2 Störungen des Binokularsehens Fallbeispiel Positive Vertikalphorie Der 41jährige Patient leidet seit dem 15. Lebensjahr trotz verschiedener Korrektionen mit/ohne Nahaddition unter beständiger Asthenopie. Untersuchungsbefunde: Refraktion: RA S5,75 dpt sph, LA S5,25 dpt sph Der alternierende Prismenabdecktest ergab für die Ferne/ Nähe insgesamt 5 cm/m Basis unten vor dem rechten Auge. Nach dem Tragetest wurde eine Prismenbrille mit RA 3 cm/m Basis unten und LA 2 cm/m Basis oben verordnet. 22 Jahre später war der Patient weiterhin beschwerdefrei mit RA 3 cm/m Basis unten und LA 2 cm/m Basis oben. ter Astigmatismus (falsche Achsenrichtung) kann Pseudo- zyklophorien hervorrufen, die mit der echten Zyklophorie nichts gemein haben, sondern nur einer winkelungetreuen Abbildung der Umwelt entsprechen und nicht einer Zykloabweichung aller Konturen (108). Die Patienten versuchen bisweilen durch Kopfneigung und entsprechende Gegenrollung der Augen das dominierende Auge achsengerecht zum Brillenglas auszurichten. n Zusammenfassung Differenzialdiagnose der Zyklophorie n falsch korrigierter Astigmatismus n dekompensierende Obliquus-Störungen n geringfügige Augenmuskelparesen n muskuläre Erkrankungen Zyklophorie Formen sursoadductorius oder deorsoadductorius. Falsch korrigier- Zyklophorien werden durch gegensinnige Ver- rollung der Vertikalmeridiane der Augen verursacht: Ver- Therapie rollung in A-Stellung entspricht dabei Inzyklophorie, Verrollung in V-Stellung dagegen Exzyklophorie. phorien nutzlos. Optische Korrektionsmittel (Dove-Prisma) sind nicht praktikabel. Manchmal können kleinwink- Eine orthoptische Schulung scheint bei Zyklo- lige Zyklophorien doch wieder kompensiert werden, Differenzialdiagnose Zyklophorien sind in der Regel wenn gleichzeitig vorhandene Horizontal- und Vertikal- Zeichen einer Obliquus-superior oder Obliquus-inferior- phorien mit Prismen ausgeglichen sind. In der Regel ist Parese (zyklovertikale Parese) oder auch eines Strabismus eine operative Therapie nicht zu umgehen.1 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) W. de Decker Die Schielhäufigkeit in Mitteleuropa beträgt nach popula- Dieses Kapitel ist nach Krankheitsbildern geordnet. Ätio- tionsstatistischen Arbeiten 5,3 bis 7,4 % (102, 124, 146). logie und Pathogenese des Schielens, „an schwierigem Angaben zwischen 3 und 4 % sind veraltet, weil sie die Pa- Ort“ gelegen, sind nicht genügend bekannt, um Basis tienten mit Mikrostrabismus nicht enthalten, der noch einer tragfähigen Einteilung sein zu können. Krankheits- nicht bekannt war. In der Gesamtzahl der Schielenden bilder sind Abstraktionen, die auf klinischem Konsens be- gilt traditionell der Strabismus divergens mit 20 % in Europa als weitaus seltener als der Strabismus convergens. ruhen. Dieser ist nur möglich, wenn man sich bewusst bleibt, dass etwa 8 % aller klinischen Erscheinungen eine Der Anteil am operativen Krankengut des Verfassers hat Einordnung nicht voll zulassen. Ohne Ordnungsprinzipien sich aber in den letzten drei Jahrzehnten fortlaufend zu sind Lehre und Theoriebildung aber nicht möglich. Der Gunsten des Außenschielens verschoben, das offenbar Leser sollte deshalb nicht enttäuscht sein, wenn „sein wegen seines oft intermittierenden Wesens früher nicht Fall“ nicht genau in eine der hier gewählten Kategorien gleichermaßen häufig zur Operation vorgestellt wurde. passt, sondern diesen Umstand zum Anlass für eigene Malayen und Mongolen zeigen einen höheren Anteil von Strabismus divergens (173), was sich durch die Einwanderung von Asiaten in die USA auch dort mit einem An- Bemühungen nehmen. stieg des Außenschielens auswirkt (275). In unserer prak- tagmusblockierungssyndrom) und verblassen wieder, tischen Arbeit nimmt das Innenschielen die erste Stelle wenn sich zeigt, dass sie der immerwährenden Arbeit ein und soll vor dem Außenschielen dargestellt werden. von Forschern und Referenten nicht mehr den passenden Krankheitsbilder können reifen, sind manchmal eine Weile Mode (Fluchtschielen, Blind-Spot-Syndrom, Nys- n Zusammenfassung In Mitteleuropa liegt die Prävalenz der Schielerkrankungen bei 5–7 %, wobei das Innenschielen etwa 4-mal häufiger ist als das Außenschielen. 1 Hermann Mühlendyck gebührt Dank für gute Ideen und anregende Diskussionen über viele Jahre. Wir danken unseren Orthoptistinnen Anne Kirsch, Cäcilie Faust, Heike Nobis, Ursula Pink, Imke Köchling, Bettina Roggenkämper und Martina Zimmermann für die kritische Durchsicht des Manuskripts und für manche Anregung. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 188 W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 189 Rahmen geben. So sind auch die hier gewählten scheinbar robusten Kategorien zeitbedingte Definitionen. 2.4.1 Erworbenes Innenschielen n Bis etwa 1970 konnte man den Strabismus convergens als einheitliches Krankheitsbild darstellen. Seine Anpassungssymptome (Suppression, Amblyopie, anomale Je früher der Schielbeginn, desto gravierender sind die Korrespondenz) wurden als Versuche des Organismus Umbauvorgänge im visuellen System. Wir müssen des- gedeutet, sich vor Doppeltsehen zu schützen. Man teilte halb erworbenes Innenschielen im Kindesalter wiederum zwar differenziert in Schielformen ein, unterwarf sie unterteilen in aber praktisch alle der gleichen pathophysiologischen Deutung (199). Eine solche Interpretation setzt naiv vo- n die Fälle mit Schielbeginn im Alter auslaufender moto- erworbenes Innenschielen (2.4.1.) an den Anfang stel- rischer Empfindlichkeit, vom etwa 7. oder 8. bis 12. oder 15. Lebensmonat, n die Fälle mit Schielbeginn im Alter sensorischer Form- barkeit von etwa 11/2 bis 3 Jahren, len, da sie Gelegenheit gibt, die klassischen Vorstellun- n die selteneren Verläufe von akutem normosensorischen gen von der Pathophysiologie der binokularen Inter- Spätschielen mit einem Manifestationsalter von 3–6 aktion Schielender nachzuzeichnen. n Eine große Zahl von Patienten mit Strabismus conver- n die alsbald nach der Einschulung dekompensierenden gens schielt bereits im ersten Lebenshalbjahr, jedoch Jahren, akkommodativen Esotropien, im Gegensatz zu früheren, aus den Anamnesen abgeleiteten Angaben nicht seit Geburt (128, 235). Durch Ar- n die seltenen Fälle von offenbarem intermittierenden beiten von Kornhuber, Ciancia, Costenbader und Lang zung zur Esophorie wünschenswert, aber zwangsläufig (64, 71, 196, 214) wurde das Syndrom des frühkindli- oder von zyklischem Innenschielen, wobei die Abgrennicht ganz scharf möglich ist. chen Innenschielens definiert. Eine inzwischen umfang- Die Eltern schielender Kinder neigen dazu, die Frage nach reiche Literatur bestätigt die Sonderrolle dieser Schiel- dem Schielbeginn mit „seit Geburt“ oder „schon im Baby- form bis ins elektrophysiologische Detail. Eine binoku- alter“ zu beantworten. Hier ist besondere Sorgfalt erfor- lare Interaktion entsteht gar nicht erst. derlich, weil bei unkritischer Übernahme dieser Angaben n „Erworbenes“ Innenschielen haben alle Fälle, die bei Schielbeginn bereits Binokularsehen hatten und es ein Verkennen der erworbenen Innenschielformen mit ihrer besseren Prognose droht. Zum Spätschielen gehört nun, je nach Alter, mit Entwicklung anomaler Korres- auch noch die Esotropie Erwachsener in zwei Formen: pondenz, Suppression oder Diplopie beantworten. n der dekompensierten Esophorie, meist mit großem n Auch Strabismus divergens ist kein einheitliches Krank- heitsbild. Insbesondere muss davor gewarnt werden, Strabismus divergens intermittens einerseits und Exo- Schielwinkel und akuter Diplopie und n dem Strabismus im Senium mit dem Synonym „Diver- genzparese“, eine vielfach verkannte Alterskrankheit. unterschiedliche Die häufigste dieser Störungen, das Innenschielen im Alter Schweregrade ein und derselben Störung abzufassen. Unser Buch trägt dieser Unterscheidung insofern Rech- sensorischer Formbarkeit mit Schielbeginn etwa im 2. Lebensjahr, führt noch rasch zur Ausbildung sensori- nung, als es diese beiden Störungen in verschiedenen scher Anpassungssymptome, sodass diese (das Lehrbuch- Kapiteln darstellt. n Mikrostrabismus, erst in der Mitte des 20. Jahrhundert schielen früherer Darstellungen) im Zusammenhang mit phorie andererseits als lediglich diesem klinischen Bild dargestellt werden sollen. entdeckt, als selbständige Schielform erst in dessen 60er-Jahren im Bewusstsein der Augenärzte fest verankert, und „subnormales Binokularsehen“, in den 70er-Jahren herausgestellt, kann man als Minderformen des normalen Binokularsehens auffassen, die sich Anamnestischer und wahrer Schielbeginn einstellen, wenn ohne motorische Störung eine Minder- Wir sind, was den Schielbeginn angeht, in aller Regel auf anlage zu normalem Binokularsehen vorliegt. Die häu- die Elternangaben angewiesen. Auch sorgfältig beobach- fig nachweisbare Erblichkeit nicht der einzelnen Schiel- tende Eltern können uns nicht sagen, ob vor dem Zeit- form, sondern der zugrunde liegenden Systemschwäche punkt des Auftretens unübersehbaren Schielens echter des Binokularsehens unterscheidet den Menschen von Parallelstand mit Binokularsehen vorgelegen hat. In den seinem natürlichen Hintergrund. Ätiologie und Patho- Anamnesen finden wir neben der Angabe „schielt seit Ge- genese des Schielens lassen sich trotz großer Anstrengung der Hirnforschung bis heute nicht ausreichend burt, jedenfalls seit dem ersten Lebensjahr“ gehäuft die Auskunft, das Schielen sei mit 2 Jahren aufgetreten. Da mittels tierexperimenteller Basisforschung aufklären. wir erst im Laufe des 5. Lebensjahres Angaben zur Korrespondenz erhalten und diese von zwei Dritteln der konver- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. raus, dass zur Zeit des Schielbeginns bereits Binokularsehen bestanden hatte. Wir wollen diese Situation als 190 2 Störungen des Binokularsehens gent schielenden Kinder als anomal oder mikroanomal angegeben wird, stehen wir vor einer offenen Frage: Hat lung von Nystagmus latens, der bei Schielbeginn nach dem 7. Lebensmonat nicht mehr auftritt. Je später der vor dem anamnestischen Schielbeginn schon ein unauffälliger Basismikrostrabismus vorgelegen? Oder konnte ein Schielbeginn, desto eher sollte theoretisch die Korrespondenz normal sein, woraus sich ein Rückschluss auf den echter Schielbeginn im Alter von 2–3 Jahren eine ur- Schielbeginn ergeben müsste. In der Praxis zeigt die Kor- sprüngliche normale Sensorik noch anomal umformen? respondenzdiagnostik aber so häufig gemischte Verhält- Kinder, die alsbald nach anamnestischem Schielbeginn nisse – normale, wechselnd mit oder neben anomalen An- in Behandlung kommen und bereits amblyop sind, müs- gaben –, dass man hieraus allenfalls die Annahme be- sen schon beträchtlich früher mit unauffälligem Winkel gründen kann, es sei anfangs nur intermittierend und geschielt haben, es sei denn, eine überzeugende Anisome- mit wechselnden Winkeln und mehrfacher Prägung der tropie erkläre die Amblyopie zwangslos: Das Schielen wäre in diesem Falle „sekundär“ und Folge einer anderen Korrespondenz geschielt worden. Alle Untersuchungen beeinflussen die Substanz dessen, was man untersuchen Störung. will, da sie zwangsläufig dissoziierend sind. Durch die Unsukzessives Darbieten der Nachbilder) erhält man eine des wahren Schielbeginns kaum je exakt möglich. Gleichwohl hat die Anamnese einen erheblichen Wert. anomale Antwort, die zur selbst herbeigeführten manifes- Die folgenden Fragen sollte man sich stets präzise beantworten lassen. n Wer hat den Verdacht auf Schielen zuerst geäußert? ten Phase passt und wegen des Eingreifens ein Intermittieren nicht zwingend ausschließt. n Latenstypnystagmus spricht für einen frühen Schielbeginn, normale Korrespondenz für einen späten. Ärzte beobachten meist besser als Eltern, Verwandte u. U. unbefangener. In praktischer Hinsicht ist deshalb die Anamnese nicht zu n Meinen die Eltern den Beginn unübersehbar manifesten vernachlässigen und Wert darauf zu legen, dass Eltern Schielens oder bestand der Verdacht schon früher? Hier und Patienten die gestellten Fragen präzise beantworten. werden viele Missverständnisse ungeklärt in Krankenblätter eingetragen! Falls dies nicht möglich ist, sollte man Bedenkzeit geben und die Fragen nach angemessener Zeit wiederholen. Fo- n Schielte das Kind anfangs nur zeitweise? Auch sichere tografien erlauben nur die Bestätigung oder den Aus- Angaben hierzu lassen den Verdacht auf primären Ba- schluss großer Schielwinkel, haben also für die Frage des sismikrostrabismus natürlich offen, doch klärt eine Schielbeginns keine bindende Qualität. Hilfsfrage hier noch manchmal weiter auf: n War das Kind beim „Schielbeginn“ schon einseitig seh- schwach? Hat der erstbehandelnde Arzt sofort zur Abdeckbehandlung oder zu ähnlichen Maßnahmen geraten? Schielbeginn im zweiten Lebenshalbjahr n Bei behauptetem spätem Schielbeginn darf nicht ver- Einer angemessenen Besprechung der Symptome bei säumt werden, nachzufragen, ob Anhalt für passageres frühem Innenschielen steht die amerikanische Nomenkla- Doppeltsehen vorlag, wie Zukneifen eines Auges oder tur im Wege, die unter „Congenital Esotropia“ und „Infan- entsprechende Äußerungen des Kindes, die ab dem tile Esotropia“ Patienten mit Schielbeginn in den ersten 4. Lebensjahr erwartet werden dürfen. Fehlen solche Lebenswochen mit solchen zusammenfasst, die erst mit Hinweise völlig, so spricht dies für dekompensierten 8–12 Monaten schielen. Die Ersteren entwickeln ein primären Mikrostrabismus und gegen wahren späten Schielbeginn. Schielsyndrom (2.4.2), die Letzteren gehören schon zum erworbenen Schielen. Bei ihnen hatte bereits einige Mo- Aus dem Vorliegen einzelner frühkindlicher Schielsymp- nate Binokularsehen bestanden, das nunmehr verloren geht. Das differenzialdiagnostische Symptom ist der Nys- tome ist der frühe Schielbeginn nicht ganz verbindlich abzuleiten. So entwickeln Patienten, die mit 5–7 Jahren tagmus latens (Latenstypnystagmus), der nun, auf jeden durch eine perforierende Verletzung ihr Binokularsehen Fall nach dem achten Lebensmonat, nicht mehr eintritt verlieren, noch häufig Amblyopie, anomale Korrespon- (wie auch die wohl nahe verwandte Asymmetrie des op- denz und dissoziiertes Höhenschielen. Akut dekompensie- tokinetischen Nystagmus). Alle anderen motorischen rende Esophorien können scheinbar urplötzlich mit Aoder V-Inkomitanzen kompliziert sein. Den verlässlichen Symptome des frühkindlichen Schielsyndroms treten ein, insbesondere auch das dissoziierte Höhenschielen Nachweis frühen Schielbeginns bzw. den Ausschluss er- (dissoziierte Vertikaldivergenz, DVD), wenn auch meist erst worbenen Schielens erlaubt eigentlich nur die Feststel- im 3. bis 4. Lebensjahr auffallend. Die Sorge, es durch Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. terbrechung der binokularen Interaktion (Abdecken und n Bei alternierendem Schielen ist die Feststellung W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) rellen Frühoperation, sieht das Hervortreten des dissoziierten Höhenschielens im gleichen Alter wie die Vertreter des Operierens mit 18, 12 oder 6 Monaten. Tritt DVD nicht ein, so haben wir es mit größter Wahrscheinlichkeit mit einem intermittierenden Schielen zu tun. Leider ergibt sich diese diagnostische Hilfe zu spät, um die Frage der Frühoperation mit objektiven Kriterien beantworten zu können. Diese gibt es bisher leider nicht. Man kann mittels VECP nachweisen, ob visuelle Stimuli eine binokulare Antwort auslösen (118). Es gibt aber keine klinische Literatur, die dies mit der fraglichen Prognose in Beziehung setzt. Es ist dies vielleicht die schwierigste strabologische Indikationsstellung. Der Verfasser operiert im Zweifel, aber eben nur in dieser Gruppe und nicht bei Schielbeginn im ersten Lebenshalbjahr. Auftreten im Alter sensorischer Formbarkeit Fallbeispiel Der noch nicht ganz 5-jährige Torge B. schielte mit 4 Jahren akut. Ein halbes Jahr später war er bei augenärztlicher Untersuchung auf dem rechten Auge mit einem Visus 0,2 und exzentrischer Fixation im Wechsel mit fovealer schon betont amblyop. Fünf Tage Okklusion pro Woche besserten den Visus dieses rechten Auges in vier Monaten auf 1,0 partiell. Weitere mildere intermittierende Okklusion führte zum Alternieren. Er gab jetzt mit Nachbildern normale Korrespondenz an, und die Mutter bestätigt auf erneutes Fragen, er habe Parallelstandsphasen. Die ausgiebige beidseitige Rücklagerung der M. recti mediales etablierte einen intermittierenden Mikrostrabismus für die Ferne und einen konstant manifesten für die Nähe von S2h. Die Nachbildangaben zur Korrespondenz sind immer normal. Der resultierende und vielleicht ursprüngliche Mikrostrabismus kann nicht vom identischen Typ sein, da jede Spur einer Amblyopie fehlt. Hier begegnet uns eine im Prinzip unlösbare Diskrepanz: Ein nur intermittierendes Schielen sollte nicht zur Amblyopie geführt haben, eine konstante Fehlstellung bei Schielbeginn mit 2,5 Jahren sollte zur anomalen Korrespondenz geführt haben. Beides ist nicht der Fall. Eine derart lockere und reversible exzentrische Fixation, Bei Schielbeginn im Alter von 1–3 Jahren ist der Schiel- wie bei diesen beiden Fällen, wird als „exzentrische Ein- winkel meist konstant und lässt sich mit dem Prismen- stellung“ vom Vollbild der exzentrischen Fixation unter- 2 /3 der Patienten schieden, insbesondere, wenn die Hauptsehrichtung (das schielen einseitig, bei Behandlungsbeginn meist schon „subjektive Geradeaus-Vorne“) nicht – noch nicht – an mit Amblyopie. Nach deren Beseitigung durch Okklusion findet sich überwiegend anomale Korrespondenz (ARK), die exzentrische Netzhautstelle übergegangen ist (77, 106). abdecktest verlässlich messen. Etwa meist mit gut messbarem Anomaliewinkel in reproduzier- Man sieht im Kontext dieser Fallbeispiele bestätigt, dass barer Größe bei wiederholter Untersuchung. Die beiden die Krankheitsbilder nur dem Ordnungsprinzip dienen folgenden Fallbeispiele, durch 35 Berufsjahre des Verfas- und dass man, im Zweifel, dem Ordnungsprinzip nicht sers voneinander getrennt, beleuchten aber, dass es die lebendige Entscheidung opfern darf. einen Ausnahmemechanismus gibt: Wird der Patient Ein Drittel der Patienten mit anamnestischem Schiel- rasch und tief amblyop, so können die Korrespondenzbe- beginn nach dem ersten Lebensjahr kommt mit wechsel- ziehungen gewissermaßen auf ungenutzt normalem Niveau eingefroren werden, sodass der spätere Verlauf eher einem verschleppten normosensorischen Spätschie- seitigem Schielen in unsere Behandlung. Nicht immer fixieren beide Augen gleich häufig. Als Strabismus alternans darf man auch die Fälle einstufen, die trotz eindrucksvol- len gleicht als einem relativ früh erworbenen Schielen. ler einseitiger Dominanz ohne Okklusion nicht amblyop Die binokulare Interaktion erweist sich in solchen Fällen wurden. Die einmalige Untersuchung sagt hierzu wenig als unerwartet stabil. aus, da der innere Zeittakt des Führungswechsels (zwischen Sekunden und Tagen) individuell sehr verschieden Fallbeispiel sein kann und während der Untersuchung durch Abdeck- Die Eltern des 18-jährigen Heinrich S. wünschten, dass trotz der erklärten schlechten Prognose eine Amblyopiebehandlung versucht würde. Nach wenigen Übungen mit dem Pleoptophor wurde die 6h nasal exzentrische Fixation zentral; der Visus stieg von 1/50 auf 0,4. Die Korrespondenz wurde stets als normal angegeben (Nachbilder, Doppelspiegelbetrachter nach Lang). Nach Schieloperation (einseitigkombiniert bei S15h max. Winkel F = N) etablierte sich Mikrostrabismus von S1h mit fovealem Hemmskotom (Lücke im Bagolini-Streifentest). Anomale Korrespondenz von 6h oder 1h konnte auch postoperativ nicht nachgewiesen werden. Alle Beteiligten warten äußerst zufrieden mit diesem Ergebnis. maßnahmen häufig nicht zu beeinflussen ist. Bei wiederholtem Messen zeigen die einseitig schielenden wie die alternierenden Fälle konstant wirkende Schielwinkel. Versucht man allerdings, den Schielwinkel für längere Zeit mit Prismen auszugleichen, so kommt es meist zur Winkelvergrößerung, manchmal nach Sekunden, manchmal erst nach einigen Tagen. Dieser Rückdrehreflex wird von der Labilität der Augenstellung beim frühkindlichen Schielen gedanklich unterschieden und eher durch das Bestreben erklärt, eine eingefahrene harmonisch anomale Sehweise wieder zu gewinnen (20, 54). Deren sensorische Situation ist individuell auffallend Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Frühoperation zu provozieren (53), ist sicher unbegründet. Der Verfasser, durchaus kein Apostel der gene- 191 192 2 Störungen des Binokularsehens verschieden und kann kompliziert sein. Die Tendenz zum 10 % anamnestisches Spätschielen vom 3. bis zum „Rückdrehen“ nimmt im Laufe des Lebens ab. Dies er- 10. Lebensjahr. Von den betroffenen 100 Fällen erfüllten scheint unlogisch. Erwarten sollte man, dass Erwachsene mit lange gefestigter anomaler Korrespondenz eine wohl- nur 18 die Kriterien des normosensorischen Spätschielens, weniger als 2 % im ambulanten Klinikskrankengut. trainierte anomale Fusion haben und von daher bestrebt Normosensorisches Spätschielen ist ein häufig verkann- sein sollten, den Schielwinkel wiederzugewinnen. Es ist tes Krankheitsbild. Eine intensive Fortbildungstätigkeit deshalb anzunehmen, dass Patienten mit ausgeprägtem hat in 20 Jahren bewirkt, dass nicht mehr jeder 4. aber Rückdrehreflex motorisch wohl doch eher zum frühkind- doch immer noch nur jeder 2. Patient zügig überwiesen lichen Schieltyp zu rechnen sind. und sinngemäß rasch entlastend operiert wird. Wichtig ist, immer an die Möglichkeit zu denken, auch wenn nicht über Diplopie geklagt wird. Erforderlich ist: n die objektive Refraktionskontrolle möglichst mit Atropin. Normosensorische Formen des (späten) Innenschielens Sie entlarvt nicht nur durch die Skiaskopie die refraktiv Parallelstand in Zykloplegie, weil die Akkommodation weitgehend reifes, topographisch richtig strukturiertes, nicht länger die Konvergenz antreibt. Diese Feststellung aber nicht voll tragfähiges visuelles System. Die Unterbre- von hohem diagnostischen Wert ist mit kurzwirkenden chung des Binokularsehens wird häufig als Diplopie einschneidend erlebt und mitgeteilt. Kinder, besonders Knaben im Alter von etwa 10 Jahren, haben aber eine Ten- Zykloplegika nicht so sicher zu treffen; n die sofortige Entlastung mit Prismen, n die rasche entlastende Operation, falls nicht mit Brille denz, das Doppeltsehen zu verschweigen, sodass man und/oder Prismen eindeutig Rekompensation eintritt, gut tut, ausdrücklich und wiederholt nachzufragen. Das oder bei nachweislicher Emmetropie. Doppeltsehen wird zum Hauptsymptom und sorgt dafür, dass sprachfähige Kinder den Schielbeginn immer als akut schildern. Erwachsene, besonders ältere, klagen dagegen nicht selten über Unscharfsehen. Die wahre Natur der Störung wird deshalb oft lange nicht erkannt. Gewöhnlich findet man einen konkomitierenden Schielwinkel, nur selten Strabismus sursoadductorius und mildes n Zusammenfassung Normosensorisches Spätschielen als strabologischer Notfall n objektive Refraktionskontrolle (Atropin) n sofortige Entlastung mit Prismen n rasche entlastende Operation dissoziiertes Höhenschielen. Speziell gegen die Forderung nach unverzüglicher entlasn Hauptsymptom des normosensorischen Spätschielens ist die Diplopie. tender Operation wird zu oft verstoßen. Immer wieder werden solche Fälle durch wechselseitige Okklusion konserviert, wobei nicht festzustellen ist, ob die Behandeln- Normosensorisches Spätschielen der Vorschul- Das Vollbild des normosensorischen Spätschie- den das Krankheitsbild nicht kennen oder sich der Gefahr nicht bewusst sind, dass Kinder in wenigen Wochen die lens ist sehr eindrucksvoll, da Kinder, die nach dem sensorische Fähigkeit zum Binokularsehen verlieren kön- 3. Lebensjahr zu schielen beginnen, mitteilen können, dass sie doppelt sehen. Die Symptomatik entspricht an- nen. Leider wird auch in der Literatur gelegentlich die gebotene Eile verneint (39, 251, 314). Da drei Faktoren (pro- fangs der einer dekompensierten Heterophorie beim Er- spektiv) die Prognose und (retrospektiv) das Spätergebnis wachsenen. Neben dem Vollbild mit Diplopie gibt es Ver- beeinflussen (Qualität der Anlage des Binokularsehens, läufe, bei denen Doppeltsehen nicht zu erfragen oder Alter bei Schielbeginn und Dauer bis zur Beseitigung der durch Zukneifen eines Auges wahrscheinlich zu machen ist (81). Durch die Tendenz älterer Kinder, ihre Diplopie Fehlstellung), tritt der Stellenwert der Vernachlässigung nur bei genügend großem Krankengut und Beschränkung zu verschweigen, wird es weiter erschwert, Angaben zur auf ein Alter zwischen 3 und 10 Jahren hervor (Tab. 2.13). Häufigkeit zu machen. Lang, der das Krankheitsbild be- Der schädliche Einfluss längerer Unterbrechung des Bino- sonders herausgestellt hat (217), änderte mehrfach selbst kularsehens findet sich schon in der älteren Literatur (49, 239). kinder seine Angaben zur Häufigkeit. Diese liegen zwischen 16 % (215) und 11 % (219) der von ihm operierten Schielenden, Besonders risikoreich sind die Fälle ohne Diplopieanga- was populationsstatistisch nicht viel nützt. Frandsen (124) ben. Sie haben oft primär nur subnormales Binokularse- fand insgesamt nur 7 % schielender Kinder mit anamnestischem Schielbeginn zwischen dem 3. und 7. Lebensjahr. hen und enden, unbehandelt, mit dessen Verlust. Die Kinder mit vollwertigem Binokularsehen und Stereopsis sind Eine Durchsicht von 1000 fortlaufenden Fällen des eher von persistierender Diplopie bedroht, da nicht ein Verfassers aus der Zeit noch „offener“ Poliklinik ergab jeder Suppression entwickeln kann. Es ist wichtig, dies Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. akkommodativen Fälle, sondern führt auch häufig zum Der Schielbeginn nach dem 3. Lebensjahr trifft ein schon W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 193 Tabelle 2.13 Behandlungsergebnisse von 79 Kindern, abhängig vom Zeitverzug zwischen Schielbeginn und Therapiebeginn bei normosensorischem Spätschielen. Vereinfacht nach (81) bis 1 2 bis 12 Mehr als 12 Behandlungsergebnisse Normales Subnormales Binokularsehen Binokularsehen Gesamte Patientenzahl Unterkorrektur 8 4 12 15 16 6 37 4 15 11 30 den Eltern schon bei einer ersten Vorstellung klar zu ma- y chen und im Falle der Ablehnung einer doch meist opera- rischen Spätschielen, sowohl die akuten Fälle mit der ent- Nachsorge. Alle Patienten mit ehemaligem normosenso- tiven Behandlung ihnen eine Kopie des Arztbriefes oder lastenden Operation als auch die schleichend/intermittie- ein anderes Dokument zuzuschicken, um sich gegen spä- rend Schielenden, bei denen es nicht selten doch nicht zur tere Vorwürfe wegen ungenügender Aufklärung zu schüt- Operation kommt (314), bedürfen auch bei Wiedereintritt zen. von Binokularsehen noch über mehrere Jahre der Kon- In motorischer Hinsicht überwiegt der akute Typus mit etwa 2/3 der Fälle. Die Literatur bestärkt den eigenen Eindruck, dass diese in der Prognose etwas besser gestellt und unter ihnen vermehrt voll normosensorische Fälle trolle. n Bei jedem akuten Strabismus ist eine neurologische Erkrankung auszuschließen. festzustellen sind, also ein Krankengut im Sinne der Vorstellungen von Lang. Eine etwas geringere Zahl schielt an- Akutes Innenschielen bei Schulkindern fangs intermittierend mit schleichender Verschlechterung seltenen Fälle sind nicht einheitlich. Neben verspätetem und schließlicher Aufgabe des Binokularsehens (314). Hier „echten“ normosensorischen Spätschielen finden sich ge- finden sich vermehrt die Subnormalen und die Fälle mit häuft im 3. und 4. Schuljahr psychogene Fälle. Diplopie etwas schlechterer Prognose, die auch bei rechtzeitiger Behandlung nicht immer optimal werden. Nach zunächst wird meist an- bzw. zugegeben. Erforderlich ist zunächst die Skiaskopie unter Atropin (1 % in öliger Lösung, Gabe erfolgreicher Brillenkorrektion der Hyperopie tritt oft während zweier Nächte vor Skiaskopie). Findet sich eine nach 4–6 Monaten ein Rezidiv ein. Auch die schließlich nennenswerte Hypermetropie, so wird die Brillenver- noch durchgeführte entlastende Operation kann versagen. y Differenzialdiagnose. Während echtes normosensori- schreibung zunächst Parallelstand und Binokularsehen sches Spätschielen leider häufig verkannt wird, werden nach 4–6 Monaten – ist jedoch nicht gering. Auch die Em- umgekehrt auch Patienten mit dieser Diagnose vor- metropen schielen „akkommodativ“: Die im 3. Schuljahr gestellt, die in Wirklichkeit einen dekompensierten Mikrostrabismus haben (S. 226). Das Auftreten oder Fehlen einsetzende Leistungsforderung zwingt zur Akkommodation und kann Esophore zur Dekompensation bringen. von Diplopie ist nicht geeignet, die Frage eindeutig zu ent- Nicht immer tritt konstant manifestes Innenschielen ein, scheiden. Korrespondenzprüfungen (Haidinger-Büschel, sondern mitunter nur ein Konvergenzexzess. Die Auslö- Nachbilder nach Hering!) und die Feststellung einer leich- sung durch übermäßige Akkommodation dürfte auch der ten Amblyopie am abweichenden Auge erlauben die Zu- Mechanismus der als psychogen eingestuften Fälle sein. ordnung besser. Hilfreich ist die Feststellung einer even- Man muss dieses Ereignis als Notschrei verstehen: tuell nur leichten Amblyopie deshalb, weil Mikrostrabis- „Wenn ich schon nicht verstehe, so sehe ich doch furcht- mus in der Regel einseitig ist. Die leichte Amblyopie wiederum darf nur diagnostiziert werden, wenn Fixations- bar scharf hin!“. Insofern ist die Abgrenzung zwischen organischen und psychogenen Fällen undeutlich und viel- und Refraktionsbefund durch Sterntest und sorgfältige leicht sinnlos: Psychogene Störungen haben oft einen Skiaskopie genau bekannt sind. In praktischer Hinsicht kleinen organischen Kern, hier also eine Esophorie. Der wird man einen dekompensierten Mikrostrabismus aber Patient überträgt seine Sorgen dann gerne auf latente Ba- ebenso ernst nehmen müssen wie echtes normosensori- sissymptome (Konversionsneurose). Die an sich stabilisieren. Die Zahl der Rezidive trotz Brillentragens – sches Spätschielen, da auch hier der Verlust der Zusam- Die weitere Befassung ist für beide Gruppen mühsam. menarbeit beider Augen droht. Bei Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber dem Mikrostrabismus ist postoperative Teilzeitokklusion des dominanten Auges einmal Man muss n durch neurologische Untersuchung mitsamt einer nicht eben kinderfreundlichen bildgebenden Diagnostik aus- wöchentlich zu empfehlen, da sie niemals und nieman- schließen, dass ein Hirntumor dahinter steckt (Epi- dem schaden kann. physe!); Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Zeitverzug in Monaten 2 Störungen des Binokularsehens n zunächst mit Prismen die Binokularfunktion zu erhalten suistischen Literatur trifft man häufig auf die Angabe, die versuchen, was bei den gewöhnlich großen Schielwin- Patienten hätten minimale neurologische Symptome oder keln schwierig sein kann; n nach einigen Wochen doch an die entlastende Operation diskrete Teilsymptome des frühkindlichen Schielsyndroms (287). Eine ganz scharfe Abgrenzung zum intermit- denken, durchaus auch bei den als psychogen einge- tierenden frühkindlichen Innenschielen gelingt nicht stuften Kindern, da nach Monaten der Unterbrechung (2.4.2.). der Erhalt des Binokularsehens nicht mehr zugesagt Der weitestgehende Konsens in der Literatur betrifft werden kann. Hier bedarf es im Falle der Operations- den Verlauf. Nach 6 Wochen (312), meist aber nach vielen ablehnung durch Eltern oder ältere Kinder selbst der Monaten bis wenigen Jahren degeneriert der exakte „defensiven Medizin“, vor allem der Dokumentation Rhythmus und es kommt irgendwann zum konstant ma- und der schriftlichen Zustellung derselben an die Eltern, da nach Gewahrwerden des eingetretenen Scha- nifesten Schielen. Die entlastende Operation, mit guter Prognose, ist deshalb unvermeidlich und sollte nach Be- dens doch noch der Schuldvorwurf den Arzt treffen stätigung der Diagnose und Korrektion einer Refraktions- kann. anomalie zügig angegangen werden. Die meisten Autoren Wünschenswert und von vielen Eltern sehr geschätzt ist bevorzugen eine großzügige beidseitige Rücklagerung des die Hinzuziehung kinderpsychologischen Sachverstandes. M. rectus medialis. Auch begleitende Vertikaldivergenzen Hiergegen ist zunächst nichts einzuwenden; es kommen verschwinden dann, womit wohl deren dissoziierter Cha- meist Schulsorgen zum Vorschein. Man muss aber leider rakter angenommen werden darf. damit rechnen, dass solche Fachleute, wenn nach Wochen oder Monaten die entlastende Operation unumgänglich wird, sich dieser entgegenstellen, wobei sie inzwischen Das Vorkommen bei Erwachsenen ist beschrieben, und zwar auch oder gerade bei Fällen ohne Binokularsehen (270, 309). viel mehr Einfluss auf die Eltern gewonnen haben als y der Augenarzt. oden werden in vielen Arbeiten nur prinzipiell erwähnt, Zyklisches Schielen mit anderen Perioden. Andere Peri- Man sollte deshalb schon bald nach Übernahme der Be- aber nicht mit Fällen belegt. Es ist offenbar extrem selten. handlung, aber nicht ohne Kenntnis der skiaskopischen Angesichts dieser Literaturlage hätte der Autor dieses Ka- Refraktion, einen Behandlungsplan einschließlich der pitels nicht an die Existenz dieser Schielform geglaubt, Operation aufstellen, durchaus in Gegenwart der (älteren) Kinder, die dann unter Umständen doch anderen Sinnes hätte er nicht selbst einen solchen Patienten gesehen: werden. Die Operation muss, wie bei allen Esophoren Fallbeispiel bzw. Normosensorischen hoch dosiert werden. Hierauf Der 30-jährige K. S. wurde unter der Diagnose Esophorie durch eine beidseitige Medialisrücklagerung entlastend operiert. Er hatte über periodisches Auftreten von Doppeltsehen geklagt und unter dreitägiger Okklusion einen Winkel von S12h manifestiert. Nach zwei Monaten kehrten die Beschwerden samt der Diplopie zurück, doch stellte sich der entmutigte Patient erst nach 5 Jahren wieder vor. Die Anamnese ergab nun, dass in Abständen von 2 Wochen jeweils für 2–3 Tage anfallsweise doppelt gesehen wurde. In den Intervallen war er völlig beschwerdefrei. Sensorisch fand sich trotz genauester Untersuchung nichts Abnormes. Auch die Fixationsdisparitätskurve zeigte keine Auffälligkeiten der sensorischen Fusion. Eine beidseitige Fadenoperation an den voroperierten Mm. recti mediales bewirkte Doppelbildfreiheit während einer Nachbeobachtungszeit von 4 Jahren. Beschwerdefrei ist der Patient nicht: Mit der alten Periodik tritt Asthenopie auf. Objektiv ist aber nur eine kompensierte Esophorie von 3h nachzuweisen. Subjektiv spürt der Patient den „Impuls“ stets genau. kommen wir noch zurück. Zirkadianes und zyklisches Innenschielen Die Störung ist selten. Man findet einen Fall auf 3000–5000 Esotrope (72). Unter diesen ist das klassische zirkadiane Schielen an jedem 2. Tag häufiger und zyklisches Schielen mit