mnemon, eine
Beschreibung Indiens und Persiens, die zeigt, dass Indien zu jener Zeit im Mittelmeerraum
noch weitgehend unbekannt war, da Ktesias die fabelhaften Erzählungen über und aus Indien
vollkommen unkritisch übernahm. Unter den letzten Achämeniden gewannen die indischen
Satrapien ihre Unabhängigkeit praktisch zurück, auch wenn sie nach wie vor dem Anspruch
nach zum persischen Reich gehörten.
Im Jahr 326 überschritt Alexander der Große den Indus, den Grenzfluss des persischen Reiches, um den Pandschab zu unterwerfen und die Grenzen der damals bekannten Welt, den
Ozean, in den der Indus mündet, zu erreichen. Takshashila war die erste indische Stadt, in die
Alexander kam. Dort wurde er von dem örtlichen Herrscher mit reichen Geschenken empfangen, die aus 3000 gemästeten Rindern und 10000 Schafen bestanden. Dies zeigt, dass die
Viehzucht wie in vedischer Zeit immer noch eine große Rolle spielte. Der siegreiche Feldzug
des Alexander soll an anderer Stelle beschrieben werden. In der indischen Überlieferung werden die Eroberungen Alexanders und die Berührung mit der fremden Macht nirgends erwähnt.
Nach der Überlieferung der hellenistischen Zeit begann mit dem Feldzug des Alexander der
Austausch religiös-philosophischen Gedankenguts zwischen Griechenland und Indien. Im Gefolge Alexanders mitreisende Philosophen sollen mit indischen »Brahmanen« und »nackten
Weisen« (Gymnosophisten, vgl. dazu Diogenes Laertios: Über Leben, Ansichten und Aussprüche der berühmten Philosophen 9,61) zusammengetroffen sein. Die Schmerzüberwindung, das
Ertragen auch der härtesten Kälte und die Todesbereitschaft der Gymnosophisten wurden besonders gerühmt (Cicero: Tusculanische Gespräche 5,77). Einen endgültigen Wandel in der
Kenntnis über Indien brachte die Indienbeschreibung des eingangs erwähnten Megasthenes.
Die Kastenordnung prägt sich aus
Schon seit der spätvedischen Zeit hatte, wie oben beschrieben,
eine Gegenbewegung gegen den im Ritualismus erstarrten
Brahmanismus eingesetzt. Dies wurde die Voraussetzung für die
Entwicklung der drei großen Religionen Indiens, des Buddhismus, Jinismus und Hinduismus, um die Mitte des
1.Jahrtausends v.Chr. Die oben dargestellte Kastenordnung
spielte zur Zeit des Buddha, zumindest in den östlichen Ländern, in denen er lehrend herumwanderte, eine wichtige Rolle
im sozialen Leben. Obwohl der Buddha an vielen Stellen in seinen Lehrreden die Auffassung von der Nichtigkeit der Stände
vertritt, bestanden die vier Stände nach wie vor, und die Gliederung der Gesellschaft in Indien hat sich durch das Auftreten des
Buddha nicht geändert. Nach den Lehren des Buddha sind die
vier Stände der Brahmanen, Kshatriya, Vaishya und Shudra alle
gleich. Neben dem schon in vedischer Zeit gebräuchlichen Begriff Varna (»Farbe«) scheint der auch heute noch gebrauchte Begriff für Kaste, Jati (»Geburt«),
sehr geläufig gewesen zu sein. Zu jener Zeit scheinen auch tatsächlich schon weitere Kastenunterteilungen existiert zu haben. So werden zum Beispiel als Angehörige der niedrigsten Kaste die Mischkasten der Candala, Pulkasa und Naishada (»Jäger«) sowie Rohrarbeiter und Wagenbauer genannt. Die ersten drei Namen sind wohl Stammesnamen ursprünglich nicht arischer Volksstämme.
Besonderheiten der brahmanischen Kastentheorie finden wir auch im buddhistischen Kanon
wieder. Neben der aus der vedischen Zeit überlieferten Beschränkung einer jeden Kaste auf
einen ganz bestimmten Beruf gibt es nun jedoch genaue Vorschriften bezüglich Ehe, Nahrung
und Berührung der Kasten untereinander. So ist es einem Brahmanen verboten, Nahrung von
einem Menschen niedriger Kaste anzunehmen. Als besonders unrein gelten die Shudra und
unter ihnen wiederum die Candala. Die Berührung eines Candala, ja sogar der Windhauch, der
einen Candala gestreift hat, sind unrein. Eine speziell die Tischgemeinschaft (Kommensalität)
betreffende Regel, nach der das gemeinsame Mahl mit einem niedrig Stehenden verboten war,
scheint es noch nicht gegeben zu haben, aber Vorschriften, die den Genuss der von Unreinen
berührten oder übrig gelassenen Speisen untersagten. Das Essen der von einem Candala übrig
gelassenen Speise hat für den Brahmanen die Ausstoßung aus der Kaste zur Folge. Es erscheint demnach als selbstverständlich, dass eine Vermischung mit den als unrein geltenden
Kasten zu verhindern gesucht wurde. Dies bedeutet, dass die Kasten zur Zeit des Buddha im
Allgemeinen wohl endogam waren, also die Heirat innerhalb der eigenen Kaste als Regel galt.
Es scheint aber noch kein zwingendes Gesetz dazu bestanden zu haben, da Uddalaka, der
Sohn eines Brahmanen mit einer Hetäre, als Brahmane anerkannt wurde.
Die Schranken der Kastenordnung waren zur Zeit der Entstehung des buddhistischen Kanons
im 4. Jahrhundert v.Chr. zwar noch nicht unüberschreitbar, aber alle das Kastensystem charakterisierenden Merkmale, die auch das moderne Kastensystem prägen, waren schon vorhanden: die Erblichkeit der Kaste, die Endogamie, die Kommensalität sowie die Ausstoßung bei
Verstoß gegen die Kastenordnung.
Mit der Entwicklung der oligarchisch regierten Stammesstaaten war der Stand der Kshatriya
zur einflussreichsten Kaste geworden. Zu ihr gehörten die Angehörigen der herrschenden Klasse, der König mit seinen Verwandten, die regierenden Fürstenfamilien der an den Grenzen der
Königreiche gelegenen Kleinstaaten und der adlige Teil des Heeres. In Kriegszeiten fiel den
Kshatriya der Hauptanteil an der Kriegführung zu. Der König, der die politische Macht und den
Staat verkörperte, stand über den Vorschriften der Kaste. Bei Aufzählung der Kasten stehen in
den buddhistischen Texten die Kshatriya stets an erster Stelle. Dies spiegelt wohl die in den
östlichen Ländern herrschende Anschauung sowie die tatsächlichen politischen Machtverhältnisse dieser Zeit wider. Im »Dighanikaya«, einer Sammlung buddhistischer Lehrreden in PaliSprache, werden dem Buddha folgende Worte in den Mund gelegt: »Bei den Leuten, die auf
gute Abstammung Wert legen, gilt der Kshatriya als der Beste« (1,99). Aber nicht nur aufgrund ihrer Machtposition waren die Kshatriya zur führenden Kaste geworden, sondern auch
auf geistigem Gebiet scheinen sie den Brahmanen zum Teil die Führerschaft streitig gemacht
zu haben. So treten in den Upanishaden die Könige zuweilen als Lehrer der Brahmanen auf.
Außerdem scheinen die Fürstensöhne wie die jungen Brahmanen eine bestimmte Zeit ihres
Lebens dem Studium religiöser Schriften, das heißt der Veden, gewidmet zu haben. Die Stadt
Takshashila im Nordwesten Indiens hatte damals eine berühmte Hochschule und galt als Sitz
großer Gelehrsamkeit. Doch die Brahmanen beanspruchten nach wie vor für sich den höchsten
Rang unter den Kasten. Neben seiner Aufgabe als Lehrer in den drei Veden und allen Wissenszweigen war der Brahmane die einzige Person, die Opferhandlungen vollziehen oder auch religiöse Zeremonien privater Art, wie bei Hochzeiten, Einweihungen von Häusern oder Geräten,
durchführen konnte. Außerdem gehörte das Vorhersagen der Zukunft, wie zum Beispiel des
künftigen Schicksals eines neugeborenen Königskindes, Traumdeutung und das Bestimmen
des richtigen Zeitpunkts etwa für den Antritt einer Reise, den Beginn eines Baus, ja sogar eines Krieges, zu den Aufgaben der Brahmanen.
Die dritte Kaste, die der Vaishya, zu deren Pflichten Viehzucht, Ackerbau, Handel, Geldverleih,
Spenden von Gaben, Opfer und Studium gehörten, wird im buddhistischen Kanon überwiegend
in theoretischen Erörterungen über die Kasten genannt. Der Begriff, der dort für einen durch
vornehme Geburt und Reichtum ausgezeichneten Grundbesitzer und Handelsherrn gewählt
wird, ist Grihapati (»Hausherr«, »Haupt eines Hausstandes«). Mit diesem Wort scheint zu
Buddhas Zeiten der dritte, den Vaishya des brahmanischen Systems entsprechende Stand bezeichnet worden zu sein. Der hauptsächlichste und vornehmste Repräsentant dieses Standes
ist der Shreshthin (»Gildemeister«), der mit einer besonderen Ehrenstellung unter seinen Berufsgenossen betraute Kaufmann, der zugleich in naher Verbindung zum königlichen Hofe
stand. Das Amt des Shreshthin war erblich. Wie die Kaufleute waren auch die Handwerker in
Gilden organisiert, und der Handwerksberuf war erblich. Einzelne Handwerkszweige wurden
außerhalb größerer Städte in Dörfern ausgeübt, in denen nur Leute desselben Berufs wohnten.
Zum Beispiel gab es bei Varanasi ein Tischlerdorf, wo über 500 Zimmerleute wohnten. An der
Spitze jeder Handwerkerinnung stand der Älteste. Die Innungen der Handwerker gehörten zum
Teil zu den verachteten Kasten, was wohl auch zu der räumlichen Absonderung von der übrigen Bevölkerung geführt hat.
