17.2 Die Signalverarbeitung in der Retina

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17 Visuelles System Die Signalverarbeitung in der Retina 323
erweiterung mit Mydriatika (Sympathomimetika
17.2.1 Überblick und Funktion
oder Parasympatholytika) zur Beurteilung des Augen-
Die Retina (Netzhaut) ist entwicklungsgeschichtlich
hintergrunds möglichst verzichten. Da eine Pupillenverengung zur Erweiterung des Kammerwinkels und
ein Teil des Diencephalons und besteht aus einem
lichtempfindlichen Teil (Pars optica) sowie einem
so zum besseren Abfluss des Kammerwassers führt,
lichtunempfindlichen Teil (Pars caeca mit Pars iridica
werden therapeutisch beim Glaukom Miotika verab-
und Pars ciliaris) (Abb. 17.4.). Ihr Sinnesepithel bietet
reicht (z. B. Parasympathomimetika wie Pilocarpin).
die anatomische Voraussetzung für die Sinnesfunksetzung von elektromagnetischen Wellen in Memb-
Die Tränenflüssigkeit wird in den Tränendrüsen (Gl.
ranpotenziale, als auch die ersten neuronalen Verar-
lacrimalis) als Ultrafiltrat des Blutes gebildet und
durch den regelmäßigen Lidschlag über die Hornhaut
beitungsprozesse der optischen Information. Die optischen Signale werden in den Photosensoren, den
Stäbchen und Zapfen, erfasst.
(Kornea) verteilt. Sie schützt die Kornea vor Austrocknung und schwemmt Staubteilchen und andere Substanzen weg. Zudem enthält sie sekretorisches IgA zur
17.2.2 Der Aufbau der Netzhaut
Erregerabwehr. Die Tränenflüssigkeit ist leicht hyper-
Bei Betrachtung der Schichten von außen nach innen
ton (salziger Geschmack) mit einem höheren Kalium-
ist die Netzhaut folgendermaßen aufgebaut:
und niedrigeren Natriumgehalt als das Blutplasma.
Pigmentzellschicht
Fremdkörper im Auge reizen über mechano- und
nozizeptive Endigungen in Hornhaut und Bindehaut
Photosensoren (Zapfen und Stäbchen)
Horizontalzellen
den N. trigeminus (V. Hirnnerv), der so über das Ggl.
Bipolarzellen
pterygopalatinum und parasympathische Fasern die
amakrine Zellen
Tränensekretion steigert.
Ganglienzellen (die Axone der Ganglienzellen bilden den N. opticus).
✔
✔
Check-up
Die Außenglieder der Photosensoren ragen in das Pig-
Wiederholen Sie die Fehlsichtigkeiten,
ihre Pathophysiologie und wie man sie
korrigieren kann.
Machen Sie sich nochmals klar, wie die Pupille
auf Lichteinfall reagiert und durch welche
Pharmaka eine Pupillenerweiterung erreicht
werden kann.
mentepithel, das die Innenseite des Bulbus auskleidet,
hinein und werden ständig regeneriert (s. u.). Das Pigmentepithel hat u. a. die Aufgabe, die abgestoßenen,
alten Membranscheibchen aus den Außengliedern
zu phagozytieren. Bevor das Licht die Photosensoren
erreicht, muss es zunächst mehrere Zellschichten
(Horizontalzellen, Bipolarzellen, amakrine Zellen
und Ganglienzellen) durchdringen.
17.2 Die Signalverarbeitung in der
Retina
Lerncoach
Die Umsetzung eines optischen Reizes in
ein elektrisches Signal (Aktionspotenzial) ist
in der Retina mit einer Reihe komplizierter
Sensorprozesse verbunden, deren Ablauf Sie
sich Schritt für Schritt klarmachen sollten.
Beachten Sie dabei, dass die Photosensoren
des Auges anders als die meisten anderen
Zellen auf einen adäquaten Reiz mit einer
Hyperpolarisation reagieren.
Die elektrische Information wird dem Lichteinfall entgegen weitergegeben: die Innenglieder der Photosensoren bilden Synapsen mit den Bipolarzellen, die wiederum mit den Ganglienzellen in Verbindung stehen.
Dabei kommt es zu einer Konvergenz, d. h. viele Photosensoren verschalten auf mehrere Bipolarzellen, die
ihre Information an noch weniger Ganglienzellen
weitergeben. Außerdem bestehen auf horizontaler
Ebene Querverknüpfungen über inhibitorische Neurone: die Horizontalzellen verschalten die Photosensoren untereinander, die amakrinen Zellen die Ganglienzellen. Auf diese Weise kann ein Teil der optischen
Information bereits im Auge verarbeitet werden.
