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29. August 2014
Roberto Prosseda ist einer der grossen Pianisten unserer Zeit – und noch viel
mehr: Er tritt mit Robotern und Rock-Bands auf, in grossen Konzerthallen, aber
auch in Krankenhäusern und Gefängnissen. Er baut längst vergessene
Instrumente nach und erregte mit der Entdeckung und Uraufführung teils
unbekannter Mendelssohn-Klavierwerke international Aufmerksamkeit
Interview
MAGAZIN
EIN KLAVIERVIRTUOSE IM KAMPF
GEGEN LEID UND LANGEWEILE
von Claudia Magerl
Maestro Prosseda, wann waren Sie zum letzten Mal in der Schweiz?
Beim Montebello-Festival im Juli, nunmehr zum
vierten Mal. Im Januar habe ich in Lugano am
Pedalflügel ein Konzert mit der Orchestra della
Svizzera Italiana gegeben und eine neue CD aufgenommen.
Sie sind schon in vielen ganz grossen Konzerthallen aufgetreten. Wie fühlen Sie sich an
einem so kleinen Auftrittsort wie Burg Montebello?
Wohler als in den grossen! In Montebello habe
ich einen viel besseren Kontakt mit dem Publikum. Durch die Nähe können die Menschen im
Auditorium selbst die leisesten Töne hören, die
in grossen Hallen verloren gehen. So ist ein
grosses Ausdrucksniveau möglich.
Sie sind Mendelssohn-Spezialist. Was gefällt
Ihnen so an seiner Musik?
Mendelssohn vereint Lyrismus und Formalismus. Seine Musik ist immer ehrlich. Er ist ein
Meister grossen Ausdrucks, aber nie übertrieben. Man braucht allerdings viel Liebe zum Detail. Schumann, Liszt oder Chopin zum Beispiel
sind einfacher zu interpretieren.
Vielen Künstlern genügt es, sich allein auf ihre Musik zu konzentrieren. Ihnen nicht. Sie
zeigen auch Forscherdrang, manchmal fast
kriminalistische Züge, etwa wenn Sie nach
unbekannten Mendelssohn-Stücken forschen
oder beim Neubau des fast vergessenen Pedalflügels. Was reizt Sie an solchen zusätzlichen, aussergewöhnlichen Unternehmungen?
Es ist immer das gleiche Motiv: Ein Musiker hat
die Aufgabe, den Menschen Erfahrungen zu
vermitteln, die sie nicht haben: starke, aber ehrliche Emotionen, intensiv und immer neu. Es
gibt faszinierende Dinge zu entdecken, wie etwa die unbekannten Mendelssohn-Stücke, die
rund 200 Jahre alt sind, um sie dann dem Publikum zu offerieren. Solche Entdeckungen sollen
neue Stimulanzen darstellen, um der Langeweile der Zuhörer entgegenzutreten, denn die ist ein
echtes Problem. Als Musiker sollte man sich
überlegen: Wie bringe ich das Publikum dazu,
mit der Musik mitzufühlen? Es ist unglaublich,
wie viele Pianisten es gibt, die alle gleich spielen, als gäbe es ein Gleichheitsgesetz, das sie
einhalten müssten.
Ihr bislang exotischster Konzertpartner war
wohl der Klavierroboter Teotronico. Obwohl
er sich immer ein bisschen arrogant gibt,
scheinen Sie bei Ihren gemeinsamen Auftritten stets grossen Spass zu haben. Warum begannen Sie, mit ihm zusammenzuarbeiten?
Wie war das? Werden Sie auch weiterhin gemeinsam auftreten?
Für mich ist es von grundlegender Wichtigkeit,
das Publikum effektiv zu erreichen. Ich glaube,
dass 99 Prozent der Menschen nicht ins Kammerkonzert kommen, weil sie Angst haben sich
zu langweilen. Mit Teo kann man Interesse
wecken. Mit ihm kann ich Zuhörlektionen über
die Verschiedenartigkeit unserer Interpretationen machen. Die Zuhörer merken, dass ein Roboter zwar jede Note perfekt spielt, dass die Interpretation eines Menschen aber nuanciert ist
und dadurch ganz andere Gefühle weckt. Und,
ja, wir treten auch weiterhin zusammen auf, bei
einem Konzert im September, danach bei einer
Tournee in der Türkei und in den USA.
Hätten Sie gerne 53 Finger wie Teo, um noch
besser spielen zu können?