Der König Das Haupt der Menschen
Die Stellung des Königs in den buddhistischen Erzählungen gleicht im Großen und Ganzen der
zur Zeit der Veden. Die besonderen Pflichten eines Königs bestehen vor allem im Schutz der
Untertanen gegen äußere und innere Feinde und in der Gewährung von Sicherheit der Person
und des Eigentums durch angemessene Bestrafung von Verbrechen. Der König ist demnach
auch die oberste Instanz der Gerichtsbarkeit. Als Gegenleistung muss das Volk durch Bezahlung von Steuern für die Kosten der Staatsverwaltung, des Heeres und des Hofhaushalts aufkommen. Über die genaue Höhe der Steuern und Abgaben erfahren wir in den buddhistischen
Texten nichts. Sie bestanden wohl vor allem aus einem bestimmten Anteil des Ernteertrages
und vielleicht noch aus einer Art Pacht. Kshatriya und Brahmanen scheinen von Abgaben ganz
befreit gewesen zu sein. Wenn ein Bürger starb, ohne einen Erben zu hinterlassen, fiel sein
Besitz an den König. Der dem buddhistischen Ideal entsprechende Herrscher sucht die moralischen Vorschriften zu erfüllen, die auch für Laien gelten, wie Almosenspende, rechter Lebenswandel, Milde, Geduld, Nichtzufügen von Leid. Der im 3. Jahrhundert v.Chr. herrschende König
Ashoka kam diesem Idealbild in seiner späteren Regierungszeit sehr nahe. In anderen Fällen
wird der König häufig als unumschränkter, nur von Willkür und Launen geleiteter Tyrann dargestellt, der »seine Untertanen durch Strafen, Steuern, Foltern und Ausbeutung quält und auspresst«, so überliefert eine altbuddhistische Erzählung (Jataka 2,240).
In vedischer Zeit ging das Königtum entweder direkt auf den ältesten Sohn des Königs über,
was die Regel war, oder der neue König wurde durch Wahl vom Volk bestimmt. Nach den
buddhistischen Quellen ist die Königswürde erblich. Der älteste Sohn des Königs erbt das Amt,
während der zweite Sohn zum Vizekönig wird. Nur die Söhne der Hauptgattin wurden als legitim angesehen. Wenn kein männlicher Nachkomme, Schwiegersohn oder anderer Verwandter
da war, scheint der Nachfolger von den Ministern gewählt worden zu sein. Auch in hohen Ämtern saßen Verwandte des Königs, wodurch die Staatsform auch in den Monarchien wie in den
Republiken mehr den Charakter einer Oligarchie annahm.
Unter den königlichen Beamten sind zunächst die Minister zu nennen. Sie berieten den König in
weltlichen und geistlichen Dingen. Der Heerführer wirkte neben seinen militärischen Aufgaben
in Friedenszeiten wohl auch an der Gesetzgebung mit. Daneben gab es auch einen Justizminister, der wohl nicht nur richterliche Entscheidungen fällte, sondern auch in Rechts- und Gewissensfragen Auskunft erteilte. Ein für den König sehr wichtiger Beamter war der Landvermesser, der die Ländereien der steuerzahlenden Untertanen vermaß. Danach wurde der Steuerund Abgabensatz festgelegt. Eine besondere Stellung am Hofe nahm der Hauspriester (Purohita) des Königs ein. Er war für die richtige Ausführung der Opferhandlungen zuständig, und das
Schicksal des Königs lag insofern in seiner Hand, als er die Gunst oder Ungunst der Götter erwirken konnte. Außerdem fungierte der Purohita in den Jugendjahren des Königs als dessen
Lehrer. Daneben scheint er bei Hofe noch manche andere, mehr weltliche Funktionen ausgeübt
zu haben. Er wirkte bei der Rechtsprechung, der Verwaltung des königlichen Schatzes und anderen Staatsgeschäften mit.
Eine Besonderheit der Zeit um die Mitte des 1.Jahrtausends v.Chr. war, dass Angehörige aller
Stände der Welt entsagten und als Einsiedler, außerhalb der menschlichen Gemeinschaft und
somit auch der Kastenordnung, im Walde lebten. Der König, der seinen Thron aufgibt und Asket wird, war keine Einzelerscheinung. In den Epen Mahabharata und Ramayana treffen wir
immer wieder auf die alte Sitte, nach der Könige im Alter zugunsten ihrer herangewachsenen
Söhne abdankten und bis zum Tode ein Leben als Einsiedler in der Waldeinsamkeit führten.
Den Anstoß zu diesem Entschluss gab nach der Schilderung der Texte meistens der Gedanke
an die Vergänglichkeit der irdischen Güter und an die Nichtigkeit des menschlichen Daseins.
So war die Zulassung aller, gleichgültig welcher Kaste sie angehörten, zur buddhistischen Gemeinde im Grunde eine Weiterführung schon bestehender Verhältnisse. Der Buddha wich allerdings von den orthodoxen Brahmanen insofern ab, als er das Kastenwesen nicht als göttlich,
sondern als eine menschliche Einrichtung ansah und die Vorrangstellung der Brahmanen ablehnte.
Buddha Sein Leben und seine Lehre
Die Lebensdaten des historischen Buddha können nur ungefähr angegeben werden. Wahrscheinlich lebte und wirkte er im 5. bis 4. Jahrhundert v.Chr. Nach einmütiger Überlieferung
ging er in seinem 80.Lebensjahr ins Nirvana ein. Entsprechend der Theravadatradition, der die
Buddhisten Sri Lankas, Thailands, Birmas und Kambodschas anhängen, fand dieses Ereignis im
Jahr 544/543 v.Chr. statt. Das würde bedeuten, dass der Buddha im Jahr 623 v.Chr. geboren
wurde. Dieses Datum wurde von den westlichen Gelehrten sehr bald angezweifelt, da nach den
ceylonesischen Pali-Chroniken der große Mauryaherrscher Ashoka 218 Jahre nach dem Nirvana
des Buddha zum König geweiht worden sein soll. Nach Quellen der nördlichen Buddhisten fand
die Krönung sogar schon 100 Jahre nach dem Nirvana des
Buddha statt. Die Krönung Ashokas wird aufgrund der Gleichzeitigkeit mit drei hellenistischen Diadochenherrschern in Vorderasien und der relativen Chronologie in seinen Inschriften auf
268/267 v.Chr. datiert. Die Kombination dieser Quellen würde
entweder 486 v.Chr. oder 368 v.Chr. als Datum des Nirvana
des Buddha ergeben.
Keines dieser Daten kann allerdings als ganz sicher gelten. Die
aufgrund der ceylonesischen Überlieferung errechnete Lebenszeit des Buddha von etwa 560 bis 480 v.Chr, die lange als das
erste feste Datum in der Geschichte Indiens galt, wurde durch
neuere Forschungen widerlegt. Damit wurden aber auch alle
anderen durch die Gleichzeitigkeit mit dem Buddha errechneten
Datierungen, zum Beispiel die des Mahavira, des Begründers
des Jinismus, der Könige Bimbisara und Ajatashatru von Magadha sowie Prasenajits von Kosala, außer Kraft gesetzt.
Das Leben des Buddha ist ausführlich überliefert. Da er aus
dem Nordosten des indischen Subkontinents stammt und dort
von Ort zu Ort gezogen ist, wirft die buddhistische Literatur viel Licht auf diesen Raum und die
Herrscher dieser Zeit. Der Buddha entstammte dem Kshatriyageschlecht der Shakya, woher
auch sein Beiname Shakyamuni abgeleitet ist. Sein Eigenname war Siddhartha und der Familienname Gautama, weshalb er auch oft Gautama Buddha genannt wird. Er wurde im Hain Lumbini bei der Stadt Kapilavastu geboren, im heutigen Teraigebiet in Nepal. Die Adelsrepublik der
Shakya wurde parlamentarisch regiert. Gewählte Vertreter der adligen Oberschicht entschieden über Staatsgeschäfte und Verwaltungsangelegenheiten. An ihrer Spitze stand ein aus ihren
Reihen gewählter Vorsitzender, der den Titel Raja führte. Bis zum Alter von 29 Jahren verbrachte Siddhartha ein angenehmes Leben in höfischem Luxus. Er war mit einer Prinzessin
verheiratet und hatte einen Sohn. In seinem 29.Lebensjahr, so heißt es in der Legende, wurde
der spätere Buddha durch den Anblick eines Kranken, eines Alten und eines Toten an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und aller weltlichen Güter erinnert. Nach der Begegnung
mit einem Bettelmönch folgte er dessen Vorbild, zog nach der traditionellen Formulierung »in
die Hauslosigkeit« (pravrajya) und wurde auf der Suche nach der erlösenden Erkenntnis zum
Wanderasketen. Auf seiner Wanderschaft traf er zwei Yogalehrer, von denen er lernte, mittels
ekstatischer Praktiken die äußere Erscheinungswelt zu überwinden. Doch er stellte fest, dass er
sich jedes Mal, wenn er aus der Versenkung heraustrat, nicht geändert hatte. Deshalb entschloss er sich, strengste Askese zu üben. Auch diese Bemühungen waren fruchtlos. Nachdem
er, fast verhungert, wieder Nahrung zu sich genommen und sich unter einem Feigenbaum (Ficus religiosa, Bodhibaum) bei Bodh Gaya zur Versenkungsübung niedergelassen hatte, erkannte er im Alter von 35 Jahren die Wahrheit des Mittleren Weges, der alle Extreme meidet, und
erreichte die Erleuchtung. Er verwirklichte in sich das Nirvana, das »Verlöschen« von Gier,
Hass und Verblendung und von allem Anklammern an das Dasein. Damit wurde er zum Buddha, zum »Erleuchteten«, und war von allen Formen weltlicher Bindung, von Leiden, Tod und
Wiedergeburt befreit. Er erkannte, dass der Glaube an einen unveränderlichen, ewigen Wesenskern, an ein Ich, ein Irrglaube ist. Der Tod bedeutete für ihn nur noch das Aufhören der
Körperfunktionen.
Nach der Erleuchtung zog der Buddha nach Varanasi und teilte im Gazellenhain in Sarnath bei
Varanasi fünf ihm bekannten Asketen seine Erkenntnis mit. Diese Asketen waren früher Gefährten des Buddha in der Wahrheitssuche gewesen, hatten sich jedoch von ihm abgewandt,
als er die strenge Askese aufgegeben hatte. Sie bekehrten sich nun alle zur Lehre des Buddha,
traten als erste Mönche dem Orden des Buddha bei, erlangten für sich die Erkenntnis und wurden zu Heiligen (Arhat). Die erste Predigt ist bekannt als die erste »Drehung des Rades der
Lehre« (Dharmacakrapravartana). In ihr führte der Buddha aus, dass weder die Hingabe an die
Sinnesgenüsse noch die übertriebene Selbstpeinigung, sondern allein der Mittlere Weg zum
Heil führe. Er verkündete die Vier Edlen Wahrheiten: die Wahrheit, dass alles Dasein Leiden ist,
die Wahrheit von der Entstehung des Leidens aus der Gier, die Wahrheit von der Aufhebung
des Leidens durch Sichbefreien von der Gier und die Wahrheit von dem zur Aufhebung des
Leidens führenden Edlen Achtfachen Weg. Dieser beinhaltet rechte Anschauung, rechte Gesinnung, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechten Lebensunterhalt, rechte Anstrengung, rechte
Achtsamkeit, rechtes Sichversenken. Es ist nicht mit Sicherheit bekannt, in welcher Sprache
der Buddha lehrte. Gewiss hat er seine Lehre nicht in Sanskrit, der brahmanischen Literatursprache, verkündet. Da er im Nordosten Indiens wirkte, wird als wahrscheinlich angenommen,
dass er, um vom Volk verstanden zu werden, einen Dialekt dieser Gegend benutzte.
