18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen 18.3 Einteilung der Augenverletzungen nach dem Verletzungsmechanismus ● ● ● Mechanisch bedingte Verletzungen: ○ Lidverletzungen, ○ Verletzungen der Tränenorgane, ○ Bindehautverletzung, ○ Fremdkörper auf Horn- und Bindehaut, ○ Erosio corneae, ○ nicht perforierende Verletzung (stumpfes Bulbustrauma), ○ Orbitabodenverletzung (Blow-out-Fraktur), ○ perforierende Verletzung (Verletzung mit Bulbuseröffnung), ○ Pfählungsverletzung der Orbita; Chemisch bedingte Verletzungen: Verätzungen; Physikalisch bedingte Verletzungen: ○ Verbrennungen, ○ Strahlungsverletzungen (ionisierende Strahlen), ○ Verblitzung; Indirekte okuläre Traumen: Angiopathia retinae traumatica (Purtscher). a Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. ● b 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen 18.4.1 Lidverletzung engl.: lid injury ▶ Ätiopathogenese. Verletzungen der Lider können praktisch bei allen Verletzungen im Gesichtsbereich vorkommen. Besondere Bedeutung haben: ● Lidverletzungen mit durchtrennter Lidkante und ● Lidabrisse im inneren Lidwinkel mit abgerissenen Tränenröhrchen (Canaliculi). ▶ Klinisches Bild. Wegen des Gefäßreichtums und der lockeren Gewebetextur bluten Lidwunden stets erheblich. Hämatom und Schwellung sind ausgeprägt, treten schnell auf und können die ganze Lidspalte zuschwellen ( „Der Boxer schloss dem Gegner mit einem Schlag das Auge!“) (▶ Abb. 18.1). Schürfwunden betreffen meist nur die oberflächlichen Hautschichten, Stich- und Schnittverletzungen sowie alle Lidabrisse durch stumpfe Gewalteinwirkung häufig alle Lidschichten. Bissverletzungen der Lider (Hundebiss) sind oft mit Tränenwegsverletzungen verbunden. c Abb. 18.1 Ober- und Unterlidverletzung mit Abriss der Tränenwege. a Durch die Verletzung ist die Hornhaut exponiert, Lidschluss und damit Befeuchten von Horn- und Bindehaut sind nicht mehr möglich. Für den Transport ins Krankenhaus muss vom Primärversorger eine feuchte Kammer (in Kochsalzlösung getränkter Tupfer) als Austrocknungsschutz angelegt werden! b Befund am Ende der Operation. c Befund 2 Monate nach der Wundversorgung (Kunststoffschlauch zur Schienung der Tränenwege in loco, zur Operationstechnik, s. auch ▶ Abb. 18.3). ▶ Therapie. Bei der chirurgischen Versorgung von Lidverletzungen, speziell von Lidkantendurchtrennungen ist auf spannungsfreien, schichtweisen Wundverschluss zu achten, um spätere Komplikationen (Narbenektropium) zu vermeiden (▶ Abb. 18.2). Reine Schwellungen reagieren gut auf kühle Umschläge (Eisbeutel). 363 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen Verätzung (S. 373) zurück. Eine Verletzung des Tränensacks oder der Tränendrüse kommt in der Regel in Verbindung mit einem schweren Gesichtsschädeltrauma (Hufschlag, Verkehrsunfall) vor. Als Folgeerscheinung entstehen häufig Tränensackentzündungen, die oft nur chirurgisch (Dakryozystorhinostomie, s. ▶ Abb. 3.10 saniert werden können. 18.4.2 Verletzungen der Tränenorgane engl.: injuries of the lacrimal system ▶ Ätiopathogenese. Die Tränenröhrchen können bei Schnitt- und Rissverletzungen im inneren Lidwinkel durchtrennt werden (Hundebiss, Glassplitter). Eine Obliteration von Tränenpünktchen und -kanälchen geht meist auf eine Verbrennung oder ▶ Therapie. Tränenwegsverletzungen werden unter dem Mikroskop operiert, indem man die Kanälchen durch Ringintubation mit einem Silikonschlauch schient (▶ Abb. 18.3b und ▶ Abb. 18.3c), der über eine spezielle Sonde (wegen der Form Pigtail-Sonde genannt) eingeführt wird. Der Silikonschlauch bleibt 3 – 4 Monate liegen und wird dann gezogen. H ● Die chirurgische Versorgung von Lid- und Tränenwegsverletzungen muss durch den Augenarzt erfolgen. a b c Abb. 18.3 a Befund b Befund c Befund 364 Chirurgische Versorgung eines Lidabrisses mit Tränenwegabriss (bikanalikuläre Ringintubation). vor Wundversorgung. nach Wundversorgung. nach Wundversorgung (Skizze). Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 18.2 Narbenektropium links nach unsachgemäßer Wundversorgung. Infolge des nicht spannungsfreien und nicht schichtweisen Wundverschlusses „zieht“ die Narbe das Unterlid nach unten. ▶ Klinisches Bild. Zur Tränensackentzündung vgl. Kap. Erkrankungen der ableitenden Tränenwege (S. 58); zum Abriss der Tränenwege (Abrisse im medialen Lidwinkel), ▶ Abb. 18.3a. 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen engl.: conjunctival laceration ▶ Epidemiologie. Wegen ihrer exponierten Lage, Dünnheit und Verschieblichkeit sind Rissverletzungen der Bindehaut häufig (meist in Verbindung mit Unterblutung). ▶ Ätiopathogenese. Bindehautrisse entstehen am häufigsten durch Stichverletzungen (z. B. durch Hineinbücken in eine Stechpalme oder einen ins Gesicht schnellenden Ast). ▶ Symptomatik und Diagnostik. Der Patient hat das Gefühl, einen Fremdkörper im Auge zu haben. Dies ist jedoch meist nur schwach ausgeprägt. Bei der Untersuchung stellt man im Verletzungsgebiet eine umschriebene Bindehautrötung oder Unterblutung (Hyposphagma) fest. Das Ausmaß der Bindehautdehiszenz kann manchmal nur durch Anfärben der Bindehautläsion mit Fluoreszein sichtbar gemacht werden. ▶ Therapie. Kleine Bindehautläsionen müssen nicht versorgt werden, da die Bindehaut eine sehr gute Heilungstendenz hat. Größere Risse mit flottierenden Wundlappen werden mit resorbierbaren Fäden readaptiert. H ● Bei Bindehautverletzungen stets auch an eine perforierende Verletzung denken und bei der Wundversorgung die darunter liegende Sklera nach Tropfanästhesie inspizieren! 18.4.4 Fremdkörper auf Bindeund Hornhaut engl.: corneal and conjunctival foreign body ▶ Epidemiologie. Fremdkörper auf Binde- und Hornhaut verursachen mit die häufigsten Notfallsituationen in der allgemein- und augenärztlichen Praxis. ▶ Ätiopathogenese. Fremdkörper aus der Luft, insbesondere aber kleine Metallsplitter von Schmirgel- und Flexscheiben setzen sich oft auf Bindeund Hornhaut fest oder brennen sich dort ein. ▶ Symptomatik und Diagnostik. Der Patient hat bei jedem Lidschlag das Gefühl, einen Fremdkörper im Auge zu haben. Dazu kommen Schmerzen, Epiphora (Augentränen) und Blepharospasmus (Lidkrampf). Am Auge ist, je nachdem, wie lange der Befund schon besteht (wenige Stunden bis mehrere Tage) eine konjunktivale bis ziliare Injektion zu sehen (s. ▶ Abb. 18.4a und ▶ Abb. 18.4b). Die Fremdkörper selbst, die auf Hornhaut und Bindehaut sitzen, sind oft so klein, dass sie nur mit der Lupe zu erkennen sind (Infiltrat, Rostring). Wenn kein Fremdkörper zu sehen ist und die Hornhaut nach dem Anfärben mit Fluoreszein vertikale Kratzspuren aufweist, liegt der Fremdkörper subtarsal (s. ▶ Abb. 5.15). H ● Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 18.4.3 Bindehautverletzung Fremdkörpergefühl bei jedem Lidschlag, Tränen und Blepharospasmus sowie vertikale Kratzspuren auf der Hornhautoberfläche sind typisch für den subtarsalen Fremdkörper. ▶ Therapie ▶ Fremdkörper auf Horn- und Bindehaut. Mit einer feineren Nadel oder Kanüle wird der Fremdkörper aus seinem Bett herausgehebelt. Das Fremdkörperbett, das häufig rostig oder leukozytär infiltriert ist, wird sorgfältig und vollständig mit einem Bohrer ausgefräst (▶ Abb. 18.4c) und bis zum Abheilen der Wunde eine Behandlung mit antibiotischer Augensalbe und evtl. Verband durchgeführt. ▶ Subtarsale Fremdkörper. Nach dem Ektropionieren (Umschlagen) des Ober- und Unterlides ist der Fremdkörper meist erkennbar und lässt sich leicht mit einem feuchten Wattetupfer abwischen. Bis zur kompletten Beschwerdefreiheit wird ein antibiotischer Augenverband angelegt. 