Enke: Tiermedizinische Mikrobiologie, Infektions

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27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
545
Pathogenese
Nach Eintritt in den Körper durch Schmierinfektion mit
virushaltigem Blut oder Fleisch kommt es zu einer ersten
Virusvermehrung in Makrophagen, Monozyten und v. a.
Endothelzellen, in deren Folge es zu Permeabilitätsstörungen der Blutgefäße und zum Befall weiterer Organe
kommt. Bei den schweren Verläufen einer Filovirusinfektion addieren sich mehrere pathogenetische Mechanismen: überschießende Produktion entzündungsfördernder Zytokine mit Folge von Schock und erhöhter
Permeabilität der Blutgefäße, Verbrauchskoagulopathie,
starke Nekrosen des lymphoretikulären Gewebes und
spezifische Blockade der α/β-IFN-Synthese. Die Zytotoxizität des GP kann variieren und scheint negativ mit
dem durch sogenanntes RNA-Editieren entstandenen
löslichen sGP zu korrelieren, das etwa dem N-terminalen
Drittel des GP entspricht.
Klinik und Pathologie
Die Klinik setzt nach einer Inkubationszeit von 4–7 Tagen
mit plötzlich einsetzendem Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen ein. Hierauf folgen Erbrechen und Durchfälle
sowie Petechien in Haut und Schleimhäuten. Blutungen
in sämtlichen Organen führen zum Bild eines schweren
hämorrhagischen Fiebers mit Schock und letalem Ausgang bei bis zu 90 % der Infizierten innerhalb 1 Woche
nach Auftreten der ersten Symptome.
RNA-Viren
Marburg-hämorrhagisches Fieber trat erstmals 1967 in
Marburg, Deutschland, bei Mitarbeitern (und deren Angehörigen) der Behring-Werke auf, die sich an importierten grünen Meerkatzen aus Uganda infiziert hatten. Seither kam es zu wenigen, aber verheerenden Ausbrüchen
durch Marburg-Virus in Zimbabwe, der Demokratischen
Republik Kongo und erst 2005 in Angola mit 329 Toten
von 374 Infizierten (Letalität von 88 %).
Ebola-Virus wurde erstmals 1976 als ätiologisches
Agens von hämorrhagischen Fieberausbrüchen im damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) und dem
Sudan identifiziert. Auch hier kam es seither zu einigen
größeren Ausbrüchen mit ähnlich hoher Letalität. Bei den
ersten Ausbrüchen dieser hoch kontagiösen Erkrankung
infizierten sich in Unkenntnis der Gefahr bis zu 30 % der
behandelnden Ärzte und jede zehnte Krankenschwester.
Die Suche nach den Ansteckungsquellen verlief viele Jahre
trotz erheblicher Anstrengungen erfolglos. Mittlerweile
konnte man sowohl für Marburg- als auch für Ebola-Virus
nachweisen, dass Fledermäuse und Flughunde Reservoirwirte darstellen und viele der bisherigen Ausbrüche entsprechenden Kontakten mit diesen Tieren zuordnen.
Wie genau die Infektion übertragen wird, ist jedoch
noch nicht geklärt. Auch wie sich Schimpansen und Gorillas anstecken, ist nicht geklärt. Die Letalität ist bei den
großen Menschenaffen ähnlich den beim Menschen beobachteten Zahlen und ein Ausbruch bei diesen bedrohten Tierarten daher von besonderer Bedeutung. Da tote
Tiere im Regenwald eine willkommene Proteinquelle in
der menschlichen Ernährung darstellen, kommt es auf
diesem Weg auch immer wieder zu humanem Ebola-hämorrhagischem Fieber. Eine Ausnahme stellt die Spezies
Reston-Ebola-Virus dar. Es wurde erstmals 1989 in den
USA bei aus den Philippinen importierten Makaken diagnostiziert. Es ist bislang natürlich vorkommend nur auf
den Philippinen bekannt, wo es Anfang 2009 erstmals als
Schweinepathogen in Erscheinung trat und auch 5 von
77 Kontaktpersonen serokonvertierten. Bislang galt der
Mensch als unempfänglich für das Reston-Ebola-Virus.
Diagnose
Eine Virämie ist während der gesamten Dauer der Klinik
vorhanden, und durch die Hämorrhagien wird entsprechend ständig Virus ausgeschieden. Der direkte Erregernachweis durch Virusisolierung oder RT-PCR ist somit
sehr gut möglich. Bei Überlebenden können IgM- und IgGAntikörper bereits 10–14 Tage nach der Infektion mittels
ELISA oder Immunofluoreszenztest (IFT) nachgewiesen
werden. Aus Sektionsmaterial kann das Virus isoliert oder
an Gefrierschnitten mit der IFT dargestellt werden.
Immunologie
Die Überlebensrate scheint mit der frühzeitigen Produktion von neutralisierenden IgG-Antikörpern zu korrelieren,
da bei Verstorbenen keine spezifischen IgG-Antikörper
nachweisbar sind. Eine überstandene Infektion verleiht
wahrscheinlich einen langlebigen, belastbaren Schutz vor
einer Reinfektion. Diese Immunität basiert ebenso auf der
ausreichenden Präsenz von neutralisierenden Antikörpern. Antigen-Antikörper-Komplexe werden für Arthritiden und Glomerulonephritiden verantwortlich gemacht,
die häufig bei ÜberIebenden beobachtet werden.
Bekämpfung
Da weder ein Impfstoff noch eine wirksame Kausaltherapie verfügbar sind, ist die Expositionsprophylaxe der einzig
wirksame Schutz vor einer Ansteckung. Dies bezieht sich
auf bei Afrikareisenden beliebte Ausflugsziele von Höhlen
mit großen Fledermaus- und Flughundkolonien sowie den
Verzehr von „Bushmeat“, speziell von Affenfleisch.
Die Ebolavirusinfektion ist anzeigepflichtig.
27.3.4 Familie Paramyxoviridae
Ludwig Haas
Steckbrief
●●Einzelstrang-RNA-Genom, negative Polarität, 15–19 Kbp
●●behüllt, 150–250 nm Durchmesser
●●helikales Nukleokapsid (▶ Abb. 27.19, ▶ Abb. 27.20)
●●bedeutende Krankheitserreger bei Mensch, Rind, kleinen
Wiederkäuern, Geflügel, Hund, Schwein und Pferd
ss RNA, negativ
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Epidemiologie
27 RNA-Viren
546
Taxonomie
Paramyxoviren gehören zur Ordnung Mononegavirales, der Familien mit einzelsträngiger RNA von negativer Polarität angehören. Es werden zwei Unterfamilien,
Paramyxovirinae und Pneumovirinae, unterschieden
(▶ Tab. 27.6).
▶▶ Abb. 27.19 Paramyxovirus, Negativkontrast
© Dr. habil. H. Granzow, Friedrich-Loeffler-Institut, Insel Riems.
Familienmerkmale
Paramyxoviren sind sphärische Partikel, die jedoch auch
als filamentöse Formen vorkommen können. Der Wortbestandteil myxo (von griech. myxa: Schleim, Mukus) weist
auf die Affinität zu Schleimhäuten hin. Die Viruspartikel
weisen in der Außenwelt nur eine geringe Stabilität (Tenazität) auf, mithin ist für eine effiziente Virusübertragung in aller Regel ein direkter Kontakt nötig. Dafür sind
Paramyxoviren sehr kontagiös und benötigen nur eine
geringe Infektionsdosis. Die Familie umfasst wichtige und
bekannte Erreger von Mensch und Tier, aber auch „Emerging Diseases“ mit zoonotischem Potenzial, wie im Genus
Henipavirus. Einige Paramyxoviren sind noch nicht endgültig einem Genus zugeordnet worden, z. B. das Fer-deLance-Virus der Vipern oder das J- und Beilongparamyxovirus (JPV, BeiPV), vermutlich Viren von Nagern.
▶▶ Abb. 27.20 Schema eines Paramyxovirus am Beispiel eines Morbillivirus. Das helikale Nukleokapsid wird durch das Negativ-Einzelstrang RNA-Genom und das Nukleoprotein gebildet. An das Genom
gebunden findet sich die RNA-Polymerase (L-Protein) sowie einzelne
Moleküle des Phosphoproteins (P). In die Virushülle sind die viralen
Glykoproteine Hämagglutinin (H) und das Fusionsprotein (F) eingelagert. Sie stehen mit dem Matrixprotein (M) in Verbindung.
Das Genom der Paramyxoviren ist eine einzelsträngige
RNA in Negativstrangorientierung, mit einer Länge von
14–19 Kbp (das BeiPV-Genom ist mit 19 212 Basen das
bisher größte aller Mononegavirales). Am 3ʼ-Ende befindet sich eine ca. 50 Nukleotide große Leader-Sequenz,
am 5ʼ-Ende eine etwa 50–160 Nukleotide große TrailerSequenz, die beide nicht kodierend sind und Promotoren
für die Transkription und Replikation enthalten. Zwischen
den einzelnen Genen befinden sich intergene Sequenzen,
die bei den einzelnen Genera deutlich in ihrer Größe
variieren. Das Genom ist in einen helikalen Ribonukleoproteinkomplex verpackt. Bestandteile dieses Komplexes
sind das N (Nukleokapsid)-, das Phospho (P)- und das
L (RNA-Polymerase)-Protein. Paramyxoviren besitzen
eine Virushülle, in die das Hämagglutinin(H)- (Morbilli­
viren)- bzw. Hämagglutinin-Neuraminidase(HN)-Protein (Respirovirus, Avulavirus, Rubulavirus), im Falle der
Pneumo-, Metapneumo- und Henipaviren das G- sowie
das Fusionsprotein (F), allesamt Glykoproteine, eingebaut
sind. Unterhalb der Virushülle befindet sich ein Matrixprotein (M). Einige Paramyxoviren, z. B. die Pneumoviren,
▶▶ Tab. 27.6 Unterfamilie und Genera der Paramyxoviridae.
Unterfamilie
Genera
Bedeutung
Paramyxo­
virinae
Respirovirus
Sendai-Virus
bovines Parainfluenza­
virus 3 (PI-3)
Morbillivirus
Masernvirus
Hundestaupe-Virus
Seehundstaupe-Virus
Cetacean Morbillivirus
Rinderpest-Virus
Peste-des-petitsruminants-Virus
Henipavirus
Hendra-Virus
Nipah-Virus
Rubulavirus
Mumps-Virus
Avulavirus
Newcastle-KrankheitVirus (aviäres Para­
myxovirus Typ 1)
aviäre Paramyxoviren
Typ 2–Typ 9
Pneumovirus
bovines respiratorisches
Synzytial-Virus
Metapneumovirus
Rhinotracheitis-Virus
der Pute
Pneumo­
virinae
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Virusstruktur und Replikation
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
▶▶ Abb. 27.21 Vergleichende Darstellung der Genomstruktur der Paramyxoviren. Die verschiedenen Paramyxoviren zeigen eine unterschiedliche Genomstruktur. Allen gemeinsam ist die RNA-abhängige RNA-Polymerase (L) sowie das Nukleoprotein (N), das Phosphoprotein (P), das Matrixprotein (M) und das Fusionsprotein (F). Die Morbilliviren haben ein Hämagglutinin (H), die Respiroviren ein Protein, das
sowohl Hämagglutinin- als auch Neuraminidase-Eigenschaften besitzt (HN). Die Viren der Genera Pneumovirus und Metapneumovirus haben statt des Hämagglutinins andere Glykoproteine, wie das Glykoprotein G, das kleine SH-Protein sowie ein zweites Matrixprotein (M2).
besitzen ein kleines hydrophobes Protein (SH) in der
Hülle, dessen Funktion noch nicht vollständig geklärt
ist. Möglicherweise inhibiert es die Tumornekrosefaktorα(TNF-α)-vermittelte Apoptose. JPV und BeiPV besitzen
neben dem SH- noch ein kleines TM(Transmembran)Protein (▶ Abb. 27.21).
Die Subfamile Pneumovirinae ist in die zwei Genera Pneumovirus und Metapneumovirus unterteilt. Diese
unterscheiden sich vor allem in der Genkonstellation.
Den Metapneumoviren fehlen die beiden Nichtstrukturproteine 1 und 2 (NS1 und NS2) der Pneumoviren, die
einen Effekt gegen das Interferonsystem ausüben, und
die Reihenfolge der Gene ist verschieden (Pneumoviren:
3ʼ-NS1-NS2-N-P-M-SH-G-F-M2-L-5´, Metapneumovirus:
3ʼ-N-P-M-F-M2-SH-G-L-5´). Das M2-Protein der Pneumoviren enthält zwei überlappende Leserahmen, die
für zwei Proteine, M2–1 und M2–2, kodieren. M2–1 ist
vermutlich in die Transkription involviert, für das M2–2
wird eine Rolle bei der Umschaltung des viralen Vermehrungszyklus von der Replikation zum Zusammenbau der
Partikel vermutet.
Der Vermehrungszyklus der Paramyxoviren beginnt
mit der Anheftung an spezifische Rezeptoren der Zielzellen via H-, HN- bzw. G-Proteine. Es erfolgt die Fusion der
Virushülle mit der Zellmembran, die durch das F-Protein
vermittelt wird. Dieses muss zuvor proteolytisch in die
beiden Untereinheiten F1 und F2 gespalten werden, die
über eine Disulfidbrücke verbunden sind. Durch die Proteolyse wird ein kurzer Bereich hydrophober Aminosäuren exponiert („Fusionspeptid“), der die Verschmelzung
beider Membranen vermittelt. Der Nukleokapsidkomplex
gelangt in das Zytoplasma, wo die nachfolgenden Vermehrungsschritte stattfinden. Die virale RNA-abhängige RNAPolymerase synthetisiert, beginnend am 3ʼ-Ende, einzelne
mRNAs, die nachfolgend an den Ribosomen in Virusproteine übersetzt werden. Gene am 3ʼ-Ende des Genoms
werden häufiger transkribiert als diejenigen am 5ʼ-Ende,
sodass sich ein Konzentrationsgradient der neu synthetisierten mRNA-Spezies ausbildet, der in Richtung 5ʼ-Ende
des Genoms kontinuierlich abnimmt (▶ Abb. 27.22). Das
P-Gen hat eine komplexere Kodierungsstrategie. Neben
dem P-Protein kann durch Benutzung einer alternativen
Translationsstartstelle ein C-Protein (Respiro-, Morbilli-, Rubula-, Henipavirus) synthetisiert werden. Zudem
werden durch „mRNA Editing“ bei der Transkription des
P-Gens durch die Polymerase ein bzw. zwei G-Reste zusätzlich eingebaut, was zu einer Änderung des Leserasters
und zur Bildung der V- (Respiro-, Morbilli-, Rubulavirus,
Henipavirus) und W-Proteine führt (Respiro-, Henipaviren). Die C-, V- und W-Proteine können die antivirale Wirkung von Interferonen beeinträchtigen und stellen damit
Virulenzfaktoren dar.
Sobald eine kritische Menge an N-Protein gebildet ist,
erfolgt in der Zelle die Umschaltung von der Tanskription
zur Genomreplikation. An der Plasmamembran erfolgt
dann der Zusammenbau von Genom und Strukturproteinen. Durch einen Knospungsprozess (Budding) werden
neue Viruspartikel abgeschnürt, wobei das Virus seine
Hülle erlangt. Bei diesem Vorgang ist das M-Protein wichtig. Zumindest bei einigen Paramyxovirusarten rekrutiert
es für den Budding-Prozess zelluläre Proteine des ESCRTKomplexes, die normalerweise für die Abschnürung kleiner Vesikel in späte Endosomen verantwortlich sind. Da
für den Knospungsprozess zuvor die fusogenen Hüllglykoproteine in die Plasmamembran eingebaut werden, kann
es zur Zellfusion mit den benachbarten Zellen kommen,
was sowohl in Zellkultur als auch im infizierten Gewebe
beobachtet werden kann. Diese vielkernigen Riesenzellen
ss RNA, negativ
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RNA-Viren
547
27 RNA-Viren
▶▶ Abb. 27.22 Genexpression der Paramyxoviren. Die Genexpression der Paramyxoviren geschieht über monozistronische mRNAs. Sie
werden in unterschiedlicher Häufigkeit gebildet und können so die Translation der Proteine steuern. Die N-Proteine werden am meisten,
die Polymerase am wenigsten synthetisiert.
oder Synzytien sind somit typisch für Paramyxovirusinfektionen und waren teilweise sogar namensgebend (z. B.
für das bovine respiratorische Synzytialvirus).
Genus Respirovirus
(Unterfamilie Paramyxovirinae)
Bovine Parainfluenzavirus-3(BPIV-3)-Infektion
Das bovine Parainfluenzavirus 3 (BPIV-3) wird als ein
primär pathogener viraler Erreger der enzootischen
Bronchopneumonie (EBP), der mit Abstand bedeutsamsten Atemwegserkrankung (besonders) der Jungrinder,
in Verbindung gebracht. Die EBP stellt eine „Faktorenkrankheit“ dar, d. h., neben Infektionserregern spielen
endogene (ungünstige Lungenphysiologie, Immunkompetenz, Habitus etc. des Tieres) und exogene Faktoren
(Stallklima, Fütterung, Haltungsbedingungen usw.) eine
wesentliche Rolle. Neben dem BPIV-3 hat das bovine
respiratorische Synzytialvirus (BRSV) hierbei große Bedeutung. Das BVD- und das BHV1-Virus können das
Geschehen komplizieren, sind jedoch als Erreger eigenständiger Krankheiten vom EBP-Komplex abzugrenzen.
Reine Viruserkrankungen nehmen einen milden Verlauf
(„Viruspneumonie“), machen jedoch häufig den Weg frei
für bakterielle Sekundärinfektionen.
Ätiologie
Das BPIV-3 gehört zur Ordnung Mononegavirales, Familie
der Paramyxoviridae, Subfamilie Paramyxovirinae, Genus
Respirovirus, Spezies bovines Parainfluenzavirus Typ 3.
Vor Kurzem wurde aufgrund phylogenetischer Untersuchungen eine Unterteilung in zwei Genotypen (BPIV-3a
und BPIV-3b) vorgeschlagen.