Bis zu seinem Tod zog der Buddha, die von ihm gefundene Wahrheit verkündend, durch den
Nordosten Indiens. Im Alter von 80 Jahren starb er in Kushinagara, im heutigen indischnepalischen Grenzgebiet.
Wie andere Asketengemeinschaften der Zeit bildeten auch die Anhänger des Buddha einen
Orden, der sich aus Mönchen und Nonnen zusammensetzte, dem ein über den ganzen Nordosten verstreuter Kreis von Laienanhängern und Laienanhängerinnen gegenüberstand. Diese vier
»Versammlungen« bildeten die buddhistische Gemeinde (Sangha).
Die Geschichte der ersten Gemeinde
Die vom Buddha verkündete Lehre (Dharma) ist vor allem eine praktische Erlösungslehre, in
der alle philosophischen Spekulationen abgelehnt werden. Philosophische Lehren finden nur
insoweit Berücksichtigung, als sie die Verstrickung in den Geburtenkreislauf und den Weg aus
ihm zu erklären helfen.
Die älteste Überlieferung der Lehre des Buddha erfolgte mündlich. Einen Nachfolger, der die
Gemeinde nach seinem Tod führen sollte, hatte der Buddha aber nicht ernannt. Die von ihm
verkündete Lehre und ein Rechtsbuch für den Sangha sollten von nun an die Autoritäten sein.
Durch das Fehlen einer Persönlichkeit, die die authentische Interpretation der Lehre geben oder Fragen eindeutig beantworten konnte, die bei Entscheidungen des Gemeinderechts oder
der Dogmatik auftraten, wurde die Einheit des Sangha bald durch innere Streitigkeiten gefährdet. Der Festlegung der kanonischen Texte und der Entscheidung von Streitfragen dienten
mehrere Konzile. Schon kurz nach dem Tod des Buddha soll in Rajagriha ein Konzil von 500
Mönchen stattgefunden haben. Bei ihm sollen das Rechtsbuch des Sangha sowie die Lehrreden
des Buddha zusammengestellt und festgelegt worden sein. Hundert Jahre nach dem Nirvana
des Buddha soll in Vaishali ein zweites Konzil einberufen worden sein, bei dem über Missbräuche verhandelt wurde, die bei den Mönchen von Vaishali aufgetreten waren. Die Beschlüsse
dieses Konzils wurden aber nicht allgemein anerkannt. Die Streitigkeiten führten im Laufe der
Jahrhunderte zur Entwicklung verschiedener Schulrichtungen, die auch unterschiedliche Kanons anerkannten.
Am besten erschlossen und als einziger buddhistischer Kanon vollständig in der Originalsprache (Pali) erhalten ist der Pali-Kanon, der im 1.Jahrhundert v.Chr. in Sri Lanka schriftlich fixiert
wurde. Er setzt sich wie die aus anderen Überlieferungszweigen bekannten kanonischen
Sammlungen aus drei »Körben« zusammen und wird deshalb »Dreikorb« (Tripitaka) genannt.
Diese drei Körbe sind das »Rechtsbuch des Sangha« (Vinayapitaka), in dem das Disziplinarrecht des Ordens, Beichtformular und Formulare für das Gemeindeleben enthalten sind, der
»Korb der Lehrreden« (Sutrapitaka), in dem vor allem die Reden des Buddha gesammelt sind,
und der »Korb der Dogmatik« (Abhidharmapitaka), der aus scholastischen Lehrdarlegungen,
Listen buddhistischer Lehrbegriffe und ihrer Kommentierungen besteht.
Aufgaben und Pflichten der Mönche und Laienanhänger
In den buddhistischen Orden, den Sangha, wurden grundsätzlich Angehörige aller Kasten aufgenommen, obwohl tatsächlich die Anhänger der oberen Kasten zahlenmäßig überwogen. So
waren zum Beispiel zwei Hauptschüler des Buddha, Shariputra und Maudgalyayana, Brahmanen.
Zu Lebzeiten des Buddha verliefen die Bekehrungen gewöhnlich folgendermaßen: Der Buddha
erteilte dem Kandidaten eine stufenweise Unterweisung über das Spenden, die rechte Sittlichkeit, über die Vergänglichkeit der Sinnesfreuden. Wenn der Kandidat dadurch geistig vorberei-
tet war, eröffnete der Buddha ihm die Lehre von den Vier Edlen Wahrheiten.
Dadurch gewann der Kandidat die Erkenntnis von der Vergänglichkeit allen
Seins. Nun bat er den Buddha, entweder als Laienanhänger anerkannt oder in
den buddhistischen Orden aufgenommen zu werden.
Zum Laienanhänger wurde man, indem man seine Zuflucht zum Buddha, zur
Lehre, dem Dharma, und zum Sangha nahm und sich verpflichtete, bestimmte
Sittlichkeitsregeln einzuhalten, nämlich sich des Tötens, des Diebstahls, der
Unkeuschheit, der Lüge, des Genusses von Rauschmitteln zu enthalten. Die
Laienanhänger unterstützten die Mönche und Nonnen durch ihre Spenden von
Nahrung, Kleidung und Gebrauchsgütern wie Stühlen, Schlafstätten und Arzneien. Durch diese verdienstvolle Spendentätigkeit und eine gute Lebensführung erlangten die Laienanhänger nicht nur Wohlstand und Glück im jetzigen Leben, sondern
auch eine gute Wiedergeburt. Die Aufgabe der Mönche war es, den Laien die buddhistische
Lehre zu erläutern und ihnen durch Annahme der Spenden zu der erwähnten guten Tatvergeltung zu verhelfen.
Mönche und Nonnen unterschieden sich von den Laienanhängern durch ihre Kleidung, ihre Lebensweise und ihr religiöses Ideal. Sie trugen das gelbe oder rötliche Mönchsgewand, schoren
ihre Haare und lebten in Entsagung und Loslösung von allen weltlichen Genüssen und Gütern
als Wanderasketen. Das Leben der Mönche war streng geregelt. Sie verbrachten die Tage in
Meditation und Belehrung der Schüler oder mit geistlichen Gesprächen. Außer seinen drei Gewändern und weiteren sieben Bedarfsgegenständen, einer Bettelschale, einem Gürtel, einem
Rasiermesser, einer Nadel, einem Sieb, einem Stab und einem Zahnstocher, durfte der Mönch
nichts besitzen. Er lebte von der Nahrung, die er sich während seines morgendlichen Almosengangs erbettelte und die er noch vor Mittag zu sich nehmen musste. Der Genuss von berauschenden Getränken war verboten, ebenso wie der von Fleisch und Fisch, wenn die Tiere nur
für den Mönch, für den die Speisung bestimmt war, getötet wurden. Es war den Mönchen erlaubt, Einladungen zum Essen in die Häuser der Laienanhänger anzunehmen. Die Wohnung
eines Mönchs musste nicht an einem festen Ort sein. Er konnte sich im Wald, in der Bergeinsamkeit oder auch in der Nähe eines Dorfes oder einer Stadt aufhalten. Nur während der Monate der Regenzeit mussten die buddhistischen Mönche an einem festen Ort bleiben. Diese
Gebäude wurden dem Orden von Königen und wohlhabenden Kaufleuten zur Verfügung gestellt.
Zu Lebzeiten des Buddha wurde die Aufnahmezeremonie in den Mönchsorden in sehr einfacher
Form vollzogen. Der Kandidat, der die Lehre erkannt hatte, bat darum, in der Gegenwart des
Buddha in die »Hauslosigkeit« gehen, das heißt das Leben eines Asketen führen zu dürfen und
ihm die Mönchsweihe (upasampada) zu gewähren. Mit der Formel »Komm, Mönch; die Lehre
wurde gut dargelegt, übe den reinen Wandel, um dem Leiden ein endgültiges Ende zu setzen!«
wurde er in den Mönchsorden aufgenommen. Die Verpflichtungen, die ein Mönch bei der Weihe
einging, banden ihn nicht für sein ganzes Leben. Er konnte den Orden jederzeit wieder verlassen und in den Laienstand zurückkehren.
Schon bald nach dem Nirvana des Buddha wurde der Eintritt in den Orden mit zwei feierlichen
Handlungen vollzogen, mit der Weltflucht (pravrajya), das heißt dem Verlassen der Familie und
der Aufgabe aller weltlichen Bindungen, wozu man ab dem achten Lebensjahr zugelassen war,
und mit der Mönchsweihe, die nicht vor dem 20.Lebensjahr erteilt werden konnte. Die
Mönchsweihe wurde durch rituelle Texte und Formulare bis in das kleinste Detail geregelt.
Der Jinismus
Ein Zeitgenosse des Buddha war Vardhamana Mahavira (Vardhamana bedeutet »Wachsender«,
Mahavira »großer Held«), der Erneuerer der religiösen Lehre des Jinismus. Im Lebensweg der
beiden gibt es manche Parallele. Wie der Buddha war Mahavira ein Kshatriya; er stammte aus
Kundagama, einem Vorort von Vaishali im heutigen Bihar. Nach dem Tod seiner Eltern verließ
er mit 29 Jahren seine Frau und seine Tochter, um als Asket durch Meditation und Selbstkasteiung den Weg zur Erlösung zu finden. Nach zwölf Jahren erreichte er die erlösende Erkenntnis: Er wurde zum »Sieger« (Jina) und wanderte fortan bis zu seinem Tod, seine Lehre verkündend, durch die Reiche der Gangesebene. Im Alter von 72 Jahren starb er schließlich als
Oberhaupt einer großen Anhängerschaft in Pava in der Nähe von Rajagriha, der Hauptstadt
von Magadha, den Fastentod. Nach der Überlieferung saß er dabei im Lotossitz und rezitierte
die von ihm verkündete Lehre. Die Datierung des Mahavira ist eng mit der des Buddha verbunden und dadurch ebenso unsicher. Außerdem sind auch die Quellen der Jainas nicht einhellig hinsichtlich der genauen Lebenszeit des Mahavira. Als Jaina werden die Anhänger des Mahavira bezeichnet, was so viel wie »zum Jina gehörig« bedeutet.