Erst in den Axonen der Ganglienzellen entstehen Aktionspotenziale, wohingegen die übrigen retinalen
17
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tion des Sehens. In der Retina erfolgen sowohl die Um-
17.1.8 Die Tränenflüssigkeit
324 Die Signalverarbeitung in der Retina 17 Visuelles System
ein Zilium miteinander verbunden. In den Stäbchenaußengliedern sind etwa 1000 geldrollenförmig angeordnete Membranscheibchen enthalten, bei den
Zapfen findet man funktionell gleichwertige Einfaltungen der Zellmembran. In den Membranscheibchen
befindet sich der Sehfarbstoff.
Das Verhältnis von Zapfen : Stäbchen beträgt etwa
1 : 20, allerdings ist die Verteilung sehr unterschiedlich: in der Fovea centralis findet man ausschließlich
Zapfen, im Randbereich der Netzhaut nur Stäbchen.
Die etwa 6 Millionen Zapfen der Retina eines Auges
befinden sich im Bereich der Fovea centralis und angrenzender zentraler Retinabezirke. Durch ihre enge
Verschaltung mit den Ganglien-Zellen (in der Fovea
centralis bis zu 1:1-Verschaltung) ermöglichen sie
eine besonders gute Auflösung.
Die Zapfen enthalten jeweils einen von drei möglichen Sehfarbstoffen (Zapfen-Opsine), deren Absorptionsmaximum für Licht in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen liegt. Der eigentliche Farbeindruck
ergibt sich aus der Summe der Erregung der drei Zapfensorten.
Abb. 17.4 Aufbau der Retina (blau = Ganglienzelle mit ihrem
rezeptiven Feld) (nach Lang)
Die Stäbchen
Die etwa 120 Millionen Stäbchen sind in der Netzhautperipherie lokalisiert (am dichtesten 30° rings
17
Neurone ihre Information elektrotonisch und über
um die Fovea centralis). In der Fovea centralis selbst
chemische Synapsen weitergeben (s. S. 233). Die
gibt es keine Stäbchen. Stäbchen sind lichtempfindli-
Axone der Ganglienzellen bilden die innerste Schicht
cher als Zapfen und ermöglichen daher auch bei
der Retina und verlassen den Bulbus gemeinsam an
schwachem
der Papilla n. optici, im Gesichtsfeld resultiert so der
Sehen“), können aber keine Farben unterscheiden.
Licht einen
Seh-Eindruck
(„Nacht-
„blinde Fleck“ (s. S. 333).
Der Sehfarbstoff der Stäbchen ist das Rhodopsin, sein
17.2.2.1 Die Photosensoren
Absorptionsmaximum liegt bei ca. 500 nm und damit
zwischen dem der Blau- und Grün-Zapfen. Licht aus
Die Retina besitzt zwei unterschiedliche Arten von
diesem Wellenlängenbereich (Blau-Töne) wird daher
Photosensoren: die Zapfen für das photopische
beim skotopischen Sehen heller wahrgenommen als
Sehen (Sehen bei Tageslicht, Farbensehen) und die
Stäbchen für das skotopische Sehen (Nacht-Sehen,
Schwarz-Weiß-Sehen). Ihnen gemeinsam ist das Vorhandensein von Sehpigmenten, deren chemische
Konfiguration sich bei Lichteinfall in einer photochemischen Reaktion verändert und so den Signalprozess
in Gang setzt (s. u.).
Stäbchen und Zapfen bestehen aus den erneuerungsfähigen Außensegmenten und den permanenten Innensegmenten. Außen- und Innensegment sind über
Licht anderer Wellenlängen (z. B. Rot-Töne) (Purkinje-Erscheinung).
17.2.3 Die Signaltransduktion
in den Photosensoren
Anders als die meisten anderen Körperzellen sind die
Photosensoren unter Ruhebedingungen relativ stark
depolarisiert (Ruhemembranpotenzial ca. –30 mV).
Grund dafür ist die im Dunkeln verhältnismäßig
hohe Na+- und Ca2+-Leitfähigkeit, die durch geöffnete,
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Die Zapfen
cGMP-abhängige Na+-Ca2+-Kanäle bedingt ist und das
Meta-Rhodopsin II stimuliert seinerseits das G-Pro-
Membranpotenzial in Richtung Na+- und Ca2+-Gleich-
tein Transducin. Transducin aktiviert eine Phospho-
gewichtspotenzial verschiebt (vgl. S. 10).
