001_046_BIOsp_0108.qxd:001_046 01.02.2008 10:04 Uhr Seite 41 41 Synthetische Peptide Strukturbasiertes Design von Proteinbindungsstellen-Mimetika RAIMO FRANKE UND JUTTA EICHLER HELMHOLTZ-ZENTRUM FÜR INFEKTIONSFORSCHUNG, BRAUNSCHWEIG Das Design und die Herstellung von Molekülen, die in der Lage sind, Proteinbindungsstellen strukturell und/oder funktionell nachzuahmen, ist ein vielversprechender Ansatz zur Inhibition von Protein-Ligand-Interaktionen. Wir berichten über methodische Konzepte für die synthetische Mimikry sequenziell diskontinuierlicher Proteinbindungsstellen und deren Nutzung für das strukturbasierte Design und die Synthese von CD4-Bindungsstellen-Mimetika des HIV-1 Hüllproteins gp120. The design and generation of molecules capable of functionally mimicking the binding sites of proteins, represents a promising strategy for the modulation of protein-ligand interactions. ó Biologische Prozesse basieren auf spezifischen Bindungsereignissen, die durch molekulare Erkennung zwischen Proteinen (z. B. Rezeptoren, Antikörper, Enzyme) und ihren Liganden (z. B. Antigene, Hormone, Substrate) eingeleitet werden. Die systematische Erforschung dieser Erkennungsmechanismen auf molekularer und submolekularer Ebene ist daher ein wichtiger Beitrag zum strukturellen Verständnis von Protein-Ligand-Interaktionen. Dieses Verständnis ist eine Voraussetzung für die gezielte Beeinflussung biologischer Funktionen, die durch die entsprechenden Interaktionen vermittelt werden. Synthetische Moleküle, die aufgrund ihrer spezifischen molekularen Architektur in der Lage sind, Proteinbindungsstellen funktionell und/oder strukturell nachzuahmen, eröffnen eine aussichtsreiche Strategie für die Erforschung und das Verständnis von Pro- teinstruktur und -funktion. Neben ihrer grundsätzlichen Bedeutung für das Verständnis und die Beeinflussung von ProteinLigand-Interaktionen sind solche synthetischen Proteinmimetika auch aussichtsreiche Kandidaten für vielfältige biomedizinische Anwendungen, insbesondere die Inhibition von Protein-Ligand-Interaktionen (Abb. 1). Diskontinuierliche Proteinbindungsstellen Sequenziell kontinuierliche Proteinbindungsstellen sind in einzelnen Abschnitten der Polypeptidkette lokalisiert. Besteht eine Bindungsstelle hingegen aus zwei oder mehr Abschnitten der Polypeptidkette, die in der Primärsequenz oft weit voneinander entfernt liegen und erst durch die Proteinfaltung in räumliche Nähe gebracht werden, wird sie als sequenziell diskontinuierlich bezeichnet biologischer Effekt biologischer Effekt BIOspektrum | 01.08 | 14. Jahrgang (Abb. 2A). Während die synthetische Mimikry kontinuierlicher Proteinbindungsstellen durch einfache, lineare, synthetische Peptide methodisch seit längerem etabliert ist, stellt die Herstellung synthetischer Mimetika diskontinuierlicher Proteinbindungsstellen eine Herausforderung an die bioorganische Chemie dar, die bisher nur in Einzelfällen erfolgreich gemeistert wurde. Da jedoch eine Vielzahl biomedizinisch relevanter Proteine diskontinuierliche Bindungsstellen besitzt, ist die Etablierung einer vielseitig anwendbaren Strategie zur synthetischen Mimikry diskontinuierlicher Proteinbindungsstellen ein wichtiger Beitrag zur Erforschung und gezielten Beeinflussung von Protein-Ligand-Interaktionen mithilfe der chemischen Biologie. Für