18.4.5 Erosio corneae (Epitheldefekt der Hornhaut) engl.: corneal erosion ▶ Ätiopathogenese. Primär wird die Oberfläche der Hornhaut durch ein Trauma verletzt (z. B. durch den Fingernagel eines Kindes, das auf dem Arm getragen wird; das Blatt einer Stechpalme; einen Ast, der ins Auge schnellt). In der Regel heilt dieser Epitheldefekt (bei entsprechender Therapie, s. u.) nach kurzer Zeit wieder aus (je nach Größe des Defekts in 24 – 48 Std.). Manchmal haften die Epithelzellen jedoch infolge der Verletzung nur 365 a b Abb. 18.4 Bindehaut- und Hornhautfremdkörper sowie Fräser zur Entfernung. a Bindehautfremdkörper (festgehakte Getreidegranne) am Limbus corneae mit konjunktivaler Injektion. b Eingebrannter Hornhautfremdkörper: Beim Flexen am Tag zuvor (ohne Augenschutz) ist ein Splitter ins Auge gekommen (Pfeil), der jetzt einen geringen Infiltrationsrand zeigt. Nota bene: Konjunktivale und ziliare Injektion an der Stelle des Fremdkörpers (vgl. hierzu auch ▶ Abb. 4.6). c Fräser, mit dem das Fremdkörperbett ausgefräst wird. c mangelhaft auf der Bowman-Lamelle, so dass das Epithel immer wieder, auch noch nach Wochen und Monaten, an der Stelle der primären Verletzung aufbricht. Charakteristischerweise geschieht dies morgens beim Aufwachen durch abruptes Lidöffnen. Diese rezidivierende Erosio ist für den Patienten oft eine schwere psychische Belastung. ▶ Symptomatik und Diagnostik. Sofort nach der Verletzung spürt der Patient ein starkes Fremdkörpergefühl, das mit Tränenträufeln einhergeht. Obwohl objektiv gesehen ein Teil der Oberfläche der Hornhaut fehlt, hat der Patient selbst das Gefühl, es würde sich ein Fremdkörper im Auge befinden. Da der Epitheldefekt starke Schmerzen verursacht, stellt sich ebenfalls umgehend ein Blepharospasmus ein. Weitere Begleiterscheinungen der Erosio corneae sind die sofortige Lidschwellung und die konjunktivale Injektion. Nach Anfärben mit Fluoreszeinnatrium ist der Oberflächendefekt im blauen Licht gut erkennbar (▶ Abb. 18.5). ▶ Therapie. Anlegen eines antibiotischen Salbenverbandes oder Versorgung des Auges mit einer therapeutischen Kontaktlinse und zusätzlich antibiotischen Augentropfen. 366 Abb. 18.5 Erosio corneae. Der Epitheldefekt der Hornhaut ist nach Anfärben mit Fluoreszeinnatrium im blauen Licht gut erkennbar. H ● Zur Therapie der rezidivierenden Erosio corneae muss der Patient nicht selten stationär aufgenommen werden (beidseitiger Augenverband zur absoluten Ruhigstellung der Augen). PRK (Photorefraktive Keratektomie) und Hornhautstichelung sind weitere Therapieoptionen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen Synonym: Contusio bulbi; engl.: blunt ocular trauma ▶ Epidemiologie und Ätiopathogenese. Kontusionsverletzungen infolge stumpfer Gewalteinwirkung (wie Faustschlag, Squashball, Tennisball, Sektkorken, Stein, Sturz auf das Auge, Kuhhornstoß) sind sehr häufig. Wenn der stumpfe Gegenstand im Durchmesser kleiner ist als die schützenden knöchernen Strukturen der Orbita, kann der Bulbus erheblich deformiert werden. ▶ Klinisches Bild und Diagnostik. Die Deformation übt auf die intraokulären Strukturen eine erhebliche Zugwirkung mit daraus resultierenden Zerreißungen aus. Häufig können die tieferen Au- genabschnitte zunächst nicht beurteilt werden, da sich Blut in der Vorderkammer befindet. H ● Keine pupillenwirksamen Medikamente verabreichen, da die Gefahr der irreversiblen Mydriasis besteht (Sphinkterriss) und Pupillenbewegungen das Nachblutungsrisiko erhöhen. Erst nach einer Woche bis 10 Tagen sollten auch die hinteren Augenabschnitte in Mydriasis gründlich untersucht werden, um das Ausmaß der Verletzung festzustellen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 