Epidemiologie
Durch Virusisolierungen und serologische Erhebungen in
Rinderbeständen konnte gezeigt werden, dass das BPIV-3
weltweit vorkommt und die Seroprävalenz in den euro-
päischen Ländern etwa zwischen 60 und 90 % liegt, wobei die meisten Infektionen klinisch inapparent ablaufen.
Epidemiologisch kann man eine saisonal gebundene von
einer „Crowding-assoziierten“ EBP unterscheiden, wobei
Letztere wegen der sich ändernden Produktions- und
Konzentrationsbedingungen in der Landwirtschaft eine
zunehmende Bedeutung hat.
Bei akut erkrankten Tieren wird das Virus mit dem
Augen- und Nasensekret sowie mit dem Speichel etwa
bis zum 8. Tag post infectionem ausgeschieden. Die passive Verschleppung des Erregers geschieht durch den
Menschen (Händler, Stallpersonal u. a.) oder durch kontaminierte Stallungen, Transportwagen oder Stallgeräte.
Durch Hinzutreten von mikrobiellen Keimen und schädlichen Umwelteinflüssen, wie Transporte, Futterumstellungen, Operationen, unterkühlte oder überhitzte Stallungen, kann es zu klinisch manifesten Erkrankungen
kommen.
Pathogenese
Die Aufnahme des BPIV-3 geschieht in der Regel über virushaltiges Nasensekret bei direktem Kontakt empfänglicher Tiere oder durch Inhalation von virushaltigen Aerosolen („Tröpfcheninfektion“). Auch die orale Infektion
durch Aufnahme von kontaminiertem Futter oder Wasser
ist möglich. Die Inkubationszeit beträgt etwa 2–3 Tage.
Nach dem Eindringen in den Nasen-Rachen-Raum
kommt es zur Besiedlung des lymphatischen Gewebes, besonders der Tonsillen und der respiratorischen
Schleimhäute, wo die primäre Virusvermehrung stattfindet. Es werden große Mengen Virus produziert, die an
der Oberfläche der Epithelzellen liegen und mit dem Nasensekret nach außen gelangen. Lymphogen und durch
die Bewegungen des respiratorischen Flimmerepithels,
mit dem Luftstrom sowie durch den Schleim gelangt das
Virus in alle Schleimhäute des oberen und unteren Atmungsapparates und in Makrophagen, wo neues Virus
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27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
549
produziert wird. Durch die Schädigung der mukoziliären
Clearance sowie die herabgesetzte Makrophagenabwehr
treten häufig bakterielle Sekundärkeime hinzu, die das
Krankheitsbild komplizieren.
Ätiologie
Klinik und Pathologie
Epidemiologie
Nach einer BPIV-3-Infektion kommt es in den Schleimhäuten der oberen Atemwege zu entzündlichen Veränderungen und (seltener) in den Lungen zu interstitieller Pneumonie. Es zeigen sich Fieber, Husten, erhöhte Atemfrequenz,
Nasenausfluss und Lakrimation. Bei unkompliziertem Verlauf kommt es nach 3–4 Tagen zur Rekonvaleszenz. Unter
ungünstigen Bedingungen wie zu hohe Tierdichte, extreme
Temperatur, Transport etc. können Sekundärkeime hinzutreten, besonders Pasteurella multocida und Mannheimia
haemolytica (Serotypen A1 und A6) sowie Mykoplasmen
und Chlamydien, die das Krankheitsbild verschlimmern.
Pathologisch finden sich eine milde Rhinitis und Trache­
itis. Die unkomplizierte Virusinfektion zeigt sich als interstitielle Pneumonie vor allem in Veränderungen der kranialen Lungenlappen sowie im kranioventralen Bereich der
kaudalen Lungenlappen, bei sekundären Komplikationen
auch eine schwere lobuläre Pneumonie.
Die meisten Paarhufer können mit dem RPV infiziert
werden. Besonders empfänglich sind Hausrinder und
Büffel, während es bei Wildungulaten deutliche Unterschiede gibt. Schaf und Ziege sind wenig empfänglich,
sie zeigen keine oder nur milde Symptome. Infektionen
beim Schwein sind möglich, bei einigen asiatischen Rassen sind Erkrankungen und Todesfälle beschrieben.
Alle Se- und Exkrete erkrankter Tiere sind virushaltig. Die Übertragung erfolgt besonders direkt, wobei die
aerogene Übertragung keine große Rolle spielt, sowie indirekt, z. B. über kontaminierte Wasserstellen. Die Morbidität und Mortalität bei empfänglichen Tieren sind hoch.
Eine vertikale Übertragung, Arthropodenvektoren sowie
ein Trägerstatus sind nicht bekannt. Obwohl Wildwiederkäuer mit RPV infiziert sein können, scheinen sie keine
Rolle als Reservoir für domestizierte Rinder zu spielen.
Durch internationale Bekämpfungsmaßnahmen,
beginnend 1962 mit dem Joint Project 15, konnte die
Krankheit weitgehend eingedämmt werden. Das Virus
wurde zum letzten Mal 2001 bei Büffeln in Kenia nachgewiesen.
Für eine Anzucht des Erregers eignen sich primäre Zellkulturen von fetalen Kälbernieren, Zelllinien vom Rind
(z. B. MDBK-Zellen), aber auch Zelllinien von Affen oder
menschlichen Ursprungs. Alternativ kann der Nukleinsäurenachweis direkt mittels RT-PCR versucht werden.
Als Untersuchungsmaterial dienen Nasensekret oder Nasentupferproben sowie Trachealspülflüssigkeit. Wichtig
ist, die Proben so früh wie möglich zu gewinnen.
Der indirekte Infektionsnachweis bei Vorliegen einer
PI-3-Infektion ist möglich durch den Nachweis humoraler Antikörper mit dem Virusneutralisationstest (VNT),
ELISA, Hämagglutinationshemmungs- (HAH-Test) oder
Hämadsorptionshemmungstest (HADH-Test).
Pathogenese
Nach oronasaler Aufnahme vermehrt sich RPV primär
in den Tonsillen und regionären Lymphknoten. Im Blut
sowie im Nasensekret ist RPV kulturell am Tage des Fieberbeginns, z. T. auch schon 1–2 Tage früher nachweisbar.
Die Virämie ist stark zellgebunden. Sie kann über den
Zeitpunkt nachweisbarer Antikörperbildung hinaus für
wenige Tage fortbestehen. Die virusinduzierte Immunsuppression fördert opportunistische bakterielle und parasitäre Infektionen, die den weiteren Krankheitsverlauf
entscheidend bestimmen können.
Bekämpfung und Prophylaxe
Sowohl Lebend- als auch inaktivierte Impfstoffe stehen
zur Verfügung, vor allem als Kombinationsvakzinen mit
anderen viralen und/oder bakteriellen Erregern. Ihr Einsatz ist nur dann sinnvoll, wenn die oben angesprochenen ungünstigen Faktoren berücksichtigt und mittels
Hygiene- und Betriebsmanagement minimiert werden.
Genus Morbillivirus
(Unterfamilie Paramyxovirinae)
Rinderpest
Synonyme: Cattle Plague
!!Beachte: Anzeigepflicht
Die Rinderpest ist eine hoch kontagiöse, akut bis subakut
verlaufende, fieberhafte Allgemeinerkrankung der Rinder und anderer Paarhufer.
Klinik und Pathologie
Das Ausmaß klinischer Erscheinungen ist u. a. abhängig
von der Virulenz des Erregers sowie Alter, Immunstatus
und Rasse des Wirtes. Der klassische Verlauf ist akut und
kann nach Plowright in fünf Phasen eingeteilt werden.
Die Inkubationsperiode beträgt etwa 3–9 Tage. Während der Prodromalphase (2–5 Tage) kommt es zu Fieber, Abgeschlagenheit und Anorexie. Es schließt sich die
erosive Phase an, die mit kleinen nekrotischen Foci der
Maul- und Nasenschleimhäute beginnt, die sich rasch
ausbreiten und zusammenfließen, mit deutlichem Fötor.
Die Tiere speicheln stark. Es zeigen sich Konjunktivitis
und mukopurulenter Nasenausfluss. 1–3 Tage nach dem
Auftreten der ersten Nekrosen kann sich eine Durchfallphase anschließen (ungünstige Prognose). Der Kot kann
Mukus, abgeschilfertes Epithel und Blut enthalten. Häu-
RNA-Viren
ss RNA, negativ
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Diagnose
Das Rinderpestvirus (RPV) zählt zum Genus Morbillivirus. Es ist serologisch einheitlich, jedoch gibt es deutliche
Virulenzunterschiede bei einzelnen Virusstämmen.
27 RNA-Viren
550
Klauenseuche, Stomatitis vesicularis, Blauzungenkrankheit, Stomatitis papulosa, Salmonellose, Nekrobacillose,
Paratuberkulose und Lungenseuche zu berücksichtigen.
Bekämpfung
Rinderpest ist nach Tierseuchengesetz und in der Europäischen Union anzeigepflichtig. In Gebieten, die frei von
Rinderpest sind, besteht ein Behandlungs- und Impfverbot. Ausbrüche werden durch rigorose veterinärpolizeiliche Maßnahmen (Stamping out, Stand still) kontrolliert.
Zur Impfung von Rinderpopulationen in Gebieten, in denen RP vorkommt, kann ein Lebendimpfstoff
(Plowright-Vakzine) eingesetzt werden. Zurzeit werden
keine Impfungen mehr durchgeführt. Das Global Rinderpest Eradication Programme (GREP) der FAO strebt die
Erklärung der weltweiten Eradikation der Rinderpest im
Jahr 2011 an.
Pest der kleinen Wiederkäuer
Synonyme: Peste des petits Ruminants, Goat Plague,
Pseudorinderpest, Kata
!!Beachte: Anzeigepflicht
Die Pest der kleinen Wiederkäuer ist eine ökonomisch
bedeutsame Erkrankung der Ziegen, Schafe und einiger
anderer Spezies. Sie ist klinisch und pathologisch der Rinderpest ähnlich.
Diagnose
Als Proben am lebenden Tier eignen sich je nach Untersuchungstechnik EDTA- oder Heparinblut, Maulschleimhautbiopsien, Aspirationsbiopsien oberflächlicher Lymph­
knoten sowie Augen- und Nasentupfer. Hierfür sind febrile
Tiere mit beginnenden Schleimhautläsionen und noch klarer oder seromuköser Augen- bzw. Nasensekretion auszuwählen. RPV-Antigen kann mittels Antigen-Capture-ELISA
aus Nasen- bzw. Augensekreten oder mittels Immunfluoreszenztest in Stanzproben binnen weniger Stunden
nachgewiesen werden. Eine einfache und kostengünstige
Methode, die „im Feld“ durchgeführt werden kann, ist der
Nachweis von RPV-Antigen mithilfe des Agargelpräzipitationstests. Die kulturelle Virusisolierung erfolgt am lebenden Tier bevorzugt aus der Leukozytenfraktion des peripheren Blutes, kann jedoch lange dauern und ist unsicher.
Mithilfe der RT-PCR kann RPV-RNA schnell und sicher in
Leukozyten oder Gewebsbioptaten nachgewiesen werden.
Post mortem kann ein Antigennachweis in Gefrierschnitten lymphatischer Organe und im Gastrointestinaltrakt – insbesondere an der Ileozäkalklappe – mittels
IFT oder PLA versucht werden.
Zum Antikörpernachweis kann ein Neutralisationstest oder ein kompetitiver ELISA eingesetzt werden. Sie
können jedoch geimpfte Tiere von infizierten nicht unterscheiden.
Differenzialdiagnostisch sind u. a. Mucosal Disease
(BVDV-Infektion), infektiöse bovine Rhinotracheitis
(BHV-1-Infektion), bösartiges Katarrhalfieber, Maul- und
Ätiologie
Das Virus der Pest der kleinen Wiederkäuer (PPRV) zählt
zum Genus Morbillivirus der Paramyxoviren. Es ist mit
dem Rinderpestvirus verwandt. Phylogenetisch lassen
sich vier Abstammungslinien (Lineages) unterscheiden:
Lineage 1 und 2 sind west-, Lineage 3 ist hauptsächlich
ostafrikanisch, Lineage 4 asiatisch (inkl. dem Mittleren
Osten).
Epidemiologie
Das Virus kommt in einer Zone südlich der Sahara und
südlich des Äquator in Afrika vor (trat jedoch auch schon
in Ägypten und 2008 erstmalig großflächig in Marokko
auf), auf der Arabischen Halbinsel, im Mittleren Osten, in
der Türkei und auf dem indischen Subkontinent. Aus China wurde zum ersten Male im Jahr 2007 PPR gemeldet.
Ziegen sind meistens, aber nicht immer, empfänglicher als Schafe. Erkrankungen wurden auch bei Gazellen
und Wasserbüffeln beschrieben. Bei Kamelen, Rindern
und Schweinen sind inapparente Infektionen möglich,
sie spielen jedoch epidemiologisch keine Rolle. Bei empfänglichen Arten betragen die Morbiditäts- und Mortalitätsraten 50–80 %.
Das Virus wird in großen Mengen über Nasenausfluss,
Tränen, Speichel und Fäzes ausgeschieden. Die Übertragung geschieht hauptsächlich durch Inhalation von Aerosolen, die durch Niesen und Husten erzeugt werden, oder
das Belecken zwischen infizierten und empfänglichen
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fig zeigen die Tiere Untertemperatur. Die Atmung wird
zunehmend schwieriger, die Tiere magern ab. Aufgrund
der zunehmenden Dehydratation sinken die Augen ein.
Schließlich liegen die Tiere in „Milchfieber-ähnlicher“
Haltung fest und verenden. Die Mortalität kann über 90 %
betragen. Falls die Tiere überleben, kann sich die Konvaleszenzphase über Wochen hinziehen.
Neben dieser typischen akuten Form ist auch ein
perakuter Verlauf beschrieben, wobei die Tiere in der
Prodromalphase oder kurz danach mit Fieber plötzlich
verenden. Auf der anderen Seite kann die Krankheit bei
Infektion mit einem gering virulenten Virus auch mild
verlaufen, mit etwas Fieber, Nasen- und Augenausfluss
und einigen oralen Erosionen, gefolgt von einer schnellen
Erholung.
Im Vordergrund des pathologischen Bildes stehen
Erosionen des gesamten Verdauungstraktes. Die Lymphknoten und die Milz sind geschwollen, histologisch
weisen sie eine lymphozytäre Depletion auf. Interessanterweise sind ZNS-Veränderungen, z. B. Demyelinisierung, wie sie bei der Hundestaupe und den marinen
Morbillivirusinfektionen häufig sind, bei der Rinderpest
nicht beschrieben. Histopathologisch zeigt sich eine ballonierende Degeneration epithelialer Zellen, die Bildung
mehrkerniger Riesenzellen und das Auftreten eosinophiler, intrazytoplasmatischer Einschlusskörperchen.
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
Tieren. Aufgrund der Labilität der Viren sind indirekte
Übertragungswege von untergeordneter Bedeutung. Ein
Trägerstatus ist nicht bekannt.
Pathogenese
Die Pathogenese der PPR ist nicht gut untersucht, dürfte
aber im Wesentlichen der Pathogenese der Rinderpest
bei Rindern entsprechen. Hinsichtlich der typischen
Bronchopneumonie ist die häufige Beteiligung von Sekundärerregern (bes. Pasteurella sp.) hervorzuheben, die
sich im Zuge einer viral induzierten Immunsuppression
leicht vermehren können. Auch latente Infektionen mit
Blut- oder Darmparasiten können durch die PRRV-Infektion aktiviert werden.
des Gastrointestinaltraktes sowie im Lungengewebe erfolgen.
Der Nachweis PPRV-spezifischer Antikörper (Virusneutralisationstest, Kompetitions-ELISA, Immundiffusionstest) ist nur aussagekräftig bei Tieren, die aus Gebieten mit einem PPRV-Impfverbot stammen.
Differenzialdiagnostisch müssen unter anderem, in
Abhängigkeit von den vorherrschenden klinischen Symptomen, Maul- und Klauenseuche, Rinderpest, Blauzungenkrankheit, Ecthyma contagiosum (Orf), Schaf- und
Ziegenpocken, Pasteurellose, Mykoplasmeninfektion,
Bunyavirusinfektionen (Rifttalfieber, Nairobi Sheep Disease) und Kokzidiose berücksichtigt werden.
RNA-Viren
551
Der Verlauf einer PPRV-Infektion bei kleinen Wiederkäuern ähnelt dem der Rinderpest bei Rindern. Meist erkranken jüngere Tiere (3–12 Monate) schwerer. Nach einer
Inkubationszeit von 2–5 Tagen tritt plötzliches Fieber
auf, mit Mattigkeit, Konjunktivitis, serösem, später mukopurulentem Augen- und Nasenausfluss mit deutlicher
Krustenbildung im Nasenbereich (die bei der Rinderpest
so nicht gesehen wird), nekrotisierender Stomatitis und
Gingivitis und, 2–3 Tage nach dem Auftreten des Fiebers,
profusem, selten blutigem Durchfall. Neben der gastrointestinalen Symptomatik werden allerdings bei den kleinen Wiederkäuern regelmäßig auch Bronchopneumonien („Pneumoenteritis“) beobachtet. Schafe erkranken
in der Regel weniger schwer als Ziegen, bei denen auch
perakute Verläufe vorkommen können.
Pathomorphologisch bestimmen neben ausgedehnten nekrotisierenden Veränderungen am gesamten Gastrointestinaltrakt Bronchopneumonien das Krankheitsbild. Es zeigt sich weiterhin eine lymphoide Depletion
von Tonsillen, Milz, Peyer-Platten und Lymphknoten.
Entzündungen der Longitudinalfalten von Dickdarm und
Rektum („Zebrastreifen“) können auftreten. Gelegentlich
wird eine Myokarditis vorgefunden. Wie bei der Rinderpest fehlen in der Regel neurologische Veränderungen.
Histopathologisch finden sich Synzytien in der oralen
Mukosa und den Lungen sowie eosinophile, intranukleäre und intrazytoplasmatische Einschlusskörperchen im
Epithel des Respirations- und Verdauungstraktes.
