38 zement + beton 2_11 | Wohnen auf Zeit Altenwohnheim Maria Gail, Kärnten Architektur | Dietger Wissounig Architekten Text | Peter Gunhold, Dietger Wissounig Bilder | © Paul Ott Pläne | © Dietger Wissounig Architekten Das Grundstück am östlichen Ortsrand von Maria Gail nahe der A2 gelegen befindet sich zwischen öffentlichen Einrichtungen, wie Volksschule, Kinderhort und Kulturund Feuerwehrhaus, sowie Einfamilien- und Geschoßwohnhäusern. Für das Thema des Altenwohnens, das die Nähe zur Öffentlichkeit und zu Einrichtungen für jüngere Generationen sucht, ist der Ort bestens geeignet. Selbst der alte Ortskern mit Kirche und Gasthäusern ist relativ eben fußläufig erreichbar. Jetzt galt es, an diesem Ort ein 81-Betten-Altenwohnheim mit familiärer Atmosphäre zu errichten. Z+B_ 2_11.indd 38 Lageplan 25.05.11 15:47 zement + beton 2_11 39 Konsequenterweise ist es der Augpunkt des gehandicapten Bewohners, gefasst zwischen Decke und Boden, auf den alle gestalterischen Maßnahmen abzielen. Grundriss Erdgeschoß Aus den Bedürfnissen der Bewohner, dem Betreuungskonzept und den engen finanziellen Möglichkeiten wurde gemeinsam mit dem Bauherrn ein effizientes Raumprogramm entwickelt, dessen Außen- und Innenräume sich synergetisch überlagern. So werden beispielsweise Belichtungshöfe als Veranstaltungsraum oder als Wintergarten genützt, Service und Verwaltungsfunktionen auf die Geschoße aufgeteilt und die Kapelle gleichzeitig als kontemplativer Gruppenraum genützt. Damit gelingt es drei annähernd gleiche Geschoßgrundrisse und einen kompakten Körper zu erhalten. Um ein möglichst rollstuhltaugliches und alterstaugliches Umfeld zu errichten, ist ebenerdig ein mit seiner Umgebung verbundener Baukörper entstanden. Ohne irgendeinen Höhensprung gelangt man vom Auto durch oder um das Haus in die wind- und wettergeschützten Außenbereiche. Z+B_ 2_11.indd 39 heim – ein Eingangsplatz und ein dementengerechter Garten. Beide Bereiche sollen öffentlich zugänglich sein. Der Baukörper des Pflegeheimes lässt die innere Struktur der Organisation in zwei Wohngruppen erahnen. Jede Pflegestation wird in 2 um einen gemeinsamen Wohn- und Essplatz angeordnete Wohnbereiche gegliedert. Zentral in der Mitte befindet sich der Stützpunkt. Es entsteht der Charakter einer familienähnlichen Einheit, die jedoch durch Loggien und Nischen auch im gemeinschaftlichen Bereich genügend Raum zum Rückzug bietet. Das Personal kann alle Bereiche direkt überblicken. Die Nebenräume der Pflege sind räumlich zentral platziert, sodass kurze Wege im Arbeitsablauf und eine wirtschaftliche Betriebsführung gesichert sind. Der Gedanke ein Passivhaus zu errichten stand im Widerspruch zur Kostenstruktur. Um sich möglichst niedrigen Betriebsund Heizkosten anzunähern, wurden die Innenhöfe zu Wintergärten geschlossen, mit dem Effekt, im Winter als Solarfallen und im Sommer als verschattete Pufferräume zu funktionieren. Durch die Anordnung der Wohn- und Essbereiche entstehen Rundgänge in den Wohneinheiten und größere Spazierwege über beide Wohngruppen. Die im Erdgeschoß liegenden Wohnbereiche führen in den Dementengarten. Ebenen ohne Schwellen und Stufen, überdachte Wege, rundum befahrbar mit dem Rollstuhl und das möglichst ganzjährige Benutzen der Wege sind die zentralen Themen des Entwurfes. Der Blick auf das Bergpanorama ermöglicht Bewohnern aus dem Umraum eine vertraute Orientierung, ein Zurechtfinden am neuen Wohnort. Zwei große differenzierte Außenräume umgeben das Alters- Konsequenterweise ist es der Augpunkt des gehandicapten Bewohners, gefasst zwischen Decke und Boden, auf den alle gestalterischen Maßnahmen abzielen. 