18.4.6 Stumpfes Bulbustrauma Die vielfältigen Verletzungen, die im Einzelnen möglich sind, sind in ▶ Tab. 18.1 und ▶ Abb. 18.6 dargestellt. Tab. 18.1 Übersicht über die möglichen Verletzungen bei stumpfem Bulbustrauma Bezeichnung der Verletzung Definition Folgen Iridodialyse Abriss der Iriswurzel ● ● ● traumatische Aniridie vollständiger Abriss der Iris Kammerwinkelrezessus Pupillenentrundung verstärkte Blendung optische Störung, wenn im Lidspaltenbereich eine große Dialyse liegt, die zu einer „doppelten“ Pupille führt Therapie Bei entsprechendem Ausmaß (Patient hat bei extremem Abriss der Iriswurzel sozusagen 2 Pupillen, zum Verständnis s. ▶ Abb. 18.6) Iridopexie (= Annähen der Iriswurzel); sonst keine Therapie. Sonnenbrille. Wenn gleichzeitig eine Katarakt vorliegt, wird bei der Kataraktoperation eine schwarze Kunstlinse mit optischer Öffnung in Pupillengröße implantiert. Patient leidet unter erhöhter Blendung ● Aufweitung des Kammerwinkels Langzeitfolge: Sekundärglaukom s. Kap. 10 Zyklodialyse Abriss des Ziliarkörpers von der Sklera ● Subluxatio lentis Abriss der Zonulafasern ● ● ● ● Hypotonia bulbi mit Aderhautfalten und Papillenödem Sehverschlechterung Der Ziliarkörper muss wieder angenäht werden (Zyklopexie), um eine Phthisis bulbi (Augapfelschrumpfung) zu verhindern. Dislokation der Linse und Irisschlottern (Iridodonesis) verminderte Abbildungsqualität Entfernung der Linse und Implantation einer Kunstlinse, s. Kap. 7.5. Glaskörperabhebung Abhebung der Glaskörperbasis Patient sieht Glaskörperschlieren (sog. Mouches volantes, → Kap. 11) s. Kap. 11.3 Oradialyse Abriss der peripheren Netzhaut (Orariss) Netzhautablösung, infolgedessen Lichtblitze, Schatten, Erblindung Netzhautoperation, ▶ Abb. 12.27. Sphinkterriss Einriss des M. sphincter pupillae mit Dehnung der Iris evtl. traumatische Mydriasis bzw. mangelnde Pupillenfunktion Sonnenbrille, sonst keine Therapie möglich; wenn Kataraktoperation nötig, ist Pupillenverengung durch Iriskonstriktionsnaht möglich. 367 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen Tab. 18.1 Fortsetzung Definition Folgen Kontusionsrosette traumatische Linsentrübung (Cataracta traumatica) ● ● rosettenförmige Trübung subkapsulär an der Vorderfläche der Linse (Kontusionsrosette mit Fiederung), die im Laufe der Jahre durch Faserapposition in die tiefere Rinde wandert, sonst aber unverändert bestehen bleibt; Patient leidet unter allmählich zunehmender Sehverschlechterung Therapie Wenn die Trübung im optischen Zentrum liegt, ist dies immer eine Indikation zur Operation (näheres zur Operation, s. Kap. 7, ▶ Abb. 7.19). Berlin-Netzhautödem Netzhaut- und Makulaödem am hinteren Pol (Contre-coupStelle), evtl. mit Blutungen Sehverschlechterung abwarten, bis die Schwellung von alleine zurückgeht Aderhautrupturen sichelförmig, konzentrisch um die Papille angeordnete Aderhautrisse Wenn die Risse durch die Makula gehen, ist die Folge eine Herabsetzung des Visus. keine Therapie möglich; Vernarbung abwarten Chorioretinopathia traumatica Aderhaut-Netzhaut-Atrophie durch Abriss oder Quetschung hinterer kurzer Ziliararterien Visusverlust keine Therapie möglich Avulsio bulbi traumatische Luxation des Bulbus vor die Orbita, häufig verbunden mit einer Avulsio nervi optici (s. nächste Zeile) sofortige Erblindung Entfernen des Bulbus Avulsio nervi optici Ausriss des gesamten Sehnervs an der Stelle des Eintritts in das Auge sofortige Erblindung Die Unterbrechung der Nervenfasern ist irreversibel. Möglich sind Optikusscheidenhämatom, ● Optikuskontusion oder ● Fraktur des Canalis nervi optici. Optikusatrophie mit Visusverschlechterung und Gesichtsfeldverlust keine Therapie möglich ● Verletzung retrobulbärer Gefäße ● Sehnervenläsion Retrobulbärhämatom ● ● Hyphäma Blutung