Diagnose
Das ätiologisch-diagnostische Vorgehen entspricht dem
bei der Rinderpest beschriebenen. Die rasche Diagnosefindung erfordert in der Virämiephase den PPRV-Antigen- bzw. -RNA-Nachweis in der Leukozytenfraktion
(EDTA-Blutprobe). Die sichere Differenzierung der RPVund PPRV-Infektion kleiner Wiederkäuer erfolgt durch
serologische (Antigen-Capture- bzw. Kompetitions-ELISA) und molekularbiologische Verfahren (RT-PCR).
Am toten Tier kann der PPRV-Antigennachweis mittels IFT an Gefrierschnitten lymphatischer Organe oder
Die PPR ist anzeigepflichtig.
Zur Prophylaxe in PPR-Endemiegebieten steht ein
attenuierter homologer PPRV-Stamm zur Verfügung, der
die früher eingesetzte heterologe RPV-Vakzine ersetzt
hat. Durch Gefriertrocknung in Anwesenheit von Trehalose konnte eine deutliche Verbesserung der Thermostabilität erreicht werden. Vielversprechend sind auch Versuche mit einer PPRV-rekombinanten Capripoxvakzine,
die zusätzlich DIVA-Eigenschaften aufweist.
Hundestaupe
Synonyme: Carré-Krankheit; Canine Distemper (CD)
Das Hundestaupevirus ist ein hoch kontagiöser Erreger,
der zu einer multisystemischen Erkrankung (Respirations-, Gastrointestinaltrakt und ZNS) mit hoher Mortalität führen kann.
Ätiologie
Das Hundestaupevirus (Canine Distemper Virus, CDV)
gehört dem Genus Morbillivirus der Familie Paramyxoviridae an.
Epidemiologie
Das Virus ist weltweit verbreitet und hat ein außergewöhnlich breites Wirtsspektrum. Hierbei sind neben
anderen Kaniden (besonders dem Fuchs) Musteliden
(Marder, Frettchen) hierzulande epidemiologisch von
Bedeutung und können als Ansteckungsquelle für Hunde
dienen. Frettchen sind sehr empfänglich für die Infektion. Es wurde berichtet, dass brachyzephale Hunderassen weniger häufig erkranken als dolichozephale. Etwa
7 Tage nach der Infektion scheiden Hunde das Virus mit
allen Se- und Exkreten aus. Die Übertragung des labilen,
jedoch hoch kontagiösen Virus erfolgt vorwiegend aerogen und/oder durch Tröpfcheninfektion oder oral bei
direktem Kontakt mit infizierten Tieren, weniger häufig
auf indirektem Weg.
Pathogenese
Die Pathogenese ist am besten beim Hund untersucht.
Das Virus vermehrt sich zunächst im lymphatischen Ge-
ss RNA, negativ
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Bekämpfung
Klinik und Pathologie
27 RNA-Viren
webe (Rachenring, Lymphknoten, Tonsillen). Es gelangt
im Rahmen einer ersten Virämie in die lymphoretikulären Gewebe und Organe (wie Milz, Lymphknoten, Thymus, Lamina propria des Darmes, Kupffer-Sternzellen),
wo es sich stark vermehrt, was eine deutliche Leukopenie
(bes. Lymphopenie) zur Folge hat. Im Rahmen der zweiten Virämie, die stark zellgebunden ist, kommt es zur Besiedlung epithelialer Gewebe. Der weitere Verlauf hängt
entscheidend von der Immunantwort des Wirtes ab.
Hunde mit einer deutlichen und schnellen zellulären und
humoralen Immunantwort eliminieren das Virus, häufig ohne zu erkranken. Fehlt eine solche Immunantwort,
kommt es zu einer schweren, multisystemischen Erkrankung und die Hunde sterben nach kurzer Krankheit. Bei
partieller, unzureichender Immunantwort kommt es zu
einer weiteren Vermehrung des Virus mit eher milden
Symptomen. Das Virus kann im Laufe der Erkrankung aus
den meisten Organen eliminiert werden, tendiert aber
dazu, längere Zeit in bestimmten Geweben zu persistieren (wie Uvea, Ballen der Pfoten, ZNS).
Bei der Pathogenese der nervösen Staupe muss die
akute Form mit einer virusinduzierten multifokalen
Demyelinisierung, im Angesicht einer massiven Immunsuppression ohne entzündliche Zellinfiltration, von der
chronischen Form unterschieden werden. Bei dieser stehen aufgrund einer spät einsetzenden Immunantwort
und persistierender Virusinfektion immunpathologische
Reaktionen mit Demyelinisierung als Folge einer Dysregulation von pro- und antiinflammatorischen Prozessen
im Vordergrund.
Neben der „klassischen“ Leukoenzephalitis sind beim
Hund auch Polioenzephalitiden beschrieben, darunter
die sogenannte Old Dog Encephalitis (ODE), eine sehr
seltene chronische, progressiv-inflammatorische Erkrankung, wobei das Virus in einer replikationsdefekten Form
persistiert sowie die Inclusion Body Encephalitis, eine
der ODE ähnliche Form.
Klinik und Pathologie
Der Verlauf ist abhängig vom Alter des betroffenen Tieres, seinem Immunstatus sowie der Virulenz des jeweiligen Virusstammes. Bei einem großen Teil der Hunde
wird die Infektion subklinisch verlaufen oder nur mit
milden Symptomen einhergehen (Fieber, Husten, Augenausfluss). Die Inkubationszeit beträgt 3–6 Tage. Es
erkranken vor allem junge Hunde im Alter von etwa
3–6 Monaten nach Schwinden der passiven, maternal
erworbenen Immunität. Es lässt sich eine katarrhalische,
nervöse und systemische Form unterscheiden. Die katarrhalische Form ist gekennzeichnet durch Affektionen des
Respirations- und/oder Verdauungstraktes und äußert
sich in Rhinitis, Konjunktivitis, Husten, Pneumonie sowie
gegebenenfalls Erbrechen, Tonsillitis und Enteritis. Aufgrund einer immunsupprimierenden Wirkung des Virus
(Leukopenie, besonders Lymphopenie) sind bakterielle
Sekundärinfektionen, z. B. mit Bordetella bronchiseptica,
häufig. Histologisch zeigt sich eine hochgradige katarrhalisch-eitrige Entzündung, mit Verlust der Epithelauskleidung (Trachea, Bronchien). In vielen epithelialen Geweben können intrazytoplasmatische Einschlusskörperchen
gefunden werden. Neben der Konjunktivitis und eventuell Uveitis sind bei Fundusuntersuchungen Läsionen der
Retina („Gold Medallion Lesions“) zu beobachten.
Neurologische Symptome können ohne oder vergesellschaftet mit der katarrhalischen Form auftreten
(im letzteren Falle spricht man von einer systemischen
Form), aber auch Wochen bis Monate später. Sie sind äußerst vielfältig. Beobachtet werden unter anderem Anfallsleiden, die generalisiert oder fokal (z. B. im Kopfbereich) auftreten, gestörte Propriozeption, Tremor, Ataxie,
Nystagmus, Schädigung des N. opticus und Myoklonus.
Überlebende Tiere weisen häufig bleibende zentralnervöse Spätschäden auf („Staupe-Tick“). Histologisch zeigt
sich bei der chronischen Form eine Entmarkungsenzephalitis, überwiegend im Kleinhirnmark und Stammhirn.
Die Old Dog Encephalitis, eine sehr selten bei Hunden
über 6 Jahre beobachtete CDV-assoziierte Erkrankung, ist
gekennzeichnet durch einen progredienten Verlust mentaler und motorischer Fähigkeiten; ein Zusammenhang
mit einer akuten Staupeinfektion ist meist nicht mehr
nachweisbar.
Daneben kann als Hautmanifestation eine pustulöse
Dermatitis („Staupeexanthem“, „Staupepusteln“) auftreten, die als Ausdruck einer zellulären Immunität zu
werten sind. Die Hyperkeratose der Fußballen und des
Nasenspiegels (Hard Pad Disease) hingegen, die selten
beobachtet wird, geht mit einer ungünstigen Prognose
einher. Erkranken Welpen zum Zeitpunkt des Zahnwechsels, können Zahnschmelzhypoplasien mit Braunfärbung
die Folge sein („Staupegebiss“). Bei der Infektion junger
Hunde ist auch eine Osteosklerose der Metaphysen langer Röhrenknochen beschrieben worden.
Frettchen zeigen nach experimenteller Infektion eine
systemische Erkrankung mit respiratorischen, dermatologischen und neurologischen Symptomen, vergesellschaftet mit einer sehr hohen Mortalität. Nach natürlicher
Infektion wurde auch ein generalisierter Pruritus (bei
Fehlen einer neurologischer Symptomatik) beobachtet.
Diagnose und Differenzialdiagnosen
Eine Virusisolierung aus Leukozyten des peripheren Blutes kann versucht werden, ist jedoch arbeits- und zeitaufwendig sowie unsicher. Schneller gelingt der CDVAntigennachweis in Konjunktiva- oder Tonsillarepithel,
wobei ein negatives Ergebnis eine CDV-Infektion nicht
ausschließt. Sicherer ist der Virus-RNA-Nachweis mittels
RT-PCR in der Buffy-Coat-Fraktion einer gerinnungsgehemmten Blutprobe.
Bei ausschließlich neurologischer Symptomatik kann
der Nachweis intrathekaler CDV-spezifischer Antikörper
im blutfrei entnommenen Liquor cerebrospinalis sinnvoll
sein. Der Nachweis von CDV-spezifischen IgM- oder IgG-
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552
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
Bekämpfung und Prophylaxe
Therapieversuche sind weitgehend symptomatisch
(Breitbandantibiotika, Expektoranzien, Antiemetika, Antikonvulsiva etc.), wobei insbesondere zentralnervöse
Erkrankungen schwierig zu behandeln sind.
Eine passive Immunisierung kann durch parenterale
Applikation eines Hyperimmunserums bzw. eines entsprechenden Globulinpräparates erfolgen. Angezeigt ist
sie bei akuter Infektionsgefahr (Ausstellungen, Tierpensionen, Tierheime u. a.) oder in der frühen (!) Inkuba­
tionsphase.
Für die aktive Immunisierung stehen attenuierte
Lebendimpfstoffe, als Komponente von Kombinationsimpfstoffen, zur Verfügung. Es handelt sich um eine
Core-Vakzine. Die Impfstoffe basieren auf dem Onderstepoort- (primär auf aviären, später auf Verozellen
passagiert) sowie dem Rockborn-Stamm (an Hundezellen adaptiert). Vergleichbar dem Impfschema gegen die
Parvovirusinfektion erfolgt im Alter von 8 Lebenswochen
eine erste, mit 12 und 16 Lebenswochen jeweils eine
weitere Immunisierung. Nach einer Impfung im Alter von
15 Monaten ist die Grundimmunsierung abgeschlossen.
Ab dem 2. Lebensjahr können weitere Impfungen in bis
zu dreijährigem Abstand erfolgen. Für Frettchen und Nerze sind zugelassene Vakzinen zu verwenden. Sie sollten,
ab einem Alter von 10 Wochen, einmal jährlich appliziert
werden.
Da das Staupevirus behüllt und labil ist, kann die Desinfektion problemlos mit allen handelsüblichen Mitteln
erfolgen (s. Desinfektionsmittellisten der DVG, Bereich
Tierhaltung). Erhöhte Temperaturen und Sonnenstrahlen inaktivieren das Virus in wenigen Stunden. Erkrankte
Tiere müssen unbedingt von anderen Hunden abgesondert werden, da sie große Mengen Virus ausscheiden.
Morbillivirusinfektionen bei marinen Säugern
Seit der ersten Epidemie 1988 bei Robben in der Ost- und
Nordsee mit etwa 17 000 Todesfällen („Seehundsterben“)
und der Charakterisierung des Virus ist bekannt, dass
Morbilliviren auch bei Meeressäugern vorkommen können. Das Seehundvirus, Phocine Distemper Virus (PDV,
Seehundstaupevirus), ist mit dem Hundestaupevirus
verwandt, jedoch eigenständig. In der Folgezeit wurden
Morbilliviren auch bei verschiedenen Walarten nachgewiesen.
Seehunde (Phoca vitulina) können sich neben dem
PDV auch mit dem Hundestaupevirus (CDV) infizieren,
wobei hier ebenfalls epidemieartige Ausmaße erreicht
werden können, wie Ausbrüche im Baikalsee und dem
Kaspischen Meer gezeigt haben. PDV-Infektionen wurden auch bei der Kegelrobbe beschrieben (Halichoerus
grypus), sie verlaufen jedoch milder oder subklinisch.
Seehunde infizieren sich mit dem PDV vor allem bei engem Kontakt, also vermutlich besonders an Land, z. B. auf
Sandbänken (Tröpfcheninfektion). Die Symptome sind
ähnlich wie bei der Hundestaupe und umfassen Augenund Nasenausfluss, Husten, Dyspnoe, vereinzelt subkutane Emphyseme. Es sind auch zentralnervöse Symptome
beschrieben. Sekundäre Infektionen mit Bakterien (Pneumonie) und Parasiten sind häufig. Histologisch zeigt sich
eine lymphozytäre Depletion. Die Mortalität liegt vermutlich zwischen 20 und 80 %.
Im Jahre 2002 kam es zu einer zweiten PDV-Epidemie
in europäischen Gewässern mit geschätzten 21 000 Todesfällen. Beide Epidemien begannen in der dänischen
Kattegat-Region während der Geburtensaison (April/
Mai). Die Quelle des Eintrags ist unklar. Eine Hypothese
besagt, dass Sattelrobben (Phoca groenlandica) aus dem
Nordpolarmeer das Virus eingeschleppt haben könnten.
Morbilliviren wurden auch bei Mitgliedern der Wale
(Cetacea) nachgewiesen. 1990–1992 starben im Mittelmeer, ausgehend von der spanischen Küste, Tausende
von Blauweißen Delfinen (Stenella couruleoalba) an einer
Virusinfektion. Der Erreger wurde als Dolphin Morbillivirus (DMV) bezeichnet. 2007 kam es, wieder vor der
spanischen Küste, zu einem erneuten Ausbruch. Ähnlich
der Situation beim Seehund stehen Lungenveränderungen und lymphoide Depletion, häufig auch Enzephalitiden im Vordergrund des klinischen und pathologischen
Bildes. Morbillivirusinfektionen sind auch bei anderen
Delfinarten, z. B. dem Großen Tümmler, beschrieben. Der
Erreger wird hier als Porpoise Morbillivirus (oder Porpoise Distemper Virus) bezeichnet. Aufgrund ihrer engen
Verwandtschaft werden die Delfinviren gegenwärtig als
Stämme der Spezies Cetacean Morbillivirus (CeMV) angesehen. Ein weiteres Morbillivirus wurde bei gestrandeten Langflossen-Grindwalen (Pilotwal, Globicephala melas) nachgewiesen, die ebenfalls zu den Delfinen zählen,
und der Erreger vorläufig als Pilot Whale Morbillivirus
(PWMV) bezeichnet. Die markantesten pathologischen
Veränderungen waren im ZNS und dem lymphatischen
System zu beobachten. Phylogenetisch steht das PWMV
dem DMV am nächsten, eine Interspezies-Übertragung
wird diskutiert.
ss RNA, negativ
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Antikörpern im Serum ist nur sinnvoll, wenn Impfungen
anamnestisch sicher ausgeschlossen werden können.
Verlaufskontrollen der Kinetik CDV-neutralisierender
Antikörper können allerdings prognostisch interpretiert
werden, wobei ein innerhalb der ersten 14 Tage post infectionem rasch ansteigender Titer auf Werte > 100 (ND50)
als günstig bewertet wird.
Post mortem kann der Virusantigennachweis mittels Immunfluoreszenztest oder immunhistochemisch in
lymphatischen Geweben, in der Lunge, im ZNS oder im
Übergangsepithel der Harnblase geführt werden.
Differenzialdiagnosen sind abhängig von der vorherrschenden Symptomatik und umfassen die infektiöse Tracheobronchitis, bakterielle Pneumonien, Hepatitis
contagiosa canis, kanine Parvovirus- und kanine Coronavirusinfektion, bakterielle Enteritis, hepatische Enzephalopathie, Tollwut, Vergiftungen etc.
RNA-Viren
553
27 RNA-Viren
554
!!Beachte: Anzeigepflicht (Hendra- und Nipahvirus)
Das Genus Henipavirus enthält zwei eng verwandte Spezies, Hendravirus und Nipahvirus. Sie sind strukturell
gekennzeichnet durch ein großes Genom, epidemiologisch durch ein relativ breites Wirtsspektrum sowie ein
beträchtliches zoonotisches Potenzial, wobei der Mensch
als Endwirt gilt. Als Reservoir für beide Virusarten werden fruchtfressende Fledermäuse (Pteropus-Spezies,
Flughunde, Flying Foxes) angesehen.
Hendravirus (HeV) wurde erstmals 1994 als Todesursache bei Pferden mit schweren akuten respiratorischen Erscheinungen in Australien beschrieben. Hierbei
erkrankten auch zwei Menschen, von denen einer starb.
Das bisher unbekannte Virus wurde zunächst als Equine Morbillivirus bezeichnet. Im gleichen Jahr kam es zu
einem weiteren Todesfall bei einem Trainer im Verlauf
eines Krankheitssausbruchs bei Pferden. Bis 2009 sind
weitere Todesfälle bei Pferden und zwei tödliche Erkrankungen bei zwei Tierärzten (2008) in Queensland und
New South Wales aufgetreten. Das Virus konnte bei einheimischen Fruchtfledermäusen (Pteropus species) nachgewiesen werden. Katzen und Meerschweinchen können
experimentell infiziert werden.
Nipahvirus (NiV) wurde erstmals bei Menschen mit
Enzephalitis während einer Epidemie 1998–1999 in Malaysia beschrieben. In diesen Fällen konnte ein Kontakt zu
Schweinen (Amplifying Hosts) nachgewiesen werden, bei
denen sich deutliche respiratorische Symptome, Husten
und gelegentlich neurologische Symptome zeigten. Empfänglich sind jedoch auch Hunde, Katzen, Meerschweinchen und Pferde. Als Reservoir gelten auch hier PteropusFledermäuse. Experimentelle Infektionen mit NiV bei
Fledermäusen führten zu keiner Erkrankung; Virus wurde über den Urin ausgeschieden. Das Virus konnte 2001–
2008 bei sieben Ausbrüchen in Bangladesch bei Menschen mit Enzephalitis nachgewiesen werden. Hier gab
es, neben Kontakt mit landwirtschaftlichen Nutztieren,
auch Evidenz für eine direkte Mensch-zu-Mensch- sowie
Fledermaus-Mensch-Übertragung. Antikörper gegen NiV
fanden sich auch bei Fledermäusen in Nordindien.