die Mimikry sequenziell diskontinuierlicher Proteinbindungsstellen haben wir ein Methodenspektrum zur Synthese gerüstgestützter Peptide entwickelt[1, 2, 3], in denen die vom Protein abgeleiteten Fragmente, die gemeinsam die Bindungsstelle bilden, nichtlinear und diskontinuierlich über ein molekulares Gerüst präsentiert werden (Abb. 2B). Diese Gerüstmoleküle sind zyklische Peptide mit unterschiedlichen Ringgrößen, die trifunktionelle Aminosäuren als ortsspezifische Anknüpfungsstellen für die Proteinfragmente sowie sogenannte spacer-Aminosäuren (-NH-(CH2)n-CO-, n = 1–6) mit unterschiedlichen Rückgratlängen enthalten. Diese Strategie ermöglicht die Herstellung einer Vielfalt strukturell unterschiedlicher gerüstgestützter Peptide und ist daher auf unterschiedliche Proteine mit strukturell verschiedenen Bindungsstellen anwendbar. So ist es möglich, durch Variation der Ringgröße der ¯ Abb. 1: Unterdrückung eines biologischen Effekts durch Inhibition der zugrunde liegenden Wechselwirkung eines Proteins (grün) mit einem Liganden (blau) durch ein Mimetikum der Proteinbindungsstelle (rot), das mit dem Protein um Bindung an den Liganden konkurriert. 001_046_BIOsp_0108.qxd:001_046 42 01.02.2008 10:04 Uhr Seite 42 WISSENSCHAFT · S P E C I A L : P RO T E I NA NA LY T I K / -AU F R E I N I G U NG ˚ Abb. 2: A, Sequenziell kontinuierliche (links) und diskontinuierliche (Mitte) Proteinbindungsstellen (rot). B, Gerüstgestütztes Peptid als synthetisches Mimetikum einer diskontinuierlichen Proteinbindungsstelle. ˚ Abb. 3: A, Ausschnitt aus der Kristallstruktur eines Komplexes von gp120 mit D1D2-CD4[6], der die Grenzfläche zwischen gp120 und CD4 zeigt. gp120-Fragmente: 424-433 (rot), 365-373 (gelb), und 454-460 (grün). CDR2-ähnliche Schleife von CD4: blau. B, Gerüstgestütztes Peptid als synthetisches Mimetikum der CD4-Bindungsstelle von HIV-1 gp120. C, Kompetition eines Mimetikums mit gp120 um Bindung an CD4 (oben) bzw. mAb b12 (unten). Gerüstmoleküle einen großen Bereich des konformationellen Raums abzudecken. Die optimale Flexibilität eines Gerüstmoleküls lässt sich dann in geeigneten Bindungsassays anhand der unterschiedlichen Affinitäten zum Liganden ermitteln. Die Peptide werden durch parallele Festphasesynthese hergestellt, wodurch eine Vielzahl unterschiedlicher Moleküle gleichzeitig synthetisiert werden kann. Darüber hinaus ist der Bausteinsatz für die chemische Peptidsynthese nicht auf die proteinogenen Aminosäuren beschränkt, sondern kann durch eine Vielzahl zusätzlicher Aminosäuren erweitert werden. Dadurch lässt sich die mögliche strukturelle Vielfalt chemisch hergestellter Peptide enorm erhöhen. Außerdem sind solche chemisch veränderten Peptide metabolisch stabiler, da die nicht proteinogenen Aminosäuren von Proteasen nicht erkannt werden. CD4-Bindungsstelle von HIV-1 gp120 Trotz intensiver Arbeiten in der klinischen und Grundlagenforschung wird die Entwicklung einer HIV-1-Vakzine nach wie vor durch Schwierigkeiten bei der Erzeugung einer breit neutralisierenden Immunantwort erschwert[4]. Das Virus umgeht das Immunsystem des Wirts, indem es variable und glykosylierte Regionen auf seiner Oberfläche exponiert, während die konservierten Bindungsstellen für seine zellulären Rezeptoren entweder verborgen sind (CD4-Bindungsstelle) oder erst nach Bindung an CD4 