in die Vorderkammer Orbitaeinblutung, Lidhämatom und Exophthalmus Patient sieht verschwommen. ● ● ● ● Glaskörperblutung Blutung in den Glaskörperraum Orbitabodenfraktur (Blowout-Fraktur) Bruch des Orbitabodens in die Kieferhöhle hinein ● ● 368 ● ● Resorption abwarten, Operation nur, wenn die Zentralarterie durch Druck verschlossen ist Aufrechte Körperhaltung einnehmen, damit sich das Blut nach unten absetzt und das Sehen ermöglicht. Hyphäma saugt sich von selbst auf. Bei der Ophthalmoskopie ist im regredienten Licht kein Rotlichtreflex mehr zu sehen. Visusverlust. Aufklaren abwarten (immer auch an Netzhautablösung mit Blutung aus eingerissener Retina denken!) Doppelbildwahrnehmung am betroffenen Auge Blickhebungs- bzw. Blicksenkungsdefizit ● ● Schneuzverbot bei Beteiligung der Nasennebenhöhlen (knisternder Palpationsbefund) operative Wiederherstellung des Orbitabodens und Befreien des eingeklemmten Orbitainhaltes Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Bezeichnung der Verletzung 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen Cataractatraumatica (Contusionsrosette) Retinochoriopathia traumatica Contusio retinae (Berlin-Netzhautödem) Avulsio bulbi Optikusausriss Subluxatio lentis Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Aderhautruptur Orariss Retrobulbärund Lidhämatom Orbitabodenfraktur mit Einklemmung des M. rectus inf. Iridodialyse Sphinkterrisse Hyphäma Gewalteinwirkung Abb. 18.6 Mögliche Augenverletzungen infolge eines stumpfen Bulbustraumas. Erläuterung s. Text und ▶ Tab. 18.1. 369 Bei einer schweren Contusio bulbi können Spätfolgen auftreten, wie: ● Sekundärglaukom, ● Amotio retinae und ● Katarakt ● Subluxation und Luxatio lentis. H ● Spätfolgen einer stumpfen Bulbusverletzung können noch Jahre nach der Verletzung auftreten. ▶ Therapie. Sie besteht zunächst in der Ruhigstellung des Auges, damit sich das intraokulare Blut absetzen kann. Zu Einzelheiten s. ▶ Tab. 18.1. H ● Nachblutungen nach 3 – 4 Tagen sind häufig! 18.4.7 Orbitabodenfraktur (→ Contusio bulbi) Synonym: fracture Blow-out-Fraktur; engl.: blow-out ▶ Ätiopathogenese. Ursache einer Orbitabodenfraktur ist die Einwirkung stumpfer Gewalt, die den Orbitainhalt aufgrund ihrer kleinen Angriffsfläche (Faustschlag, Tennisball, Squashball) so stark komprimieren kann, dass die Orbitawand bricht. In der Regel ist der Bruch an der dünnsten Stelle lokalisiert, also am papierdünnen Orbitaboden über dem Sinus maxillaris. Der knöcherne, ringförmige Orbitaeingang bleibt meist unverletzt. Durch den Bruch kommt es zum Vorfall und zur Einklemmung von Orbitafett sowie des M. rectus inferior und seiner Hüllen in der Bruchstelle. Wenn statt des Orbitabodens die mediale Siebbeinwand eingebrochen ist, ist die Folge ein Luftemphysem im Bereich der Lider. ▶ Symptomatik und Diagnostik. Je schwerer die Kontusionsverletzung, desto stärker stehen die intraokularen Schäden und die daraus folgende Sehverschlechterung im Vordergrund. Durch die Einklemmung des M. rectus inferior kann es, vor allem beim Blick nach oben, zu Doppelbildern kommen, die in der Anfangsphase, wenn das Auge noch zugeschwollen ist, unter Umständen subjektiv übersehen werden. Wenn der Knochendefekt groß ist, kann es durch die Verlagerung größerer 370 Orbitaanteile zu einem Zurücksinken des Auges in die Augenhöhle (Enophthalmus) und zur Verengung der Lidspalte kommen. Eine Läsion des N. infraorbitalis, der im Orbitaboden verläuft, führt zusätzlich zu Hypästhesien der Gesichtshaut. Ergibt die Untersuchung der Lidschwellung einen knisternden Palpationsbefund, deutet dies auf ein Luftemphysem durch den Einbruch der Siebbeinzellen hin. Das Knistern entsteht durch Luft, die aus den Nebenhöhlen in die Orbita eintritt. In diesem Fall sollte sich der