262 Kim. Mbl. Augenheilk. 176 (1980) 262—265 F. Enke Verlag, Stuttgart Primäres malignes Melanom des Tränensackes Augenabteilung des Landeskrankenhauses Feldkirch/Vorarlberg (Vorstand: Prim. Dr. H. Avedikian) institut fur Pathologie für das Land Vorarlberg (Vorstand: Prim. Dr. G. Breitfeliner) am Landeskrankenhaus Feldkirch/Vorarlberg Zusammenfassung Primary Malignant Melanoma of the Lacrimal Sac Description of the clinical stages and morphologi- seltenen primären, malignen Melanoms des Tränen- Krankheirsverlaufes mit Jenem bereits publizierter cal findings in a rare case of primary malignant melanoma of the lacrimal sac in a 63-year-old woman patient. Comparison with cases already Fälle. published. Einleitung Pigmentierte Tumoren zãhien zu den selten- turns sind Blutungen aus den Tránenkanälchen oder der Nase rnoglich. Gelegentlich werden Spontanblutungen berichtet, öfters aber Hamorrhagien während oder nach den-i Spülvorgang. Die violette Verfärbung des Beschreibung der Klinik und Morphologie eines sackes bei einer 63jährigen Frau. Vergleich des sten Geschwülsten im Bereiche des Iränensackes. Seit Roilet (1906) erstrnais einen Fall eines Tränensackmelanoms beschrieben hat, erschienen nur noch 13 weitere Publikationen dieses Therna. Rollets Fall ist der einzige Bericht die Metastase eines chorioidalen Melanoms in den Tränensack, die in der Literatur aufscheinenden Fälle werden als Prirnärtumoren angesehen. Der von Eitrem 1953 erstmals beschriebene Nävus-Zell-Nävus des Trãnensackes ist der einzige benigne Tumor in dieser Reihe. Die Symptomatologie des malignen Melanoms des Triinensackes wird von alien Autoren ziemlich einheitiich beschrieben. Die Patienten kiagen iangere Zeit eine lastige Epiphora, weiche sie auch zum Augenarzt führt. In den meisten Fallen wird von einer Dakryozystitis unterschiedlichei Dauer berichtet, wobei die Tränenwege anfanglich normal spuibar sind. Erst spater stenosiert der Tränensack mehr und rnehr, und es bildet sich eine sichtbare Schweliung in der Tränensackgegend aus. In jeder Phase des Turnorwachs- meianotischen Tumors, welche livid durch die Haut schimmert ist teils durch die Eigenpigmentierung der Geschwulst, teils durch die Blutung in das Tumorgewebe bedingt. In späteren Phasen wächst der Tumor infiltrativ in die Umgebung der Saccusgegend. Uber Exulzerationen des Tumors oder Metastasen in die regionären Lymphknoten gibt es keine Hinweise in der Literatur. Ebenso existieren keine Berichte den Nasenbereich. invasives Wachsturn in Kasuistik Bei unserer 63jahrigen Patientin erfolgte die Zuweisung unter der Diagnose Dakryohydrops rechts. Die Allgemeinanamnese war im Hinblick auf die okuiãre Symptomatik im wesenrlichen unauffãllig. Die Frau klagte bereits 2 Jahre vor der stationären Aufnahme eine Epiphora rechts und bemerkte eine kleine Erhabenheit im rechren Tränensackbereich. Vom Augenarzt wurden zu wiederholten Malen Spulungen der Tranenwege durchgefuhrt, Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. W. Schrelnzer, G. Breitfeilner Primires malignes Melanom des Trlnensackes 263 ohne da die Patientin von ihren Beschwerden befreit werden konnte. Zwei Monate vor der Aufnahme wurde vom Augenarzt eine deutliche GröIenzunahme des Tumors des rechten Tränensackes registriert, sowie eine bluIich livide Verfarbung des miter der Haut getegenen Gewebes. Bei der Aufnahme (Mai 1978) fand sich neben einem ansonsten vollig regelrechten Augenbefund im Bereiche des rechten Trnensackes eine bläulich verfãrbre, indolente, haselnu1groe, derbe Resistenz. Die darüberziehende Haut war unauffällig glatt. Aus den rechten Tranenwegen konnte man geringfügig schleimiges Sekret ausdrücken. Die Sondierung der Tranenwege war vom unteren und oberen Canaliculus aus moglich. Der Spulvorgang verursachte der Patientin etwas stärkere Schmerzen. Nach einer forcierten Spülung kam es erstmals im Spital zu einer starkeren Epistaxis. Wir vermuteten bereits damals das Vorliegen eines Tränensacktumors, ohne selbstverständlich nähere Aussagen die Natur dieses Neoplasmas machen zu können. Die im Rahmen der Durchuntersuchung erho- benen Laborbefunde, wie auch Röntgenuntersuchungen des knöchernen Schädelskelettes mid der Lunge, sowie der HNO-ärztliche Befund waren normal. Die Operation (Mai 1978) zeigte einen ektatischen und mehrkammerig veränderten Tränensack, in weichem massenhaft Koagula zwischen grau-rotlichem, makroskopisch nicht zu differenzierendem Gewebe eingelagert waren. Der Tränen-NasenGang war frei. Histologischer Befund Malignes Melanom. Tumorinfiltrat von alveolärern Bau. Melanotische Pigrnentgranula. EmAbb. 