PDF - Biotechnologie.de

Werbung
1
Quelle: Robert-Koch-Institut
HIV und AIDS
1. HIV
Das Human Immunodeficiency Virus (HIV) gehört zu den Retroviren (Unterfamilie
Lentiviren) und infiziert in erster Linie CD4+-Zellen, d. h. T-Helfer-Zellen. Diese THelfer-Zellen spielen eine zentrale Rolle bei der Immunantwort auf Infektionen. Ein
gesunder Mensch hat 800 – 1200 T-Helfer-Zellen pro µl Blut, bei einer HIV-Infektion
nimmt diese Menge ab. Ist die TH-Zellen-Menge unter 200 TH-Zellen pro µl Blut
gesunken, wird der Patient anfällig für Infektionen und entwickelt im Vollbild die
Immunschwächekrankheit AIDS.
2
1.1.
Aufbau des HIV:
Die genetische Information des HI-Virus besteht aus einzelsträngiger RNA, jedes HIVirus enthält zwei Kopien seiner RNA in der Virushülle.
In der HIV-Hülle (envelope) sind ca. 72 Moleküle des komplexen Env-Proteins
eingebettet, bestehend aus gp120 (gp = glycoprotein) und aus einem
Transmembran-Anteil gp41. Innerhalb der Hülle ist ein Capsid, aufgebaut aus 2000
Proteinen p24. Das Capsid umgibt die zwei Einzelstränge RNA, die jeweils Kopien
der neun Virusgene enthalten. Drei HIV-Gene sind Strukturgene, die Informationen
für Strukturproteine enthalten: gag (für Kernproteine), pol (für Protease + reverse
Transkriptase + Integrase), env (für Hüllen-/Membranproteine). Drei regulatorische
Gene tat, rev und nef sowie drei Hilfsgene vif, vpr und vpu enthalten weitere
Informationen, die für eine erfolgreiche HIV-Infektion und Replikation notwendig sind.
Die virale Reverse Transkriptase schreibt die RNA in DNA um, wodurch das HIV in
das Wirtsgenom integrieren kann.
Quelle: Chemistry Pictures V3-Design
3
Es gibt verschiedene Subtypen des Virus, was zu einer genetischen Diversität
beiträgt. Aufgrund häufiger Mutationen liegt das Virus zusätzlich in vielfachen
Varianten vor. Durch die extrem hohe Mutationsrate und die schnelle Replikation (ca.
10 Milliarden Viren täglich) ohne dass die Reverse-Transkription einen ProofreadingMechanismus hat, liegen HIV-Viren in einem einzelnen infizierten Individuum in einer
größeren genetischen Diversität vor als z. B. die weltweite Diversität des Influenza A
Virus. Die hohen Mutationsraten bewirken auch, dass relativ schnell resistente VirenStämme bei antiretroviraler Behandlung selektiert werden.
1.2. Life Cycle des HIV:
Der Infektionsverlauf beginnt mit einer Anlagerung des Virus über das gp120 an den
zellulären CD4-HIV-Rezeptor, den T-Helfer-Zellen auf ihrer Oberfläche haben.
Chemokin-Rezeptoren wirken als Co-Rezeptoren (CCR5, CXCR4), die die viralen
Hüll-Glycoproteine in eine Konformation überführen, die eine Membranfusion und
damit den Eintritt des Virus in die Zelle ermöglichen. Neben den T-Helfer-Zellen
werden auch Makrophagen infiziert. Nach der Ankopplung des Virus an die
Rezeptoren fusioniert die Virushülle mit der Zellmembran, ein Prozess, an dem gp41
und Co-Faktoren beteiligt sind. Die Virus-RNA und -Proteine werden in die Zelle
freigesetzt. Die RNA wird dann von der HIV Reverse-Transkriptase in DNA
umgeschrieben, die in den Zellkern transportiert wird und mit Hilfe der HIV-Integrase
in das Genom integriert (Provirus). Diese Provirus-Gene werden danach transkribiert
(unter Kontrolle der tat-Gene), und die HIV-Proteine werden von der Wirtszelle
synthetisiert. Innerhalb der Zelle werden die langen Proteinketten des unreifen Virus
Cores von einer HIV-Protease in die einzelnen Proteine zerschnitten und erst danach
können infektiöse Viruspartikel gebildet werden. Das reife Virus „knospt“ aus der
Zellmembran, in die die viralen Hüllproteine integriert sind.
In den HIV-infizierten Zellen wird wahrscheinlich durch HIV-Proteine der
programmierte Zelltod (Apoptose) induziert.