Patient innerhalb der nächsten 4 – 5 Tage nicht schneuzen, um weder Luft noch Keime in die Orbita zu pressen. Die genaue Lokalisation der Fraktur erfolgt in Zusammenarbeit mit einem HNO-Arzt durch eine Röntgenaufnahme, bei schwierigeren Fällen durch die noch exaktere Computertomografie. In seltenen Fällen, bei extremem Orbitatrauma und meist vollständigem Bersten des Bulbus (Sturz auf den Fahrradlenker, Augenverletzung durch Feuerwerksrakete) kann es auch zu Frakturen des stabileren Orbitadaches kommen. H ● Das in die Kieferhöhle verlagerte Gewebe sieht im CT-Bild wie ein „hängender Tropfen“ aus. ▶ Therapie. Die Operation, die die normalen anatomischen Verhältnisse und die Begrenzung der Orbita wiederherstellt, sollte innerhalb von 10 Tagen erfolgen, also bevor der eingeklemmte M. rectus inferior vernarbt und damit irreversibel geschädigt ist. Die Prognose ist dann gut. Näheres siehe Kap. Orbitachirurgie (S. 310). H ● Tetanusprophylaxe sowie antibiotische Abschirmung sind unerlässlich. 18.4.8 Verletzung mit Bulbusöffnung engl.: penetrating ocular injury ▶ Ätiopathogenese. Verletzungen mit Bulbusöffnung sind neben den schwersten Verätzungen die extremsten Augenverletzungen. Sie werden durch scharfe Gegenstände verursacht, die Hornhaut und Sklera durchdringen. Dabei ist zwischen Perforation mit und ohne intraokularen Fremdkörper zu Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen ▶ Klinisches Bild und Diagnostik. Perforierende Verletzungen bieten das gesamte klinische Spektrum von großer Kornea- und Skleraeröffnung (▶ Abb. 18.7) mit Verlust der Vorderkammer bis hin zu kleinen, kaum sichtbaren, spontan dichten Verletzungen (Stichverletzung, Eintrittspforte eines Fremdkörpers). Dementsprechend kann der Visus des Patienten stark oder gar nicht beeinflusst sein. Eine der häufigen Folgen ist die sog. Perforationskatarakt. Durch die traumatische Eröffnung der Linsenkapsel dringt Kammerwasser ein und führt zur Linsenquellung. Die Folge ist eine mehr oder weniger starke Eintrübung der Linse. Große Defekte haben innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen die vollständige Eintrübung der Linse zur Folge. Kleinere Defekte, die sich spontan wieder verschließen, verursachen manchmal nur eine umschriebene, im klassischen Fall subkapsuläre vordere oder hintere rosettenförmige Trübung (Perforationsrosette). Je nach Ausmaß der Verletzung finden sich bei einer Bulbusperforation folgende diagnostische Zeichen: ● flache oder aufgehobene Vorderkammer, ● Pupillenverziehung zur Perforationsstelle hin, ● Linsenquellung (Perforationskatarakt), ● Vorderkammer- und Glaskörperblutung, ● Bulbushypotonie. Linsenkapseleröffnung und Glaskörperblutung erschweren die Untersuchung oft, da sie die Sicht ins Auge verhindern. Deshalb ist in diesen Fällen ebenso wie bei Verdacht auf einen intraokularen Fremdkörper (S. 362), der sich aus der Anamnese ergibt, zunächst ● eine Röntgenaufnahme in 2 Ebenen nötig (um festzustellen, ob überhaupt ein Fremdkörper im Auge ist) und/oder ● eine Computertomografie (ermöglicht die genaue Lokalisation des Fremdkörpers und stellt auch nicht röntgendichte Fremdkörper, z. B. aus Plexiglas, dar). H ● Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. unterscheiden. Aber auch ein stumpfes Bulbustrauma kann bei außerordentlicher Wucht der einwirkenden Gewalt (Kuhhornstoß, Sturz auf Stock) oder bei vorgeschädigten Augen (nach Operation oder Verletzung) zur Bulbusberstung führen. Eine Hammer-Meißel-Verletzung legt immer den Verdacht auf einen intraokularen Fremdkörper nahe (Absicherung der Diagnose durch Fundusuntersuchung in Mydriasis und Röntgenaufnahme). ▶ Therapie ▶ Primärversorgung. Bei Verdacht auf eine perforierende Verletzung sollte ein steriler Verband