Artikel über Varizellen Varizellen: Pathogenese und Immunabwehr Die Windpocken zählen zu den kontagiösesten Krankheiten überhaupt. Mehr als 90 % aller empfänglichen Kontaktpersonen infizieren sich. Die Übertragung von infektiösem Virus durch Luftzug über verschiedene Räume hinweg (»fliegende Infektion«) ist beobachtet worden und spiegelt die Bezeichnung Windpocken anschaulich wider. Die Infektion erfolgt postnatal von Mensch zu Mensch als Tröpfcheninfektion oder durch direkten Kontakt mit akut erkrankten Patienten. Die größte Ansteckungsquelle stellen die im Bläscheninhalt enthaltenen Viren dar (Brunell 1988). Die Ansteckungsfähigkeit beginnt ein bis zwei Tage vor Ausbruch der Erkrankung und erlischt erst mit dem völligen Abheilen des bläschenförmigen Exanthems. Das ist in aller Regel etwa eine Woche nach Aufschießen der letzten Bläschen. Aus Krusten- oder Borkenmaterial konnte bisher kein Virus isoliert werden. Gar nicht selten sind Eltern oder Großeltern mit einem Zoster die Ansteckungsquelle für die Kinder und Enkel. Eintrittspforten für das VZV sind der Nasen-Rachen-Raum und die Konjunktiven. Das Virus gelangt von der Eintrittspforte nach einer initialen Vermehrung ins Blut (erste Virämie). Hierbei wird es in mononukleären Zellen (Monozyten) mit dem Blutstrom im ganzen Körper verteilt. In Leber und Milz findet anschließend eine massive Virusvermehrung statt. Am 6.-7. Tag nach der Infektion kommt es zur zweiten Virämie: Dabei wird das VZV in die Peripherie zur Haut und zu den Schleimhäuten transportiert. Infizierte Haut- und Schleimhautzellen gehen bei der Infektion zugrunde, es bilden sich die typischen Bläschen mit virushaltigem Inhalt. Nach Abklingen der akuten Erkrankung wandert das VZV retrograd entlang der peripheren sensorischen Nerven zu den Spinalganglien des Rückenmarks. Es lässt sich in den Neuronen und in der Glia nachweisen. In diesen sensorischen Ganglien entlang der Wirbelsäule bzw. in den Ganglien der Hirnnerven bleibt das Virus lebenslang latent liegen (Croen 1991). Bei nachlassender zellulärer Immunität kann das VZV jederzeit reaktivieren und wandert dann entlang der sensorischen peripheren Nerven anterograd an die Hautoberfläche, wo es im Bereich der betroffenen Dermatome zur Virusvermehrung mit Bläschenbildung (Zoster) kommt. Gegen die Infektion wehrt sich der Patient mit bei den viralen Erkrankungen typischen Abwehrvorgängen. Makrophagen (Monozyten) nehmen das Virus auf und präsentieren die zerlegten Virusteile den bereit stehenden T-Helferzellen und T-Killerzellen (Hayward et al. 1992). Für die immunologische Kontrolle einer VZV-Infektion ist das zelluläre Immunsystem mit VZV-spezifischen CD4+- und CD8+-Zellen verantwortlich. Über die T-Helferzellen werden auch B-Zellen aktiviert und übernehmen als Plasmazellen die Produktion von virusspezifischen Antikörpern. Im Blut und in der Lymphe findet man IgM, IgG und IgA. Auf den Schleimhäuten tritt nur sekretorisches IgA auf, das die lokale Schleimhautimmunität vermittelt. Demgegenüber bewirken die Serumantikörper der Klassen IgM und IgG in erster Linie eine Neutralisierung der im Blut und in der Lymphe, jedoch nicht der intrazellulär persistierenden Viren. Die Antikörper gegen das VZ-Virus können mit unterschiedlichen Methoden nachgewiesen werden. Hierzu gehören RIA, ELISA und Immunfluoreszenz-Test (Miller, Marshall & Vurdien 1993). Als zuverlässigster und empfindlichster Test gilt der FAMA, das ist der »fluorescent antibody membrane antigen test«. Er wird zur Bestimmung einer Serokonversion und zur Berechnung von Antikörperspiegeln (GMT = geometric mean titer) als Goldstandard eingesetzt. Ein weiterer Test, der mit den Ergebnissen des FAMA eng korreliert, ist der IIF, das ist der Indirekte Immunfluoreszenz-Test. 1 Die Pathogenese und die Immunantwort im Zuge einer primären VZV-Infektion lassen sich grafisch vereinfacht darstellen. Während der Ausscheidungsphase der Viren ist die Krankheit besonders ansteckend. Die T-Zell-vermittelte Immunität kommt frühzeitig in Gang und bleibt über Jahrzehnte, vermutlich lebenslang erhalten. Antikörper der Klassen IgM und IgA sind zwar schon etwa 10 Tage nach Erkrankungsbeginn nachweisbar, verschwinden aber nach wenigen Monaten, während die Antikörper der IgG-Klasse über Jahre nachweisbar bleiben. Wie alle anderen Viren der Herpes-Gruppe besitzt auch das VZV die Fähigkeit zur persistierenden Infektion. Es wird durch die beschriebenen Immunabwehrvorgänge nicht eliminiert, sondern verbleibt nach der Primärinfektion lebenslang im Körper und kann später Rezidive hervorrufen. Die wesentliche Voraussetzung für die Unterdrückung des schlummernden Virus, d. h. für einen lang dauernden Schutz vor einem Rezidiv, stellt die T-Zellabhängige Immunität (»cell mediated immunity«, CMI) dar (Arvin 1992; Gershon 1995). Man vermutet, dass eine lebenslange Immunität gegen das Varicella-Zoster-Virus durch eine Kombination aus Exposition gegenüber dem Wildtyp-Varicella-Zoster-Virus und wiederholter subklinischer Reaktivierung des latenten Virus aufrechterhalten wird (Krause et al. 2000). Erst wenn im Alter bzw. auch unter immunsupprimierenden Bedingungen (Gershon et al. 1979, 1989) die CMI stark nachlässt, kann eine Virusreaktivierung einen Zoster hervorrufen. 2