Die wichtigsten sieben Philosophenschulen Jahrgangsstufe 10-13 (G8 und G9) Die wichtigsten sieben Philosophenschulen Eudaimonía Galéne Adiáphoron Autárkeia Glückseligkeit Seelenruhe (Meeresstille) Unterschiedslos Gleichgültiges Selbstgenügsamkeit Ataraxía Apátheia Hedoné Lógos Unerschütterlichkeit Affektlosigkeit Lust (Welt-)Vernunft Die frühesten Philosophen beschäftigen sich hauptsächlich mit der Frage nach der Entstehung der Welt. Nach diesen so genannten Vorsokratikern konzentriert Sokrates, die schillernde Zentralgestalt der griechischen Philosophie, von der die Philosophenschulen direkt oder indirekt ihren Ausgang nehmen, die Frage auf den Menschen: Wie muss ich (richtig) leben? Ein Grund für den im vierten Jahrhundert einsetzenden Aufstieg der Philosophenschulen mag die ungeheure Strahlkraft des Sokrates sein. Oder vielleicht die Ablösung der Poliswelt durch die hellenistischen Großreiche, nach der die erschütterten Menschen alt Bewährtes schwinden sehen und in der Philosophie Halt zu finden versuchen, den sie im wirklichen Leben verloren haben. Hinzu kommt die weitere Schwächung des Glaubens an die olympischen Götter. Gemeinsames Ziel aller Philosophenschulen ist das sinnerfüllte, glückliche Leben das Einzelnen. Doch steht dem vor allem die Tyche entgegen: der unberechenbar zuschlagende, im Hellenismus so gefürchtete und sogar zur Gottheit erhobene, blinde Zufall. a.) Kyniker. Der Sokratesschüler Antisthenes von Athen (etwa 455 bis 360) sieht die Eudaimonía (Glückseligkeit) in rigoroser und asketischer Bedürfnislosigkeit. Erfolg und Misserfolg des Strebens nach Eudaimonía hängen nicht vom Erreichen äußerer Ziele ab: Vielmehr liegt ihr Gelingen ganz und gar beim Einzelnen selbst, sofern er selbst entscheiden kann, wann er sich wohlfühlt und wann nicht. Also reduziert er seine Bedürfnisse hauptsächlich auf Essen und Trinken, Schlaf und Liebe. Was nehmen die Menschen nicht alles für Strapazen auf sich, nur um sich aus Sicht des Kynikers weit überzogene Wünsche zu erfüllen! Die Bedürfnislosigkeit, die Fähigkeit zum Verzicht, ist außerdem eine Art von Reichtum, die kein Staat besteuern kann. Diese Askese verschafft ihm maximale individuelle Freiheit, da er so von unnötigen Bedürfnissen unabhängig ist. Die Anhänger des Antisthenes treiben nun die sokratische Geringschätzung alles Materiellen auf die Spitze: In der Rolle des Bettlers und Landstreichers protestieren die Kyniker als völlig besitzlose Wanderprediger gegen die Betriebsamkeit und Hektik, Genusssucht und Oberflächlichkeit ihrer Zeit sowie besonders gegen das Hängen an materiellen Werten. Die Tierwelt dient ihnen dabei als Vorbild. Sie scheren sich keinen Deut um Konventionen und befriedigen wie Hunde (kýones) auch ihre körperlichen Bedürfnisse auf der Straße. Natürlich erregen sie durch solche Schamlosigkeit besonderen Anstoß, so dass die Lehre des Antisthenes oft zur provokanten Selbstdarstellung missbraucht wird. Zudem belfern sie Bürger an, um ihnen Bedürfnislosigkeit zu predigen. Auf der anderen Seite ist diese von ihnen so verabscheute Zivilisation für sie aber auch lebensnotwenig: Sie brauchen das spießbürgerliche Leben als Gegenpol, um sich daran zu reiben. Diogenes von Sinope, der bekannteste Kyniker, ein Ausbund an Schlagfertigkeit und Mutterwitz, stilisiert sich, 340 in Athen angekommen, in einem Fass (ohne jeden weiteren Besitz als