01 Dossier Service Excellence: Kundenbindung aus Begeisterung. Von Prof. Dr. Matthias Gouthier, Christopher Bartl, Andreas Giese Service Excellence: eine erste Annäherung In der akademischen Welt sowie in der Praxis herrschen Uneinigkeit darüber, was Service Excellence eigentlich ausmacht. Kern ist sicher das Streben, die eigenen angebotenen Serviceleistungen immer weiter zu verbessern. Das kann aber nicht bedeuten: einfach immer maximalen Service zu bieten, in der Hoffnung, dann von dem Kunden als herausragend gegenüber dem Wettbewerb angesehen zu werden. Dieses Vorgehen wäre nicht nur ökonomisch unklug, sondern hilft auch als Leitlinie unternehmerischen Handelns und zur Entwicklung einer Organisation nicht weiter. Denn immer geht es darum zu ermitteln, wo man mit Verbesserungen ansetzen muss, um effizient zu einem überlegenen Serviceangebot zu gelangen. „Einfach immer maximalen Service anbieten“, hat keine Steuerungsfunktion. Tatsächlich erwarten Kunden oft gar kein Maximum an Service­ leistungen. In manchen Branchen erwarten sie nur, möglichst einfach und unproblematisch die Dienstleistung eines Unter­ nehmens beziehen zu können. In diesen Branchen sind die Kundenerwartungen vergleichsweise gering. Einfache, aber branchenüberdurchschnittliche Qualitätsverbesserungen können hier schon zur Begeisterung der Kunden führen. Aber es kommt natürlich auf das Wettbewerbsumfeld an: Auf Märkten, auf denen Premium- und Luxusdienstleistungen dominieren, bedarf es schon überraschender und besonders persönlicher Leistungen, um Service Excellence für Kunden noch erlebbarer zu machen und die Kunden zu begeistern. Wie in den meisten Branchen liegt auch in der Finanzdienst­ leistung die Realität zwischen diesen Extremen. Kompakt: Viele Dienstleister schreiben sich heute Kundenzufriedenheit auf die Fahne. Ihr Ziel: Kundenbindung. Doch zufriedene Kunden sind noch keine gebundenen Kunden. Starke Bindung entsteht erst aus wirklicher Überzeugung, ja Begeisterung des Kunden – und deren Grundlage ist vor allem Service Excellence. Die zentrale Herausforderung ist: Was muss getan werden, damit der eigene Service sich positiv vom Wettbewerb abhebt und Kunden wirklich begeistert? Erwartungen kennen, Erwartungen übererfüllen, Begeisterung wecken Für Unternehmen und Unternehmer liegt der Schlüssel zur Service Excellence darin, möglichst genau zu verstehen, was Kunden tatsächlich erwarten. Gibt man Kunden, was sie erwarten, stellt man eine Übereinstimmung zwischen den subjektiven Erwartungen und der tatsächlich erlebten Motivbefriedigung bei Produkten und Services her. Einfacher gesagt: Man stellt Kunden zufrieden. Service Excellence geht dann einen entscheidenden Schritt weiter. Die angebotene Serviceleistung geht punktuell über die subjektiven Erwartungen der Kunden hinaus – und das sorgt für Begeisterung. Diese Kundenbegeisterung ist mehr als ein rationales Abwägen: Die Begeisterung, auf die Service Excellence 02 Dossier zielt, ist eine intensive, emotional geprägte Einstellung dem Anbieter gegenüber – eine positive Bindungskraft wie zum Beispiel grundlegendes Vertrauen in die Geschäftsbeziehung. Service Excellence: eine langfristige Erfolgsstrategie Unternehmen, die sich ganz der Service Excellence verschrieben haben, schreiben langfristig Erfolgsgeschichte: Sie differenzieren sich positiv von ihren Wettbewerbern, sie schaffen sich ein service- und kundenorientiertes Image, sie gewinnen letztlich durch ihre exzellente Dienstleistung leichter neue Kunden und binden bestehende. Eines der prominentesten Beispiele ist Singapore Airlines. In einer Zeit, in der viele internationale Fluglinien strauchelten oder unter enormem Margendruck litten, blieb Singapore Airlines auf Erfolgskurs. Das „Singapore Girl“ in der Markenkommunikation des Unternehmens steht für Hinwendung zum Fluggast und vorbildliche Serviceorientierung. Dabei gilt das Unternehmen in der Branche gleichzeitig als kosteneffizient. Der Kern des Erfolges liegt in der konsequent durchdachten Service Excellence. Durch sie wurden die Serviceangebote zwischen Economy-, Business- und First Class so gestaffelt, dass Kunden beispielsweise auf der Strecke Frankfurt– New York deutlich mehr als das zehnfache des Economy-Tarifs für einen First Class-Flug zu zahlen bereit sind (Stand: 2003). In jeder Klasse hat der Passagier den Eindruck, einen Gegenwert an Service und Zuwendung für seinen Flugpreis zu erhalten, der seine Kosten übertrifft. Die überdurchschnittlichen Preise, die Singapore Airlines gerade in der First Class verlangt, machen deutlich, dass Service Excellence gerade nicht bedeutet, Dienstleistung zu „verschenken“ und Kunden auf diese Weise glücklich zu machen. Ein entscheidender Punkt für die Airline war tatsächlich zu ermitteln, was ein Economy-Kunde, was ein Business-Kunde und was ein First Class-Kunde wirklich erwartet, um dann gezielt die eigenen Serviceangebote daran auszurichten. Zudem ist es wichtig, Fluggäste immer wieder durch die individuelle Hin­ wendung zu ihren Bedürfnissen zu überraschen: Zu der langen Reihe von Serviceauszeichnungen für die Fluglinie kam so 2006 eine ganz besondere hinzu, der Service-Award der britischen „Guide Dogs for the Blind Association“. Mitarbeiter von Singapore Airlines hatten sich in herausragender Weise um eine blinde Passagierin und ihren Begleithund ge­ kümmert. Vor dem langen Flug von London nach Melbourne, beim Einchecken und ganz besonders beim Zwischenstopp in Singapur. Hier war ein Mitarbeiter mit einem Wagen zum Gate gekommen und hatte die Passagierin und ihren Hund zu einer Dachterrasse gebracht, wo sich beide vom Flug erholen konnten. Ihre Begeisterung über diesen Service führte nicht nur zur Bindung an das Unternehmen, sie machte die Passagierin auch zur glühenden Botschafterin für Singapore Airlines. Sie hatte Service Excellence erlebt. Service Excellence in der Praxis erreichen Wie der Fluggast mit dem Blindenhund spürt ein Kunde sofort, ob ihm Service Excellence widerfährt. In der Theorie ist aber eine Messung sehr schwierig. Übliche Instrumente wie die rationale Abfrage von bestehender Kundenzufriedenheit reichen nicht aus, um die emotional geprägte Begeisterung von Kunden adäquat abzubilden. Grundlagen von Service Excellence nach Robert Johnston Versprochenes leisten Kundenfeedback gut managen Persönliche Note bieten Einen „Funken“ mehr Service bieten In der Praxis ist die Frage „liegen Kundenzufriedenheit und Service Excellence vor“, die sich mit diesen Abfragemethoden allenfalls beantworten ließe, zudem uninteressanter als andere: Wie kann ich als Unternehmer oder als Serviceverantwortlicher in einem Unternehmen Service Excellence erzeugen? Wie kann ich die von mir oder meinem Unternehmen angebotenen Dienstleistungen anpassen und verbessern? Einen ersten Ansatz dazu liefert das Service Excellence-Konzept von Robert Johnston. In seinen Studien fand er heraus, dass Kunden und Manager vier Elemente hervorheben, die sie für essenziell in Bezug auf exzellenten Service erachten: Unter­ nehmen müssen Versprochenes auch tatsächlich leisten, sie müssen für ein gutes Management des Kundenfeedbacks sorgen, im Umgang mit dem Kunden eine persönliche Note bieten und darüber hinaus einen „Funken“ mehr an Service bereitstellen. 