Das Arbeiten mit Henipaviren ist nur bei einem Biosafety Level 4 (BSL4) möglich. Die Viren können in verschiedenen Zellkulturen (z. B. Vero- oder RK13-Zellen)
angezüchtet werden. Auch PCR-Protokolle existieren. Für
den Antikörpernachweis werden der VNT und ELISA eingesetzt.
Genus Avulavirus
(Unterfamilie Paramyxovirinae)
Newcastle-Krankheit
Synonyme: atypische Geflügelpest, Newcastle Disease
!!Beachte: Anzeigepflicht
Die Newcastle-Krankheit (NK) ist eine global verbreitete,
hoch kontagiöse, generalisierte Erkrankung besonders
der Hühnervögel von größter ökonomischer Bedeutung,
die der Anzeigepflicht unterliegt. Es besteht eine enorme
Variation in der Ausprägung der Erkrankung. Der Erreger
hat ein geringes zoonotisches Potenzial (Konjunktivitis,
Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen).
Ätiologie
Alle Stämme der NK gehören dem Genus Avulavirus, Spezies aviäres Paramyxovirus 1 (APMV-1) an, gelegentlich
auch als NDV (Newcastle Disease Virus) bezeichnet. Es
wurde lange angenommen, dass alle Stämme einheitlich
sind. Jedoch konnte, zunächst mit monoklonalen Antikörpern, später dann aufgrund detaillierter phylogenetischer Studien, eine beträchtliche Variation innerhalb von
APMV-1-Stämmen und -Isolaten nachgewiesen werden.
Das APMV-1 hat, vermittelt durch das HN-Oberflächenprotein, eine hämagglutinierende Aktivität mit verschiedenen Erythrozytenspezies, gleichzeitig auch eine Neuraminidasefunktion, was beim Hämagglutinationstest zu
beachten ist.
APMV-1-Stämme weisen, basierend auf der Infektion
von Hühnern unter Laborbedingungen, deutliche Unterschiede der Virulenz auf und werden so aufsteigend in
apathogene, lentogene, mesogene und velogene Pathotypen eingruppiert; Letztere werden manchmal noch
weiter in viszerotrop-velogene und neurotrop-velogene
APMV-1 unterteilt. Nur die velogenen Stämme sind von
Bedeutung, wenn man von der atypischen Geflügelpest
oder der Newcastle-Krankheit im engeren Sinne spricht.
Seit Ende der 1970er-Jahre hat sich bei Tauben eine
APMV-1-Variante entwickelt, die auch als Pigeon Paramyxovirus Type 1 (PPMV-1) bezeichnet wird.
In der humanen Krebstherapie hat das NDV aufgrund
der Tatsache, dass es sich in bestimmten menschlichen
Krebszellen bevorzugt vermehrt, Interesse gefunden und
wurde bereits in klinischen Studien eingesetzt (onkolytische Virustherapie).
Epidemiologie
Über 250 Spezies von Vögeln gelten nach natürlicher oder
experimenteller Infektion als empfänglich für das APMV1. Hierzu zählen besonders Hühnervögel, wie Haushuhn
und Pute, während Tauben, Enten und Gänse weniger
deutlich erkranken. Das Virus dürfte weltweit verbreitet
sein, da jedoch in vielen Ländern Impfungen erfolgen, ist
eine genaue Abschätzung schwierig.
Für eine Einschleppung sind inapparent infizierte
Tiere oder Tiere, die sich am Ende der Inkubationszeit
befinden, aber schon Virus ausscheiden, von besonderer
Gefahr. Für die Verbreitung ist die horizontale Übertragung am wichtigsten. Hier zeigt sich eine Abhängigkeit
von dem Organsystem, in dem sich das NDV bevorzugt
vermehrt. Bei einer respiratorischen Symptomatik wird
der Erreger über Tröpfchen und Aerosole ausgeschieden
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Genus Henipavirus
(Unterfamilie Paramyxovirinae)
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
555
Pathogenese
APMV-1-Viren besitzen ein breites Spektrum aviärer
Wirte und Gewebe. Eintrittspforten sind die Epithelien
des Respirations- und Digestionstraktes. In Abhängigkeit
von der Virulenz des Virus entwickeln sich lokale oder
unterschiedlich schwer verlaufende systemische Infektionen („atypische Geflügelpest“). Bei Letzteren ist das
Virus nach 1–2 Tagen im Blut nachweisbar. Es vermehrt
sich in Milz und RHS und gelangt in einer zweiten Virämiephase zu den Manifestationsorganen, wie oberer Atmungstrakt, Darm und ZNS.
rus vermehrt sich im Gastrointestinaltrakt.
Bei Puten ist die Symptomatik prinzipiell ähnlich,
aber mit abgeschwächten Krankheitserscheinungen. Bei
Gänsen und Enten sind inapparente Verlaufsformen, jedoch mit deutlicher Erregerausscheidung, möglich. Bei
Tauben stehen bei der Infektion mit dem PPMV-1 wässrige Harnausscheidungen und zentralnervöse Störungen
im Vordergrund. Das mesogene Virus kann auch bei Hühnern ähnliche Symptome auslösen.
Pathologisch-anatomisch hängen die Läsionen vor
allem von der Verlaufsform ab. Es gibt keine pathognomonischen Veränderungen, jedoch sind Blutungen, besonders in der Mukosa des Proventriculus, in Dünn- und
Dickdarm und den Blinddärmen ein Hinweis auf eine Infektion mit einem hoch virulenten Virus. Es können auch
diphteroide Entzündungen im Ösophagus und Kropf auftreten. In aller Regel sind am ZNS keine makroskopischen
Veränderungen zu beobachten. Histologisch zeigen sich
bei einer Infektion mit einem virulenten Erreger unter anderem Entzündungen und Ödeme in der Mukosa
des oberen Respirationstraktes, Zilienverlust der Trachealschleimhaut, lymphoide Depletion (Milz, Thymus,
Lymphknoten, Bursa Fabricii), Vaskulitis, Entzündungen
im Reproduktionstrakt mit Atresie von Follikeln sowie
gelegentlich eine nicht eitrige Enzephalitis mit neuronaler Degeneration.
Klinik und Pathologie
Der klinische Verlauf ist sehr variabel und hängt vor allem vom Pathotyp des Virus, aber auch von der Virusdosis und Applikationsart, der betroffenen Tierspezies
(Hühner sind besonders empfänglich), dem Alter (generell erkranken junge Tiere schwerer), dem Immunstatus,
Stressfaktoren sowie der Mitbeteiligung anderer Erreger
ab.
Bei Hühnern nimmt eine Infektion mit einem hoch
virulenten, velogenen AMPV einen (per)akuten Verlauf.
Charakteristisch ist eine rasche Herdendurchseuchung,
nicht selten mit plötzlichen Todesfällen, sowie rapider
Legeleistungsabfall, häufig mit dünnschaligen bis schalenlosen Eiern sowie wässrigem Eiklar und eine hohe
Mortalität (> 90 %). Bei etwas protrahierterem Verlauf
zeigen sich Abgeschlagenheit, Fieber, gesträubtes Gefieder, bläulich verfärbte Kämme, grünlich-wässriger
Durchfall, Ödeme und Entzündungen im Kopfbereich.
Dyspnoe sowie – meist etwas verzögert – zentralnervöse Symptome (Lähmungen, Tremor, Opisthotonus, Torticollis). Mesogene Erreger verursachen meist deutliche
respiratorische Symptome. Es können nervöse Störungen
wie Torticollis oder Ataxie und Produktion von Eiern
minderer Qualität vorkommen. Die Mortalität beträgt
5–50 % und ist besonders vom Alter abhängig. Lentogene Virusinfektionen sind häufig symptomlos oder nur
mit milden respiratorischen Erscheinungen, gelegentlich
vorübergehender Abnahme der Legeleistung und Futteraufnahme, vergesellschaftet. Bei der asymptomatischen
Diagnose
Bei Verdacht ist ein Erregernachweis erforderlich. Am
lebenden Tier ist hierzu eine Tupferprobe aus Pharynx
und Kloake durchzuführen. Vom toten Tier sind Darm
und Trachea sowie Organe mit offensichtlichen Veränderungen zu entnehmen. Die Virusisolierung ist im embryonierten SPF-Hühnerei durchzuführen: Das Virus wird
nach positivem Hämagglutinationstest nachfolgend mithilfe des HAH-Testes serotypisiert.
Der Nachweis der Virulenz eines nachgewiesenen
AMPV-1 erfolgt anschließend mittels Tierversuch, insbesondere über die Bestimmung des intrazerebralen Pathogenitätsindexes (ICPI), wobei tierseuchenrechtlich NK
dann vorliegt, wenn bei Eintagsküken ein intrazerebraler
Pathogenitätsindex von > 0,7 festgestellt wird. Alternativ
kann eine Sequenzierung des Genbereiches für die Spaltstelle des F0-Proteins in das F1- und F2-Protein erfolgen.
Velogene Stämme besitzen multiple basische Aminosäuren am C-Terminus des F2- und ein Phenylalanin am
N-Terminus des F1-Proteins. Diese Situation erinnert an
die Virulenzdeterminanten von Influenzaviren, im Zusammenhang mit der Spaltung des HA-Vorläuferproteins. Das nationale Referenzzentrum für NK in Deutschland ist das Friedrich-Loeffler-Institut, Insel Riems.
Antikörper können mittels HAH-Test und kommerziell erhältlicher ELISA-Testkits nachgewiesen werden.
Dies ist sinnvoll für Monitoring-Untersuchungen sowie
als Erfolgskontrolle nach Impfungen.
RNA-Viren
Form zeigen sich keine klinischen Erscheinungen, das Vi-
ss RNA, negativ
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
und direkt von empfänglichen Tieren durch Inhalation
aufgenommen. Hier zeigt sich oft eine rasante Ausbreitung. Wird das Virus bevorzugt über den Darm ausgeschieden, wie z. B. bei avirulenten Erregern oder der
Taubenvirusvariante, kann die Verbreitung verzögert
verlaufen. Hierbei dürfte auch der indirekten Verbreitung eine höhere Bedeutung zukommen (Geräte, Futter,
Einstreu etc.). Beschrieben ist auch eine transovarielle Virusübertragung, bei der das AMPV-1 über kontaminierte
Eier zum Schlupf infizierter Küken führt.
Das Virus ist zwar behüllt, doch kann seine Tenazität
in gestorbenen Tieren, in Fäzes und bei feuchter Umgebung beträchtlich sein, besonders bei kühlen Temperaturen.
27 RNA-Viren
Differenzialdiagnostisch kommen alle Erkrankungen
mit Beteiligung des Respirationstraktes und/oder zentralnervöser Symptomatik in Betracht. Die wichtigste Bedeutung hat dabei die klassische Geflügelpest, daneben
sind die infektiöse Laryngotracheitis, die aviäre Enzephalomyelitis und Kokzidiosen zu berücksichtigen.
Verhütung und Bekämpfung
Die NK ist nach Tierseuchengesetz und in allen EU-Mitgliedstaaten anzeige- und bekämpfungspflichtig. Für die
Prophylaxe haben Schutzimpfungen – neben einer strikten Betriebshygiene – eine herausragende Bedeutung.
Für alle (!) Hühner- und Putenbestände sind regelmäßige
Impfungen vorgeschrieben, derart, dass jederzeit ein belastbarer Impfschutz vorliegt. Hierbei kommen schwach
virulente, lentogene APMV-1-Stämme (z. B. La Sota,
Hitchner B1, Ulster) zum Einsatz, die über Trinkwasser,
mittels Sprayverfahren oder Augentropfmethode appliziert werden können. Auch inaktivierte Vakzinen sind
erhältlich.
Für Tauben existieren zugelassene Impfstoffe.
Infektionen mit dem aviären Paramyxovirus
Typ 2 und Typ 3
Synonyme: Yucaipa Disease
Das aviäre Paramyxovirus Typ 2 (APMV-2) hat mit einer
Größe von 14 904 Basen das kleinste Genom innerhalb
der Subfamilie Paramyxovirinae. Phylogenetisch steht es
dem APMV-6 nahe.
Eine Infektion mit dem PMV-2 kann zu milden Erkrankungen, besonders bei Huhn und Pute, führen. Das
Virus kann auch bei einheimischen Vogelarten, insbesondere Sperlingen, nachgewiesen werden und wird nicht
selten bei importierten Papageienvögeln vorgefunden.
Unkomplizierte Verläufe bei Huhn und Pute gehen mit
milden respiratorischen Erscheinungen und reduzierter
Legeleistung einher, können aber durch Sekundärinfektionen kompliziert werden. Eine Diagnose erfolgt über den
Erregernachweis und die Serologie (HAH-Test). Die Therapie erfolgt symptomatisch. Als Prophylaxe sind hygienische Maßnahmen zur Verhütung der Erregereinschleppung von Bedeutung. Ein Impfstoff ist nicht verfügbar.
Aviäres Paramyxovirus Typ 3 (APMV-3) wurde bei Puten in verschiedenen Ländern nachgewiesen. Sie konnten
auch bei Psittaciden in Quarantäne diagnostiziert werden. Sperlingsvögel sind ebenfalls empfänglich. Es gibt
Hinweise auf antigen unterschiedliche Stämme.
Lance-Virus, FDLV, bezeichnet) isoliert werden konnte.
Eine spätere Analyse des Genoms des FDLV zeigte zwischen dem N- und P-Gen einen neuartigen, als U-Gen bezeichneten Genomabschnitt. Phylogenetische Analysen
ließen keine eindeutige Zuordnung zu bekannten Genera
zu; daher ist das Virus taxonomisch noch nicht klassifiziert. Vorgeschlagen wurde ein eigenes Genus Ferlavirus.
Die Symptome der Erkrankung sind abhängig vom
Virusstamm und der betroffenen Wirtsspezies. Möglich
sind sowohl ein perakuter wie auch ein protrahierter Verlauf. Es zeigen sich respiratorische Symptome mit offenem
Maul, erschwerter Atmung, ein Aufblähen im Kehlbereich
und Würgen mit blutig-eitrigem Exsudat in der Maulhöhle. Häufig sind auch ZNS-Störungen, wie Krämpfe, Opisthotonus, Koordinations- und Orientierungsschwierigkeiten, zu beobachten. Sekundäre bakterielle Infektionen
scheinen nicht selten zu sein. Pathologisch-anatomisch
typisch sind proliferative Pneumonie (Typ-II-Pneumozyten), Enzephalitis, Lebernekrose und eine Hyperplasie
des Pankreas. Offenbar können jedoch auch inapparente
Verlaufsformen vorkommen. Die Übertragung geschieht
vermutlich aerogen, das Virus wird jedoch auch mit dem
Kot ausgeschieden. Die Diagnose kann beim lebenden
Tier mithilfe eines Rachen- oder Kloakentupfers gesichert
werden. Die Virusanzucht kann auf verschiedenen Zelllinien bei 28–30 °C erfolgen, alternativ ist eine RT-PCR
möglich. Bei toten Tieren eignen sich Lunge, Niere, Darm
und Leber zum Erregernachweis, beispielsweise mit dem
Immunperoxidase-Test. Für serologische Untersuchungen, z. B. bei Schlangen mit unbekanntem Infektionsstatus, ist ein Hämagglutinationshemmungstest beschrieben. Die Möglichkeit einer Impfung existiert nicht.
Auch bei Echsen und Leguanen wurden Paramyxoviren nachgewiesen. Bei Krokodiltejus (Dracaena guianensis) wurde eine proliferative interstitielle Pneumonie
beschrieben, und mittels eines OMPV-Antiserums wurde
virales Antigen in der Lunge nachgewiesen.
Genus Pneumovirus
(Unterfamilie Pneumovirinae)
Infektion mit dem bovinen respiratorischen
Synzytialvirus (BRSV)
Das BRSV ist der vermutlich wichtigste Erreger des
Enzootische-Bronchopneumonie(EBP)-Komplexes
des
Rindes, einer Faktorenkrankheit, die neben Durchfallerkrankungen die größten Verluste in der Kälberaufzucht
verursacht.
Paramyxovirusinfektionen bei Reptilien
Ätiologie
Paramyxoviren der Schlangen (Ophidian Paramyxoviruses, oPMV) verursachen bei Vipern, aber auch Riesenschlangen, Nattern und Klapperschlangen Erkrankungen.
Die Erstbeschreibung einer Paramyxovirusinfektion erfolgte 1976, als in dem Serpentarium eines Pharmaunternehmens das Virus aus einer verstorbenen Lanzenotter
(Bothrops atrox, Fer-de-Lance, daher auch als Fer-de-
Das BRSV gehört der Ordnung Mononegavirales, Familie
Paramyxoviridae, Subfamilie Pneumovirinae, Genus Pneumovirus an. Es gibt antigen und genetisch unterschiedliche Stämme (Untergruppen A, B, AB sowie untypisiert)
und möglicherweise auch solche mit unterschiedlicher
Virulenz. Es bestehen deutliche Parallelen zur Infektion
des Menschen mit dem Respiratory syncytial Virus (RSV).
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556
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
BRSV ist weltweit verbreitet. Die serologische Prävalenz
beträgt innerhalb der deutschen Rinderpopulation etwa
60–80 %. Hauptvirusreservoir ist das Rind, jedoch können
auch Schaf und Ziege mit BRSV infiziert werden, wobei
die epidemiologische Bedeutung ungeklärt ist.
Die Infektion wird im Bestand schnell verbreitet. Die
Übertragung erfolgt vermutlich mit der Atemluft über
Aerosole und Tröpfchen aus dem Respirationstrakt infizierter Rinder. Ausbrüche sind eher zu erwarten bei einer
hohen Rinderdichte, besonders jüngerer Tiere. Umweltund Hygieneeinflüsse, wie Temperatur und Ventilation,
sind von großer Bedeutung. In der kalten Jahreszeit sind
daher vermehrt Erkrankungen zu erwarten.