anderen Rhythmen offenbar extrem selten. y Zirkadianes Innenschielen. Die Eltern berichten spontan, dass immer ein Schieltag und ein schielfreier Tag abwechseln, sodass man die Uhr danach stellen könne. Es ist beobachtet worden, dass die Umschaltung in den frühesten Morgenstunden erfolgt (334). In der Literatur wird auch angegeben, die meisten Fälle hätten vor Eintritt der eigenartigen Rhythmik konstant manifest oder lockerer intermittierend geschielt (72). Wegen der Seltenheit der Störung sieht der einzelne Autor wenig Fälle, sodass verallgemeinernde Feststellungen sehr schwer zu belegen sind. Die eigenen drei Fälle des Autors dieses Abschnittes Zyklisches Schielen ist auch schieltheoretisch interessant: schielten primär zirkadian im normosensorischen Alter Offenbar können in Helvestons Torbogenmodell (158) von 3–6 Jahren. Über die Häufung in diesem Alter besteht Steine nicht nur fehlen oder verloren gehen, sondern Literaturkonsens. Ein primär konstant manifestes Schielen darf bestritten werden, wenn während der zirkadianen auch wackeln (2.4.7). Parallelstandsphase und nach entlastender Operation nor- Dekompensierte und dekompensierende Esophorie males Binokularsehen besteht. In der weit verstreuten ka- Dekompensierte Esophorie bedeutet, dass aus der Phorie Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 194 W. de Decker ein Strabismus geworden ist. Unter diesem Aspekt wird die Störung hier behandelt (Eigentümlichkeiten der im Wesentlichen noch kompensierten Esophorie in 2.3). Bei akuter Dekompensation unterscheidet man drei Hauptformen: n Typ Franceschetti (123), mit Manifestation nach und 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 195 n Zusammenfassung Dekompensierende und dekompensierte Esophorien bedürfen der zügigen entlastenden Operation. Sie sind infolge ihrer beträchtlichen Schielwinkelgröße kein Betätigungsfeld für die Prismenverordnung. durch eine Unterbrechung des Binokularsehens (Augenverband, einseitige Katarakt, einseitige Aphakie). Auch Strabismus im Senium eine Neuritis N. optici kann mittels Zentralskotom der 70 Jahre kommt es mit unbekannter Häufigkeit, jedoch Auslöser sein (162). nicht selten, zum subakuten oder schleichenden Auftreten kennbare quasi mechanische Behinderung des Binokularsehens. n Typ Bielschowsky (31), aber schon von Schoen 1906 (288) von Strabismus convergens nur für die Ferne, mit fehlender oder geringfügiger Abduktionseinschränkung und Schielwinkeln anfangs um S3h. Die Störung ist im Prinzip schon fast 100 Jahre bekannt (288), wird aber auch in ein- zutreffend dargestellt: Hochmyope im Alter zwischen schlägigen Publikationen fast immer vergessen (227) oder 20 und 25 Jahren schielen, subakut beginnend für die als Divergenzinsuffizienz gedeutet (48, 224, 242). Piper Ferne (oft jenseits von 1,5 m), bei erhaltenem Binoku- (262) und Crone (75) vertreten die Zuordnung zum Stra- larsehen in der Nähe. bismus. Manchmal findet man das klinische Bild durchaus Der weitergehend interessierte Leser findet im fast 100 Jahre alten kleinen Lehrbuch von Schoen (288) dessen richtig beschrieben, aber ohne den Hinweis, dass es sich um eine Alterserkrankung handelt (130). und seiner Zeitgenossen prächtig entwickelte Dispute über die Ursachen, die in akkommodativem Fehlverhalten gesucht wurden. Ein relatives Handicap für den M. rectus lateralis infolge der Bulbusvergrößerung ist, wie für das Auftreten von Hy- n Eine Abduzensparese muss ausgeschlossen werden (Diabetes, Keilbeinmeningeom), wenn Verdacht auf einseitige oder asymmetrische Abduktionseinschränkung besteht. potropie (Heavy Eye, S. 140, 540) wahrscheinlich gemacht wurde, ein denkbarer Faktor. Richtig geklärt ist die Pathogenese nicht. Bei vollwertiger Abduktion sollte man älteren Leuten die doch recht invasiv gewordene Untersuchung ersparen, Hat man es bei diesen akuten Verlaufsformen ohne sie aber in Beobachtung behalten. Die geringe Sensibilität Zweifel mit dekompensierter Esophorie zu tun, so dürfte der Augenärzte für diese nicht seltene Alterserkrankung die langsam, oft über Monate und Jahre dekompensierende liegt daran, dass die Patienten im Gegensatz zu solchen Esophorie viel häufiger sein, als die spektakulären akuten mit echter Abduzensparese nicht über Diplopie klagen, Fälle, die in der Literatur besser abgebildet sind. Die sondern über Konfusion, die stets als Unscharfsehen er- Mehrzahl der Patienten mit langsam dekompensierender lebt und vorgetragen wird. Die übliche augenärztliche Esophorie quält sich mit oder ohne prismatische Abfangversuche. Nicht selten wird solchen Patienten unter dem Ausstattung und die überwiegend morphologische Ausbildung führen bei dieser Beschwerdelage zur Untersuchung Verdacht einer beidseitigen Abduzensparese die rasche von Makula und Linse, gefolgt von Trostworten. Wer die- entlastende Operation verweigert, oder jedenfalls doch ses Krankheitsbild aber einmal kennt, reagiert sofort mit nicht angeboten. Ebenfalls nicht selten sind Patienten, Rezeptur von beidseits 2–3 pdpt Basis außen, womit ge- die bei allen Beschwerden die Notwendigkeit der Opera- wöhnlich für lange Zeit wieder Kompensation eintritt. tion nicht einsehen oder den Mut hierfür nicht aufbrin- Bei Überschreiten von 5 pdpt Basis außen beidseits sollte gen. Die meisten lernen schließlich, mit ihrer chronischen entlastend operiert werden (Brillengewicht auf senil atro- Diplopie umzugehen und wenn auch nicht zu supprimieren, so doch ohne gefährdende Konfusion leben zu kön- phischer Haut), worauf man diese Patienten schon von der ersten Vorstellung an systematisch vorbereiten sollte. Die Pathogenese ist nicht bekannt. Alle Vorstellung der nen. Die Ansicht von Crone (74), diese Patienten brauchten wegen ihrer trainierten divergenten Fusionsbreite keine zitierten Autoren sind spekulativ und sollen hier durch hohe Operationsdosierung, hat sich dem Verfasser nicht Vom Verlauf der nicht ausgeheilten Abduzensparesen ist bestätigt. Bei zu geringer Dosierung bleibt eine restliche bekannt, dass die Defekte der Innvervation je zur Hälfte Phorie zurück mitsamt der typischen Esodisparation im die Sakkade (Alpha) oder die Haltefunktion (Gamma) be- Fixationsverhalten (Mikrostrabismus, S. 228). Aus einer (unveröffentlichen) Fragebogenaktion ergab sich, dass al- treffen (300). Man kann sich deshalb vorstellen, dass eine altersbedingte Hirnstamminsuffzienz selektiv die lenfalls jeder 15. Patient nach hoch dosierter entlastender Haltefunktion herabsetzt. Eine milde senile Konvergenz- Operation noch oder wieder Beschwerden hatte. schwäche mag dazu beitragen, dass die Störung in der zwei eigene ergänzt werden: Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. n Typ Burian (47), mit perakuter Manifestation ohne er- Im fortgeschrittenen Alter um 196 2 Störungen des Binokularsehens Nähe nicht wirksam wirkt. Seit langem bekannt ist auch, sem Falle nicht akkommodiert werde, sei die absolute Hy- dass der Rückgang der Motilität im Senium mehr die Ab- permetropie auch keine Schielursache, sondern eben die duktion als Adduktion betrifft (122). relative Hypermetropie (Abb. 2.25). Um sich mit der Rolle der Hyperopie als Schielursache befassen zu können, Refraktion und Brillenkorrektion beim erworbenen Innenschielen sollte man diese Lehre kennen. Die Originalarbeit von Donders ist schwer erhältlich. Man lese mit Gewinn die Darstellung von Kettesy, der auch genau und böse auflisstellungen die Lehre von Donders in der Literatur erleiden Schielbeginn und den davon abhängigen Folgen bei nach- musste. Seinerzeit war die Lehre von Donders eine groß- lassender, aber wohl nie ganz endender Plastizität des Gehirns ist verhältnismäßig jung und im Zusammenhang artige Leistung. Was ist uns davon geblieben? Nach Kettesy (189) gilt nach wie vor, „dass in jedem Schielfall die mit der kontroversen Diskussion der Frühoperation auf- erste Aufgabe die Bestimmung der Refraktion, und – falls gekommen (71). Die Anschauungen vor 1960 waren Ametropie vorliegt – die Verordnung von Gläsern ist“. nach einem Jahrhundert noch beherrscht vom Einfluss Die Schwäche der Donders-Lehre liegt in dem Anspruch Donders. Man gliederte gern in akkommodatives und der Vertreter seiner Schule (190, 267) die Hypermetropie nichtakkommodatives Schielen. Diese ältere Einteilung sei die Schielursache. Sobald man einen Schritt zurück ist aus praktischen Gründen unentbehrlich. Wir müssen tritt und sieht, wie viele Fälle von frühkindlichem Schiel- sie der Gliederung nach altersabhängigem Schielbeginn so überlagern, dass diese Überlagerung die klinische syndrom emmetrop sind, wird man diesem Anspruch nicht beipflichten können. Der Stellenwert der Donders- Wirklichkeit möglichst getreu abbildet. Lehre ist richtig eingeordnet, wenn man der Hypermetropie und speziell der „relativen Hypermetropie“ die Funk- Schieltheorie von Donders Der Zeitgenosse und Freund tion eines Auslösers beim Disponierten zuschreibt. Dann Albrecht von Graefes sah die wesentliche Ursache des In- wird auch klar, dass für jeden mehr oder weniger Dis- nenschielens in der Hypermetropie, anfangs (109) naiv ponierten die Schwelle, bei der die „fakultative Hyper- und global: Mehr Akkommodation führe wegen der re- metropie“ überschritten und die „relative Hypermetropie“ flektorischen Kopplung von Akkommodation und Konvergenz zu mehr Konvergenz, d. h. zum Innenschielen. Don- erreicht ist, eben verschieden hoch liegt. Unter diesem Aspekt verschwindet auch das Odium des Unverbindli- ders (110) erkannte aber alsbald, angesichts der vielen chen aus Donders Begriffen. Es bleibt das Prinzip von re- Hyperopen, die nicht schielen, dass es so einfach nicht lativer Akkommodation versus relativer Konvergenz, sein kann. Die verbindliche Darstellung (110) unterschei- deren begrenzte Freiheit zueinander Kettesy in einer in- det schon Anteile der Hypermetropie, die ohne Aufgabe struktiven Skizze dargestellt hat (Abb. 2.26). der Fusion akkommodiert werden können („fakultative Wir verordnen die „Schielbrille“ nicht zur Verbesserung Hypermetropie“) und solche, die nur unter Aufgabe der der Sehschärfe (außer bei absoluter Hypermetropie!), Fusion akkommodiert werden können („relative Hypermetropie“) sowie die „absolute Hypermetropie“, zu sondern zur Zügelung der Akkommodation, und tun das Richtige, wenn wir uns dem Vollausgleich der Hyper- deren akkommodativer Beherrschung die dauernd verfüg- metropie maßvoll nähern. Versuche, mit refraktiver Über- bare Akkommodationsreserve nicht ausreicht. Da in die- korrektion die universale Rolle der Hypermetropie als a b c d Abb. 2.25a–d a,b Mit Brille kompensierter reinakkommodativer Strabismus convergens. Ferne (a), Nähe (b). c,d Relative und absolute Hyperopie nach Donders. c Ohne Brille für Ferne manifeste Esotropie (relative Hyperopie), d ohne Brille für Nähe kein Strabismus (absolute Hyperopie). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. tet, welche verstümmelten oder gar sachlich falschen DarDie Einteilung der Schielformen nach dem Alter bei W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 197 Fast alle Befunde zum Binokularsehen „reinakkomomodativ“ Schielender entsprechen diesem Fallbeispiel. Zweifelsfreie Vollheilung fanden wir selten (16). Eine Durchsicht unseres gesamten Krankenarchivs von 1983 bis 1988 ergab nur 0,27 % reinakkommodative Esotropien, die nach Brillenvollkorrektion lupenrein normosensorisch waren. Wir teilen die Ansicht von Hamburger, dass die Auslösung „reinakkommodativen“ Innenschielens durch Abb. 2.26 Sinnbildliche Darstellung des Mechanismus der relativen Akkommodation bei unkorrigierter Hyperopie, ohne Aufgabe der Fusion (aus Kettesy, 189). Schielursache doch noch zu beweisen (267) haben sich nicht durchgesetzt. die Hyperopie nur bei primärer Minderanlage zum Binokularsehen möglich ist. Es gibt ein Indiz, dass Donders die Rolle der Disposition doch schon geahnt hat: Er lehnte die Vorstellung vom frühen Schielbeginn vehement ab (109), weil sie seine Theorie empfindlich gestört hätte. Mit der unverzüglichen Brillenkorrektion, der Visusbismus ist das Mögliche getan. Die Brillenverordnung sollte nur nach Skiaskopie in ausreichender Atropinzyklo- n Zusammenfassung Hyperopie hat die Funktion eines Auslösers einer Schielerkrankung, sie kann aber nicht die einzige Ursache sein. tropie vorgenommen werden. Atropin hat den Vor- und Nachteil, 7–10 Tage weiter zu wirken. Gibt man es in geringer Dosierung weiter, bis die Brille ausgeliefert worden ist, so entfällt das leidige Problem der Nichtannahme Rein akkommodativer Strabismus convergens Die durch hyperope Kinder fast völlig. Diesen Vorteil bieten Definition verlangt, dass der betroffene Patient durch die kurz wirkenden Zykloplegika nicht. Diese werden von Brillenkorrektion der Hyperopie allein geheilt wird. Ange- uns nur zur späteren Kontrolle vor allem des Astigmatis- sichts der Bedeutung der frühkindlichen sensiblen Phase mus benutzt. Viele Augenärzte lehnen Atropin ab, weil in der Ausformung normalen Binokularsehens kann „rein- die ihnen allein vertraute wässerige Lösung Nebenwir- akkommodativer“ Strabismus convergens nur in zwei Formen gedacht werden, die beide „erworben“ sein müssen: kungen hat (roter Kopf, trockene Kehle, Fieber). In öliger Lösung ist die Verträglichkeit deutlich besser, weil eine Als normosensorisches Spätschielen nach vorhergehen- Resorption über Tränenwege und Nasenschleimhaut dem Erwerb von Binokularsehen mit normaler Korrespon- nicht stattfindet. Atropinol ist nur einprozentig im Handel denz oder als frühetabliertes periodisches Schielen auf re- erhältlich, kann aber mit Rizinusöl beliebig verdünnt wer- fraktiv-akkommodativer Basis. Die klinische Praxis zeigt, den. Im Alter bis 6 Monate geben wir es nicht, bis zum dass diese Unterscheidung, so klar sie gedanklich sein 3. Lebensjahr 0,3%ig, bis zum Ende des 5. Jahres 0,5%ig, mag, im Einzelfall nicht immer getroffen werden kann. wofür das folgende Rezept steht. Fallbeispiel Dorothea D., 13 Jahre, schielte rechts akut mit 11 Monaten. Wenig später erfolgte die Brillenkorrektion der Hyperopie von S5,0 sph beidseits mit Rückkehr zum Parallelstand. Dorothea erschien bis zum Alter von 5 Jahren als normosensorisch, zumal sie ohne unterstützende Teilzeitokklusion keine Amblyopie ausbildete. Mit 5 Jahren kam es erneut zur akuten Dekompensation (S15h, Diplopie). Eine Verstärkung der Brille war nicht möglich. Es wurde entlastend operiert. Postoperativ bestand Mikrostrabismus S3h mit Linksführung. Es wurde Teilzeitokklusion verordnet, also nicht abgewartet, ob der Spontanverlauf noch zur Entwicklung einer Amblyopie geführt hätte. Mit 10 Jahren standen die Augen unter Vollkorrektion der Hyperopie wieder exakt parallel. Die intermittierende Okklusion wurde abgesetzt, die Visuskonstanz bei letzter Untersuchung mit 13 Jahren zweifelsfrei festgestellt. Das Binokularsehen ist „subnormal“. Ob bei noch früherer Brillenkorrektion vollwertiges Binokularsehen ausgebildet worden wäre, muss offenbleiben (s. auch Fallbeispiel S. 227). Rp. Atropinol (1 %) 5,0 Oleum ricini ad 10,0 S. Augentropfen 1/2 %!, Pipette Sterilfiltration nicht erforderlich! Man ist immer wieder überrascht, wie viel zusätzliche latente Hyperopie durch regelmäßig wiederholte Skiaskopien nachzuweisen ist. Die Emmetropisation, die man durch Skiaskopie und Vollkorrektion angeblich verhindert, ist wohl mehr akkommodativ adaptiver Natur und nicht geeignet, einen stabilen AC/A-Quotienten zu stützen, wie wir ihn hier brauchen. Beim Absetzen der ansonsten getragenen Brille muss es fast zwangsläufig zur erneuten Manifestation des Schielens kommen, wenn die Akkommodation erneut für die Ferne missbraucht wird. Tritt nicht sofort wieder Schielen auf, so wird entweder bewusst die Akkommodation vermieden (häufig) oder die Hypermetropie ist „absolut“ geworden (im mittleren Alter, weil die Akkommodationsreserve nicht mehr ausreicht). Meist aber tritt sofort wieder Schielen auf, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. und Stellungskontrolle unter Ausschluss von Mikrostra- 2 Störungen des Binokularsehens weil die Patienten nur über subnormales Binokularsehen verfügen. Amblyopierisiko. Der Ausschluss von Basismikrostrabismus erfordert Sorgfalt. Insbesondere der Nachweis von y Amblyopie, auch in der unauffälligen, aber häufigen Die Vielfalt der Meinungen zum Problemfeld Brille/Operation, offenbar ewig aktuell, wurde noch vor 10 Jahren in einem polymorphen Round Table diskutiert, lesenswert auch wegen der einleitenden Sprachregelung zum Komplex Akkommodation und Konvergenz aus der Sicht des Optometristen (289). Form einer verminderten Lesegeschwindigkeit des nicht- So führen z. B. Fadenoperationen, die nach Korrektion dominanten Auges stellt klar, dass nicht „reinakkom- der skiaskopisch erfassbaren Hyperopie ausgeführt wer- modativer“ Strabismus vorliegt, sondern akkommodativ den, nur in 5–7 % zur konsekutiven Exotropie (86, 184). bedingte Dekompensation von primärem Mikrostrabis- Auch geringe Hyperopien sollte man sorgfältig korrigie- mus. Derartige Fälle bilden wahrscheinlich die Majorität ren, da der Einfluss auf den Schielwinkel nicht vorherzu- des für „reinakkommodativ“ gehaltenen Krankengutes. Beim Studium älterer Literatur ist immer im Auge zu be- sehen ist, aber groß sein kann (316). halten, dass die Donders-Lehre bereits jahrzehntelang Fallbeispiel etabliert war, bevor man auf die Existenz des Krankheits- Der Verfasser sah vor Jahren eine 24-jährige Beamtin bei der Landesregierung, die mit Brille von bds. S1,0 dpt parallel stand, ohne diese geringe Korrektion aber mit S20h manifest schielte. bildes Mikrostrabismus aufmerksam wurde. Refraktiver teilakkommodativer Strabismus convergens Hier handelt es sich nicht um eine selbständige Schielform, sondern um den Einfluss der nicht korrigierten Hyperopie, die mittels erhöhter Akkommodation und In der Diskussion über die Notwendigkeit der Vollkorrektion der Hyperopie wird häufig übersehen, dass von zwei Konvergenz den Schielwinkel vergrößert, auf jede Form ganz verschiedenen Dingen die Rede ist: Beim akkom- des Innenschielens. modativen Strabismus ist notwendig, mit allen Mitteln Kehren wir noch einmal zu Donders zurück: Seine die Vollkorrektion anzustreben, da sie die Therapie der frühere lineare Annahme (109), die Mehrakkommodation Wahl ist. Ob die betroffenen Kinder die Vollkorrektion führe zur Mehrkonvergenz und damit „optomotorisch“ gern annehmen, oder nur stufenweise mit Widerstand, zum Innenschielen, trifft sinngemäß zu, wenn kein Bino- hat geradezu diagnostischen Wert: Im ersten Fall liegt kularsehen besteht. Die spätere Verfeinerung („relative Hyperopie“) ist die relevante Beschreibung, wie ein Dis- im Prinzip normales Binokularsehen zugrunde, das bei Unterkorrektion durch Diplopie bedroht ist. Im Gegensatz ponierter mit subnormalem Binokularsehen unter Ver- dazu besteht beim teilakkommodativen Strabismus kein sagen des Regelkreises von relativer Akkommodation zwingender Grund, die Korrektion stets bis zur letzten und relativer Konvergenz ins Schielen gerät. Vierteldioptrie durchzusetzen. Praktisch bewährt hat Die Reduktion des Schielwinkels durch die vollkorrigie- sich die Regel, vom Atropinskiaskopiewert 0,25 bis rende Brille ist bei Patienten mit gleich großer Hyperopie 0,5 dpt abzuziehen, jedoch den Zyklopentolatwert voll verschieden, da der zugrunde liegende Schieltyp selbst zu verschreiben. Dieser liegt gewöhnlich um 0,5 dpt niedriger als der Atropinwert (41, 271, 277). Auch Tropicamid, allein oder in Kombination mit anderen Zykloplegika ist in ganz unterschiedlicher Art ist. Die Häufigkeit des akkommodativ beeinflussten Innenschielens wird für Weiße mit 78,5 %, für Orientalen und Mischlinge mit 50 % angegeben (173). der zykloplegischen Wirkung dem Zyklopentolat gleichwertig (8), wenn man die kurze Phase voller Wirksamkeit (20 e 5 min) genau einhält. n In der praktischen Beratung von Eltern hüte man sich, bei skiaskopischer Messung einer beträchtlichen Hyperopie Aussagen zu machen, die als Versprechen einer Heilung durch die Brille allein verstanden werden könnten. Konvergenzexzess Reiner Konvergenzexzess liegt vor, wenn bei Emmetropie oder bestkorrigierter Fehlsichtigkeit für die Ferne Parallel- Vor der Indikationsstellung zur Schieloperation gilt in der stand oder Mikrostrabismus besteht, im Nahbereich je- Tradition der deutschen Augenheilkunde die Brillenkor- doch ein größerer Innenschielwinkel auftritt. rektion als unverzichtbar, da andernfalls ein vermeintlich größerer Schielwinkel operativ korrigiert wird und lang- Akkommodativer Konvergenzexzess fristig ein konsekutiver Strabismus divergens droht. Den- Konvergenzexzess bedeutet, dass dieser größere Nah- noch ist die Frühoperation des frühkindlichen Schielens ohne Brillenkorrektion immer wieder vertreten worden (125, 132). Die konsekutive Exotropie tritt dann beinahe schielwinkel durch Vorsetzen von Plusgläsern (Nahkorrektion) auszugleichen ist. Der akkommodative Konver- in jedem 4. Fall ein (133). hyperkinetischen und dem seltenen hypoakkommoda- Akkommodativer genzexzess begegnet uns in zwei Formen, dem häufigen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 198 W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) ren Nahschielwinkels durch zusätzliche Plusgläser völlig, tiven Typus (70). Fehlt diese Beeinflussbarkeit des größe- (264). Da die Fadenoperation auch die Blickexkursion in der Ferne einschränkt, sollte man die Dosierung auf so liegt nichtakkommodativer Konvergenzexzess vor. In der Praxis findet man meist eine Mischform aus hyper- 13 mm begrenzen.1 Wir halten uns an folgende therapeutische Regeln: kinetischem und nichtakkommodativem Konvergenz- n Unter Atropinskiaskopie ermittelte Brillenvollkorrek- exzess. Der Ausdruck „nichtakkommodativer Konvergen- tion für die Ferne und Nahteil mit Zusatz von S1,5 bis zexzess“ wird regelmäßig missbraucht, indem auch S2,5 dpt. Der Nahteil soll groß sein und eine gerade Patienten ohne Parallelstand in der Ferne wegen ihres Trennlinie haben, die auf den Unterrand der Pupille auffallend größeren Nahschielwinkels dieser Schielform fällt. Etwa in der Hälfte aller Fälle kann der Nahzusatz zugeordnet werden. Dies ist aber streng genommen bis zum Alter von 15 Jahren abgeschwächt und schließ- nicht zulässig, da die Definition der Konvergenzfunktion an das Vorliegen von binokularer Interaktion gebunden n Genügt dies nicht, so ist bei Kindern zusätzlich eine 199 lich weggelassen werden. beidseitige Fadenoperation angezeigt. ist. n Bei Kombinationen von hyperkinetischem und nicht- akkommodativem Konvergenzexzess ist der ideale Aus- Konvergenzexzess gleich in der Nähe häufig nicht zu erreichen. Bevor man n Akkommodativer Konvergenzexzess Ein Konvergenzexzess verschwindet unter Nahkorrektion. – hyperkinetischer (normakkommodativer) Konvergenzexzess: normale Akkommodationsbreite, erhöhter AC/ A-Quotient. – hypoakkommodativer Konvergenzexzess: erniedrigte Akkommodationsbreite, erhöhte Akkommodationsinnervation. n Nichtakkommodativer Konvergenzexzess Der Konvergenzexzess ist von der Nahkorrektion weitgehend unabhängig. sich hier zur Übertherapie verleiten lässt, sollte man unbedingt prüfen, ob nicht für die Nähe von Seiten der Korrespondenz her eine Anpassung eingetreten ist, die ihrerseits Parallelstand nicht gestattet. Für den zukünftigen Lebenslauf der betroffenen Kinder ist es wichtig, dass in Gesprächsdistanz kein Restschielwinkel über S4h zurück bleibt. Hypoakkommodativer Konvergenzexzess Die seltene Störung wird gelegentlich als juvenile „Presbyopie“ umHyperkinetischer (normakkommodativer) Konvergenz- schrieben, jedoch ist es ja nicht die mangelnde Verformbarkeit der Linse, sondern die unterwertige Innervation exzess Die Patienten akkommodieren als Emmetrope zur Akkommodation, die hier zum Schielen in der Nähe oder korrigierte Fehlsichtige normal, haben aber einen er- führt. Da rätselhafterweise die Koinnervation zur Konver- höhten AC/A-Quotienten. Die korrekt eingesetzte Akkom- genz erhalten ist, schlägt der Versuch, durch Erhöhung modation führt zu einer übermäßigen Konvergenzreakti- der Innervation doch noch zum Akkommodationserfolg on. Dabei verengen sich die Pupillen nur um das Ausmaß zu kommen, auf die Augenstellung durch. Die einfache bei normaler Naheinstellung wie bei Gesunden. Diese Nahpunktbestimmung Verhaltensweise ist durch Bifokalgläser oft, aber nicht immer völlig zu beherrschen. Insofern kommen alle Ab- genügt oft, um die Störung herauszufinden, die sonst wegen ihrer Seltenheit leicht übersehen wird. Kinder wei- stufungen zwischen rein akkommodativem und nicht- chen mit dem Kopf vor solchen Texten zurück und zeigen akkommodativem Konvergenzexzess in der Praxis vor. bei Leseforderung eine auffällige Miosis, da die Koinner- Die Regeln des komfortablen Brillentragens legen es vation der Pupille, wie die der Konvergenz, ebenfalls funk- nahe, dass Nahzusätze zur Brille S3,0 dpt nicht übersteigen sollen, und dass im Schulalltag Zusätze von S2,0 dpt tioniert. Mädchen sollen häufiger betroffen sein als Knaben (234). Als Therapie bleibt nur die Mehrstärkenbrille, schon die obere tragbare Grenze darstellen (Bildsprung an deren Nahzusatz in solchen Fällen natürlich 2,0 dpt über- der Trennlinie, Brillengewicht, Hänseleien). Auch die Verordnung von Gleitsichtgläsern ist nicht unproblematisch, schreiten darf. Da die Patienten nicht ausreichend akkommodieren können, benutzen sie den Nahteil freiwillig. da sie großflächige Partien mit beträchtlichen prismati- Dieser kann deshalb klein sein, wie für Presbyope, doch schen Nebenwirkungen und chaotisch irregulärem Astig- zieht der Verfasser auch bei diesen Patienten die Verord- matismus enthalten, die die oft begrenzte Fusionsfähig- nung eines etwas größeren Nahteiles vor, um den Kindern keit der betroffenen Patienten belasten. Wenn für die ein Übermaß an „Kopfarbeit“ abzunehmen. Hier können Nähe prinzipiell Binokularsehen besteht (Prismenver- im Prinzip auch Gleitsichtgläser zum Einsatz kommen. mit kleingedrucktem Lesetext such), kommt bei ungenügender Wirkung einer Mehrstärkenbrille die entlastende Operation zum Einsatz. Hierbei ist mit einer Fadenoperation an den Mm. recti mediales beider Augen eine bessere Kompensation des spezifischen Problems möglich als mit Rücklagerung dieser Muskeln 1 Die Dosierung der Fadenoperation (syn. retroäquatoriale Myopexie, Kap. 5.2.6, 5.3.1) wird immer in Bogenmaß (s. Tab. 1.6) angegeben. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. n Zusammenfassung 200 2 Störungen des Binokularsehens Dass der Verfasser dies gewöhnlich nicht tut, ist mehr die für die Ferne weder Parallelstand noch Binokularsehen eine persönliche Abneigung als objektiv begründet. aufweisen, durchaus bei Schielformen, von denen hier gar n Es wäre ein schwerer Fehler, bei hypoakkom- nicht die Rede ist. Man kann nur empfehlen, bei dieser Befundlage von einem exzessiven Nahschielwinkel zu spre- modativem Konvergenzexzess die Verordnung einer Mehrstärkenbrille durch eine Operation zu ersetzen. chen. Der Kliniker ist angesichts solcher Fälle meist mit voroperierten Patienten konfrontiert, die dann eine auf die zuvor ausgeführte herkömmliche Schieloperation aufgesetzte Fadenoperation beider Mm. recti mediales benö- Als Fadenoperation würde sie die Motilität beschädigen, tigen. ohne dem Patienten im Nahsehraum zu nutzen. Liegt in seltenen Fällen eine Mischform von hypoakkommodativem und nichtakkommodativem Konvergenzexzess vor, so ist eine zusätzliche Operation sinnvoll. Da das Problem Operation bei erworbenem Innenschielen tigen die dann etwa 8 bis 9 Jahre alten Kinder eine zusätz- Da die Prinzipien des Operierens in einem eigenen Kapitel liche Fadenoperation von etwa 11,5 mm. y Differenzialdiagnose. Eine Verwechslung mit dem noch behandelt werden (Kap. 5), beschränken wir uns hier auf viel selteneren spontan-akuten, juvenilen Akkommodati- schen und eventuell mit Diplopie einhergehenden Schiel- onsverlust (Männer um 20 Jahre) sollte ausgeschlossen sein, da diese Patienten keinen Konvergenzexzess mehr formen beachtet werden sollten. entwickeln. Patienten mit akutem Akkommodationsver- Spätschielen mit Doppeltsehen lust oder mit der ebenfalls seltenen hypoakkommodati- Strabismus im Senium weisen die Patienten mit erworbe- ven Konvergenzschwäche sollte man zum Ausschluss nen Esotropien große Schielwinkel auf. Sie sind deshalb eines Mittelhirnprozesses neurologisch untersuchen las- mit Prismen als Dauerlösung nicht kompensierbar und sen. bedürfen der operativen Entlastung mit hoher Dosierung. die Besonderheiten, die bei den späten, normosensori- Mit Ausnahme des In eigener 40-jähriger Tätigkeit hat sich dem Verfasser Nichtakkommodativer Konvergenzexzess Dieser Terminus lässt sich bei strenger Auslegung nur für ganz we- eine großzügige beidseitige Rücklagerung des M. rectus medialis bewährt, mit Strecken zwischen 5 und 8 mm. nige Fälle anwenden, nämlich solche, die für die Ferne Pa- Überdosierungen sind extrem selten, eher droht die rallelstand und Binokularsehen haben oder einen Mikro- Unterdosierung. Man rechne mit 1,3h/mm Rücklagerung, strabismus mit binokularer Interaktion. Bewirkt dann bei einem Schielwinkel von S18h also mit einer beidsei- die Vorgabe eines Nahzusatzes keine nennenswerte Re- tigen Medialisrücklagerung von 7,5 mm. Eine Beeinträch- duktion des Nahschielwinkels bzw. Konvergenzexzesses, tigung der Konvergenzfunktion ist nicht zu befürchten: so ist die Diagnose korrekt. Bei diesen Fällen fehlt auch Durch wie auch immer geartete Messwerte der Schiel- die normale Nahmiosis. Es bleibt nur die operative Therapie, wobei die Fadenoperation allein oft unterwertige Er- winkel für Ferne und Nähe sollte man sich nicht von der prinzipiell gebotenen hohen Dosierung abbringen gebnisse liefert. Man sollte deshalb frühzeitig den Eltern lassen. sagen, dass ein zweistufiges Verfahren besser wäre: zu- Eine ferne Verwandtschaft mit dem „frühkindlichen“ nächst eine beidseitige Rücklagerung der Mm. recti me- Innenschielen, speziell mit seinen unkontrollierten „in- diales mit einer Dosierung, die für die Ferne noch fusional nervationellen“ Schielwinkelschwankungen, durchweht kompensiert werden kann (in eigener Hand etwa beid- diese Problematik. Was dort mit heißem Impuls ständig seits 3,5 mm Medialisrücklagerung). Etwa sechs Monate wechselnd geschieht, mutet bei den normosensorischen später sollte man dann beidseits eine Fadenoperation um 13 mm hinzufügen, gemessen vom natürlichen An- spät und ganz spät Schielenden wie eine lange flache Impulswelle an, im Senium oft mit jahrelangem Verlauf, aber satz. Die gleichzeitige Ausführung von Rücklagerung und eben doch in der Bilanz jeweils wie eine autonome Über- Fadenoperation, weltweit ein überaus beliebter Eingriff, funktion der Mm. recti mediales. Die großzügige Media- ist weniger empfehlenswert. Die trophische Schädigung lisrücklagerung ist deswegen der angemessenere Eingriff führt zu einer blockartigen Schrumpfung mit schwer vor- als die Lateralisresektion, die man in geringer Dosierung hersehbaren Ergebnissen und hässlichen Revisionsbedin- zum Nacharbeiten bei Untereffekt gut einsetzen kann, gungen. Nach mehr als 25-jähriger eigener Praxis mit der Fadenoperation rate ich, diese Kombination bei den hier besprochenen funktionellen Fällen zu unterlassen. mit Webetechnik im Bereich der Sehne, also ohne Eingriff in das Muskelparenchym (98). Nicht alle Patienten gehören in diese Gruppe der de- Der Ausdruck „nichtakkommodativer Konvergenzex- kompensierenden und dekompensierten Esophorie. Einige zess“ wird großzügig auch für alle jene Fälle angewendet, Patienten werden auch, wie man oft hört, mit immer stei- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. sich meist während der ersten Schuljahre zuspitzt, benö- W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) genden Prismen in die Operation getrieben.1 Dieses Kran- dass die Operation ambulant abläuft und ihn nicht mehr kengut ist nicht homogen: Ein Teil der betroffenen Patien- belastet als ein Zahnarztbesuch. ten hat einen funktionstüchtigen Mikrostrabismus und reagiert auf langsam steigende Prismen mit fusionaler Operative Behandlung des Konvergenzexzesses Kompensation, bis es nicht mehr geht. Solche Patienten großen praktischen Bedeutung wegen sollen die thera- können tatsächlich zu einer primär nicht indizierten Ope- peutischen Prinzipien hier noch einmal kurz nachgezeich- ration gezwungen sein. net werden. 201 Der Die normosensorischen dekompensierten Esophoren aber große Schielwinkel, die man mit tragbaren Prismen gar nicht beherrschen kann. Die Prismenverordnung treibt hier also nicht Patienten in die Operation, die sonst ohne sie ausgekommen wären, sondern beschert ihnen hinhaltende, lange Zeit immer erneut auftretende Beschwerden, die bei richtiger Diagnose und rechtzeitiger Operation weitgehend zu vermeiden sind. An dieser Problemlage zerbrechen auch alle herkömmlichen Prismenformeln, weil die Prismenbehandlung insgesamt in vielen Fällen überfordert ist. Für die Aufklärung über die Notwendigkeit einer angemessenen Operation sind Zeit und Zuwendung unabdingbar. Besonders schwierig ist es, Pa- n Zusammenfassung n Hypoakkommodativer Konvergenzexzess ist nur mit Mehrstärkenbrille und im Prinzip nicht operativ zu behandeln. n Hyperkinetischer (normakkommodativer) Konvergenzexzess ist nicht so oft mit Mehrstärkenbrille allein kompensierbar, wie vielfach geglaubt und gelehrt wird (315). Eine Fadenoperation beider Mm. recti medialis mit mittlerer Dosierung bringt die meisten dieser Patienten in eine weit bessere Situation. n Nichtakkommodativer Konvergenzexzess (Parallelstand für die Ferne) und fälschlich ebenso genannter Nahschielwinkelexzess bei habituellem Schielen auch in der Ferne benötigen eine operative Dämpfung durch beidseitige Fadenoperation. tienten um 30 Jahre zur Operation zu leiten. Ihre Angst verstecken sie hinter ihrer beruflichen Anspannung. Die beidseitige Fadenoperation kann zur konsekutiven Divergenzstellung für die Ferne führen, was wiederum eine Strabismus convergens im Senium Nur hier findet sich Rücklagerung meist beider Mm. recti laterales erforder- ein kleiner Schielwinkel. Zunächst genügen fast immer lich macht. Dieser Eingriff ist hoch wirksam, da er für beidseits 3 pdpt (Basis außen) zur Brille, die man nicht unnötig überschreiten sollte, wegen der Last auf der die Ferne das konsekutive Außenschielen aufhebt und für die Nähe dem Nahwinkelüberschuss dadurch ent- senil atrophischen Haut der Nase. Die Konvergenzfunk- gegen wirkt, dass er die Haftpunkte der Fadenoperation tion wird durch diese Brille nicht beeinträchtigt! Mehr an den Mm. recti mediales „geometrisch“ weiter nach hin- als beidseits 5 pdpt sind nicht tragbar. Für die entlastende ten verschiebt, von der aktuell exotropen Augenstellung Operation gilt die (universale) Feststellung: „Je kleiner der aus betrachtet. Fehler, desto inadäquater darf die Muskelwahl sein“. n Bei Winkeln bis zu S5h genügt die Ein-Muskel-Chirurgie, z. B. eine Miniresektion am M. rectus lateralis von 2 mm, wobei die eigentliche Seitenwahl beliebig ist. 2.4.2 Frühkindliches Innenschielen Da eine durchwebte Miniresektion hoch effektiv ist, kann sie Astigmatismus inversus verursachen, sodass man sie nicht ohne Not am dominanten Auge ausführen Der selbstverständlich klingende Begriff ist überprägt von sollte. „Not“ bedeutet hier, dass im Senium organische der amerikanischen Congenital Esotropia (Schielbeginn Gründe die Seitenwahl vorgeben können (Plomben- im ersten Lebenshalbjahr) und der Infantile Esotropia schloss nach Cerclage, trophisches Ulkus der Randfur- (Schielbeginn im zweiten Lebenshalbjahr). Im US-ame- che). n Bei Winkeln deutlich über S5h (inveterierte Fälle) la- rikanischen Alltag setzt diese Diagnose voraus, dass ein „Pediatric Ophthalmologist“ das Kind in diesem Zeitfens- gert man besser beidseits den M. rectus medialis um ter hat schielen sehen. Eine solche Definition nur nach 3 mm zurück, da sich dies bei den dann meist Hoch- dem Schielbeginn muss zwangsläufig Zustände zusam- betagten leichter in Lokalanästhesie ausführen lässt. menfassen, die nicht zusammen gehören. Zwei große Fall- Schon bei Übernahme einer einschlägigen Behandlung gruppen lassen sich prinzipiell trennen: und erneut, wenn die entlastende Operation ansteht, n Frühkindliches Schielsyndrom: Der von Lang (214) vor- sollte man unbedingt dem Patienten zu verstehen geben, gestellte Symptomenkomplex ist das Schicksal derjenigen, die im ersten Lebensjahr und weiterhin konstant manifest schielen (nach innen wie nach außen!). 