Altenwohnheim

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zement + beton 2_11 | Wohnen auf Zeit
Altenwohnheim
Maria Gail, Kärnten
Architektur | Dietger Wissounig Architekten
Text | Peter Gunhold, Dietger Wissounig
Bilder | © Paul Ott
Pläne | © Dietger Wissounig Architekten
Das Grundstück am östlichen Ortsrand von Maria Gail nahe der A2 gelegen befindet
sich zwischen öffentlichen Einrichtungen, wie Volksschule, Kinderhort und Kulturund Feuerwehrhaus, sowie Einfamilien- und Geschoßwohnhäusern. Für das Thema
des Altenwohnens, das die Nähe zur Öffentlichkeit und zu Einrichtungen für jüngere
Generationen sucht, ist der Ort bestens geeignet. Selbst der alte Ortskern mit Kirche
und Gasthäusern ist relativ eben fußläufig erreichbar. Jetzt galt es, an diesem Ort
ein 81-Betten-Altenwohnheim mit familiärer Atmosphäre zu errichten.
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Lageplan
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Konsequenterweise ist es der
Augpunkt des gehandicapten
Bewohners, gefasst zwischen
Decke und Boden, auf den alle
gestalterischen Maßnahmen
abzielen.
Grundriss Erdgeschoß
Aus den Bedürfnissen der Bewohner,
dem Betreuungskonzept und den engen
finanziellen Möglichkeiten wurde gemeinsam mit dem Bauherrn ein effizientes
Raumprogramm entwickelt, dessen
Außen- und Innenräume sich synergetisch überlagern. So werden beispielsweise Belichtungshöfe als Veranstaltungsraum oder als Wintergarten genützt,
Service und Verwaltungsfunktionen auf
die Geschoße aufgeteilt und die Kapelle
gleichzeitig als kontemplativer Gruppenraum genützt. Damit gelingt es drei
annähernd gleiche Geschoßgrundrisse
und einen kompakten Körper zu erhalten.
Um ein möglichst rollstuhltaugliches und
alterstaugliches Umfeld zu errichten, ist
ebenerdig ein mit seiner Umgebung verbundener Baukörper entstanden. Ohne
irgendeinen Höhensprung gelangt man
vom Auto durch oder um das Haus in
die wind- und wettergeschützten Außenbereiche.
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heim – ein Eingangsplatz und ein dementengerechter Garten. Beide Bereiche
sollen öffentlich zugänglich sein.
Der Baukörper des Pflegeheimes lässt
die innere Struktur der Organisation in
zwei Wohngruppen erahnen. Jede Pflegestation wird in 2 um einen gemeinsamen
Wohn- und Essplatz angeordnete Wohnbereiche gegliedert. Zentral in der Mitte
befindet sich der Stützpunkt. Es entsteht
der Charakter einer familienähnlichen
Einheit, die jedoch durch Loggien und
Nischen auch im gemeinschaftlichen
Bereich genügend Raum zum Rückzug
bietet. Das Personal kann alle Bereiche
direkt überblicken. Die Nebenräume der
Pflege sind räumlich zentral platziert,
sodass kurze Wege im Arbeitsablauf
und eine wirtschaftliche Betriebsführung
gesichert sind.
Der Gedanke ein Passivhaus zu errichten
stand im Widerspruch zur Kostenstruktur.
Um sich möglichst niedrigen Betriebsund Heizkosten anzunähern, wurden die
Innenhöfe zu Wintergärten geschlossen,
mit dem Effekt, im Winter als Solarfallen
und im Sommer als verschattete Pufferräume zu funktionieren.
Durch die Anordnung der Wohn- und
Essbereiche entstehen Rundgänge in
den Wohneinheiten und größere Spazierwege über beide Wohngruppen. Die im
Erdgeschoß liegenden Wohnbereiche
führen in den Dementengarten. Ebenen
ohne Schwellen und Stufen, überdachte
Wege, rundum befahrbar mit dem Rollstuhl und das möglichst ganzjährige Benutzen der Wege sind die zentralen
Themen des Entwurfes.
Der Blick auf das Bergpanorama ermöglicht Bewohnern aus dem Umraum eine
vertraute Orientierung, ein Zurechtfinden
am neuen Wohnort. Zwei große differenzierte Außenräume umgeben das Alters-
Konsequenterweise ist es der Augpunkt des gehandicapten Bewohners,
gefasst zwischen Decke und Boden,
auf den alle gestalterischen Maßnahmen abzielen.
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Die massiven Bauteile werden
als Speichermassen zur Vermeidung sommerlicher Überwärmung durch weitgehenden
Verzicht auf Abhangdecken
aktiviert.