Die ältesten Nachrichten, die wir über den Jinismus haben, stammen aus den buddhistischen
Schriften. Dort wird von häufigen Diskussionen des Buddha mit Anhängern des Nirgrantha Jnatiputra über die besonders strengen Auffassungen von Askese berichtet. Nirgrantha (»von Fesseln Freier«) ist die Bezeichnung für Jaina-Mönche und Nonnen und Jnatiputra der Name des
Jina Mahavira. Dieser wanderte durch dasselbe Gebiet wie der Buddha. Die Buddhisten betrachteten die Jainas als rivalisierende Bewegung. König Bimbisara von Magadha, der große
Wohltäter des Buddha, gilt nach der Überlieferung der Jainas auch als ein Verehrer des Jina
Mahavira, ebenso wie sein Sohn Ajatashatru. Insbesondere aber Udayin, der Sohn des Ajatashatru, soll der Beschützer und Förderer der Lehre des Jina gewesen sein. Der Jaina-Kanon
wurde wie der buddhistische Kanon lange nur mündlich überliefert und vermutlich erst im
5.Jahrhundert n.Chr. endgültig schriftlich niedergelegt. Inschriftlich wird der Jinismus wie der
Buddhismus zum ersten Mal in einem Edikt des Mauryaherrschers Ashoka um die Mitte des
3.Jahrhunderts v.Chr. erwähnt.
Der Jina Mahavira beanspruchte, der 24.Weltlehrer oder »Furtbereiter« (Tirthankara, das heißt
Auffinder einer Furt zur Befreiung aus dem Strom des Geburtenkreislaufs) zu sein und wie seine Vorgänger auf die Welt gekommen zu sein, um den Lebewesen den Weg zur Erlösung zu
predigen. Seine Vorläufer lebten allerdings mit Ausnahme des 23. »Furtbereiters« Parshva(natha), der 250 Jahre vor dem Tod des Mahavira im Alter von 100 Jahren gestorben sein
soll, in längst vergangenen und geschichtlich nicht mehr fassbaren Weltperioden. Mahavira
fasste wohl die Lehren einer schon bestehenden asketischen Bewegung zu einem dogmatischen System zusammen. Eine von ihm eingeführte Neuerung scheint die besonders strenge
Regel des Nacktgehens gewesen zu sein. Der Jinismus unterscheidet sich vom Buddhismus
durch sein viel radikaleres Asketentum der Mönche und Nonnen, das im Fasten bis zum Tod
den Höhepunkt eines Asketenlebens sieht. Der Buddha lehnte dagegen, wie oben dargelegt,
die Selbstpeinigung ab und lehrte den Edlen Mittleren Weg. Beide Lehren sind jedoch in derselben Zeit entstanden, in der viele Menschen Weltabkehr suchten und die Sehnsucht nach
Erlösung groß war; sie wollen in erster Linie einen praktischen Weg zur Erlösung zeigen.
Während der Buddha alle philosophische Spekulation ablehnte, hat der Jina Mahavira ein voll
entwickeltes philosophisches System gelehrt. Nach seiner Lehre gibt es eine unendliche Zahl
von Einzelseelen, denen von Natur aus unbeschränktes Schauen, unbeschränktes Erkennen,
unbeschränkte Kraft und unbeschränkte Wonne zukommt. Jedoch nur bei den Seelen, welche
die Erlösung erlangt haben, kommen diese Eigenschaften zu ihrer vollen Entfaltung. Bei den
übrigen sind sie durch die Verstrickung in den Geburtenkreislauf gehemmt. Durch jede Betätigung in Gedanken, Worten und Werken fließt nämlich in die Seele feine Materie ein, die als
Karma (»Tat«) bezeichnet wird; sie bindet die Seele an den Geburtenkreislauf. Um die Erlösung aus dem Geburtenkreislauf zu erlangen, muss einerseits verhindert werden, dass neues
Karma in die Seele einfließt, und andererseits bewirkt werden, dass bereits eingedrungenes
Karma vernichtet wird. Durch Vermeidung aller Gewalt gegen andere Lebewesen, Ablösung der
Sinne von allen äußeren Eindrücken und Abbau aller Leidenschaften soll sich die Seele von allen weltlichen Verstrickungen befreien und zu ihrer ursprünglichen Vollkommenheit zurückkehren. Das beste Mittel, dies zu bewirken, ist den Jainas zufolge Selbstkasteiung und Askese.
Dadurch wird die Seele von jeglichem Karma gereinigt und steigt zur höchsten Stätte des
Weltraums empor, wo sie im Zustand ewiger Seligkeit verharrt.
Wie für die Buddhisten lässt sich auch für die Jainas das Ziel der Erlösung aus dem Geburtenkreislauf nur in der keuschen und reinen Lebensführung eines Mönchs oder einer Nonne verwirklichen. Die Jaina-Mönche verpflichten sich mit dem Eintritt in den Orden zu einer lebenslänglichen strengen Regel, die aus den fünf Großen Gelübden besteht. Das erste und wichtigste
Gelübde ist das Gebot der vollkommenen Schonung alles Lebendigen. Die übrigen Gelübde
betreffen das Verbot von Lüge und Diebstahl sowie die Gebote von absoluter Keuschheit und
Besitzlosigkeit. Die Laienanhänger befolgen dieselben Gebote in abgemilderter Form.
Jinismus und Buddhismus stimmen darin überein, dass sie eine moralische Weltordnung lehren, bei der alles Tun eine Vergeltung durch Wiedergeburt nach sich zieht. Beide Religionen
leugnen die Existenz eines höchsten Wesens, das gute oder schlechte Taten belohnt oder bestraft.
Der Brahmanismus oder Hinduismus
Der Brahmanismus ist in Indien stets die vorherrschende Religion gewesen, auch wenn er
zeitweise in einigen Gebieten vom Buddhismus und Jinismus etwas zurückgedrängt wurde. Er
versteht sich als eine Fortsetzung der vedischen Religion, wie sie in den Veda-Sammlungen,
den Brahmanas und Upanishaden niedergelegt worden war. Mit dem wachsenden Erfolg, den
ab der Mitte des 1.Jahrtausends v.Chr. Bewegungen wie der Buddhismus und Jinismus hatten,
versuchten auch die Brahmanen ihre Religion zu erneuern. Um die gleiche Zeit wie der Buddhismus im Nordosten entstand im Westen, von der vorarischen Volksreligion beeinflusst, eine
stark von ethischen Werten geprägte Religion, die aber anders als Buddhismus und Jinismus
eine höchste Gottheit als letzten Urgrund der Welt annahm. Diese Religion, die sich in gegenseitiger Durchdringung von vedisch-brahmanischer Überlieferung und Volkskulten entwickelte,
wird Brahmanismus oder Hinduismus genannt, eine Bezeichnung, die von Sindhu, dem Namen
eines der großen Flüsse im Nordwesten Indiens, abgeleitet ist. Die Überlieferung des Veda als
höchste Offenbarung sowie die vedischen Götter verloren an Bedeutung. Eine den vedischen
Anschauungen fremde Religiosität trat in den Vordergrund. Nach der neuen Lehre fand man in
der Vereinigung mit der höchsten Gottheit die Erlösung aus dem Geburtenkreislauf, in dem
man nach der Lehre vom Karma, der fortwirkenden Tat, durch immer neue Wiedergeburten
gefangen war. Das System der Kasten und Unterkasten wurde zur Grundordnung des sozialen
Lebens.
Krishna, der Sohn des Vasudeva, der Führer des Hirtenstammes der Yadava, war eng verbunden mit der Entstehung dieser Religion. Er erscheint in der Gegend von Mathura (in Nordindien, an der Yamuna) als ein vergöttlichter Hirtenheros und scheint mit dem im Epos Mahabharata als großer Held gefeierten Krishna verschmolzen zu sein. Mit Krishnas Hilfe konnten die
Pandava im Mahabharata den endgültigen Sieg erlangen. In der ins Mahabharata später eingefügten Bhagavadgita (»Gesang des Erhabenen«) wird er als höchster Gott und Verkünder erhabener Weisheit gepriesen. In ihr, dem frühesten heiligen Text des Hinduismus, werden drei
Wege zur Erlösung aus dem Geburtenkreislauf gelehrt, nämlich der Weg des pflichtgemäßen
Handelns, der der Erkenntnis und der der Bhakti, der rückhaltlosen, gläubigen Hingabe an einen Gott. Durch diese Bhakti erlangt man letztendlich die erlösende Vereinigung mit der Gottheit.
Der Gott Krishna wurde von den Brahmanen anerkannt und mit Vishnu, einem alten vedischen
Gott, gleichgesetzt. Im Veda wird Vishnu mehrfach als Helfer Indras erwähnt. Er durchmisst
mit drei Riesenschritten die gesamte Dreiwelt, Erde, Luft und Himmel. In Vishnu gingen mehrere volkstümliche Gottheiten und Heldengestalten auf, die als seine »Herabstiege« (Avatara)
bezeichnet wurden. In seinen zehn Avataras erschien Vishnu jeweils auf der Erde, um die
Menschheit aus der Not zu erlösen und die bedrohte Weltordnung wiederherzustellen. Neben
Krishna wird auch Rama, der Held des Epos Ramayana, als einer dieser Avataras angesehen.
Während Vishnu allgemein als wohlwollender, unermüdlicher Retter der Welt gilt, hat der Gott
Shiva einen grausamen und schrecklichen Aspekt. Er entwickelte sich aus dem vedischen Gott
Rudra (dem »Schrecklichen«), dessen Vorstellung mit der eines vorarischen Fruchtbarkeitsgottes verschmolz. In seinem kosmischen Tanz zerstört er die ganze Welt. Daneben ist er jedoch
auch ein großer Asket. Er lebt als Yogi in der Waldeinsamkeit des Himalaya, nur mit einem
Tigerfell bekleidet, die Haare in einem Asketenknoten hochgebunden, in dem ein Neumond
befestigt ist. Er besitzt das dritte Auge. Durch seine geistige Konzentration und Meditation erlangt er die Macht zur Weltschöpfung. Shivas Gattin, die beispielsweise unter Namen wie Durga (»die Schwerzugängliche«) oder Kali (»die Schwarze«) bekannt ist, tritt ebenfalls in gütigen
und schrecklichen Aspekten auf.
Mit dem Wandel der Anschauungen über die Götter wandelte sich auch der Kult. Das vedische
Opferwesen blieb zwar bestehen. An die Stelle des Feueropfers, das unabhängig von den Göttern die gewünschte Wirkung erzwang, trat jedoch die Verehrung einer persönlich vorgestellten
Gottheit, der man Dienst und Ehren erweist wie einer hoch gestellten Persönlichkeit. Den Göttern wird nicht auf Opferplätzen gehuldigt, sondern in Tempeln. Der Gott ist im Kultbild oder
einem Symbol persönlich vertreten und wird in dieser Form mit Blumenspenden, Opferspeisen,
Waschungen verehrt. Diese religiösen Übungen gelten dann als besonders heilbringend, wenn
sie an heiligen Orten ausgeführt werden, die mit einer Gottheit verbunden sind.