Pathogenese
Nach aerogener Aufnahme durch Tröpfcheninfektion bei
empfänglichen Rindern kommt es nach primärer Virusvermehrung zur lymphohämatogenen und kanalikulären
Ausbreitung bis in die Lungenalveolen. Die Folge sind
gewöhnlich nur leichte Broncheolitis und interstitielle
Pneumonie. Bei experimentell infizierten Kälbern verursacht das Virus 8–10 Tage nach der Infektion einen vollständigen Verlust des Flimmerepithels der Atemwege, sodass die mukoziliäre Clearance beeinträchtigt ist. Zudem
können Alveolarmakrophagen geschädigt werden. BRSV
spielt eine Rolle als „Wegbereiter“ für bakterielle Infektionen. Bei schweren Verlaufsformen finden sich Komplementaktivierung, erhöhte Konzentration vasoaktiver
Substanzen, Ödeme, Emphysem der Lunge (bes. kaudodorsal), Eosinophilie, BRSV-spezifisches IgE im Serum,
Th2-Zytokinprofil (erhöhte IL-4-Konzentrationen) etc.
Immunsubversive und immunpathologische Prozesse
scheinen daher bei der Pathogenese eine wichtige Rolle zu spielen. Die Infektion der epithelialen Zellen der
Luftwege sowie der Alveolarmakrophagen führt zu einer ausgeprägten Induktion proinflammatorischer Chemokine und Zytokine (wie IL-12, IFN-γ, IL-6, IL-8, IL-18,
TNF-α). Eventuell spielen hierbei die Interaktion des viralen F-Proteins mit dem Toll-like Receptor 4 (TLR4) und
die Interaktion von doppelsträngiger RNA mit TLR3 eine
Rolle. Diese führen zur Aktivierung von NFkB, das die Expression proinflammatorischer Zytokine induziert. Komponenten der angeborenen Immunantwort wie IFN-α/β
werden durch die Wirkung der viralen NS1- und NS2Proteine gehemmt. Beim humanen RSV konnte gezeigt
werden, dass diese Proteine auch die Reifung von dendritischen Zellen inhibieren können und damit zu einer
verminderten Antigenpräsentation und T-LymphozytenAktivierung führen.
Das F-Protein scheint noch weiter in die Pathogenese
involviert zu sein. Bei der für die Infektion essenziellen
Spaltung des F0-Vorläuferproteins in die beiden F1- und
F2-Untereinheiten durch eine Furin-Endoprotease wird
ein kleines Peptid von 27 Aminosäuren Größe freigesetzt.
Dieses pep27 wird in infizierten Zellen in ein Virokinin
konvertiert. Virokinine gehören zur Tachykinin-Familie
und können die Kontraktion glatter Muskulatur induzieren und so zur Bronchokonstriktion beitragen. Es wird
auch eine Rolle des Peptides bei der Rekrutierung von eosinophilen Granulozyten diskutiert. Da die Produkte dieser Zellen die respiratorische Mukosa schädigen und eine
Ziliostase erzeugen können, könnte dies die Replikation
des BRSV fördern. Weiterhin wurde dem F-Protein eine
hemmende Wirkung auf die Proliferation von Lymphozyten zugeschrieben. Auch das G-Protein scheint in die
Pathogenese, besonders im unteren Respirationstrakt,
involviert zu sein. Es wird vermutet, dass eine sezernierte Form des G-Proteins mit Surfactant-Molekülen um die
Bindung an Virionen kompetitiert und somit die Aufnahme und Inaktivierung der Partikel durch Alveolarmakrophagen reduziert. Vielleicht kann dieses lösliche Protein
auch wie ein „Köder“ neutralisierende Antikörper binden
und somit deren Interaktion mit infektiösen Viruspartikeln verhindern.
Die Infektion mit dem BRSV führt daher zu einer nur
wenig ausgeprägten Immunität, sodass nach der Genesung innerhalb kurzer Zeit wieder Reinfektionen möglich
sind, die jedoch häufig ohne oder nur mit milder Erkrankung verlaufen.
Klinik und Pathologie
Häufig ist ein subklinischer Verlauf. In Abhängigkeit von
Alter, Haltung, Hygiene, Sekundärinfektionen etc. kann es
jedoch zur Erkrankung kommen. Die deutlichsten Symptome treten dabei im Alter von ca. 1–5 Monaten auf,
Krankheitssymptome können jedoch mitunter auch bei
adulten Tieren beobachtet werden. Nach einer Inkubationszeit von 2–5 Tagen sind als frühe Zeichen (akuter
Verlauf) Fieber, Inappetenz, Depression, seromuköser
Nasen- und Augenausfluss, Tachypnoe und Husten zu
beobachten. Hierauf tritt die Rekonvaleszenz ein oder es
kommt, gelegentlich nach einer Phase der scheinbaren
Besserung, zu schweren Verlaufsformen (Hypersensitivitätsreaktionen) mit exspiratorischer Dyspnoe, Maulatmung mit starkem, nicht produktivem Husten, Speicheln
und gelegentlich dem Auftreten eines subkutanen Emphysems.
Bakterielle Sekundärinfektionen, besonders mit
Mannheimia haemolytica sowie Pasteurella multocida,
können zu ausgeprägten Bronchopneumonien führen.
Im Allgemeinen ist die Morbidität hoch (60–80 %) und
die Mortalität variiert von 1–30 %.
Pathologisch zeigt sich eine interstitielle Pneumonie.
Die ventralen Bezirke der Lunge sind konsolidiert, während sich kaudodorsal oft ein interlobuläres und lobäres,
subpleurales Emphysem (z. T. mit Bullae) zeigt. Bei bakterieller Sekundärinfektion findet sich eine (fibrinös-)eitrige Bronchopneumonie.
Mikroskopisch zeigen sich eine proliferative und
exsudative Bronchiolitis, alveolärer Kollaps und peribronchiale Infiltration mononukleärer Zellen. Ein cha-
ss RNA, negativ
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Epidemiologie
RNA-Viren
557
27 RNA-Viren
558
Diagnose
Am lebenden Tier kann aus Nasentupferproben in der
frühen (!) Krankheitsphase die kulturelle Isolierung
von BRSV in bovinen und ovinen Zellkulturen versucht
werden. Charakteristisch sind Synzytienbildung und
zytoplasmatische Einschlusskörperchen. Infizierte Zellkulturen können spezifisch mittels IFT erkannt werden.
Die kulturelle Virusisolierung ist jedoch schwierig und
zeitaufwendig. Routinemäßig kann der direkte Infektionsnachweis durch einen fluoreszenzmikroskopischen
BRSV-Antigennachweis (IFT) in Nasenschleimhautzellen erfolgen, die mithilfe eines Nasentupfers gewonnen
werden. Sicherer ist ein Nachweis des Genoms mittels
RT-PCR.
Am toten Tier kann in Kryostatschnitten von Lungengewebe Virusantigen mittels IFT nachgewiesen werden.
Zum indirekten Infektionsnachweis mittels Antikörper kann ein ELISA oder (seltener) ein Neutralisationstest
eingesetzt werden.
Bekämpfung
Die Therapie muss möglichst früh einsetzen. Sie umfasst gegen Sekundärinfektionen gerichtete antibiotische
Maßnahmen, die Gabe von Bronchospasmolytika und
die Verabreichung von nicht steroidalen Antiphlogistika
(NSAIDs).
Eine Bekämpfung der EBP muss in erster Linie die
Verbesserung von Hygiene und Management anstreben,
insbesondere die Optimierung der Belüftung. Nur im Zusammenhang mit einem solchen Herdenmanagementprogramm ist der prophylaktische Einsatz von Impfstoffen sinnvoll! Auf dem Markt sind sowohl inaktivierte als
auch Lebendimpfstoffe gegen BRSV-Infektionen erhältlich, häufig als Kombinationsvakzinen.
Genus Metapneumovirus
(Unterfamilie Pneumovirinae)
Infektion mit dem aviären Metapneumovirus
Synonyme: Turkey Rhinotracheitis, Swollen Head Syndrome
Es handelt sich um eine akute, hoch kontagiöse Erkrankung der oberen Atemwege bei der Pute (Rhinotrache­
itis). Beim Huhn verursacht das Virus das Swollen Head
Syndrome (SHS).
Ätiologie
Der Erreger, das aviäre Metapneumovirus (aMPV), wird
dem Genus Metapneumovirus, Subfamilie Pneumovirinae, der Paramyxoviren zugeordnet. Das aMPV besitzt
keine Hämagglutinin- und Neuraminidaseaktivität. Es
ist relativ empfindlich gegenüber Wärme und üblichen
Desinfektionsmitteln, aber aktiv im pH-Bereich 3–9. Es
existieren mehrere Subtypen (A, B, C und D); in Europa
und vielen Teilen der Welt kommen besonders A und B
vor, C in den USA und F in Frankreich. Der Subtyp C ist am
engsten mit dem humanen Metapneumovirus (hMPV)
verwandt und wird als Vorläufer des hMPV diskutiert.
Epidemiologie
Das Virus ist offenbar weltweit verbreitet (Ausnahme
sind z. B. Australien oder Kanada). Die Einschleppung
erfolgt mit infizierten Jungputen, seltener indirekt. Eine
vertikale Übertragung ist nicht bekannt. Der Übertragungsweg ist aerogen. Das Virus wird nur wenige Tage
ausgeschieden, ein Trägerstatus ist nicht beschrieben. Die
Immunität ist nicht sehr belastbar, Reinfektionen sind
möglich. Natürliche Wirte für das aMPV sind Pute und
Huhn, es wurde daneben auch bei Fasanen und Enten sowie einigen Wildvögeln nachgewiesen.
Klinik und Pathologie
Die Inkubationszeit der Rhinotracheitis beträgt zwischen
3 und 7 Tagen. Alle Altersklassen können betroffen sein,
wobei Puten im Alter von 4–9 Wochen die deutlichsten Symptome aufweisen. Die Erkrankung breitet sich
schnell aus. Es zeigt sich Niesen und ein zunächst seröser Nasen- und Augenausfluss mit Konjunktivitis. Später
wird der Ausfluss mukopurulent. Ödeme im Kopfbereich
können auftreten. Futter- und Wasseraufnahme sind erniedrigt. Die Morbidität kann sehr hoch sein (bis 100 %),
die Mortalität variiert, in Abhängigkeit vom Alter und der
Konstitution der Herde, den Hygiene- und Haltungsbedingungen sowie besonders von viralen und bakteriellen
Sekundärinfektionen (wie Bordetella, Pasteurella, Mykoplasmen, E. coli) zwischen 0,4 % und 50 %.
Beim Huhn kommt es zu Schwellungen im Kopfbereich, Tortikollis und Opisthotonus. Die Symptome werden häufig von einer sekundären Infektion mit E. coli verstärkt. Es erkranken nur wenige Tiere, und die Mortalität
übersteigt selten 2 %.
Die pathologischen Befunde entsprechen der Klinik.
Diagnose und Differenzialdiagnosen
Klinik und Pathologie können nur eine Verdachtsdiagnose ergeben.
Die Virusanzucht ist unsicher, alternativ kann eine
RT-PCR versucht werden. Häufiger wird der Nachweis
über Antikörper, besonders mittels ELISA, eingesetzt.
Differenzialdiagnostisch müssen Newcastle-Krankheit, APMV-3-Infektion, infektiöse Bronchitis und aviäre
Influenza berücksichtigt werden sowie bakterielle Erkrankungen.
Therapie und Prophylaxe
Die Therapie ist symptomatisch und vor allem auf Bekämpfung der sekundären Infektionen gerichtet. Eine
Verbesserung des Herdenhygienemanagements kann
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rakteristischer histologischer Befund ist das Auftreten
von Synzytialzellen (daher der Name des Erregers) in
der Lunge, gelegentlich mit intrazytoplasmatischen Einschlusskörperchen.
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
Paramyxovirusinfektionen des Menschen
Beim Menschen sind mehrere seit Langem bekannte, aber
auch neu aufgetretene Erreger der Paraymxovirusfamilie
(siehe auch ▶ S. 554) von großer medizinischer Bedeutung. Das Virus der Masern (Measles Virus, MV) gehört
zum Genus Morbillivirus und ist mit den animalen Morbilliviren eng verwandt. Weltweit sterben jährlich etwa
eine halbe Million Kinder an den Folgen einer Maserninfektion. Die WHO hat daher ein Eradikationsprogramm
ins Leben gerufen. Die Übertragung des MV erfolgt
durch Tröpfcheninfektion. Die Inkubationszeit beträgt
8–12 Tage. Das Prodromalstadium, während dem die Infektiosität am höchsten ist, ist durch Fieber, Schnupfen,
Konjunktivitis, Pharyngitis und das Auftreten der KoplikFlecken auf der meist stark geröteten Wangenschleimhaut gekennzeichnet. Dann erscheinen die typischen
makulopapulösen, bräunlich-rosafarbenen Exantheme
hinter Ohr und Stirn, darauf an Hals, Stamm und Extremitäten. Sie sind Ausdruck einer zellulären Immunreaktion
gegen das MV. Die katarrhalischen Erscheinungen, wie
Husten und Konjunktivitis, bestehen weiter. Nach einigen Tagen kommt es zur Abblassung und Entfieberung.
Selten kann bei sonst gutartigem Verlauf ein hämorrhagisches Exanthem auftreten. Masernvirusinfektionen hinterlassen regelmäßig eine transiente Immunschwäche,
die einige Wochen andauern kann. Das Virus wird mit
Nasen-Rachen-Sekret, Sputum, Urin und Tränenflüssigkeit ausgeschieden. Es ist hoch kontagiös. Natürliche Masernvirusinfektionen haben eine hohe Komplikationsrate
(ca. 20 %), z. B. Pneumonie, Laryngitis und Otitis media,
darunter aber auch lebensbedrohliche Erkrankungen wie
die Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis (MIBE)
oder die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE).
Es gibt hoch wirksame Impfstoffe, jedoch sind gegenwärtig in Deutschland die Impfraten insgesamt ungenügend.
Ein anderer, seit Langem bekannter Erreger ist das
Mumpsvirus aus dem Genus Rubulavirus. Infektionen
mit dem Mumpsvirus sind weltweit endemisch verbreitet und betreffen vor allem Kinder und Jugendliche. Der
Mensch ist das einzige Erregerreservoir. Die Übertragung
erfolgt vor allem aerogen (Aerosole, Tröpfchen) oder
über virushaltigen Speichel. Die Inkubationszeit beträgt
11–25 Tage. Mumps ist eine systemische Infektionskrankheit. Ansteckungsgefahr besteht etwa 7 Tage vor bis
9 Tage nach dem Auftreten klinischer Erscheinungen. Das
typische Krankheitsbild ist eine Entzündung der Speicheldrüsen (Sialadenitis, Parotitis endemica), wobei besonders die Glandula parotis betroffen ist, in Verbindung
mit Fieber. Die Krankheitsdauer beträgt meist 3–8 Tage.
Mit zunehmendem Alter werden schwerere Verlaufsformen beobachtet. Etwa 40–50 % der Fälle verlaufen aber
klinisch symptomlos, das Virus wird jedoch ausgeschie-
den. Zwar verläuft Mumps meist ohne Komplikationen
und führt in der Regel zu lebenslanger Immunität, sodass
Zweiterkankungen selten sind, aber wenn Komplikationen auftreten, sind sie gefürchtet. So sind Meningitis,
Taubheit, Pankreatitis, Orchitis, Epididymitis, Oophoritis
und Nierenentzündungen beschrieben. Im ersten Trimester einer Schwangerschaft sind Aborte möglich. Die
wirksamste präventive Maßnahme ist die Schutzimpfung, häufig kombiniert mit Masern- und Rötelnvirus als
trivalente Vakzine (MMR), die von der Ständigen Impfstoffkommission (STIKO) empfohlen wird.
Zu der Subfamilie Pneumovirinae, Genus Pneumovirus, zählt das Respiratory Syncytial Virus (RSV). Es ist
der wichtigste Erreger von Infektionen der Atemwege bei
Säuglingen und Kleinkindern. Es gibt zwei Subgruppen A
und B aufgrund genetischer und antigener Unterschiede.
Im Verlauf der ersten beiden Lebensjahre werden etwa
65 % aller Kinder infiziert. Eine langfristige Immunität
besteht nicht und Reinfektionen sind häufig. Eine Häufung der Krankheit wird in Mitteleuropa von November bis April beobachtet. Die Übertragung erfolgt durch
Tröpfcheninfektion bei engem Kontakt, seltener über
kontaminierte Gegenstände oder Oberflächen. Die Inkubationszeit beträgt 2–8 Tage. Die höchste Infektiosität
besteht während der ersten Tage der Erkrankung. Eine typische RSV-Symptomatik existiert nicht. Die Erkrankung
beginnt mit Fieber, Husten und keuchender Atmung. Das
klinische Bild der Bronchiolitis (mit massiver Zytokinproduktion) ist gekennzeichnet durch beschleunigte Atmung, Husten, Hypoxämie und oft Ernährungsschwierigkeiten. Die häufigsten Komplikationen sind Pneumonien,
die eine stationäre Aufnahme nötig machen. Infektionen
mit RSV beim Säugling können zu einem Keuchhustenähnlichen Bild (Pseudokrupp) führen. Risikopatienten
sind Frühgeborene mit vorgeschädigter Lunge sowie
Kinder mit Herzfehlern oder Immundefekten. Schwere
Infektionen können jedoch auch bei Erwachsenen (z. B.
in Altersheimen) auftreten. Die Pathogenese ist nicht
schlüssig geklärt. Ähnlich wie bei der Infektion mit dem
bovinen respiratorischen Synzytialvirus scheinen immunpathologische Mechanismen eine Rolle zu spielen.
Eine Immunprophylaxe ist nicht möglich.
Ein erst 2001 in den Niederlanden identifiziertes
Paramyxovirus ist das humane Metapneumovirus
(hMPV). Es wurde von einem Kind mit einer Infektion des
Respirationstraktes isoliert. Serologische Studien lassen
vermuten, dass das Virus schon mindestens 50 Jahre zirkuliert. Der Erreger ist verwandt mit dem aviären Meta‑
pneumovirus, das die Rhinotracheitis der Pute verursacht. Basierend auf Sequenzanalysen lassen sich mindestens zwei Gruppen (A und B) sowie vier Subgruppen
(A1, A2, B1, B2) unterscheiden. Das epidemiologische
Profil des hMPV ist ähnlich dem des RSV; hMPV-Infektionen treten in allen Altersstufen auf, die schwersten
Erkrankungen finden sich bei Kindern unter 2 Jahren.