Ein Lichtreiz führt über das Schließen dieser Kanäle
diesterase, die cGMP zu GMP hydrolysiert. Die Abnahme der cGMP-Konzentration bewirkt eine Schlie-
zu einer Hyperpolarisation, dadurch verringert sich
ßung der cGMP-abhängigen Kationenkanäle. Die da-
die Freisetzung von Transmitter (Glutamat) an den Sy-
raus resultierende Abnahme der Na+- und Ca2+-Leit-
napsen und in den nachgeschalteten Bipolar- und Ho-
fähigkeit führt zu einer Hyperpolarisation der Stäb-
rizontalzellen kommt es zu einer Potenzialänderung.
chenzelle, weil nun, wie in anderen Körperzellen,
Die Ganglienzellen setzen schließlich das Sensorpo-
der Einfluss der K+-Leitfähigkeit auf das Membranpo-
tenzial in eine entsprechende AP-Frequenz um,
tenzial überwiegt. Die Hyperpolarisation der Zelle
deren Höhe mit dem Anstieg der Hyperpolarisation
korreliert.
hemmt die Ausschüttung des Transmitters Glutamat
an die Bipolarzellen und beeinflusst so die Potenziale
der nachgeschalteten Neurone.
MERKE
Beendet wird diese Lichtreaktion durch die Neusyn-
Anders als die meisten anderen erregbaren Zellen
reagieren Photosensoren auf einen adäquaten Reiz
mit einer Hyperpolarisation (nicht mit einer Depolarisation).
these von cGMP: durch die Schließung der Na+-Ca2
-Kanäle sinkt der intrazelluläre Ca2+-Gehalt. Dadurch
+
wird eine Ca2+-empfindliche Guanylatzyklase enthemmt, die nun verstärkt cGMP produziert. Durch
Die Außenglieder der Stäbchen enthalten Scheibchen
das cGMP können die Na+-Ca2+-Kanäle wieder geöffnet werden, der Na+-Ca2+-Dunkelstrom setzt wieder
mit dem Sehfarbstoff Rhodopsin, der aus Opsin (Pro-
ein und die Zelle depolarisiert, bis sie ihr normales
teinkomponente)
Dunkelpotenzial wieder erreicht hat.
und
11-cis-Retinal
(Vit.-A-Ab-
kömmling) besteht. Die durch einen Lichtreiz ausge-
Das All-trans-Retinal wandert in das Pigmentepithel
löste photochemische Reaktion mit Isomerisierung
und wird dort enzymatisch in mehreren Schritten
des 11-cis-Retinals setzt die Signalkaskade in Gang:
wieder zu 11-cis-Retinal umgewandelt. Anschließend
Die Belichtung des Sehfarbstoffs führt zu einer Kon-
gelangt es zurück in die Sensorzelle und verbindet
formationsänderung des 11-cis-Retinals. Durch Umlagerung einer Molekülbindung entsteht das gestreckte
sich dort mit Opsin erneut zu Rhodopsin.
Die Signaltransduktion in den Zapfen verläuft ähnlich
Molekül All-trans-Retinal und das Rhodopsin wandelt
wie in den Stäbchen, statt Rhodopsin kommen jedoch
sich über mehrere schnelle Zwischenschritte in Meta-
die Zapfen-Opsine mit ihrer unterschiedlichen spekt-
Rhodopsin II um (Abb. 17.5).
ralen Empfindlichkeit zum Einsatz (s. o.).
Abb. 17.5 Signaltransduktion in
den Photorezeptoren
(nach Silbernagl/Despopoulos)
17
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17 Visuelles System Die Signalverarbeitung in der Retina 325
17.2.4 Die neuronalen
Verarbeitungsprozesse in der Retina
17.2.4.1 Die Ganglienzellen
Die Retina eines Auges besitzt etwa 130 Millionen
Photosensor-Zellen, aber nur ca. 1 Million Ganglienzellen. Die Information muss also schon auf retinaler
Ebene gebündelt werden. Dies geschieht, indem viele
Sensorzellen auf mehrere Bipolarzellen verschalten,
die ihre Signale wiederum an eine Ganglienzelle weitergeben. Die Information aus einem Netzhautareal
mit mehreren Sensoren läuft also in einer Ganglienzelle zusammen (Signalkonvergenz).
Auch eine Signaldivergenz findet in der Netzhaut
statt, wenn eine Bipolarzelle nicht nur mit einer, sondern mit mehreren Ganglienzellen Synapsen bildet.
Insgesamt überwiegt jedoch bei weitem die Konvergenz.