4
Quelle: Howard Hughes Medical Institute
1.3. Auswirkungen auf das Immunsystem:
Während der HIV-Infektion wird das Immunsystem chronisch aktiviert: durch die
massive Virusproduktion in den Zellen des Immunsystems werden diese stark
aktiviert, in aktivierten TH-Zellen vermehrt sich HIV schneller. Diese Aktivierung der
TH-Zellen führt zu einer gesteigerten Apoptose und damit zu einem hohen Turnover
von TH-Zellen, deren Halbwertszeit sich auf 1,6 Tage verkürzt, was auf Dauer zu
einer Erschöpfung des Immunsystems beiträgt. Die chronische Aktivierung führt
zudem zu der Bildung verschiedener Cytokine, die zum Teil verheerende Effekte auf
den Organismus haben können. So wird der hohe TNF-alpha-Gehalt mit dem hohen
Gewichtsverlust in Verbindung gebracht, den HIV-Infizierte zum Teil haben. Die
Aktivierung führt zu einer massiven Stimulierung zytotoxischer T-Zellen und auch von
B-Zellen (und damit zu einer vermehrten Bildung von anti-HIV-Antikörpern).
Neben der unspezifischen Aktivierung werden auch große Mengen an HIVspezifischen T-Zellen aktiviert, dabei mutiert das Virus so schnell, dass es der
Immunantwort immer vorauseilt. Hinzu kommt noch, dass das HIV bevorzugt
Memory-T-Zellen infiziert, so dass nach ca. zwei Wochen ca. 90% der CD4-MemoryZellen zerstört sind. Dies ist sowohl für den Schutz vor Infektionen ein Problem, auf
die der Organismus bereits eine Immunantwort gezeigt hat, aber auch für die
Entwicklung eines möglichen Impfstoffes. Das gesamte Immunsystem gerät durch
die HIV-Infektion aus dem Gleichgewicht, Autoimmunphänomene treten auf.
5
Ist eine antiretrovirale Therapie erfolgreich, wird die pathologisch gesteigerte T-ZellTeilungsrate reduziert und nach wenigen Monaten wieder normalisiert.
Neben den direkten Folgen der HIV-Infektion wie dem Gewichtsverlust und
neurologischen Funktionsstörungen geht die HIV-Infektion mit zahlreichen
Infektionen einher – mehr als hundert opportunistische Infektionen durch Viren,
Bakterien, Pilze und Protozoen aber auch verschiedene Krebsarten werden mit AIDS
in Verbindung gebracht.
1.4. HIV Epidemie
HIV wurde im Jahr 1983 erstmals identifiziert und beschrieben. Inzwischen sind ca.
39 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert und bereits mehr als 25 Millionen
Menschen an AIDS gestorben. Es wird geschätzt, dass sich täglich 16.000
Menschen neu mit dem Virus infizieren, die meisten davon im südlichen Afrika. Die
meisten AIDS-Therapien sind für die Infizierten in den Entwicklungsländern
unerreichbar und sind zudem in ihrer Wirkung durch ihre Toxizität limitiert. Eine
völlige Heilung ist mit den bisherigen Medikamenten nicht möglich. Dies sind Gründe
für die verstärkte Forschung an neuen Medikamenten und an HIV-Impfungen. In den
Industrienationen hat die erfolgreiche Chemotherapie den Verlauf der AIDSErkrankung verändert, aber es sind weiter neue AIDS-Medikamente erforderlich, um
die Nebenwirkungen durch die Chemotherapie zu mildern und um den ständig neuen
Resistenzen des Virus entgegen zu wirken.
2. Diagnose und Behandlung von HIV-Infektionen
2.1. HIV-Diagnostik:
Es gibt prinzipiell zwei Wege HIV nachzuweisen, den direkten Virusnachweis und
den Antikörpernachweis. Der direkte Virusnachweis erfolgt über die Polymerase
Chain Reaktion (PCR) bei der Teile des Virusgenoms amplifiziert werden können. Es
ist heute möglich, die Virus-RNA quantitativ nachzuweisen. Die gegenwärtige
6
Nachweisgrenze beträgt ca. 50 Kopien per ml Plasma. Der Antikörpernachweis
erfolgt über den Nachweis von Antikörpern, die von dem Patienten gegen HIVBestandteile gebildet werden. Diese Antikörper sind über einen kurzen Zeitraum
nach der Infektion nicht nachweisbar, wodurch eine diagnostische Lücke entsteht.
Durch die hohe Mutationsrate und die schnelle Replikation der Viren treten häufig
resistente Virenstämme auf. Um die geeigneten Medikamente auswählen zu können,
werden die Resistenzen innerhalb eines Patienten vor der Behandlung bestimmt.
Es gibt zwei Sorten von Drug-resistance Tests: einen phänotypischen Test, der mit
Hilfe der PCR ein gag-pol-Fragment amplifiziert. Dieses Fragment wird in ReporterZellen überführt und auf verschiedene Medikamenten-Konzentrationen getestet. Am
häufigsten werden jedoch genotypische Tests verwendet, in denen HIV-Amplikons
sequenziert werden.