Im Alter von 5–10 Jahren haben praktisch alle Kinder
ss RNA, negativ
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wesentlich zur Reduzierung von Verlusten beitragen. Die
Schwere von Feldinfektionen kann durch den Einsatz von
Lebend- und Totvakzinen gemindert werden.
RNA-Viren
559
27 RNA-Viren
560
Antikörper gegen das Virus gebildet. Die Übertragung
geschieht vor allem als Tröpfcheninfektion und Handzu-Mund-Kontakt mit kontaminierten Oberflächen. Die
klinischen Symptome sind sehr ähnlich denen der RSVInfektion. Sie reichen von leichten Erkältungen bis hin
zu schweren Erkrankungen des unteren Atmungstraktes,
wie Bronchiolitis und Pneumonie. Koinfektionen, z. B.
mit RSV, Influenzavirus oder Streptokokken, sind nicht
selten. Ein Impfstoff ist nicht verfügbar.
27.3.5 Familie Arenaviridae
Martin Pfeffer
Familienmerkmale
Die Arenaviren werden mit Ausnahme des Tacaribe-Virus
durch Nagetiere auf den Menschen übertragen. Ihr Name
leitet sich von dem lateinischen Wort arenosus: sandig ab
und weist damit auf die von der Wirtszelle stammenden
Ribosomen hin, die sich elektronenoptisch wie Sandkörner im Virion darstellen (▶ Abb. 27.23, ▶ Abb. 27.24).
Taxonomie
Die Familie besitzt nur das Genus Arenavirus mit der Typspezies Lymphozytäre-Choriomeningitis-Virus (LCMV).
Derzeit sind ca. 25 Arten beschrieben (▶ Abb. 27.25),
wobei allein in den letzten 3 Jahren neun neue Arenaviren in Nagetieren entdeckt wurden.
▶▶ Abb. 27.23 Arenavirus, Ultradünnschnitt © Dr. habil. H. Granzow, Friedrich-Loeffler-Institut, Insel Riems.
Nukleokapsid (NK), G1 und G2, und das L-Segment (large)
kodiert mit ca. 7200 Nukleotiden für die virale Polymerase und ein als Z (Zinkkationenbindendes) bezeichnetes
Protein mit noch unbekannter Funktion. Replikation und
Transskription erfolgen auf beiden Genomsegmenten in
Ambisense-Orientierung. Die positivsträngige mRNA für
die L- und NK-Gene wird von der viralen RNA-Matrize
gebildet, während die mRNA der Z- und G1/G2-Gene
in gegenläufiger Orientierung vom intermediären Positivstrang der viralen RNA stammt, die bei der Replikation
synthetisiert wird. Terminiert werden sämtliche mRNAs
über eine als „Stem-Loop“ bezeichnete Sekundärstruktur
der RNA, die zum Abfallen der Polymerase von der jeweiligen RNA-Matrize führt. Initiiert wird die RNA-Synthese
durch revers-komplementäre, 19 Nukleotide lange RNASequenzen an den 3ʼ- und 5ʼ-Termini beider Segmente
(▶ Abb. 27.26).
Virusstruktur und Replikation
Arenaviren besitzen eine sphärische bis pleomorphe Gestalt mit einem Durchmesser zwischen 50 und 300 nm
(im Durchschnitt 120 nm). In der Virushülle sind die beiden glykosylierten G1- und G2-Proteine jeweils als Homotetramere lokalisiert, die durch rezeptorvermittelte
Endozytose die Infektion der Wirtszelle ermöglichen. Innerhalb der Virushülle können Ribosomen und auch RNA
von der Wirtszelle gefunden werden, wobei die Bedeutung hiervon unklar ist. Ebenfalls im Virion befinden sich
die beiden einzelsträngigen RNA-Segmente, die als helikale Nukleokapside zirkulär mit jeweils einer viralen Polymerase assoziiert vorliegen. Das S-(small)Segment kodiert mit ca. 3200 Nukleotiden für die 3 Strukturproteine
▶▶ Abb. 27.24 Schema eines Arenavirus. Das Virion der Arenaviren
enthält neben den zwei Genomsegmenten A und B auch zelluläre
Ribosomen. Das Genom trägt pro Segment ein Molekül der RNAPolymerase (L) und ist durch Nukleoproteine (N) komplexiert. In
der Virushülle eingelagert finden sich die viralen Glykoproteine,
die ein Heterodimer aus den Proteinen G1 und G2 darstellen. Die
Glykoproteine interagieren mit dem viralen Matrixprotein (Z).
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Steckbrief
●●Einzelstrang-RNA-Genom mit 2 Segmenten mit
ca. 7200 und 3400 Nukleotiden
●●Ambisense-Orientierung, 3 Strukturproteine, 2 Nichtstrukturproteine
●●pleomorphe Virionen (50–300 nm) mit helikalem
Nukleokapsid und sphärischer Hülle
●●Infektion direkt durch Kontakt mit persistent infizierten Nagetieren oder indirekt durch deren Se- und
Exkrete
●●Erreger schwerer hämorrhagischer Fieber beim
Menschen
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
561
Das Lymphozytäre-Choriomeningitis-Virus
(LCMV)
Ätiologie
Die Typspezies LCMV ist das am besten untersuchte Arenavirus. Bezüglich seiner Pathogenese ist es möglicher-
weise nicht repräsentativ für das Genus, da es pathogen
im Reservoirwirt sein kann. Ein Vergleich von Nukleinund Aminosäuresequenzen in Teilen der Strukturproteine ergab genetische Unterschiede allein bei Labor- und
Wildmäusen in England von über 20 %, sodass bei LCMV
▶▶ Abb. 27.26 Genomstruktur und Genexpression der Arenaviren. Die zwei Genomsegmente werden unabhängig voneinander transkribiert. Von dem größeren Segment A werden die RNA-Polymerase (L) und das Matrixprotein (Z) abgelesen. Das kleinere Segment B kodiert
das Nukleoprotein (NP) und die Glykoproteine G1 und G2, die aus einem Vorläuferprotein (G) hervorgehen. Die Genomsegmente weisen
am 5ʼ-Terminus eine Cap-Struktur auf.
ss RNA, negativ
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RNA-Viren
▶▶ Abb. 27.25 Genetische Verwandtschaft
der Arenaviren und ihre
Verbreitung.
27 RNA-Viren
562
Epidemiologie
LCMV kommt als einziges Arenavirus weltweit vor, da
auch sein Hauptreservoir, die Hausmaus Mus musculus,
weltweit verbreitet ist.
Bekämpfung
Die Expositionsprophylaxe ist bei LCMV im Gegensatz zu
den anderen Arenaviren problematisch, da eine Infektion
oft nicht durch wilde Nager, sondern von als Haustieren
erworbenen Mäusen (und Hamstern) akquiriert wird. Ein
Impfstoff ist nicht verfügbar.
Viren des Tacaribe-Komplex
Pathogenese
Ätiologie
Intrauterine oder neonate Infektionen mit LCMV werden
von den Mäusen toleriert, sodass sich eine persistente Infektion ausbilden kann, die betroffenen Tiere werden zu
symptomlosen Dauerausscheidern. Im Laufe des weiteren Lebens wird diese wahrscheinlich T-Zell-basierte Toleranz durchbrochen und es kommt zu komplementvermittelter Bildung von Immunkomplexen und in der Folge
zu Glomerulonephritiden. Bei der Infektion von immunkompetenten, erwachsenen Mäusen kommt es zu einer
akuten Infektion mit der Klinik der Choriomeningitis.
Im Tacaribe-Komplex sind 4 Arenaviren zusammengefasst, die in ▶ Abb. 27.25 fett hervorgehoben sind. Es
sind dies die Erreger des Argentinischen (Junin-Virus),
des Bolivianischen (Machupo-Virus), des Brasilianischen
(Sabia-Virus) und des Venezuelanischen hämorrhagischen Fiebers (Guanarito-Virus) des Menschen. Alle
4 Erreger sind in die höchste Sicherheitsstufe 4 eingruppiert.
Klinik und Pathologie
Die klinische Bedeutung beim Menschen ist gering, da
die meisten Infektionen subklinisch verlaufen. Nur in
etwa einem Drittel der Fälle kommt es zu milden grippeähnlichen Symptomen. Selten kommt es zu einer neurologischen Beteiligung in Form einer Choriomeningitis.
Zu schweren Komplikationen kann es bei einer Infektion
in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft für den Fetus
kommen. Hier sind psychomotorische Schäden, Mikroenzephalus, Hydrozephalus, Chorioretinitis, Blindheit bis
hin zum Fruchttod möglich.
Diagnose
Im Lauf der LCMV-Infektion werden IgM- und IgG-Antikörper gegen die drei Strukturproteine gebildet, die mittels ELISA nachweisbar sind. Aufgrund der genetischen
Heterogenität der LCMV sind die verfügbaren EchtzeitRT-PCRs nicht unproblematisch in der Beurteilung negativer Ergebnisse.
Epidemiologie
Die jeweiligen Viren werden von persistent infizierten
Mäusen mit den Se- und Exkreten ausgeschieden. Innerhalb der Nagetierpopulationen werden die Viren v. a. vertikal intrauterin übertragen, aber auch horizontal z. B. bei
Revierkämpfen der Männchen. Die Infektion des Menschen erfolgt fast ausnahmslos aerogen durch Inhalation
von kontaminierten Stäuben und häuft sich daher in der
Erntezeit von Getreide. Bei Sabia-Virus ist das Nagetierreservoir noch unbekannt und bislang sind nur eine natürliche Infektion und 2 Laborinfektionen beschreiben.
Bei den Machupo- (Calomys callosus) und GuanaritoViren (Zygodontomys brevicaudis und Sigmodon alstoni)
kommt es in den Verbreitungsgebieten immer wieder zu
kleineren Ausbrüchen, zahlenmäßig am häufigsten sind
jedoch die von Calomys musculinus (auch C. laucha und
Akodon azarae) übertragenen Junin-Virusinfektionen mit
etwa 100 Fällen pro Jahr. Vor Einführung der Impfung
(s. u.) Anfang der 1990er-Jahre waren es über 1 000 Fälle
jährlich.
Pathogenese
Immunologie
Die Immunologie der LCMV-Infektion bei adulten Mäusen und beim Menschen ist die Ursache für die Erkrankung, da die akute Phase fast ausschließlich immunpathologisch begründet ist. Während der Infektion werden
MHC-Klasse-I-Antigene auf infizierten Zellen exprimiert,
die durch antigenspezifische, zytotoxische CD8-positive
T-Lymphozyten erkannt werden. Dies geschieht im Konzert mit Zytokinen, v. a. Tumornekrosefaktor α und Interferon γ, die von entsprechenden, aus CD4-positiven
Zellen hervorgegangenen Th-1-Zellen sezerniert werden
und den Entzündungsprozess unterhalten. Durch die
Aktivität der CD8-positiven T-Zellen wird ohne auffällige morphologische Änderungen die Blut-Hirn-Schranke
durchlässig und die Schädigung von Neuronen, aber auch
der weichen Hirnhäute (Leptomeningen) möglich.
Am Ort der Infektion, i. d. R. der Lunge, findet eine initiale
Virusvermehrung statt, die über infizierte Makrophagen
im Körper disseminiert und v. a. Zellen des retikuloendothelialen Systems erreicht. Welche Faktoren zur erhöhten
Permeabilität der Blutgefäße und damit zur namensgebenden Hämorrhagie führen, ist nicht bekannt.
Klinik und Pathologie
Nach einer Inkubationszeit von bis zu 3 Wochen kommt
es zu hohem Fieber mit Muskelschmerz und petechialen Blutungen v. a. im Mund-Rachen-Bereich. Das klinische Bild einer Hepatitis und/oder Enzephalitis wird bei
schweren Verläufen beobachtet. Kommt es zu schweren
hämorrhagischen Verläufen, beträgt die Letalität 15–
30 %. Beim Bolivianischen hämorrhagischen Fieber sind
Alopezien häufig beschrieben.
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generell eine starke genetische Heterogenität zu existieren scheint.
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
Klinik und Pathologie
Neben einer entsprechenden Klinik und (Reise-)Anamnese ist der direkte Erregernachweis mittels Virusisolierung oder RT-PCR möglich. Beim Argentinischen und
beim Bolivianischen hämorrhagischen Fieber sind neutralisierende Antikörper ca. 3 Wochen nach der Infektion
im ELISA oder IFT nachweisbar. Die Serologie im Nagetierreservoir ist nicht aussagekräftig, da ein gleichzeitiges
Vorhandensein von Virus nicht ausgeschlossen ist. In epidemiologischer Hinsicht bietet die Serologie jedoch eine
gute Möglichkeit, die Verbreitung und das Vorkommen
der jeweiligen Viren zu erfassen.
Die Klinik beginnt nach einer Inkubationszeit von
6–21 Tagen mit Fieber und unspezifischer Schmerz- und
Respirationssymptomatik. Ausgeprägte Ödeme v. a. bei
Kleinkindern werden als „Swollen-Baby“-Syndrom bezeichnet. Zusammen mit Ikterus, Proteinurie, Hypotonie,
Bluterbrechen und blutigem Stuhl sind Ödeme erste Zeichen eines schweren Verlaufes, der über hämorrhagische
Manifestation zum Multiorganversagen mit einer Letalität von 10–20 % führen kann.
Immunologie
Außer bei Junin- und Machupo-Virusinfektionen, scheinen
auch nach Guanarito-Virusinfektionen neutralisierende
Antikörper gebildet zu werden, wobei nicht bekannt ist,
ob diese auch vor einer Infektion oder einer Erkrankung
schützen. Allgemein wird in Analogie zu LCMV- und LassaVirusinfektionen davon ausgegangen, dass der zellulären
Immunantwort hier eine wichtige Rolle zukommt.
Bekämpfung
Präventiv sollte die Exposition zu infizierten Nagetieren
durch geeignete Maßnahmen vermieden werden. Die
Erkrankung selber muss meist intensiv-supportiv nach
der jeweilig vorherrschenden Klinik behandelt werden.
Ribavirin hat bei zeitlich früher Applikation antivirale Wirkung bei Junin-Virusinfektionen gezeigt. Eine als
Kandidat #1 bezeichnete, attenuierte Lebendvakzine hat
sich als sicher und wirkungsvoll gegen das Argentinische
hämorrhagische Fieber erwiesen.
Lassa-Fieber
Ätiologie
Verantwortlich für das Lassa-Fieber des Menschen ist das
gleichnamige Lassa-Virus, das mit mindestens 4 antigenetischen Varianten im westlichen Afrika vorkommt.
Epidemiologie
Die Vielzitzenmaus Mastomys natalensis ist der Reservoirwirt für Lassa-Viren. Die Infektion wird analog den bereits
ausgeführten Arenaviren zwischen den Nagern und auf den
Menschen übertragen. In bestimmten Gebieten Westafrikas
sind Seroprävalenzen von über 25 % bei der Bevölkerung festgestellt worden, was neben der hohen Durchseuchungsrate
auf die Existenz wenig virulenter Stämme hinweist. Die Zahl
an Neuinfektionen wird auf über 100 000 pro Jahr geschätzt.
Pathogenese
Nach aerogener Aufnahme der Viren kommt es zur Vermehrung in Lungengewebe und ortsständigen Makrophagen. Während einer ausgeprägten Virämie werden
zunächst die retikuloendothelialen Organe befallen. Fokale Nekrosen führen zu entsprechenden Funktionseinschränkungen bzw. -verlusten.
Diagnose
Während des hohen Fiebers erlaubt eine ausgeprägte
Virämie den Erregernachweis im Blut durch Isolierung
oder mittels Elektronenmikroskopie oder RT-PCR. Der
Virusnachweis gelingt auch aus dem Urin oder anderem klinischen Material während dieser Phase. Durch
die hohe genetische Heterogenität besteht hier jedoch
die Gefahr von falsch negativen Ergebnissen und die entsprechenden Teste sollten immer gemäß den neuesten
Sequenzdaten angepasst werden. Spezifische Antikörper
(IgM, IgG) sind ab dem 10. Krankheitstag mit IFT, ELISA
oder Neutralisationstest nachweisbar. Auch Lassa-Virus
ist ein Erreger der Sicherheitsstufe 4 und ein Arbeiten mit
infektiösem Virus nur unter entsprechenden Sicherheitsbedingungen erlaubt.
Immunologie
Spezifische IgM- und IgG-Antikörper werden nach einer
Infektion mit Lassa-Viren gebildet. Sie allein sind nicht
ausreichend für eine protektive Wirkung gegen eine
(Neu)Erkrankung.
Bekämpfung
Konsequente Nagerbekämpfung führt zu deutlicher Reduktion der Inzidenz von Lassa-Fieber in den betroffenen
Regionen. Ribavirin hat sich bei der Therapie von LassaFieber gut bewährt, es muss allerdings sehr früh gegeben
werden, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Im Gegensatz zum Junin-Virus ist es in den letzten
30 Jahren nicht gelungen, einen Impfstoff auf Basis eines
attenuierten Lassa-Virus zu etablieren. Dies ist in Hinblick
auf die angesprochenen Seroprävalenzdaten mit fehlender Klinik erstaunlich. Rekombinant hergestellte virale
Glykoproteine befinden sich derzeit in der Erprobung.
27.3.6 Familie Bunyaviridae
Martin Pfeffer
Steckbrief
●●Negativstrang-RNA-Genom mit 3 Segmenten (S, M u. L)
●●sphärische Virionen (80–120 nm) mit helikalen
Nukleo­kapsiden und 2 glykosylierten Hüllproteinen
(G1 u. G2) (▶ Abb. 27.27, ▶ Abb. 27.28)
ss RNA, negativ
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Diagnose
RNA-Viren
563
27 RNA-Viren
564
Familienmerkmale
Alle Bunyaviren werden in der Natur durch Vektoren übertragen oder haben ein mehr oder minder spezifisches,
tierisches Reservoir. Alle Bunyaviren besitzen 3 Segmente einer Negativstrang-RNA, deren Positivstrangsynthese
durch 5ʼ-Cap-Strukturen initiiert wird, die von zellulären
mRNAs stammen. Die Nachkommenviren werden durch
Budding in die Golgizisternen entlassen. Ihr Name leitet
sich von dem Ortsnamen Bunyamwera in Uganda ab, wo
die Typspezies des Genus Orthobunyavirus isoliert worden ist, das früher einfach nur Genus Bunyavirus hieß
(▶ Tab. 27.7).