03 Wichtige Lehren aus Johnstons Studien: Wer seine Hausauf­ gaben nicht macht, wer Versprochenes nicht erbringt oder wer Kundenfeedback nicht nachhaltig bearbeitet, kann diese Defizite nicht mit irgendwelchen „Goodies“ wieder ausgleichen. Ein Anlageberater, der beispielsweise bei Nachfragen eines Kunden zu seinem Investment nicht erreichbar ist, muss sich nicht über eine Geburtstagsüberraschung für diesen Kunden Gedanken machen. Service Excellence planen Der gewisse „Funke“ mehr: Wer exzellenten Service planmäßig entwickeln möchte, wird sich die Frage stellen, wo er diesen Funken zünden kann, welche Eigenschaft seines Dienstleistungsangebotes er verbessern sollte. Bei ihrer Beantwortung hilft das sogenannte Kano-Modell. Entwickelt von Noriaki Kano versucht es, Wünsche bzw. Erwartungen von Kunden systematisch zu erfassen. Kano unterscheidet fünf Merkmalskategorien, in die Eigenschaften eines Produkts oder einer Dienstleistung eingeordnet werden. Durch entsprechende Befragungen von Kunden kann man dann herausbekommen, welche Eigenschaft des eigenen Dienstleistungsangebotes in welche Merkmalskategorie fällt: • Basismerkmale sind so selbstverständlich, dass sie dem Kunden erst bewusst werden, wenn sie einmal nicht erfüllt werden. Tritt dieser Fall ein, entsteht massive Unzufriedenheit. Werden 5sehr zufrieden Begeisterungsmerkmale 3 wenig Leistungsmerkmale realisierte Qualitätseigenschaften indifferent 4 Basismerkmale 6völlig unzufrieden sie erfüllt, tragen sie aber nicht zur Zufriedenheit bei. Beispiel: Wenn ein Anlageberater von einem Kunden wichtige Dokumente zur Einsicht erhält, geht dieser von sorgfältiger Aufbewahrung aus. Ein Verlust der Dokumente führt deutlich zur Unzufriedenheit. • Leistungsmerkmale sind dem Kunden immer bewusst. Werden sie erfüllt, beseitigen sie Unzufriedenheit oder schaffen Kundenzufriedenheit in dem Maße, wie sie erfüllt sind. In der Anlageberatung ist die Kompetenz des Beraters für viele Kunden ein solches Leistungsmerkmal. Sie kann sich positiv wie negativ auf die Kundenzufriedenheit auswirken. • Begeisterungsmerkmale stiften einen Nutzen, mit dem ein Kunde nicht unbedingt rechnet. Sind sie nicht erfüllt, vermisst der Kunde nichts. Eine kleine Leistungssteigerung bei diesen Merkmalen kann aber vom Kunden überproportional als Mehrnutzen wahrgenommen werden. Diese Begeisterung ist stark kundenbindend. Wenn ein Anlageberater „aus seinem Metier heraustritt“ und statt Geldanlagen vorteilhafte Vorschläge für das Beheben eines temporären Liquiditätsengpasses seines Kunden entwickelt, kann das bei vielen Kunden schon ein Begeisterungsmerkmal sein. Er hatte seinen Anlageberater für dieses Problem „nicht auf der Rechnung“ und ist umso mehr begeistert. • Unerhebliche Merkmale sind weder von Belang, wenn sie fehlen, noch wenn sie erfüllt sind. Es ist gut, hin und wieder zu prüfen, ob Angebote, die man als Dienstleister vorhält, nicht in diesem Sinne überflüssig sind. In unerhebliche Merkmale braucht man nicht zu investieren. Das Kano-Modell: wie Merkmale zur Kundenzufriedenheit beitragen Kundenzufriedenheit Dossier viel • Rückweisungsmerkmale führen dann zur Unzufriedenheit, wenn sie vorhanden sind. Also dringend vermeiden, auch wenn das allein noch kein Plus an Kundenzufriedenheit bringt. Die Grafik zeigt die Beitragsfunktionen der drei wesentlichen Merkmale zur Kundenzufriedenheit. Im Sinne der Service Excellence ist besonders das Begeisterungsmerkmal von Bedeutung. Wer Services bietet, die der Kunde nicht vermissen würde, die aber von ihm als enorm positiv wahrgenommen werden, wenn er sie erhält, hat den Schlüssel zur Begeisterung des Kunden gefunden. Und damit hat er mit Service Excellence einen wirksamen Beitrag zur Kundenbindung geleistet. Die Herausforderung: Service Excellence operativ machen Gerade große Organisationen benötigen präzisere Daten, um die Entwicklung von Servicequalität effektiv und effizient 04 Dossier zu steuern. Sehr bekannt ist hierzu das Excellence Modell der European