Die Bewohner in Pflegeeinrichtungen
sollen über den gezielten Einsatz von
Farben, Materialien, Licht und ggf. Gerüchen inspiriert und stimuliert werden,
um sie somit möglichst zu aktivieren und
zu vitalisieren. Neben Material und Farbe
sind Licht und die architektonische Form
die entscheidenden visuellen Partner der
Raumwahrnehmung. Farben dienen zusätzlich zur Information, zur Kommunikation und zur Gestaltung. Dabei werden gezielte Farbkonzepte zur Anregung
der kognitiven Fähigkeiten und zur
Orientierung der Bewohner eingesetzt.
Beispielsweise wirken im Demenzbereich grüne Farbtöne beruhigend und
laden zum Verweilen ein. So werden
bei den Bewohnern unbewusst Fluchttendenzen minimiert.
einheiten fassen einen Platz mit Wintergarten und Loggia, der ein wohltemperiertes Maß an Sonne und Ausblick erhält. Vertraute Elemente, Dimensionen
und Proportionen schaffen eine Atmosphäre des Zuhauseseins. Die Ausbildung der Atrien als große Wintergärten
optimiert das Oberflächen-Volums-Verhältnis des Gebäudes. Durch entsprechende Handhabung der Sonnenschutzanlage und der Dachverglasung entsteht
im Winter eine Solarfalle, die maximale
solare Energie aufnimmt. Im Sommer
schützt der außen liegende Sonnenschutz. Das Ergebnis ist ein Gebäude,
das Passivhausstandard erreichen hätte
können, welches eine Optimierung der
Kosten sowohl in der Herstellung als
auch im Betrieb garantiert hätte.
Die Analogie des Dorfes wird aufgegriffen.
Jeder Bewohner erhält in seiner privaten
Lebenswelt mit Vorraum, Bad und Schlafraum das Gefühl seiner ganz persönlichen
Autonomie. Dabei fungiert der Gang mit
den Sitznischen und dem Blick in den
Wintergarten als Filter zum gemeinsamen
Wohnzimmer und zum gemeinschaftlichen Ganzjahresfreibereich. Die Wohn-
Die Tragwerkskonstruktion besteht aus
Holzspan-Mantelsteinwänden (Isospan)
und Stahlbetonfertigteildecken. Die
Wärmedämmung besteht aus Mineralwolle. Die massiven Bauteile werden
als Speichermassen zur Vermeidung
sommerlicher Überwärmung durch weitgehenden Verzicht auf Abhangdecken
aktiviert. Die Fußbodenaufbauten sind
als schwimmende Estrichkonstruktion
ausgeführt, Fenster und Türen aus
Lärchenholz geölt.
Das Gebäude zeichnet ein ruhiger, gelassener Duktus aus, eine Stabilisierung
des Umfeldes als Körper und eine einfache Klarheit der äußeren Erscheinung.
Der bestehenden heterogenen, stark
gegliederten und gefärbelten Nachbarschaft wird unprätentiös geantwortet.
Dabei wird die Morphologie des Ortsteiles bearbeitet und entsprechend
architektonisch formuliert. Lochfassaden
werden mit Holzelementen bei den
Fenstern und den durchlüfteten Lärchenlattungen der Fluchtstiegen in ein auch
für die älteren Generationen vertrautes
Bild – durch Entlehnungen aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Baukultur –
gebracht.Schwerpunkt des gestalterischen Denkens bilden die beiden Wintergärten.Diese Räume verbinden alle
Geschoße. Sie wirken wie einfach anmutende Holzgebäude und selbst die
Glasdächer bilden mit einer flach geneigten Satteldachform für die Bewohner biografische Hinweise an ihr gewohntes ländliches Umfeld.
Projektdaten:
Autoren:
Bauherr: Diakonie Kärnten | Architektur: Dietger Wissounig Architekten | Mitarbeiter: Nicola Schnabl,
Thomas Wadl, Roland Höntsch | Statik: Klaus Gelbmann | HEG: Günther Kleewein | HKLS: meine
HEIMAT | Elektroplaner: EPG-ElektroplanungsGesmbH | Baufirma: STRABAG AG | Planung: März
2007 bis August 2009 | Bauzeit: August 2009 bis September 2010 | Fertigstellung: Ende September
2010 | Nettonutzfläche: 4.200 m2 | Bauwerkskosten: 4,6 Mio. Euro
Peter Gunhold
[email protected]
Dietger Wissounig Architekten
Dietger Wissounig
www.wissounig.at
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