Nein! (Lacht) Mit genügen meine zehn. Damit
kann ich weitaus mehr Nuancen schaffen als
Perfektion trifft Emotion: Musikroboter Teotronico und Pianist Prosseda sind nicht immer ein harmonisches, stets aber ein unterhaltsames Gespann
Teo das mit seinen 53 schafft.
Was ist seine grösste Schwäche?
Er hat keine Emotionen und kann sie daher auch
nicht teilen.
Mögen Sie nur Kammermusik oder auch andere Stilrichtungen?
Ich mag und höre so gut wie alle Musikrichtungen: Oper, Symphonie, Jazz, Filmmusik, auch
Pop. Ich bin auch nicht gegen elektronische Instrumente. Es kommt nur darauf an, was dahinter
steckt, auf die Kreativität. Es muss gute, ehrliche
Musik sein, die intensive Emotionen weckt.
Dann ist sie gut. Auf das Genre lege ich nicht
sonderlich viel Wert.
Wovon träumen Sie als Mensch, wenn Sie an
die Zukunft denken?
Natürlich will ich glücklich sein, aber mehr noch
träume ich davon, andere glücklich zu machen.
Ich träume davon, die Musik zu benutzen, um sie
in den Dienst anderer zu stellen, um die Bezie-
hungen zwischen den Menschen zu verbessern.
So wie Töne immer in Beziehung zueinander stehen, stehen auch die Menschen miteinander in
Beziehung. So hat jedes Gefühl mit dem anderer
zu tun. Die Musik kann Dinge vermitteln wie
vielleicht kein anderes Medium. Musik kann helfen, durch Gefühle Beziehungen zu knüpfen.
Und was wünschen Sie sich als Musiker?
Früher träumte ich vom grossen Ruhm. Heute
aber finde ich zum Beispiel Glück darin, nach
meinen Konzerten heim zu meiner Familie zurückzukehren. Ausserdem möchte ich die Musik
aus dem Konzertsaal rausbringen, hinein in
Schulen, Gefängnisse, sozialen Einrichtungen.
So nehme ich an dem Projekt “Donatori di musica”* teil. Das ist ein Netzwerk aus Musikern,
Ärzten und Freiwilligen, die Live-Musik etwa in
die Krankenhäuser bringen. Mit solchen Auftritten versuche ich das Leiden, den Aufenthalt, die
Konfrontation etwa mit Krebs zu lindern. Ich habe dabei oft festgestellt, dass es die Kranken
nicht interessiert, ob ich berühmt bin oder nicht.
Wir sollten also unser Ego vergessen, vielmehr
mit anderen teilen. Ich versuche daher, durch
meine Musik Glück zu bringen. Wir leben heute
sehr oberflächlich. So ist auch die Musik nicht
dazu da, reich und berühmt zu werden. Wichtig
im Leben ist, auch mal Frieden zu finden, sich
zum Beispiel mal die Ruhe zu nehmen, einander
in die Augen zu schauen. Hier in der Schweiz
nehme ich mir gern Zeit, die Berge anzuschauen,
den Anblick zu geniessen. Das ist wahrer Reichtum!
Was raten Sie der musikalischen Jugend?
Gibt es denn unmusikalische Jugendliche? Die
Musik gehört doch allen! Wir alle sind Musik.
Wichtig ist es, das Herz zu öffnen um zu hören.
So versteht man die anderen. Wenn wir offen
sind zuzuhören, können wir immer eine Lösung
für unsere Probleme finden, auch für solche wie
Rassismus oder Kriege. Aber wir hören einfach
nicht zu! Gute Musik kann da ansetzen.
*Infos unter www.donatoridimusica.it
Info
Prosseda wann und wo?
Neue Perspektiven sind sein Fach
Egal wo das Piano steht – Hauptsache, es bringt Freude
Sonntag, 31. August, Festival “Le altre note”,
Piano-Duett mit Alessandra Ammara, Valdidendro (Provinz Sondrio, Lombardei), Infos:
www.touringclub.it/evento/festival-lealtrenote,
Eintritt frei.
Donnerstag, 11. September, Kammermusikfestival Asolo Musica, “Bianchi, Rossini e Verdi” –
eine Reise durch die Geschichte der klassischen italienischen Musik mit der preisgekrönten Rockband “Elio e le Storie Tese”, Asolo
(Provinz Treviso, Venetien), Informationen unter:
www.asolomusica.com.
Mittwoch, 24. September, Torino Spiritualità,
Projekt mit dem Schauspieler Toni Servillo,
Turin, ab 10. September Vorverkauf unter
www.torinospiritualita.org.
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