exponiert werden (Korezeptor-Bindungsstelle). Innovative Strategien beim ImmunogenDesign zur Lösung des Problems der neutralisierenden Antikörper sind daher ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung eines erfolgreichen HIV-1-Impfstoffs. Bisher wurden nur wenige monoklonale Antikörper gefunden, die eine Vielfalt von HIV-1-Isolaten in vitro neutralisieren sowie gegen eine Infektion in vivo schützen können. Ähnlich wie der CDR2like loop des zellulären Rezeptors CD4 erkennt die CDR-H3-Schleife eines dieser breit neutralisierenden Antikörper, mAb b12[5], die CD4-Bindungsstelle des HIV-1-Hüllproteins gp120. Das Andocken von HIV-1 gp120 an CD4 ist der erste Schritt in einer Kaskade molekularer Ereignisse, die den Eintritt des Virus in die Wirtszelle ermöglichen. Die CDRH3-Schleife von mAb b12 passt in eine vertiefte Tasche im gp120, die dessen Bindungsstelle für CD4 (CD4bs) ausmacht. Dies konnte durch Kristallstrukturanalyse und molekulares Modelling sowie durch ortsspezifische Mutagenese von gp120 gezeigt werden. Das Epitop für mAb b12 überlappt somit die CD4bs von gp120, die eine konservierte Region in diesem ansonsten hoch variablen Protein darstellt. Synthetische Mimetika der CD4bs sind daher vielversprechende Immunogen-Kandidaten zur Erzeugung von Virusneutralisierenden Antikörpern. Ausgehend von der Kristallstruktur von gp120 im Komplex mit einem extrazellulären Zweidomänenfragment von CD4[6] konnten die primären Kontaktpositionen des gp120 für seine Interaktion mit CD4 (D368, E370, W427 und D457) identifiziert werden, die in drei sequenziell voneinander entfernten Regionen von gp120 lokalisiert sind. (Abb. 3A). Mutation dieser Positionen hebt die Bindung von gp120 an CD4 auf. Unter Verwendung der oben beschriebenen Methoden wurden gerüstgestützte Peptide hergestellt, die die CD4bs-Fragmente von gp120 (424INMWQEVGKA433, 365SGGDP EIVT373 und 454LTRDGGN460) präsentieren und mit gp120 um Bindung an CD4 bzw. mAb b12 konkurrieren[7] (Abb. 3B). Diese Peptide dienten anschließend als Template für ein rationales Immunogen-Design[8]. Dieser Ansatz beruht auf der Prämisse, dass eine korrekte Präsentation der CD4bs in den synthetischen Mimetika die Erzeugung von Antikörpern ermöglicht, welche die CD4bs auch im strukturellen Kontext von viralem gp120 erkennen und somit das Virus neutralisieren können. Folglich wurden Kaninchen mit einem synthetischen Immunogen immunisiert, in dem ein CD4bs-Mimetikum über einen zusätzlichen Cysteinrest kovalent an das Trägerprotein KLH gebunden war. Die so erhaltenen polyklonalen Antiseren erkannten gp120 auf spezifische Weise, d. h. sie erkannten weder die extrazelluläre Domäne eines anderen Rezeptorglykoproteins (gp130) noch das BIOspektrum | 01.08 | 14. Jahrgang 001_046_BIOsp_0108.qxd:001_046 01.02.2008 10:04 Uhr Seite 43 entsprechende Präimmunserum, das demselben Kaninchen vor der Immunisierung entnommen wurde. Außerdem konkurrierten die Antiseren auch mit mAb b12 um Bindung an gp120, was die Anwesenheit von Antikörpern mit mAb b12-ähnlichen Bindungsspezifitäten in den Antiseren anzeigt. Das ist ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zum rationalen Design von Immunogenen, die in der Lage sind, eine breit-neutralisierende Immunantwort auszulösen. Die HIV-neutralisierende Wirkung der erhaltenen