seiner Kleidung) wohnend, als radikaler Zivilisationsverweigerer. Die einzige Bitte, die er Alexander dem Großen auf dessen Wort, er habe bei ihm einen Wunsch frei, äußert, ist, dass der Herrscher ihm aus der Sonne gehen solle. Diogenes stirbt in Korinth, so erzählt man, indem er die Luft anhält. Der Kynismus wird nie zur Schule, bleibt immer eine Lebenseinstellung. Ihm ist verständlicherweise keine lange Dauer beschieden. Allerdings wird ©digitale-schule-bayern.de – Latein Wolfgang Feiner 1 Die wichtigsten sieben Philosophenschulen Jahrgangsstufe 10-13 (G8 und G9) er zur Keimzelle der Stoa, deren Gründer Zenon sieben Jahre lang Schüler des Kynikers Krates bleibt, bevor er eigene Wege geht. b.) Kyrenaiker. In entgegengesetzter Richtung sucht der (allerdings stark sophistisch geprägte) Sokratesschüler Arístippos von Kyrene in Nordafrika (etwa 435 bis 360) die Eudaimonía zu erreichen: durch die Hedoné (Lust, Genuss). Sie erklärt er zum einzigen sinnvollen Ziel menschlichen Strebens. Genuss wird zum Selbstzweck und alles, was ihm dient, ist erstrebenswert. Der Weise der Kyrenaiker ist aber auch frei von zwanghafter Jagd nach der Hedoné. Vieles vom Gedankengut des Arístippos geht später – auf weit höherem Niveau – in den Kepos des Epíkuros ein. c.) Skeptiker. Auch Pyrrhon von Elis (etwa 360 bis 270) geht es um praktische Lebensbewältigung. Er fragt, sicher auch von der Dialektik der Sophisten beeindruckt, wie Eudaimonía möglich sei, wenn die sichere Beurteilung der menschlichen Bedürfnisse und der Mittel zu ihrer Befriedigung unmöglich ist, weil sich jedem Urteil sofort ein entgegengesetztes Urteil von gleicher Qualität in den Weg stellt. Denn das Gleiche wird oft unterschiedlich wahrgenommen: von Mensch und Tier, von verschiedenen Menschen, von den verschiedenen Sinnen eines einzigen Menschen (Honig ist der Zunge angenehm, dem Auge nicht) und sogar von einem einzigen Sinn eines einzigen Menschen in unterschiedlichen Zuständen (Honig ist für den Gesunden süß, für den Gelbsüchtigen bitter). Die Folgerung Pyrrhons aus dieser Unentscheidbarkeit lautet, dass es auf eine Entscheidung offensichtlich nicht ankommt. Somit ist Wahrheit kein Wert an sich und das einzig Richtige die Skepsis. Daher können nur aus ihr Ataraxía (Unerschütterlichkeit) und Eudaimonía entspringen (die Zurückhaltung in allen Urteilen entfällt allerdings bei den elementaren Phänomenen Lust und Schmerz). Die Anhänger der Skepsis fühlen sich vom zwanghaften Druck befreit, Unergründbares zu ergründen, Unentscheidbares zu entscheiden. Dennoch bleiben sie handlungsfähig. Denn sie tun, was sie schon immer getan haben: Sie essen und trinken etwa, weil es kein Motiv gibt, damit jetzt plötzlich aufzuhören. Man muss sich also im täglichen Leben von überkommenen Normen und von Gewohnheiten leiten lassen. Jedes weit darüber hinaus reichende Streben aber wird sofort skeptisch unterlaufen und lahmgelegt. So gelangen die Skeptiker schließlich zum Verzicht auf jedes Streben, was für sie Eudaimonía bedeutet. d.) Akademiker. Arkesílaos (etwa 315 bis 240), der vom Pathos beseelt ist, nie eigene Thesen aufzustellen, aber immer die anderer zu bestreiten, führt skeptisches Gedankengut in die von Platon gegründete Akademie ein und die Skepsis bleibt lange vorherrschend. Sein Nachfolger Karneades (214 bis 129) ist auch erfreulich konsequent in seinem Skeptizismus: Seine Schüler können sich nicht daran erinnern, dass er je eine fremde Position gebilligt hätte. Marcus Tullius Cicero (106 bis 43) hingegen, der sich in der Erkenntnistheorie zur Akademie rechnet, bemängelt, dass sich die Philosophie zu lange mit sich selbst befasst: Sie bedingt sich für die Erkenntnis des Wahren unendlich viel Zeit aus, besteht auf der Absolutheit ihrer Lehrsätze, verwickelt sich darüber in Absurditäten und richtet an die Außenwelt, sofern sie sie überhaupt wahrnimmt, unerfüllbare Forderungen. Vom praktischen Standpunkt des römischen ©digitale-schule-bayern.de – Latein 2 Wolfgang Feiner Die wichtigsten sieben Philosophenschulen Jahrgangsstufe 10-13 (G8 und G9) Politikers aus überwindet Cicero die skeptische Handlungsunfähigkeit, indem er sich mit der prinzipiellen Unausschließlichkeit des Irrtums abfindet und nicht absolute Gewissheit, sondern nur größtmögliche Wahrscheinlichkeit erreichen will. Philosophie, so sein Credo, kann nur dann Einfluss auf den Gang der Welt gewinnen, wenn sie dies akzeptiert. Anstelle von Pyrrhons gleichstarkem Widerstreit gegensätzlicher Argumente, die sich gegenseitig aufheben, tritt die Kunst des „in utramque partem disserere“: Für die Entscheidung auf Grund der Wahrscheinlichkeit sind möglichst viele einschlägige Argumente zu finden. Während die Schulen in der Kaiserzeit langsam zu verblassen beginnen, erhebt der von Plotinos (204 bis 269 nach Christus) im Jahre 244 nach Christus in Rom gegründete Neuplatonismus die Philosophie noch einmal zu hoher Blüte. Plotinos ist nach der Begleitung eines Feldzugs in den Osten stark geprägt von religiösem Empfinden, das eine Neigung zu mystischem persischen und indischen Gedankengut hat. Einerseits zergliedert er nach Platons Vorbild das Sein in eine sinnliche und in eine übersinnliche Sphäre, andererseits schließt er diese Kluft über eine Reihe von Zwischenstufen, indem er das Sinnliche aus dem Übersinnlichen ableitet. Der erste Schritt also beginnt mit der Trennung Gottes, des Einen, von der Welt. Alles Seiende fließt aus dem Einen – wie das Wasser aus der Quelle, wie der Baum aus der Wurzel, wie das Licht aus der Sonne, wie das Unvollkommene aus dem Vollkommenen, wie das Abbild aus dem Urbild. Jeder Mensch trägt also das All-Eine in sich; sein höchstes Ziel ist das Wiedervereinen mit dem göttlichen Ursprung. Der Weg dazu ist der geistige: Die Versenkung in sein Inneres, die Plotinos selbst viermal erreicht haben soll. e.) Peripatetiker. Im Lykeion nimmt Aristoteles von Platons Zweiteilung der Welt Abstand. Er erforscht und systematisiert im Dienste der Wissenschaft nur die reale Wirklichkeit. Wichtig ist im Lykeion vor allem der Ausgleich zwischen den Gegensätzen: Meist bietet die „goldene Mitte“ die richtige Lösung. f.) Stoiker. Wie kann der Weise seine Freiheit von Affekten bewahren, wo er doch kaum wirklich als kynischer Außenseiter leben kann, sondern sich eher in Gesellschaft und Staat einbringt – und damit Gefahr läuft, von den äußerlichen Gelüsten verführt zu werden? Der frühere Kyniker Zenon von Kítion auf Kýpros (Zypern), der 301 die Stoá gründet (sie ist benannt nach der bunt bemalten Säulenhalle „Stoá poikíle“ in Athen, in der man sich zu treffen pflegt) gibt eine kühne Antwort: Sein Motto „homologouménos te fúsei zen“(secundum naturam vivere) bedeutet, man solle in Übereinstimmung mit seinen Bedürfnissen