Kennzeichen des Zeitalters
Die Zeit ab etwa 600 bis 320 v.Chr. brachte eine Wende in der sozialen Gliederung, in Kultur-,
Geistes- und Religionsgeschichte des alten Indien. Die Kastenordnung war fest etabliert. Mit
dem Auftreten der Reformbewegungen des Buddhismus und Jinismus hatte sich der politische
und geistige Mittelpunkt vom Pandschab in die Gangesebene, vor allem in das Reich von Magadha, verlagert. Während der Jinismus auch in der späteren Zeit überwiegend auf Indien beschränkt blieb, entwickelten sich Buddhismus und Hinduismus zu Weltreligionen. Magadha war
das erste Königreich, dessen Herrscher durch Zerstörung der kleinen Stammesfürstentümer
eine bewusste Eroberungs- und Ausdehnungspolitik betrieb. Diese Entwicklung gipfelte im
3.Jahrhundert v.Chr. in der Entstehung des ersten indischen Großreiches, des Königreichs der
Maurya, in dem fast der gesamte indische Subkontinent vereint war.
Buddhismus in Asien: Das Rad der Lehre
Eine der einflussreichsten religiösen und philosophischen
Lehren Indiens, der Buddhismus, von demBuddha Shakyamuni im 5.ÿJahrhunderts v.ÿChr. begründet, ging aus der
Tradition der Shramana (= Wanderasketen) hervor. Während der ersten Jahrhunderte seiner Geschichte breitete sich
der Buddhismus in ganz Indien und ab dem 3.ÿJahrhundert
auch in anderen Teilen Asiens aus. Dies führte dazu, dass
sich die frühe Form des Buddhismus, das Hinayana (= Kleines Fahrzeug) oder Shravakayana (= Fahrzeug der Schüler), das im Kapitel über das Leben und die Lehre des Buddha beschrieben wird, veränderte. Auch im Sangha, der Gemeinschaft der Ordensmitglieder und Laienanhänger, traten
auseinander strebende Tendenzen auf. Manche Mönche
stellten die Verbindlichkeit des alten Kanons infrage und
fügten neue Texte hinzu, andere vertraten eine großzügigere Auslegung der Ordensregeln. Außerdem wurden in der
Interpretation der Lehre erhebliche Meinungsunterschiede
sichtbar. Schließlich strebten vor allem die Laienanhänger danach, die gleichen religiösen
Rechte wie die Mönche zu erhalten, deren Privilegien sie als übertrieben betrachteten.
So bildete sich kurz vor der christlichen Zeitrechnung eine neue Form des Buddhismus heraus.
Ihre Anhänger nannten sie das Mahayana (= Große Fahrzeug) oder auch das Bodhisattvayana
(= Fahrzeug der Erleuchtungswesen oder Fahrzeug der zukünftigen Buddhas). Das Mahayana
unterscheidet sich vom Hinayana durch die Betonung anderer Aspekte der Lehre: Während das
Hinayana ein »wahres Sein« der Phänomene leugnet und metaphysische Behauptungen vermeidet, lehrt das Mahayana ein ewiges Absolutes. Dieses Absolute ist nicht transzendent, sondern etwas dem Geburtenkreislauf Innewohnendes; es kann in allen Daseinselementen erkannt werden, indem man ihre Leere erkennt. Im Mahayana wird der Buddha zu einem übernatürlichen Wesen, dessen Wirken über die Grenzen eines irdischen Daseins hinausreicht; er
ist eine Verkörperung des höchsten Seins. Zudem gibt es eine Vielzahl von Buddhas: Der
historische Buddha wird im Mahayana als eine Projektion des Absoluten interpretiert. Er ist
identisch mit dem Absoluten und in seinem vergänglichen menschlichen Körper nur eine
Illusion. Die volkstümliche Bewegung der Bhakti (= gläubigen Hingabe) an den Buddha und die
Erflehung der Wiedergeburt im Paradies eines Buddha hängen eng mit dieser neuen BuddhaVorstellung zusammen. Im Hinayana dagegen wird der Buddha nur als hervorragender Mensch
und Lehrer, wenn auch meistens als eine Art Übermensch, angesehen und Erlösung kann nur
durch eigenes Bemühen erlangt werden. Das Mahayana dagegen sieht Hilfe von außen als
möglich an, lehrt sogar die Übertragung von Verdiensten, die man durch gute Taten erworben
hat, auf andere Personen und zerbricht somit die strenge Kausalitätskette von Ursache und
Wirkung, wie sie der Lehre des Hinayana entspricht.
Das Ziel des Anhängers des Hinayana ist es, seine persönliche Erlösung, das Nirvana, zu erreichen; die Anhänger des Mahayana erstreben dagegen zunächst die Bodhisattvaschaft, um alle
Lebewesen zur Erlösung zu führen. Für sie ist die eigene Erlösung erst von zweitrangiger Bedeutung. Dies setzt einen Wandel in der Erlösungslehre voraus. Nach der Auffassung des Hi-
nayana hatte der Buddha mit seiner Lehre den Weg gezeigt, auf dem jeder Mensch für sich
selbst die Erlösung aus dem Geburtenkreislauf findet. Nun galt es als höchstes Ziel, auf die
eigene Erlösung, das heißt auf die Erleuchtung, zu verzichten, durch die man ins Nirvana eingehen würde, aber in dieser Welt nicht mehr wirken könnte. Ein Bodhisattva verharrt weiter im
Geburtenkreislauf, um möglichst viele andere Wesen zur Erleuchtung zu führen. An die Stelle
des Ideals des Arhat, des Heiligen, tritt das Ideal des Bodhisattva, des Erleuchtungswesens,
des zukünftigen Buddha, der durch seinen tugendhaften und selbstlos aufopfernden Lebenswandel während vieler früherer Existenzen die Erleuchtung erlangen könnte, aber aus allumfassendem Mitleid vor dem Buddha das Gelübde leistet, erst dann die Buddhaschaft und das
Nirvana zu verwirklichen, wenn alle Lebewesen erlöst sind. Die Verkörperung dieses Mitleids ist
der Bodhisattva Avalokiteshvara, der in Tibet als Tschenresi und in China und Japan als die
weibliche Guanyin oder Kannon verehrt wird.
Der Idee, allen Wesen die Erlösung zu bringen, liegt die Lehre von der oben erwähnten Übertragung der Verdienste zugrunde. Nach den Lehren des
Hinayana erleidet jedes Individuum in den verschiedenen
Wiedergeburten die Frucht seiner eigenen Taten. Es wird
immer wieder betont, dass die eigenen Taten einen Menschen durch alle Existenzen verfolgen und ihre Folgen
auch nur von jedem selbst erduldet werden müssen. Bei
dem Bodhisattva-Gelübde verspricht nun der Bodhisattva,
seinen Verdienst der Erleuchtung aller Wesen zugute
kommen zu lassen und mithilfe des Verdienstes seiner
Taten das Leiden aller Lebewesen zu lindern, ohne den
geringsten Vorteil für sich selbst zu erwarten; sein Streben gilt allein der Erlösung aller Lebewesen, die somit der
letzten Stufe seiner geistigen Entwicklung gleichkommt.
Das Nirvana wird im Hinayana als der Sieg über den Geburtenkreislauf und der endgültige Austritt aus der Welt
angesehen. Im Mahayana ist das Nirvana die Erkenntnis
der Einheit des Ichs mit dem Absoluten hier in der Welt,
verbunden mit dem Wirken für die anderen
Eine wichtige Neuerung des Mahayana gegenüber dem
Hinayana ist die Bedeutung, die dem Laienanhänger beigemessen wird. Während es nach den Lehren des Hinayana für einen Laien ungeheuer schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, zu einem Heiligen zu
werden, steht die im Mahahyana vorgesehene Laufbahn eines Bodhisattva auch dem Laien
offen, ja sogar noch eher als einem Mönch. Die Lehrschriften des Mahayana sind deshalb nicht
mehr an Mönche gerichtet, sondern an Bodhisattvas, Heilige und »junge gesittete Männer und
Frauen«. Die Haupttugend eines Bodhisattva, ob als Laie oder Mönch, ist nicht mehr die Einhaltung der Ordensdisziplin, sondern sein Mitleid und seine Nächstenliebe. Das Hinayana ist
heute noch im Theravada-Buddhismus in Sri Lanka, Birma, Thailand, Laos und Kambodscha
verbreitet, das Mahayana in China, Korea und Japan sowie in Tibet.
Eine dritte Form des Buddhismus ist das Tantrayana (= das Fahrzeug der tantrischen Texte)
oder Vajrayana (=das Diamant-Fahrzeug), ein System esoterischer Lehren. Diese Spätform
des indischen Buddhismus entwickelte sich seit dem 2.ÿJahrhundert aus dem Mahayana und
erlebte ab dem 6.ÿJahrhundert eine gewisse Blüte. Das Tantrayana gelangte nach Tibet, China
und Japan und lebt heute noch im tibetischen Buddhismus weiter. Seine Anhänger versuchen,
mithilfe von Ritualen und sakralen Akten übernatürliche Wirkungen zu erzielen sowie durch
Überwindung der »niederen Triebe« den Kontakt mit dem Transzendenten herzustellen.
Die frühe Ausbreitung des Buddhismus war auf das Gebiet beschränkt, das der Buddha durchwanderte, als er seine Lehre verkündete. Dieses von den Buddhisten als Madhyadesha (= Mittelland) verehrte Kerngebiet ihrer Religion erstreckte sich vom Lumbini-Hain (heute Rummindei im Terai, in Nepal), dem Geburtsort des Buddha, im Norden bis Bodh Gaya, dem Ort der
Erleuchtung, im Süden; von Rajgir (Bihar) im Osten bis nach Prayaga, dem heutigen Allahabad, im Westen. Nach dem Tod des Buddha (nach buddhistischer Sicht sein Übergang in den
Zustand der Erleuchtung) erhoben die Bewohner von acht Orten aus dem erwähnten Gebiet
Anspruch auf Reliquien und errichteten über ihnen je einen Stupa. Diese acht Stupas wurden
zusammen mit dem Geburts- und dem Sterbeort des Buddha zu den ersten heiligen Stätten
des Buddhismus, denen auch die Könige Verehrung zollten. Der mächtige Maurya-Herrscher
Ashoka machte im 3. Jahrhundert v. Chr. ausgedehnte Wallfahrten zu all diesen Stätten und
ließ dort zum Gedenken Säulen mit Inschriften aufstellen. Solche Säulen oder Felsinschriften
befinden sich auch an anderen bedeutsamen Orten und an den Grenzen seines Reiches. Neben
autobiographischen Daten teilte Ashoka in diesen oft mehrsprachig gehaltenen Inschriften programmatisch seine Ansichten über das ethisch und politisch richtige Verhalten sowie buddhistische Lehren mit. Außerdem ließ er in seinem Reich, etwa im heutigen Pandschab und Pakistan,
weitere Stupas zur Verehrung des Buddha errichten. Einer von ihnen, ein einfacher Erdhügel in
Nepal, ist bis heute erhalten geblieben.