angelegt und der Patient zur Wundversorgung an eine Augenklinik überwiesen werden. Tetanusschutz bzw. -prophylaxe sowie Infektionsprophylaxe durch systemische Antibiotikagabe sind grundsätzlich notwendig. ▶ Chirurgische Versorgung. Bei perforierenden Verletzungen muss der Bulbus wieder zugenäht und die Vorderkammer wiederhergestellt werden. Sind Gewebe (wie z. B. die Iris) ausgetreten, müssen diese entfernt werden. Intraokulare Fremdkörper (▶ Abb. 18.8 a und b) sollten bei guten Sichtverhältnissen gleich bei der Wundversorgung mitentfernt werden (Vitrektomie, Fremdkörperextraktion). Bei starker Einblutung oder unübersichtlicher Situation ggf. Fremdkörperentfernung zweizeitig nach dem primären Wundverschluss. ▶ Spätfolgen Eine nicht sachgemäß wiederhergestellte Vorderkammer führt zum Verkleben der Iris im Kammerwinkel und so zu einem sekundären Winkelblockglaukom. ● Eine Netzhautverletzung (z. B. Anschlagstelle des Fremdkörpers im Auge) kann zur Netzhautablösung führen. ● Nicht entfernte intraokulare Eisenfremdkörper führen (oft erst nach Jahren) zur Siderosis ● Abb. 18.7 Perforierende Verletzung. Bulbuseröffnendes Trauma von Hornhaut, Iris, Linse, Sklera und Netzhaut durch eine Tacker-Klammer. 371 18.4 Mechanisch bedingte Verletzungen b Abb. 18.8 Intraokulare Fremdkörper nach Hammer-Meißel-Verletzung. a Der Eisensplitter steckt in der Linse, die Hornhaut hat sich spontan wieder verschlossen (weißer Pfeil); zusätzlich Sphinkterläsion (schwarzer Pfeil). b Der Eisensplitter ist über die Sklera eingetreten und steckt jetzt in der Netzhaut (hintere Bulbuswand), die er „koaguliert“ hat (Weißfärbung der umliegenden Netzhaut). Vor der Entfernung mit Vitrektomie ist der Fremdkörper mit ArgonLaserherden umstellt, um die Netzhaut zu fixieren. ● ● bulbi (Verrostung des Auges) mit unwiederbringlichem Funktionsverlust (Rezeptorschaden). Kupferfremdkörper lösen in wenigen Stunden heftige Entzündungsreaktionen im Auge aus (Chalcosis bulbi, Ablagerung von Kupfer) mit Uveitis und Hypopyon bis hin zur Phthisis bulbi (Schrumpfung und Hypotonie des Auges). Organische Fremdkörper (z. B. Holz) im Auge führen zu foudroyanten Endophthalmitiden. 18.4.9 Pfählungsverletzung der Orbita engl.: impalement injury 372 ▶ Ätiopathogenese. Pfählungsverletzungen entstehen am häufigsten: ● bei Kindern, die stürzen und dabei auf einen Bleistift oder sonstigen Gegenstand fallen, den sie in der Hand halten (▶ Abb. 18.9), ● durch Fremdeinwirkung (Pfeil und Bogen, Dartpfeile) oder ● durch ein Messer, das dem Metzger beim Ausbeinen abrutscht. Abb. 18.9 Pfählungsverletzung der rechten Orbita. Orbitaverletzung ohne Bulbusverletzung nach Sturz auf den in der Hand gehaltenen Bleistift. (Abb. von Prof. W. R. Green, M.D., Baltimore, freundlicherweise überlassen) Häufig gleitet der „Pfahl“ an der runden, harten Hülle des Auges (Horn- und Lederhaut) ab und bleibt in den Weichteilen der Orbita stecken. gendiagnostik sowie Ultraschallechografie zur Verfügung. ▶ Symptomatik und Diagnostik. Durch den Pfahl kann das Auge verdrängt und disloziert sein. Häufig besteht nur eine geringe umgebende Blutung. Zur Diagnostik, inwieweit intraokulare Strukturen mitverletzt sind, stehen Ophthalmoskopie, Rönt- ▶ Therapie. Der Pfahl sollte primär steckengelassen werden, da beim Herausziehen durch verletzte Gefäße eine heftige Blutung mit Orbitahämatom folgen kann. Gegebenenfalls sollte der Pfahl für den Transport in die Augenklinik stabilisiert werden. In der Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. a 18.5 Chemisch bedingte Verletzungen: Verätzungen 18.5 Chemisch bedingte Verletzungen: Verätzungen engl.: chemical burn ▶ Ätiopathogenese. Verätzungen können durch unterschiedliche Substanzen, wie Säuren, Laugen, Detergenzien, Lösungsmittel, Kleber