und deren Befriedigungsmöglichkeiten leben und – da ein naturgemäßes Leben ja auch ein vernunftgemäßes ist – auch in der Übereinstimmung mit dem Logos, also der Vernunft. Dem Logos ordnet die ältere Stoá kompromisslos alles unter. Triebe, die ohne Zustimmung der Vernunft wirken, sind der Natur des (mit Logos begabten) Menschen nicht gemäß. Affekte wie Zorn oder Neid, Ungeduld oder Freude machen unglücklich. Der Mensch hat es stets selbst in der Hand, glücklich zu sein, wenn er unerfüllbare Bedürfnisse von sich weist. Dies alles steht zwar in eklatantem Widerspruch zur tagtäglichen Erfahrung, aber trotzdem ist genau diese unbedingte Willensfreiheit die Forderung der Stoa. Die Eudaimonía wird also jedes positiven Gehalts beraubt und nur als Freisein von Affekten bestimmt. Ihr einziger Wert ist der Logos, verkörpert durch Zeus. Abstufungen des Logos existieren nicht. Alles andere als der Logos gilt als Adiáphoron, als unterschiedslos Nebensächliches (Alter, Krankheit, Tod, Leben, Lust, Ehre, Besitz). Die Affekte lassen die Adiaphora nur als gut oder schlecht erscheinen. Darüber hinaus wird die Welt strikt in Weise und Nicht-Weise getrennt: Der Weise besitzt die Vernunft vollkommen, ist frei von Trieben, hat damit die Apátheia erreicht und steht über allem, während der Nicht-Weise ein Sklave seiner Affekte ist und somit quasi ein Idiot. Zenon vertritt übrigens (noch stark im Kynismus verhaftet) die Auffassung, dass alle Menschen völlig gleich, daher Ehe und ©digitale-schule-bayern.de – Latein Wolfgang Feiner 3 Die wichtigsten sieben Philosophenschulen Jahrgangsstufe 10-13 (G8 und G9) Privateigentum abzuschaffen sowie völlige sexuelle Freizügigkeit einzuführen seien. Zenons Nachfolger sind Kleánthes (331 bis 232) und Chrýsippos (281 bis 208). Dieses hohe Ideal des Weisen, der in der realen Welt so gut wie nie existiert, kann freilich für die Anhänger der Stoa auch entmutigend wirken, so dass die mittlere Stoa mit ihren Vertretern Panaitios von Rhodos (etwa 180 bis 110) und Poseidonios aus Apameia in Syrien (etwa 135 bis 51) diese strenge Unbedingtheit aufgibt: Der Status des prokópton (lateinisch: proficiens), dessen also, der Fortschritte in Richtung Weisheit macht, wird eingeführt und Abstufungen innerhalb der Adiáphora werden zugelassen (Familie, Staat / Armut, Krieg). Denn natürlich ist man lieber reich als arm, lieber gesund als krank; nur, so heißt es, würden Armut und Krankheit dem Weisen auch nichts ausmachen. Keineswegs ist das Ziel mehr unbedingter Besitzverzicht, sondern allein emotionale Unabhängigkeit vom Besitz, den man durchaus haben darf. Weil zum vernunftgemäßen Leben auch soziale Elemente gehören (vor allem aber weil die römische Praxisorientierung ihren Einfluss geltend macht), lehrt die Stoa nun auch, der Mensch solle sich im Dienste der Gemeinschaft betätigen. So drängen die Stoiker in die politische Welt. Allerdings wird der irdische Staat als Abbild des vom göttlichen Logos getragenen Kosmos gedeutet, welcher die eigentliche Heimat des Menschen ist, in der er sich dann als Mitbürger Gottes fühlt. In diesem Weltstaat zählt allein der Grad des Anteils am Logos, nicht etwa der Unterschied zwischen Grieche und Barbar, Freiem und Sklaven oder Mann und Frau. In der Seele jedes Kosmopoliten lebt ein Funken des Logos, den man sich als feurigen Hauch vorstellen kann, wofür man mit dem