1 Betrifft die Augenoptiker und ihre augenärztlichen Kombattanten („Vollkorrektionsclub“). n Unerkannt intermittierendes Innenschielen: Jedes Kind mit glaubhaft frühem Schielbeginn ohne die Kardinalsymp- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. einschließlich der kindlichen Spätschielenden haben 2 Störungen des Binokularsehens tome des frühkindlichen Schielsyndroms ist unter dem Aspekt anzusehen, dass es möglicherweise nur intermittierend schielt. Ein großer Schielwinkel spricht nicht gegen diese Annahme! Anamnese, Schielbeginn, Terminologie Der Ausdruck „frühkindliches Innenschielen“ wird im Eltern geben fast stereotyp an, ihr Kind schiele seit Ge- Weiteren nicht mehr für ein reales Krankheitsbild be- burt. Dem folgte die wissenschaftliche Darstellung nutzt, sondern es wird immer zwischen Schielsyndrom zwangsläufig bis 1985, als sich herausstellte, dass prak- und einem für (wenigstens initial) intermittierend gehal- tisch niemand seit Geburt schielt (128, 235). Die nasal tenen Schielen ohne motorische Symptome unterschie- noch kurzen Lidspalten von Säuglingen können Schielen den. Dies geschieht, um den Leser dazu anzuregen, von vortäuschen, vor allem im Seitblick. Die spätere Feststel- vornherein den Versuch einer Einordnung zu machen. Die Übergänge, die es selbstverständlich gibt, also Patien- lung echter Esotropie veranlasst die Eltern dann, den Schielbeginn innerlich zurückzudatieren. ten mit wenigen motorischen Symptomen einerseits und Einige Jahre nach Beginn der o. a. Studie (128) fragten unauffällig Schielende mit Kontrakturen, die ein noch ak- wir Eltern nach dem Schielbeginn ihrer Kinder, den wir tives Intermittieren ausschließen andererseits, treten im selbst mit ihnen festgestellt hatten. Die Antwort war Laufe der weiteren Betreuung von selbst hervor. meist: „Seit Geburt“. Auf der u. E. unzulässigen Zusammenfassung inkom- Die frühesten tatsächlich beobachteten Anfänge der mensurabler Verlaufsformen beruht die leidige Dauerkontroverse um die Frühoperation. Es ist klar, dass jemand, der intermittierend entspannt, sich Binokularfunktionen Schielerkrankung liegen nach beiden Studien im Alter (von sehr unterschiedlicher Tragfähigkeit) bewahrt und von etwa 4 Wochen. Verlaufskontrollen zeigen, dass intermittierendes Schielen im ersten Lebensjahr durchaus nicht selten ist (35, 36, 127). Nicht einmal Orthoptistinnen deshalb nach (früher) entlastender Operation besser he- als Mütter können immer sicher sagen, ob solche Phasen rauskommt, als ein konstant manifest Abweichender. Sol- echtes Schielen oder ein Suchlauf zum Erwerb des eige- che unerwarteten funktionellen Ergebnisse findet man nen AC/A-Quotienten sind (166). auch bei späterer Operation. Es muss deshalb nicht allein der Operationszeitpunkt sein, der in den letzten Jahren zu gelegentlich guten Ergebnissen der Frühoperation geführt hat (339), sondern eben auch die Durchmischung des ver- n Das frühkindliche Innenschielen beginnt nicht vor der 4. Lebenswoche. meintlich homogenen Krankengutes mit minderschwer Wenige Sekunden währendes Innenschielen zur Abstim- Betroffenen. mung von Akkommodation und Konvergenz im zweiten Eine weitere transatlantische Kontroverse betrifft die bis vierten Lebensmonat sind das „Babyschielen“. Sie sind Frage der Konstanz des Schielwinkels. Zur amerikanischen selbstverständlich nicht pathologisch. Für irgend etwas Infantile-congenital Esotropia gehören die stehenden Bei- anderes sollte der Ausdruck nicht benutzt werden (329). worte „large“ und „constant“, während europäische Strabologen schon vor Jahrzehnten erhebliche Winkelschwankungen sahen (180, 241), beziehungsweise bis heute be- n Unter „Babyschielen“ versteht man das nur wenige Sekunden dauernde Üben der Konvergenz. schreiben (185). Der Verfasser beobachtet Schielwinkelschwankungen sowohl beim Schielsyndrom als auch Abb. 2.27 zeigt am Beispiel eigener Fälle, wie komplex und beim intermittierenden Frühschielen, doch gibt es auch gewiss für Eltern schwer überschaubar die Rekompensa- Referenten, die ihre frühere „europäische“ Meinung seit- tion oder die endgültige Dekompensation sein kann. Zu her amerikanisiert haben (53). Es sei hier deshalb empfoh- einer guten Anamnese gehört deshalb auch die Frage, ob len, sich nicht auf das Messen der Abweichung mit Pris- das Kind bei Beginn sofort konstant manifest geschielt men und Abdecktest zu beschränken, wodurch man den Befund des pseudokonstanten Winkels herbeiführen habe oder anfangs nur periodisch. Nach einiger Zeit der Betreuung haben viele Eltern ihre Erinnerungen mehr kann, sondern wiederholt das ungestörte oder abgelenkte oder weniger bewusst überprüft, sodass eine gelegentli- Kind zu beobachten, da diese Frage in der Indikationsstel- che Wiederholung der Anamnese sehr lohnend ist. lung zur Operation eine wichtige Rolle spielt. Die relative Häufigkeit der einfachen gegenüber den motorisch komplizierten Formen ist aus Klinikkrankengut nicht wirklich zu ermitteln. In der Spezialklinik sammeln sich die komplizierten Fälle (51, 154). Im eigenen Krankengut halten sich „einfache“, die u. U. intermittieren, und „komplizierte“ mit signifikanten motorischen Symptomen eher die Waage. Zu einer ähnlichen Beurteilung kommt Campos (53). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 202 W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 203 Klinisches Bild und Teilsymptome des frühkindlichen Schielsyndroms n Rucknystagmus vom Latenstyp (Latenstypnystagmus): Dieser Nystagmus ist in adduzierter Augenstellung ruhiger. Abduktionsforderung und Verschließen des jeweils anderen Auges erhöhen immer die Amplitude, Das Vollbild, nach Lang (214) durch folgende Symptome gekennzeichnet, soll hier, leicht modifiziert und aktualisiert, zunächst kurz vorgestellt werden. nicht immer die Schlagfrequenz. Die schnelle Phase schlägt beidseits nach temporal, dabei kaum je über die Fovea hinweg (Abb. 2.29). n Bei sehr frühem Schielbeginn anfangs konstanter Schiel- n Der seltene „blockierte Nystagmus“ nach Cüppers ist ein winkel, die „constant congenital esotropia“ der ame- intermittierendes Schielen zwecks Visusverbesserung rikanischen Literatur. Bei etwas späterem Schielbeginn durch die bimonokulare Adduktion, das „Nystagmus- findet sich primär ein variabler Schielwinkel, den die blockierungssyndrom“ (4) entspricht weitgehend der sehr früh manifestierten Fälle im Laufe des zweiten (pseudokonstanten) „constant congenital esotropia“ oder 3. Lebensjahr aber auch meist entwickeln. Die Fixation in Adduktion wird bevorzugt und manchmal der amerikanischen Literatur. Diese Ausdrücke sind missverständlich und sollten nicht benutzt werden, bis in das Erwachsenenalter beibehalten (Abb. 2.28). Of- wenn der gemeinte Nystagmus lediglich der zum fenbar wird der große Schielwinkel, sei er variabel oder frühen Schielen gehörende N. latens ist. scheinbar konstant, durch ständige Innervation unter- n Alphabetsymptome: Fehler im Zusammenspiel von gera- halten. Ein anatomisch fixierter Schielwinkel durch den und schrägen Augenmuskeln mit der Folge des Muskelkontrakturen entsteht selten vor Abschluss des Schrägschielens (Strabismus sursoadductorius, deorso- 6. Lebensjahres und durchaus nicht bei jedem Betrof- adductorius) und von Inkomitanzen, die man mit fenen. jenen Großbuchstaben bezeichnet, die sie in frontaler Draufsicht beschreiben (A, V, Y, l, X, O, T, s. Abb. 2.31). Abb. 2.28 Erwachsene mit frühkindlichem Schielsyndrom fixieren oft auch mit dem dominanten Auge in Adduktionsstellung (links). Wegen der Kopfhaltung wurde die Operation symmetrisch auf beide Mm. recti mediales verteilt (rechts). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 2.27 Frühkindliche Entwicklung zum Parallelstand. Zwei Babys im Altersverlauf von 1 bis 9 bzw. 16 Wochen. Beide zeigen variable Augenstellungen, die in einem Fall (Stern) zu normalem Parallelstand, im anderen (Kreuz) zu manifestem Innenschielen führten (128) 204 2 Störungen des Binokularsehens Schielsyndroms. Sie bedeuten, unbeschadet ihrer vermutlich uneinheitlichen Pathogenese eine mehr oder weniger ausgeprägte Auflösung des Hering- und des SherringtonGesetzes. Bei schwerer ausgeprägtem Schielsyndrom ist sinngemäß der Grad von Unordnung, das heißt die Abweichung von diesen Bewegungsgesetzen deutlicher ausgeprägt, mit folgenden Symptomen: n Kopftremor: Ein feines, oft phasisch an- und abschwel- lendes Zittern stellt man durch loses Auflegen der Fingerspitzen (bei offener Hand) auf den Scheitel fest. Es überdauert den manifesten Latens-Typ-Nystagmus und ist nicht synchron mit ihm. n Kokontraktion der Mm. recti mediales: Kinder mit gerin- auffällige zeigen statt des Nystagmus latens mitunter einen simultanen beidseitigen rhythmischen Adduktionsexzess, der einem Nystagmus rectractorius ähneln und dem hiermit nicht vertrauten Untersucher bedrohlich erscheinen kann (92). Bevor man die Eltern in UnAbb. 2.29a–d Essentieller Nystagmus schlägt über die Fovea hinweg (a), Nystagmus vom Latenstyp normalerweise von nasal her bis in die Fovea (b). Das nicht fixierende Auge verliert die volle Amplitude der schnellen Phase und kehrt kaum noch oder nicht mehr zur Fovea zurück (c,d; 4). Bei Prüfung der Fixation in Adduktion kann die schnelle Phase die Fovea u. U. noch nach fixationsverbessernder Operation wieder erreichen. ruhe versetzt, wird man neuropädiatrische Rücksprache halten, da wohl immer „dort“ eine Akte vorliegt. Wegen der groben Störung der visuellen Entwicklung ist die Frühoperation erforderlich (beidseitige Medialisrücklagerung um 8–10 mm). Wir fassen solche Fälle als „Schielsyndrom plus“ auf. n Dissoziiertes Torsionsschielen: Nicht nur der horizontale und vertikale Schielwinkel sind variabel, sondern auch die torsionale Augenstellung kann erheblich schwanken Nicht alle Fälle mit A- oder V-Inkomitanz zeigen (307). Häufig wiederholte Skiaskopien im 2. Lebensjahr Schrägschielen, sodass die Pathogenese nicht einheit- zeigen, wie sehr die Zylinderachsen variieren. n Unterwertige Sehschärfe: Mitunter finden wir, dass Kin- lich sein dürfte. n Dissoziiertes Höhenschielen (dissoziierte Vertikaldivergenz, der und Erwachsene mit frühkindlichem Schielsyndrom DVD) : Bei den meisten findet man die einseitige Ausprä- und alternierender Fixation allen Refraktionskünsten gung, und ganz selten Einseitigkeit auf dem führenden Auge, wobei dann das abweichende tiefer stehen zum Trotz keine volle Sehschärfe erreichen. Offenbar liegt eine Deprivationsamblyopie vor, die auch im kann, das Kinn gesenkt, und eine markante Aufblick- VECP nachgewiesen werden kann (56). Hauptursachen szwangshaltung eingenommen wird. dürften die zuvor erwähnte torsionale Instabilität der n Kopfneigung zur Schulter, bei ca. 70 % der Betroffenen Zylinderachsen und Manifestation des Rucknystagmus zur Schulterseite des führenden Auges, bei ca. 20 % zur vom Latenstyp auch noch bei ausgeprägter Adduktion Seite des abweichenden Auges mit DVD, und bei ca. sein. Letztere ist auffällig und eine Indikation zur 10 % in weniger übersichtlichen Kombinationen. Frühoperation. n Minimale zerebrale Dysfunktion: In vergangenen Jahren n Zusammenfassung Symptome des frühkindlichen Schielsyndroms (Lang) n Nystagmus latens (Latenstypnystagmus) n dissoziiertes Höhenschielen n Alphabetsymptome n dissoziiertes Höhenschielen n Kopfneigung hat man wiederholt versucht, die auffällige Minderbelastbarkeit von Kindern mit ausgeprägtem frühkindlichem Schielsyndrom durch Intelligenztests zu verifizieren. Hier haben sich Defizite nicht nachweisen lassen (192), wohl aber im Bereich der Feinmotorik und der Konzentrationsfähigkeit. Für den Augenarzt empfiehlt sich die Frage nach den Terminen des Laufen- und Spre- Diese von Lang angegebenen klassischen Symptome fin- chenlernens sowie, bei älteren Kindern, nach der Einschulung. Die genaue Abgrenzung bleibt vorerst den sich in beliebiger Mischung und nicht immer vollzäh- schwierig, da Frühgeburt und spätes Generationsver- lig bei mittelschwerer Ausprägung des frühkindlichen halten der Eltern auf komplexe Weise mit dem Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. gen neuroanatomischen Schäden, aber auch sonst Un- W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) frühkindlichen Schielsyndrom verknüpft sein können. Der sichtbare Umfang des Schwankens der Augenstellung Wer das unrastige, oft chronisch übellaunige Verhalten und ihr Wechsel in der Zeitfolge sind individuell äußerst der betroffenen Kinder einmal bewusst bemerkt hat, der wird sich auch der Anschauung nicht verschließen, dass das frühkindliche Schielsyndrom nicht auf den verschieden. Das Ausmaß sichtbarer Winkelentspannung bleibt fast stets hinter der wahren zurück. Im eigenen Krankengut erreichen 2/3 aller Patienten mit frühkindli- visuell-optischen Hirnbereich beschränkt ist. chem Schielsyndrom – diejenigen ohne manifest alternie- Schielen mit den spezifischen Symptomen des frühkindlichen Schielsyndroms ist Bestandteil vieler pädiatrischer Syn- rende DVD – eine lockere binokulare Interaktion, was nur drome. Unter diesen nimmt die spastische Zerebralparese geprägt worden sein konnte. Für die praktische Indikati- während Phasen beträchtlicher Schielwinkelentspannung einen besonderen Rang ein. Aus der Sicht des Pädiaters onsstellung benötigt man folgende Untersuchungen: verengt sich Strabismus vielfach überhaupt auf diesen Aspekt. n Längeres Betrachten der Augenstellung nach Hornhaut- Für Leser, die zunächst Begriff und Übersicht benötigen, ten Kind, mit der Absicht, den Umfang der Schwankun- reflexen im Gespräch mit dem von der Sache abgelenkgen richtig zu erfassen. lung gegeben. Da die klassischen Symptome im Kontext n Messen des Schielwinkels mit Prismen und zunächst ein- von Lang therapierelevant sind, folgt für diese hier eine seitigem, dann wechselseitigem Abdecktest, wodurch zweite, genauere Beschreibung. man einen Eindruck über die Größe des mittleren und des maximalen Winkels erhält. Konstanter, pseudokonstanter und variabler Schielwinkel n Korrespondenzprüfung mit Nachbildern und am Synop- Frequente und auffällige Schielwinkelschwankun- tophor, deren bekanntermaßen unterschiedlicher Aus- gen erwecken immer den Verdacht auf frühen Schiel- fall keinen Widerspruch darstellt, sondern angibt, ob beginn, auch dann, wenn die Elternanamnese dagegen oder dass der Patient bestimmte Schielwinkel im spricht. Dies gilt insbesondere, wenn weitere Inkomitanz- Schwankungsbereich bevorzugt. Die Erhebung eines symptome hinzukommen. Der Nachweis des variablen großen Anomaliewinkels besagt nur, dass der Patient Schielens kann schwierig sein, sollte aber immer versucht eben auch einen großen Schielwinkel hat, aber nicht, werden, da Fehleinschätzungen als konstantes Schielen zu Fehlern in der operativen Indikationsstellung führen. Hilfreich ist die Anamnese mit der Frage, „wie stehen die ob dieser mit kleineren Winkeln abwechselt. Es gibt nicht die Korrespondenz! Das Setzen der Nachbilder muss in deutlicher Adduktionsstellung geschehen, da Augen morgens, wenn das Kind gut geschlafen hat“. sonst die retinale Nachbildplatzierung durch den mani- Nicht selten werden Elternangaben für unzuverlässig ge- festierten Nystagmus latens in unkontrollierter Weise halten und die diagnostischen und therapeutischen Ent- beeinflusst wird. Nachbildkorrespondenzwerte sind scheidungen nur auf die Messung von Schielwinkeln ein Gemisch aus Fern- und Nahwerten, wobei „alte Ge- gegründet. Es hat sich jedoch erwiesen, dass die Eltern wohnheiten“ starken Einfluss haben: Kinder, die nach meist zuverlässig angeben können, ob das Schielen kon- Operation eine gute Augenstellung mit positivem Bago- stant oder variabel ist. Können die Eltern hierzu keine Aussage machen, so sollte man sie bei den ersten Beratungen auf das Problem hinweisen und bei späteren Vorstel- lini-Streifentest aufweisen, benötigen Monate bis zu einem Jahr, bis sich die Nachbildkorrespondenz ändert und eventuell normalisiert (65, 85). Die Angaben am lungen darauf zurückkommen. Fehlt jede Elternangabe Synoptophor suggerieren trotz der nominell akkom- oder eigene Beobachtung von Schielwinkelschwankun- modationsfreien Einstellung der Optik psychophysisch gen, so dürfen wir einen konstanten Schielwinkel an- doch Nahbedingungen und liefern deshalb größere nehmen. Anomaliewinkel, indem sie von den oft größeren Dieser Befund ist aber nicht gleichbedeutend mit einem fixierten Schielwinkel. Die Abgrenzung zwischen „konstant“ und „fixiert“ ist bei Kindern nur in Narkose möglich (40, Schielwinkeln in der Nähe beeinflusst sind. Die kleins- 248), wobei man sehr vorsichtig urteilen muss. Bei unge- spannung und damit für Therapieziel und Prognose ver- nügender Narkosetiefe oder -dauer täuschen tonische In- wertet werden. ten je festgestellten Anomaliewinkel dürfen als Richtwerte für die tatsächlich erreichte Schielwinkelent- nervationsreste einen fixierten Schielwinkel vor. Sicherer als die Beurteilung der Stellung ist der Ausfall des Spring- Nystagmus latens, gestörter optokinetischer Nystag- back-balance-Tests, also die Beobachtung, ob nach mehr- mus und Fixation in Adduktion, exzentrische Fixa- facher passiver Abduktion die Augen stets wieder in eine tion adduzierte Position zurückkehren. Die Entscheidung, ob konstantes oder variables Innen- vom Latenstyp, Latenstypnystagmus) ist ein Rucknystagmus mit der schnellen Phase zur Seite der Abduktion. Ab- schielen vorliegt, muss der Untersucher vorwiegend auf- decken (Lichtentzug) des anderes Auges manifestiert den grund der Beobachtungen des wachen Patienten treffen. Nystagmus; desgleichen die provozierte Abduktion, so- Der latente Nystagmus (besser: Rucknystagmus Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. haben wir bis hierher eine zusammenfassende Darstel- 205 206 2 Störungen des Binokularsehens dass eine latente und eine blickparetische Komponente Alle diese Patienten verfügen mangels Binokularsehen unterschieden werden können (195). Mit der langsamen später nicht über geregelte Konvergenz. Der Ausdruck (tonischen) Phase treiben die Augen in die Adduktionsstellung, mit der schnellen „Phase“ wird das abgebildete „nichtakkommodativer Konvergenzexzess“ sollte deshalb eigentlich durch „persistierender Adduktionsexzess in der Objekt in die Fovea zurückgeholt. Typisch für den latenten Nähe“ oder „exzessiver Nahschielwinkel“ ersetzt werden, Nystagmus ist es, dass bei der Fixationsprüfung mit dem um klar zu halten, dass es kein binokularer Prozess ist.1 Sterntest im Augenspiegel der Nystagmus nicht nach temporal über die Fovea hinaus schlägt (s. Abb. 2.29). Dies n Nur bei symmetrischer Kreuzfixation ist die Amblyopiegefahr gering. schützt vor Verwechslungen mit neurologisch relevantem Augenzittern. Mit zunehmender Abduktion wird die Amplitude größer, selten auch die Frequenz höher. Dann kann es zum Sprung über die Fovea nach temporal kommen (104). Als Symptom des frühkindlichen Schielsyn- Das tonische Übergewicht der Adduktion sorgt, Symmetrie vorausgesetzt, häufig dafür, dass beide Augen im droms findet man Latenstypnystagmus in 55 % (214) bis beide benötigt und infolgedessen nicht amblyop. Es gibt 90 % (143). Auch beim frühkindlichen Außenschielen aber Ausnahmen: kommt die Störung vor (223). Bei Asymmetrie kann auf dem stärker betroffenen Auge Zugleich gelingt die Abduktion nicht recht, weder will- der Latenstypnystagmus auch bei extremer Adduktion kürlich noch als induzierte Blickfolgebewegung. Dies wird noch manifest sein. Dann droht die irreversible Amblyo- üblicherweise registriert als Asymmetrie des optokinetischen Nystagmus (OKN), dessen Defizit in Richtung der Ab- pie. Da das Auge nur noch wenig benutzt wird, erfolgt die Rückstellung zur Fovea immer flüchtiger und das duktion nie völlig ausreift, auch wenn der Latenstypnys- Schwergewicht der Fixation verschiebt sich nach nasal tagmus nicht mehr auftritt (6). Selbst die Entwicklung von Stereosehen könne diesen Defekt, der an eine spe- (s. Abb. 2.29). Hier bietet sich eine zwanglose Begründung für das Überwiegen der nasal exzentrischen Fixation bei zielle sensible Phase gebunden scheint, nicht mehr Schielamblyopie. Eine Erklärung der exzentrischen Fixa- kompensieren (240, 340). Wright vertritt vehement die tion aus historisch ehrwürdigen Hypothesen (Korrespon- Möglichkeit, bei konstant manifestem Frühschielen Ste- denz- und Suppressionstheorie) würde eher vermuten reosehen durch Frühoperation zu etablieren. Daher versteht sich der Spagat von Erwerb von Stereosehen einer- lassen, dass sich der Fixationsort frei um die Fovea herum verteile. seits und restlicher Abduktionsschwäche andererseits. Es kann beiderseits keine Augenstellung (in irrealer ma- Man sollte solche Mitteilungen zur Kenntnis nehmen, ximaler Adduktion) erreicht werden, die eine nystagmus- aber doch mit Skepsis betrachten. freie foveale Fixation erlaubt. Dann ändert das Gehirn of- Der Physiologe darf wegen seines spezifischen Ver- fenbar seine Strategie. Statt die Fixation in der Adduktion suchsaufbaus beide Symptome als ihrer Natur nach ver- zu verwerten (sog. Nystagmusblockierung) wird versucht, schieden ansehen. Für den Arzt als Beobachter eines oft- den „Tonus“ durch Kokontraktion zu befriedigen und die mals schier unüberwindlichen Adduktionstonus scheint es sich eher um zwei Facetten der selben Innervationsstörung zu handeln: Der exzessive Adduktionstonus Phasen des Stillstandes zwischen bimonokularem Adduktionsexzess und Rückstellung beider Augen für eine kurze Foveatisation zu benutzen (92). Die Fähigkeit des Gehirns, kann bewirken, dass bei der Blickwendung wie bei der den üblichen Ablauf des Nystagmus latens zu modifizie- Blickfolge die Abduktion des nicht fixierenden Auges ren, ist erwiesen (104). Die Deutung des Phänomens als plötzlich aufgegeben wird und dieses in eine eindrucks- „Schielsyndrom plus“ ergibt sich aus dem Verlauf, wie volle Adduktionsstellung „flieht“. Bei moderater Ausprä- folgendes Fallbeispiel zeigt: gung wirkt dieser „Verstoß“ gegen das Gesetz der reziproken Innervation (Sherrington) wie ein Überspringen auf die Vergenzinnervation (318), bei Geschädigten wirkt er bedrohlich: Die Störung wird dann bimonokular manifest Fallbeispiel Die vernachlässigte 16-jährige S. A. kam erst mit 15 Jahren aus dem Heim in eine Pflegefamilie, die sie der verspäteten Schieloperation zuführte. Sie ist körperlich und mental nicht ganz altersentsprechend entwickelt, aber nicht schwachsinnig. paukend, wegen ihrer Kokontraktion an einen Nystagmus retractorius erinnernd (92). In den gleichen nosologischen Zusammenhang gehört wohl auch, unendlich viel milder, der sog. nicht akkommodative Konvergenzexzess, das Überwiegen des Nahschielwinkels. Schieltheoretisch laufen alle diese Beobachtungen auf die kontrovers diskutierte Frage hinaus, ob die langsame Phase gewissermaßen der Strabismus selbst ist oder ein Epiphänomen (195). 1 Der von Cüppers vorgeschlagene Terminus „Adduktionsexzess“ konnte aber schon vor Jahrzehnten nicht durchgesetzt werden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Säuglings- und Kindesalter gekreuzt fixieren. So werden W. de Decker 207 von Patienten dieses Typs sollte nicht am Phoropter geprüft werden, wo die relativ abduktorische Blickrichtung kanalisiert und eine Amblyopie vorgetäuscht wird. Eher selten sieht man Patienten jeden Alters, die offenbar keinen zwingenden Zusammenhang zwischen erhöhtem Adduktionstonus, gestörter abduktorischer Fixationsfolge und Latenstypnystagmus empfinden, sondern munter abduzieren, dabei die Manifestation des Letzteren hinnehmen und sich mit einem Visus um 0,6 begnügen. Wir nennen dies „subnormales Sehen“. Der Augenarzt, auch der strabologisch nicht sonderlich engagierte, muss diese Besonderheiten kennen, den Latenstypnystagmus als solchen im Ophthalmoskop mit Sterntest erkennen und Eltern und Kollegen mit Bestimmtheit sagen können, dass hier kein neurologisch relevanter echter Nystagmus vorliegt, um die überflüssige, Die hier geschilderten Extremsituationen bedeuten, dass heute recht invasive neurologische Untersuchung wegen ein- oder gar beidseitig – auch mit der intensivsten Ok- dieses Befundes vor allem bei Kindern zu verhindern. klusion die drohende Amblyopie nicht vermieden werden kann, weil selbst in extremer Adduktion kein Nystagmuslatens-freier Zustand mit fovealer Fixation erreicht wird. Latenstypnystagmus und gestörter OKN finden sich auch bei Makaken mit essenziellen Strabismus (318). Man findet dieselbe Kombination auch bei Versuchstie- In beiden Fällen ist die Frühoperation angezeigt, die ihre ren, die man früh einseitig depriviert hat, und bei Kindern, Wirkung eindrucksvoll entfaltet, wenn man nicht, mit die seit Geburt funktionell einäugig sind (einseitige Kata- konventionellem Denken behaftet, ein Jahr und eine rakt, blinder Mikrophthalmus). Diese Befundlage muss gute Chance durch frustrane Okklusionsversuche verliert (97). deshalb eine im Gehirn vieler Arten gemeinsame struktu- Die Majorität der Patienten lernt aber spontan alternierende Fixation oder, von angemessener Okklusions- ken eine anatomische Verwerfung von Area V1 der Hirnrinde. relle Ursache haben. Auffällig ist bei den genannten Maka- behandlung unterstützt, mit Nystagmus latens und Ad- In der praktischen Ophthalmologie ist dieses Verhalten duktionstonus umzugehen (Abb. 2.30). Sie finden heraus, des funktionell einäugigen Kleinkindes wichtig, weil die wie viel Adduktion nötig ist, um zentrale Fixation und Frage der fixationsverbessernden Frühoperation am einzig Nystagmusruhe zu haben. Nystagmusblockierung (233) brauchbaren Auge allen Beteiligten erhebliche Verantwor- sollte man dieses Verhalten nicht nennen, weil die Patien- tung auferlegt. Diese sollte vor der Einschulung erfolgt ten sich dem erhöhtem Adduktionstonus nicht entziehen sein. können. Die Fixation in Adduktion wird oft beibehalten, auch wenn der Latenstypnystagmus nicht mehr manifest A- und V-Inkomitanz, Alphabet-Symptome wird. Er ist mitunter durch eine gleitende, nasal exzentri- mitanz bezeichnet man die Zunahme eines Innenschiel- sche Auswanderung der Fixation bei Abduktionsforderung winkels beim Aufblick oder eines Außenschielwinkels ersetzt, durchaus auch am dominanten Auge. Der Visus beim Abblick. Umgekehrt ähnelt die Abnahme eines In- Als A-Inko- Abb. 2.30 Okklusion manifestiert den Nystagmus latens und zwingt zu (beidseits!) vermehrter Adduktion, abhängig vom Ausmaß der Verdunkelung. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Emmetropie: Basisschielwinkel S5h alternierend, massiver Adduktionsüberschuss mit Maximum im Aufblick (PseudoA-Inkomitanz), exzessiver Nahschielwinkel bei geringster Anstrengung der normalen Akkommodation sowie rhythmisch paukende Kokontraktion der Mm. recti mediales, etwa im Sekundentakt. Nach beidseitiger Myopexie (Fadenfixation bei 12 mm; 1 mm vor Vortex): Rechtsdominanz S1h, 1–2h DVD links, bei Visusforderung 5h Adduktion und ca. 8h Kopfneigung zur rechten Schulter; bei induzierter Linksfixation beträchtliche DVD rechts. Ohne diagnostische Dissoziation ist das Ergebnis sehr ansprechend. Bei einseitigem Abdecken wird „normaler“ Nystagmus latens manifest. DVD und Kopffehlhaltung in zwei Ebenen traten erst nach der Operation auf. Diese für das voll ausgeprägte Syndrom typischen Symptome waren also vor der Operation durch ein noch schwereres „Syndrom plus“ maskiert. 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 2 Störungen des Binokularsehens Abb. 2.31 V-Esoinkomitanz fotografisch. Einen so hohen Grad von Symmetrie findet man in der Praxis selten. nenschielwinkels beim Aufblick oder eines Außenschielwinkels beim Abblick dem Buchstaben V (V-Inkomitanz, In der Pathogenese lassen sich drei Faktoren unterscheiden: Abb. 2.31). Schematisch dargestellt sind die vier grund- 1. Wenn bei ideal horizontal liegenden Lidspalten A- oder sätzlichen Formen der A- und V-Eso- und Exotropie in V-Inkomitanzen mit deutlicher Über- oder Unterfunk- Abb. 2.32. Die Zunahme oder Abnahme der Schielwinkel tion schräger Augenmuskeln auftreten, denkt man ist nicht immer harmonisch, sondern kann in einer Rich- eher an eine Verschiebung des Gleichgewichtes der tung exzessiv sein: aus dem V wird dann ein Y, aus dem Innervation zwischen geraden und schrägen Vertikal- A ein l . Ist bei Esotropie der Schielwinkel im Auf- und motoren. im Abblick größer als in mittlerer Blicklage, so sieht man darin ein O (Buchstabe O) oder zwei Dreiecke mit Daneben gibt es aber 2. den Typus mit A- oder V-Phänomen ohne schräge Über- der Basis zueinander (Diamond). Bei lange fortbestehen- oder Unterfunktion, der leicht den Eindruck erweckt, der Exotropie bildet sich häufig eine x-förmige Inko- das Adduktionsprogramm laufe in unterschiedlichen mitanz aus, mit Zunahme des Schielwinkels im Auf- wie vertikalen Blicklagen mit unterschiedlicher pathologi- im Abblick. Wer Lehraufgaben wahrzunehmen hat, sollte scher Energie ab. über ein Ophthalmotrop verfügen. Daran kann man zei- 3. Patienten mit schrägen Lidspalten, die einen konklinier- gen, wie z. B. bei chronischer Exotropie allmählich die ten oder disklinierten Einbau der Orbita in den Schädel Verläufe der Mm. obliqui von einem Großkreis über den Bulbus zur hinteren Polkappe hin abrutschen, wodurch anzeigen. Die Zugrichtung der Mm. recti mediales und laterales ist dann keine rein horizontale mehr, sondern ihre abduktorische Nebenwirkung sich erhöht und das bringt vertikale Elemente ein. Der problemlos Fusions- „X der Divergenten“ eine mögliche Erklärung findet. Ob fähige kann solche Faktoren kompensieren. Für den Fu- diese wirklich zutreffend ist, tut dem Erwerb zutreffender sionsunfähigen werden sie zum mechanischen Problem, Vorstellungen durch den Anfänger keinerlei Abbruch. das sich im Laufe des Lebens noch verschlimmern kann. Während Nystagmus latens und dissoziiertes Höhen- Wie berechtigt diese mechanische Theorie ist, sieht schielen ohne Zweifel Symptome einer fehlerhaft ent- man an dekompensierten Heterophoren, die plötzlich wickelten oder angelegten neuralen motorischen Verschaltung sind, muss dies für die Alphabet-Symptome auch massive A- oder V-Probleme zeigen (gehäuft A-Exo- und V-Eso-Inkomitanzen), aber auch an Kindern mit Fehlbildungssyndromen (153). (nicht Syndrome!) offen gelassen werden. Fusionsverlust kann ihre Ausbildung veranlassen (231). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 208 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 209 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. W. de Decker Abb. 2.32 V- und A-Inkomitanz schematisch bei Esotropie und Exotropie. Die Skizzen zeigen nicht einen ideal symmetrischen Zustand, sondern versuchen, Beispiele für tatsächlich vorkommende Befunde und ihre ästhetische Überlagerung durch schräge oder kurze Lidspalten nachzuzeichnen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 210 2 Störungen des Binokularsehens Tatsächlich werden wohl alle drei pathogenetischen Fak- A- oder V-Inkomitanzen finden sich auch bei Patienten toren im Einzelfall mit unterschiedlichem Einfluss einen ohne frühkindliches Schielsyndrom, wie schon gesagt, mit kausalen Cocktail mischen, für den der Operateur die geeignete muskelmechanische Negativkopie und eine Opera- Häufung von A-Phänomenen bei Exophorie und V-Phänomenen bei Esophorie. Langjährig fortbestehende konseku- tionsindikation ersinnen muss. tive Exotropien entwickeln überaus häufig ein l-Phänomen, dem man nur mit einer robusten Vier-Muskel-Chirur- Die A- und V-Inkomitanzen wurden erstaunlich spät entdeckt. Einzelne haben in den 30er-Jahren schon an gie beikommt. wegen Schrägschielens und nicht in klarer Erkenntnis auf einen kleineren Breitenkreis mit geringem Hebel und Für den Umgang mit drei typischen motorischen Situationen sollen hier dem operativ spezieller Interessierten einige Anregungen gegeben werden. n Pseudoüberfunktion des M. obl. inferior: Hinter dem Höherstand in Adduktion verbirgt sich gelegentlich dissoziiertes Höhenschielen. Fehlt ein V-Phänomen bei ausgeprägtem Strabismus sursoadductorius, so ist hierauf sorgfältig zu achten. Man führt das in Adduktion hochstehende Auge unter Dunkelokklusion langsam in die Abduktion und stellt nach plötzlicher Wegnahme der Abdeckscheibe fest, dass der Höherstand immer noch besteht. Vor unkritisch hochdosierter Obliquuschirurgie ist hier zu warnen, weil sie eine hässliche konsekutive A-Inkomitanz hinterlassen kann. Eine mäßige Schwächung aller vier Heber wäre, bei symmetrischen Befund, wohl eher angemessen. n Über- und Unterfunktion der geraden Vertikalmotoren kann ungewöhnliche Indikationen erfordern. Insbesondere bei A-Exostörungen kann man mitunter eine auffallende Senkerschwäche in Abduktion feststellen und kommt dann mit einer symmetrischen energischen Resektion der Mm. recti inferiores oft weiter, als mit den oben beschriebene Strategien (142). n Schließlich sieht man selten, aber unvergessbar eine Störung bei Patienten mit Binokularsehen in Primärposition und Abblick, die im Aufblick von einem kritischen Winkel der Blickhebung an abrupt in eine oft gewaltige Exotropie übergeht. Dies wird in der Literatur meistens unter Y-Inkomitanz behandelt, verdient aber eher den Namen T-Phänomen. Schrägschielen fehlt gewöhnlich, und Obliquuschirurgie nützt so gut wie nichts, auch nicht die radikale Wegnahme von Muskelmasse der Mm. obliqui inferiores. Besser wirkt die Verlagerung der Mm. recti lateralis nach oben und hinten. Als Ursache wird, gestützt von elektromyographischen Befunden, eine paradoxe Innervation angenommen (201, 243). Bei einem eigenen Fall war der Vater des Mädchens auch betroffen. Abnahme der Wirkung in der betroffenen Richtung. Bei Auch sensorische Bedingungen überlagern gelegentlich Patienten mit Binokularsehen oder doch einem Risiko die Indikationsstellung. Typisch ist der folgende Fall mit des postoperativen Doppeltsehens empfiehlt es sich, die halbfunktioneller A-Exotropie. der A- und V-Inkomitanzen. Urrets-Zavalia (321) und Urist 1951 (319) definierten die Störung in der Mitte des 20. Jahrhunderts umfassend, brachten sie aber noch nicht mit dem frühkindlichen Schieltyp in Beziehung. Diesen Aspekt verdanken wir Costenbader (71) und Dunlap (113). Bis etwa 1960 diskutierte man noch die Korrektur u. U. auch an geraden Augenmuskeln (44), danach trat eine Bevorzugung der inzwischen jedem geschickten Operateur vermittelbaren Obliquuschirurgie ein. Dies mag den Blick auf die Pathogenese in die Richtung von „Obliquusstörungen“ eingeengt haben (2.1). In praktischer Hinsicht ist die Konzentration auf die schrägen Augenmuskeln immer dann sinnvoll, wenn auch horizontale und vertikale Abweichungen operativ korrigiert werden müssen, sodass die Zahl der evtl. abgetrennten geraden Muskeln bzw. der in ihnen verlaufenden Gefäße zum ziliaren Ring begrenzt werden muss. Eingriffe an den schrägen Augenmuskeln, bei V- oder A-Inkomitanzen meist symmetrisch oder doch beidseits ausgeführt, korrigieren ein begleitendes Schrägschielen (Strabismus sursoadductorius, Strabismus deorsoadductorius) befriedigend. Fehlt aber das Schrägschielen bei ausgeprägter A- oder V-Inkomitanz, so wird man mit einer Auf- oder Abwärtsverlagerung der Mm. recti mediales oder laterales eine bessere Korrektur und ein schöneres Bewegungsbild erzielen. Hierbei werden die Mm. recti mediales jeweils zur Spitze, die Mm. recti laterales zur Basis des A oder V verschoben, gewöhnlich in Kombination mit Rücklagerungen. Die Muskeln geraten hierdurch von einem Großkreis Eingriffe an schrägen und geraden Muskeln so zu kombinieren, dass das Verfahren zykloneutral wird. So gelingt es bei einer V-Esotropie gut, die beidseitige Rücklagerung der Mm. obliqui inferiores mit einer beidseitigen Rückund Abwärtsverlagerung der Mm. recti mediales zu kombinieren. Sinngemäß würde man eine A-Exotropie durch Schwächung der Mm. obliqui superiores in Kombination mit einer Rücklagerung und Abwärtsversetzung der Mm. recti laterales angehen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. den Mm. obliqui operiert, doch geschah dies offenbar W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) den, bis zum fixierten Höhenschielen. Es ist demnach Der 32-jährige Patient fiel durch markanten Aufblick als Zwangshaltung auf, die ihm Parallelstand und subnormales Binokularsehen erlaubte. Im Abblick wuchs der Schielwinkel auf –20h an. Die weiter oben empfohlene Kombination aus Schwächung der Mm. obliqui superiores und Rücklagerung samt Abwärtsverlagerung der Mm. recti laterales halbierte die A-Inkomitanz bzw. den Schielwinkel im Abblick. Die daraufhin noch ausgeführte beidseitige. Rücklagerung der Mm. recti superiores um 10 mm mit Temporalversetzung um 4 mm öffnete die Spurlinie nach oben, beseitigte also die Spitze des A-Phänomens und hatte noch eine andere hervorragende Wirkung: Sie zwang den Patienten nun kompensatorisch zu einer vermehrten Aufblicksinnervation, an die aber offenbar auch die Aktivierung des Binokularsehens gebunden war. Es gab jetzt gewissermaßen überall nur noch Aufblick. Als Fazit kann man empfehlen, bei hartnäckigen Inkomitanzen auch Umlagerungsstrategien zu erwägen. Abschließend ist noch ein kleiner Schönheitsfehler in der nicht immer einfach, bei konstant manifester VD eine dissoziierte Komponente nachzuweisen oder auszuschließen. Die üblichen Manöver sind das Abdecken des schon höher stehenden Auges mit opaker Scheibe (303) und die Lichtreduktion für das fixierende Auge mit Rot- oder Grauglas, was zum Absinken des höheren Auges führen sollte (Bielschowsky-Phänomen) (32). Mitunter betrifft die einseitige Ausprägung das dominante Auge. Da dieses die Fixation nicht aufgeben kann, bewegt sich statt dessen das nichtdominante, dann gewöhnlich amblyope Auge nach unten. Ein Rot- oder Grauglas vor dem weiter fixierenden Auge bewirkt, dass das abweichende noch weiter absinkt. Steht das abweichende Auge bereits tiefer, so kann die Differenzierung der gesamten Vertikalabweichung mühsam werden. y Vorkommen und Schweregrade. Die klinische Mannigfaltigkeit ist beträchtlich. Betroffen sind nicht nur Patienten mit dem Vollbild des frühkindlichen Schielsyndroms, sondern auch solche mit leichteren Störungen des Binokular- Nomenklatur der Stellungs- und Motilitätsfehler mit A- sehens wie Heterophorien, Paresen im Jugendalter (253) oder V-Inkomitanz festzustellen. Wenn diese Patienten und selbst noch bei Erwachsenen (207) und nicht ver- in einer Blickrichtung Binokularsehen haben, so gibt die sorgte einseitige Aphakie Jugendlicher. Bei Verlust des Bi- Nomenklatur keine Handhabe, ob man sie als Phorien nokularsehens bis zum Alter um 20 Jahre zeigt sich dieser oder Tropien bezeichnen soll. Natürlich versagen auch Verlust daran, dass zum dissoziierten Höhenschielen eine die uns in den letzten Jahren auferlegten, lästigen Diagno- deutliche Exzyklotropie hinzu tritt (188). Die Ansicht, eine seschlüssel vor solchen Feinheiten, was vielleicht beabsichtigt ist.1 Exzyklotropie gehöre obligat zur DVD (257) ist nach eigener Erfahrung nicht zutreffend bzw. vorwiegend bei solchen Fällen zu finden, die gänzlich ohne binokulare Inter- Die geläufige Ab- aktion sind. Eine Gliederung nach zunehmendem Schwe- kürzung DVD für dissoziierte Vertikaldivergenz bzw. dis- regrad, unter Berücksichtigung der vorhandenen oder feh- soziierte vertikale Deviation wurde von Bielschowsky lenden binokularen Interaktion, sollte versucht werden: mit nach Amerika genommen. Sie verdrängte dort in ca. n Subklinisch: Nur zufällig entdeckt man beim Abdecken 30 Jahren die „ alternierende Sursumduktion“ von Lancas- im Rahmen der Visusprüfung, dass das abgedeckte ter (210) und erreichte Europa durch die enger werdenden Kongresskontakte wieder. DVD spricht und schreibt sich Auge nach oben abweicht und nach Freigabe mehr oder weniger langsam zum Parallelstand zurückkehrt, so leicht. Es gibt viele alte Synonyme – wir überlassen ein- oder beidseits auslösbar. Diesen Patienten fehlt ge- sie den Handbüchern. Schon Bielschowskys Arbeiten (30, wöhnlich das Random-Dot-Stereosehen und die Fähig- 32) sprechen von gegensinnigen Vertikalbewegungen. keit, den Worth-Test im Dunkeln zu fusionieren (83). Vor Bielschowsky haben vielleicht schon andere das Phä- n Leicht: Aus mehr oder weniger fundiertem Parallel- nomen verstanden (311), aber die klare Darstellung ver- stand heraus „verliert“ der Patient bei Müdigkeit, Ab- danken wir ihm. Dissoziiert heißt, dass Störungen vor lenkung oder Blendung ein Auge für mehr oder weniger allem des seitengleichen Lichtzutritts zum Ansteigen eines Auges führen. Entweder steht ein und dasselbe n Mittel: Bei Einseitigkeit steht das betroffene Auge stets oder es stehen abwechselnd beide Augen höher, tatsäch- höher, in wechselndem Ausmaß. Der minimale Winkel lich oder nur der Tendenz nach. Bringt der Untersucher kann sensorisch durch harmonisch anormale Korres- die Störung durch diagnostisches Abdecken selbst ein, so pondenz fixiert sein (Bagolini positiv), der maximale wird man meist feststellen, dass die Bereitschaft zur ist entstellend. Dies ist ein häufiger Befund nach sonst DVD beidseitig ist. Die tatsächliche Manifestation ist erfolgreicher Schieloperation. Manifestes Schielen ist aber oft streng einseitig und kann dann permanent wer- die wesensmäßige Voraussetzung. Bei Alternierenden lange Zeit. trifft die Manifestation periodisch beidseits ein, mit kürzeren oder längeren Intervallen, wobei die Basis 1 Die Kostenträger möchten unter dem Aspekt der Simplifizierung wohl auch die Gebührenordnung einfacher gestalten. sensorisch oft normaler wirkt als bei einseitiger Ausprägung. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Fallbeispiel Dissoziiertes Höhenschielen (DVD) 211 2 Störungen des Binokularsehens n Schwer: y Bei Einseitigkeit tritt wegen Permanenz Kehren wir noch einmal an den Anfang zurück. Gewiss schließlich Kontraktur ein, sodass der dissoziierte Charakter verhüllt sein kann. Alternierende „ machen keine Pause“; dem Höherstand des einen folgt immer sofort ist, dass gesteigerte Aufmerksamkeit für visuelle Aufgaben des fixierenden Auges „dissoziierend“ wirken (282), und anzunehmen, dass im täglichen Leben die „innere der Höherstand des anderen Auges. Diese schweren Dissoziation“ der eigentliche Auslöser ist, während äußere Formen gehören zum ausgeprägten frühkindlichen Störungen nur im Rahmen von Experiment und klinischer Schielsyndrom. Untersuchung wirksam werden. Pathogenetische Vorstellungen. Eine verbindliche Ein- y Therapie der DVD. Eine genuin konservative Behandlung, sicht in die Ätiologie und Pathogenese wird so lange etwa mit Prismen, verbietet sich wegen der ästhetischen nicht zu gewinnen sein, wie „Fusion“ und „Schielen“ im Auffälligkeit auch kleiner vertikaler Abweichungen von Letzten unverstanden bleiben. Ältere Theorien sollte man bei älteren Autoren nachlesen (99, 177), denen sie selbst. Aus demselben Grunde ist die direkte operative Intervention an den Höhenwendern undankbar, bei pausen- noch etwas bedeuteten. Der heutige Leser sieht in vielen los alternierender Manifestation weitgehend aussichtslos. älteren Vorstellungen Leerformeln mangels neuroanato- Bevor man sich hierzu entschließt, sollte man mit Prismen mischer Fakten. Aber auch neuere Versuche der Erklärung etwa aus der vertikalen fusionalen Divergenz (60, 323) probieren, ob Änderungen der horizontalen Augenstellung können wegen der Prävalenz des Schielsyndroms, definiti- zontale Operation, die in leichten Fällen Parallelstand onsgemäß ohne Fusion, keinen Anspruch auf umfassende bzw. Orthophorie herbeiführen oder stabilisieren kann, Gültigkeit haben. Ein begleitender vertikaler, oft asymmetrisch (dissoziierter) latenter Nystagmus (175) macht öffnet gute Chancen, die DVD unter Kontrolle zu bringen. Aber auch Patienten, denen man üblicherweise kein Bino- das Verstehen nicht leichter, sondern lässt nur die Kom- kularsehen zuerkennt, reagieren auf die bestmögliche ho- plexität des visuellen Systems ahnen. rizontale Augenstellung positiv. Patienten mit funk- zu besserem Simultansehen führen. Jede wirksame hori- Die große Leistung Bielschowskys war es, aus dem viel- tionstüchtiger anomaler Korrespondenz zeigen selten Ma- fältigen klinischen Beziehungsgeflecht das Verbindende nifestation von DVD. Bei den Ausnahmen muss man mit herausgearbeitet zu haben. Die über viele Jahre verteilten Prismen herausfinden, ob quasi Parallelstand oder opti- Arbeiten lassen schon sprachlich die innere Entwicklung male Harmonie der ARC die beste Beruhigung der DVD spüren. So wundert es nicht, dass die endlich gefundene Formel der „Gegensinnigkeit“ in seinem Denken hoch- herbeiführt. Dies ist eine mühsame Arbeit, da im Falle, dass Parallelstand besser wirkt (gleiches Licht!) dem Pa- dominant wurde. Bei genauer Beobachtung bemerkt tienten die Diplopie droht. Die Prismen für alle einschlägi- man aber, dass der „Impuls nach oben“ sehr häufig auch gen Untersuchungen müssen klare Glasprismen sein und gleichzeitig am fixierenden Auge aktiv ist. Die Folge ist beiden Augen in etwa gleicher Stärke vorgegeben werden. dann eine Zwangshaltung mit Aufblick und Kinnsenkung („Armsünderblick“, 96). Das abweichende Auge steht Ungleiche, einseitige oder gar Folienprismen dissoziieren ihrerseits und führen ins Abseits. dann, wie schon erwähnt, zwar relativ tiefer, aber Ist die Kontrolle oder Dämpfung der DVD durch binoku- wegen der mitunter markanten Aufblicklage absolut auch höher als die Horizontale. Wem dies einmal bewusst lare Interaktion nicht möglich, bleibt nur die direkte Intervention (S. 539). Die neuere angelsächsische Literatur geworden ist, dem fällt es sofort und häufig auf, und sogar strebt danach, die Schwächung des M. obliquus inferior hinzuzunehmen (324), was wirksam ist, oder allein anzu- in Bielschowskys eigenem Bildmaterial (32, P508). Seine Abb. 11 ist kommentiert mit „gleich hohe Gesichtslinien“ wenden (37, 265), was den europäischen Leser befremden bei unverkennbarem Aufblick des dort abgebildeten Pa- wird. Die energische Resektion des M. rectus inferior nach tienten. Man darf also vermuten, dass er die Tatsache Knapp (193, 194) ist historisch, obwohl sie gelegentlich wohl bemerkt hat, aber nicht in seine Theorie einlassen wieder vorgeschlagen wird (120). konnte, ohne das Prinzip der strengen Gegensinnigkeit aufzugeben. Bei zuverlässig einseitiger Manifestation gelingt es meist, mit großen Rücklagerungen des M. rectus superior Man sieht auch Patienten mit Schielsyndrom, die ledig- eine Beruhigung zu erreichen (226), obwohl diese Opera- lich diesen auffälligen Aufblick als Zwangs- oder Fehlhal- tion Schwächen hat: tung einnehmen, um sich gewissermaßen durch Nach- n Es muss hoch dosiert werden, da sonst kein Effekt zu geben von der Last dieses Tonus zu befreien, und die dabei wenig oder kein gegensinniges dissoziiertes Höhenschielen erkennen lassen. Es bleibt beim derzeitigen Stand erzielen ist. n Die Aussicht ist leider sehr groß, dass bei Nichtmanifes- tation das operierte Auge sichtbar tiefer steht. der klinischen Forschung eine Spekulation, ob wir die gleichsinnige Komponente „Aufblick“ für wesensgleich n Bei Manifestation am abweichenden Auge ist dieses oft mit der gegensinnigen DVD oder für ein überlagerndes trennung eines weiteren Rektus ist ein Risiko, die des selbständiges Phänomen halten wollen. letzten Muskels kann ein Kunstfehler sein. schon an zwei geraden Muskeln voroperiert. Die Ab- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 212 W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) Die eigene Praxis geht dahin, die Rücklagerung nur bei ex- bei denen kein Risiko einer Amblyopie besteht, versuchen, zessiver VD über 15h als primären Eingriff anzuwenden. ob durch Vernebeln eines Auges Einseitigkeit der Fixation Bei geringerer VD lohnt sich der Versuch, mit einer Fadenoperation auszukommen (mit 12–13 mm Abstand vom bzw. Abweichung herbeizuführen ist, womit das operative Problem dann einfacher wird. Bezieht man die Fälle Ansatz, ohne diesen abzulösen, mit nasal und temporal ein, die wegen Beidseitigkeit des Impulses einen markan- je 3 Durchstichen, die marginal 1/5 der Muskelbreite er- ten Aufblick einnehmen, so muss man auf jeden Fall beid- fassen). Ein initialer Übereffekt von 3–5h schadet nicht, seits operieren, wenn auch asymmetrisch wegen der Ver- sondern verspricht ein gutes Ergebnis. Ist der Patient tikaldeviation. Die erst in den letzten Jahren zur Routine langfristig nicht zufrieden, so kann man die Fäden lösen gewordene Schwächung aller vier Heber hat dem Verfas- und immer noch rücklagern. ser auch gezeigt, dass das oben angeführte Argument DVD auf dem dominanten Auge mit Tieferstand des abweichenden sowie auffälliger Kopfhaltung im Aufblick nach dem Hering-Gesetz nicht in vollem Umfang zum Tragen kommt, vielleicht weil für die Patienten mit reagiert auf eine Fadenoperation unzureichend. Hier emp- frühkindlichem Schielsyndrom die klassischen Bewe- fiehlt sich die Rücklagerung um mindestens 10 mm oder, gungsgesetze nicht in vollem Umfang gelten. 213 seitige asymmetrische Rücklagerung dieses Muskels, Kopfschiefhaltung nicht in Verlaufsrichtung, sondern meridional. einer Schulter, meist zusammen mit auffälliger Addukti- Das Phänomen der Kopfneigung zu onsstellung des fixierenden Auges, beobachteten Piper n Bei Erwachsenen ohne Risiko der Amblyopie sollte man versuchen, durch Vernebeln eines Auges Einseitigkeit der Fixation bzw. Abweichung herbeizuführen, um das operative Problem zu vereinfachen. (260) und Doden (106). Differenzialdiagnostisch ist eine Parese auszuschließen, besonders eine Trochlearisparese, die sich dann aber meist als frühkindliche Obliquusdysfunktion herausstellt und keine neurologische Dignität aufweist. Auszuschließen sind auch stets orthopädische Ursachen und bei Brillenträgern falsche Zylinderachsen. Bei frei alternierenden Patienten mit mehr oder weniger Hat man sich überzeugt, dass die Kopfneigung lediglich ständiger Manifestation gibt es ein theoretisches Beden- Teilsymptom des Schielsyndroms ist, so muss man, wenn ken gegen die beidseitige Operation: Die Schwächung der Heber wird vom jeweils fixierenden Auge innervatio- man es nicht bei der Feststellung belassen will, sondern eine effektive Therapie anstrebt, von vornherein einen Un- nell ausgeglichen, wodurch nach dem Hering-Gesetz das terschied zwischen der Mehrheitsgruppe (Kopfneigung zur abweichende wiederum nach oben getrieben wird. In dominanten Seite) und der Minderheitsgruppe (Kopfnei- Wirklichkeit ergibt sich, genügend hohe Dosierung der gung zur Seite des obligat abweichenden Auges) machen. Rücklagerungen an allen vier Hebern vorausgesetzt, denoperationen würden hier überlaufen. Bevor man sich Die Neigung erfolgt in vier von fünf Fällen zur Seite des führenden Auges (66, Abb. 2.33) und fehlt oft bei Fixation mit dem nichtführenden. Etwa jeder 5. Fall neigt den zu so umfangreichen und nur bedingt Erfolg versprechenden Prozeduren entschließt, sollte man bei Erwachsenen, Kopf zur Seite des nicht dominanten Auges. Diese beiden Verhaltensweisen bedürfen einer getrennten Betrachtung. Abb. 2.33 Kopfneigung zur Seite des dominanten Auges als Symptom frühkindlichen Schielens (auch Außenschielen) findet man in jedem Alter. Eine logische motorische Beziehung zu den Über- oder Unterfunktionen der Mm. obliqui fehlt meist. doch mindestens eine Halbierung der Abweichungen. Fa- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. wenn die DVD zu gering ist (kleiner als 12–15h) die beid- 2 Störungen des Binokularsehens n Die Kopfneigung zur dominanten Seite (Mehrheitsgruppe) dient keinem für uns erkennbaren Zweck und kann hungslosen Symptomkomplex aufzufassen, wie noch vor 15 Jahren üblich (15). deshalb nicht als Zwangshaltung, sondern lediglich als Fehlhaltung angesehen werden. Ein Argument, mit Frühoperation dem Guyton (141) kürzlich Aufsehen erregt hat, findet frühkindlichen Schielsyndroms eingeleitet mit der These, Wir hatten die Beschreibung des sich schon bei Crone (73): wer kein dissoziiertes Höhenschielen und keinen Nystag- Bekannt ist die Tendenz zur Außenrollung des dissozi- mus latens entwickle, könne wohl früh, aber nicht kon- iert höher stehenden Auges. Der Erklärungsversuch stant manifest geschielt haben. Zur eigenen Arbeit der geht nun dahin, eine entsprechende Innenrollung des letzten zwei Jahrzehnte gehörte eine prospektive Studie fixierenden Auges anzunehmen und die Kopfneigung mit 50 Kindern, die der Verfasser alle selbst initial (mit damit zu erklären, dass mit ihrer Hilfe die subjektive Vertikale des fixierenden Auges wieder senkrecht 3–6 Monaten) hat schielen sehen. Die Hälfte wurde im 1. Lebensjahr operiert. Die Ergebnisse, nach 13-jährigem gestellt würde. Diese Innenrollung ist aber nicht durchgehend vorhanden und auch nicht zu erwarten, Verlauf ausgewertet, waren nicht besser als bei später operiertem Krankengut (91), aber ein einziges Kind, ope- da das Phänomen des dissoziierten Schielens nicht riert im Alter von 8 Monaten, erlebte die Vollheilung: Es nur die Vertikaldivergenz betrifft, sondern auch die hatte offensichtlich nur intermittierend geschielt. Zyklovergenz, worauf wir beim Refraktionsverhalten Die Operation im Alter von 20–24 Monaten hatten ame- dieser Patienten noch einmal zurückgreifen werden. rikanische Autoren schon vor Jahrzehnten empfohlen Guyton erlaubt dem abweichenden Auge, das dominante mitzunehmen und das bei Versagen des Hering- (172, 313). Das Problem wird immer noch kontrovers diskutiert. Einerseits sollen 40 % Random-dot-Stereosehen Gesetzes. Aber als didaktische Stütze bei der Opera- erzielt worden sein (36), andererseits beurteilt Ing (169), tionsplanung ist die Vorstellung doch irgendwie einer der Pioniere der Frühoperation, die Resultate sehr brauchbar. viel zurückhaltender, auch hinsichtlich einer nochmaligen Therapeutisch hat sich die torsionale Umlagerung bewährt, anfangs an den Mm. obliqui (66), in den letzten Vorverlegung der Operation in das zweite Lebensquartal Jahren aber regelhaft durch Höhenversetzung der Hori- (91, 157). In einer brieflichen Diskussion äußerte Ing zontalmotoren (95, 304). Hierbei muss man eine bleibende motorische Verrollung von 6h, besser 10–12h (170) schließlich den Verdacht, die wenigen Patienten, die nach Frühoperation zu hervorragendem Binokularse- etablieren. Kann diese nicht überwunden werden, so hen kämen, seien möglicherweise Intermittierende gewe- hat der Patient auch keine sensorische Gegenrollung sen. Hier wird man auch die spektakulären Fälle einord- zur Verfügung und muss das Bild mit dem Kopf aufrich- nen dürfen, die gelegentlich publiziert werden (339). ten. Da dies eine rein symptomatische Behandlung Auch in den USA hat die Begeisterung abgenommen (159). eines im Prinzip nicht verstandenen Fehlers ist, fallen Ein unerfreulicher Begleitumstand ist die mehrfach bestä- die Ergebnisse unterschiedlich aus, wobei je etwa ein tigte hohe Zahl notwendiger Nachoperationen, um die Viertel der Patient tadellos, gut gebessert, erkennbar gebessert oder eben ohne Ergebnis enden. n Nachdem die Zahl der mit torsionaler Umlagerung ope- Stellungskonstanz aufrecht zu halten (91, 119, 157). Da bei Operation im Alter zwischen zwei und fünf Jahren rierten Patienten genügend groß geworden war, fiel auf, und hinsichtlich binokularer Interaktion nicht eindeutig dass die Patienten mit Kopfneigung zur nicht dominan- schlechter liegen, vielmehr sehr einheitlich eine gute Au- ten Seite auf torsionale Umlagerungschirurgie schlech- genstellung bei etwa 66 % und eine nützliche binokulare (171), was der klinischen Erfahrung seither entspricht die Resultate hinsichtlich Stellungskonstanz eher besser ter reagierten (95). Wirksamer und im Aufwand gerin- Interaktion bei ca. 50 % erreicht wird (11, 93, 151, 185, ger ist, das dissoziierte Höhenschielen, bei diesen Pa- 238), bleibt nicht viel für die mehr oder weniger radikale tienten meist einseitig manifestiert, durch eine schwächende Operation am M. rectus superior zu dämpfen. Frühoperation als die Hoffnung, den einen oder anderen intermittierend früh Schielenden aufzufangen, ehe er vol- Die Prognose für diesen Eingriff lässt sich mit einem lends dekompensiert. Hier muss man geduldig Elternauf- kurzen Prismenversuch recht verlässlich bestimmen klärung betreiben und schließlich den Elternwillen als die (96). Die Patienten verhalten sich so, als ob sie doch eigentliche Entscheidungsgrundlage ansehen. eine Tendenz zum Binokularsehen hätten, also versuchten, die Vertikaldivergenz durch Kopfneigung auszugleichen, wie nach den Regeln zu erwarten (320). Refraktionsbefunde Im Gegensatz zur Mehrheitsgruppe könnte man deshalb hier mit mehr Recht von einer Zwangshaltung Der Einfluss der Hyperopie auf die Größe des Schielwin- sprechen. Diese Anschauung gewinnt Boden (286). Es kels ist unbestritten, jedoch nicht bei jedem Patienten ist nicht mehr sinnvoll, das Schielsyndrom als bezie- gleich groß. Speziell beim ausgeprägten frühkindlichen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 214 W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) Schielsyndrom fällt auf, dass durchaus nicht alle Patienten n weil zwangsläufig dissoziierend untersucht wird. Durch hyperop sind. Außerdem reagieren die Hyperopen unter das sukzessive Setzen der Nachbilder unter Verschluss ihnen auf die Brillenkorrektion oft weniger ausgeprägt mit einer Schielwinkelverkleinerung als gleichhyperope des jeweils anderen Auges ruft man eben die Bedingungen auf, unter denen der intermittierend Schielende die anomale Korrespondenz (ARC) einsetzt; gens. Insbesondere ist die Tendenz zum Nahwinkelüber- n weil die gut ausgeprägte ARC den Patienten vor Diplo- schuss bei frühkindlichem Strabismus auch durch Atro- pie schützt und deshalb weniger Suppression benötigt pinvollkorrektion und Bifokalzusätze in der Regel nicht wird. zu beherrschen. Dennoch sollte man stets praktisch pro- Die Angabe anomaler Korrespondenz ist deshalb ebenfalls bieren, ob und wie viel Einfluss die Brillenkorrektion auf von relativem (prognostischem) Wert, weil keine Aussicht den Schielwinkel hat. Wer in Europa akkommodatives Innenschielen unter besteht, das Korrespondenzverhalten während der unter Umständen seltenen Parallelstandsphasen zu erfassen. bewusstem Verzicht auf die Brillenkorrektion operiert, wird zwangsläufig zum Außenseiter (132). In den USA Dies gilt auch für eher binokular simultane Unter- wird hingegen traditionell angenommen, frühkindliches Frage nach dem subjektiven Winkel), weil sie zwangsläu- und akkommodatives Schielen schlössen sich gegenseitig fig in der manifesten Phase zur Anwendung kommen und aus. Es wird deshalb oft früh ohne Brillenkorrektion ope- das Ergebnis (ARC) als „Programm“, aber nicht als univer- riert (125). Einer Arbeit, die dieses Vorurteil widerlegt, sal gültig offen legen. verdanken wir Zahlenangaben. 16 % der Patienten mit „infantile-congenital esotropia“ haben eine akkommodative Die Angabe normaler Korrespondenz (NRC) spricht natürlich mit erheblichem Gewicht für intermittierendes Komponente, aber auch weniger ausgeprägte motorische Schielen. Man sollte aber vermeiden, bei Feststellung Symptome (154). Das Krankheitsbild ist, wie schon er- von NRC vor einer Operation im Beratungsaufklärungs- wähnt, nicht gut definiert. gespräch mehr als eine vage Hoffnung auf Binokularsehen suchungstechniken (Synoptophor, Prismenausgleich und Bei der Skiaskopie von Kindern mit frühkindlichem zu formulieren. Hingegen sollte man bei unverhoffter Schielsyndrom fällt auf, dass häufiger als bei spätem Feststellung von NRC noch einmal zur Anamnese zurück- Schielbeginn Astigmatismus mit schrägen Achsen vorliegt. kehren und versuchen, frühere oder gar noch immer bei- Die Achsenlage ist oft asymmetrisch, tendiert aber im Laufe der Kindheit zur Symmetrie mit Schwerpunktbil- behaltene intermittierende Parallelstandsphasen bestätigt zu erhalten. Eltern verwechseln oft bei Beginn der Betreu- dung bei 45h und 135h TABO. Innerhalb weniger Wochen ung Parallelstandsphasen mit dem Alternieren und finden findet man oft Veränderungen bis zu 20h. Da der Vorgang erst allmählich zu der Augenärzten und Orthoptistinnen der Skiaskopie wegen der Beleuchtung nur jeweils eines geläufigen Sicht der Phänomene. Auges dissoziierend wirkt, lässt sich vermuten, dass die Insgesamt wird der Stellenwert der Korrespon- Messung selbst Einfluss auf die Achsenlage nimmt (dis- denzprüfung für die praktische Indikationsstellung bei soziiertes Torsionsschielen). Wenn die Mitarbeit des Kin- frühem Schielbeginn eher geringer angesetzt als vor 20 des dies gestattet, sollte man bei unerwarteten Werten die Messung nach einigen Minuten mit möglichst geringer n das ausgeprägte frühkindliche Schielsyndrom als funk- Lichtstärke im Skiaskop oder Refraktometer wiederholen. Bei soviel Unsicherheit scheint es überhaupt geboten, sich bei jüngeren Patienten mit frühkindlichem Schielen durch oder 30 Jahren, weil tionell praktisch unheilbar gelten muss und n das unerkannte intermittierende Schielen oft erst durch die Operation selbst seine Natur zu erkennen gibt. häufige Skiaskopie von der Aktualität und dem Grad der Instabilität der Achsenlage zu überzeugen: Nicht wenige n Je instabiler die Augenstellung bei frühkindlichem Patienten, die wegen Stillstands der visuellen Entwick- Schielsyndrom, je ausgeprägter DVD und A-V-Inkomitanz, desto weniger kann eine definierte anomale Korrespondenz sich ausprägen. lung oder der Amblyopiebehandlung überwiesen werden, haben unbemerkt ihre Refraktion geändert. Man erhält dann bei Untersuchung mit Nachbildern die Korrespondenzverhältnisse Angabe alternierender Wahrnehmung und bezeichnet dies als wechselseitige Suppression. Dieser geläufige Be- Beim frühkindlichen Innenschielen und Fehlen motorischer griff lässt außer Betracht, dass bei wirklich frühem und Symptome des Schielsyndroms prägen langanhaltende konstant-manifestem Schielen u. U. gar keine Suppression Manifestationsphasen große Anomaliewinkel, die man mit Nachbildern wie mit Prismenfarbglastests angegeben stattfindet, weil der neuronale Apparat für simultane Wahrnehmung primär gar nicht eingerichtet wurde. Sup- erhält, pression kann sich nur gegen latent mögliche Diplopie richten. Wird andererseits nur intermittierend geschielt, Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Patienten mit später manifestiertem Strabismus conver- 215 216 2 Störungen des Binokularsehens so kann der Patient während der manifesten Phasen auf denoperation ist hier nichts zu erreichen. Auf das Risiko Suppression als einzigen Schutz gegen Diplopie angewie- später Überkorrektur sollte man hinweisen, aber auch sen sein, wodurch scheinbar das gleiche Symptom in Erscheinung tritt! Das Fehlen einer verwertbaren Korres- darlegen, dass ohne diese hohe Dosierung eine Lösung nicht möglich sei. Der Verfasser sagt seinen Patienten, pondenzangabe ist deshalb mehrdeutig und damit von re- dass nach Eintritt oder besser Stabilisierung von Binoku- lativem diagnostischen Wert. larsehen das Gehirn im Laufe von Jahren die alte Not ver- Bei A-V-Inkomitanz sollte man versuchen, die Korres- gisst und die Operation retrospektiv gar nicht mehr für pondenz in verschiedenen Blickrichtungen zu prüfen. Un- nötig hält und dass deshalb eine konsekutive späte Exo- terschiede im Auf- oder Abblick können „statisch“ sein tropie Teil der Gesamtmaßnahme sein kann, auf die die (abhängig von der Stellung beim Setzen der Nachbilder) Patienten vorbereitet sein sollten. oder „dynamisch“ (wechselnd mit der Innervation zur aktuellen Blickrichtung). Ein solches Verhalten kann Einfluss auf die spezielle operative Indikationsstellung und auf die Prognose haben. Der Verfasser, für den das Operieren kein 2.4.3 Außenschielen chen Möglichkeiten. Das Außenschielen betrifft in Mitteleuropa 20 % aller Verdacht auf unerkanntes intermittierendes Frühschielen Schielenden, wobei diese Angabe sich auf Klinikkrankengut bezieht. Intermittierende (periodische) Exotropie ist weitaus häufiger als konstant manifeste. Ungeschicktes, dissoziierendes Untersuchen und falsche physiologische Die Diagnose ist klar, Vorstellungen führen immer wieder zu Fehlanschau- n wenn Eltern von Kindern oder erwachsene Patienten im ungen, die einer sachlichen Nachprüfung nicht standhal- Grunde wissen, dass nicht konstant manifest geschielt ten: wird: Man hat sie aber nie danach gefragt, sondern n Wer vor allem den Schielwinkel messen möchte, wird immer gleich intensiv und dissoziierend untersucht. unter Umständen übersehen, dass der Patient im Diese Situation ist in der (bzw. in meiner) Praxis sehr häufig. Die Prognose ist dann gut und das postoperative n Intermittierendes Schielen wird häufig mit dekompen- Ergebnis „subnormales Binokularsehen“ (bei Strabis- sierter Exophorie verwechselt, obwohl deren Leitsymp- mus convergens alternans) bzw. „konsekutiver Mikro- tom, die Diplopie, die Abgrenzung meist eindeutig er- strabismus“ (bei leichter Amblyopie eines Auges); n wenn bei Fällen ohne DVD und mit wenig Nystagmus n Der Vorliebe für Logik und Dialektik entspricht die An- latens ein- oder mehrfach NRC angegeben wird. Die schauung, analog zur Häufigkeit der Hyperopie beim Prognose ist dann nicht zwingend ganz so gut wie Strabismus convergens wäre eine Mehrzahl divergent oben. Neben Fällen mit subnormalem Binokularsehen sieht man auch solche, die postoperativ labilen Parallel- Schielender myop. Tatsächlich gleicht die Refraktionsverteilung der der Gesamtbevölkerung (137). stand, aber keine tragfähige binokulare Interaktion oder n In Umkehrung des Prinzips von Donders wird immer gar Fusion erreichen. Man hat deshalb früher zwischen wieder versucht, durch Vorsetzen von Konkavgläsern Korrespondenz und bloßer Sehrichtungsgemeinschaft eine bessere Konvergenzleistung zu stimulieren, die unterschieden, wobei Letzterer nur ein lokalisatorischer Wert zugeschrieben wurde (298). den intermittierenden Strabismus divergens günstig Grunde fusionsfähig ist. laubt. beeinflussen soll. Der Verdacht auf verborgenes intermittierendes Verhalten wird auch geweckt, wenn bei Fehlen der motorischen Symptome des Schielsyndroms der Schielwinkel eher groß ist. Die Fälle mit kleineren Schielwinkeln haben oft in der Abweichphase ARC von einiger Qualität, die den n Konkavgläser stimulieren die akkommodative, nicht aber die fusionale Konvergenz und sind für die meisten Patienten als Dauertherapie nicht geeignet. Schielwinkel stabil hält, leider auch oft nach einer Operation, was die Prognose verschlechtert. Sei es wegen der Größe des Schielwinkels, sei es wegen der Gefahr, am Strabismus divergens intermittens rivalisierenden Anomaliewinkel „hängen zu bleiben“: Sobald begründeter Verdacht auf bisher nicht erkanntes intermittierendes Innenschielen aufkommt, benötigt man Etwa 80 % aller Patienten mit Strabismus divergens schielen nur periodisch, wobei die Verteilung auf Parallel- eine hohe Operationsdosierung, nicht unter beiderseits stands- und Abweichphase sehr unterschiedlich sein 8,0 mm Rücklagerung der Mm. recti mediales. Mit der Fa- kann. Bei nur seltenem Eintreten von Kompensationspha- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. nur mechanischer Akt ist, macht viel Gebrauch von sol- W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) sen neigt deshalb der unerfahrene Untersucher zur Fehl- Beurteilung nach der Größe der manifesten Schielwin- diagnose einer konstant manifesten Exotropie, und auch kel erfolgt. Ein Faktor könnte die fortgeschrittene und dem Erfahrenen widerfährt dies gelegentlich. vielfältige Rassenmischung in den USA sein. Die Prognose ist nicht schlechter als bei den anderen Formen, Formen Der Umgang mit dem intermittierenden Au- wenn lediglich der gemessene Schielwinkel größer ist, ßenschielen ist ohne kursorische Kenntnis der Fach- aber deutlich schlechter, wenn echte Konvergenzinsuf- geschichte verwirrend. Albrecht von Graefe (139) stellte fizienz vorliegt, da meist eine höhergradige Fusions- das „dynamische Außenschielen“ in breiter Form dar, un- schwäche besteht. Das Binokularsehen der operativ be- terschied aber nicht grundsätzlich zwischen diesem und handelten Fälle bleibt trotz motorischer Rekompen- der dekompensierten Exophorie. In den USA war die Un- sation oft „subnormal“. Bei der Definition des Konver- terscheidung in den 20er-Jahren noch nicht erkennbar, 1950 mit Untergliederungen Allgemeingut und wurde in genzschwächetyps nach Burian liegt ein ähnlicher Missstand vor wie beim „frühkindlichen Innenschie- den 60er-Jahren durch Burian noch einmal präzisiert. In len“: Es werden zwei grundverschiedene Störungen in Deutschland ist die Abgrenzung bei Jaensch 1924 nicht erkennbar und wurde erst 1956 (177) mühsam vollzogen. Einteilung nach Duane: Duane gliederte nach dem kli- Nach der Wiedervereinigung wurden die Patienten aus nischen Aspekt, der abweichend von den Messwerten den „neuen Ländern“ samt und sonders als Exophorien beim alternierenden Prismenabdecktest vorrangig von überwiesen, obwohl die Störung bei Krüger (199) sehr gut abgegrenzt ist. In der Diagnostik und Deskription durchgesetzt hat sich der tatsächlichen fusionalen Kompensation bestimmt wird (111). Es ist klar, dass dann alle Fälle, die beim Fernblick manifest schielen, zum die Einteilung nach Burian. Sie richtet sich nach der n Divergenzexzesstyp gerechnet werden, der mithin hier- test, basiert also auf gemessenen Winkeln bei dissoziierender Untersuchung. Wir bringen sie hier zunächst, einem Krankheitsbild vereinigt. nach häufig wäre. n Der Neutraltyp begegnet dem Beobachter entsprechend viel seltener. weil ohne sie eine Gliederung und ein Verständnis der n Der Konvergenzschwächetyp erscheint viel seltener, weil Literatur schwer möglich sind, werden sie aber anschlie- viele Patienten mit einem beim alternierenden Pris- ßend durch die ältere Einteilung nach Duane ergänzen, ohne deren Kenntnis wiederum die innere Logik der ame- menabdecktest größeren Schielwinkel in der Nähe diesen doch relativ leicht und häufig fusional kompensie- rikanischen Literatur nicht einsichtig wird. ren können (also dem Konvergenzschwächetyp nach Einteilung nach Burian: n Divergenzexzesstyp: Der Schielwinkel wird mit Prismen Burian nur wegen des größeren Nahwinkels zugerech- und Abdecktest für den Blick in die Ferne um mindes- Seit einem halben Jahrhundert erscheinen kontinuierlich tens 7h größer gemessen als für den Blick auf nahe Ob- zahlreiche Repliken immer der gleichen Idee von Autoren, jekte. Burian (48) verdanken wir die Feststellung, dass die eine US-amerikanische Weiterbildung genossen ha- dieses Verhalten in Wirklichkeit selten ist (1 %,). Das eintägige Verschließen eines Auges enthüllt meist, ben. Man muss diese Arbeiten sehr vorsichtig lesen. Sie folgen formal zwar der Einteilung von Burian, die den dass in Wirklichkeit der Nahschielwinkel ebenso groß „echten“ Divergenzexzess korrekterweise für selten hält, ist wie der Fernschielwinkel. Man spricht dann mit verhalten sich aber doch so, dass man erkennt, dass sie Burian vom dem Prinzip des Divergenzexzesses im Sinne von Duane net werden) n Pseudodivergenzexzesstyp, bei dem in der Nähe der unlösbar verhaftet sind. Manchmal werden Intermittent gleich große Schielwinkel leichter und häufiger überwunden wird und deswegen kleiner erscheint: Die Exotropia und Divergence Excess in der gleichen Publikation synonym verwendet (10, 222). Patienten profitieren vom intakten AkkommodationsKonvergenz-Mechanismus. Der Dreh- und Angelpunkt des Verständnisses des Strabismus divergens intermittens ist die Einsicht, dass in Eu- n Neutraltyp: Der Schielwinkel während der Abweich- ropa und in den USA die mutmaßliche Ätiologie unter- phase ist für Ferne und Nähe etwa gleich groß. schiedlich gesehen und dass in wissenschaftlich beispiel- n Konvergenzschwächetyp: Der gemessene Schielwinkel im loser Kontinuität diese unterschiedliche Beurteilung über Nahbereich ist mindestens um 7h größer als bei Blick in ein Jahrhundert hinweg unverändert beibehalten wurde. die Ferne. In der amerikanischen Literatur werden Nicht unversöhnlich, weil wegen der Verankerung vor überraschend viele Fälle diesem Schieltyp zugerechnet. allem im kollektiven Unbewussten dieser Dissens niemals Der europäische Untersucher findet diese Form seltener, der Autor bei 10 % aller intermittierenden Diver- öffentlich hart ausgetragen, sondern bis heute auf beiden Seiten beharrend gelebt wurde: auf der einen Seite die genzschieler. Unterschiedliche Untersuchungsmetho- Anomalie der Ruhelage, auf der anderen der Divergenz- den können solche Unterschiede nicht erklären, da die exzess. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Schielwinkelgröße beim alternierenden Prismenabdeck- 217 2 Störungen des Binokularsehens Divergenzexzess. Die Annahme einer aktiv überinner- Konvergenzschwächetyp erklärt Kushner durch einen er- vierten Divergenz als Ursache der Exotropie selbst, ihrer niedrigten AC/A-Quotienten. Derartige Begriffe darf man periodischen Manifestation, sowie der Winkelzunahme beim Blick in die Ferne hat rein amerikanische Wurzeln: verwenden, dabei aber nicht vergessen, dass sie rein deskriptiver Natur sind. Die Vorstellung vom kompensatori- Die Gliederung nach Duane, der den Begriff im Sinne schen Konvergenzexzess mag den Tonus erklären, der die einer pathologischen Überinnervation interpretierte, die Parallelstandsphase stabil hält, bietet aber keine Hilfe Kürze und Dialektik einer bis heute viel zitierten Arbeit von Dunnigton (115), das persönliche Fürwahrhalten zum Verstehen, woher der Innervationsschub kommt, durch Burian und die scheinbar unwiderlegbaren Befunde im Elektromyogramm. Zuerst durch Adler (5), dann we- lung in den Parallelstand bzw. in den eher kleinen phorischen Raum startet (84). sentlich beachteter durch Breinin (42) und später mehrfach wiederholt wurde nachgewiesen, dass der Übergang Direkter Missbrauch der akkommodativen Konvergenz mit Mikropsie ist beschrieben (237), ist aber wohl eher vom Parallelstand in die Abweichphase ein aktiv inner- ein Verhalten von Exophoren, denen die Dekompensation vierter Prozess ist. Nun ist aber jede Augenbewegung mit Diplopie droht. Die Vorstellung, der kompensatori- ein aktiv innervierter Prozess. Eine Ab- oder Zunahme sche Gebrauch der Akkommodation selbst führe zur Ver- von Vergenzzuständen kann gar nicht auf bloßer Erschlaf- schlechterung von Visus und Stereosehen in der Ferne fung beruhen (Sherrington-Gesetz), unabhängig davon, und damit wiederum zum Zusammenbruch der Kompen- y mit dem die Rückkehr aus der tief supprimierten Fehlstel- bei welcher Ruhelage die Veränderung startet. Gleichwohl sation (326) ist ein Zirkelschluss, der aus der eigenen Er- ist das Argument als vermeintlicher Beweis auch für den pathologischen Divergenzexzess benutzt worden (112, 181). Dem europäischen Leser fällt auf, dass amerikani- fahrung von 35 Jahren nicht bestätigt werden kann. Die behauptete Verschlechterung des binokularen Visus wäh- sche Operateure weitgehend unabhängig davon, ob sie tom den Klinikern kaum entgangen. Albrecht von Graefe sich zum real existierenden Divergenzexzess bekennen (139) favorisierte diese Idee und meinte, der Missbrauch oder nicht, doch fast ohne Ausnahme so operieren, als der Akkommodation führe zur Myopie, doch folgte ihm ob es ihn gäbe und er häufig wäre. Die beidseitige Rückla- niemand in alledem. rend der Parallelstandsphase wäre als auffälliges Symp- gerung des M. rectus lateralis wird als die richtige Thera- Man darf den fast 100-jährigen virtuellen Dialog zwi- pie einfach vorausgesetzt (285). Amerikanische Operateure sind allenfalls bereit, bei unbezweifelbarem Neu- schen den Hypothesen nicht zu ideologisch führen, da es Beobachtungen gibt, dass Patienten mit Strabismus diver- traltyp hierauf zu verzichten und dann etwa einseitig kombiniert mit Rücklagerung und Resektion zu operieren. gens intermittens bei Kompensation esophor sein können (245) oder hinter zwei mattierten Spielmann-Okkludern Europäische Autoren benutzen die Einteilung nach Burian keine exophore Ruhelage zeigen oder unter prolongierter ihrer Überschaubarkeit halber, betonen aber den rein de- alternierender Okklusion den Fernschielwinkel verklei- skriptiven Charakter (230, 305). y Anomalie der Ruhelage. Die rivalisierende Hypothese nern (10, 237). Solche Befunde sind wiederum weitaus wird im europäischen Schrifttum bevorzugt (90, 177, 183, 305) und lässt sich auf Albrecht von Graefe zurück- Der Begriff der Ruhelage selbst lässt viel Raum für diverse Vorstellungen, wie eine abnorme Basisinnervation, führen. Dieser meinte, die abnorme Ruhelage würde ein Fortbestehen der leicht exotropen Augenstellung der durch vermehrte akkommodative Konvergenz überwun- Neugeborenen (128, 301) bis zur anatomischen Norm- den, die wiederum zu Myopie führen müsse. Er empfahl variante, für die ein eigenes Fallbeispiel stehen soll. besser verträglich mit der Idee vom Divergenzexzess. die Schieloperation, eine beidseitige Lateralistenotomie mit leichter Nahtsicherung durchaus auch als Vorbeugung Fallbeispiel gegen eine progressive Myopie! Bielschowsky (33) verließ Die 11-jährige Mareike hat seit früher Kindheit alternierend nach außen geschielt, nach Ansicht von Eltern und Augenarzt konstant manifest mit –20h. Die Augenstellung in der Narkose betrug –20h. Bei Präparation beider Mm. recti laterales fand sich die Tenon-Überdachung der Muskeln massiv hyperplastisch und elastisch wie der Gummi einer Schleuder. Nach sehr blutigem Ablösen dieses Gewebes von Ansatz und Sehne auf ca. 12 mm betrug der Schielwinkel in Narkose noch ca. –8h. Die geplante beidseitige Rücklagerung wurde auf 4 mm begrenzt. Am Folgetage fand sich Parallelstand und durchaus unerwartetes subnormales Binokularsehen. Der präoperative Aspekt entsprach völlig der Beschreibung des (seltenen) echten Divergenzexzesses (50). die Idee der abnormen Ruhelage nur, gewissermaßen für einen Moment, als er einen unlösbaren Problemfall von Exophorie (!) therapeutisch nicht in den Griff bekam. In den USA hat Kushner (202, 203, 204) kürzlich eine eigene Einteilung des intermittierenden Außenschielens vorgeschlagen. Danach wird die als Anomalie der Ruhelage aufgefasste Abweichung entweder durch eine Nahkonvergenz im Sinne des erhöhten AC/A-Quotienten kompensiert oder durch eine „angespannte“ fusionale Konvergenz oder durch eine Kombination von beidem. Etwas globaler könnte man die Störung als Exotropie mit großem Winkel und intermittierendem Konvergenzexzess definieren. Den Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 218 W. de Decker Solange Abhängigkeit der Fusion von der Helligkeit, von der in der Abweichphase nicht Diplopie, sondern Suppression Entfernung und vom Bedarf an Stereopsis herrscht, liegt nicht Exophorie, sondern Strabismus divergens intermittens vor. Dennoch gibt es zwei unterschied- sorischen Eigenheiten des intermittierenden Divergenzschielens gehört die Blendempfindlichkeit. Helles Gegen- liche Verhaltensweisen, von denen die erste der Exopho- licht führt speziell beim Neutral- und Pseudodivergenzex- rie näher steht (82). Gleicht man den Fernschielwinkel zesstyp zu gesteigerter Manifestation. Die Patienten beim häufigen Neutral- oder Pseudodivergenztyp nach schließen dann oft das abweichende Auge. Dieses ge- Burian mit seitengleich verteilten klaren (!) Prismen aus, schieht mit Sicherheit nicht zur Vermeidung von Diplopie, so akzeptieren ca. 50 % der Betroffenen diese Prismen so- sondern zum Schutz vor unerwünschter binokularer Sum- fort oder nach einigen Stunden, zeigen beim Abdecktest mation. keine weitere Einstellbewegung und interagieren auf dem Niveau eines fehlerfrei positiven Bagolini-Streifentests. Längeres Prismentragen nach geduldigem, mehrwöchigen stufenweisen Aufbau soll sogar in 70 % der Fälle die prinzipielle Ausgleichbarkeit für den sonst nicht fusionsfähigen Blick in die Ferne beim Pseudodivergenzexzesstyp nach sich ziehen (331). Der Operateur ist dann weitgehend frei in der Wahl von Muskeln und Ver- 219 Zu den sen- Die frühesten Säugetiere waren nächtliche Räuber, die nachts binokulare Summation benötigten und tags nicht. Eine ferne Erinnerung hieran bieten noch die Baumspitzmäuse (Tupaiden), die einen physiologischen Strabismus divergens intermittens aufweisen (263). Vielleicht liegt hier ein Atavismus vor, in dem das Licht wie in ferner Vorzeit zum Schalter zwischen der anatomischen divergenten Ruhelage (der Neugeborenen, der einseitig erblindeten Erwachsenen) und dem funktionellen Parallelstand wird. fahren, da er ja nur die Prismen durch eine Änderung der Ruhelage ersetzt. Wahrscheinlich kommt es unter der Blendung sekundär Die andere Hälfte der Patienten, vor allem solche vom zu einer Zunahme der Suppression mit der Folge, dass die Pseudodivergenzexzesstyp mit größeren Winkeln akzep- Fusion aufgegeben und die divergente Ruhelage einge- tiert Prismen nicht, steht also der Exophorie ganz fern. nommen wird. Bei ausgeprägter Neigung zur Manifesta- In der Abweichphase besteht im Allgemeinen anormale Korrespondenz (163), wobei die mehr oder weniger dis- tion in hellem Licht empfiehlt sich die Verschreibung soziierende Art des Untersuchens diesen Befund beein- kleinen Kindern, die man noch nicht operieren möchte. flusst. Die so festgestellte ARK gilt für die geprüften Bedingungen, also für die Manifestationsphase. Gelegentlich gelingt der Nachweis, dass Nachbilder, die getrennt in der Es ist deshalb wichtig, in großer Entfernung und bei hellem Licht zu untersuchen (206). Gute Fixierobjekte sind Kirch- und Rathaustürme vor hellem leeren Himmel. Es Abweichphase angeboten wurden, beim Übergang zur Pa- zeigen sich dabei Dissoziationsgrad und wahre Größe rallelstandsphase zu einer normal korrespondierenden des Fernschielwinkels. Die unterschiedliche Kompensa- Position zusammenrücken. Mitunter ist die Suppression tion im Sinne der Einteilung nach Burian spricht, um in der Abweichphase so fest, dass eine Auskunft über eine oben eingeleitete Überlegung zu Ende zu bringen, die Korrespondenz nicht erhältlich ist. gegen eine direkte Bemühung der Akkommodation. Viel- Bei Patienten, die sich mit Prismen nicht ausgleichen lassen, kann man noch folgende Beobachtung machen: mehr dürfte ein jedes Individuum an ihrem Beispiel gelernt haben, wie man eben auch ohne sie zum Sprung an- Während der Parallelstandsphase werden vorsichtig setzen und eine Weile im Zustand der Fusion verbleiben klare Prismen vorgegeben, langsam steigernd, unter Kon- kann. Dieser Lernvorgang ist individuell stark entfer- trolle mit dem Streifentest nach Bagolini. Über eine ge- nungsabhängig. Täuscht man die Patienten hinsichtlich wisse Strecke folgen die Augen im Sinne der retinosenso- des Untersuchungsabstandes, so folgen sie meist ihrer einer getönten Brille mit 80 % Absorption, vor allem bei risch richtigen bimakularen Abbildung. Nach Erreichen Vorstellung und nicht der Realität (Abb. 2.34) Patienten, einer wahren Augenstellung hinter dem Prismen von die auch in der Nähe häufig manifest schielen, lassen meist etwa –7h kommt es plötzlich zur Dekompensation in die manifeste Phase mit großem Schielwinkel (9, 84). Durch die versuchte prismatische Entlastung wird die sich durch einen akkommodationsfordernden Lesewürfel meist nicht zur Fusion stimulieren, wohl aber durch Stereoobjekte (Treffversuch, Abb. 2.35) und selbst dann, Vorspannung in den Mm. recti mediales vermindert. Of- wenn bei Pixeltests die Stereoforderung während der Ab- fenbar erkennt das Gehirn, dass unterhalb eines Mindest- weichphase monokular noch gar nicht zu erkennen ist betrages an Vorspannung eine eigene aktive Kompensa- (221). Alle diese Abhängigkeiten legen es nahe, den Ein- tion der Fehlstellung nicht mehr gewährleistet ist, weit- tritt der Parallelstandsphase als bedingten Reflex zu ver- gehend unabhängig von der biretinalen Bilddarbietung! stehen. Auf dieser Beobachtung beruht das eigene operative Konzept. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Motorische und sensorische Besonderheiten 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 220 2 Störungen des Binokularsehens Abb. 2.35 Fusionsobjekt. Mit einem Fixierlicht ist die Fusionsfähigkeit in der Nähe beim Strabismus intermittens nicht immer nachzuweisen, die Blendung dissoziiert eher (links).- Eine Bonbondose und speziell der „Griff hinein“ fordert Stereosehen und pro- n Zusammenfassung Typische Symptome des Strabismus divergens intermittens n hohe Lichtempfindlichkeit n Dekompensation bei Blick in weite Ferne n spontane Kompensation bei Stereoanforderung (Treffversuch) voziert es prompt (Mitte). In den Bonbons (rechts) sind viele sinnesphysiologsiche Prinzipen verpackt: Konturenreichtum, Kontrast und zusätzlich Duft und die legendäre Hand-Auge-Korrelation. lichungen seither sind, desto eher wird früher Schielbeginn bestätigt (25, 164, 183). Ob die Häufigkeit wirklich zugenommen hat, lässt sich nicht objektivieren. Eher ist es so, dass offenbar im Laufe eines Jahrhunderts die Sensibilität von Eltern und Ärzten laufend zugenommen hat. Im operativen Krankgut der eigenen Klinik macht der Strabismus divergens 30 % aus! Auch der Spontanverlauf ist nicht wirklich bekannt, also Häufigkeit, Spontanverlauf, Operationsalter Noch die Frage offen, wie viele Patienten früher oder später in Jaensch (177) bezeichnet den Strabismus divergens inter- ein konstant manifestes Schielen dekompensieren. Da mittens als eher selten und durch späten Schielbeginn gekennzeichnet. Zeitgleich beschreibt aber Costenbader man bei jüngeren Kindern wegen der Gefahr der Esotropie (138, 325) nur diejenigen Kinder früh und ausgiebig ope- (160) den frühen Schielbeginn und eine gewisse Neigung riert, die sich offensichtlich rasch verschlechtern, bleibt zum Verfall des Binokularsehens. Je jünger die Veröffent- eine Restgruppe zurück, die sich niemals verschlechtert Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 2.34 Großer Spiegel als Fusionsobjekt. Beim Blick in den Spiegel fusionieren auch viele Patienten mit Strabismus divergens (rechts), die man sonst leicht für manifest gehalten hätte (links). Die Vorstellung von „Nähe“ führt zur Fusion, obwohl die physikalisch korrekte Entfernung (die doppelte im Spiegel) wenig wahre Akkommodation erfordert. W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) hat (160), die aber nicht repräsentativ ist. Meist wird ein schein doch größeren Nahschielwinkels erhöht die Frei- Operationsalter um 5–6 Jahre bevorzugt (2, 25, 138), heit in der Wahl des operativen Verfahren (s. a. S. 537). wobei das sensorisch etwas bessere Ergebnis bei den älteren Kindern wieder darauf beruhen dürfte, dass sie eben Durch Vorgabe von S3 bzw. –3 dpt bds. kann man die Größe des AC/A-Quotienten abschätzen oder errechnen. nicht zur Verhütung des Zusammenbruchs früher operiert y werden mussten, weil sie motorisch besser kompensiert diese Operation ist die Bestimmung des AC/A-Quotienten waren, auf der Grundlage einer besseren sensorischen relevant. Es war dies die Operation A. von Graefes gegen Ausstattung. das „dynamische Außenschielen“, für die Amerikaner die 221 Beidseitige Rücklagerung des M. rectus lateralis. Nur für einzig logische Waffe im Kampf gegen den DivergenzexKonservative Therapie klusion sicherer sein, nicht einen pseudointermittierenden Patienten mit Basismikrostrabismus divergens und sie bei 50–60 % (152) und liegen heute bei 60–75 % (61, ner Kinder wird man mit maßvoller intermittierender Ok- Amblyopierisiko vor sich zu haben (S. 224). Die „echten“ 285). Die besseren Ergebnisse beruhen auf höherer Dosie- Fälle benötigen sie nicht. Ein Eingriff auch in die Phasen rung, die aber mit einer Tendenz zum Übereffekt in der mit Binokularsehen erscheint zunächst nicht hilfreich. Er- Nähe bezahlt wird (43, 183, 206, 222), wo man ihn gerade staunlich, aber mehrfach bestätigt ist, dass alternierende nicht haben will. Der tatsächlich eingetretenen Überkor- Okklusion für 2–3 Monate offenbar in der Lage ist, den Fernschielwinkel bei Kindern um 5 Jahre etwas zu verkleinern (10, 237). rektur in der Nähe begegnen die amerikanischen Autoren mit Bifokalbrille oder Fadenoperationen an den Mm. recti y Prismen. Wieser (331) hat mit großer Geduld nachwei- mediales, auch gemeinsam mit der Rücklagerung der Laterales (43). sen können, dass es möglich ist, durch Prismenaufbau Die Beurteilung der Langzeitresultate nach beidseitiger eine Exotropie in einer Exophorie zu verwandeln. Dies ge- Lateralisrücklagerung ist schwierig, da amerikanische lingt nur, wenn die Betreuung fest in einer Hand liegt. Die Arbeiten meistens 6–12 Monate als Spätergebnisse an- derzeitigen Kostenstrukturen in Deutschland erlauben bieten, und Verlaufsbeobachtungen über mehrere Jahre dem Kliniker keine derartige Präsenz in der laufenden Betreuung. Praxen mit Fachkunde und Sehschule hätten hier ganz selten sind (25, 222, 250). Die eigenen, freilich schon älteren, Erfahrungen mit diesem Verfahren waren y eine Gelegenheit zu sinnvoller eigener Therapie. Minusgläser. Die von Landolt 1911 (211) empfohlene Sti- y mulation der (akkommodativen!) Konvergenz mit Kon- „kombinierte Divergenzoperation“ ist in Europa das Stan- kavgläsern ist in den USA populär (52, 201, 295). In Europa dardverfahren und in seinen Stärken (gute Winkelkorrek- wird diese Therapie eher als Hetzpeitsche verstanden und tur) und Schwächen (laterale Inkomitanz) genau ana- nicht günstig. Einseitig kombinierte Rücklagerung und Resektion. Die vielmehr empfohlen, durch Korrektur der Hypermetropie lysiert worden (138). Weniger klar ist, wie groß der Anteil Ordnung in das Spiel von Akkommodation und Konvergenz zu bringen (305). der anatomisch und funktionell tatsächlich korrigierten Patienten ist und nach welcher Zeit eventuelle Rezidive Orthoptik. Gelegentlich findet man Arbeiten (10, 295), in auftreten. Im Gegensatz zur beidseitigen Lateralisrück- denen mitgeteilt wird, dass es doch Patienten gibt, die lagerung lässt sich die Überkorrektur gut vermeiden, unter Konvergenzübungen ihren Schielwinkel verklei- aber auch gut dosieren, wenn sie gewünscht wird. Eine y nern, angeblich ohne Rücksicht auf den Manifestations- Langzeitstudie über 10 Jahre (232) trennt leider nicht grad. Grenzfälle zur Exophorie mit Konvergenz- und Fusi- zwischen intermittierenden und konstant manifesten onsschwäche rechtfertigen orthoptischen Arbeitseinsatz, Exotropien und führt 2/3 kombinierte Operationen zusam- erfordern aber doch eine Operation. Bei den Formen mit größerem Winkel oder schlechterer Kompensation in der men mit 1/3 beidseitige Lateralisrücklagerungen. Die Abklingkurve zeigt, dass in 10 Jahren ein erheblicher Teil Ferne sind Konvergenzübungen nicht indiziert, weil sie des Operationseffektes verloren geht. Da hier Langzeit- die bessere Funktion in der Nähe trainieren und nicht studien so selten sind, hat der Autor die eigenen Lang- die schlechtere in der Ferne. zeitbeobachtungen einmal summarisch zusammengestellt (89). Operative typs Behandlung des Pseudodivergenzexzess- y Beidseitige Medialisresektion. Dieser Eingriff ist das ei- Es wird üblicherweise empfohlen, mittels diagnos- gene Standardverfahren ohne Rücksicht auf den Schieltyp tischer Okklusion eine exzessive Nahkonvergenz auszuschließen. Die diagnostische Okklusion (1 Tag genügt) nach Burian. Bei Schielwinkeln unter –10hempfiehlt sich die fraktionierte, jeweils einseitige Ausführung, mit der beeinflusst praktisch nur den Nah- und nicht den Fern- man in der Bilanz höher dosieren kann. Gute Ergebnisse schielwinkel (310). Der Nachweis eines gegen den Augen- erhält man nicht durch große Resektionsstrecken mit Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. zess. Die Ergebnisse waren vor 40 Jahren schlecht, Okklusion. Bei sehr einseitigem Fixationsverhalten klei- 30–40 % Stellungskorrektur nach einem Jahr war der Standard. Manche Arbeiten beklagten diese Zahlen trotz einer so überzeugenden Theorie (116). In den 70er-Jahren lagen y 2 Störungen des Binokularsehens Rand- und Mittelnähten, sondern mit 3–4 mm Resekti- Kompensation in Gesprächsdistanz fast stets erreichen onsstrecke und eingewebten Nähten (98). Die Milli- wird. metergradrelation liegt deutlich höher; keine Faser kann sich zurückziehen. Das Parenchym wird nicht verletzt. Eine Dekompensation in der Nähe tritt noch gelegentlich ein, wenn die Patienten sich dem Alter der Presbyopie Der kontraktile Anteil des Muskels wird maßvoll vor- nähern. Dies führt dann noch häufig zum Operations- gespannt und das nicht kontraktile Element haltbar ver- wunsch bei Menschen, denen die Manifestation nur in kürzt. der Ferne nicht so störend erschienen war, weil sie sie Bei richtiger Ausführung kommt es zum angestrebten im Spiegel nicht bemerkten. kleinen Übereffekt in der Ferne, wo er wirken soll, mit y Rückgang in 1–2 Wochen. Genau den richtigen kleinen Etwa 40 % der Operierten (mit welchen Verfahren auch Übereffekt zu erhalten, erfordert Übung. Man benötigt ihn selektiv für die Ferne (beim Pseudodivergenzexzess- immer) rezidivieren nach einem halben bis drei Jahren. Das ist keine Schande: Sie hatten vor der Operation eine typ), was entgegen naiven Erwartungen mit bilateralen hohe Ausgleichsinnervation, die man nicht auf einmal be- Rücklagerungen nicht erreichbar ist. Die Vorteile sind lange bekannt (68, 114). Das Risiko des unbemerkt blei- seitigen kann. Man kann ohne Risiko einer schweren benden Übereffektes mit konsekutivem Mikrostrabismus ein Handikap der Amerikaner, dass die Patienten oft bin- und Amblyopie beschränkt das Verfahren auf Kinder ab dend die Heilung mit einer einzigen Operation verlangen. 4 Jahren (325). Die dann zu großen bilateralen Rücklagerungen nehmen, 1–2 % der eigenen Fälle müssen wegen bleibenden Übereffektes nach 3 Monaten unter Prismen revidiert wie schon ausgeführt, allen vier Horizontalmotoren die Vorspannung, ohne die der Sprung aus der Abweichphase werden. Die übrigen sind nach einem Jahr zu 80 % noch in die Fusion offenbar trotz Schielwinkelabnahme nicht für 5 m parallel, und 40 % benötigen irgendwann eine recht gelingt. Es erscheint wirksamer, die Vorspannung Nachoperation, meist eine ein- oder beidseitige Latera- zu erhalten bzw. die Fehlstellung als Teil eines bedingten lisrücklagerung. Führt man genau die gleichen Eingriffe Reflexes aufzufassen, und von vornherein den Patienten in umgekehrter Reihenfolge durch, so erhält man völlig (die Eltern) so zu führen, dass die Rolle einer Nachopera- andere Ergebnisse. Die Vorzüge der Medialisresektion waren in Deutschland schon einmal vertreten worden (69) und sind selbst in den USA in Diskussionen vorgetra- tion verstanden wird. y Botulinumtoxin. Es sind wiederholt Ergebnisse mitgeteilt worden (291, 302), die von den Autoren günstig be- gen worden (198). Der Stellenwert einer ausreichenden urteilt worden, aber doch dürftiger sind als die chirur- Resektion ist auch den Anhängern des kombinierten Ope- gisch erzielten. Nach mehrfachen Injektionen soll ein blei- Rezidiv, Zweitoperation, Regelkreis mit bedingtem Reflex. Überkorrektur nur fraktioniert vorgehen. Es ist vermutlich rierens vertraut (164). Die richtig dosierte postoperative bender Effekt eintreten (302). Das Verfahren, die Schwä- Diplopie für die Ferne, langsam nachlassend, erzieht zu chung der Mm recti laterales, mündet zwangsläufig in divergenter Fusionsbreite, oft mit prismatischem Fein- die Ideologie des Kampfes gegen den Divergenzexzess abgleich. Ob man die Innervation ändern, den an die Be- ein, hat aber offenbar bisher keine große Verbreitung ge- dingungen Nähe und gedämpftes Licht gebundenen binokularen Sehakt ändern kann, muss offen bleiben. Durch funden. Die Autoren haben Patienten behandelt, die keine Operation wünschten. die diskrete Vorspannung wird das System aber leistungsfähiger. Umgekehrt führt die initiale bilaterale Rücklage- Operative rung zu einem Verlust an Muskelspannung, nicht nur typs Behandlung des Konvergenzinsuffizienz- der rückgelagerten Muskeln selbst, sondern auch der an- zu resezieren. Auch die nachjustierbare Ausführung ist Hier sind sich alle einig, die Mm. recti mediales tagonistischen Mm. recti mediales, mit der Folge, dass angegeben worden (63). Auch hier muss man sich vor trotz besserer Augenstellung die für das Simultansehen der populären Annahme hüten, der Eingriff würde selek- nötige hohe Eigeninnervation der Recti mediales wegfällt (bedingter Reflex). Die besten Fälle sind die, die bei Ein- tiv in der Nähe wirken. Er tut es ebenso wenig, wie die bds. Lateralisrücklagerung den „Divergenzexzess“ selektiv tritt eines Rezidivs doppelt sehen, also exophor geworden beseitigt. Ein gutes Ergebnis in der Nähe geht fast immer sind und nun mit der nachgeschickten ein- oder beidseiti- mit einem Übereffekt in der Ferne einher, den man für gen Lateralisrücklagerung wirklich gut werden, mit dem eine Weile mit Prismen ausgleichen muss, wenn der Pa- Regelkreis des Gesunden (schätzungsweise 10 %). tient doppelt sieht. Langzeitergebnisse sind der Literatur Bei Erwachsenen über 20 Jahre ist mit einem solchen nicht gut zu entnehmen, weil zwischen Konvergenzin- sensomotorischen Umbau nicht mehr zu rechnen. Es suffizienztyp und wahrer Konvergenzinsuffizienz wegen empfiehlt sich dann, die Fehlstellung zu erleichtern, durch kombinierte Divergenzoperation beim Neutraltyp Fusionsschwäche fast nie unterschieden wird und weil für solche Unterscheidungen wahrscheinlich den meisten oder eine mittelgroße bds. Lateralisrücklagerung beim Autoren auch eine ausreichende Fallzahl fehlt. Handelt es Pseudodivergenzexzesstyp, womit man immerhin eine sich nur um den förmlichen Konvergenzschwächetyp Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 222 W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) nach Burian, so sind die eigenen Ergebnisse nicht schlech- n Viele der Kinder könnten unbemerkt doch intermittie- ter als die der anderen Typen, bei wahrer Konvergenz- rend geschielt haben und deshalb nicht ohne Binokular- schwäche aber deutlich schlechter. 