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EINSICHTEN 2009
NEWSLETTER 03
lebenswissenschaften
S usa n n e W edli c h
Gefährliche Bodyguards
Fremd vom Eigenen zu unterscheiden, ist eine der wichtigsten Aufgaben des Immunsystems. Wenn statt Krankheitserregern körpereigene Strukturen angegriffen werden,
können gefährliche Autoimmunkrankheiten entstehen. In ihren Arbeiten konnten die
Immunologen Professor Ludger Klein, Professor Thomas Brocker und Privatdozent Dr.
David Vöhringer neue Mechanismen nachweisen, die eine derartige Entgleisung der
Immunabwehr verhindern.
Typ-1-Diabetes, Schuppenflechte, Multiple Sklerose und selbst bestimmte Formen des Haarausfalls: Die Liste der Autoimmunerkrankungen des Menschen ließe sich lange fortsetzen. In all diesen Fällen richtet sich die Abwehrreaktion des Organismus gegen körpereigene Zellen oder Gewebe. Unbehandelt können diese Leiden zur Zerstörung von Organen oder sogar zum Tod des
Patienten führen. Als Ursache der fehlgeleiteten Immunreaktion werden genetische Defekte in
Kombination mit Umweltfaktoren vermutet. Verantwortlich für viele solcher Angriffe auf körpereigene Strukturen sind die für die Immunabwehr wichtigen T-Lymphozyten. Sie entwickeln sich
im Thymus, einem Organ im oberen Brustkorb. In dieser „T-Zell-Schule“ wird jede der Zellen mit
einem individuellen Rezeptor an ihrer Oberfläche ausgestattet, der spezifisch ein Antigen eines
pathogenen Erregers erkennen soll. Antigene sind molekulare Strukturen, meist Bruchstücke von
Proteinen. Weil jeder T-Lymphozyt über einen spezifischen Rezeptor verfügt, ergibt sich eine ungeheure Vielfalt an T-Zell-Rezeptoren – und das Immunsystem kann auf nahezu jeden Krankheitserreger reagieren.
Die Konstruktion der T-Zell-Rezeptoren erfolgt nach dem Zufallsprinzip, so dass im Thymus immer
auch T-Lymphozyten entstehen, die auf körpereigene Strukturen reagieren und diese attackieren
könnten. Schutz vor Autoimmunerkrankungen bietet nur die Vernichtung oder Entschärfung dieser autoreaktiven Immunzellen – die sogenannte immunologische Toleranz. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die negative Selektion. Dabei werden die gefährlichen T-Zellen einzeln aussortiert
und in den Zelltod getrieben, bevor sie den Thymus verlassen können. Die verbleibenden T-Lymphozyten werden allerdings noch einem zweiten Ausleseverfahren unterzogen. Diese Prüfung
findet in anderen Geweben des Immunsystems statt, den peripheren lymphatischen Organen.
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Es sind vor allem die Lymphknoten und die Milz, in denen diese zusätzliche Qualitätskontrolle
abläuft. Zuständig dafür sind, wie eine internationale Kooperation unter der Leitung des LMUImmunologen Professor Thomas Brocker zeigen konnte, die sogenannten Dendritischen Zellen.
Zu deren vorrangigen Aufgaben gehört eine wichtige Interaktion: Weil T-Lymphozyten nicht an
freie Antigene andocken können, sind sie auf die Präsentation der Proteinfragmente durch andere
Immunzellen angewiesen. Meistens, wenn auch nicht ausschließlich, bieten die Dendritischen Zellen den T-Lymphozyten verschiedene Strukturen zur Prüfung an. Ist das passende Antigen dabei,
löst die betreffende T-Zelle eine Abwehrreaktion des Körpers aus.