Die Ganglienzelltypen
empfindlichkeit im entsprechenden Bereich. Ein kleines rezeptives Feld hat den Vorteil, dass der Lichteinfall genau lokalisiert werden kann: wäre das Licht nur
ein klein wenig mehr nach rechts oder links gefallen,
hätte es bereits ein anderes rezeptives Feld getroffen
und eine andere Ganglienzelle erregt oder gehemmt.
Dagegen verschalten bei einem großen rezeptiven
Feld, das viele Sensoren umfasst, auch die Sensoren
rechts und links noch auf dieselbe Ganglienzelle, so
dass man anhand der Potenzialänderung dieser Ganglienzelle das beleuchtete Gebiet nicht so genau bestimmen kann.
Bei der Lichtempfindlichkeit verhält es sich umgekehrt: Während bei schwachem Licht die Erregung einiger weniger Sensorzellen nicht ausreicht, um eine
Potenzialänderung in der Ganglienzelle zu erreichen,
ist durch die Summation vieler, auch schwacher Reize,
doch noch eine Potenzialänderung der Ganglienzelle
möglich.
Die Retina enthält drei Ganglienzelltypen zur Erfassung des visuellen Gesamteindrucks. Die großen α-
MERKE
(Y-)Zellen (magnozelluläres System) machen etwa
net sind. Bei den zugehörigen Photosensoren handelt
Kleine rezeptive Felder haben ein gutes Auflösungsvermögen auf Kosten der Lichtempfindlichkeit,
große rezeptive Felder dagegen eine gute Lichtempfindlichkeit, dafür aber ein schlechtes Auflösungsvermögen.
es sich hauptsächlich um Stäbchen, sie können daher
keinen Farbeindruck vermitteln.
Aus diesem Grund findet man auch dort, wo eine gute
Ca. 80 % der retinalen Ganglienzellen sind kleine
Auflösung besonders wichtig ist (Fovea centralis),
β-(X-)Zellen (parvozelluläres System), die die Auf-
sehr kleine rezeptive Felder (bis zu 1:1-Verschaltung
gabe haben, Farbe und Gestalt wahrzunehmen. Sie
zwischen Sensor- und Ganglienzelle!) und dort, wo
besitzen kleine rezeptive Felder und dünnere Axone,
insbesondere eine hohe Lichtempfindlichkeit erreicht
die Leitungsgeschwindigkeit ist entsprechend etwas
werden soll (Peripherie), große rezeptive Felder.
10 % der retinalen Ganglienzellen aus. Sie besitzen
schnell leitende Axone, die besonders zur Erfassung
von Bewegung und Entfernung von Objekten geeig-
17
geringer.
Die γ-(W-)Zellen (koniozelluläres System) dienen
der Steuerung der Pupillomotorik und reflektorischer
On-/Off-Zentrums-Neurone
Augenbewegungen. Während die α- und β-Zellen in
larisation oder eine Hyperpolarisation der zugehöri-
die primäre Sehrinde projizieren, ziehen die dünnen,
gen Ganglienzelle zur Folge haben. Rezeptive Felder
markarmen Axone der γ-Zellen ins Mittelhirn.
Die Belichtung eines Netzhautareals kann eine Depo-
haben eine kreisförmige Gestalt, dabei liegen einige
Sensoren im Zentrum, andere am Rand dieser Fläche.
17.2.4.2 Die rezeptiven Felder
V. a. durch die laterale Verschaltung über die Horizon-
Als rezeptives Feld eines visuellen Neurons bezeich-
talzellen kommt es zu einer gegensätzlichen Reaktion
net man den Netzhautbereich, dessen Reizung zu
einer Aktivitätsänderung dieses Neurons führt. Für
der Ganglienzelle, je nachdem, ob nur das Zentrum
oder die Peripherie beleuchtet wird:
eine Ganglienzelle z. B. umfasst dieser Bereich die Ge-
On-Zentrums-Neurone: Werden die Photorezeptoren im Zentrum der On-Zentrums-Ganglienzelle beleuchtet, geht sie in den „On-Zustand“
über, d. h. die Ganglienzelle depolarisiert und er-
samtheit aller Photosensoren, die auf eine Ganglienzelle verschalten. Die Größe der rezeptiven Felder hat
Einfluss auf das Auflösungsvermögen und die Licht-
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326 Die Signalverarbeitung in der Retina 17 Visuelles System
17 Visuelles System Die Signalverarbeitung in der Retina 327
quenz). Die Belichtung der Photorezeptoren der
17.2.4.3 Die Anpassung des Auges
an unterschiedliche Lichtverhältnisse
Peripherie hat den gegenteiligen Effekt, es
kommt zu einer Hyperpolarisation mit Abnahme
Das Auge ist in der Lage, sich an Lichtreize von ganz
unterschiedlicher Leuchtdichte anzupassen und sie
der AP-Frequenz. Wird das gesamte rezeptive
wahrzunehmen. Die Anpassung des Auges an die je-
ihre
Aktionspotenzialfrequenz
(AP-Fre-
Feld belichtet, so kommt es ebenfalls zu einer Erhö-
weilige Leuchtdichte nennt man Adaptation. Dieser
hung der AP-Frequenz, allerdings fällt diese gerin-
Vorgang nimmt etwas Zeit in Anspruch: kommt
ger aus als bei alleiniger Belichtung des Zentrums.