223 erfahrung gewesen sein. n Da beim Außenschielen die schnelle Phase des Nystag- mus latens nicht zur Fixationsaufnahme benötigt wird, Konstant manifeste Exotropie bleibt der N. L. im Rahmen einer Störung des optokinetischen Nystagmus latenter und wird vielleicht häufiger Manifestes Außenschielen ist, verglichen mit dem inter- übersehen. mittierenden Vorkommen, selten. Im eigenen exotropen Besteht am Ende des 1. Lebensjahres ein konstant mani- Krankengut schielen nur 20 % manifest. Der medizinische fester großer Schielwinkel, so sollte man operieren, Stellenwert der verschiedenen Formen ist sehr unterschiedlich. nicht mit Hoffnung auf Binokularsehen, sondern um eine akzeptable Augenstellung frühzeitig sensorisch vorzubereiten und einer Sehweise mit obligatem Panoramasehen Alternierende Exotropie im 1. Lebensjahr Die auffäl- vorzubeugen. oft der Ausdruck gravierender neuroanatomischer Schä- Alternierende den. Von diesen ist die periventrikuläre Leukomalazie, alters Exotropie jenseits des Kleinkind- an sich seit langem bekannt, die fassbarste, da sie in der nifester Exotropie alternieren meist mit großem Schiel- Magnetresonanztomographie gut zur Darstellung kommt (176, 191). Sie betrifft vor allem erheblich Frühgeborene. winkel und Panoramasehen. Mit einem Trenner kann man die Gesichtsfeldüberschneidung verhindern, ohne Ist der Augenarzt die erste Anlaufstelle der Eltern, so dass der Patient die Fähigkeit verliert, die Objekte, die muss mit Rücksicht auf die Kenntnis der Prognose, aber von jedem Auge monokular gesehen werden, doch in auch zur Vermeidung von Folgeschäden wegen Hydroze- einen gemeinsamen sensorischen Raum einzuordnen. Als phalus (191) die neuroradiologische Darstellung herbei- Korrespondenz kann man diese Interaktion nicht bezeich- geführt werden. Viele derartige Patienten erweisen sich nen, da die biretinale Projektion der Bilder fehlt. Anderer- leider schon bald als schwerbehindert (Hemiparesen). seits kann man nicht immer sichern oder ausschließen, n Bei konstant manifester Exotropie im 1.Lebensjahr n intermittierend Parallelstandphasen vorkommen und müssen neurologische Erkrankungen ausgeschlossen werden. dass deshalb postoperativ unerwartet Binokularsehen Ältere Kinder und Erwachsene mit konstant-ma- dass gegen den Augenschein doch möglich wird oder n dass der Schielwinkel periodisch kleiner wird, dann mit Mit scheinbar konstant manifestem Strabismus divergens werden auch Kinder im 1. Lebensjahr vorgestellt, die echter anormaler Korrespondenz (die einer weiten Gesichtsfeldüberlappung bedarf). wegen fehlender visueller Zuwendung auffällig geworden Eine konservative Behandlung ist nicht bekannt. Die Bera- sind. Viele dieser Kinder werden rasch orthotrop, wenn verspätet die visuelle Entwicklung einsetzt (336). Wie tung vor einer Operation ist meist schwierig. Im Prismenausgleich wird gewöhnlich Diplopie angegeben, sodass weit eine Überschneidung mit der ersten Gruppe vorliegt, man oft nur den halben Schielwinkel operieren dürfte, ist der spärlichen Literatur nicht zu entnehmen. Da die wenn man sich an diese Untersuchungsergebnisse halten Kinder mit Verdacht auf Blindheit vorgestellt werden, ist wollte. Die postoperative Wirklichkeit ist aber günstiger. die neurologische Untersuchung obligat. Der Autor rät bei älteren Kindern und Erwachsenen, Nimmt man alle offensichtlich auch hirnorganisch Ge- doch den Versuch zu machen, operativ Parallelstand her- schädigten heraus, so bleibt ein Krankengut mit „unkom- beizuführen. Er wird fast immer vertragen und führt häu- pliziertem“ frühkindlichen Außenschielen, soweit es den neurologischen Aspekt angeht. Aber auch diese Kinder figer, als früher angenommen, zu binokularer Interaktion (22, 209). Selbstverständlich bedarf es der umfassenden weisen organische Symptome auf, die mehrheitlich ophthalmologischer Art sind (168). Davon abgesehen stellen Aufklärung. Die wenigen Patienten, die bei Vollausgleich sich im 3. Lebensjahr die Symptome des frühkindlichen darauf vorbereit und anderseits zufrieden, weil die Revi- Schielsyndroms ein. A- und V-Inkomitanzen sowie DVD sion mit Wiederherstellung eines Restschielwinkels meis- sahen alle Beschreiber. Die Häufigkeit von Nystagmus tens geringer ausfallen darf, als der präoperative Prismen- latens als Symptom für die Unterbrechung der binoku- versuch vermuten ließ. Bevor man revidiert, darf man 48 h laren Interaktion wird aber widersprüchlich beurteilt (34, 228, 336). Die Angabe, Nystagmus latens sei hier warten, ob nicht Binokularsehen oder Suppression eintritt. Jenseits von 48 h hinterlässt die Frührevision seltener als bei infantiler Esotropie, erscheint nicht un- Narben, innerhalb dieser Zeit erfolgt die Heilung „per begründet: primam“. postoperativ wirklich doppelt sehen, sind dann einerseits Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. lige Abweichung ist selten, aber nicht harmlos, vielmehr 2 Störungen des Binokularsehens Konstant manifeste einseitige Exotropie mit Amblyo- der großen zahlenmäßigen Häufung konvergente Abwei- pie Die Patienten werden dem Kliniker fast stets als in- chungen. Mikrostrabismus convergens finden wir bei termittierend vorgestellt, weil das motorische Verhalten intermittierenden Wechsel zwischen großem und kleinen 20 % aller Patienten mit Innenschielen. Der wesentliche Grund, Schielwinkel dieser Größenordnung als gesonderte Schielwinkel zeigt. Abgrenzend ist die Amblyopie, die man Schielform herauszustellen, liegt in der Fähigkeit der Pa- bei dem überwiegend für harmlos geltenden intermittie- tienten zu einem anomalen und reduzierten, aber nicht renden motorischen Schielverhalten nicht übersehen darf. Es handelt sich also um einen Basismikrostrabismus wertlosen binokularen Sehen. Gleichwohl führt unbehandelter Mikrostrabismus zur Amblyopie des abweichenden mit intermittierender Dekompensation in einen größeren Auges, da 95 % der Betroffenen streng unilateral schielen. Schielwinkel, fast immer mit Tendenz zur Verschlechte- Wegen des unauffälligen Winkels wird die Störung häufig rung. Da die Einstellbewegung beim Abdecktest fehlen kann (Mikrostrabismus mit Identität) sollte man auch erst bei der Einschulung entdeckt. Die Amblyopie ist dann meist nicht mehr voll reversibel. Nicht nur Augenärzte bei Annahme eines echten Strabismus divergens intermit- und Orthoptistinnen, sondern auch alle anderen Personen, tens immer die foveale Fixation überprüfen, wenn der die mit Vorsorgeuntersuchungen befasst sind, müssen Visus nicht seitengleich ist. Die Amblyopie ist fast nie deshalb nach Mikrostrabismus fahnden und die Betroffe- über 0,6 Visus hinaus zu bessern. Ist die Fixation exzen- nen einer früh einsetzenden und bis zur Pubertät durch- trisch, so kann sie nasal oder temporal gelegen sein (mit gehaltenen Amblyopieprophylaxe zuführen. Subnormales der bekannten schlechten Prognose). Nicht immer wird Binokularsehen ähnelt dem Mikrostrabismus in vielen daran gedacht, dass spontan konsekutiver Strabismus divergens vorliegen kann. Man sollte deshalb bei einsei- funktionellen Details, wobei allerdings Parallelstand die Regel oder doch intermittierender Status ist. tigem Außenschielen mit Amblyopie immer nach der frühkindlichen Richtung der Abweichung fragen, die Skiaskopie nicht vergessen und, bei Übernahme der Behandlung aus anderer Hand, an den Zusammenhang zwischen Hyperopiekorrektion und Abgleiten in ein Außenschielen n Zusammenfassung Mikrostrabismus n Schielwinkel 0,5–5h n obligat-anomale Korrespondenz n meist Strabismus monolateralis (Amblyopiegefahr) denken. Mit dem Strabismus divergens intermittens hat diese quasi pseudointermittierende Schielform die Rezidivneigung gemeinsam, hingegen nicht im vollem Umfang den Akkommodations-Konvergenz-Mechanismus als Verbündeten, sodass die operative Strategie einfacher Entdeckungsgeschichte des Mikrostrabismus sein darf. Eine kombinierte Schieloperation an den Horizontalwendern des abweichenden Auges wird meist zu- Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts wurde noch die Ansicht nächst ausreichen, wenn nicht dissoziiertes Höhenschie- vertreten, dass je kleiner der Schielwinkel, desto eher die len vorliegt. In diesem Fall sollte man den horizontalen Korrespondenz normal sei (5, 197). Die in der Regel ano- Eingriff auf beide Augen verteilen, um sich die Option eines Eingriffs am M. rectus superior zu erhalten, ohne male Korrespondenz bei sehr kleinem Schielwinkel war jedoch zur gleichen Zeit schon beschrieben (179) und mit der ziliaren Blutversorgung in Schwierigkeiten zu ge- noch früher aus dem abnormen Fusionsverhalten wahr- raten. Da die Amblyopie praktisch niemals zu beseitigen scheinlich gemacht worden (174). Eine systematische Er- und weder Binokularsehen noch ein Alternieren zu errei- forschung und allgemeine Kenntnis des Mikrostrabismus chen sind, kommt der Kontrolle bis zum 13. Lebensjahr convergens bewirkten diese Hinweise aber noch nicht, und einer lange fortgesetzten Teilzeitokklusion erhöhte weil der Optimismus, Schielen orthoptisch heilen zu kön- Bedeutung zu. nen, die Einsicht in die universelle Bedeutung der Störung versperrte. Um 1960 setzte eine vielfältige Beschäftigung mit den Besonderheiten beim kleinen Schielwinkel ein. Dabei wurde in vielen Arbeiten versucht, das Konzept 2.4.4 Mikrostrabismus und subnormales Binokularsehen der normalen Korrespondenz zu retten, unter anderem durch Verwendung des Ausdrucks Fixationsdisparität, der für ein anderes Phänomen geprägt worden war. Einzelne Autoren (21, 161) brachten jedoch klar zum Ausdruck, dass es sich um Schielen mit anomaler Korrespon- Der Ausdruck Mikrostrabismus oder Mikrotropie beschreibt nach Lang (218) Stellungsfehler zwischen 0,5 denz handele. Lang stellte 1961 (212) den Mikrostrabismus als eigenständiges Krankheitsbild heraus und lieferte und 5h mit obligat-anomaler Korrespondenz. Fehlt der Zu- den Namen 1966 (213) nach. Alsbald kam es erneut zu satz „divergens” oder „verticalis”, so meint man wegen Kontroversen über die Natur und Pathogenese dieser Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 224 W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) Schielform. Auffassungen, die von derjenigen Langs ab- Prüfungen werden hier nicht Simultanperzeption, Korres- weichen, erscheinen heute jedoch als Darstellungen von pondenz und Fixationsort untersucht, sondern Fusions- Sonderformen, die dem Prinzip nicht unbedingt widersprechen (156, 259). Dem näher interessierten Leser wird vermögen und -geschwindigkeit. Ein Prisma 4 pdpt, Basis außen, vor das führende Auge gehalten, veranlasst empfohlen, die Literaturgeschichte der Entdeckung des dieses, eine entsprechende Sakkade zur Korrektur der Fi- Mikrostrabismus in der Monografie von Lang (218) nach- xierlinie auszuführen. Beim Gesunden erzeugt dies Diplo- zulesen und den zahlreichen Quellen selbst nachzugehen. pie, die durch eine mehr oder weniger rasche Fusionskon- 225 vergenzbewegung überwunden wird. Bei Mikrostrabismus „begleitet” das abweichende Auge das führende. Es macht dessen Adduktionsbewegung „konjugiert” mit, ab- Abdecktest. Das Abdecken des führenden Auges enthüllt duziert also um 2h. Diesem ersten Phänomen erfolgt meist eine sehr langsame Fusionsbewegung, die als solche Einstellbewegungen des abweichenden Auges bis herab nicht sichtbar wird. Neben dieser klassischen Reaktions- zu 1h, mit Lupenbrille 0,5h. Bei exzentrischer Fixation des abweichenden Auges löst der Abdecktest nicht weise (Kap. 3.1, 3.2) gibt es viele unkalkulierbare Testantworten (94, 274), die dem Test die nötige Klarheit neh- immer eine Einstellbewegung aus, entweder wegen men. Er ist deshalb als einzige Prüfung ungeeignet. y „Identität“ (Mikrostrabismus mit Identität, S. 226) oder weil der Patient bei schwerer Amblyopie nicht reagiert. y Simultansehen und Abdecktest. Mit dem Streifentest nach Formen des Mikrostrabismus Bagolini (17) weist man Simultansehen nach (nicht Fusi- on!), dessen anomaler Charakter durch zusätzlichen Von klinischer Bedeutung ist die begriffliche Trennung Schielwinkelnachweis mittels Abdecktest erbracht wird. des primären vom konsekutiven und vom sekundären Mi- Es muss davor gewarnt werden, diese Befundkombination krostrabismus samt ihrer vor allem sensorisch unter- für den sicheren Nachweis perfekten, harmonisch anoma- scheidbaren Sonderformen. Daneben verdienen der diver- len Binokularsehens zu halten (18, 19). gente und der vertikale Mikrostrabismus trotz ihrer rela- y Abdecktest mit Fixations- und Korrespondenzprüfung. Löst tiven Seltenheit doch eine kurze Behandlung. der Abdecktest keine oder nur eine zweifelhafte Einstellbewegung aus, obwohl wegen Sehschwäche eines Auges Primärer Mikrostrabismus der Verdacht auf Mikrostrabismus besteht, so ist die Fixa- heit besteht ein Schielwinkel zwischen 0,5 und 5h wobei tion des schwächeren Auges mit großer Sorgfalt zu in der Regel ein Auge streng führt und das andere, abwei- prüfen. Sie ist dann im typischen Falle exzentrisch. Der chende Auge amblyop wird. Das Ausmaß dieser Amblyo- Winkel der exzentrischen Fixation kann mit dem Schiel- pie kann zwischen 1/50 und 1,0 part. variieren. Den Unter- winkel und dem Anomaliewinkel genau übereinstimmen. Man spricht dann von Mikrostrabismus mit Identität. Zum sucher befremdet die Feststellung, dass sich betroffene er- Nachweis eignet sich besonders gut die bifoveale Korrespondenzprüfung nach Cüppers (77), ausgeführt mit dem noch der mitunter schweren Amblyopie überhaupt bewusst sind. Diese Patienten können, wie viele andere Am- Offenbar seit früher Kind- wachsene Patienten häufig weder des Mikrostrabismus Doppelspiegelbetrachter nach Lang (218). Über diesen fi- blyope auch, das führende Auge allein nicht willentlich xiert der Patient mit dem führenden Auge eine Lichtquel- schließen. Ohne Anstoß von außen kann ihnen die einsei- le, während der Untersucher das abweichende Auge spie- tige Sehschwäche deshalb unbewusst bleiben. Die Be- gelt. Während man das Fixiersternchen über den Fundus hauptung, beide Augen seien früher voll sehtüchtig gewe- wandern lässt, erfragt man, wann der Stern die Licht- sen, mit der sich Gutachter mitunter befassen müssen, ist quelle passiert. Damit hat man den Netzhautort fest- deshalb nicht unbedingt als Täuschungsversuch anzuse- gestellt, der mit der Fovea des führenden Auges korrespondiert, und kann ihn mit dem Ort monokularer Fixation hen. Die Unfähigkeit, das führende Auge allein zu schließen, ist andererseits ein Hinweis, dass eine frühkindlich des abweichenden Auges vergleichen. Die Beurteilung, ob Identität oder Disharmonie zwischen diesen Orten be- erworbene Sehstörung und nicht eine schadenabhängige Visusminderung vorliegt (266). Die Mehrzahl der Fälle steht, ist ab dem 6. Lebensjahr möglich. Die bifoveale Kor- zeigt harmonisch anomale Korrespondenz mit positiver respondenzprüfung gelingt oft besser, wenn man das Fi- Streifentestangabe und Suppression für stärker dissoziie- xiersternchen nicht mitten durch die Fovea, sondern rende Binokularprüfungen. Bei sehr geringen Schielwin- etwas oberhalb oder unterhalb vorbeiführt. y 4-Prismen-Test. Die nur scheinbar einfache Probe erlaubte schon Irvine (174), Mikrostrabismus im Prinzip keln bis etwa S2h findet sich häufig ein reduziertes ste- richtig zu deuten, soweit er als Störung der Fusion ver- Sehr selten werden Vorlagen nach dem Random-Dot-Prin- standen werden kann. Im Gegensatz zu den vorgenannten zip erkannt. Die Bemühungen, Strabismus nur durch reoskopisches Sehen. Dieses erlaubt häufiger das Erkennen von Stereotests, die auf Horopterdisparation beruhen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Untersuchungsmethoden (Kap. 3) 2 Störungen des Binokularsehens Prüfung des räumlichen Sehens nachzuweisen oder aus- zentrischer Fixation. Die ophthalmoskopische Fixations- zuschließen, haben zwar im Laufe der Zeit Fortschritte ge- prüfung ist deshalb bei allen Kleinkindern, die dem macht (24), führen aber nicht zu irrtumsfreien Ergebnissen. Augenarzt überhaupt vorgestellt werden, unverzichtbar. Wird die exzentrische Fixation früh entdeckt, so ist Primärer Mikrostrabismus mit bifovealer Fixation und har- durch Okklusionsbehandlung gewöhnlich zentrale Fixa- y monischer ARK. Die von Lang besonders herausgearbeitete tion wiederzugewinnen. Schielform betrifft etwa 50 % aller Patienten mit primärem Die häufige Ausbildung nebeneinander bestehender Mikrostrabismus. Sie lässt sich gewöhnlich leicht nach- („rivalisierender”) Fixationsorte und Korrespondenzen be- weisen, da wegen der erhaltenen zentralen Fixation des abweichenden Auges eine Einstellbewegung auslösbar deutet ein nicht zu unterschätzendes Risiko persistierender Diplopie (87). Wir okkludieren deshalb zwar ener- ist. Wegen dieser zentralen Fixation ist die Amblyopie gewöhnlich nicht sehr schwer. Der Visus unterschreitet sel- gisch, aber keineswegs streng alternierend und lassen die allein am führenden Auge ausgeführte Okklusion ten Werte von 0,2. Da Mikrostrabismus an sich unheilbar 1–2 Tage pro Woche weg. und kosmetisch kaum je störend ist, erübrigt bzw. verbie- y tet sich die operative Korrektur in der Regel. Sie kann al- Mikrostrabismus und exzentrischer Fixation entwickeln lenfalls indiziert sein, wenn in der Nähe oder intermittierend ein großer Schielwinkel besteht (332). Durch Brillen- eine weitgehende Übereinstimmung des kleinen Schiel- vollkorrektion beim akkommodativen und vorsichtig do- der exzentrischen Fixation. Man spricht von Mikrostrabis- sierte beidseitige Fadenoperation beim nichtakkommodativen Konvergenzexzess kann man versuchen, den größe- mus mit Identität. Aus dieser Identität der drei Winkel ergibt sich, dass beim Abdecktest das abweichende am- ren Schielwinkel in der Nähe auf das vom Anomaliewinkel vorgegebene Maß zu reduzieren. Die primäre Aufgabe ist blyope Auge keine sichtbare Einstellbewegung macht (77). Gelegentlich ist das Prinzip der Identität so perfekt die Amblyopieprophylaxe und -behandlung. Einer kurzen entwickelt, dass die Korrespondenzprüfungen, besonders Phase der Vollokklusion folgt langjährige intermittierende mit Nachbildern normal ausfallen, da keine Diskrepanz OkkIusion. n Robuster wirksam ist die Applikation einer lichtdurch- zwischen dem monokularen Fixierort und der binokula- lässigen, aber konturendichten Folie (Schulbuchschutzfolie) hinter dem Glas vor dem dominanten Auge an 2 gen in Wirklichkeit kleine Diskrepanzen, auch labile, vor. Es werden dann Fixations- und Korrespondenzbefunde er- Tagen pro Woche bis zum 9. Lebensjahr. Von da an hoben, die erst durch gründliches Nachdenken richtig ge- bis zum 13. Lebensjahr genügt 1 Okklusionstag pro Wo- deutet werden können. Die Betroffenen verfügen oft über che, wenn irgend möglich ein Schultag. ein besseres Binokularsehen als die bloß harmonisch ano- Mikrostrabismus mit Identität. Etwa 5 % der Patienten mit winkels mit dem Anomaliewinkel und dem Gradmaß ren Korrespondenzbeziehung besteht. Häufiger jedoch lie- n Etwas schwieriger ist die Anwendung der Ausschlei- malen Fälle mit erhaltener zentraler Fixation des abwei- chokklusion nach Lang (216). Die mit „1,0“ bis „0,1“ ka- chenden Auges, weil ihre sensorische Anpassung ins- librierten Sichtfolien nach Bangerter verführen zu der gesamt vollständiger ist. Dagegen ist die Amblyopie Ansicht, die Anwendung einer Folie „0,5“ würde bei Visus des nichtdominanten Auges um 0,7 ausreichen, meist ausgeprägter; die Sehschärfe des abweichenden Auges überschreitet selten Werte von 0,4. einen Fixationswechsel herbeizuführen. Gelänge dies, so wäre das Verfahren ideal, weil es den Gebrauch der anomalen Fusion nicht unterbräche. Leider ist die für den Fixationswechsel erforderliche Vernebelung aber oft so hoch, dass die binokulare Interaktion ebenso ausgeschaltet wird wie bei Verwendung einer konturendichten Folie. Dieser Umstand zwingt zu sorgfältigen Kontrollen. Tritt kein Fixationswechsel ein, so kommt n Zusammenfassung Mikrostrabismus mit Identität n Identität des Schielwinkels mit Anomaliewinkel und Gradmaß der exzentrischen Fixation n beim Abdecktest keine Einstellbewegungen n ausgeprägte Amblyopie es zur Leseamblyopie – oft unbemerkt, weil der Visus Der Versuch, durch konsequente Okklusionsbehandlung nicht mehr auffällig absinkt (2.5) foveale Fixation zu erreichen, lohnt nur bei ganz jungen Kindern. Bei älteren, etwa ab 3 Jahren, ist er problema- n Ausschleichokklusion ist in der Amblyopiebehand- tisch. Die im seltenen Erfolgsfalle erzeugte Dissoziation lung nur wirksam, wenn sie Führungswechsel bewirkt. zwischen Korrespondenz und Fixation und die Rivalität zweier oder mehrerer Fixationsorte stellen ein beträcht- Mikrostrabismus mit exzentrischer Fixation des abwei- liches Diplopierisiko dar. Die Manifestation einer persistierenden Diplopie kann noch nach Jahren eintreten. chenden Auges. 45 % der Patienten mit Mikrostrabismus Bevor die Amblyopie energisch behandelt wird, sollte convergens haben eine schwere Amblyopie, oft mit ex- man beobachten, ob nicht auf niederem Niveau Visuskon- y Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 226 W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 227 stanz besteht. Die Entwicklung einer derart leistungsfähigen anomalen binokularen Sehweise darf nicht als das Ergebnis aufsummierter Suppression mit sekundärem Ersatz einer zunächst zentralen durch exzentrische Fixation missverstanden werden. Amblyopie und exzentrische Fixation sind vielmehr als beste Ersatzbildung bei primärer Unfähigkeit zur exakten Verschaltung bifoveolaren Sehens zu verstehen. y Mikrostrabismus mit normaler oder gemischter Korrespon- denz. „Mikrostrabismus“ wurde durch Lang, „Mikrotropie“ durch von Noorden als Krankheitsbild mit obligat anomaler Korrespondenz definiert. Fehlt diese, so ist die ständige Umschreibung mit „kleiner Schielwinkel“ so lästig, dass hier entgegen dieser Vorschrift weiterhin von Mikrostraleicht verkannt, wenn durch falsche Interpretation der Angaben beim Bagolini-Streifentest ein Anomaliewinkel angenommen wird (Abb. 2.36). Strenge Dominanz und harmonische ARK beim Mikrostrabismus sind als regelhaftes Majoritätsverhalten zu verstehen, von dem es, wie bei allem Biologischen, Aus- Abb. 2.36 Schweiftest. Wird nicht ausdrücklich festgestellt, dass die Kreuzung der Bagolini-Schweiflinien im Fixierlicht, wie es das dominante Auge sieht, wahrgenommen wird, so droht die Verkennung normaler Korrespondenz bei kleinem Schielwinkel. nahmen gibt. Tatsächlich findet man normale Korrespondenz bei etwa 5 % aller Patienten mit Mikrostrabismus und zentraler Fixation (101, 179). Sie ist selten die einzige Korrespondenz dieser Patienten. Meist konkurrieren NRK und ARK. Auch kommen mehrere anomale Korrespondenzen beim selben Patienten vor (74). Alle diese Mischformen haben ein erhöhtes Risiko für spontane oder iatrogene persistierende Diplopie, offenbar, weil die mangelnde Festlegung auf eine Korrespondenz auch eine mindere Fähigkeit zur Suppression einschließt. Keine der rivalisierenden Korrespondenzen wird mit dem vollen Bestand an Neuronen bedient, sodass für Fusion wie Suppression nur jeweils eine bescheidene Zahl von „Sachbearbeitern” zur Verfügung steht. Erkennt man eine der konkurrierenden Korrespondenzen als normal, so ist die Fallbeispiel Bei T. A., 13 Jahre, fiel der Mikrostrabismus convergens mit gemischter Korrespondenz (NRK neben 3hAnomaliewinkel) im Alter von 8 Jahren auf. Beide Augen waren voll sehtüchtig, sodass intermittierende Parallelstandsphasen angenommen werden müssen. Nach Vollkorrektion einer Hyperopie von S2,5 dpt und Prismenausgleich, der nach orthoptischer Schulung entfallen konnte, trat Parallelstand mit subnormalem Binokularsehen ein: Worth-Test simultan, Streifentest positiv ohne Unterbrechungen, Stereo-WirthTest: Ringe 7. Im Alter voll 10 Jahren ließen die Eltern die Brille weg. Bei Wiedervorstellung mit 11 Jahren fand sich wiederum Mikrostrabismus e3h. Seither konnte die normale Variante nicht wieder etabliert werden. Versuchung, durch intensive orthoptische Behandlung Heilung herbeizuführen, groß. Diese Therapie ist aber gefährlich (74), da sie den Abbau der schützenden Suppres- Bei Patienten mit exzentrischer Fixation und identisch sion fördert. Die anteilige NRK bedeutet keine gesicherte mär nicht, doch enthüllt das Studium von solchen Fällen Prognose, wäre sonst doch unverständlich, warum die tat- mit spontan eingetretener persistierender Diplopie mit- sächliche Fehlstellung von wenigen Graden nicht spontan unter auch bei ihnen noch eine latente normale Korres- fusioniert werden kann. Solange wir die synaptische Konstitution nicht direkt untersuchen können, muss von un- pondenz (87). harmonischer ARK erwartet man konkurrierende NRK pri- kritischer Therapie abgeraten werden. Während die Lite- Subnormales Binokularsehen ratur vor allem spektakuläre Verläufe darstellt, die trotz krostrabismus in verschiedenen Schweregraden vorfin- allem eine Minderzahl von Patienten repräsentieren, voll- den, mit fovealer oder exzentrischer Fixation, so haben zieht sich die Entwicklung bei der Mehrzahl der Fälle wir es doch offenbar stets mit einem (oft auch genetisch etwa so, wie es das folgende Fallbeispiel zeigt: fixierten) Defekt in der Fähigkeit, bifoveale synaptische Wenn wir primären Mi- Beziehungen zu unterhalten, zu tun. Dieser Defekt wirkt wie ausgestanzt und die binokulare Interaktion, eben der Mikrostrabismus, wie eine Ersatzbildung am Randes des Defektes. Es wäre verwunderlich, wenn es nicht auch noch geringere Ausprägungen dieses Defektes gäbe Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. bismus gesprochen wird. Eine solche Befundlage wird 2 Störungen des Binokularsehens (136), die den Parallelstand nicht mehr vereiteln, das dabei mögliche Binokularsehen aber dürftig geraten lassen. Wie der Mikrostrabismus selbst, so begegnet uns auch das „subnormale” Binokularsehen in verschiedenen Schweregraden, die wir nur künstlich abgrenzen können. Ältere Versuche zur Systematik erscheinen überholt (225), auch eigene (100). In Wirklichkeit beobachtet man fließende Übergänge (83). Aufschluss gibt immer nur der Längsschnitt, die Synopsis vieler Befunde über eine lange Beobachtungszeit. Mit absteigendem Schweregrad sehen wir: n intermittierenden Mikrostrabismus: Die Stellung schwankt zwischen Parallelstand und etwa S1h bis 2h, die Korrespondenz ist ambivalent, normal und anomal im Wechsel. n labilen Parallelstand: Minimale Abweichungen kommen Fallbeispiel Hanno M. D. schielte mit 2 Monaten, nach kurzer Okklusion immerfort wechselseitig. Mit 3 Jahren wurde eine beidseitige Fadenoperation an den Mm. recti medialis ausgeführt. Wegen Tendenz zum Übereffekt 4 Monate später beidseitige Lateralisrücklagerung, mit 8 Jahren beidseits Frontalisation der Mm. obliquii superiores. Mit 4 Jahren trat alternierende DVD hervor. Schon nach der ersten Operation traten längere Perioden von Parallelstand auf. Mit jeder Nachoperation wurde dieses schwebende Gleichgewicht immer stabiler. Zerbrach es anfangs schon bei Vorhalten des Streifentests, so wird dieser jetzt, im Alter von 13 Jahren, ertragen und positiv gesehen. Bei erstem Abdecken erfolgt nie eine Einstellbewegung, aber der Abdecktest stört den Parallelstand für ca. 2 Minuten. Es kommt zur DVD ohne Diplopie, jedoch empfindet der Patient die Rückkehr zu binokularer Interaktion, ohne Stereosehen im Test. vor, bis zu 1h in konvergenter und divergenter Richtung im Wechsel, und entsprechend ist die Korrespondenz Angesichts der Vielfalt in der Ausprägung subnormaler bi- variabel. n stabilen Parallelstand, wobei aber die Fähigkeit zum nokularer Beziehungen ist es nicht verwunderlich, dass die Literatur sehr verschiedene Krankheitsbilder fixiert Stereosehen randomisierter Vorlagen fehlt: Konturen- hat, die im Sinnzusammenhang aber doch alle in den stereopsis ist möglich, wird aber bei überschwelliger Oberbegriff „subnormales” Binokularsehen eingeordnet Querdisparation subjektiv mit geringer räumlicher werden können. Höhe oder Tiefe empfunden (134). Der im hellen n Monofixational phoria (259) : Bei Fehlen einer Einstell- Raum positive Worth-Test zerfällt beim Abdunkeln bewegung und von exzentrischer Fixation ist sie senso- mit Diplopie oder Suppression. risch durch strenge Dominanz eines Auges und leich- Das subnormale Binokularsehen ist abhängig von Bedingungen wie Helligkeit, Konturenreichtum, Interesse, Ak- teste Amblyopie des anderen gekennzeichnet. Labile Suppression auch im Parallelstand ist das Leitsymptom. kommodation und refraktiver Vorgabe. Fällt die periphere n Obligate Fixationsdisparität: Bei Patienten mit Hetero- Fusion weg (im Dunkeln), so bricht die binokulare Inter- phorie und therapieresistenten Beschwerden findet aktion zusammen. Die periphere Fusion „triggert” das bi- man gehäuft eine Fusionsstörung im Bogenminuten- foveale Einschnappen. Horror fusionis ist selten, da ein bereich (75). Die klinischen Korrespondenzprüfungen Suppressionsdefekt nicht häufiger vorliegt als bei anderen Schielformen (0,5 % aller Schielenden) (87). fallen normal aus. Eine Deutung als Mikrostrabismus Die ausführliche Darstellung dieser Feinheiten wäre in einem Beitrag über Heterotropie entbehrlich, fände man sich aus folgendem Grund: Anomale Korrespondenz dient dazu, beidäugiges Einfachsehen trotz Fehlstellung sie nicht sämtlich auch als Ergebnis unserer operativen zu erlauben. Schielende empfinden niemals die eigene Behandlung. Konnte man vor 20 Jahren mit Anspruch harmonische ARK, sondern allenfalls den subjektiven auf Originalität noch sagen, frühes Schielen sei unheilbar Schielwinkel (das Supplement zwischen objektivem und führe stets zum konsekutiven Mikrostrabismus, so und Anomaliewinkel). Einfache Versuchsanordnungen (75, 101) erlauben es dagegen, dem Patienten mit obli- ist dies heute überholt. Die bessere operative Behandlung begünstigt die „Selbstschulung“ (126) Auch die längere mit Anomaliewinkel von Bogenminutengröße verbietet gater Fixationsdisparität die feine Abweichung der Fi- postoperative intermittierende Okklusion trägt dazu bei, dass etwa 4 % der frühkindlichen Esotropiefälle subnor- xierlinien vom Parallelstand bei fortgesetzter Fusion deutlich werden zu lassen. Die Empfindbarkeit der win- males Binokularsehen erreichen (93, 119, 205). zigen Fehlstellung verweist sie in den Rang eines sehr Bei der Abfassung der hier zitierten Arbeiten wurde die kleinen subjektiven Schielwinkels, dem ein ebenso win- Inhomogenität des „frühkindlichen“ Innenschielens noch ziger objektiver Winkel entspricht (299). Soweit die nicht beachtet (S. 189 ff). Rückblickend wird man diese Kleinheit der Messgrößen ein Urteil erlaubt, liegt also Fälle mehrheitlich für unerkannt-intermittierend halten formal normale Korrespondenz vor. Für die Messung dürfen. Ein Fallbeispiel zeigt aber, dass mitunter auch Pa- und Bewertung ist dies aber nicht zwingend notwen- tienten mit den massiven motorischen Befunden des voll ausgebildeten Schielsyndroms subnormales Binokular- dig: Die Korrespondenz mag theoretisch normal oder mikroanomal sein, immer ist die empfindbare Fixati- sehen erreichen. onsdisparität um ihren Betrag von der Korrespondenz verschieden (101). Sie ist eine Mikrodisharmonie zwi- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 228 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) schen Augenstellung und Korrespondenz und somit ein NRK in eine Vorzugssituation bringen zu können, gelingen Fusionsdefizit. nicht immer und haben ihre Grenze darin, dass viele Be- n Verminderte Stereofähigkeit fiel in den Armeen des Zweiten Weltkrieges auf beiden Seiten auf, als ca. 30 % troffene nicht zu dauerhafter Fusion auf der Basis von stabiler NRK befähigt sind (45). Unterhalb von 4h Anomalie- der Artilleristen die erweiterte parallaktische Messbasis winkel siegt die anomale Variante immer. Gleichwohl ist von Scherenfernrohren nicht nutzen konnten. Die Ver- eine resignative Einstellung zur Behandlung nach post- sagensreaktionen reichten von Kopfschmerzen bis zu operativem Eintritt von Mikrostrabismus nicht ange- manifester Diplopie (148). Patienten mit beschwerde- bracht. Es besteht ein erheblicher Unterschied zwischen freier Fusion bei fast fehlendem Stereovermögen trifft Patienten mit Restschielwinkel um S5h und wenig fass- man nicht selten bei Fahrtauglichkeitsuntersuchungen. baren Binokularfunktionen und solchen mit einer „Defekt- Haben Patienten mit subnormalem Binokularsehen asthenopische Beschwerden, so sind diese gewöhnlich heilung 1. Grades” (330) bei intermittierender Abweichung von e1h mit Konturenstereosehen und kontrollier- nicht auf Mängel des Fusions-, sondern eher des Sup- tem Wechsel zwischen anomaler oder subnormaler Fusi- pressionsvermögens zu beziehen. Hieraus erklärt sich on. Stets aktuelle Brillenkorrektion, intermittierende Ok- auch die häufige Unbeeinflussbarkeit solcher Beschwer- klusion des führenden Auges und die Bereitschaft zur den. Nachoperation bei wieder zunehmender Fehlstellung entscheiden schließlich mehr als der bloße Erfolg einer ein- Konsekutiver und sekundärer Mikrostrabismus Wie maligen Schieloperation darüber, was man erreicht. Bei schon erwähnt, erweist sich konstant manifester Strabismus convergens mit Schielbeginn vor dem ersten Lebenshalbjahr gewöhnlich als unheilbar, wobei diskrete motori- wenigen Fällen genügt offenbar die operative Geradstellung als Anstoß für die weitere spontane Besserung bis zur Selbstheilung (126, 187), doch darf man sich natürlich sche Symptome und das Fehlen binokularer Interaktion hierauf nicht verlassen. den Typus lebenslang kennzeichnen. Intermittierender Kleine (erworbene) Abweichungen vom Parallelstand Strabismus führt auch bei frühestem Beginn, gutes Ope- können in jedem Alter durch Erkrankungen der Makula rieren vorausgesetzt, zu subnormalem Binokularsehen oder andere Gesichtsfelddefekte bedingt sein. Die Gefahr und nicht zu konsekutivem Mikrostrabismus. Bei etwas für Orthoptistinnen und Ärzte liegt darin, solche Fälle späterem Schielbeginn und tief geprägter ARC ist eine rudimentäre Zusammenarbeit der Augen erreichbar, im als primäre Mikrotropie zu verkennen. Bei jedem Verdacht auf Mikrostrabismus ist deshalb sorgfältig eine or- idealen Falle ein „gepflegter” konsekutiver Mikrostrabis- ganische Ursache auszuschließen. Als spontan konsekuti- mus vom harmonisch anomal korrespondierenden Typ. ven Mikrostrabismus divergens sollte man die völlig an- Bei den einseitigen Fällen enden zahlreiche Behandlungen dersartigen Fälle von primär konvergentem Mikrostrabis- mit Zuständen unter diesem Niveau, weil durch Vernach- mus bezeichnen, die spontan in eine geringe divergente lässigung der postoperativen Rezidivprophylaxe bis zum Fehlstellung übergehen. Dies geschieht nicht selten Alter von 13 Jahren vielfach Amblyopie, unstete Fixation dann, wenn der Augenarzt nach wiederholter Atropinski- und ein unnötig großer Schielwinkel wiederkehren. Die Symptomatik der Patienten mit postoperativ harmonisier- askopie die Annahme der vollen Hyperopiekorrektion durchgesetzt hat. Langfristige intermittierende Okklusion, ter Korrespondenz bei kleinem Restwinkel gleicht auf den bis zur Präpubertät, wirkt dieser Entwicklung entgegen, ersten Blick derjenigen bei primärem Mikrostrabismus. weil sie den Amblyopiefaktor bei der Suppression kontrol- Einige Besonderheiten verdienen aber Erwähnung. Wäh- liert. rend primärer Mikrostrabismus mehrheitlich mit harmonischer ARK einhergeht und insofern einer Besserung Divergenter und vertikaler Mikrostrabismus meist nicht zugänglich ist, verfügen Patienten mit kon- genter Mikrostrabismus wird von Lang (218) als sehr sel- sekutiver Mikrotropie viel häufiger über mehrere Korrespondenzmöglichkeiten und gelegentlich über „rivalisie- ten bezeichnet. Subtile Untersuchungen sprechen aber dafür, dass divergenter Mikrostrabismus die sensorische rende” NRK. Die sorgfältige Anamnese erlaubt oft, ein ver- Basis von 5 bis 30 % der Fälle von intermittierendem Au- Diver- lorenes Intermittieren wahrscheinlich zu machen. Der ßenschielen darstellt (23, 144). Harmonisch anomale Kor- Nachweis von NRK bedeutet nicht, dass mit Wahrschein- respondenz ist auch hier häufiger als „Identität” mit ex- lichkeit Vollheilung erwartet werden kann. Solche Hoff- zentrischer Fixation und Amblyopie. Darin und in der ge- nungen sind in den 50er und 60er Jahren der Antrieb zu ringen Größe der Basisschielwinkel liegt wohl der Grund großen orthoptischen Anstrengungen gewesen. Man hoffte, durch „fraktionierten” Korrespondenzwandel” (135) allmählich volle Heilung erreichen zu können. Auch Ver- für die geringe Aufmerksamkeit, die solchen Befunden suche, durch begrenzte Überkorrektur der Stellung mit vergenter Mikrostrabismus häufig intermittierend bleibt. Prismen (3) oder Operationen (85) die latent vorhandene Die Nachbildprüfung der Korrespondenz, die ja zwangs- früher geschenkt wurde. Die geringere Tendenz zur Amblyopie des abweichenden Auges lässt vermuten, dass di- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 229 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. W. de Decker 230 2 Störungen des Binokularsehens läufig dissoziierend ausgeführt wird, fällt bei Patienten eine Nahbrille, deren Werte man durch Probetragen er- mit Strabismus divergens intermittens oft spurenhaft ho- mitteln muss, einigermaßen kompensieren. Werden Pris- monym aus, ein Hinweis, dass trotz normalen Stereosehens „nebenher” auch eine mikroanomale Variante ent- men erforderlich, so sollten Erwachsene diese im Berufsalltag nur sparsam tragen, etwa in den letzten zwei Büro- wickelt wurde. Eine Amblyopieprophylaxe ist dabei nicht stunden. Ein Dauertragen würde zur Adaptation führen immer erforderlich, sorgfältige Verlaufskontrolle jedoch und den aktuellen Vorteil der Korrektion aufzehren. Dau- zu empfehlen. Vertikaler Mikrostrabismus wird ebenfalls als selten be- ertragen kann auch in die Operationsbedürftigkeit führen (332). Hiermit trifft man eine Entscheidung, an der man zeichnet, ohne dass hierüber ausreichende Untersuchun- den Patienten von Anfang an beteiligen muss. gen vorliegen. Die Betroffenen zeigen meist dissoziiertes scheinende Phase bildet. Beschwerden, Diplopie und persistierende Diplopie bei Mikrostrabismus 2.4.5 Sekundärer und konsekutiver Strabismus In älteren Publikationen findet man noch den Ausdruck sekundärer Strabismus für ein erneutes Abweichen der Augen nach Schieloperation. Dieser sollte aber konsequent als konsekutiver Strabismus beschrieben werden. Alle bisher beschriebenen Formen des Begleitschielens Mit sekundärem Strabismus bezeichnet man korrekt das führen, wenn auch selten, gelegentlich zu bleibender Di- Abweichen der Augen aus dem Parallelstand oder aus plopie. Unter 5000 eigenen Patienten (1968–1981) trat einer Fehlstellung in eine andere infolge einer beeinflus- diese ernsthafte Komplikation bei 45 Fällen ein, von senden Augenkrankheit. denen sechs unbehandelte primäre Mikrotropien hatten (87, 88). An einem so kleinen Kollektiv lässt sich nicht feststellen, ob eine bestimmte primäre Mikrostrabismusform zur persistierenden Diplopie disponiert. Häufiger Sekundärer Strabismus ist konsekutiver Mikrostrabismus von der Ausbildung Auch dieser Begriff ist eigentlich noch zu weit. Er be- persistierender Diplopie begleitet. Klagt ein Patient mit schreibt sowohl Verläufe von Verlust des Parallelstandes primärem Mikrostrabismus neben persistierender Diplo- wie Fälle mit spontanem Wechsel der Schielform. Der Un- pie noch den für Horror fusionis kennzeichnenden frus- tersucher sollte, welche Anamnese auch immer erhoben tranen Fusionszwang, so gelingt in der Regel auch der werden mag, stets an die Möglichkeit denken, dass auch Nachweis rivalisierender NRK, ohne welche der Fachausdruck „Horror fusionis“ gar nicht legitim ist (74, 149). der Patient mit erworbenen Sehhindernissen, die zum sekundären Schielen führten, eventuell schon Strabismus oder eine Veranlagung hierzu hatte. n Überbehandlung (Orthoptik, apparative Pleoptik, ununterbrochene ein- oder wechselseitige Okklusion) fördert den Suppressionsverlust und erhöht das Diplopierisiko. Strabismus bei organischer Sehschwäche („ex anopsia”) Erblindete oder sehr sehschwache Augen erlauben keine Fusion. Wegen der fehlenden Stellungskontrolle weicht das erblindete Auge deshalb in kurzer Zeit vom Pa- Die Doppelbilder erscheinen dann meist im Abstand des rallelstand ab, beim Erwachsenen fast stets nach außen: objektiven Winkels (rivalisierende NRK). Parallelstand verbessert manchmal, aber leider nicht immer die Sup- Das Auge richtet sich ungefähr nach der Orbitaachse aus (–23h). Ältere Angaben, nach denen Fusionsverlust im pressionsfähigkeit. Darüber hinaus ist eine wirksame Be- 1. Lebensjahr zum Divergenzschielen oder zum Konver- handlung nicht bekannt. Da die schlimme Situation der genzschielen, danach aber während der weiteren Kindheit Betroffenen nicht ärger werden kann, ist die orthoptische regelmäßig zum Konvergenzschielen führen soll, sind überholt (297). Bis zum 5. Lebensjahr überwiegt sekundä- Behandlung erlaubt (256), aber leider nicht sehr aussichtsreich (284). Der dauernde Verschluss eines Auges res Innenschielen, danach kommt es meist, vom ist nur bei voll ausgeprägtem Horror fusionis erforderlich. 