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Kulturkreis Boxberg-Emmertsgrund
Offene Begegnung mit der Welt des Islam
Eindrücke vom Besuch der Yavuz Sultan Selim Camii-Moschee in Rohrbach-Süd (22. Juni)
Vermutlich keiner der ca. 15 Teilnehmer ahnte zu Beginn der ausführlich kommentierten
Führung, dass seine Aufmerksamkeit für volle zwei Stunden kaum nachlassen würde. Herr
Ethem Ebrem und Frau Dilek Ibis empfingen die Gruppe in Ihrer Eigenschaft als
Dialogbeauftragte der DITIB-Moscheegemeinde.
DITIB (s.u.*) ist die größte muslimische Organisation in Deutschland. Sie fasst derzeit 881
Islam-Vereine zusammen. Alleine in Baden-Württemberg sind 139 Moscheevereine
angeschlossen. DITIB fördert stark den interreligiösen Dialog, z.B. durch Vorträge oder
gemeinsame Friedensgebete. Sie bildet regelmäßig ehrenamtliche Dialogbeauftragte aus, die
sozusagen Brücken nach innen und außen bauen sollen. Wir lernten vier türkische Frauen
kennen, die diese Ausbildung an ca. zehn Wochenenden durchlaufen, dabei auch die
Gotteshäuser anderer Religionen besuchen und das Gespräch mit diesen Gemeinden suchen.
Die Begegnung mit den anderen Religionen in Deutschland sei bislang meist an sprachlichen
Problemen gescheitert. Da es nicht genug deutschsprachig geschulte Imame gibt, griff man
bisher auf „Import-Imame“ zurück, in der Türkei ausgebildete Islam-Gelehrte ohne deutsche
Sprachkenntnisse. Man tritt dafür ein, weitere islamische Fakultäten in Deutschland
aufzubauen, um Imame zukünftig hierzulande auszubilden und dadurch den interreligiösen
Dialog zu stärken.
Bei den eher spirituellen Themen und der Beschreibung religiöser Zusammenhänge ließ Herr
Erbrem mehr Frau Ibis den Vortritt. Zunächst gab es einen Ausflug in die Geschichte: Die
Moschee in der Hatschekstraße 20 wurde in einem Gebäude errichtet, das bis 1992 als
Fabrikhalle diente und im Laufe der Jahre weiter umgestaltet wurde. Erst ab 2004 kam als
typisches Merkmal einer Moschee das Minarett hinzu. Die Moscheegemeinde in Rohrbach
umfasst 230 aktive Mitglieder und finanziert sich nur über Spenden und Beiträge. Die
Moschee ist nicht nur Ort des Gebets - fünf Mal am Tag findet das Gemeindegebet statt,
sondern auch der Begegnung und sozialer Aktivitäten. Viele muslimische Trauungen werden
in der Moschee zelebriert. Es gibt eine Teestube und Unterrichtsräume, in denen z.B.
Nachhilfestunden in Fächern wie Mathematik und Deutsch stattfinden.
Herr Ebrem vermittelte einen Überblick über den Aufbau der Moschee:
der vorgelagerte Waschraum, wo die rituelle Waschung stattfindet, die jedem Gebet
vorausgeht. Sie dient dazu, negative Energie abbauen, einen Zustand der Entspannung
herbeizuführen und auf die Begegnung mit Gott vorzubereiten. Detailliert beschrieb
Herr Ebrem den Verlauf des Rituals, z.B. mit dem dreimaligen Ausspülen von Mund
und Nase.
• der Gebetsraum
Man durchschreitet zunächst einen Vorraum, in dem Schuhregale von der
Selbstverständlichkeit künden, das man den Gebetsraum nicht mit Schuhen betritt.
Unsere Gastgeber führten vor, wie man geschickt die Schuhe auszieht und sich dabei
in einem Schritt auf den Teppich des Vorraums begibt. Der Gebetsraum mit seiner
hohen Decke und dem vollständig mit Teppich ausgelegten Boden war angenehm von
der Abendsonne erleuchtet. Der Raum vermittelte einen beeindruckend schönen und
harmonischen Gesamteindruck. Typischerweise enthält der Raum keine Bildnisse oder
Statuen. Er wirkte durch viele kunstvolle Ornamente und kalligrafische Darstellungen
(z.B. von Koranzitaten oder Segenssprüchen) an den Wänden und die in allen
Moscheen vertretenen Hauptelemente des Inventars:
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o Gebetsnische
Sie ist das wichtigste Element - spirituelles Tor zur Kaaba, dem Haus Gottes in
Mekka. Die Kaaba war ursprünglich von Abraham und dessen Sohn Ismael
errichtet worden. Von Deutschland aus ist die Gebetsnische in Richtung
Südosten ausgerichtet. Sie ist der Platz des Religionsgelehrten, der als
Vorbeter (Imam) auftritt. Der Gebetsruf soll von einem erhöhten Ort erfolgen.