2.2. Antiretrovirale Therapie
Die ersten Medikamente, die zur Behandlung von AIDS entwickelt wurden, richteten
sich gegen das virale Enzym Reverse Transkriptase des HIV. Die Reverse
Transkriptase „schreibt“ die virale einzelsträngige RNA in doppelsträngige DNA um,
damit diese im Falle einer erfolgreichen Infektion in das Wirtszell-Genom integriert
werden kann. Zur Hemmung der Reverse Transkriptase wurden zum einen
Nukleosid-Inhibitoren zum anderen Non-Nukleosid-Inhibitoren entwickelt.
Nukleosid-Inhibitoren der Reverse Transkriptase (NRTI):
Bei den Nukleosid-Inhibitoren handelt es sich um Nukleosid-Analoga. Nukleoside
sind die „Bausteine“ aus denen das DNA-Polymer aufgebaut ist. Das Nukleosid
besteht dabei aus einer der vier Purin- (A, G) oder Pyrimidinbasen (C, T) Nglycosidisch verbunden mit der Ribose (RNA) bzw. Desoxyribose (DNA). Durch
Bindung von einer Phosphatgruppe an den Zucker entsteht ein Nukleotid. Das RNA
bzw. DNA-Molekül wird über eine Verknüpfung, eine sogenannte PhosphodiesterBindung, zwischen jeweils dem 3´-OH-Ende und dem 5´-OH-Ende des nächsten
Nukleotids verlängert. Die Analoga werden anstelle natürlicher Nukleoside von der
Reverse Transkriptase in die DNA-Kette eingebaut. Im Gegensatz zum natürlichen
7
Nukleosid hat das Analogon z. B. kein 3´-OH-Ende. Mit Fehlen des 3´-OH-Endes
kann die DNA-Kette nicht verlängert werden, d. h. es kommt zu einem
Kettenabbruch. Eine Virusvermehrung ist auf diese Weise nicht mehr möglich.
(Bsp.: Retrovir® Thymidin Analogon, Videx® Adenosin Analogon, Hivid® Pyrimidin
Analogon, Zerid® Thymidin Analogon, Epivir® Cytidin Analogon, Ziagen® Guanosin
Analogon)
Non-Nukleosid Inhibitoren der Reverse Transkriptase (NNRTI):
Bei den NNRTI handelt es sich meist um polyzyklische Komponenten, die an
verschiedenen Stellen nahe dem katalytischen Zentrum der Reverse Transkriptase
binden. Durch die Bindung wird die Aktivität des Enzyms durch mögliche
Konformationsänderungen blockiert. Gegen diese Klasse von Reverse
Transkriptase-Inhibitoren entstehen schnell Resistenzen, sie sollten daher nur in
Kombination mit anderen Medikamenten eingesetzt werden.
Bsp.: Viramune®, Rescriptor®, Sustiva®)
Es gibt darüber hinaus noch Nucleotid Inhibitoren der Reverse Transkriptase (NtRTI),
die den Umbau des Nukleosids zum Nukleotid nicht benötigen.
(Bsp.: Viread®, Preveon®)
Als weitere zugelassene Klasse von AIDS-Therapeutika wurden als besonders
potente antivirale Medikamente die Protease-Inhibitoren entwickelt:
Die Virus-Core-Proteine werden im Cytoplasma zunächst als Polyprotein gebildet
(gag-pol) und müssen von einer viralen Protease in reife funktionelle Proteine
zerschnitten werden. Protease-Inhibitoren binden an die Domäne der Protease, die
das Schneiden der Proteinketten in Proteine ermöglicht, und verhindern so, dass
reife Core-Proteine gebildet werden können. Es handelt sich bei den ProteaseInhibitoren um „Peptidomimetics“, die das virale Peptid-Substrat imitieren aber nicht
von der Protease gespalten werden können. Durch die Protease-Blockade ist eine
Entstehung reifer und damit infektiöser Viren nicht mehr möglich. Resistenzen
entstehen relativ schnell und führen bei dieser Klasse von Medikamenten häufig zu
cross-Resistenzen.
8
(Bsp.: Fortovase®, Norvir®, Crixivan®, Agenerase®, Reyataz®, Lexiva®, Aptivus®,
Kaletra®)
Aus mindestens drei der verschiedenen HIV-Medikamente wird die sogenannte
Highly Active Anti-Retroviral Therapy (HAART) zusammengestellt.