Antikörper muss allerdings noch in Infektionsassays gezeigt werden. Diese Ergebnisse veranschaulichen die Verwendbarkeit chemisch hergestellter gerüstgestützter Peptide für die Mimikry diskontinuierlicher Proteinbindungsstellen. Solche Moleküle eignen sich sowohl als Werkzeuge für die biomedizinische Forschung als auch als Ausgangspunkt für die Wirkstoffentwicklung. [2] Franke, R., Doll, C., Wray, V., Eichler, J. (2004): Loops on loops: generation of complex scaffolded peptides presenting multiple cyclic fragments. Org. Biomol. Chem. 19: 2847–2851. [3] Franke, R., Doll, C., Wray, V., Eichler, J. (2005): Peptide ligation through click chemistry for the generation of assembled and scaffolded peptides. Tetrahedron Lett. 26: 4479–4482. [4] Burton, D. R. (1997): A vaccine for HIV type 1: The antibody perspective. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 94: 10018–10023 [5] Burton, D. R., Pyati, J., Koduri, R., Sharp, S. J.,Thornton, G. B., Parren, P. W. H. I., Sawyer, L. S. W., Hendry, R. M., Dunlop, N., Nara, P. L., Lamacchia, M., Garratty, E., Stiehm, E. R., Bryson, Y. J., Cao, Y. J., Moore, J. P., Ho, D. D., Barbas, C. F. I. (1994): Efficient neutralization of primary isolates of HIV-1 by a recombinant human monoclonal antibody. Science 266: 1024–1027. [6] Kwong, P. D., Wyatt, R., Robinson, J., Sweet, R. W., Sodroski, J., Hendrickson, W. A. (1998): Structure of an HIV gp120 envelope glycoprotein in complex with the CD4 receptor and a neutralizing human antibody. Nature 393: 648–659. [7] Franke, R., Hirsch, T., Eichler, J. (2006): A rationally designed synthetic mimic of the discontinuous CD4-binding site of HIV-1 gp120. J. Recept Signal Transduct. Res. 26: 453–460. [8] Franke, R., Hirsch, T., Overwin, H., Eichler, J. (2007): Synthetic mimetics of the CD4 binding site of HIV-1 gp120 for the design of immunogens. Angew. Chem. 8: 1253–1255. Danksagung Korrespondenzadresse: Dr. Raimo Franke PD Dr. Jutta Eichler Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH Inhoffenstraße 7 D-38124 Braunschweig Tel.: 0531-6181 3110 Fax: 0531-6181 3499 [email protected] [email protected] Diese Arbeiten wurden durch das BMBFBioFuture-Programm (Projekt 0311882) gefördert. ó Literatur [1] Franke, R., Doll, C., Wray, V., Eichler, J. (2003): Solidphase synthesis of structurally diverse scaffolded peptides for the mimicry of discontinuous protein binding sites. Protein Pept. Lett. 6: 531–539. AUTOREN Raimo Franke Jutta Eichler Jahrgang 1972. Studium der Chemie an der Technischen Universität Braunschweig und der University of Reading, UK. 2006 Promotion am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig. 2006 Gruppenleiter bei Jerini Peptide Technologies GmbH (JPT), Berlin. Seit 2007 Wissenschaftler in der Abteilung Chemische Biologie des HZI in Braunschweig. Jahrgang 1961. Studium der Pharmazie an der Universität Greifswald, 1991 Promotion an der HU Berlin. 1991–1998 Postdoc, Research Scientist und Assistant Member am Torrey Pines Institute for Molecular Studies in San Diego, USA. 1998– 1999 Director of Combinatorial Chemistry, Graffinity Pharmaceutical Design GmbH, Heidelberg. Seit 2000 am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig, seit 2001 dort Arbeitsgruppenleiterin. 2004 Habilitation an der TU Braunschweig. BIOspektrum | 01.08 | 14. Jahrgang