wie A utoimmu n reaktio n e n verhi n dert werde n k ö n n te n
Wie Thomas Brocker und sein Team zeigen konnten, wandern die Dendritischen Zellen aber auch
aus Geweben und Organen, etwa Magen, Darm, Bauchspeicheldrüse, Lunge und Haut, kontinuierlich in die Lymphknoten ein. Im Gepäck haben sie körpereigenes Material zur Prüfung durch die
T-Zellen. Möglich ist dies unter anderem dank der Fähigkeit der Dendritischen Zellen zur Kreuzpräsentation: Sie können also mit Hilfe spezieller Mechanismen körpereigene Gewebsproteine aufnehmen, diese von den Geweben in die Lymphorgane transportieren und dort den T-Lymphozyten
präsentieren. „Wenn ein T-Lymphozyt dann eines dieser körpereigenen Proteine erkennen kann,
droht eine Autoimmunreaktion“, sagt Thomas Brocker. „Solche autoreaktiven T-Lymphozyten sind
also potentiell gefährlich und werden während dieses Erkennungsprozesses inaktiviert und abgetötet. Auf diesem Weg wird die lebenswichtige periphere Toleranz etabliert.“ Für die vorliegende
Arbeit erzeugten die Forscher genetisch veränderte Mäuse, deren Dendritische Zellen gezielte Defekte bei der Aufnahme und Kreuzpräsentation von Proteinen zeigen. „In diesen Tieren blieb die
periphere Toleranzinduktion aus“, berichtet Thomas Brocker. „Damit konnten autoreaktive T-Zellen
akkumulieren und Autoimmunerkrankungen induzieren.“ Die Ergebnisse zeigen erstmals, dass
dieser aktive Prozess im Optimalfall autoreaktive T-Lymphozyten entschärft und so das Entstehen
von Autoimmunerkrankungen verhindert – und dass Dendritische Zellen dabei eine zentrale Rolle
spielen. Andererseits erklärt dies auch, warum es für den Organismus und auch in therapeutischen
Ansätzen so schwer ist, eine Immunantwort gegen Krebs zu erzeugen. Schließlich bestehen die Tumoren vornehmlich aus körpereigenem Material, und Immunzellen, die darauf reagieren, werden
systematisch eliminiert.
Basierend auf diesen Resultaten, zeigte eine Studie unter der Leitung von Privatdozent Dr. David
Vöhringer, dass die Rolle der Dendritischen Zellen nicht auf die Etablierung peripherer Toleranz
beschränkt ist. „Unsere Arbeit an Mäusen hat den Nachweis geliefert, dass ohne Dendritische Zellen auch die erste und zentrale Selektion der T-Lymhozyten im Thymus nur noch ineffizient funktioniert“, berichtet der LMU-Immunologe. „Bei diesen Tieren verlassen auch autoreaktive Zellen
den Thymus. Sie werden dann in den peripheren Organen aktiviert – und lösen Autoimmunität
aus.“ Damit sind die Dendritischen Zellen für die Körperabwehr und die gesamte immunologische
Toleranz des Körpers essentiell. Angesichts der vielen zentralen Aufgaben, die diese Zellen übernehmen, stellt sich eine Frage: Wie kann ohne Dendritische Zellen überhaupt Autoimmunität
ausgelöst werden? „Die Zellen sind unter anderem darauf spezialisiert, Antigene zu präsentieren,
was überhaupt erst eine Reaktion der Körperabwehr ermöglicht“, sagt David Vöhringer. „Es bleibt
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also zu klären, welcher Zelltyp die autoreaktiven
T-Zellen aktiviert, wenn mit den Dendritischen
Zellen die vermutlich wichtigsten Antigen-präsentierenden Zellen des Immunsystems fehlen. Dafür
gibt es bereits ein paar Kandidaten, deren Funktion wir jetzt genauer untersuchen werden.“
Einen weiteren Typ Antigen-präsentierender Zellen, der aber nur unter bestimmten Umständen
aktiv wird, konnte Professor Ludger Klein vom
Institut für Immunologie der LMU identifizieren.