Vorsokratiker Herákleitos einen gewichtigen Gewährsmann gefunden hat. Der göttliche Funke verbindet Gott mit den Menschen und diese untereinander. Die jüngere Stoa wird vertreten durch Epíktetos aus Hierapolis im kleinasiatischen Phrygien (60 bis 140 nach Christus), Lucius Annaeus Seneca (4 vor bis 65 nach Christus) und den römischen Kaiser Marcus Aurelius (Regierungszeit: 161 bis 180 nach Christus). In ihr nehmen Nächstenliebe, Sanftmut und Menschlichkeit breiten Raum ein, so dass starke Überschneidungen mit dem Christentum entstehen. g.) Epikureer. Epíkuros (etwa 341 bis 271), geboren auf Samos, lehrt ab 306 in seinem berühmten Kepos (Garten) in Athen. Die Schule des Gartens ist auf persönliche Freundschaft der Mitglieder, darunter auch Frauen und Sklaven, gegründet und schottet sich nach außen hin ziemlich ab. Epíkuros ist und bleibt persönliche Leitfigur, stärker als es in der Stoa je eine gegeben hat, seine Lehren werden sogar auswendig gelernt. In der Zurückgezogenheit kann das Herz des epikureischen Weisen, weder Rückschlag noch Niederlage riskierend, in heiterem Frieden aufblühen. Er preist also das Glück im Kreise erwählter und enger Freunde. Engagement im Staat lehnt Epikuros ab, denn das wäre ja ein ewiger Quell der Unlust. Sein Rat lautet daher: Láthe biósas (Bene vixit, qui bene latuit): Lebe im Verborgenen. Der ursprünglich von den Kyrenaikern beeinflusste Kepos sucht einen Mittelweg zwischen der Strenge der Stoiker und der Resignation der pyrrhonischen Skeptiker. Die Wegweiserin der Epikureer ist die Hedoné, die den Weisen zur Galéne (Seelenruhe) führt. Die Lehre des Epíkuros: Als Lust gilt schon das Freisein von Unlust. Unlust nun ist entweder Schmerz oder Furcht: Gegen den Schmerz ist keiner gefeit. Man kann aber einsehen, dass in der Regel ein heftiger Schmerz kurz, lang dauernder hingegen milde ist beziehungsweise durch Gewöhnung milde wird. Furcht haben die Menschen vor dem Tod und vor göttlicher Strafe für Verfehlungen. Gegen die Todesfurcht führt der Meister, der atomistischen Physik des Vorsokratikers Demókritos folgend, an, dass alles, also auch die Seele, aus Atomen besteht und daher mit dem Tod untergeht. Solange wir leben, ist der Tod nicht da; wenn wir aber tot sind, sind also wir nicht mehr da. Deswegen sollte der Mensch sein kurzes Leben um so entschlossener genießen. Die Götterfurcht bekämpft Epíkuros nicht atheistisch, wie man bei einem Anhänger des Demókritos annehmen könnte, sondern lehrt, ©digitale-schule-bayern.de – Latein Wolfgang Feiner 4 Die wichtigsten sieben Philosophenschulen Jahrgangsstufe 10-13 (G8 und G9) dass die Götter in Zwischenwelten leben und sich um die Menschen nicht im Mindesten kümmern. Denn das brächte ihnen Sorgen, also Unlust – und davon sind die Götter ja frei. Des Epíkuros Lehre ist allerdings seit der Antike bis heute derben Missdeutungen ausgesetzt. Denn er empfiehlt alles andere als den hemmungslosen Lustgewinn der Kyrenaiker. „Carpe diem“ (Genieße den Tag): Dieses Wort des epikureisch geprägten Dichters Quintus Horatius Flaccus (65 bis 8) meint nicht etwa Unersättlichkeit im Lebensgenuss, sondern lediglich die freudige Bejahung des Lebens in seiner ganzen Fülle und Schönheit. Von rauschhafter Begierde hält Epíkuros also nichts, sondern er sucht nach ruhiger, dauerhafter Hedoné, die daher dosiert werden muss. Eine Unterscheidung von geistiger und