Unter den Maurya-Herrschern (330þ150 v.ÿChr.) konnte sich der Buddhismus ungehindert in
den Norden und Süden ausbreiten. Ashoka, dessen Reich fast den gesamten Kontinent umfasste, soll die von ihm so geförderte Lehre zur Staatsreligion gemacht und eine Reform des Sangha (= der Ordensgemeinschaft) durchgeführt haben, mit der das Zusammenwirken von Staat
und buddhistischem Orden straff organisiert wurde. Der König verpflichtete sich, bei Streitigkeiten im Sangha reformierend einzugreifen. Dies entsprach der buddhistischen Idealvorstellung eines Universalherrschers, der zugleich ein Bodhisattva, ein zukünftiger Buddha, ist.
Diese Blütezeit des Buddhismus in Indien dauerte bis zur Mitte des ersten Jahrtausends n.ÿChr.
Danach setzte ein allmählicher Niedergang ein, der mit der Zerstörung der Klöster und Klosteruniversitäten im 12. und 13.ÿJahrhundert durch die eindringenden Muslime seinen Abschluss
fand.
In seinen Ritenÿþ besonders denen des Tantrayanaÿþ näherte sich
der Buddhismus den Riten des damaligen Hinduismus an. Im
9.ÿJahrhundert setzte eine hinduistische Gegenbewegung ein;
buddhistische Ideen wurden übernommen und umgeformt. Der
Buddha wurde als neunte Inkarnation des Gottes Vishnu in das
hinduistische Pantheon aufgenommen, und gleichzeitig wurde die
vedische und brahmanische Philosophie durch große Philosophen
wie Shankara wieder belebt.
Der Niedergang des buddhistischen Mönchtums hatte zwei Ursachen: Die Mönche hatten jeglichen missionarischen Eifer verloren;
sie gingen nicht mehr zum Bettelgang, sondern wurden vom König
unterhalten oder lebten von den Erträgen des Klosterbesitzes. Sie
kümmerten sich nur noch um ihre eigenen Studien und verloren
dadurch den Kontakt zur übrigen Bevölkerung. Dazu kamen Verfolgungen durch hinduistische Könige, die das Brahmanentum favorisierten. Die erste Verfolgung fand schon unter dem Brahmanen-König Pushyamitra aus der
Shunga-Dynastie (187þ151 v.ÿChr.) statt. Endgültig ausgelöscht aber wurde der Buddhismus in
Indien durch die Ausbreitung des Islam im 12.ÿJahrhundert und die Islamisierung der Herrscherhäuser. Damit wurde den Klöstern die materielle Grundlage entzogen und der Buddhismus verschwand aus seinem Ursprungsland.
Doch ließen einzelne Herrscher dem Buddhismus weiterhin Schutz angedeihen, sodass er
schnelle und weite Verbreitung über den ganzen Kontinent und in anderen Teilen Asiens fand.
Ashoka sandte als erster Herrscher Missionare in fremde Länder. Sein Sohn Mahinda soll auf
diese Weise den Theravada-Buddhismus, den Buddhismus der »Ordensälteren«, um 250
v.ÿChr. nach Ceylon (Sri Lanka) gebracht haben. Devanampiya Tissa, der damalige König von
Ceylon, wurde Buddhist und errichtete in Anuradhapura das Kloster Mahavihara, das lange Zeit
das Zentrum des orthodoxen Theravada-Buddhismus blieb. Daneben waren Abhayagirivihara
und Jetavanavihara die bedeutendsten Klöster. Sie alle rivalisierten zeitweise heftig untereinander, und vor allem das Kloster Jetavanavihara stand unter dem Einfluss indischer Schulen
des Mahayana und Tantrayana. Im 12.ÿJahrhundert berief König ParakkamabahuÿI. eine Synode ein, die die verschiedenen Schulen des Buddhismus in Ceylon zwang, die Lehren des Klosters Mahavihara anzuerkennen. Auch in der Folgezeit griffen die Könige immer wieder ein, um
den Buddhismus erneut zu stärken, und riefen Mönche aus Birma und Thailand herbei, um den
Sangha zu reformieren.
Auch nach Birma soll der Buddhismus zur Zeit Ashokas gelangt sein; doch nach einer anderen
Überlieferung brachten ihn zwei Kaufleute schon zu Lebzeiten des Buddha dorthin. Von ihnen
mitgebrachte Haare Buddhas werden noch heute in der Shwedagon-Pagode in Rangun aufbewahrt. Neben zwei Hinayana-Schulen war in Birma auch das Mahayana und später das
Tantrayana vertreten, doch im 11.ÿJahrhundert wurde von König Anaratha das ganze Land zum
Theravada bekehrt. Seit dem 15.ÿJahrhundert gilt die Lehre des ceylonesischen Mahavihara als
verbindlich. Von Birma aus verbreitete sich im 6.ÿJahrhundert der Buddhismus weiter nach
Thailand, und seit dem 13.ÿJahrhundert ist auch dort der Theravada-Buddhismus die Staatsreligion.
Der Lieblingsschüler des Buddhas, Ananda, soll bereits fünfzig Jahre nach dessen Tod in Gandhara im heutigen Pakistan lehrend gewirkt haben. Die Verbreitung buddhistischer Anschauungen im Nordosten erfuhr im 1.ÿJahrhundert v.ÿChr. bis zum 3.ÿJahrhundert n.ÿChr. unter den
Kushana-Herrschern eine weitere Blütezeit; deren Reich erstreckte sich von ihrem Kernland
Baktrien, im heutigen Afghanistan nach Norden über Tadschikistan bis Uzbekistan und im Süden nach Nordwestindien. Die Überreste der Stupas, Tempel und Klöster (etwa die von Taxila
und Hadda und die der Höhlenklöster von Bamiyan) zeugen noch heute von der Bedeutung, die
der Buddhismus damals in diesem Gebiet hatte.
Nach chinesischer Überlieferung soll der Buddhismus schon im Jahre 2 n.ÿChr. aus Zentralasien
nach China gelangt sein; er wurde dort als eine fremdländische Form des Taoismus angesehen.
Seit dem 2.ÿJahrhundert wurden zahlreiche buddhistische Schriften aus den indischen Sprachen
ins Chinesische übertragen, in der frühen Zeit meist von Mönchen, die aus dem Westen kamen.
Vom 6. bis zum 10.ÿJahrhundert entstanden die großen Schulen des chinesischen Buddhismus,
wie etwa die Chan-Schule, die in Japan bis heute als Zen-Schule verbreitet ist. Von China aus
erreichten buddhistische Anschauungen Korea und im 6.ÿJahrhundert auch Japan. In diesen
Ländern entwickelte sich der Buddhismus unter dem Einfluss und der Übernahme örtlicher religiöser und kultureller Strömungen zu eigenständigen Ausprägungen, die auch heute noch große Bedeutung haben.
Nach Tibet gelangte der Buddhismus im 7.ÿJahrhundert.. Eine Besonderheit der tibetischen
Ausprägung ist die Verbindung der Ordensregeln der Hinayana-Schule mit den rituellen Methoden des Tantrismus, einer mystischen Variante. In der Mitte des 9.ÿJahrhundert endete diese
erste Verbreitung mit einer politisch motivierten Verfolgung; erst im 11.ÿJahrhundert wurde die
buddhistische Lehre in Tibet wieder belebt. Es bildeten sich verschiedene Schulen; diese wurden von großen »Lehrern« (sanskrit: Guru, tibetisch: Lama) und ihren persönlichen Schülern
mit jeweils eigener Lehrtradition gegründet. Einer dieser Lehrer zu Beginn der zweiten Ausbreitung buddhistischer Anschauungen war der von der indischen Klosteruniversität Vikramashila
kommende Atisha, der die Schule der Kadampa begründete; diese wiederum beeinflussten
maßgeblich die Gelugpa, die reformierte Schule des Tsongkhapa. Sie legte besonderen Wert
auf die Einhaltung der Mönchsregeln und widmete sich dem Studium autoritativer Texte und
der buddhistischen Lehrmeinungen. Das Oberhaupt dieser Schule ist der Dalai Lama. Milarepa
(= Mila, der Baumwollbekleidete) schließlich, der berühmteste Heilige und Asket Tibets, der
durch die Entfaltung seiner magischen Kräfte viele Wunder vollbrachte, gilt als Begründer einer
weiteren spezifisch tibetischen Ausprägung der buddhistischen Lehre, der Kagyüpa.
Bis heute ist die verzweigte Lehre des Buddha Grundlage einer der verbreitetsten religiösen
Anschauungen in Asien; die Toleranz gegenüber anderen Religionen macht es möglich, dass
Buddhisten gleichzeitig auch anderen Glaubensgemeinschaften angehören können. Dementsprechend ist die heutige Anhängerschaft schwer zu beziffern, Schätzungen schwanken zwischen 150 und 500 Millionen Menschen; und auch in der westlichen Welt hat die »sanfte Lehre« in jüngerer Zeit Anhänger gefunden.
Buddhismus in China
scher
Die Übernahme des indischen Buddhismus in
China erfolgte in verschiedenen Phasen. Fast ein
Jahrtausend wirkte er in China, bis die schweren
Verfolgungen des buddhistischen Mönchswesens
und die Zerstörungen und Säkularisierungen der
Statuen und Klöster im 9.ÿJahrhundert n.ÿChr.
zahlreiche Traditionen unterbrachen und gleichzeitig die Islamisierung Zentralasiens und Nordindiens die beiden Kulturkreise China und Indien
voneinander abschnitt. In den darauf folgenden
Jahrhunderten dominierten die Schulen chinesiPrägung. Trotz der fremden Herkunft, die dem
traditionsverhafteten China stets bewusst blieb, konnte der Buddhismus in allen Gesellschaftsschichten Einzug finden und trug zu einer Veränderung des gesamten kulturellen Spektrums
bei.