und Reizstoffe (z. B. Tränengas) ausgelöst werden und nur eine leichte Reizung am Auge, aber auch die völlige Erblindung zur Folge haben. H ● Verätzungen gehören zu den gefährlichsten Augenverletzungen. Um schwer wiegende Folgen (Erblindung) abzuwenden, ist die Primärversorgung am Unfallort besonders wichtig. Generell gilt, dass Säureverätzungen weniger gefährlich sind als Laugenverätzungen. Dies beruht auf der fehlenden Tiefenwirkung der meisten Säuren. Säuren führen im Unterschied zu Laugen zu einer sofortigen oberflächlichen Koagulation der Gewebe (Koagulationsnekrose), die eine weitere Tiefenwirkung verhindert (selbstlimitierender Prozess). Dennoch haben manche Säuren eine Tiefenwirkung, die der von Laugen vergleichbar ist und ähnlich schwere Verletzungen hervorruft. Konzentrierte Schwefelsäure (z. B. aus einer explodierenden Autobatterie) führt beispielsweise zu Wasserentzug aus dem Gewebe mit gleichzeitig starker Hitzeentwicklung, die alle Schichten des Auges betrifft. Eine ähnliche Tiefenwirkung haben Fluss- und Salpetersäure. Laugen können im Gegensatz zu Säuren die äußeren Augenhüllen durch Hydrolyse der Strukturproteine und Zellauflösung penetrieren (Kolliquationsnekrose). Durch eine Alkalisierung des Kammerwassers rufen sie dann schwere intraokulare Schäden hervor. ▶ Symptomatik. Je nach Schwere der Verätzung stehen Epiphora, Blepharospasmus und starke Schmerzen im Vordergrund. Säureverätzungen führen aufgrund der oberflächlichen Gewebene- krose in der Regel sofort zu einem Visusabfall, Laugenverätzungen häufig erst Tage später. ▶ Klinisches Bild und Diagnostik. Für Therapie und Prognose ist es sehr wichtig, den Schweregrad und die Ursache der Verätzung richtig zu diagnostizieren. H ● Laugenverätzungen sehen zunächst weniger schwer aus als Säureverätzungen, enden dann aber häufig in Erblindung. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Klinik wird, je nach Befund, der Fremdkörper aus der Augenhöhle entfernt und die Integrität des Bulbus überprüft. Evtl. Blutungen werden gestillt. Die antibiotische Abdeckung zur Verhinderung einer Orbitaphlegmone (S. 304) ist stets erforderlich. Die morphologischen Befunde und die daraus resultierende Prognose variieren stark, je nach Schweregrad und Dauer der Verätzungseinwirkung. Sie sind in ▶ Tab. 18.2 zusammengefasst. ▶ Therapie. Die Sofortmaßnahmen (Erste Hilfe) an der Unfallstelle entscheiden oft über das Schicksal des Auges! Die ersten Sekunden und Minuten und das beherzte Eingreifen von anwesenden Personen spielen hier eine wichtige Rolle. Die sofortige und reichliche Spülung kann mit jeder neutralen wässrigen Lösung durchgeführt werden (Leitungswasser, Mineralwasser, Limonade, Kaffee, Tee o. Ä.; möglichst keine Milch verwenden, da diese die Epithelbarriere öffnet und die Tiefenwirkung der Verätzung verstärkt). Der Blepharospasmus muss möglichst von einer 2. Person rigoros überwunden und die Lider geöffnet werden, damit wirksam gespült werden kann (in den seltensten Fällen ist am Unfallort ein Lokalanästhetikum zur Überwindung des Blepharospasmus vorhanden). Grobe Partikel (Kalkpartikel bei Kalkverätzung) sollten ausgespült und gegebenenfalls entfernt werden. Erst jetzt sollte der Patient zum Augenarzt oder in die Augenklinik gebracht werden. ▶ Chronologie der Maßnahmen bei einer Verätzung ● Sofortmaßnahmen an der Unfallstelle (durch Arbeitskollegen, Familienangehörige): ○ Überwinden des Blepharospasmus durch rigoroses Lidöffnen; ○ Spülung innerhalb von Sekunden (Leitungswasser, Mineralwasser, Limonade, Kaffee, Tee o. Ä.). Grobe Partikel vorsichtig aus dem Bindehautsack entfernen; ○ gleichzeitig den Notarzt verständigen; ○ Transport des Patienten zum nächstgelegenen Augenarzt bzw. in die Augenklinik. 373