8. Lebensjahr an stets zum Außenschielen, es sei denn, Asthenopische Beschwerden bei Mikrostrabismus lassen sich meistens als nicht voll etablierte Diplopie bestim- eine andere Schiel- oder Heterophorieform hätte primär vorgelegen. men. Die häufigste Manifestation durch Winkelvergröße- Dass im Alter bis zu 5 Jahren überhaupt Innenschielen rung bei angestrengter Naharbeit lässt sich oft durch eintreten kann, wird mit dem frühkindlich hohen Adduk- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Höhenschielen, wobei der vertikale Mikrostrabismus die motorische und sensorische Basis für die kompensiert er- 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) tionstonus erklärt, der zur parallelen Ausrichtung der Entwicklung von Strabismus aus einer Parese Augen trotz anatomisch divergenter Orbitaachsen benö- wachsene mit erworbenen Paresen sind subjektiv sehr tigt wird (1). Strabismus convergens ex anopsia ist die Regel bei einseitiger angeborener Katarakt, meist mit unterschiedlich gestört. Neben Fällen mit lebhaften Klagen über Diplopie und Konfusion findet man solche, die Symptomen des „frühkindlichen” Schielsyndroms (Nys- alsbald supprimieren. Die Frage ist deshalb berechtigt, tagmus latens, dissoziiertes Höhenschielen). Zum Strabis- aber schwer retrospektiv zu erforschen, ob Paresen bevor- mus „ex anopsia“ disponieren vor allem solche organi- zugt von solchen Patienten langfristig manifestiert wer- schen Krankheiten, die neben dem Visus auch das Ge- den, die ohnehin nur über ein subnormales Binokular- sichtsfeld beeinträchtigen und damit die periphere Fusion sehen verfügt hatten. Paralysen, die jede binokulare aufheben (Hämangiome der Lider, juvenile Katarakt, Pig- Zusammenarbeit unterbinden, führen bei Kindern und mentdegeneration, fortgeschrittenes Glaukom, aber nicht so häufig die Ptosis congenita). Ärzte und Orthoptistinnen Jugendlichen zum Verlust der kortikalen Fusionsfähigkeit. Die kritische Periode hierfür endet erst um das müssen stets die Möglichkeit von Strabismus ex anopsia 30. Lebensjahr, wie aus Verlaufskontrollen bei einseitiger unkorrigierter traumatischer Aphakie bekannt ist (188, bedenken und bei jedem neuen schielenden Patienten Er- eine gründliche organische Untersuchung vornehmen 269). Die Unterbrechung der Fusion darf bei kleinen Kin- (Retinoblastom!). Refraktionsamblyopien in der Kindheit dern wenige Tage, bei Schulkindern einige Wochen, bei begünstigen allenfalls die Entstehung von Mikrostrabismus (156). Makuladegeneration (in jedem Lebensalter) Zwanzigjährigen ein bis zwei Jahre nicht übersteigen. führt dagegen kaum je zum Schielen, weil die intakte Funktion der Peripherie zur Stellungskontrolle ausreicht. Verlauf erworbener unvollständiger N.-IV- oder N.-VI-Paresen keinen Strabismus, sondern nehmen schon im Zur Fusion vollwertig veranlagte Kinder entwickeln im frühesten Lebensalter eine kennzeichnende ZwangshalÜbergang in andere Schielformen Das „spontan-kon- tung ein. Dagegen gehen N.-III-Paresen in der frühen sekutive“ Außenschielen, die Dekompensation von Innen- Kindheit fast immer in Strabismus mit sensorischer An- schielen in Außenschielen nach Brillenkorrektion der Hy- passung über, weil die Vielzahl der gelähmten Muskeln permetropie ist kein ganz seltenes Ereignis. Die Brillen- und die visuell-deprivierende Einwirkung der Ptosis die werte häufen sich um S4,0 bis S5,0 dpt. Verfehlt man Kompensation mittels Zwangshaltung nicht gestatten. Pa- die Anamnese, so erscheint einem der aktuelle Zustand wie ein Schielsyndrom mit divergenter Ruhelage oder resen Erwachsener auf myodegenerativer Grundlage führen häufig zum Strabismus ohne Auftreten von Diplopie. wie ein Strabismus divergens intermittens mit auffällig Dies wird mit dem langsamen Eintreten der Störung er- schlechter binokularer Befähigung. Zur Diagnose führt klärt. gewöhnlich das Abnehmen der Brille, woraufhin sofort Innenschielen eintritt. Verlauf und Befunde zeigen, dass diese Patienten prak- Konsekutiver Strabismus tisch fusionsunfähig sind. Orthoptische Übungen sind deshalb wenig sinnvoll und können überdies Doppeltsehen durch Deprivation der Suppression auslösen. Etwa 7 bis 13 % aller Patienten, die wegen Strabismus convergens „konventionell”, durch Rücklagerungen und/oder Auch ohne Verordnung oder Änderung einer Brille Resektionen operiert wurden, entwickeln im Laufe der kommt Übergang in Strabismus divergens vor, u. a. bei Zeit eine divergente Fehlstellung. Betroffen sind fast aus- primärem Mikrostrabismus mit Amblyopie. Die Manifestation kann zur Diplopie führen (87). Bei relativ spätem schließlich die Patienten mit frühkindlichem Schielen und Auftreten angeblich primären Außenschielens ist deshalb seitiger Fadenoperationen ergaben eine geringere Häufigkeit von konsekutivem Strabismus divergens (um 5 %; 93, stets daran zu denken, dass die aufgegebene bessere Augenstellung nicht Parallelstand, sondern konvergenter oder divergenter Mikrostrabismus war (144, 218). Patien- geringer Fusionsfähigkeit. Langzeitbeobachtungen beid- 184). ten mit Schielamblyopie zeigen diese Entwicklung häufi- Überkorrigierter Strabismus convergens ger als solche mit Refraktionsamblyopie. Während beide Übereffekte soll man revidieren, bevor Wundheilung ein- vermeintlich über ein intaktes peripheres Gesichtfeld tritt. Die Revision am 2. bis allenfalls 3. postoperativen verfügen, zeigt sich bei genauem Hinsehen doch, dass die- Tag ist einfach und beeinträchtigt das kosmetische Ergeb- ses beim Begleitauge funktionell gemindert ist (218). nis nicht. Danach, bis etwa zur 7. Woche, führt die Nach- Eindeutige Sekundäres Innenschielen bei primärem Strabismus di- operation zu sichtbaren Narben. Man wird in diesem Zeit- vergens kommt kaum je vor. Späte Vertikaldivergenzen, meist vom dissoziierten Typ, lassen sich allenfalls formal hier einordnen. Wesensmäßig gehören sie in das Krank- raum nur nachoperieren, wenn es funktionell geboten ist (Diplopie!). Nachjustierbare Rücklagerungen (121, 273, 278) und leicht lösbare Faltungen (200) statt Resektionen heitsbild des frühkindlichen Strabismus. erleichtern die Sofortrevision. Späte Nachoperationen er- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 231 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. W. de Decker 232 2 Störungen des Binokularsehens fordern eine Neupräparation und sind oft wegen sensori- weglassen kann. Späterer Rückfall in Strabismus diver- scher Anpassung an die konsekutive Fehlstellung mit dem Risiko der Diplopie behaftet. Bei aller Mühe, die Nachoperationstoleranz prismatisch zu prüfen, bleiben Überra- gens intermittens ist seltener als bei korrektem Parallelstand als Operationsergebnis (294). Ein unerwünschtes Fortbestehen dieser Überkorrektur ist die Ausnahme. schungen nicht aus (58, 145, 200). Der Verfasser musste nur bei jedem 40. Fall schließlich Konsekutive Exotropie tritt besonders häufig ein nach chirurgisch revidieren. Übersteigt die Überkorrektur S6h, beidseitiger Medialisrücklagerung über 4 bis 5 mm. so ist mit zahlreichen Revisionsoperationen zu rechnen Diese wohlbekannte Erfahrung (317) wird immer wieder (68, 114). bestätigt, einschließlich des typischen langsamen Verlaufes, der bei 7-mm-Dosierung schließlich zu 38 % Überkorrigierten führen kann (308). Konsekutiver Strabismus divergens ist andererseits 2.4.6 Therapie des Begleitschielens nicht nur von Nachteil (167, 283). Lässt man ihn für 2–4 sere sensorische Situation erwarten, die – nach kunst- Vom normosensorischen Spätschielen abgesehen, sind die gerechter Revisionsoperation – limitierte Binokularfunk- meisten Schielformen bei Anlegung strenger Kriterien tionen ermöglicht (79, 85). Der Patient mit begrenzter nach heutiger Ansicht unheilbar. Perioden hoffnungsvol- Überkorrektion treibt offenbar unbewusst Orthoptik: Die ler Erwartung in neue Methoden der operativen und or- Tendenz des „frühkindlich” Schielenden zu Winkelschwankungen führt dazu, dass er aus einer geringen Di- thoptischen Behandlung haben mit Zeiten der Resignation gewechselt. Da stets mehrere Ärztegenerationen tätig vergenzstellung heraus dauernd optomotorisch konver- sind, deren Ausbildung in die eine oder andere dieser Epo- giert1 und damit auch den ungefähren Parallelstand mit chen fiel, spiegelt sich deren oft lebenslang beibehaltene limitierten Binokularfunktionen anbahnt. Ohne diese Zu- Grundeinstellung zur Prognose des Schielens in Ansichten sammenhänge zu durchschauen, berichten amerikanische wider, die den Patienten kontrovers erscheinen können. Arbeiten in den letzten Jahren vermehrt über unerwartet günstige Resultate, und eben auch funktionelle, nach spä- Beratung ter Revisionschirurgie. Überkorrigierter Strabismus divergens Beim kon- Beidseitige Enttäuschungen lassen sich vermeiden, wenn sekutiven Strabismus convergens nach Operation wegen man Patienten und Eltern zunächst nach den Vorstellun- Strabismus divergens ohne Binokularfunktion sollte man gen fragt, die sie aus vorhergehenden Beratungen und ei- wie beim überkorrigierten Strabismus convergens mittels gener Lektüre entwickelt haben. Genießt ein vorberaten- Prismenausgleich untersuchen, ob die geplante Änderung der Kollege große Autorität bei sachlich überholtem Infor- der Augenstellung diplopiefrei verträglich sein wird. In mationsstand, so kann es geschehen, dass die Patienten der Praxis ist diese Verträglichkeit meist besser als im Prismenversuch. Deshalb ist es legitim, entsprechende durch unsere eigene Darlegung in große Zweifel gestürzt werden. Hier ist Vorsicht am Platze, da Mehrfachberatun- Aufklärung und Mitwirkung des Patienten vorausgesetzt, gen heute eher die Regel als die Ausnahme sind. Bei aller auch entgegen dem Ausfall des Prismenausgleichs die Rücksicht sollte die eigene Beratung aber doch immer den Operation auf Parallelstand hin zu dosieren und die weni- Hinweis enthalten, dass Schielen eine Störung auch von gen Fälle von tatsächlicher Intoleranz am 2. Folgetage zu Schaltvorgängen im Gehirn ist, dass deshalb Frühschie- revidieren. lende eine Vollheilung nicht erwarten können, aber bei Bei primärem Strabismus divergens intermittens wird richtiger Behandlung und geduldiger Mitarbeit doch zu gern ein Übereffekt von 2–4h angestrebt. Dabei kommt es zur Diplopie, die, mit Prismen knapp, aber ausreichend begrenztem beidäugigem Sehen befähigt sein werden. Dies gibt den Eltern einen Erwartungshorizont und hält kompensiert, dem Patienten bei der Ausbildung divergen- den Beratenden frei von der Last unerfüllbarer Garantien. ter Fusionsbreite hilft. Genau genommen liegt keine echte Widerstrebende Eltern sollte man zu einer Operation Überkorrektur vor, da der Patient seine gewohnheits- des Kindes nicht überreden, aber darauf hinweisen, dass mäßige Überkonvergenz nicht sofort postoperativ aufgibt. man im Krankenblatt vermerken würde, die Operation Diese Überkonvergenz klingt meist rasch ab, sodass man sei zu einem späteren Zeitpunkt nicht ohne Risiko des die Prismen alsbald reduzieren und nach 2–3 Wochen Doppeltsehens nachzuholen. Wird bei akutem normosen- 1 Konvergenz ist nur vorhanden, wenn auch Binokularsehen besteht. Bei frühkindlichem Innenschielen spricht man besser von bimonokularem Adduktionsexzess. Konvergenzartige Motili- tätsschübe ohne Binokularfunktion sind ohne sensorische Kontrolle, eben „optomotorisch”. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Monate bestehen, so kann man in 2 von 3 Fällen eine bes- 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) sorischen Spätschielen die Zustimmung zur raschen ent- Empfohlen wird beim Innenschielen die halbjährliche lastenden bzw. rekompensierenden Operation verweigert, skiaskopische Kontrolle bis zum Alter von 5 Jahren. Zyklo- so sollte man den heimischen Haus- oder Kinderarzt einschalten, auf den die Eltern oft besser hören, weil sich sein pentolat genügt bei Hellpigmentierten, kann aber Rauschzustände herbeiführen. Man kann es ohne weiteres durch Rat gewöhnlich schon zuvor als richtig erwiesen hat. En- Tropicamid ersetzen (8) Bei Dunkelpigmentierten ist Atro- gagement ist erforderlich, wenn Okklusionsmaßnahmen pin erforderlich, um eine hinreichende Zykloplegie her- zur Abwendung einer Amblyopie nicht befolgt werden. beizuführen. Sehr sicher ist die Anwendung in öliger Es gibt jedoch auch hier eine Grenze zwischen intensiver Lösung bei Nacht. Wenigsten bei der Planung einer hori- Beratung und Nötigung, die man nicht überschreiten soll- zontalen Schieloperation sollte man es deshalb zum Ein- te. Schwierige und erfolglose Beratungen erfordern eine satz bringen. Auch der Erfahrene ist immer wieder über- gute Dokumentation. Patienten, die sehr feste Erwartungen in überholte Methoden setzen, die wir nicht erfüllen rascht, welch erhebliche Änderungen der Refraktion er skiaskopiert. Nach dem 5. Lebensjahr genügen jährliche können, darf man an seriöse Kollegen vermitteln, die skiaskopische Kontrollen. Verlässt man sich auf die ein- mit diesen Methoden gute Ergebnisse mitgeteilt haben. mal ermittelte skiaskopische Refraktion, so kommt es Die vereinfachte Darstellung der Funktion der Brille (des nicht selten zum vermeintlichen Stillstand der Amblyo- Donders-Prinzips) gehört zu den unverzichtbaren ärzt- piebehandlung durch refraktiven Nebel. Die Gewohnheit, lichen Pflichten in der Elternberatung, eine Aufgabe, der am Phoropter zu skiaskopieren, kann zu bösen Fehlern auch die Orthoptistin gewachsen sein sollte. führen (Astigmatismus schiefer Bündel), wenn Kinder mit Nystagmus latens nicht genügend abduzieren, um die Primärstellung zu erreichen. Behandlung vor einer Schieloperation Kleinkinder mit Hyperopien zwischen 2 und 4 Dioptrien ohne Astigmatismus nehmen die Korrektion nicht Zwei Drittel aller Konvergenzschieler und 10 % aller Diver- leicht an, da sie ihnen subjektiv keine Vorteile bringt. genzschieler entwickeln, sich selbst überlassen, einen mo- Man kann das Annehmen der Brille fördern, indem man nolateralen Strabismus mit Amblyopie. Voraussetzung für nach der Skiaskopie das Atropin in minimaler Dosierung jeden späteren Versuch, binokulare Zusammenarbeit der weitergeben lässt, bis der Optiker die Brille ausliefert. In Augen zu erreichen, ist deshalb eine wirksame Prophylaxe bzw. Behandlung der Amblyopie (2.5). der dann folgenden Phase des Rückgangs der Zykloplegie nehmen fast alle Kinder die Brille an. Die wenigen Verbleibenden darf man getrost auch ohne Korrektion operieren, da sie ihre Akkommodationsgewohnheiten voraus- Rolle der Brille sichtlich über Jahrzehnte beibehalten werden. (Cüppers antwortete einem darüber erbosten engagierten nieder- Für den Laien ist die „Schielbrille”, Symbol der Schielbe- gelassenen Augenarzt im Beisein des Autors: „Wer von handlung, eigentlich ein magisches Instrument, das er uns hat nicht schon mal einen akkommodativen Schieler teils emotional ablehnt, von dem er andererseits aber die unmittelbare und nachhaltige Beseitigung des Schielens erwartet. Tatsächlich beeinflusst eine Brillenverord- operiert?”). Die Verordnung der Brille erfolgt nicht selten wegen Astigmatismus. Gleicht man diesen nicht aus, so kommt nung den Schielwinkel nur, wenn eine nennenswerte Hy- es angesichts der oft höheren Stabsichtigkeit des abwei- peropie vorliegt. Ihr Einfluss ist auch bei gleicher skiaskopisch ermittelter Hyperopie individuell ganz verschieden chenden Auges zur Amblyopie, die dann eine kombinierte (316). Man muss ihn deshalb praktisch erproben. Einem trollen der objektiven Refraktion empfehlen sich bei Kleinkind mit Strabismus convergens, das mit und ohne frühkindlichem Schielen auch deshalb, weil diese Patien- Brille den gleichen alternierenden Schielwinkel zeigt, eine Brille von z. B. S1,75 dpt aufzuzwingen, ist ebenso verfehlt wie die Ansicht, ein hyperopes Kind mit ten häufiger schräge Achsen haben (13 % gegenüber 5 % in der Gesamtpopulation (129). Die Achsenlage kann schwanken und unterliegt damit einer Dynamik ähnlich e5,0 dpt, das nicht schielt, brauche auch keine Brille (59). derjenigen für den Schielwinkel bei frühkindlichem Stra- Refraktions- und Schielamblyopie ist. Halbjährliche Kon- bismus (307). Bis heute herrscht keine Übereinkunft, ob die Hyperopie bei Geburt am höchsten ist und dann abnimmt (165), oder ob sie bis zum Alter von 3 Jahren (129) oder gar 6 Jahren (208) ansteigt, um danach zurückzugehen. Bei amblyopen Augen findet dieser Rückgang verspätet statt, wohl weil der Mindergebrauch auch der Akkommodation den Emmetropisationsprozess stört. Operative Behandlung Soziale Argumente Die Elterneinstellung zur Operation ist sehr vom sozialen Klima abhängig. Amerikanische Eltern drängen den Arzt zur Frühoperation, um ihren Kin- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 233 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. W. de Decker 234 2 Störungen des Binokularsehens dern Merkmale zu ersparen, die zum Ausschluss aus der Kriterien. Wenn Eltern angesichts von 2 % Chancen für Gruppe führen können. Deutsche Eltern neigen zum Ab- höhere Binokularfunktionen die unverzügliche Operation warten. Eine verhängnisvolle Tendenz, eine bloß kosmetische Korrektur sittlich nicht vertretbar zu finden, über- wünschen, so verweigere ich mich nicht, werbe aber nicht dafür. Frühoperationen. Frühoperationen sind indiziert: lagert sich mit Ängsten aus dem Bereich der Publizistik, y die iatrogene Schäden an Leib und Seele suggeriert. n Wenn bei monolateralem Strabismus die Okklusions- behandlung versagt, also eine schwere Amblyopie n Spätere Operation geht mit höherem Diplopierisiko einher. vorausgesehen werden kann. Meist sind es die Kinder mit erheblichem latenten Nystagmus, der durch die Okeiner extremen Adduktionstendenz entgegen. Sie verlagert das Feld möglicher fovealer Fixation aus der ex- Alter sensorischer Formbarkeit das Risiko persistierender zessiv innervierten Adduktionsstellung in einen brauch- Diplopie verzehnfacht (87). Beliebt ist die Forderung nach Mitaufnahme eines Elternteils bei stationärer Behand- baren Blickfeldbereich, was im Prinzip auch mit einem Prisma möglich (13, Abb. 2.37), aber unbequem ist. Die lung. Sie ist verständlich bei Kindern bis zu 5 Jahren, ver- Idee der „fixationsverbessernden Frühoperation“ ist ursacht aber oft eine psychopathische Reaktion bei Kin- als „einseitige Umlagerung“ schon lange bekannt (38, dern jenseits dieses Alters, die viel besser in der „Horde” 117), lässt sich aber, besonders bei kleinem Basisschiel- aufgehoben sind. Für die psychische Vorbereitung von Kindern und Eltern muss man sich die nötige Zeit neh- winkel auch vorzüglich mit der Fadenoperation verwirklichen (97) Drei von vier für hoffnungslos oder okklu- men, soll psychischer Hospitalismus vermieden werden. Für die ambulante Operation eignen sich Rücklagerungen sionsintolerant gehaltene Fälle kommen beim Einsatz und kleine Resektionen an geraden Muskeln sowie n Bei zerebralparetischen Kindern, von denen 55 % schie- vor Ende des 3. Lebensjahres noch zu fovealer Fixation. Rücklagerungen am M. obliquus inferior. Große Resektio- len (182). Sie werden durch Schielwinkel um und über nen, Fadenoperationen und Faltungen am M. obliquus su- 40h in ihrer statischen Entwicklung zusätzlich ge- perior führt man wegen des belastenden Muskelzuges mit hemmt, auch wenn sie alternierend schielen. Der Erbrechen (280) besser in stationärer Obhut aus. günstige Einfluss der Frühoperation auf die statische und feinmotorische Entwicklung dieser Kinder ist er- Zeitwahl des Eingriffs Wir hatten schon festgestellt, wiesen (272). dass die Tendenz zu immer extremerer Frühoperation n Wenn kooperative Eltern berichten, dass während der beim frühkindlichen Innenschielen hinsichtlich der bin- Freizeiten einer intermittierenden Okklusion eindeutige okularen Prognose in eine Krise geraten ist (S. 214, 539). Entspannungsphasen gesehen werden. Die Frühopera- Bedenkenswert ist auch, dass sich die Ausbildung von tion dient dann zum Erhalt der vorhandenen Binokular- DVD durch radikale Frühoperation nicht verhindern lässt funktionen. (257). Für die Entscheidung, einige tatsächlich intermittierend Schielende unversorgt zu lassen oder viele zum n Wenn ein Kind, und sei es auch noch so jung, unter der Binokularsehen nicht Befähigte mehrfach nachoperieren nis erweckt den Verdacht des „normosensorischen zu müssen, gibt es im Alter von 4–6 Monaten keine Frühschielens“. eigenen Beobachtung akut schielt. Dieses seltene Ereig- Abb. 2.37 Everses Prisma nach Aust (13). Unter Okklusion des dominanten Auges (links) nimmt die Adduktion des amblyopen Auges zu. Dabei rückt die Fixation näher an die Fovea. Das Prisma erlaubt einerseits die Adduktion und erzwingt sie andererseits. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. klusion manifestiert wird. Die Operation wirkt dann Dem beliebten Argument, das Kind möge später selbst entscheiden, ist entgegenzuhalten, dass sich nach dem 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) n Bei konstant manifestem Strabismus divergens, um die der Blickwendung vorliegt. Die Kombination mit einer Ausbildung von Panoramasehen zu verhindern. Rücklagerung ist ein beliebter Eingriff, der jedoch dem Operation im Vorschulalter. Die Mehrzahl schielender dieses Alter spricht die gute Mitarbeit in sensorischer Muskel als Organ nicht gut bekommt, was spätestens bei einer Revisionsoperation offenbar wird. Die traditionelle kombinierte Schieloperation (Rücklage- und refraktiver Hinsicht, die psychische Belastbarkeit rung des Agonisten mit Resektion des Antagonisten) und die annähernd normale Größe von Bulbus und Orbita schafft dagegen eine echte Stellungsänderung. Diese ist (4). Diese Argumente sind nicht von der Hand zu weisen, zumindest statistisch einigermaßen dosierbar (186, 281). da Fälle mit schwerem frühkindlichen Schielsyndrom Die kombinierte Operation verändert die Motilität wenig. (A-V-Inkomitanz, dissoziiertes Höhenschielen, Kopfhal- Eine kombinierte Schieloperation ist immer dann indi- tung zur Schulter) selten mit einer einmaligen Operation befriedigend korrigiert werden können. ziert, wenn ein stabiler Schielwinkel vorliegt. Die Konstanz des Schielwinkels ist praktisch oft schwierig zu ve- y Kinder wird hierzulande mit 4 bis 5 Jahren operiert. Für Ein Aufschub der Operation bis zu diesem Alter ist zu rifizieren. Die Beurteilung durch den Operateur ist dem- vertreten, wenn nach Elternanamnese und eigener Be- entsprechend auch verschieden. Gelingt der präoperative obachtung eine offenbare Schielwinkelentspannung fort- Ausgleich mit Prismen ohne ein Wiederanwachsen des dauert. Diplopierisiko bei Operationen an älteren Kindern und Er- Schielwinkels, dann wird auch eine kombinierte Schieloperation zu einem stabilen Ergebnis führen (13, 328). y wachsenen. Vom Schulalter an steigt die Gefahr bleiben- Wird trotz erkennbarer Rückdrehtendenz kombiniert ope- der Diplopie stetig bis auf 5 % bei 16-Jährigen (87). Die Doppelbilder werden in drei von vier Fällen im Abstand riert und ein Rezidiv mit einer weiteren kombinierten Operation, auch am anderen Auge, beantwortet, so geht des objektiven Winkels gesehen (NRK). Die persistierende der Operateur ein erhebliches Risiko späterer konsekuti- Diplopie durch Suppressionsverlust darf nicht mit der pa- ver Divergenz ein. Er hat dann eine statische Stellungs- radoxen Diplopie bei eingefahrener ARK verwechselt wer- änderung gegen einen in Wirklichkeit variablen Fehler den, die harmloser ist und meist nur für kurze Zeit auf- eingesetzt. Leider ist bis heute keine Vorhersage möglich, tritt. Mit Prismenversuchen lässt sich das Risiko postope- ob es im Einzelfall zu einer späteren spontanen Entspan- rativer Diplopie nicht ganz ausschließen (S. 499). Eingriffe nung des Schielens kommen wird. Hinsichtlich der lang- nach der Einschulung sind häufig Revisions- oder Nachoperationen. Vor der Korrektur von konsekutiver Exo- fristigen Stabilität des Operationsergebnisses sollte der Operateur deshalb keine unhaltbaren Versprechungen tropie sollte man untersuchen, ob ein kleiner Innenschiel- machen. Rekrutierten sich die konsekutiven Exotropien winkel nicht besser vertragen wird als ein reduzierter früher vor allem aus ehemals tenotomierten Fällen, so Außenschielwinkel. Ist das nicht der Fall, so gelingt es kommen heute auch ehemals kombiniert operierte Schie- gelegentlich, divergente Restschielwinkel stufenweise zu lende als langfristig überkorrigiert zur Revision. Wird die verkleinern, wenn im Laufe der Zeit die Suppression wie- kombinierte Operation nur bei geeigneten Fällen, also mit der ausreichend geworden ist. der Beherrschung der Fadenoperation als Alternative, an- Wahl des geeigneten Eingriffs (Kap. 5) gewendet, so ist späte konsekutive Exotropie selten (5–6 %; 119, 186). In derselben Größenordnung liegt auch y Operationen an Horizontalmotoren wegen Strabismus con- vergens. Durch die Fadenoperation nach Cüppers und ihre die Häufigkeit der Überkorrekturen (Fernwinkel) nach beidseitiger Fadenoperation (4,4–4,9 %; 86, 184). Modifikationen lassen sich instabile Schielwinkel relativ Die beidseitige Medialisrücklagerung schafft eine weniger gut korrigieren. Das Verfahren begrenzt die Überfunktion stabile Korrektur als die kombinierte Operation und führt der Mm. recti mediales umso mehr, je ausgeprägter sie ist. häufiger zu spätem konsekutivem Außenschielen (im ei- Die Fadenoperation wirkt durch exponentielle Abnahme genen Krankengut 13 % nach 10 Jahren). Das Risiko steigt des Drehmoments (67, 78, 233) sowie der aktiven Muskellänge und, in höherer Dosierung durch Fesselung der Pul- erheblich, wenn 4 mm Rücklagerungsstrecke überschritten werden (317). Die beidseitige Medialisrücklagerung leys. Die Strukturen beim Austritt des Muskels aus der korrigiert andererseits den größeren Schielwinkel in der Fascia bulbi bewegen sich mit ihm nach vorn und hinten, Nähe anteilig besser (186), kann aber eine Beeinträchti- Un- gung der Adduktion hinterlassen. Sie ist ein vorzüglicher erwünschte Nebenwirkung ist häufig die Einschränkung Eingriff bei dekompensierter Esophorie und Strabismus auch der Abduktion bei der konjugierten Blickwendung, convergens im Senium. Hierbei werden Adduktion und weniger des Konvergenzvermögens. (In der Paresenchi- Konvergenz nicht beschädigt! rurgie allerdings ist diese Nebenwirkung mitunter gut zu verwenden.) Bei Erwachsenen mit variablem Schiel- Nachjustierbare Eingriffe geben langfristig keine besseren Resultate als solche mit fester Dosierung (121). In winkel ist die Fadenoperation noch möglich, wenn zu- der eigenen operativen Tätigkeit ist der Verfasser im gleich eine eindeutige Überfunktion der Adduktion in Laufe der Jahre zu der Überzeugung gekommen, dass die einem Rennrudersitz nicht unähnlich (103). 235 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. W. de Decker 236 2 Störungen des Binokularsehens chirurgisch saubere Revision am 2. Folgetag nicht wesentlich aufwändiger ist als ein Nachknüpfen in der Praxis oder am Bett. ausführt, ist zu prüfen, ob dies ohne Gefahr für die ziliare Blutversorgung verantwortet werden kann. Operationen gegen vertikale Stellungs- und Motilitätsfeh- Konkomitierende Hypertropien benötigen Rücklagerungen und Resektionen gerader Vertikalmotoren, die, ent- ler. Die häufigen A-V-Inkomitanzen lassen sich gewöhn- gegen einer verbreiteten Ansicht, die Hauptheber und lich mit Eingriffen an den schrägen Augenmuskeln gut -senker auch in Adduktion sind. Das häufige dissoziierte ausgleichen. Perfekte Korrekturen sind nicht zu erwarten, Höhenschielen ist fast immer beidseitig auslösbar, kli- wenn die Betroffenen als Träger eines frühkindlichen nisch aber nicht selten einseitig manifest. Die Fadenope- Schielsyndroms unfähig sind, kleine Restfehler durch Fu- ration am M. rectus superior ist bei einseitiger Ausprä- sion auszugleichen. V-lnkomitanzen mit Strabismus sur- gung (fester Führung des anderen Auges) ein dankbarer soadductorius operiert man durch Rücklagerung der Mm. obliqui inferiores, wenn die Vertikaldivergenz in Ad- Eingriff. Die Fälle mit alternierend beidseitiger Manifestation sind problematischer (S. 213). y duktion ihr Maximum im Aufblick hat, durch Faltungen der Mm. obliqui superiores, wenn die Störung im schrä- Revisionsoperationen gen Abblick zunimmt. Ist der horizontale Schielwinkel sierung sollte man möglichst in den ersten zwei Tagen re- im Abblick um mehr als 15h größer als im Aufblick, so er- vidieren, da der Wundheilungsverlauf dann kaum gestört zielt man durch das simultane Operieren aller vier und auch das kosmetische Ergebnis nicht beeinträchtigt Mm. obliqui auch bei Einsatz maßvoller Operationsstre- wird. Ist dies nicht möglich, so ist von der Nachoperation cken noch gute Erfolge. Bei Erwachsenen ist die höherdosierte Korrektion an den Mm. obliqui problematisch, weil in den ersten drei Monaten abzuraten, da die Gewebe noch hyperämisch sind und zur Narbenbildung neigen. die Patienten, die präoperativ ausreichend supprimieren, Mitunter ist es nötig, eine kombinierte Operation postoperativ die Verrollung oft als störend bemerken. rückgängig zu machen und bei Fortbestand der Winkel- Bei A-Inkomitanzen werden, sinngemäß, die Mm. obliqui schwankungen durch eine Fadenoperation zu ersetzen. superiores geschwächt. d. h. rückgelagert bzw. zwecks Er- Dies sollte man nicht in einer Sitzung tun, da es zu schwe- haltung der Zykloposition kornealwärts „frontalisiert” ren Paresen führen kann. Die zweimalige Revision in aus- oder, bei exzessiver A-Exoinkomitanz, einer prätrochlearen Tenektomie unterzogen (258). Seltener werden die Mm. obliqui inferiores vorgelagert. Die Eingriffe gegen reichenden Abständen ist besser verträglich und dosier- die A-lnkomitanz erfordern erhebliche chirurgische Erfah- keln vornehmen, auch wenn es beschwerlicher ist, als rung. Die Praxis, A- und V-Inkomitanzen vorzugsweise an weitere gerade Muskeln abzutrennen, da man nie weiß, den Mm. obliqui zu korrigieren, hat einen wichtigen ob nicht später im Leben erneute Nachoperationen fällig Grund auch darin, dass diese Muskeln nicht zur Blutver- werden. Stets ist daran zu denken, dass nicht beliebig sorgung des Ziliarkörpers beitragen. Die Korrektur an viele gerade Muskeln abgelöst werden dürfen. barer. Bei ausgeprägtem frühkindlichem Schielsyndrom sollte man Nachoperationen lieber an voroperierten Mus- den schrägen Augenmuskeln kann man ersetzen oder er- Nachoperationen beim Strabismus divergens sind häu- gänzen durch eine Vertikalverlagerung der Horizontalmotoren (113, 193). Solche Eingriffe allein schaffen eine Zyklotropie und sollten deshalb nur verwendet werden, fig nötig. Ein anfänglich gutes Resultat und auch ein Übereffekt werden durch die gewohnte Ausgleichsinnervation wenn kein Binokularsehen höherer Ordnung in Frage oft vorgetäuscht. Im Laufe von 1–3 Jahren tritt dann die wahre Unterkorrektion hervor (294). steht, andernfalls aber möglichst in Verbindung mit torsional kompensierender Obliquuschirurgie. Drei Empfehlungen als Beispiele für viele mögliche Botulinumtoxin Unter den acht Subtypen des Chlostri- dium botulinum erzeugt Typ A ein hochgiftiges Exotoxin, Kombinationen: ein Protein von hohem Molekulargewicht. A. B. Scott ent- n Bei V-Esotropie schafft die Faltung beider Mm. obliqui superiores eine Inzyklotropie, die Abwärtsverlagerung wickelte in jahrelanger Arbeit, zunächst im Tierversuch (292), ein heute sehr gut standardisiertes Verfahren, beider Mm. recti mediales eine Exzyklotropie. Beide durch Injektion des Toxins (durch „chemische Dener- Eingriffe addieren dann ihre Wirkung gegen die V-Inko- vation“) künstliche Augenmuskellähmungen mit einer mitanz, heben sich aber rotatorisch weitgehend auf. gewissen Dosierbarkeit zu setzen (290). Das hohe Moleku- n Sinngemäß würde man bei A-Exotropie die Mm. obliqui largewicht begrenzt, aber verhindert nicht völlig den Aus- superiores schwächen und zugleich die Mm. recti late- tritt von Toxin aus dem Muskel in die Umgebung, sodass rales nach unten verlagern. die wichtigste Nebenwirkung die meist vorübergehende n Bei Patienten mit ausgeprägter A-Lambda-Exotropie, die auch monokular oft in Abduktion nicht gut senken Lähmung auch benachbarter Muskeln ist. Am meisten soll der M. levator palpebrae betroffen sein. Schon im Sta- können, ist die beidseitige Resektion des M. rectus infe- dium der Tierversuche konnte Scott zeigen, dass dosis- rior ein hoch wirksamer Eingriff (142). Bevor man ihn abhängig und unter zusätzlichem Einsatz von Antitoxin Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Bei sofort erkennbarer Fehldo- W. de Decker Dauer zu erreichen sind. Um die Anwendung überschau- lassen der Wirkung (55). Tritt auch nur die geringste Kontraktur ein, so kann das Verfahren nicht mehr bar zu halten, entschloss er sich aber früh, eine Standardanwendung vorzuschlagen, die bis heute durchweg in Ge- greifen, während eine chirurgische Frühoperation diese Kontraktur bricht, um den Preis von viel mehr brauch ist. Häufige hohe Gaben führen schließlich zur Verläufen zur konsekutiven Exotropie. Hierüber be- postsynaptischen Degeneration, also zu einer Muskelatro- steht Konsens in der Literatur. Dieser eher optimisti- phie. schen Beurteilung steht die ernüchternde Einschät- War die Entwicklung des Verfahrens eine heroische Ar- zung eines Mannes der ersten Stunde gegenüber, beit, so bedurfte es weiterer jahrelanger Mühe, ärztlichen Aufsichtsorganen und Behörden die Genehmigung zur An- „I do not