Taxonomie
Die Familie besitzt 5 Genera, wobei im Genus Tospovirus
nur Pflanzenpathogene zusammengefasst sind, die allerdings auch durch Gliederfüßler (Thripsen, Fransenflügler) übertragen werden. Im Genus Orthobunyavirus sind
über 150 Arten gelistet, die über Stechmücken, Gnitzen,
Zecken oder Wanzen auf Mensch und Tier übertragen
werden. Die über 50 verschieden Viren im Genus Phlebovirus werden vornehmlich durch Stechmücken und
Sandmücken (Phlebotomen) übertragen. Die Viren im
Genus Nairovirus nutzen v. a. Zecken zu ihrer Übertragung, während die Viren im Genus Hantavirus schließlich durch virushaltige Se- und Exkrete von Nagetieren zu
Infektionen beim Menschen führen.
Virusstruktur und Replikation
▶▶ Abb. 27.27 Bunyavirus, Ultradünnschnitt © Dr. F. Weiland,
Friedrich-Loeffler-Institut, Tübingen.
▶▶ Abb. 27.28 Schema eines Bunyavirus. Das behüllte Bunyavirus
enthält 3 Segmente eines Negativstrang-RNA-Genoms verpackt
durch zahlreiche Moleküle des Nukleoproteins zum Nukleokapsid.
An das Genom angelagert findet sich die RNA-abhängige RNAPolymerase. In die Virushülle eingelagert ist das Glykoprotein, das
aus zwei Molekülen (Gn und Gc) besteht.
Bunyaviren besitzen für jedes der drei RNA-Segmente ein helikales Nukleokapsid, an denen je eine virale
RNA-Polymerase gebunden ist. Die 3ʼ- und 5ʼ-Enden der
RNA-Segmente haben revers-komplementäre Nukleotidsequenzen, sodass die Nukleokapside zirkulär vorliegen. In der Hülle sind die beiden glykosylierten G1- und
G2- Proteine (manchmal auch als Gn und Gc bezeichnet)
durch eine Transmembrandomäne verankert. Da Bunya­
viren keine Matrixproteine besitzen, die eine Stabilisierung von helikalem Nukleokapsid mit der kubischen
Hülle vermitteln, können sich Bunyaviren in ihrer Gestalt
durchaus pleomorph mit Größen von bis zu 200 nm darstellen. Über die Glykoproteine startet die Infektion der
Zelle via rezeptorvermittelte Endozytose. Nach Fusion
der Membranen und Freisetzung der viralen RNA ins
Zytoplasma beginnt die virale RNA-Polymerase mit der
Plusstrangsynthese. Diese wird von 5ʼ-Cap-Strukturen
initiiert, die vorher durch die Endonukleaseaktivität
der viralen Polymerase von den mRNAs der infizierten
Wirtszelle abgetrennt und an das 3ʼ-Ende der viralen Negativstrang-RNA transferiert wurden (sogenanntes CapSnatching). In der zeitlichen Abfolge werden zu Beginn
vornehmlich das L-Segment und im Verlauf der Infektion
dann die S- und M-Segmente in dieser Art transkribiert
und durch die gestohlenen 5ʼ-Cap-Strukturen die Translation der entsprechenden Proteine gestartet. Dieser Ablauf ermöglicht den Viren, initial große Mengen der zur
weiteren Transkription und Replikation benötigten Polymerase zu bilden und später dann die für die Morphogenese benötigten Strukturproteine (▶ Abb. 27.29). Diese
findet im Golgiapparat statt und die fertigen Nachkommenviren budden in Golgizisternen. Mit diesen Vesikeln
werden sie zur Zellmembran transportiert und exozytotisch freigesetzt. Eine Infektion von Invertebratenzellen
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●●größte bekannte Virusfamilie mit über 350 animalen
Viren in 4 Genera
●●Übertragung bei Viren der Genera Nairo-, Phlebo- und
Orthobunyavirus durch den Stich blutsaugender Gliederfüßler (Arboviren)
●●Übertragung bei Viren des Genus Hantavirus durch
Se- und Exkrete persistent infizierter Nagetiere
●●wenige wichtige Tierpathogene, aber als Zoonose­
erreger beim Menschen von großer Bedeutung
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
▶▶ Abb. 27.29 Schema der Genomorganisation und Genexpression der Bunyaviren. Die drei Segmente des Bunyavirusgenoms werden unabhängig transkribiert und translatiert. Von dem S-Segment wird das N-Protein abgelesen, das M-Segment trägt den ORF für das Glykoprotein, das als Vorläuferprotein synthetisiert wird und posttranslational in die Proteine Gn und Gc gespalten wird. Das L-Segment schließlich
kodiert für die RNA-Polymerase. Die Segmente tragen nahe dem 3ʼ-Terminus eine Hair-Pin-Struktur, die zum Ende der Transkription führt.
Die RNA besitzt eine Plusstrang-Cap-Struktur.
verläuft dabei ohne zytopathogenen Effekt und es kann
monatelang Virus in den Zellkulturüberstand abgegeben
werden. Vertebratenzellen hingegen sterben ab.
Rifttal-Fieber
!!Beachte: Anzeigepflicht
Ätiologie
Das Rifttal-Fieber der Wiederkäuer wird durch das
gleichnamige Rifttal-Virus aus dem Genus Phlebovirus
verursacht.
Epidemiologie
1931 wurde die erste große Epidemie von Rifttal-Fieber
in Kenia dokumentiert. Wahrscheinlich war ein ähnliches Seuchengeschehen im Jahr 1912 ebenso dem RifttalVirus geschuldet. Seither kommt es in unregelmäßigen
Abständen zu großen Rifttal-Fieberepidemien im Afrika
südlich der Sahara. 1977 kam es zur ersten Epidemie mit
18 000 infizierten Menschen (ca. 600 Toten) nördlich der
Sahara in Ägypten und im Jahr 2000 hat das Virus den
Sprung auf die Arabische Halbinsel geschafft und im Jemen und Saudi-Arabien zu Erkrankungen bei Haustieren
geführt.
Großen Epidemien geht immer eine Periode von
ungewöhnlich starken Regenfällen voraus. Durch diese
Wassermassen kommt es zur Flutung von Bodendepressionen, die gemeinhin als „Dambo“ bezeichnet werden.
Die Eier von Stechmücken, die hier abgelegt wurden,
schlüpfen und es kommt nach der aquatischen Entwicklungsperiode zu einem Massenschlupf an Stechmücken.
Ein Teil dieser Stechmücken trägt das Virus bereits in
sich, da sie aus Eiern geschlüpft sind, die transovariell
von infizierten Stechmückenweibchen gelegt wurden.
Das Rifttal-Virus hat die Entwicklungsstadien der
Stechmückenlarven und -puppen transstadial überdauert und kann bei der ersten Blutmahlzeit auf empfängliche Tiere übertragen werden. Diese Infektkette wird als
endemischer Zyklus bezeichnet. Da die Dambos auch als
Tränke genutzt werden, werden zeitgleich viele Tiere infiziert und es kommt zu einer weiteren Infektionswelle
(epidemischer Zyklus), bei der die gefürchteten Abortstürme und Infektionen bei den Menschen beobachtet
werden, die mit den Tieren umgehen.
Das Rifttal-Virus ist in hohem Maße promisk in Bezug auf die Stechmückenvektoren und wurde bereits
aus fast 50 verschieden Stechmückenarten und sogar
Sandmücken, Gnitzen und Zecken isoliert, wobei deren
Rolle in der Epidemiologie des Rifttal-Fieber sicher zu
vernachlässigen ist. Bislang wurde kein Reservoirtier für
das Rifttal-Virus identifiziert, sodass es die Zeiten zwischen den großen Epidemien sehr wahrscheinlich einzig
in den Vektoren überdauert. Dies scheint interessanterweise auch bei den humanpathogenen Phleboviren der
Fall zu sein, die außer bei menschlichen Erkrankungen
nur in Phlebotomen gefunden werden (▶ S. 569). Sowohl die bisherige geographische Expansion als auch die
Fähigkeit, von vielen verschiedenen Arthropodenarten
übertragen zu werden, hat die OIE dazu veranlasst, Rifttal-Fieber als länderübergreifende Zoonose mit sehr hohem Ausbreitungspotenzial („Transboundary Disease“)
einzustufen.
ss RNA, negativ
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RNA-Viren
565
27 RNA-Viren
566
Pathogenese
Immunologie
Im Anschluss an den Stich durch eine infizierte Stechmücke
findet die erste Virusreplikation des Rifttal-Virus vermutlich in den Zellen um die Einstichstelle und in den lokalen
Lymphknoten statt. Die Viren treten danach in die Blutbahn über und gelangen schon innerhalb der ersten 3 Tage
in die parenchymatösen und lymphoretikulären Organe, in
denen es zu massiven Nekrosen kommt. Hauptzielorgan
ist die Leber, deren normale Textur fast vollständig zerstört wird. Die Milz ist vergrößert und im Darm kommt
es zu Hämorrhagien. Thrombozytopenien, Vaskulitis und
intravasale Verbrauchskoagulopathien führen zur Minderdurchblutung in der Peripherie und sind wahrscheinlich
durch Plazentanekrose ursächlich für die Aborte. Die Aborte erfolgen gleichermaßen in allen Trächtigkeitstadien.
Der Mensch kann sich oronasal durch den Konsum
virushaltigen Fleisches oder durch Verletzungen beim
Schlachten moribunder Tiere infizieren. Diese Übertragungswege machen viele der humanen Fälle aus, da die
betroffenen Bauern und Nomaden noch versuchen, die
todkranken Tiere zu verwerten. Die Pathogenese nach
derartiger Aufnahme unterscheidet sich nicht wesentlich
von der durch einen Stich übertragenen Infektion.
Die Produktion von IgM- und IgG-Antikörpern wird früh
nach der Infektion initiiert. Eine überstandene Infektion
verleiht einen wahrscheinlich lebenslangen, belastbaren
Schutz vor einer Reinfektion. Diese Immunität basiert
vornehmlich auf der ausreichenden Präsenz von neutralisierenden Antikörpern.
Das Rifttal-Virus vermehrt sich sehr schnell und die Klinik
setzt nach einer entsprechend kurzen Inkubationszeit von
2–4 Tagen mit plötzlich einsetzendem Fieber und Abgeschlagenheit ein. Die Tiere zeigen Nasenausfluss, blutigen
Durchfall, Anorexie und Rückgang der Milchleistung. In
empfänglichen Herden abortieren 90–100 % der tragenden Tiere, die Mortalität bei Neugeborenen liegt ebenfalls
bei fast 100 %. Die Letalitäten bei Rind, Ziege und Schaf
unterscheiden sich während einer Epidemie nicht. Bei humanen Infektionen kommt es ebenfalls zum plötzlichen
Eintreten von Schüttelfrost, biphasischem Fieber, Übelkeit, Konjunktivitis, Kopf- und Gliederschmerzen. Der
weitere Krankheitsverlauf kann als unkompliziertes, grippeähnliches Fieber vorübergehen oder aber als hämorrhagisches Fieber mit schwerer Leberbeteiligung (fulminante
Hepatitis), wie sie bei den Tieren auftritt, Enzephalitis mit
Verwirrungszuständen, Koma und bleibenden neuronalen Schäden oder schließlich als okulare Form mit Retinablutungen, Ödemen und teilweise bleibendem Sehverlust.
Die Letalität beim Menschen beträgt 1–3 %.
Diagnose
Die Verdachtsdiagnose kann durch Virusisolierung, Echtzeit-RT-PCR oder Immunofluoreszenztest (IFT) im Serum
oder am frischtoten Tier bestätigt werden. Ein ELISA zum
Nachweis virusspezifischer IgM-Antikörper ist im südlichen Afrika sehr gebräuchlich. Serologisch können sonst
IgG-Antikörper mittels ELISA, neutralisierende Antikörper im Neutralisationstest oder hämagglutinierende Antikörper im Hämagglutinationshemmtest nachgewiesen
werden.
Die Expositionsprophylaxe ist bei Arboviren generell der
wirksamste Schutz vor einer Ansteckung. Im Zuge der
großen Epidemien wurden Impfstoffe entwickelt, von
denen einige aber teratogene und abortive Nebenwirkungen zeigten. In den betroffenen Gebieten Afrikas wird
teilweise mit diesen durch Mutagenese hergestellten
Lebend- oder Formalin-inaktivierten Totimpfstoffen geimpft. Da wie oben ausgeführt überdurchschnittliche Regenfälle den großen Seuchenzügen vorangehen, versucht
man seit geraumer Zeit über Klimadaten eine Risikoabschätzung zu entwickeln. Eine wichtige Beobachtung
und Voraussetzung zur Entwicklung eines derartigen
Vorhersagemodells ist die Korrelation eines extrem negativen sogenannten ENSO(El-Nino/Southern-Oscillation)Index mit großen Rifttal-Fieberepidemien. Beim ENSOIndex fließen neben Klimadaten auch Satellitendaten zur
Erdoberfläche mit Vegetationsindex und Habitatidentifikation ein. Die kalkulierten Risikokarten haben sich für
Ostafrika sehr gut bewährt, scheinen aber für Westafrika
und z. B. Madagaskar nicht zur Vorhersage von RifttalFieberausbrüchen nützlich. Ein möglicher Grund hierfür
könnte in der unterschiedlichen Populationsdynamik
der hauptsächlich an Rifttal-Fieberepidemien beteiligten
Stechmückenarten liegen. Ein Impfstoff für die Anwendung beim Menschen ist nicht zugelassen, eine Kausaltherapie ist nicht bekannt.
Akabane-Krankheit
Ätiologie
Die Akabane-Krankheit der Rinder, Schafe und Ziegen
wird durch das Akabane-Virus aus dem Genus Orthobunyavirus verursacht. Von den weniger bekannten Peaton-, Douglas, Tinaroo- und Aino-Viren (alle aus dem
Genus Orthobunyavirus) sind im gleichen Verbreitungsgebiet (Australien, Asien) ähnliche Krankheitsbilder
beschrieben. In Westafrika wird eine von der AkabaneKrankheit nicht unterscheidbare Arthrogryphose durch
das sehr nahe verwandte Shamonda-Virus hervorgerufen.
Epidemiologie
Das Akabane-Virus kommt in Australien und in Asien von
Japan bis in die Türkei und Israel vor. Es wird durch den
Stich von Stechmücken (in Australien wohl vorwiegend
durch Gnitzen) auf die Tiere übertragen. Je nach Klima
innerhalb des Verbreitungsgebietes kommt es somit nur
saisonal oder ganzjährig zu Infektionen.
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Klinik und Pathologie
Bekämpfung
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
567
Pathogenese
Nairobi Sheep Disease
Das Virus gelangt über den Stich in die Blutbahn der
Tiere und erreicht so bei trächtigen Tieren den Fetus.
Bei den geringen Mengen Virus, die über den Stich einer Stechmücke übertragen werden, muss das AkabaneVirus entweder hoch kontagiös sein, einen selektiven
Organtropismus aufweisen oder vorher im Muttertier
an einem bislang noch nicht bekannten Ort eine initiale
Vermehrungsphase durchlaufen. Im Fetus hat das Virus
einen ausgeprägten Neurotropismus und führt zu einer
Polyomyelitits und Enzephalomyelitis.
Ätiologie
Abhängig vom Zeitpunkt der Infektion während der
Trächtigkeit kommt es zur Geburt lebensschwacher Tiere, die verschiedene neuronale Defekte im Bereich der
Motorik oder Sensorik aufweisen (erstes Drittel). Im
zweiten Drittel der Trächtigkeit kommt es zur Geburt
von pathognomonisch arthrogrypotischen Tieren. In
der Folge der Polyomyelitis kommt es zum Verlust der
spinalen Motoneurone und die Gliedmaßen der Tiere
sind in unphysiologischen Haltungen fixiert. Hierbei
kommen Beugungen wie Streckungen vor, die auch im
Halsbereich (Tortikollis) oder im Bereich des Rückens
(Kyphose, Skoliose) beobachtet werden können. Daneben finden sich Mikroenzephalus (bei normalem Kleinhirn) und Hydrozephalus. Im letzten Drittel der Trächtigkeit scheint das Virus keine Embryopathien mehr zu
verursachen. Die Muttertiere zeigen keinerlei Symptomatik.
Diagnose
Neben einer typischen Klinik/Pathologie der neugeborenen Kälber können Antiköper im Serum der Kälber bzw.
ein Anstieg der virusspezifischen Antikörper beim Muttertier mittels ELISA nachgewiesen werden. Virus kann
aus abortierten Feten oder der Plazenta isoliert oder
durch einen Immunfluoreszenztest dargestellt werden.
Aus dem gleichen Material kann die virale RNA durch
eine RT-PCR amplifiziert werden.
Immunologie
Bei der Akabane-Virusinfektion werden neutralisierende
Antikörper induziert, die für das Neugeborene aufgrund
der Missbildungen nicht mehr relevant sind, aber beim
Muttertier den Fetus bei der nächsten Trächtigkeit vor
einer Infektion schützen.
Bekämpfung
In den Endemiegebieten in Australien und Japan werden
Muttertiere vor der Belegung mit Erfolg mit einem inaktivierten Impfstoff vakziniert. Ansonsten bleiben Stechmückenbekämpfung und Expositionsprophylaxe, um das
Infektionsrisiko zu minimieren. Bei Gnitzen-übertragener Akabane-Krankheit genügt eine Aufstallung der Pferde zur Prävention.
Die Erkrankung ist v. a. aus Ostafrika bekannt, wo sie
durch Zeckenbiss auf kleine Wiederkäuer übertragen
wird. Vergleichbare Erkrankungen werden in Indien
durch das Ganjam-Virus verursacht und in Westafrika
durch das zoonotische Dugbe-Virus. Die Viren werden in
den Rhipicephalus-Zecken transstadial und transovarial
übertragen, sodass die Zecken nicht nur Vektoren, also
Virusüberträger, sondern auch Virusreservoir sind. Ein
Wildtierreservoir für Nairobi Sheep Disease Virus ist bislang noch nicht bekannt.