25.05.11 15:47 40 zement + beton 2_11 | Wohnen auf Zeit Die massiven Bauteile werden als Speichermassen zur Vermeidung sommerlicher Überwärmung durch weitgehenden Verzicht auf Abhangdecken aktiviert. Die Bewohner in Pflegeeinrichtungen sollen über den gezielten Einsatz von Farben, Materialien, Licht und ggf. Gerüchen inspiriert und stimuliert werden, um sie somit möglichst zu aktivieren und zu vitalisieren. Neben Material und Farbe sind Licht und die architektonische Form die entscheidenden visuellen Partner der Raumwahrnehmung. Farben dienen zusätzlich zur Information, zur Kommunikation und zur Gestaltung. Dabei werden gezielte Farbkonzepte zur Anregung der kognitiven Fähigkeiten und zur Orientierung der Bewohner eingesetzt. Beispielsweise wirken im Demenzbereich grüne Farbtöne beruhigend und laden zum Verweilen ein. So werden bei den Bewohnern unbewusst Fluchttendenzen minimiert. einheiten fassen einen Platz mit Wintergarten und Loggia, der ein wohltemperiertes Maß an Sonne und Ausblick erhält. Vertraute Elemente, Dimensionen und Proportionen schaffen eine Atmosphäre des Zuhauseseins. Die Ausbildung der Atrien als große Wintergärten optimiert das Oberflächen-Volums-Verhältnis des Gebäudes. Durch entsprechende Handhabung der Sonnenschutzanlage und der Dachverglasung entsteht im Winter eine Solarfalle, die maximale solare Energie aufnimmt. Im Sommer schützt der außen liegende Sonnenschutz. Das Ergebnis ist ein Gebäude, das Passivhausstandard erreichen hätte können, welches eine Optimierung der Kosten sowohl in der Herstellung als auch im Betrieb garantiert hätte. Die Analogie des Dorfes wird aufgegriffen. Jeder Bewohner erhält in seiner privaten Lebenswelt mit Vorraum, Bad und Schlafraum das Gefühl seiner ganz persönlichen Autonomie. Dabei fungiert der Gang mit den Sitznischen und dem Blick in den Wintergarten als Filter zum gemeinsamen Wohnzimmer und zum gemeinschaftlichen Ganzjahresfreibereich. Die Wohn- Die Tragwerkskonstruktion besteht aus Holzspan-Mantelsteinwänden (Isospan) und Stahlbetonfertigteildecken. Die Wärmedämmung besteht aus Mineralwolle. Die massiven Bauteile werden als Speichermassen zur Vermeidung sommerlicher Überwärmung durch weitgehenden Verzicht auf Abhangdecken aktiviert. Die Fußbodenaufbauten sind als schwimmende Estrichkonstruktion ausgeführt, Fenster und Türen aus Lärchenholz geölt. Das Gebäude zeichnet ein ruhiger, gelassener Duktus aus, eine Stabilisierung des Umfeldes als Körper und eine einfache Klarheit der äußeren Erscheinung. Der bestehenden heterogenen, stark gegliederten und gefärbelten Nachbarschaft wird unprätentiös geantwortet. Dabei wird die Morphologie des Ortsteiles bearbeitet und entsprechend architektonisch formuliert. Lochfassaden werden mit Holzelementen bei den Fenstern und den durchlüfteten Lärchenlattungen der Fluchtstiegen in ein auch für die älteren Generationen vertrautes Bild – durch Entlehnungen aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Baukultur – gebracht.Schwerpunkt des gestalterischen Denkens bilden die beiden Wintergärten.Diese Räume verbinden alle Geschoße. Sie wirken wie einfach anmutende Holzgebäude und selbst die Glasdächer bilden mit einer flach geneigten Satteldachform für die Bewohner biografische Hinweise an ihr gewohntes ländliches Umfeld. Projektdaten: Autoren: Bauherr: Diakonie Kärnten | Architektur: Dietger Wissounig Architekten | Mitarbeiter: Nicola Schnabl, Thomas Wadl, Roland Höntsch | Statik: Klaus Gelbmann | HEG: Günther Kleewein | HKLS: meine HEIMAT | Elektroplaner: EPG-ElektroplanungsGesmbH | Baufirma: STRABAG AG | Planung: März 2007 bis August 2009 | Bauzeit: August 2009 bis September 2010 | Fertigstellung: Ende September 2010 | Nettonutzfläche: 4.200 m2 | Bauwerkskosten: 4,6 Mio. Euro Peter Gunhold [email protected] Dietger Wissounig Architekten Dietger Wissounig www.wissounig.at Z+B_ 2_11.indd 40 25.05.11 15:47