man beispielsweise aus dem Sonnenlicht in ein abge-
Off-Zentrums-Neurone: Die Off-Zentrums-Neurone reagieren genau umgekehrt. Die AP-Frequenz
der Ganglienzelle nimmt bei Belichtung des Zentrums ab („Off-Zustand“), bei Belichtung der Peripherie zu.
Die antagonistische Reaktion von Zentrum und Peripherie hat eine Verstärkung der Kontrastwahrnehmung zur Folge, weil von den rezeptiven Feldern,
die an der Grenzfläche zwischen hell und dunkel liegen, nur Teile belichtet werden. Möglich ist beispielsweise, dass die Peripherie noch belichtet wird, während das Zentrum bereits im Dunklen liegt. Die Ganglienzelle reagiert aber gerade auf eine unterschiedliche Belichtung von Zentrum und Peripherie besonders stark. Durch die laterale Hemmung (Hemmung
benachbarter Elemente) erscheint so die dunkle
Seite noch dunkler, die helle noch heller. Aus diesem
Grund wirkt beispielsweise eine graue Fläche vor
schwarzem Hintergrund heller als vor weißem, dieses
Phänomen nennt man Simultankontrast (Abb. 17.6).
Bei Dunkeladaptation vergrößert sich das Zentrum
des rezeptiven Feldes auf Kosten der Peripherie, dadurch nimmt die Kontrastverstärkung deutlich ab,
bis sie schließlich ganz aufgehoben wird.
On-Off-Ganglienzellen reagieren sowohl auf Lichtreize als auch auf Verdunklung mit kurzen AP-Frequenzsteigerungen. Aus diesem Grund eignen sie
sich besonders gut zur Wahrnehmung von Bewegungen, bei denen sich Hell-Dunkel-Reize schnell über die
rezeptiven Felder bewegen.
dunkeltes Zimmer, erscheint zunächst alles schwarz.
Abb. 17.6
Simultankontrast
Nach einiger Zeit gewöhnt sich das Auge jedoch an
die schwächere Lichtintensität und Einzelheiten sind
erkennbar, die Reizschwelle hat sich gesenkt.
Auch die Flimmer-Fusionsfrequenz (zeitliches Auflösungsvermögen), d. h. die Anzahl von Bildern pro Sekunde, ab der sie nicht mehr als getrennte Bilder, sondern als Bewegungsablauf wahrgenommen werden,
sinkt dabei von 65–90/sec beim photopischen Sehen
auf 20–25/sec beim skotopischen Sehen ab.
Den zeitlichen Verlauf der Dunkel-Adaptation zeigt
Abb. 17.7. Die Kurve gibt für jeden Zeitpunkt der Adaptation an, welche Lichtintensität das Auge gerade
noch wahrnehmen kann. Zu Beginn benötigt das helladaptierte Auge hohe Lichtintensitäten, um erregt zu
werden. Je länger man ihm jedoch Zeit gibt, sich an die
Dunkelheit zu adaptieren, desto niedriger muss die
Leuchtdichte sein, um noch eine Empfindung auszulösen.
Die Adaptationskurve weist in ihrem Verlauf einen
Knick auf, den sog. Kohlrausch-Knick. Er kommt da-
Abb. 17.7 Adaptation von Stäbchen und Zapfen
bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen
(nach Silbernagl/Despopoulos)
17
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höht
durch zustande, dass das Sehen ab einer gewissen
sinkonzentration und damit die Lichtempfindlich-
Lichtintensität von Zapfen- auf Stäbchen-Sehen übergeht. Auf Höhe des Kohlrausch-Knicks ist die minimale Schwelle der Zapfen erreicht, d. h. noch schwä-
keit ansteigt.
Die Organisation der rezeptiven Felder kann in gewissem Umfang an die Lichtverhältnisse angepasst
chere Lichtintensitäten führen zu keiner Erregung
werden. Bei abnehmender Beleuchtungsstärke
der Zapfen mehr, sondern können nur noch von den
nimmt auch die laterale Hemmung ab, was zu
Stäbchen registriert werden. Der weitere Kurvenver-
einer Ausdehnung der Zentren der rezeptiven
lauf wird daher von den lichtempfindlicheren Stäbchen bestimmt.