Die erste Ankunft des Buddhismus in China lieferte den Stoff für zahlreiche Legenden. Aus historischer Sicht wurde mit der Ausweitung des Einflussbereichs des chinesischen Kaiserreichs
bis nach Zentralasien hinein unter Kaiser WuWu in der frühen Han-Zeit (140 bis 86 v.ÿChr.) die
Grundlage für einen Kontakt mit der indischen Religion geschaffen. Das erste Dokument für
einen Nachweis buddhistischer Tätigkeit in China stammt jedoch erst aus dem Jahr 65 n.ÿChr.
In der Zeit der späten Han-Dynastie (25 bis 220 n.ÿChr.) war der Buddhismus im Wesentlichen
unter den fremdländischen Händlern verbreitet. Sein latent wachsender Einfluss lässt sich in
den sich formierenden daoistischen Gemeinwesen Ende der Han-Zeit erkennen. Die ersten Übersetzungen buddhistischer Texte ins Chinesische hatten Ordensvorschriften, Atemtechniken,
Heilpraktiken und Meditationsanleitungen zum Inhalt. Man versuchte, der Fremdheit der indischen Lehre mit einer Einordnung in die eigene chinesische Tradition zu begegnen, indem man
Buddha zu einem Jünger von Laozi erklärte.
Eine Auseinandersetzung mit den spekulativen Gedanken des Buddhismusÿ- der Erlösung, dem
Kreislauf der Wiedergeburt, der Substanzlosigkeit alles Seiendenÿ-, die dem chinesischen Denken fremd waren, erfolgte erst im 3. und 4.ÿJahrhundert n.ÿChr., als mit der Zivilisierung Zentralasiens entlang der Seidenstraße in den daran angrenzenden Ländern große buddhistische
Zentren entstanden, die die Brückenfunktion von Indien zu China verstärkten und einen konstanten Austausch ermöglichten. Die bekanntesten buddhistischen Missionare dieser Zeit
stammten aus Ländern wie Parthien und Sogdien, was in den chinesischen Quellen an ihren
Familiennamen zu erkennen ist. Mit dem Verlust des chinesischen Kernlands im Norden an
Fremdvölker kam es zu unterschiedlichen Entwicklungen in den südlichen und nördlichen Reichen. Die Fremdvölker im Norden sahen im Buddhismus eine Alternative zu den rein chinesischen Lehren, die den intellektuellen Bedürfnissen des Staates gerecht werden konnte. Hier
ging aus dem Buddhismus eine mächtige Kirche hervor. Im Süden fand die buddhistische Lehre Eingang in den Häusern und Gesprächszirkeln des gebildeten Landadels, der, fasziniert von
seiner intellektuellen Klarheit dieser Lehre, den Buddhismus als Mäzen zu fördern begann. Mit
der Einigung des chinesischen Reiches im 6.ÿJahrhundert n.ÿChr. lösten sich die unterschiedlichen Organisationsformen auf.
Aus der Sicht der buddhistischen Philosophiegeschichte stellte die Zeit des
Mönches Kumarajiva und des von ihm geleiteten enormen Projektes
der Übersetzung von 35 wichtigen Sanskrittexten ins Chinesische zu Beginn
des 5.ÿJahrhunderts n.ÿChr. eine neue Phase in der Übernahme des
Buddhismus dar. Mit der wachsenden Bedeutung des spekulativen
Buddhismus ergab sich die Notwendigkeit, sich von der bisher
praktizierten
Übersetzungstechnik,
Anleihen
an
Termini
der
chinesischen Philosophie zu machen, abzuwenden, um die
Unterscheidung zu den daoistischen und konfuzianischen Lehren
deutlich zu machen und das Verständnis der buddhistischen Lehre
nicht zu verstellen. Die Kenntnis verschiedener buddhistischer
Schulrichtungen und ihrer grundlegenden Texte führte auch in
China zu einer Aufsplitterung in Sekten. Dabei dominierten die
Lehren des Großen Fahrzeugs, Mahayana (chinesisch: Da
sheng), das eine Erlösung durch die Gnade Buddhas
predigte, das Bodhisattvatum verehrte und in seinen Lehren
die Immanenz Buddhas im Menschen vertrat, über die
Lehren des Kleinen Fahrzeugs, Hinayana (chinesisch: Xiao
sheng), das die Transzendenz beibehielt und eine Erlösung allein
durch eigene Anstrengung lehrte. Der Verlust zahlreicher buddhistischer Werke und Übersetzungen in den Wirren des ausgehenden 6.ÿJahrhunderts führte unter der Sui-Dynastie (590 bis
617) zu einer Sammlung und Sichtung der Texte und zu einer Systematisierung der verschiedenen Lehren, was sich als ein wesentlicher Schritt im Sinisierungsprozess des Buddhismus
erwies.
Die Reichseinigung der Sui im 6.ÿJahrhundert läutete das Ende der bis dahin sehr unabhängigen Stellung der buddhistischen Klöster ein. In der sich anschließenden Tang-Dynastie (618
bis 907) war der Buddhismus von staatlicher Förderung abhängig, zeigte jedoch intellektuell
und auf dem Gebiet der Kunst und Literatur seine größte Entfaltung. In kurzer Abfolge blühten
und verblassten verschiedene Schulrichtungen und spekulative Systeme. Die bekanntesten
sind die kontemplativ ausgerichtete Tiantai-Schule, die sich auf das Lotossutra stützte und die
Erlösung aller Wesen betonte, die Huayan-Schule, die das Avatamsakasutra als Textgrundlage
hatte und eine monistische All-Einheits-Lehre verkündete, die idealistische Wei-shi-Schule (Yogacara) und der esoterische Tantrismus (Mi chiao), in dessen Ritual magische Traditionen einflossen und der eine Erlösung im hiesigen Leben anstrebte. Während die sinisierten Systeme
Tiantai und Huayan im Meditationsbuddhismus (chan, eine phonetische Übersetzung des
Sanskrit-Begriffes »dhyana« = mystische Versenkung) weitergelehrt und die Rituale des
Tantrismus in den Volksreligionen aufgenommen wurden, geriet die Yogacara-Lehre in Vergessenheit.
Der rasche Niedergang der tangbuddhistischen Schulen zeigt, wie wenig diese in der chinesischen Gesellschaft Fuß gefasst haben. Es war zwei anderen Schulen vorbehalten, den Buddhismus über die Tang-Zeit und die Phase der Übernahme der Lehren aus Indien hinaus in China zu vertreten: dem Meditationsbuddhismus (chan) und der eschatologischen Lehre des Reinen Landes (jingtu). Beiden Richtungen ist die Abkehr vom Studium der schriftlichen Tradition
des Buddhismus als Voraussetzung zur Erleuchtung gemeinsam. Der Chan-Buddhismus zeigteÿzumindest in seinen Anfängenÿ- eine grundsätzliche Abneigung gegen Schriftlichkeit jeglicher
Art und konzentrierte sich allein auf die Praxis. Die notwendige sprachliche Formulierung der
Lehre des Chan-Buddhismus, die eine Vielzahl von Paradoxa und Bildern beinhaltet, war dem
philosophischen Daoismus entliehen. Nach der Lehre der Schule des Reinen Landes, die eine strenge
Gläubigkeit predigte, war eine Erlösung schon mit
der Anrufung des Namens des Buddha Amitabha,
der über das Paradies des Reinen Landes regierte,
möglich. Beide Richtungen konnten auch außerhalb
des Klosterwesens von Laien praktiziert zu werden.
Zweihundert Jahre nach den Verfolgungen hatte
sich der Buddhismus erholt und erneut ein großes
Klosterwesen aufgebaut. Anders als in der TangDynastie war das geistige Klima unter den Beamten
am Hof in der Song-Zeit im Wesentlichen vom Konfuzianismus bestimmt, wenn auch die Klöster ihre
Funktion als Zentren der Gelehrsamkeit beibehielten. Der Einfluss des Buddhismus auf den im Lauf
der Song-Dynastie (960 bis 1279) immer stärker
werdenden Neokonfuzianismus, der seine Basis in den kulturellen Zentren außerhalb der
Hauptstadt besaß, ist deutlich zu erkennen. Für viele in den konfuzianischen Schriften ausgebildete Beamtengelehrten waren Konfuzianismus und Buddhismus durchaus vereinbar, das
konfuzianische Ethos verband sich mit der buddhistischen Meditationspraxis. In der Ming-Zeit
(1368 bis 1643) verwischten sich die Grenzen zwischen dem Meditationsbuddhismus und den
idealistischen Zweigen des Neokonfuzianismus ganz. Die buddhistische Lehre erlebte eine Verweltlichung und ging in Volksreligionen auf. Einer der populärsten Götter dieser Religionen
wurde der Bodhisattva Avalokiteshvara (chinesisch: Guanyin pusa), der seit der Tang-Zeit auf
Bildern und Statuen mit femininen Zügen ausgestattet wurde und im chinesischen Buddhismus
eine der Verehrung Marias im Katholizismus vergleichbare Stellung einnahm. Die messianische
Lehre von der Wiederkunft des Buddhas Maitreya findet sich in abgewandelter Form in Lehren
von Geheimgesellschaften und in Ideologien von Volksbewegungen wieder. Damit verschob
sich in der Ming-Zeit das Gewicht des Buddhismus immer mehr vom Klerus auf das Laientum.
Erst mit dem Ende der Qing-Dynastie (1644 bis 1911) und dem offensichtlichen Unvermögen
des Konfuzianismus, den neuen aus dem Westen stammenden Lehren ein geistiges Gegengewicht zu bieten, erlebte die buddhistische Lehre eine intellektuelle Wiederentdeckung. Mit dem
unter japanischer Hilfeleistung zu Beginn des 20.ÿJahrhunderts gegründeten buddhistischen
Zentrum in Nanjing sind viele herausragende moderne Denker verbunden. Eine Renaissance
erlebte vor allem der Yogacara-Buddhismus wegen seiner analytischen Erkenntnistheorie, die
man als dem chinesischen Denken fremd betrachtete. Während die Wiederbelebung des philosophischen Buddhismus auf die Intelligenz Chinas einen großen Einfluss ausübte, war es doch
eher der volkstümliche Buddhismus, der die kommunistische Regierung dazu bewog, die buddhistische Lehre in China nicht zu bekämpfen, sondern mit der Gründung der buddhistischen
Studiengesellschaft in kontrolliertem Maß zu fördern.
Buddhistische Architektur: Stupa, Tempel und Kloster
In Funktion und symbolischer Bedeutung zählt der Stupa zu den
wichtigsten
Sakralbauten
des
Buddhismus. Die ältesten Stupas
bestehen aus einem halbkugelförmigen, aus Lehm und Geröll erbauten, massiven Kernbau, der auf
einen niedrigen zylindrischen Sockel gestellt ist. Seine Oberfläche
ist meist mit Lehmziegeln fixiert.