In Rohrbach-Süd ist dies nicht das Minarett, sondern ein Podest im
Gebetsraum.
o Predigtkanzel
Der Religionsgelehrte predigt beim Freitagsgebet ca. 10-20 Minuten in
türkischer Sprache von der Kanzel. Das Gebet ist kurz gehalten, damit die
Gläubigen wieder rasch in den Arbeitstalltag zurückkehren können. Arabisch
kommt in der Predigt vor, wenn aus den Quellen zitiert wird. Den Text der
Predigt kann man in einer deutschen Übersetzung nachlesen, die für jedermann
ausliegt.
o Lehrstuhl
Von dort aus hält der Religionsgelehrte Vorträge auf Türkisch zu religiösen
Themen (z. B. über das Fasten). Die Vorträge vertiefen ihr Thema ausführlich
und dauern ca. 45-90 Minuten.
Die Beschreibung, dass Frauen zusammen mit den Männern im gleichen Raum beten,
erzeugte z.T. Verwunderung unter den Zuhörern, da dies manchen Darstellungen der
islamischen Religionsausübung widersprach. Tatsächlich ist es so, dass Frauen in der DITIBGemeinde auch mit den Männern gemeinsam im Bereich vor der Gebetsnische beten können,
sie tatsächlich aber die vor einigen Jahren im hinteren Teil des Raumes errichtete Empore für
ihr Gebet nutzen.
Wir erfuhren einige Einzelheiten über die fünf Säulen des Islam:
1. Das Glaubensbekenntnis
Aussprechen des Glaubens an Gott in Gegenwart von Zeugen
2. Das rituelle Gebet
Im Gegensatz zum Gebet des einzelnen Gläubigen gilt das Gebet in der
Gemeinschaft vor Gott als verdienstvoller. Das rituelle Gebet erfolgt zu
bestimmten Uhrzeiten, abhängig von Sonnenstand und Jahreszeit. Fünfmal am
Tag wird gebetet: vor Sonnenaufgang das Morgengebet (ab ca. 2.08 - 5.14 Uhr,
diese Zeiten beziehen sich auf die Sommerzeit), das Mittagsgebet in der Zeit
von ca. 13.30 - 17.30 Uhr; das Nachmittagsgebet am späten Nachmittag, nach
Sonnenuntergang das Abendgebet bis ca. 21.45 Uhr und schließlich das
Nachtgebet. Neben dem kleinen Podest, von dem aus der Rezitator die
arabischen Worte zum Gebetsruf ertönen lässt, befindet sich eine elektronische
Tafel, die aktuelle Zeitintervalle anzeigt, in denen das jeweilige Gebet erfolgen
soll.
Das wichtigste Gebet ist das Freitagsgebet: Es versammeln sich jeden Freitag
ca. 500 Besucher, man darf die Moschee aber tagsüber jederzeit zum Gebet
aufsuchen.
Jedes Gebet endet mit einer Begrüßung zur rechten und zur linken Seite, mit
der man die Engel, die einen begleiten, begrüßt. Das Gebet hat für die
Betenden u.a. eine Schutzfunktion. Die Rezitationskunst hat eine große
Tradition im Islam. Herr Ebrem führte uns beispielhaft eine rituelle Rezitation
vor, die aus einzelnen Verse oder ganze Suren bestehen kann (z.B. der
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eröffnenden Sure Al-Fātiha: „Lob gehört allein dem Herrn der Welt am Tag
der Auferstehung“). Was kunstvoll und gelungen auf uns wirkte, befand unser
Vortragender selbst als unzureichend und erklärte, dass man wirklich gute
Rezitatoren in islamischen Ländern als Künstler verehrt.
3. Das Fasten
Muslime dürfen im neunten Monat des islamischen Mondkalenders von
Morgendämmerung bis Sonnenuntergang nichts essen.
4. Die Armensteuer
Muslime sollen mindestens einmal im Jahr Arme und Bedürftige unterstützen.
5. Die Wallfahrt
Jeder Muslim soll mindestens einmal im Leben eine Wallfahrt (Haddsch) nach
Mekka unternehmen.