Pathogenese
Nach Infektion durch den Biss einer infizierten Zecke
kommt es wahrscheinlich zur ersten Vermehrung der
Viren im regionalen Lymphknoten und zur anschließenden Virämie, mit der die Viren etliche weitere Organe
wie den Darmtrakt und die Reproduktionsorgane erreichen. Genaueres zu den pathogenetischen Mechanismen
ist nicht bekannt und wird nur im Analogieschluss zum
Rifttal-Virus vermutet.
Klinik und Pathologie
Die Klinik bei Schafen und Ziegen ist schwer und kann
mit Mortalitäten von bis zu 90 % einhergehen. Nach einer
kurzen Inkubationsperiode von maximal einer Woche
kommt es zu hohem Fieber, hämorrhagischen Durchfällen und dem Rifttal-Fieber vergleichbaren „Abort-Stürmen“.
Diagnose
Das seuchenhafte Verwerfen in Endemiegebieten vergesellschaftet mit blutigen Durchfällen beim kleinen
Wiederkäuer sind relativ typisch für die Nairobi Sheep
Disease. Die Pathologie sowie die Virusanzucht und der
Immunfluoreszenztest aus Abortmaterial bestätigen in
der Regel den klinischen Verdacht.
Immunologie
Spezifische virusneutralisierende Antikörper werden
nach einer Infektion mit Nairobi Sheep Disease Virus
gebildet. Sie allein sind ausreichend für eine protektive
Wirkung gegen eine (Neu)Erkrankung.
Bekämpfung
In den Endemiegebieten werden regelmäßig Akarizide
meist via Tauchbecken appliziert. Saisonal werden diese
Maßnahmen durch Impfungen mit Lebendvakzinen oder
Totimpfstoffen verstärkt.
RNA-Viren
Epidemiologie
ss RNA, negativ
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Klinik und Pathologie
Verantwortlich für die Nairobi Sheep Disease ist das
gleichnamige Virus, das auch namensgebend für das Genus Nairovirus war.
27 RNA-Viren
568
Ätiologie
Das Genus Hantavirus ist nach dem Fluss Hantaan benannt, der Nord- und Südkorea trennt und wo nach
einem größeren Ausbruch das namensgebende Hantaan-Virus erstmals isoliert wurde. Eine eigenständige
Spezies ist dann gerechtfertigt, wenn die Aminosäuresequenzen der Strukturproteine um mindestens 7 % von
allen anderen Hantaviren divergieren. Viele der mittlerweile bekannten Hantaviren sind für teilweise schwer
verlaufende Erkrankungen des Menschen verantwortlich.
Epidemiologie
Hantaviren führen bei ihren Reservoirtieren zu einer
persistenten Infektion und man geht derzeit von einer
lebenslangen, permanenten Virusausscheidung v. a.
durch den Nagetierurin, aber auch via Kot und Speichel
aus. Die infizierten Tiere selbst zeigen keinerlei Anzeichen einer Erkrankung. Der Mensch infiziert sich in der
Regel durch Inhalation virushaltigen Staubes, Infektionen durch direkten Biss sind sehr selten. Nur beim
Andes-Virus ist eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung
bekannt, ansonsten stellt der Mensch einen Sackgassenwirt dar, von dem die Infektion nicht mehr weiter
verbreitet wird. Hantaviren sind ein klassisches Beispiel
für eine sogenannte Ko-Evolution. Man geht davon aus,
dass im Verlauf der Entwicklung die Hantaviren sich
zusehends an ihren bevorzugten Wirt angepasst haben
und dass diese Spezialisierung zu der beobachteten Diversität der Hantaviren geführt hat. Klassischerweise
werden bestimmte Hantaviren nur von einer Nagetierart übertragen und springen nur in sehr seltenen Fällen
auf sympatrisch vorkommende, nahe verwandte Spezies über. Konsequenterweise können Hantavirusinfektionen nur innerhalb des Verbreitungsgebietes der jeweiligen Nagetierspezies akquiriert werden. Die Infektion
der Nagetiere selbst erfolgt horizontal innerhalb des
Baus und bei Revierkämpfen der Männchen sowie horizontal bei der Aufzucht der Jungen. Als behüllte Viren
bleiben die Hantaviren im trockenen Staub nur wenige Tage infektiös, wenn sie vor UV-Strahlung geschützt
sind.
Pathogenese
Hantaviren werden mit der Atmung aufgenommen und
gelangen so in den Nasen-Rachen-Raum, wo sie Endothelzellen und ortsständige Makrophagen infizieren.
Über eine Virämie gelangen sie in sämtliche Organe,
wobei die Hantaviren der Alten und die der Neuen Welt
einen deutlich unterschiedlichen Tropismus zeigen. Bei
den Neuwelt-Hantaviren kommt es zu einer starken interstitiellen Lungenentzündung mit hoher zytotoxischer
T-Zell-Aktivität, Nekrosen und Apoptosen, die zu einem
lebensbedrohlichen Lungenödem durch Transsudation
führen. Die Hämorrhagie bei den Altwelt-Hantaviren ist
wahrscheinlich eine Folge direkter Endothelschädigungen der Blutgefäße. Es kommt zu Thrombozytopenien
und Verbrauchskoagulopathien in den Endstrombahnen
der Niere. In der Folge kommt es zu Proteinurie und konsequenterweise zur Polyurie mit Gefahr eines Volumenmangelschocks. Durch die Nephropathie wird auch der
Säure-Basen-Haushalt gestört. Interessanterweise sind
Hämorrhagie und Nierenversagen negativ korreliert, d. h.,
je stärker die Nierenkomponente, desto geringer das hämorrhagische Fieber.
Klinik und Pathologie
Die Hantaviren der Neuen Welt (durch Nagetiere der
Sigmontodinae übertragen) verursachen eine als Hantavirus-pulmonales-Syndrom (HPS) bezeichnete akute
Lungenerkrankung, die einer Intensivbehandlung bedarf.
Nach initialem Fieber führt eine schwere interstitielle Pneumonie zum Lungenödem, das in zunehmendem
Maße den Gasaustausch verhindert, Tachypnoe und
Schweratmigkeit sind die Folge. Meist kommt es auch zu
Tachykardie mit entsprechender Herz-Kreislauf-Symptomatik, weshalb die Bezeichnung HPS mehr und mehr
durch Hantavirus-kardiopulmonales-Syndrom (HCPS) ersetzt wird. Die Hantaviren der Alten Welt zeigen ein völlig anderes klinisches Bild beim Menschen. Hier herrscht
je nach verusachendem Virus die hämorrhagische Komponente vor. Die in Europa vorkommenden Hantaviren
führen aber weniger zu Hämorrhagien, hier ist das Fieber
mit einer unterschiedlich starken Nierenerkrankung vergesellschaftet, die in bis zu 50 % der Erkrankten zu einer
vorübergehenden Dialysepflicht führt. Allerdings ist bei
entsprechender Versorgung eine Restitutio ad integrum
die Regel. Letalitäten der schweren hämorrhagischen
Fieber können 15 % erreichen, die Letalität der durch das
Puumala-Virus verursachten Nephropathia epidemica in
Europa liegt bei 1–2 %.
Diagnose
Die Diagnose wird in der Regel serologisch gestellt, da
das Zeitfenster zum Nachweis durch Virusisolierung
(sehr schwierig) oder Nachweis viraler RNA durch RTPCR sehr klein ist. Es bestehen z. T. starke Kreuzreaktivitäten zwischen einzelnen Hantaviren, sodass die
Serologie keine 100 %ige ätiologische Diagnose erlaubt.
Durch die bekannten Verbreitungsgebiete engt sich jedoch die Anzahl der möglichen Hantaviren deutlich ein.
Zur Identifizierung von Endemiegebieten kann in den
Nagetieren serologisch und mittels RT-PCR die Prävalenz bestimmt werden. Über eine Sequenzierung der
Amplifikate ist eine genaue ätiologische Zuordnung
möglich.
Immunologie
Es wird die Bildung von IgM- und IgG-Antikörpern schon
früh nach der Infektion induziert. Die IgG-Antikörperfraktion ist sehr langlebig und verleiht wahrscheinlich
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Genus Hantaviren
27.3 Einzelstrang-RNA-Viren
569
Humanpathogene Bunyaviren
einen Schutz gegenüber einer Reinfektion mit demselben
oder möglicherweise einen partiellen Schutz gegenüber
einer Infektion mit einem nahe verwandten Hantavirus.
Es kommt zur Bildung von Immunkomplexen, die über
den Urin ausgeschieden werden. Die Schwere der Nierenschädigung und damit der Klinik korreliert nicht mit
der Menge der gebildeten Immunkomplexe.
Neben den oben beschriebenen Hantaviren (▶ S. 568)
gibt es eine Vielzahl von Bunyaviren aus den drei anderen Genera, die humanpathogen sind. ▶ Tab. 27.7 fasst
die wichtigsten Vertreter mit einigen ihrer Eigenschaften
zusammen.
Bekämpfung
Epidemiologie
Eine gezielte Bekämpfung ist nicht möglich, da es für
keines der humanpathogenen Hantaviren einen zugelassenen Impfstoff gibt und eine Kausaltherapie nicht
bekannt ist. Die Maßnahmen beschränken sich somit
auf die Verhinderung der Exposition bzw. das Tragen
von Respiratoren, wenn eine Exposition nicht zu verhindern ist.
Die humanpathogenen Bunyaviren haben die in der Tabelle dargestellten Verbreitungsgebiete und Überträger. Im
Rahmen der steigenden globalen Reise- und Transport‑
aktivität erhöhen sich die Chancen, dass exotische Viren
nach Mitteleuropa eingeschleppt werden. Die ebenfalls
steigenden globalen Temperaturen lassen darüber hinaus für unsere gemäßigten Breiten befürchten, dass für
Genus
Virus
Überträger
Vorkommen
Häufigkeit
Orthobunyavirus
California encephalitis
Stechmücken
westliches Nordamerika
selten Meningoenzephalitis
La Crosse
Stechmücken
Nordamerika,
Russland
häufig Enzephalitis im mittleren
Westen und Osten der USA
Jamestown Canyon
Stechmücken
Nordamerika
vereinzelt Meningoenzephalitis
Tahyna
Stechmücken
Europa, Russland
selten ZNS-Symptomatik in Zentralund Osteuropa
Keystone
Stechmücken
Nordamerika
vereinzelt Meningoenzephalitis
Snowshoe Hare
Stechmücken
Nordamerika,
Russland, China
selten Meningoenzephalitis
Trivittattus, Tensaw
Stechmücken
Nordamerika
vereinzelt Meningoenzephalitis
Bunyamwera, Bwamba, Germiston
Stechmücken
Afrika
möglicherweise vereinzelt Meningo­
enzephalitis
Rifttal-Fieber
Stechmücken
Afrika, Arabische Halbinsel
häufig hämorrhagisches Fieber,
Hepatitis; selten Retinitis, Meningo­
enzephalitis
Toscana
Sandfliegen
Südeuropa,
Nordafrika, Vorder-, Mittelasien
häufige Form der Meningitis in Südeuropa; selten Meningoenzephalitis/
Enzephalitis
Sandfly Sicilian, Sandfly Naples
Sandfliegen
Südeuropa,
Nordafrika, Vorder-, Mittelasien
häufig fieberhafter Infekt mit meningitischer Reizung; selten Meningitis
Krim-Kongo-hämorrhagisches Fieber*
Schildzecken
Südosteuropa,
Asien, Afrika
häufig hämorrhagisches Fieber, Hepatitis; selten Meningoenzephalitis
Dugbe
Schildzecken,
Stechmücken,
Gnitzen
Afrika
evtl. vereinzelt Fieber mit Meningitis
Erve
Schildzecken
Europa
Fieber, selten Enzephalitis
Bhanja
Schildzecken
Südeuropa,
Asien
vereinzelt Meningitis im Rahmen von
Laborinfektionen
Phlebovirus
Nairovirus
unklassifiziert
* Erreger der höchsten biologischen Laboratoriums-Sicherheitsstufe BSL4.
ss RNA, negativ
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▶▶ Tab. 27.7 Wichtige humanpathogene Bunyaviren und einige ihrer Eigenschaften.
RNA-Viren
Ätiologie
27 RNA-Viren
570
einige dieser Viren die klimatischen Voraussetzungen
zu ihrer Etablierung bald gegeben sein werden. Auf der
anderen Seite könnten auch die „exotischen“ Vektoren
bei den entsprechenden klimatischen Bedingungen hier
heimisch werden.
in bekannten Endemiegebieten. Für keinen der gelisteten
Erreger ist ein Impfstoff für die Anwendung am Menschen zugelassen.
Pathogenese
Martin Beer
Klinik und Pathologie
Die Bandbreite humaner Bunyavirus-Infektionen reicht
von milden grippeähnlichen Symptomen („Sommergrippe“ bei Tahyna-Virus) über febrile Erkrankungen
mit Muskel- und Gliederschmerzen bis hin zu schweren Meningoenzephalitiden oder hämorrhagischen Fiebern. Kinder scheinen für verschiedene enzephalitische
Bunya­viren besonders empfänglich zu sein. Bei dieser
Altersgruppe gibt es auch die meisten mit bleibenden
neuronalen Schäden nach der Infektion.
Diagnose
Die Diagnostik gestaltet sich aus mehreren Gründen
schwierig. Es handelt sich um hierzulande wenig bekannte und selten vorkommende Erkrankungen, dementsprechend selten wird der Verdacht geäußert oder
daraufhin untersucht. Durch die genetische und antigenetische Vielfalt innerhalb der Familie sind die direkten
Erregernachweise mit den entsprechenden Schwierigkeiten (falsch negative Ergebnisse) behaftet. Serologische
Kontrollreagenzien und Teste sind nur in Speziallaboren
verfügbar.
Immunologie
Nach der Infektion mit den meisten der gelisteten Bunya­
viren wird eine belastbare Immunität aufgebaut, deren
Dauer aber in den meisten Fällen nicht bekannt ist.
Bekämpfung
Eine Expositionsprophylaxe oder die Anwendung wirksamer Repellenzien ist der beste Schutz vor Ansteckung
Familie Orthomyxoviridae
Steckbrief
●●segmentiertes Einzelstrang-RNA-Genom, Negativstrangorientierung, 10–15 Kbp
●●behüllt, unregelmäßig, 80–120 nm Durchmesser,
auch fadenförmig
●●6–8 helikale Nukleokapsidsegmente
●●8 Strukturproteine, 3 Nichtstrukturproteine
●●hohe genetische Variabilität („Antigenic Drift“),
Reassortment möglich („Antigenic Shift“)
●●bedeutende Krankheitserreger bei Geflügel, Schwein,
Pferd, Mensch
Familienmerkmale
Orthomyxoviren besitzen ein segmentiertes RNA-Genom. Sie sind behüllte, pleomorphe Partikel mit einem
Durchmesser von ca. 80–120 nm; filamentöse Formen
können bis zu mehrere Mikrometer lang sein. Die Nukleokapside sind helikal-symmetrisch und 50–150 nm lang
(▶ Abb. 27.30, ▶ Abb. 27.31). Die Virionen enthalten 6
(Thogotovirus), 7 (Influenza-C-Virus) oder 8 (Influenza-Aund -B-Viren, Isavirus) Segmente einzelsträngiger RNAnegativer Polarität. Die Segmentgröße liegt zwischen
ca. 870 und 2 400 Basenpaaren, die Genomgröße damit
zwischen 10 000 und 14 600 Basenpaaren. Sie kodieren
für maximal 11 Struktur- und Nichtstrukturproteine.
Die segmentierte Genomstruktur begünstigt die
Entstehung von Reassortanten, d. h. von Viren, deren
genomische Segmente von zwei verschiedenen Elternviren abgeleitet sind. Diese Kombinationsvielfalt führt
dazu, dass v. a. reassortante Influenzaviren zu sogenannten pandemischen Infektionen führen können (Pandemie = weltweite Epidemie), da keine Immunität gegen die
neu zusammengestellten Nachkommenviren vorhanden
ist. Der Vorgang des Reassortments wird auch „Antigenic
Shift“ genannt.
Orthomyxoviren replizieren mittels einer viruseigenen RNA-abhängigen RNA-Polymerase, die keine Proofreading-Aktivität besitzt. So kann es zum weniger exakten
Ablesen des Elternstrangs und damit auftretenden Punktmutationen im Genom der Nachkommenviren kommen.
Werden diese Mutationen auch durch den Austausch von
Aminosäuren phänotypisch wirksam, spricht man von der
„Antigenic Drift“. „Antigenic Drift“ ist ebenfalls ein Grund
für die hohe Variabilität dieser Viren und bedingt, dass es
sich bei den Viruspartikeln in einem infizierten Wirt und
in einem infizierten Bestand stets um eine Population sehr
nah verwandter Viren, einer sogenannten Quasispezies
handelt, deren Einzelvirionen sich minimal unterscheiden.
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Nach der Inokulation der Bunyaviren mit dem Stich der
blutsaugenden Arthropoden kommt es meist zu einer ersten lokalen Virusvermehrung und einer darauf folgenden
Infektion weiterer Organe. Mit Ausnahme des Krim-Kongo-hämorrhagischen-Fiebers entstehen dabei keine hochtitrigen Virämien, die Infizierten stellen also Sackgassenwirte dar, da sich andere blutsaugende Arthropoden an
ihnen nicht wieder mit dem Virus infizieren können. Entsprechend sind nur beim Krim-Kongo-hämorrhagischenFieber-Virus nosokomiale Infektionen von Bedeutung.
Auffallend ist der Neurotropismus bei den humanpathogenen Bunyaviren, wobei die Enzündung der Hirnhäute
und des Hirns oft nicht die alleinigen pathogenetischen
Verursacher der entsprechenden Krankheitserscheinungen sind (▶ Tab. 27.7). Beim Rifttal-Fieber (s. o.) und dem
Krim-Kongo-hämorrhagischen-Fieber stehen die hämorhagischen Diathesen im Vordergrund.
27.3.7 
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