Die Antigene liefert hier das Recycling alter und
funktionsuntüchtiger Proteine, die sogenannte
Autophagie („sich selbst essen“). Bei Nährstoffmangel wird dieser Prozess angeschaltet, um
Zellstrukturen wieder zu verwenden und dadurch
Immunfluoreszenz-Aufnahme von histologischen Schnitten der
Haut: Bei fehlender peripherer Toleranzinduktion infiltrieren autoreaktive T Zellen (grün) unterschiedliche Hautschichten und
induzieren Schuppenflechte-ähnliche Symptome. Zellkerne sind
dem Körper Brennstoffe zur Energiegewinnung zu
liefern. Wie die Forscher um Ludger Klein zeigen
violett und Haarfollikel rot angefärbt.
konnten, spielt die Autophagie aber wider Erwar-
Quelle: LMU
ten nicht nur in dieser extremen Situation eine
Rolle. Die Zerstückelung körpereigenen Materials
scheint vielmehr auch bei der Auslese autoreaktiver T-Lymphozyten wichtig zu sein. So kapern
wohl die Epithelzellen der Thymusdrüse diesen Mechanismus: Sie bilden den einzigen Zelltyp im
Organismus, der auch ohne verstärkten Energiebedarf eine konstant hohe Rate von Autophagie
aufweist. Die Epithelzellen des Thymus präsentieren den heranreifenden T-Lymphozyten mit Hilfe der körpereigenen Antigene in gewisser Weise ein immunologisches Spiegelbild aller Proteine
des Organismus. Autoreaktive T-Zellen können auf diese Weise ausgesiebt werden. „Wir wussten,
dass eben diese Zellen bei der Entschärfung autoreaktiver T-Zellen wichtig sind“, berichtet Ludger Klein. „Die thymischen Epithelzellen sind durch einen immer noch rätselhaften Mechanismus
in der Lage, praktisch jedes Protein des Körpers zu produzieren und für die T-Lymphozyten auf
ihrer Oberfläche zu präsentieren.“ Lieferant für das Material könnte, vermuten die Forscher, die
zweckentfremdete Autophagie sein. So könnte es dieser Prozess den thymischen Epithelzellen
ermöglichen, die körpereigenen Proteine klein genug zu häckseln und auf ihre eigene Oberfläche
zu schleusen.
Die Untersuchung selbst wurde im Tiermodell durchgeführt. Im entscheidenden Experiment
schalteten die Forscher gezielt den Mechanismus der Autophagie in den thymischen Epithelzellen
aus. „Nach fünf Wochen sah man bereits mit bloßem Auge, dass es den betroffenen Mäusen nicht
gut ging“, sagt Jelena Jedjic, eine Koautorin der Studie. „Die Tiere hatten massiv an Gewicht verloren und ihre Haut war schuppig.“ Die immunologische Analyse der Organe zeigte drastisch die
Auswirkungen des Defekts: T-Lymphozyten hatten Blut und Lymphe verlassen, waren in Organe
gewandert und hatten dort Gewebeschäden verursacht. „Allerdings wissen wir nicht, warum die TLymphozyten nur einzelne Organe befallen haben“, meint Ludger Klein. „Für uns war jedenfalls sehr
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interessant, dass vor allem
der Darm so stark geschädigt wurde. Denn dieses
Krankheitsbild erinnert stark
an Morbus Crohn.“ Tatsächlich wurde in zwei unabhängigen Studien gezeigt, dass
eine genetische Verbindung
zwischen dieser Autoimmunerkrankung des MenAutoimmunität als Folge experimentell ausgeschalteter Autophagie: Links ist ein histologischer
schen, einer chronischen
Schnitt durch gesundes Drüsengewebe (Hardersche Drüse) dargestellt, rechts ist ein durch au-
Darmentzündung, und einer
toaggressive T-Zellen teilweise zerstörtes Organ abgebildet. Die Pfeile deuten auf Anhäufungen
von eingewanderten T-Zellen.
Autophagie-Komponente
Quelle: LMU
besteht. Der molekulare Zusammenhang ist allerdings
noch nicht geklärt.
Die Forscher wollen jetzt herausfinden, wie autoreaktive T-Zellen der Selektion im Thymus entkommen können, und wie sich eine defekte Autophagie im Thymus auswirken kann. Diese Ergebnisse sollen auch Einblicke in die Entstehung von Autoimmunerkrankungen liefern und könnten
so möglicherweise helfen, diese zu verhindern oder zu therapieren. Einen möglichen Verbündeten in diesem Kampf hat Ludger Klein schon identifiziert: die regulatorischen T-Zellen. Das sind
jene autoreaktiven T-Zellen, die zwar enttarnt, aber nicht in den Zelltod getrieben werden. Einige
der gefährlichen Einzelgänger werden zu sogenannten regulatorischen T-Zellen „umerzogen“. Sie
besitzen dann zwar immer noch einen T-Zell-Rezeptor, der auf körpereigene Strukturen reagiert.