Jedes der antiviralen Medikamente kann die Viruslast reduzieren, aber nur durch die
Kombination von drei oder mehr Medikamenten kann eine dauerhafte Suppression
des Virus und ein Ausbruch resistenter Viren verhindert werden. Durch die
Kombination der anti-viralen Medikamente wird die Replikationsrate so stark
reduziert, dass auch die Mutationsrate gegen Null sinkt. Ca. 50 bis 90% der
Patienten reagieren auf eine Kombinationstherapie.
Um einen geeigneten Medikamenten-Spiegel zu gewährleisten, müssen die
Kombinationstherapien zwei bis dreimal täglich verabreicht werden.
Durch die ständig neu auftretenden Resistenzen des HIV gegen bestehende
Therapien ist es erforderlich, fortwährend neue Medikamente zur anti-retroviralen
Therapie zu entwickeln. Neben Medikamenten mit bekanntem Mechanismus aber
erhöhter Wirksamkeit werden Medikamente entwickelt, die sich gegen neue
Zielmoleküle richten:
gag-Gen:
In der Forschung befinden sich Medikamente, die sich gegen die Zink-Finger-Struktur
des gag-Proteins (HIV-Core-Protein-Gen) richten, dem Gen, das für das HIV-CoreProtein codiert.
Integrase-Inhibitor:
Ein weiteres interessantes Medikamenten-Ziel ist die Integrase: Integrase ist das
Enzym, das die Integration der umgeschriebenen viralen DNA (reverses Transkript)
in die Wirtszell-DNA vermittelt. Dies ist ein essentieller Schritt in der VirusReplikation. Potentielle Inhibitoren konnten identifiziert werden.
9
Fusions-Inhibitoren:
Es werden weiterhin Medikamente entwickelt, die die Fusion des HIV mit der
Wirtszelle, als dem ersten Schritt der Infektion, verhindern sollen. Dazu werden
sowohl Substanzen getestet, die auf das HIV-Oberflächen-Glycoprotein (gp41) zielen
als auch auf die Zytokin-Rezeptoren auf der Zelloberfläche. T-20 und T-1249 sind
Peptide, die mit der extrazellulären Komponente des gp41 korrespondieren und die
Konformationsänderung des gp41 verhindern, die zu einer erfolgreichen Fusion des
Virus mit der Zellmembran notwendig ist.
Zelloberflächenproteine CXCR4 und CCR5 sind Chemokinrezeptoren, die zusammen
mit dem CD4-Rezeptor der T-Zellen vom HI-Virus als Co-Rezeptoren genutzt
werden. Small-molecules, die an diese Rezeptoren binden oder die diese
Rezeptoren nachahmen, inhibieren in Tests die HIV-Replikation.
Ein weiteres interessantes Forschungsgebiet sind anti-sense Produkte, d. h. RNAoder DNA-Oligos, siRNA, die komplementär zu Sequenzen des Virusgenoms sind
und durch eine Bindung an Strukturen des Genoms dessen Replikation bzw. die
Transkription sterisch oder durch RNAse-Abbau verhindern können.
2.3. HIV Vakzine:
Seit Beginn der Aids-Forschung wird intensiv an der Entwicklung eines brauchbaren
HIV-Impfstoffes gearbeitet. Der Impfstoff sollte sicher und effizient sein, ein breites
Spektrum an Virus-Varianten erfassen und zu einem Langzeit-Immunschutz führen
sowohl bei der zellulären Abwehr (memory T-Zellen) als auch bei der humoralen
Abwehr (neutralisierende Antikörper). HIV-Vakzinen sind bisher zahlreich getestet
worden: ca. 100 PhaseI-Studien wurden initiiert, davon wurden nur wenige Produkte
in Phase II getestet, in Phase III befindet sich derzeit keine einzige Vakzine. Viele
verschiedene HIV-Proteine und Antigene wurden als Zielmoleküle verwendet,
zahlreiche Vektoren (DNA, Polio, Vakzinia, Salmonella, Adeno-assoziierte Viren
u.v.m.) und auch verschiedene Adjuvantien wurden getestet. Bisher ist es jedoch
nicht gelungen, eine Vakzine zu entwickeln, die einen ausreichenden Schutz vor
einer Infektion darstellt. Initiiert durch die nicht-kommerzielle „International Aids
Vaccine Initiative“ (IAVI)und unterstützt von verschiedenen Regierungen,
10
Pharmakonzernen, der Weltbank, der Bill & Melinda Gates Foundation und anderen
Stiftungen wurde die Forschung an HIV-Vakzinen weiter ausgebaut. Neben der
Entwicklung von Schutzimpfungen wird auch verstärkt an therapeutischen Impfungen
gearbeitet (d.h. nach einer Infektion können durch Impfung die Chemotherapeutika
reduziert werden). Es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass eine wirklich sichere
prophylaktische Vakzine in näherer Zukunft auf den Markt kommt.
Herunterladen