1 zeiheiten rn Text. Vergr. 100 x als eine Primargeschwulst angesehen. Eine Aussage bezuglich der Radikalität des Eingriffs ist aus dem brockeligen Material nicht moglich. Bei dem histologischen Befund sahen wir uns veranla1t, vierzehn Tage nach dem Ersteingriff eine Totalexstirpation des Tränensackes durchzufuhren. Das vom zweiten Eingriff (Radikalentfernung) em- gesandte Gewebsstück ist 1,5 cm im groften Durchmesser, ist unregelmafig gestaltet von derber Konsistenz und dunkkelbrauner Farbe mit weighwerden chen Einsprengungen. Getrennt auch noch mehrere, bis zu erbsgroe, insgesamt 1,3 cm im gröten Durchnsesser haltende, analog gebaute plattenformige Gewebsstücke. Histologisch handelt es sich wiederum um ausgedehnte Tumorinfiltrate von alveohärem Bau wechseinder Differenzierung, jedoch mit Kernatypien, Zur mikroskopischen Untersuchung wurden mehrere graurotliche Gewebsstiicke von weicher Konsistenz und zirka 1,5 cm Gesamtdurchmesser eingeaus fibrösem Binsandt. Sie bestehen degewebe. Daneben sind als präexistente Gewebsstrukturen auch einzelne zystische, ektatische Räume zu finden. Dieselben werden uberwiegend von einem flachen einschichtigen Epithet ausgekleidet. Weiters wird das Gewebe diffus infiltriert von einem meist soliden, zum Teil auch alveolar struk- Verschiebung der Kernplasmarelation und Mito- turierten Geschwulstgewebe. Die Zellen dieses tionen einerseits gequetscht, andererseits auch regressiv umgewandeht. In der Umgebung des Tumors findet sich Narbengewebe mit Resten von Nahtmateriah als Residuen der vorangegangenen Exzjsion. Herdförmig in der Umgebung des gröeren Tumorareals sind auch zapfige und streifige analoge Tumorinfiltrate nachweisbar. Tumors zeigen deutliche Verschiebung der Kernplasmardation und schwach basophiles Zytoplasma mit feinkornigen, schwarzbraunen massonpositiven Pigmentgranula. Selten sind auch Mitosen anzutreffen. Weiters ist der Tumor stark vaskularisiert, wobei sich mehrfach Tumorgefafeinbruche nachweisen lassen. Nach diesem histologischen Befund ergibt sich die morphologische Diagnose: malignes Melanom. Dieser Tumor wird nach den klinischen Angaben sen, sowie einer diskreten Ablagerung von metanotischen Pigmentgranuha (Abb. 1). Das Tumorgewebe grenzt sich zum Teit relativ scharf ab, zum Teil infiltriert es sich bis unmittelbar unter das Epithel von zystisch ausgeweiteten, mit einem Ubergangsepithet ausgekleideten Driisenausführungsgangen. Es reicht auch bis unmittelbar an mirgetroffene spangenformige Knochenpartien heran (Abb. 2). An umschriebener Stelle sind die Geschwulstforma- Insgesamt bietet der Tumor also wiederum das gleiche Bild, wie es schon mi ersten Befund beschrieben wurde und entspricht einem mahignen Melanom. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. und verschieblich. Die Oberftãche der Vorwolbung W. Schreinzer, G. Breitfeilner Abb. 2 Ubersicht. Das Tumorge- webe ist zum Tell scharf abgeF a grenzt, aber zum Tell 1st infiltratiyes Wachstum nachweisbar (siehe Text). Vergr. 25 x Die jetzige Situation unterstützt die schon irn Vor- berichteter Fàlle. Em Tränensacktumor kann befund geauIerte Ansicht, dali es sich dabei urn infolge der Seltenheit des Vorkommens und durch die verschleiernde Symptomatik einer gleichzeitig bestehenden Dakryozystitis vor eine primate Geschwulst im Bereich der Tränenwege handelt. Verlauf Ergänzende Zusatzuntersuchungen, wie Leberfunktionsproben, sowie Szintigrarnrn der Leber, des Hirns und des knöchernen Skelettes ergaben normale Befunde, Harnanalysen auf Melanin Waren negativ. Die Patientin war in der Folge neun Monate beschwerdefrei und wurde laufend kontrolliert. Eine neuerliche stationäre Aufnahrne erfolgte nach Auftreten eines Lokalrezidivs im mittleren Drittel des rechten Unterlides im Februar 1979. Die Trãnensackgegend selbst war vollig bland. Im Rahmen dieser Durchuntersuchung kam im Leberszintigrarnm em grocer