use Botox in infantile ET. Very few people do. I think the results may be too optimistic” (276). wendung abzugewinnen. Die anfangs wenigen konzessionierten Anwender mussten oft mit Schwierigkeiten bei – Schleichend eintretende konsekutive und sekundäre Exotropie (sensorischer Strabismus divergens) führen Einfuhr und Zoll ringen. offenbar nicht in dem Maße zu Kontrakturen, dass sie Heute gibt es mehrere international anerkannte Prä- der Injektionstherapie nicht zugänglich wären. In vie- parate, die man unkompliziert erwerben und halten len Arbeiten wird betont, wie dankbar diese Prozedur kann (sie sind thermolabil). Das Indikationsspektrum hat ist, dass aber andererseits eine wichtige Rolle des Ver- sich auf viele medizinische Disziplinen ausgedehnt (Neu- fahrens auch darin besteht, die Wirkung einer Opera- rologie, HNO). Dankbar ist die symptomatische Behandlung des quälenden senilen Blepharospasmus und verwandter parkinsonartiger Krankheiten. Selbst die Hyper- tion zu simulieren und damit entschlussschwache Patienten zu einer Behandlung zu motivieren (150, 337). Diese besteht in der Hälfte der Fälle in der Fort- hydrose ist dieser Behandlung zugänglich. setzung der Chemotherapie mit der Hoffnung, diese Für die Strabologie ergeben sich zwei prinzipielle würde ein bleibendes Ergebnis zeitigen oder eben in Aspekte: n Die technische Anwendung, die Injektion, den Umgang – Diesen beiden Schwerpunkten gegenüber sind alle mit dem Toxin und die Dosierung findet der Leser, der anderen Schielformen mit mehr oder weniger verfes- nicht uferlos Quellenstudium betreiben kann, in der tigter Fehlstellung allenfalls immer nur für die typi- vorzüglichen Operationslehre von Roth und SpeegSchatz (279). Es ist eine Tendenz erkennbar, die von schen 8–12 Wochen therapiefähig, sodass sich in der Literatur abzeichnet, hierin keinen Schwerpunkt den Pionieren um A. B. Scott für unabdingbar gehaltene der chirurgischen Korrektur des Schielens. der Toxinbehandlung zu sehen. Kontrolle der Nadellage mit elektromyographischer Trotz nunmehr 25-jähriger Beschäftigung mit dem Ver- Kontrolle (EMG) zu verlassen. Da ein EMG nur ohne fahren ist eine endgültige Abgrenzung von Indikation Narkose ableitbar ist, bedürfen Kinder der Sedierung und Bewertung noch nicht eingetreten. Es handelt sich mit Ketanest/Ketamin, das aber wegen seiner Angst- aber gewiss um eine der originellsten Pionierleistungen träume in Misskredit gekommen ist. Die Injektion der neueren Strabologie. unter „direkter Visualisation“ mit (55) oder ohne (28) Bindehauteröffnung, scheint wenig Komplikationen zur Folge zu haben. Eine neuentwickelte Variante des 237 Prismen Ketanest soll weniger belastend sein. n Während die Indikation in den ersten Jahren weiträu- Gebräuchlich sind prismatische Brillengläser in Kombina- mig und unscharf gestellt wurde, haben sich in den tion mit sphärischer und zylindrischer Korrektion sowie letzten Jahren zwei Schwerpunkte herausgebildet, Fresnel-Prismenfolien aus Weichplastik, die man zur Bril- Schielformen zu behandeln, die der chemischen De- lenform passend ausschneidet. Es ist wiederholt versucht nervation gut zugänglich sind. – Beim frühkindlichen Schielen im Sinne der Frühope- worden, Regeln für den präoperativen Schielwinkelausgleich mit Prismen (Kap. 3.2) aufzustellen (281, 328). ration eingesetzt, soll die einmalige Injektion in Eine sichere Beziehung zwischen sensorischen Befunden, beide Mm. recti mediales Ergebnisse liefern, die motorischem Verhalten und der Tendenz, eine prismati- knapp unter denen der beidseitigen Rücklagerung dieser Muskeln liegen (229). Offenbar liegt die Grenze sche Korrektur zu „überdrehen”, ist aber nicht erkennbar für ein wirklich gutes und bleibendes Ergebnis von tung. bis zu 80 % Stellungskorrektur beim Alter von sieben n Durch befristetes Tragenlassen von Prismen entspre- Monaten! Die Wirkung beruht offensichtlich, anders als beim chirurgischen Eingriff, auf einer kurzen arti- chend der Größe des Schielwinkels lässt sich feststellen, ob dieser stabil und damit eine kombinierte Schielope- fiziellen Divergenzstellung mit erneutem Suchlauf ration aussichtsreich ist. Dies gilt auch besonders für zum Einschnappmechanismus der Fusion beim Nach- Nachoperationen: Gelingt die Erstoperation nicht ganz (249). Folgende Anwendungen haben praktische Bedeu- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Lähmungen von sehr unterschiedlicher Schwere und 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) 238 2 Störungen des Binokularsehens genau, so kann man mit Prismen erproben, ob eine weitere Verbesserung möglich ist. Liegen normale Korrespondenz und Mikroanomalie nebeneinander vor, so lässt sich durch Prismenausgleich abschätzen, welche Sehweise voraussichtlich dominieren wird. Dabei gibt man das Prisma als Folie vor das dominierende Auge, wo es wegen seiner schlechten optischen Eigenschaften zugleich „antisuppressiv” wirkt, ähnlich der Ausschleichokklusion mit Folien nach Bangerter (26). n Durch fortlaufend nachkorrigierte Prismen mit dem Versuch, die Tendenz zur Winkelzunahme zu erschöpfen, lässt sich mitunter ein größerer und dann stabiler Schielwinkel darstellen. Diesen kann man konventionell operieren. Es muss aber bezweifelt werden, dass vierenden motorischen Fehler zu kompensieren. Die Orthoptik der 1930er-Jahre nahm keine Rücksicht auf Korrespondenz und Schielform, sondern trachtete danach, durch bifoveale Stimulation normale Funktion zu wecken. Dies geschah durch antisuppressives Schütteln am Synoptophor und verwandten haploskopischen Geräten. Man stellte sich das Schielen als Ergebnis fehlerhafter motorischer Reflexe ansonsten Gesunder vor, nach der Lehre von Chavasse, der jedoch der orthoptischen Behandlung persönlich reserviert gegenüberstand. Vielen euphorischen Beurteilungen jener Zeit steht eine nüchterne Aussage gegenüber, geheilt worden wären „zwei in England” (Eine Übersicht über die Literatur dieser interessanten Epoche findet sich in 80). Der Zweite Weltkrieg unterbrach diese letztlich unfruchtbare Entwicklung; danach wurde die funktionelle Übungsbehandlung der Anpassungserscheinungen des Schielens neu begründet. Bangerter und Cüppers wiesen neue Wege. (4, 281, 328). n Mit Prismen lässt sich eine dosierte Überkorrektur er- Pleoptische Technik Die Grundlage der Therapie von Bangerter ist das „Ausblenden”. Das hierzu nötige Instru- reichen, die unter Umständen günstig auf die Entwick- ment ist das Pleoptophor, dessen Ring- und Punktblenden lung der Korrespondenz oder besser auf die Weckung einer ebenfalls angelegten normalen Korrespondenz gestatten, die nahzentrale Peripherie mitsamt der Stelle der exzentrischen Fixation unter Aussparung der Fovea einwirken kann (3, 85). mit einem Blendungsskotom zugunsten der ausgesparten n Beim Strabismus divergens intermittens kann man Fovea abzuwerten. Gelingt es, die Fixation bzw. Aufmerk- durch stufenweise gesteigerten Prismenausgleich den samkeit auf die Fovea zurückzubringen, so schließt sich Winkel manifestieren und stabilisieren. Die nachfolgende Operation wird dann kalkulierbarer (331). Die ein umfangreiches Programm zu deren weiterer Stimulation an. Die pleoptische Therapie nach Cüppers (76, 77) sti- endgültigen Resultate sind aber nicht besser als bei muliert das foveale Sehen mit Hilfe von Nachbildern. Das Inkaufnahme einer Nachoperation bei jedem zweiten Patienten (164). Der therapeutische Aufwand beim hierfür nötige Instrument ist das Euthyskop, ein sinnreich modifizierter direkter Augenspiegel. Die Nachbilder die- „Prismenaufbau” ist keineswegs geringer, da häufige nen bei Beginn der Behandlung als Stellvertreter für Kontrollen erforderlich sind. reale Objekte. Ihre positive (Hering) und negative Phase (Hess) haben unterschiedlichen Realitätscharakter, was Orthoptische und pleoptische Schulung den Übergang zur weiteren Schulung mit realen Objekten erleichtert. Auf dem Nachbildniveau sind manche Patienten zur fovealen Fixation fähig. Die Kunst der Orthoptistin Orthoptik ist die Kunst, durch binokulare Stimulation das ist es, diese Restfähigkeit allmählich auf reale Objekte und schließlich in den freien Raum zu übertragen. Beide Ver- beidäugige Sehen zu verbessern, Pleoptik eine Technik, fahren erfordern unendlichen Fleiß, wenden sie sich bei Amblyopie die foveale Fixation zurückzugewinnen doch an kooperative Kinder ab 4–5 Jahre, bei denen die und damit die Voraussetzung für eine Visusverbesserung durch nachfolgende Okklusionsbehandlung zu schaffen. sensorische Fehlprägung weit fortgeschritten ist. Es wird deshalb heute der frühen Okklusionstherapie der Vorzug Historisch älter ist die Orthoptik, die deshalb den Fach- gegeben. Die Ansicht Bangerters (26, 27), frühe direkte Ok- kräften, die beide Behandlungsweisen ausüben, den klusion führe zur Festigung exzentrischer Fixation und sei Namen „Orthoptistinnen” gegeben hat. deshalb zu vermeiden, hat sich als unhaltbar erwiesen. Die pleoptische Behandlung hat noch ihren Sinn bei ver- Historische Entwicklung nachlässigten Patienten über 5 Jahren und immer dann, Javal (180) versuchte, durch Übungen am Stereoskop, also durch die Schulung anspruchsvoller binokularer Fähigkeiten, das Schielen zu beseitigen. Wie häufig dies geschah und wie erfolgreich seine Behandlung war, lässt sich nicht mehr feststellen. In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren die Schieloperationen noch sehr unzuverlässig (Tenotomien). Die orthoptische Behandlung sollte anfangs, vor allem durch Schulung der Fusionsbreite, die Mängel der operativen Stellungskorrektur ausgleichen. Heute wird dies bei Patienten mit frühem Schielbeginn nicht für aussichtsreich gehalten, da ihre sensorischen Fähigkeiten nicht ausreichen, die gra- wenn Eltern wünschen, dass auch bei Versagen der Okklusionsbehandlung die Amblyopie versuchsweise behandelt wird. In diesem Erwartungsrahmen ist die Behandlung nicht wirkungslos, sondern bessert in jedem zweiten Fall die Fixation und das Sehvermögen des amblyopen Auges an Snellen-Tafeln (16). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. ein so gewonnenes Gleichgewicht langfristig stabil ist W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) n Die erfolgreiche pleoptische Behandlung muss n Zu warnen ist vor der orthoptischen Behandlung stets von langjähriger intermittierender Okklusion gefolgt sein, soll ihr Ergebnis Bestand haben! von Mikrostrabismus, auch dann, wenn die Patienten nebenher NRK haben, deren Stimulation dann persistierende Diplopie hervorrufen kann. Orthoptische Schulung 239 Die orthoptische Behandlung beginnt am Synoptophor, einem Haploskop, mit dem man Nachsorge tet. Unter Ausgleich des objektiven Schielwinkels werden Auch die zweifelsfrei erfolgreiche operative und orthopti- diese Bilder unter leichtem Schütteln angeboten. Dieses sche Behandlung gibt noch keine Gewähr, dass das er- wirkt der Lokaladaption entgegen, die mit der fovealen Hemmung des nichtdominanten Auges gleichgesetzt zielte Ergebnis langfristig stabil bleibt. Eine geregelte, bis zum 15. Lebensjahr fortgeführte Nachsorge ist von wird. Diese Reiztherapie des Schüttelns kann mit festste- gleicher Wichtigkeit. Visuskonstanz des ehemals amblyo- henden Synoptophorarmen, also konjugiert, oder unter pen Auges und Stellungskonstanz als Basis für die einmal leichter disjugierter Bewegung der Arme bzw. Bilder ge- erreichten Binokularfunktionen fordern kritische Wach- geneinander ausgeführt werden. Die historisch gewor- samkeit. Dies gilt ganz besonders für alle Patienten, von dene Auffassung von Bangerter und Cüppers war, dass denen man annimmt, Heilung erreicht zu haben! kleine foveale Objekte zur Fusion angeboten werden müssen, will man nicht bloß periphere Bilddeckung einüben. Die heutige Ansicht, Defektheilung bei guter peripherer Rezidivprophylaxe der Amblyopie Mindestens die Hälfte unserer Patienten mit primärem Strabismus con- Fusion sei die obere Grenze des bei frühem Schielen Er- vergens und 10 % der wegen Strabismus divergens Behan- reichbaren, entwertet die orthoptische Schulung erheb- delten haben eine durch keine Behandlungsmaßnahme lich. Tatsächlich kann übertriebener Ehrgeiz bei der Be- beeinflussbare monokulare dominante Sehweise. Wir handlung von Kindern über 6, jedenfalls über 8 Jahren zur Diplopie führen. Häufig gelingt es, Binokularsehen sind verpflichtet, sie bis zur Präpubertät vor einem Am- am Synoptophor zu erreichen, jedoch selten, diese Fähig- Vorurteil droht dieses auch noch nach dem 8. Lebensjahr, keit dann auf das Sehen im freien Raum zu übertragen. Eine sorgfältige Indikationsstellung zur orthoptischen besonders, wenn die primäre Amblyopie schwer war. Voller Visus an Snellen-Tafeln täuscht Amblyopiefreiheit Therapie ist deshalb unerlässlich. Erfolg versprechend auch bei Patienten vor, die bei Prüfung der Lesegeschwin- sind die vorsichtige Schulung nach der Operation bei spä- digkeit mit der Stoppuhr gravierende Defekte erkennen lassen. Ratsam ist deshalb eine Fortsetzung der Teilzeit- tem Schielbeginn mit normaler Korrespondenz und die blyopierezidiv zu bewahren. Entgegen einem geläufigen Behandlung der funktionellen Konvergenzschwäche bei okklusion oder die Behandlung mit Ausschleichokklusion Jugendlichen. („Vorsichtig“ meint, dass bei verschlepptem bis zum 12. Lebensjahr. Sogenannte „Fernsehokklusion“, normosensorischen Spätschielen eine zu intensive bino- d. h. stundenweise Okklusion beim täglichen Fernsehen, kulare Stimulation die Suppression beschädigt, bevor zuverlässig fusioniert werden kann.) Die Behandlung der funktionellen Konvergenzschwäche nicht unter einer Stunde täglich, kann diese Maßnahme allenfalls ersetzen, wenn die primäre Amblyopie wenigs- richtet sich meistens gegen die geheime Leistungsverwei- werden konnte. Die Wirkung der „Fernsehokklusion” be- gerung junger Frauen mit Schul- oder Berufsversagen. ruht auf dem raschen „antisuppressiven” Wechsel der sti- Man ist eigentlich immer verpflichtet, solche Patienten mulierenden Konturen und Kontraste. Kritischer als die mit hartnäckiger Konvergenzinsuffizienz neurologisch un- Bewertung geringer Differenzen im Snellen-Visus ist die tersuchen zu lassen; fast kommt man dabei zu einem Er- Beurteilung der Lesefähigkeit, deren Rückgang nicht gebnis. Wird auch die Akkommodation verweigert, ist die Prognose sehr schlecht und die Störung ohne psychothe- ohne erneute Okklusion hingenommen werden sollte (342). Für die praktische Durchsetzung sind regelmäßige rapeutische Hilfe nicht zu beheben. Führt bei erhaltener Nachuntersuchungen unverzichtbar. Diese sollten bis Akkommodation die orthoptische Schulung nicht zum Er- zum Ende der Betreuung halbjährlich angesetzt werden. folg, so kann man mit Miniresektionen, ein- oder beidsei- Längere Terminabsprachen werden tig am M. rectus medialis fast immer eine Besserung erreichen (88). Die Wirkung aller dieser Verfahren beruht von den Eltern vergessen. zumindest teilweise auf Zuwendung und Suggestion, n Rezidivprophylaxe der Amblyopie bedeutet Kon- deren richtige Dosierung einiger Erfahrung bedarf. tens bis zu einem Visus 0,8 (Reihenoptotypen) ausgeheilt erfahrungsgemäß trollen und Behandlung (Teilzeitokklusion, Ausschleichokklusion, „Fernsehokklusion“) bis zur Pubertät! Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. jedem Auge getrennt Simultan- und Fusionsbilder anbie- 240 2 Störungen des Binokularsehens Das Gros der Fälle, deren Erwartungshorizont konsekuti- anwenden sollte, wenn die baldige operative Revision ver Mikrostrabismus ist, neigt bei unterlassener intermit- aus Gründen, die man nicht zu vertreten hat, nicht infrage tierender Okklusion nach erfolgreicher Schieloperation zum Amblyopierezidiv des nichtdominanten Auges. Die kommt. vergleichsweise selteneren Fälle mit subnormalem Binokularsehen helfen sich mitunter nach erfolgreicher Operation selbst, indem sie die Qualität ihres Binokularsehens spontan und langfristig verbessern (57, 126). So erfreulich solche Entwicklungen sind (die wenigen Literaturstellen 2.4.7 Ätiologie und Pathogenese des Strabismus convergens handelnden Augenarzt doch dringend empfohlen, das dominante Auge bis zur Pubertät regelmäßig ein bis zwei ... dass dies alles eben darum in einer Art wahr ist, weil es in Tage pro Woche zu okkludieren. Die Mehrzahl der Fälle einer Art falsch ist … wird dies brauchen und mit dieser Hilfe eine tragfähige (Aurelius Augustinus, zitiert nach Egon Friedell, Kultur- mikroanomale Interaktion ohne Amblyopierezidiv ausbil- geschichte der Neuzeit) den. Bevor man die Restokklusion (1–2 Tage pro Woche, In der Wissenschaft werden heute viele Antworten gegeben, nicht „Stunden”) absetzt, bedenke man, wie wenig sie aber keine Erklärungen. schadet! (Harald Lesch, Physiker, zitiert in „Bild der Wissenschaft“ Bewahrung der erfolgreichen Stellungskorrektur 3/2002, S. 14) In den letzten 150 Jahren sind viele Schieltheorien vor- Über die Häufigkeit der Stellungskonstanz nach der gebracht worden, oft sehr persönliche und einseitige. Die Schieloperation über mehr als 10 Jahre gibt es keine rele- weitere Entwicklung hat sie nicht völlig entwertet, son- vante Literatur. Bis zum Beweis des Gegenteils sollte man dern in den Rang von Auslösern eingereiht, die beim Dis- neuen Operationsverfahren in dieser Hinsicht nicht mehr ponierten zum Schielen führen können. Sie sind also „Pa- vertrauen als älteren und den „Erfolg” bis zur Pubertät re- thogenese“ geworden. Da sie von Augenärzten formuliert gelmäßig kontrollieren. Während die Notwendigkeit, Am- wurden, darf man sich nicht wundern, wenn diese die blyopierezidive energisch zu behandeln, den Eltern eher vermittelt werden kann, findet der Hinweis, eine allmäh- „Ursachen“ in oder nahe an den Augen suchten. Wir werden diejenigen, die noch verständnisfördernd sind, ein lich sich verschlechternde Augenstellung bedürfe der wenig „weiter unten“ betrachten. Zuvor wollen wir den Nachoperation, nur selten eine positive Aufnahme. Der ungefähren Stand der Hirnforschung einsehen (er ändert Untersucher sieht den Patienten von Zeit zu Zeit und be- sich rasch und laufend). merkt und misst den konsekutiven Schielwinkel. Die Eltern sehen das Kind ständig und übersehen dabei gern die Verschlechterung. Tiermodell n Eltern können eine langsame und kontinuierliche Bis vor wenigen Jahren galt es als erwiesen, dass außer Schielwinkelzunahme übersehen. dem Menschen die Primaten spontan nicht schielen. In den letzten Jahren ist es aber gelungen, Makakenstämme Ratsam ist die Empfehlung zur Nachoperation immer dann, zu halten, die spontan und erblich schielen. An diesen Tie- wenn man überzeugt ist, dass ren erkennt man Defekte in der Hirnrinde (318). Leider n während mehrerer Verlaufskontrollen die erneute Ab- wissen wir nicht, ob diese Defekte primär sind und Schie- weichung kontinuierlich zunimmt, n die bereits eingetretene Abweichung dem Heranwach- len verursachen („Ätiologie“) oder ob sie, wie dies seit 25 senden in der derzeitigen Größenordnung später nicht Jahren vom Corpus geniculatum laterale bekannt ist, als Folge des Nichtgebrauchs auftreten. Dies wäre dann gefallen würde. kaum einmal Pathogenese, sondern ein weiteres Schiel- Gewöhnlich ist e5h die Grenze der tolerierbaren konseku- symptom „weiter oben“. tiven Stellungsabweichung, bei deren Überschreitung man – unbedingt bei jeder Nachuntersuchung aufs neue – darauf hinweisen sollte, dass die jetzt unterlassene Bildgebung Nachkorrektur später nicht ohne Diplopiegefahr nachEin neuer Ansatz ist die „funktionelle Magnetresonanztomo- geholt werden könne. Die Abschwächung der Hyperopiekorrektion zur Kompensation einer konsekutiven Diver- graphie“ (FMRI). Hier dient das O2-arme Blut als Kontrast- genzstellung ist ein verbreitetes, aber langfristig ungeeig- mittel für die für analog gehaltene regionale Stoffwechsel- netes Mittel der Verschleierung, das man allenfalls dann aktivität im Kortex. Ausgehend von der Lokalisation epi- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. lassen die wahre Häufigkeit offen), so sehr wird dem be- W. de Decker 2.4 Heterotropie (manifester Strabismus) leptischer Herde hat man einen hirnweiten Regelkreis für das Lachen (!) gefunden (327). Im visuellen Bereich lassen die attraktiven Bilder in Falschfarben dominanzbezogene Asymmetrien erkennen. Offenbar gelingt es, ein kortikales Abbild „der“ Amblyopie zu gewinnen (7). Die aktiv am Binokularproblem Arbeitenden hoffen, dieser Zugang würde irgendwann auch klinische Einsichten in „Entwicklungsstörungen des Binokularsehens“ bringen (46). In allernächster Zeit wird dies noch nicht umfassend gelingen, weil n das Auflösungsvermögen mit ca. einem Millimeter noch nicht ausreicht, Dominanzsäulen mit maximal 0,5 mm Abstand direkt darzustellen, 241 Der schon kurz gestreifte Regelkreis des Lachens wurde entdeckt, nachdem man bei einer 13-jährigen Epileptikerin im Frontalhirn Elektroden platziert und multiple Stimulationen vorgenommen hatte. Ein umschriebenes Gebiet im supplementär motorischen Areal im linken Stirnhirn führte zum Lachen. Schließlich fand man einen ganzen Regelkreis und nahm an, das zuerst gefundene Areal sei ein motorisches Areal. Sobald es aber stimuliert wurde, fand die Patientin das dabei Erlebte auch komisch. Nicht selten beklagen Patienten nach einer TIA (temporäre ischämische Attacke) geringe motorische Ausfälle („Das linke Bein trug mich ca. drei Minuten lang nicht und ich konnte nicht gut sprechen“). Neben der zweifelsfreien motorischen Sprachhemmung besteht ebenso unabweisbar eine (sensorische!) Wortfindungsstörung. n die Aktivität so massiv ist, dass sie sich vielerorts tion wie das Binokularsehen sich ebenso wenig anato- „höheren Ortes“ beim Gesunden alles binokular ver- misch – topographisch in motorische und sensorische An- schaltet ist (14, 16), teile zergliedern lässt. n im Grunde man noch dabei ist, den „Kartenstock“ und die Formsprache der Methodik zu normieren; ohne Den halben Weg zur Aufgabe einer strikten Trennung von motorischer und sensorischer Fusion hat kürzlich diese Ordnungsarbeit können pathophysiologische Pro- Helveston (158) beschritten. Er betrachtet das Binokular- bleme nicht bearbeitet werden. sehen als einen Torbogen, die motorische Fusion als des- Wenigstens ein Ergebnis, den unvermuteten Nachweis sen Schlussstein. Sein Fehlen (Erblichkeit) oder seine Ent- von periventrikulärer Leukomalazie auch bei Innenschie- fernung (Schädigung) würden das Gewölbe zum Einsturz lenden, hat das Verfahren bereits geliefert. Für den bringen oder seine Aufrichtung unmöglich machen. Autor als interessierten Laien könnte der zeitnahe Gewinn Diese Vorstellung, die sich nur auf das frühkindliche dieser Arbeitsrichtung deshalb darin bestehen, neue Orte aufzudecken, an die bisher niemand gedacht hat, und Re- Schielsyndrom bezieht, lässt sich aber ohne Not erweitern: Weder muss es die motorische Fusion sein, noch gelkreise sichtbar zu machen, die bisher verborgen waren. nur das frühkindliche Schielsyndrom. Offenbar entsteht, Dieser Bedarf besteht insofern dringlich, als die Trennung gleich welchen Stein man wegnimmt, immer das gleiche von Sensorik und Motorik offenbar doch nicht säuberlich Schielen, in seiner Form nicht abhängig von der Ätiologie, möglich ist. sondern vom Alter beim Kollaps. Nach diesem kurzen Exkurs soll noch einmal auf die FMRI zurückgegriffen werden. Was beim Lachen gelungen Sensorische oder motorische Ätiologie? ist, nämlich für eine durchaus einfachere Funktion eine komplexe Verschaltung nachzuweisen, könnte auch beim Binokularsehen gelingen, wenn man sich nicht Die bedeutsame Kontroverse zwischen den Anhängern starr an den Versuch bindet, unbedingt scharf definierte der Fusionsmangeltheorie von Worth (338) und der Hypo- Zentren zu finden, sondern diese Vorstellung durch die these der gestörten Reflexe von Chavasse (62) ist von den na- Suche nach fluktuierenden Aktivitäten wo nicht zu erset- mengebenden Protagonisten niemals ausgefochten wor- zen, so doch zu unterstützen trachtet. den. Diese Kontroverse kann keine Partei gewinnen, weil die Wirklichkeit der Hirnorganisation einer Scheidung von motorischen und sensorischen Ursachen offenbar nicht standhält. In die Hirnkartierung des Erblichkeit des Innenschielens frühen 20. Jahrhunderts gingen mit Schwergewicht die Kopf- Eine ältere, aber nicht überholte, breit angelegte Arbeit schussverletzungen des ersten Weltkrieges ein. Ein Schuss (268) fasste zusammen, was sich immer wieder bestätigt: verursacht einen Defekt und dieser einen funktionellen Alle Innenschielformen treten sowohl sporadisch als auch Ausfall. Sobald man aber einen solchen wohl definierten familiär auf, wobei ein einheitlicher Erbgang nie heraus- Ort im Gehirn aktiv stimuliert, löst man unter Umständen gefunden werden konnte. Interessant ist, dass Mikrostra- viel mehr aus, als nach der Karte der Ausfälle zu vermuten gewesen wäre. Hierfür zwei Beispiele: bismus und Makrostrabismus in familiengenetischen Studien relativ hoch korreliert sind (218, 244, 293). Offenbar lässt sich das Modell vom fehlenden Stein auch hier unterstellen. Parks vermutet, dass die Mängel beim Mikro- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Man kann nur folgern, dass eine hochkomplexe Funk- gewissermaßen selbst zudeckt, n Stereoäquivalenzen sich nur in V1 ergeben, während 2 Störungen des Binokularsehens strabismus doch unterschwellige Faktoren in der Genese tion zum Schielen vorausgesetzt, gewiss als Auslöser des frühkindlichen Schielsyndroms darstellen. Eine ge- respektiert werden dürfen. Hier sind vor allem die wisse Stütze für diese Ansicht findet sich auch bei Lang selbst: Das quantitative Gesichtsfeld (Profilperimetrie) klinische Sorgfalt und intelligente Indikationsstellung gefragt und weniger die Schieltheorie. zeigt beim Mikrostrabismus eine Absenkung der Netz- n Weitere relevante ältere Beiträge stammen von Piper hautempfindlichkeit bis in die Peripherie, was nur bedeu- (261), der die „Schielkrankheit“ als asymmetrische Aus- ten kann, dass eben doch mehr vorliegt, als eine rein sensorische Störung der fovealen Verknüpfung (218). Erblich bildung der Motorik auffasste, sowie von Ohm (247) ist vermutlich nicht „das Schielen“, sondern die Tendenz tens und Schrägschielen auf Anomalien im Bereich der zum Verlust „eines Steines“. Hierfür spricht auch die Vestibulariskerne bezogen. Diese Arbeiten aus vergan- Zwillingsforschung: Monozygote Zwillinge sind durchaus nicht immer beide überhaupt oder gleich betroffen, wie gener, aber nicht uralter Zeit haben einen bleibenden historischen Wert, weil die Autoren die Vision eines seit Jahrzehnten immer wieder bestätigt wurde (12, 99, 155). hirnorganischen Schielsyndroms vorgelebt haben, und und von Doden (106), die die Symptome Nystagmus la- zwar in schwierigen Zeiten. Ältere Schieltheorien Anthropologischer Hintergrund Jede Schieltheorie ist in ihrer Zeit mit ätiologischem Anspruch formuliert worden. Wenn einige noch Bedeutung Ohne Zweifel hat sich der Mensch in wenigen Jahrmillionen aus pongiden Vorfahren entwickelt. Der aufrechte haben oder noch diskutiert werden, dann gerade deshalb, Gang setzte die Hände als Werkzeuge frei, wodurch das weil sie wenigstens noch pathogenetisch relevante Aus- Gehirn zu immer neuen Leistungen herausgefordert wur- sagen machen. Wir wollen sie kurz rekapitulieren. de. Mit der Hirngröße wuchs der Kopfumfang rapide. Ein n Die akkommodative Verursachung des Innenschielens (109, größerer Kopf erfordert weitere Geburtswege (ein breite- 110) ist die älteste derartige und zugleich eine für die res Becken), der aufrechte Gang aber eine geringere praktische Strabologie essenzielle Idee. Hyperopie Hüftbreite. Es leuchtet ein, dass der gleichzeitige Entwick- zwingt zum Akkommodieren und löst beim Disponierten Strabismus convergens aus. Donders hat nicht gese- lungsdruck auf beides die Risiken der Geburt erheblich erhöht hat (155). Die Evolution ist grausam: Der Ausweg aus hen, dass früher Schielbeginn mit vier bis acht Wochen, der physiologischen Risikogeburt ist einerseits die physio- dessen Existenz er vehement abstritt, zeitlich mit dem logische Frühgeburt mit der Gefahr des perinatalen Hirn- Einsetzen der Akkommodationsfähigkeit zusammen- schadens, andererseits die permanente Fruchtbarkeit, die fällt. Offenbar besteht der hoch Disponierte schon den Menschen von seinen nächsten Verwandten, den Pri- dieses Einsetzen der Konvergenzfunktion mangels maten, deutlich unterscheidet. Man denke an die enorme Einschnappmechanismus nicht. Insofern ist jeder kon- Zahl der Kinder noch im 18. und 19. Jahrhundert, von vergente Makrostrabismus auch akkommodativ mitbestimmt, wobei das Versagen der fusionalen Klammer denen nur die Hälfte überlebte. Die Geschädigten oder Disponierten waren wegen der begleitenden diskreten beim Kleinstkind zum Abbau der hierfür angelegten hirnorganischen Mängel oft nicht fähig, die ersten Lebens- hirnorganischen Strukturen führt, bei späterem Schie- jahre zu überstehen. Schielen ist ein Begleitsymptom der len zur Fehlprogrammierung (anomale Korrespondenz), neuralen Konstitution der weniger Robusten. Der gravierendste Hirnschaden der Frühgeborenen ist bei ganz spätem Schielbeginn zum Doppeltsehen. n Die Nystagmusblockierungshypothese (4), eine mit Be- offenbar die periventrikuläre Leukomalazie. Sie kommt geisterung aufgenommene Vorstellung, verwechselte im Übrigen nicht, wie vielfach angenommen wird, nur die unlösbare symptomatische Identität von Adduktionsüberschuss und geringster Nystagmus-latens-Akti- im Zusammenhang von erheblicher Frühgeburt und konstant manifestem divergentem Frühschielen vor, sondern vität mit der Fähigkeit, einen beliebigen, gewöhnlich ef- auch bei Kindern mit frühkindlichem Innenschielsyn- ferenten innervation willkürlich zu beruhigen, und zwar um drom, bei Kindern, bei denen man sonst keinen Grund zur Annahme einer Hirnverletzung gehabt hätte (252). den Preis, vorhandenes Binokularsehen aufzugeben. Es Vor diesem Hintergrund wird man nicht dialektisch zwi- ist bedauerlich, dass Cüppers, von Haus aus Neurologe, schen „ererbt“ und „erworben“ trennen können. Eine ei- den Nystagmus latens in eine Reihe mit sonstigen „ech- gene Arbeit, auf die zum Schluss hier noch einmal verwie- ten“ Nystagmusformen stellte, worauf diese Verwechslung letztlich beruhte. n Fehler in der anatomischen Ausformung der Mm. obliqui sen werden darf (182) hatte gezeigt, dass in den Familien der für hirngeschädigt gehaltenen und auch sonst beschä- (131) werden, instabiles Binokularsehen bzw. Disposi- deutlich höher war, als bei nichtselektiertem Poliklinik- Nystagmus durch Konvergenzadduktions- digten Schielenden die familiäre Belastung mit Schielen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 242 W. Haase, M. Gräf 2.5 Amblyopie krankengut. Diese hintergründige Symmachie von Erb- Die Literaturangaben zu diesem Kapitel finden Sie auf der bei- lichkeit und Schädigung bestätigt sich auch in der neues- liegenden CD-ROM. 243 ten Literatur (228). 2.5 Amblyopie 2.5.1 Definition W. Haase, M. Gräf Funktionsniveau visuell normaler Personen gleichen Alters erreicht. Das diagnostische Kriterium für die Diagnose dieser einseitigen Amblyopie besteht in einer Seitendifferenz der Sehschärfe von wiederholt mehr als einer Prinzipielle Definition Zeile. Die verminderte Sehschärfe ist das Leitsymptom Ortssinn. wird traditionell „eine Schwachsichtigkeit ohne organische Fehler oder mit einem, der nicht im Verhältnis zum Grad derselben steht“ verstanden. Diese Definition nach Bangerter (38) findet auch heute noch Anwendung. Die Terminologische Abgrenzung Liste mehr und weniger ähnlicher Definitionen ist lang Die Ursachen einer Amblyopie können im Wesentlichen (97). Von Noorden (413) beschreibt Amblyopie als „eine zwei Gruppen zugeordnet werden: durch Deprivation des Mustersehens oder gestörte binokulare Interaktion verursachte, ein- oder beidseitige Min- n Reizdeprivation führt zu einer Stimulusdeprivati- derung der Sehschärfe, für die bei der organischen Unter- onsamblyopie. Bei Reizdislokation durch retinale Bilddisparitäten infolge manifesten Schielens, Aniseikonie oder anderer Bilddisparitäten kommt es zur Suppressionsamblyopie. suchung des Auges keine Ursachen gefunden werden können und die in geeigneten Fällen durch eine Therapie reversibel ist“. Eindeutiger und ohne Einengung auf die Sehschärfe ist folgende Definition: Funktionsminderungen anderer Ursache sollten wir nicht n Amblyopie ist das Ergebnis einer gestörten Ent- als Amblyopie bezeichnen, wie beispielsweise die sog. wicklung des Sehvermögens (genauer : des Ortssinns), obwohl die neuronalen Voraussetzungen für die Entwicklung normal sind oder einmal waren. Tabak-Alkohol-Amblyopie. Ihr liegt eine nutritive Optiku- Eine Amblyopie entsteht daher fast ausschließlich im Kin- zelfall ist es dann schwierig bis unmöglich, den Anteil ab- desalter. Mit der Maturität erlischt die Gefahr, eine Am- zuschätzen, den die Amblyopie zur Sehminderung bei- blyopie zu entwickeln, nahezu vollständig. Nach Banger- trägt. Die Bezeichnungen funktionelle oder psychogene satrophie zugrunde. Allerdings kann ein organischer Defekt mit einer durch diesen Defekt ausgelösten Amblyopie kombiniert sein, die die Sehminderung verstärkt. Wir sprechen dann von relativer Amblyopie. Im Ein- ter spricht man von leichter Amblyopie bei einer Seh- Amblyopie, die gelegentlich, aber nicht nur, auf psycho- schärfe von 0,8 bis 0,4, von mittelgradiger bei einer Seh- gene Sehstörungen angewendet werden, schaffen eben- schärfe von 0,3 bis 0,1 und von hochgradiger Amblyopie falls mehr Verwirrung als Klarheit. Wir sollten sie deshalb bei einer Reduktion der Sehschärfe auf weniger als 0,1. Diese Angaben bezogen sich auf Sehschärfeprüfver- vermeiden. fahren nach dem Snellen-Prinzip. Zur Quantifizierung des Schweregrades einer Amblyopie ist nicht nur die Sehschärfe für Einzeloptotypen sondern auch eine Reihen- 2.5.2 Häufigkeit, soziale Bedeutung optotypensehschärfe oder vergleichend die Lesefähigkeit zu prüfen (36, 116, 324, 365). Die physiologische Entwicklung der Sehschärfe für Einzel- und Reihensehzeichen ist Die Angaben zur Amblyopiehäufigkeit variieren erheblich, dabei zu berücksichtigen. Im Fall einer Suppressionsamblyopie kann das bessere Auge als intraindividuelle abhängig unter anderem von der untersuchten Population, der Qualität der Untersuchung und den Amblyopiekri- Referenz dienen, obwohl bei genauer Betrachtung auch terien des Autors, was einen Vergleich erschwert bis un- das Führungsauge bei Schielamblyopie häufig nicht das möglich macht (97, 413). Nicht jeder einmalig erhobene Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Kaufmann, H.: Strabismus (ISBN 9783131297235) © 2003 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. der Diagnose einer Amblyopie. Betroffen ist der gesamte Unter Amblyopie (griech.: amblyopia = stumpfes Auge)