Felder auf Kosten der Peripherie führt (räumliche
Summation) : je größer das Netzhautareal ist,
Die unterschiedliche Anordnung von Zapfen und
durch das eine Ganglienzelle erregt wird, desto
Stäbchen hat zur Folge, dass bei Dunkelheit nicht
mehr richtig fixiert werden kann: der Punkt schärfs-
höher ist auch die Lichtempfindlichkeit.
Unterschwellige Reize können, wenn sie länger an-
ten Sehens liegt in der ausschließlich Zapfen enthal-
dauern, doch noch überschwellig werden und ein
tenden Fovea centralis. Zapfen können aber durch
Aktionspotenzial in der Ganglienzelle auslösen
nur schwach leuchtende Objekte (z. B. einen kleinen
(zeitliche Summation). Diese Reizverlängerung
Stern am Nachthimmel) nicht erregt werden. Ver-
kann durch „längeres Hinschauen“ erreicht wer-
sucht man also dieses Objekt zu fixieren, ist es nicht
17
den.
zu sehen. Blickt man dagegen an dem Objekt
Eine lokale Adaptation der Netzhaut lässt sich beim
vorbei, fällt sein Bild auf den Randbereich der Retina,
wo es durch die Stäbchen wahrgenommen werden
sog. Sukzessivkontrast beobachten. Blickt man einige
Zeit auf ein schwarz-weißes Muster und danach auf
kann.
eine weiße Fläche, sieht man ein umgekehrtes Nach-
Bei der Nachtblindheit (Nyktalopie) z. B. infolge
eines Vitamin A-Mangels sind die Stäbchen in
bild: die vormals dunklen Anteile erscheinen heller,
ihrer Funktion gestört, die Dunkeladaptationskurve
tritt dieses Phänomen auf, die Nachbilder entstehen
verläuft also als reine Zapfen-Kurve. Sinkt die Licht-
jeweils in der Komplementärfarbe. Ursache für die
intensität unter die Schwellenintensität der Zapfen,
Nachbilder ist eine kurzfristige Anpassung der Emp-
kann dann kein visueller Eindruck mehr entstehen.
Folgende Mechanismen sind neben dem Wechsel
findlichkeit der jeweiligen Netzhautareale: primär
hell belichtete Netzhautareale werden dadurch un-
zwischen Zapfen- und Stäbchensehen für die Hell-
empfindlicher, nicht belichtete dagegen empfind-
Dunkel-Adaptation verantwortlich:
Die Pupille kann die Menge des einfallenden Lichts
licher.
die vormals hellen dunkler. Auch beim Farbensehen
durch ihre Weite kontrollieren. Bei Weitstellung
17.2.4.4 Die Visusbestimmung
gelangt mehr, bei Engstellung weniger Licht ins
Der Visus (Sehschärfe) ist ein Maß für das räumliche
Auge, daher ist die Pupille bei Dunkelheit weiter
Auflösungsvermögen des Auges, also die Fähigkeit,
zwei Punkte gerade noch getrennt wahrnehmen zu
können. Der Visus wird in 1/α (α in Winkelminuten
[= 1/60°]) angegeben und mit Hilfe von Sehprobetafeln bestimmt. Als Testobjekt werden neben Bildoder Buchstabentafeln häufig sog. Landolt-Ringe verwendet: es handelt sich dabei um unterschiedlich
große Ringe mit einer Lücke, deren Lage erkannt werden muss. Je nach Größe und Entfernung entspricht
die Breite der Aussparung einer oder mehreren Winkelminuten. Ein normalsichtiger Proband kann bei
guten Lichtverhältnissen noch eine Lücke der Breite
1 Winkelminute wahrnehmen, sein Visus ist damit V
= 1. Muss die Lücke doppelt so breit sein, damit er
sie noch wahrnehmen kann, beträgt der Visus V = 0,5.
als bei Helligkeit. Die Pupillenreaktion ermöglicht
so eine schnelle Anpassung an einen plötzlichen
Helligkeitswechsel.
Durch die Änderung der Rhodopsinkonzentra-
tion ist die chemische Empfindlichkeitsanpassung
der Sensoren an die Lichtverhältnisse möglich,
denn die Lichtempfindlichkeit der Stäbchen
hängt von der Verfügbarkeit des Sehfarbstoffs ab.