körperlicher Lust lässt er dabei nicht gelten. Aber man muss immer prüfen, ob kurze, anfängliche Lust nicht dauernde Unlust zur Folge hat oder ob vielleicht kurze Unlust zu dauernder Lust führt. Man soll also nicht blind und gierig den nächstbesten Genüssen nachgeben und damit in Aussicht stehende größere verlieren. Bei den Bedürfnissen soll man nötige und entbehrliche unterscheiden, wobei man eine Faustregel anwenden kann: Das wirklich Nötige ist stets in leicht erreichbarer Nähe genug vorhanden, das schwer oder gar nicht zu Beschaffende ist eigentlich entbehrlich. Logischerweise braucht man für solche Entscheidungen die Vernunft. Die Philosophen des Gartens lehnen sie also nicht ab, ordnen sie aber ihrer Hedoné unter (im Gegensatz zu den Stoikern, die ja die Lust als Affekt bekämpfen). Der epikureische Weise gelangt durch Selbstgenügsamkeit Autárkeia zur Galéne (die ist im Ergebnis allerdings wenig anderes als die stoische Apátheia). ©digitale-schule-bayern.de – Latein Wolfgang Feiner 5 Die wichtigsten sieben Philosophenschulen Jahrgangsstufe 10-13 (G8 und G9) Die Philosophie in Rom Durch die Ausdehnung der römischen Herrschaft auf Unteritalien (etwa 290) und die Eroberung Siziliens (etwa 240) kommen die Römer erstmals mit griechischer Kultur in Berührung. Nach der Eroberung Griechenlands (146) hat Athen zwar seine politische Selbstständigkeit, aber nichts von seiner Strahlkraft verloren und bleibt noch lange der geistige Mittelpunkt der antiken Welt. Politisch wechselt Griechenland also von makedonischer zu römischer Fremdherrschaft, kulturell dagegen beginnt es Rom zu erobern – und damit wie zuvor mit seinen Kolonien und Feldzügen den Osten und Süden nun auch mit Hilfe Roms den Westen und Norden der bekannten Welt. Griechische Künstler und Gelehrte, Ärzte und Baumeister, Literaten und Philosophen strömen ins neue Zentrum der Welt. Die Auseinandersetzung der Römer mit der griechischen Philosophie ist gekennzeichnet durch Schwanken zwischen völliger Ablehnung sowie Faszination und Aneignung. Viele Römer, prüfen auch erst, welche Teile welcher Schule ihnen am meisten zusagen: Sie werden zu Eklektikern (Auswählenden). Titus Lucretius Carus (99 bis 55) widmet sein Lehrgedicht De rerum natura epikureischem Gedankengut, dem sich auch der Dichter Quintus Horatius Flaccus (65 bis 8) verschrieben hat. Der Eklektiker Marcus Tullius Cicero (106 bis 43) kleidet stoische Ethik in lateinische Worte, in Erkenntnisfragen rechnet er sich zur Akademie. Anicius Severinus Boethius schließlich (480 bis 524 nach Christus), ein Christ, der aus politischen Gründen vom Gotenkönig Theoderich zum Tode verurteilt wird, verfasst, innerlich der Stoa und dem Neuplatonismus zugetan, im Kerker sein Buch Consolatio Philosophiae (Trost der Philosophie). So wirken die vorsokratischen Philosophen über die Jahrhunderte hinweg auf die Römer ein: Pythagoras über Platon auf Cicero, Demókritos über Epíkuros auf Lucretius, Herákleitos über Zenon auf Seneca. In der Kaiserzeit erwächst der Philosophie im Christentum starke Konkurrenz. Schließlich schwindet ihr Einfluss immer mehr und die Schulen schließen ihre Tore, als letzte die Akademie in Athen 529 nach Christus auf Befehl des christlichen Kaisers Iustinianus: Ein Jahr, das für viele den Übergang zwischen Antike und Mittelalter markiert. ©digitale-schule-bayern.de – Latein Wolfgang Feiner 6