Bekrönt wird der Stupa von einem
steinernen Miniaturzaun, in dessen
Mitte ein Pfahl eingelassen ist; dieser trägt einen oder mehrere
schirmähnliche Aufsätze (Shikara)
trägt.Die Funktion des Stupa war
ursprünglich die eines Grabhügels
über den Reliquien des historischen
Buddha Shakyamuni und später
auch anderer Heiliger. Die frühen
Pali-Texte und ihre Parallelen in Sanskrit, Tibetisch und Chinesisch belegen einen Dialog zwischen dem Buddha und seinem Jünger Ananda, in dem Ananda den Buddha bittet zu bestimmen, wie die Bestattungsriten nach dessen Tod zu erfolgen hätten. Der Buddha ordnet an,
dass seine Knochen in ein goldenes Gefäß gelegt und dieses in einem Stupa aufbewahrt werden soll, der an der Kreuzung von vier Hauptstraßen zu errichten wäre.Die ältesten Stupas
sollen der Überlieferung zufolge schon bald nach dem Tod Buddhas an den acht wichtigsten
Plätzen seines Wirkens errichtet worden sein. Darf man den kanonischen Texten glauben, so
hat der Buddha selbst die Laienschaft aufgefordert, ihm hier ihre Verehrung zu erweisen, da wie Inschriften bezeugen - Stupas in der Regel von Laienanhängern in Auftrag gegeben wurden. Da jeder gläubige Buddhist, der ein sakrales Monument oder das Abbild einer Gottheit
verehrt, es im Uhrzeigersinn umschreiten muss (»pradakshina«), umzieht den Stupa in der
Regel ein gepflasterter Weg. Monumentale Bauten wie die Stupas von Sanchi oder Bharhut
weisen einen Steinzaun mit vier Eingangstoren in den Haupthimmelsrichtungen auf. Die Steinzäune sind in Holzbautechnik errichtet und bestehen aus senkrechten Pfosten, Quersparren
und Decksteinen. Die vier Tore setzen sich aus je zwei von Kapitellen bekrönten Pfeilern zusammen, über denen sich breite Querbalken mit mehreren senkrechten Stützpfeilern erheben.
Alle Teile sind durch Zapfen und Schlitze miteinander verbunden. Die Steinzäune aus der frühen Zeit sind meist weniger dekoriert als die aus nachchristlichen Jahrhunderten, während die
Tore schon immer reichen Reliefschmuck trugen. Bevorzugt wurden Blüten- und Tiermotive
nachgebildet, die auf den Quersparren sehr oft als Medaillons erscheinen. Daneben boten Darstellungen aus dem Leben Buddhas und seiner zahlreichen Vorgeburten, der Jatakas, reichhaltige Vorbilder für die Schaffenskraft der Bildhauer. In der Frühzeit beschränkt sich die Technik
auf Flachreliefs, während in späterer Zeit Hochreliefs und freiplastisch gearbeitete Skulpturen
bevorzugt wurden.Schon bald erkannte man, dass die symbolische Bedeutung des Stupa weit
über die eines Reliquienhügels hinausgeht. So gründete sich seine Architektur weniger auf
formalen Gesetzen als auf symbolischen, kultischen und kosmologischen Prinzipien, die in den
Architekturhandbüchern festgeschrieben sind. In seiner symbolischen Bedeutung gibt der Stupa das Abbild des Universums wieder. Seine Form symbolisiert die Himmelskuppel mit dem
heiligen Berg Meru. Der in seiner Mitte errichtete Pfahl stellt die Himmel und Erde verbindende
Weltenachse dar, der Schirm abstrahiert den kosmischen Baum, der das Zentrum der Welt
markiert. Sicherlich ist dem gläubigen Buddhisten die Symbolik des Stupa nicht immer bewusst. Für ihn ist es ein Monument der Verehrung, das er umschreitet, um Dinge für sich zu
erbitten und religiöse Verdienste zu erwerben und so dem Kreislauf der Wiedergeburten zu
entkommen.
Die bekanntesten frühen Stupa-Anlagen in Indien sind die von Sanchi und Bharhut in Madhya
Pradesh (3. - 1. Jahrhundert v. Chr.). Der monumentale Stupa von Sanchi, dessen Durchmesser 36 m beträgt, ist noch heute in Sanchi erhalten, während die Mehrzahl der Überreste der
Anlage von Bharhut sich in den Museen von Kalkutta und Allahabad befindet. Auf den Reliefs
der Steinzäune und Tore herrschen Darstellungen aus dem Leben des Buddha und seiner Vorläufer, der Vorzeit-Buddhas, vor. Dieser monumentale Stupa-Typ war in der frühen Epoche des
Buddhismus über ganz Indien verbreitet. Auf dem Dekhan - in Amaravati und Nagarjunakonda
- und auf Sri Lanka - in Mihintale, Anuradhapura und Polonnaruva - wird der halbkugelförmige
Kernbau noch beibehalten, auf den Steinzaun aber verzichtet. Die Kardinalpunkte erlangen hier
beinahe noch größere Bedeutung durch das Anfügen rechteckiger Vorsprünge (»ayaka«), in
deren Nischen Wächterfiguren oder Kultbilder stehen. Charakteristisch für den Stupa-Typ auf
Sri Lanka, der kaum verändert bis zum heutigen Tage überliefert ist, sind die monumentalen
Steintreppen mit den vorgesetzten Mondsteinen.
Von den aus dem Gandhara-Gebiet - heute in den Staaten Pakistan und Afghanistan gelegen bekannten Anlagen ist der ohne Zauneinfassung gebaute Dharmarajika-Stupa bei Taxila, dessen Anfänge im 2. Jahrhundert v. Chr. vermutet werden, der bei weitem monumentalste. Weitere bedeutende Sakralbauten, Stupas und freistehende Klöster, stehen in Manikyala bei Rawalpindi, in Charsadda und Shah-ji-ki-Dheri bei Peshawar sowie in Takht-i-Bahai, Sahri-Bahlol
und Jamalgarhi, nördlich von Hoti Mardan. Die Skulpturen und Reliefs sind fast ausschließlich
in Schiefer gearbeitet. Die Anlage von Hadda nahe dem heutigen Jelalabad ist bekannt für ihre
zahlreichen Stuckskulpturen und -reliefs.
Infolge veränderter Bedürfnisse
der Gläubigen versuchte man
schon bald, andere bauliche Konzeptionen zu entwickeln. Da sich
der Buddhismus in der Bevölkerung immer mehr verbreitete,
entstand die Notwendigkeit, in
den Sakralbauten selbst mehr
Raum zu schaffen. Man begann
Höhlentempel in den Fels der
Bergwände zu schlagen, die zunächst nur als Erweiterung des
Stupa-Grundrisses
anzusehen
waren. Diese Stupa- oder CaityaHalle entwickelte sich bald zu
einem lang gestreckten Raum mit
apsidialem, rechteckigen Grundriss. Die frühesten, in den ersten
nachchristlichen Jahrhunderten entstandenen Bauten sind unter anderem in Pitalkhora, Bhaja,
Karla und Ajanta zu finden. Der Stupa steht hier am rückwärtigen Ende der Halle, die durch
eine Säulenreihe gegliedert ist. Dadurch schuf man einen Weg, auf dem die Gläubigen den
Stupa verehrend umwandeln konnten. Die Eingangsfassade wurde von einem blattförmigen,
überdimensionalen Fenster, dem Caitya-Fenster, gebildet, das der fensterlosen Halle als einzige Lichtquelle diente und mittig in die ansonsten reich mit ornamentalen und figuralen Motiven
geschmückte Wand geschlagen war. Doch reichten Kulträume allein nicht mehr aus, um den
steigenden Bedürfnissen der Mönche zu genügen. Man benötigte nun auch Wohnmöglichkeiten
und damit ganze Klosteranlagen, die den ordinierten Gemeindemitgliedern als Unterkunft und
Zufluchtsstätte dienen sollten. Ursprünglich bestanden die Klöster (Vihara) aus offenen oder
geschlossenen Hallen, um die sich kleine Mönchszellen gruppierten.
Aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten sind zahlreiche Felsenklöster überliefert, bei
denen um eine zentrale Caitya-Halle mehrgeschossige, schmucklose Viharas angeordnet sind.
In den folgenden Jahrhunderten, insbesondere in der Gupta-Zeit (4. - 6. Jahrhundert n. Chr.),
der Blütezeit der indischen Philosophie, Literatur und Kunst, entstanden komplexere Bauwerke.
Eines der nicht sehr zahlreichen Zeugnisse dieser Zeit ist der Dhamek-Stupa in Sarnath bei
Benares, ein monumentaler Ziegelbau aus dem 5./6. Jahrhundert n. Chr. Bemerkenswert an
diesem noch vor Ort befindlichen Sakralbau sind der sorgfältig ausgeführte Reliefschmuck, der
sich um die Stupa-Trommel herumzieht, sowie die Nischen für die Kultbilder.
Bis zum Ende des 7. Jahrhunderts wurde der Buddhismus nahezu vollständig aus Nordindien
verdrängt; nur im östlichen Bereich, in Bihar und Bengalen, konnte er in veränderter Form bis
zur islamischen Eroberung im 12. Jahrhundert überdauern. Aufgrund der Förderung durch die
Herrscher der Pala- und Sena-Dynastien, die Erben des Harsha-Großreiches im Gangesgebiet,
erlebte die buddhistische Kunst in Indien einen späten Höhepunkt. Zum bedeutendsten Zentrum wurde die große Universitätsstadt Nalanda mit ihren zahlreichen Klöstern und Stupas. Xuanzang, einer der bekanntesten chinesischen Pilger, der die heiligen Stätten in Indien besuchte, hat uns interessante Details über das Nalanda des 7. Jahrhunderts überliefert. Er berichtet
über prachtvolle, mehrstöckige, achteckige Stupas mit zahllosen Bodhisattva- und Buddhafiguren in den Caitya-Nischen und er beschreibt den berühmten Mahabodhi-Tempel der Pala-Zeit.
Die bedeutende Anlage von Paharpur, ebenfalls in dieser Region gelegen, schließt einen imposanten zentralen Terrassentempel mit ein, der auf zahlreichen Terrakotta-Reliefs szenische
Darstellungen aus dem 7./8. Jahrhundert zeigt und den Berg Meru symbolisiert. Dieser späte
nordindische Bautyp, der in Paharpur seine ausdrucksvollste Form gefunden hat, diente als
Vorbild für die berühmten Terrassentempel Pagan, Angkor Vat und Borobodur in Südostasien.
Dr. Siglinde Dietz, Göttingen
Dr. Dennis Schilling
Prof. Dr. Marianne Yaldiz
© Copyright by 2003
www.thailand-info.de
www.thailand-community.de
Herunterladen