Frau Dilek Ibis las und erläuterte religiöse Texte aus dem Koran. Sie erklärte, dass es im
Islam keine Entsprechung zur Taufe gibt. Nach islamischer Vorstellung kommen alle
Menschen gottergeben als Muslime auf die Welt. Herr Ebrem zitierte an dieser Stelle Goethe :
"Närrisch, dass jeder in seinem Falle // Seine besondere Meinung preist! // Wenn Islam »Gott
ergeben« heißt, // In Islam leben und sterben wir alle." - [West-östlicher Divan - Hikmet
Nameh: Buch der Sprüche]. Von den vielen Auslegungsvarianten für den Koran unterstützt
die DITIB-Gemeinde in Rohrbach die Auslegung nach der Ankaraner-Schule. Diese
Perspektive berücksichtigt, dass der Koran in einem historischen Kontext offenbart wurde,
auf konkrete historische Situationen Bezug nimmt und Texte daraus nicht einen
Absolutheitsanspruch für den Umgang mit heutigen Begebenheiten begründen. Wir hörten
eine Textstelle aus dem Koran, die auf die Gleichheit von Mann und Frau vor Gott einging,
ein Zitat, das auch in die spätere Diskussion einging.
Sehr aufschlussreich waren die Erfahrungen, über die Frau Ibis aus ihrem Berufsleben als
islamische Religionslehrerin in Mannheim-Neckarstadt berichtete. Frau Ibis unterrichtet an
einer Grundschule islamische Religion in deutscher Sprache. Wie sehr dies den
interkulturellen Dialog fördert, leuchtet schnell ein, wenn wir den positiven Konsequenzen
folgen, die diese Unterrichtspraxis in die Familien und in die Gesellschaft trägt. Die
muslimischen Kinder können dadurch erstmals mit ihrer Familie, aber auch mit ihren
nichtmuslimischen Freunden über ihre Religion sprechen. Es findet ein direkter Austausch
statt wo vorher Vieles ungesagt bleiben musste. Ein solcher Unterricht könne wesentlich zur
Förderung der Integration dieser Familien in der deutschen Gesellschaft beitragen.
Eine angeregte und lang anhaltende Diskussion beschloss den Abend. Es gab Raum für
Fragen ganz konkreter Art, z.B. über das Tragen des Kopftuchs in und außerhalb der
Moschee. Zwei der angehenden Dialogbeauftragten beantworteten diese Frage ganz
persönlich, nämlich im einen Fall gehöre es für sie zur Religionsausübung allgemein dazu und
sie trage das Kopftuch auch außerhalb, die andere Frau trug das Kopftuch nur für den
Moscheebesuch. Manche Fragen holten weiter aus und wurden kontrovers diskutiert, etwa die
von unseren Gastgebern bejahte Frage, ob Christen in der Türkei die gleichen Rechte wie
muslimischen Gemeinden in Deutschland gewährt werden. Die Frage, wie es komme, dass
die im Koran ausgedrückte Gleichberechtigung von Mann und Frau in Ländern wie
Afghanistan, Irak und Iran so stark unterdrückt werde, relativierte Herr Ebrem dahingehend,
dass von den etwa 1,3 Milliarden Muslimen auf der Welt diejenigen in den genannten
Ländern nur eine Minderheit bilden; wenngleich diese Gruppe sehr im Rampenlicht stehe.
Das angesprochene frauenfeindliche Verhalten sei aber dort nur auf kulturellen Traditionen
begründet und nicht durch den Koran gerechtfertigt. Von einem sehr interessanten und
lehrreichen Abend blieb die positive und offene Atmosphäre unmittelbar im Gedächtnis. Hier
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war es jedenfalls gelungen, eine Brücke zwischen den beiden Welten zu schlagen, zwischen
denen es viele Berührungspunkte gibt und auf denen man aufbauen kann.
HD, 19-07-2010 (kdd)
*
DITIB
Türkische Abkürzung für den Dachverband *
"Diyanet Isleri Türk Islam Birligi",
Auf Deutsch:
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.
Weitere Informationen finden Sie unter www.ditib.de/.
Es folgen einige Bilder:
Die Fatiha aus einer Koranhandschrift von Hattat Aziz Efendi. Quelle: Muhittin Serin: Hattat
Aziz Efendi. Istanbul 1988, Foto aus Wikipedia.
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Die Besuchergruppe vor dem Minarett der Yavuz Sultan Selim Camii-Moschee
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Außenfassade der Yavuz Sultan Selim Camii-Moschee in Rohrbach-Süd
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DITIB-Dialogbeauftragte, momentan noch in Ausbildung
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Hr. Ethem Ebrem im Gebetsraum der Moschee, im Hintergrund die Gebetsnische, links der
Lehrstuhl.
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Hr. Ethem Ebrem im Gebetsraum der Moschee vor Gebetsnische und Kanzel.
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Hr. Ethem Ebrem im Lehrstuhl
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Frau Dilek Ibis und Herr Ethem Ebrem beantworten Besucherfragen
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Elektronische Anzeige der Gebetszeiten (mit Bezug auf Sommerzeit)
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