Speicherdefekt im Bereich des rechten Leberlappens zu Darstellung, was irn Sinne von Lebermetastasen i nterpretiert wurde. Der Verdacht auf Sekundaria wurde durch einen positiven ultrasonographischen Befund der Leber noch erhärtet. Aufgrund dieser Ergebnisse erspar ten wir der Patientin eine belastende Radikalopera- non mit der Notwendigkeit ausgedehnter Knochenresektionen, sowie einer Exenteratio orbitae. Eine palliative Bestrahlungsbehandlung des Lokalrezidivs reduzierte die Turnormasse innerhaib von drei Wochen beträchtlich. Die Patientin steht weiterhin in unserer Kontrolle. Disk ussion Der Krankheitsverlauf bei unserer Patientin zeign auffallige Parallelen mit jenen bereits allem in den Frühstadien oft nur vermutet werden. Unterstützung finder die Verdachts- diagnose durch eine Dakryozystographie, Punktion der Tumormasse, Probeexzision und Untersuchung der Tränenwegsspuiflussigkeit auf Tumorzellen. In einem Grofteil der in der Literatur berichteten Fãlle wird, wie auch im vorliegenden Fall, die exakte Diagnose erst während der Operation oder durch den Pathohistologen gestellt. Nach Sicherung der Diagnose eines malignen Melanoms der Tränensackes ist eine Radikaloperanon womöglich mit ausgedehnten Knochenresektionen der Umgebung des befallenen Trãnensackes erforderlich. Bestrahiungen in der unmittelbaren postoperativen Phase wurden nur beim 1. Fall Duguids (1964) durchgeftihrt. Dieser und der Fall Yamade und Kitagawas (1978) waren auch die einzigen weiche keine Rezidive berichtet wurden. In alien anderen nach 1963 publizierten Fallen kam es zwischen einem Monat bis zwei Jahren nach der ersten Operation zum Auftreten eines Lokalrezidivs. Angaben spate Fernmetastasierung und Spätkompiikationen fehlen in der uns zugängigen Literatur vollig, so Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 264 Prim)ires malignes Melanom des Triinensackes soicher primrer Tumor in der Konjunktiva konnte bei unserer Patientin mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Auch die Tumorstrukturen im Rahmen der Tranenwege ergaben mehrfache Anzeichen dafiir, daf sich das Melanom aus pigmentbildenden Epithelien des Tränensacks entwickelt hat. Literatur Duguid, I. M.: Malignant Melanoma of the lacrimal sac. Brit. J. Ophthal. 48 (1964) 394 Duke-Elder, S.: System of ophthalmology. Vol. 13. p. II. p. 756, p. 759. Kimpron, London 1974 Eitrem, E.: siehe M. Radnót, J. Gall: Tumoren des Trlnensackes. Ophthalmologica 151 (1966) 1 Farkas, T. G., R. E. Lamberson: Malignant Melanoma of the lacrimal Sac. Amer. J. Ophthal. 66 (1968) 45 Faulborn, J., H. Witschel: Malignes Melanom des Tränensackes. KIm. MbI. Augenheilk. 161 (1972) 662 Francois, J., F. Hollwich: Augenheilkunde in Klinik und Praxis. Bd 1. 7.53. Thieme, Stuttgart 1977 Hogan, M. J., L. Zimmerman: Ophthalmic Pathology. An Atlas and Textbook. p. 224. Saunders, Philadelphia 1962 Offret, G., C. Haye: Les naevocarcinomes du sac lacrymal. Arch. Ophtal. (Paris) 23 (1963) 700 Offret, G., C. Haye: Tumeurs de l'oeil et des annexes oculaires. p. 557. Masson et Cie., Paris 1971 Pau, H.: Differentialdiagnose der Augenkrankheiten. S. 132. Thieme, Stuttgart 1974 Radnót, M., J. Gall: Tumoren des TrInensackes. Ophthalmologica 151 (1966) 1 Radndt, M., K. Lapis, A. Medgyaszay: Examen ultrastructural d'un mélanome maIm du sac lacrymal. Ophthalmologica 163 (1971) 73 Reese, A. B.: Tumors of the Eye. Ed. 3, p. 58. Harper & Row, New York 1976 Yamade, S., A. Kitagawa: Malignant Melanoma of the lacrimal sac. Ophthalmologica 177 (1978) 30 QA Dr. W. Schreinzer, Augenabteilung des Landeskrankenhauses Feldkirch/Vorarlberg, A-6807 Feldkirch Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. da1 die Prognose des primären Melanoms des Tränensackes quo ad vitam lediglich Vermutungen in Analogie zur Prognose pigmentierter maligner Tumoren der Haut angestelit werden können (Faulborn und Witschel 1972, Radnót und Gall 1966). Als wichtigste Frage im Zusammenhang mit der Diagnose von malignen Melanomstrukturen in den Tränenwegen muf. die Metastasierung eines soichen Tumors von der Kon junktiva her diskutiert werden. Metastasen eines malignen Melanoms anderer Lokalisationen im Körper wie an der Haut, im Auge selbst oder im Gehirn sind unwahrscheinlich. Em 265