Fällt viel Licht ins Auge, zerfällt ein großer Teil
des Rhodopsins und steht für den Transduktionsprozess nicht mehr zu Verfügung, die Lichtempfindlichkeit nimmt ab. Bei schwachen Lichtverhältnissen wird Rhodopsin regeneriert ohne gleich
wieder verbraucht zu werden, so dass die Rhodop-
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328 Die Signalverarbeitung in der Retina 17 Visuelles System
17 Visuelles System Die Signalverarbeitung in der Retina 329
Das optimale Auflösungsvermögen wird bei guten
Farbmischung : die rote Farbe erscheint rot, weil
Lichtverhältnissen in der Fovea centralis, erreicht.
sie alle Wellenlängen außer den roten absorbiert,
Der Visus bezieht sich auf diesen „Ort des schärfsten
Sehens“. In der Netzhautperipherie oder bei Dunkel-
die grüne grün, weil sie alle Wellenlängen außer
den grünen absorbiert. Mischt man nun beide Far-
adaptation nimmt der Visus ab.
ben, bleiben nur die Wellenlängen übrig, die
weder von der grünen noch von der roten Farbe
absorbiert werden, das Spektrum ist also nach
dem Mischen kleiner als vorher.
Die Wellenlänge des sichtbaren Lichts liegt etwa zwi-
Die Fähigkeit, Farben unterscheiden zu können, ist auf
schen 400 (blauviolett) und 750 nm (rot). Werden
Wellenlängen des gesamten Spektrums gemischt,
entsteht der Farbeindruck „weiß“. Ein blauer Gegen-
Retina-Ebene an die unterschiedliche spektrale Empfindlichkeit der Zapfen-Opsine gebunden, d. h. in Abhängigkeit von seiner Wellenlänge wird Licht von den
stand erscheint uns dagegen blau, weil er alle Wellen-
verschiedenen Zapfentypen unterschiedlich stark ab-
längen außer den blauen absorbiert. Die „übrig ge-
sorbiert und führt dementsprechend auch zu unter-
bliebenen“ blauen Wellenlängen werden reflektiert
schiedlich starken Sensorpotenzialen (trichromati-
und können nun im Auge den Farbeindruck „blau“
sche Therorie des Farbensehens). Das Pigment der
vermitteln.
Blau-(K-)Zapfen absorbiert kurzwelliges, blauviolet-
Folgende zwei Formen von Farbmischungen werden
tes Licht (Maximum bei ca. 420 nm), Grün-(M-)Zap-
unterschieden:
Mischt man Licht unterschiedlicher Wellenlänge
fen absorbieren mittelwelliges, blaugrünes bis gelbes
Licht (Maximum bei ca. 535 nm) und Rot-(L-)Zapfen
(z. B. Farbscheinwerfer im Theater), so entsteht
langwelliges, gelbes bis rotes Licht (Maximum bei ca.
ein neuer Farbeindruck (Bsp.: rotes Licht + grünes
565 nm).
Licht => gelbes Licht). Man spricht hier von additi-
Der eigentliche Farbeindruck ist das Ergebnis der Ana-
ver Farbmischung, weil zu den roten Wellenlängen grüne Wellenlängen hinzukommen, das
Spektrum also nach der Mischung größer ist als
vorher.
Wenn man dagegen Farben mischt (z. B. in der Malerei), entsteht ebenfalls ein neuer, aber anderer
Farbton (Bsp.: rote Farbe + grüne Farbe => braune
Farbe). Hierbei handelt es sich um eine subtraktive
lyse, in welchem Verhältnis zueinander die verschiedenen Zapfen erregt worden sind. Licht der Wellenlänge 450 nm führt beispielsweise zu einer starken Erregung der Blau-Zapfen, einer geringeren Erregung
der Grün-Zapfen und nur noch zu einer sehr schwachen Erregung der Rot-Zapfen (Abb. 17.8).
Eine Verbesserung des Farbunterscheidungsvermögens (Farbkontrast) wird auf der Stufe der neuronalen
Abb. 17.8 Trichromatisches Farbensehen
(Bsp.: 450 nm)
(nach Klinke/Silbernagl)
17
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17.2.5 Die retinalen Mechanismen
des Farbensehens
330 Die Informationsverarbeitung in der Sehbahn 17 Visuelles System
Check-up
Signalverarbeitung durch die Verschaltung farbantagonistisch organisierter rezeptiver Felder (Rot-Grün,
✔
Blau-Gelb, Schwarz-Weiß) erreicht (Gegenfarbentheorie). Dabei verarbeiten die sog. Gegenfarbenneurone Rezeptorsignale im Zentrum und in der Periphe-
✔
rie ihres jeweiligen rezeptiven Feldes antagonistisch.