Foundation of Quality Management, das sogenannte EFQM-Modell. Es soll Unternehmen ermöglichen, ihre Leistungsfähigkeit nachhaltig zu optimieren. Anhand verschiedener Bewertungskriterien, zum Beispiel in Bezug auf unternehmens­ interne Prozesse, auf Mitarbeiter oder auf kundenbezogene Ergebnisse, können so Elemente einer Organisation durch verschiedene Indikatoren analysiert werden. Dieses rational geprägte Modell vernachlässigt allerdings die emotionalen Aspekte der Begeisterung und Überraschung eines Kunden. Ergänzend wird deshalb vielfach das Kano-Modell herangezogen, um zusätzliche Aussagen zu liefern. Diese Tatsache zeigt, dass die durchgängige systematische Verbesserung von Service Excellence gerade für die Anforderungen größerer Unternehmen noch in der Entwicklung be­griffen ist. Im Interesse von Unternehmen wäre es indes durch­aus hilfreich, das Verständnis durch die Erarbeitung eines detaillierten und verständlichen Leitfadens zu erleichtern. Die Bedeutung dieser Aufgabe zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich ein hochkarätiger Arbeitskreis im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) der Arbeit an einer DIN SPEC zur Service Excellence widmet. Neben dem Lehrstuhl für Dienstleistungsmarketing von Prof. Dr. Matthias Gouthier an der EBS Business School und dem Deutschen Institut für Normung (DIN) e. V. nehmen als renommierte Praxispartner unter anderem große deutsche und internationale Unternehmen an dem Projekt teil. Ziel ist, die existenten kundenzufriedenheitsbezogenen Normen und Standards zu analysieren und notwendige Ergänzungen zur Schaffung von Kundenbegeisterung zu erarbeiten. Diese Erkenntnisse sollen in der Ausarbeitung der DIN SPEC 77224 zur Service Excellence münden und anschließend der Wirtschaft und Forschung zur Verfügung gestellt werden. EBS Zertifikatslehrgang zu Service Excellence Eine Möglichkeit, sich anwendungsorientiert mit der Thematik der Service Excellence und deren Relevanz auseinanderzu­ setzen, bietet die EBS Executive Education GmbH, die Weiter­ bildungsgesellschaft der EBS Business School. Das von ihr angebotene Intensivstudium „Service Excellence“ erlaubt es Fach- und Führungskräften, mehr über Service Excellence und das Erreichen von Kundenbegeisterung zu erfahren. In diversen Modulen werden Inhalte der strategischen, leistungsbezogenen und operativen Service Excellence aufgezeigt, verbunden mit Hinweisen, wie Service Excellence in Unter- nehmen implementiert werden kann. Bei Interesse können weitere Informationen bei Frau Ingrid Petri (Tel.: 0611 7102-1851; E-Mail: [email protected]) von der EBS Executive Education GmbH angefordert werden. Prof. Dr. Matthias Gouthier Prof. Gouthier ist Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungsmarketing an der EBS Business School. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Marketing und Personalwesen an der Universität Mannheim war er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW tätig. Es folgten Promotion und Habilitation am Lehrstuhl für Dienstleistungsmanagement bei Prof. Dr. Bernd Stauss. Nach einer Lehrstuhlvertretung an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) wechselte er zur EBS Business School. [email protected] Christopher Bartl Christopher Bartl studierte International Management an der IU Bruchsal und Marketing Management an der Aston Business School. Seit Dezember 2009 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Dienstleis­ tungsmarketing tätig. christopher.bartl@ ebs.edu Andreas Giese Andreas Giese studierte International Management an der IU Bruchsal und an der London School of Economics. Seit November 2009 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Dienstleistungsmarketing tätig. [email protected]