Dank einer Umprogrammierung im Thymus können regulatorische T-Zellen aber keinen Schaden
mehr anrichten. „Ganz im Gegenteil“, sagt der Immunologe. „Sie halten sogar andere, aus dem Ruder gelaufene T-Zellen in ihrer Nachbarschaft unter Kontrolle. Damit sind die Mechanismen der
Entstehung regulatorischer T-Zellen von großem praktischem Interesse.“
In einer Studie beschäftigten sich der Immunologe und seine Mitarbeiter deshalb mit einigen ungeklärten Aspekten der regulatorischen T-Zellen: Wie können sowohl die negative Selektion, also
der induzierte Zelltod, als auch die Umprogrammierung zu regulatorischen T-Zellen in der Thymusdrüse und damit am selben Ort stattfinden? Warum treibt der scheinbar selbe Auslöser manche Zellen in den „Selbstmord“, während er bei anderen einen „Umerziehungsprozess“ auslöst?
„Eine unter Immunologen weit verbreitete Hypothese zur Beantwortung dieser Fragen beruht darauf, dass T-Zellen ihre Zielstrukturen nur erkennen können, wenn diese von bestimmten anderen
Immunzellen präsentiert werden“, sagt Gerald Wirnsberger, Erstautor der Studie. „Da es im Thymus
verschiedene Unterarten solcher antigen-präsentierenden Zellen gibt, haben wir getestet, ob ein
Teil davon möglicherweise darauf spezialisiert ist, das eine oder andere T-Zell-Schicksal zu steuern
– mit negativem Ergebnis.“ Stattdessen stellte sich heraus, dass das Entwicklungsstadium – gewissermaßen das „Alter“ – der T-Zellen eine entscheidende Rolle spielt. Selbst im Reagenzglas ließ sich
dies beobachten: Junge T-Zellen können sehr gut in regulatorische T-Zellen umerzogen werden,
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während ältere T-Zellen unter identischen Bedingungen weitgehend „erziehungsresistent“ sind.
„Für uns ist entscheidend, diese ‚Erziehbarkeit’ auf molekularer Ebene zu verstehen“, meint Ludger
Klein. Dann könnten möglicherweise auch erwachsene, nicht-autoreaktive T-Zellen entsprechend
manipuliert werden, die leicht und zu Millionen aus dem Blut von Patienten gewonnen werden
können. Junge T-Zellen sind dagegen nur im Thymus vorhanden. „Wir werden jetzt untersuchen,
ob es sowohl für die negative Selektion als auch für die Umprogrammierung in regulatorische TZellen im Leben einer jungen T-Zelle spezielle Zeitfenster gibt“, berichtet er. „Außerdem versuchen
wir, die molekularen Schalter innerhalb der T-Zellen zu entschlüsseln, die diese zellautonome Umschaltung als Antwort auf externe Signale steuert.“
Prof. Dr. Thomas Brocker ist seit 2000 Professor für Immunologie an der LMU. 2002 übernahm er zunächst
kommissarisch die Leitung des Instituts für Immunologie. Seit 2004 hat er den Lehrstuhl für Immunologie inne.
http://immuno.web.med.uni-muenchen.de/research/ag_brocker/index.html
[email protected]
Prof. Dr. Ludger Klein ist seit 2007 Professor für Immunologie. Zuvor war er Arbeitsgruppenleiter „T Zell Toleranz“
am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien.
http://immuno.web.med.uni-muenchen.de/research/ag_klein/index.html
[email protected]
Privatdozent Dr. David Vöhringer leitet seit 2005 eine Emmy-Noether-Forschungsgruppe am Institut für Immunologie.
http://immuno.web.med.uni-muenchen.de/research/ag_voehringer/index.html
[email protected]
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