Diese Gegenfarbenneurone findet man auch im CGL.
✔
Wiederholen Sie den mikroskopischen Aufbau
der Retina und die Funktion der einzelnen
Sensortypen.
Machen Sie sich klar, warum man einen
grünen Ball grün sieht.
Verdeutlichen Sie sich nochmals die Signaltransduktion in den Photosensoren.
Ist eine Zapfensorte in ihrer Funktion gestört oder
17.3 Die Informationsverarbeitung in
der Sehbahn
Tritanomalie). Ein kompletter Ausfall einer Zapfen-
Lerncoach
sorte führt zur Protanopie (Rotblindheit), Deuterano-
Um sich den Verlauf der Sehbahn klarzumachen, sollten Sie sie auch einmal selbst aufzeichnen. So lassen sich auch die charakteristischen Gesichtsfeldausfälle bei Läsionen der
Sehbahn leicht ableiten. Denken Sie dabei
daran, dass durch die optische Brechung das
Gesichtsfeld umgekehrt auf der Retina abgebildet wird: das temporale Gesichtsfeld wird
also auf der nasalen Retinahälfte abgebildet
und umgekehrt.
pie (Grünblindheit) oder Tritanopie (Blauviolettblindheit). Da die Farbwahrnehmung dann nur noch über
zwei Sehpigmente stattfindet, spricht man auch von
einer dichromaten Störung. Störungen des Farbensinnes sind häufig (ca. 9 % der Männer und 0,5 % der
Frauen). Die Gene für das Zapfenpigment der mittelund langwelligen Zapfen befinden sich auf dem XChromosom, deshalb sind Männer wesentlich häufiger von Störungen des Rot-Grün-Sehens betroffen
als Frauen.
17
Ein kompletter Ausfall aller Zapfen führt dagegen
17.3.1 Überblick und Funktion
nicht nur zu einem fehlenden Farbempfinden, son-
Über die Sehbahn erreicht die in der Retina erfasste
dern auch zu einer deutlich herabgesetzten Sehschärfe und erhöhten Blendungsempfindlichkeit.
und verarbeitete Information das ZNS, wobei die zentrale Signalverarbeitung der optischen Information
Zur Diagnostik eines gestörten Farbensehens verwen-
sehr komplex ist. Die verschiedenen Teilinformatio-
det man ein sog. Anomaloskop oder Farbtafeln (z. B.
nen des optischen Eindrucks (Form, Farbe, Bewegung)
Ishihara-Tafeln).
werden getrennt durch spezialisierte Neurone verarbeitet.
Klinischer Bezug
Retinopathia (Retinitis) pigmentosa: Eine Funktionsstörung des Pigmentepithels beider Augen mit Verlust
der Photosensoren wird als Retinitis pigmentosa bezeichnet. Die Netzhautdegeneration schreitet von der Peripherie zum Zentrum fort. Symptome sind ein progredienter
(sich verschlechternder) Visusverlust, progrediente Gesichtsfelddefekte und Nachtblindheit. Bei der Beurteilung
der Netzhaut (Ophthalmoskopie) zeigt sich eine knochenbälkchenartige Hyperpigmentierung der mittleren
und äußeren Netzhautperipherie.
Die Erkrankung kann vererbt werden oder im Rahmen
einer generalisierten Stoffwechselerkrankung auftreten.
Die zusätzlich frühzeitig auftretende Katarakt (Linsentrübung) kann man zur Verbesserung des Visus operativ behandeln. Andere Therapiemöglichkeiten gibt es derzeit
nicht.
17.3.2 Der Verlauf der Sehbahn
Die Information der Photosensoren (1. Neuron) wird
über die Bipolarzellen (2. Neuron) an die Ganglienzellen (3. Neuron) vermittelt, deren Axone gemeinsam
als N. opticus das Auge verlassen. Im Chiasma opti-
cum kreuzen die aus der nasalen Retinahälfte stammenden Nervenfasern auf die Gegenseite, während
die Fasern der temporalen Retinahälfte weiterhin ungekreuzt verlaufen. Zusammen mit den gekreuzten
Fasern aus der kontralateralen, medialen Retinahälfte
bilden sie den Tractus opticus und ziehen zum Corpus geniculatum laterale (CGL), einem Teil des Thalamus. Der Tractus opticus enthält also jeweils die Informationen aus dem kontralateralen Gesichtsfeld. Im
CGL (4. Neuron) erfolgt eine erneute Umschaltung.
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ganz ausgefallen, kommt es zu Störungen der Farbwahrnehmung. Eine Farbschwäche bezeichnet man
als Farbanomalie (Protanomalie, Deuteranomalie,
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