1 Herzlich willkommen, selbstverständlich beginnen wir eine solche Musikstunde nicht, ohne uns vorher ein angemessenes Aufwärmprogramm zu gönnen. Also: Rein in Trainingsanzug und sportliches Schuhwerk. Die erste Übung kommt von Dirigent Gennady Roshdestvensky...ich hoffe, Sie können folgen. Musik 1 (nur Wort), 25 sec Dmitri Schostakowitsch Gymnastics, aus „Der Bolzen“ Piano und Stimme: Gennady Roshdestvensky CD Schostakowitsch “The Bolt”, Ballett Chandos CHAN 9343/4 Stimme aus Radio: Autor spricht drüber: Also, alles klar? Auf eins Arme beugen, auf Zwei Hände nach vorn, auf Drei Hände hoch, auf vier Hände zur Seite, auf Fünf Hände ab, alle zusammen... Musik 2 weiter für 40sec bis Schlussakkord Dmitri Schostakowitsch Gymnastics, aus „Der Bolzen“ Piano und Stimme (eins, zwei, drei, vier, fünf): Gennady Roshdestvensky CD Schostakowitsch “The Bolt”, Ballett LC 7038 Chandos CHAN 9343/4 2 Eins, zwei, drei, vier, fünf ... Vielleicht hörte sich so das tägliche Morgenritual eines der größten Komponisten des 20. Jhds an. Das war ein Stück mit dem aparten Titel „Morgengymnastik“ von niemand geringerem als dem intellektuellen Schmerzensmann der sowjetischen Musikszene, Dmitri Schostakowitsch, aus dessen 1931 uraufgeführtem Ballett „Der Bolzen“, das mit einer Gymnastikszene russischer Fabrikarbeiter beginnt. Der russische Dirigent Gennadi Roshdestvenski war der Trainer am Klavier. Vielleicht begann ein Morgen bei Schostakowitschs ja zunächst gänzlich ohne sportliche Verrenkungen, aber eine Spekulation mag erlaubt sein: Sport war möglicherweise zwar nicht Thema Nummer eins bei Schostakowitsch zu Haus, aber zum Thema Nummer 2 hätte es vermutlich gereicht. Schostakowitsch war Fan – Fußballfan. Wer nun mal im Stadion war, weiß, dass Fangesänge aus der Nordkurve meistens nicht allzu feinsinnig sind, dass auch lyrisch aus dem Schlachtenbummlerblock nicht allzu viel zu erwarten ist, häufig. Aber es gibt die Ausnahmen höchst geistreicher Fußballgesänge. Und so folgt die erste Musikstunde in dieser Woche ganz einem Thema, das Schostakowitsch gleich mehrere Male in Musik formuliert hat: Fußball.... ganz einfach Fußball, von Dmitri Schostakowitsch. Musik 3, 2.26min Dmitri Schostakowitsch Football Aus „Russkaya Reka“ (russischer Fluß) op. 66 St. Petersburg State Academic Orchestra, Alexander Titov CD Schostakowitsch 1941-1946, Vol.7 Northern Flowers NF PMF 9976 Das Orchester der staatlichen Akademie St. Petersburg mit „Fußball“ aus op. 66 von Dmitri Schostakowitsch. Schostakowitsch hatte eine Dauerkarte fürs Stadion von Zenit St. Petersburg. Einem Sportjournalisten schrieb Schostakowitsch einmal, dass ihm seine Anhängerschaft allerdings mehr Frustration als Freude einbringe. 3 Und wenn man bedenkt, dass bei der gerade zuende gegangenen EM das russische Team schon in der Vorrunde ausgeschieden ist, obwohl immerhin 7 Spieler von Zenit St. Petersburg auf dem Platz standen, darf man annehmen, dass Schostakowitsch sich im Grabe vor vier Wochen leicht gedreht hat. Ab etwa 1930 erlebten die Spieler von Zenit tatsächlich regelmäßig einen mitfiebernden Schostakowitsch auf der Tribüne, der sich für Auswärtsspiele – ganz echter Schlachtenbummler – auch schon mal tagelang in Provinzeisenbahnen setzte. Mehr noch: als Schostakowitschs Ehefrau einmal außer Haus war, lud der Komponist kurzerhand das gesamte Team von Zenit St. Petersburg zu sich nach Hause zum Abendessen. Man darf davon ausgehen, dass Frau Schostakowitsch die Leidenschaft ihres Gatten für Fußball nur sehr eingeschränkt teilte. Der indes hatte in seiner Begeisterung schon als Jugendlicher einen Schiedsrichterlehrgang absolviert. Und tatsächlich gibt es Stellen in seinem Werk, wo man sogar das hört. Bezeichnenderweise heisst auch das folgende Stück schlicht „Fußball“... schon wieder. Anpfiff, Herr Schostakowitsch. Dmitri Schostakowitsch Ballett „The golden Age“ Akt 2 – Fußball Royal Stockholm Philharmonic Orch. Gennady Roshdestvensky Chandos 9251/2 LC 7038 Auch dieses Stück heisst schlicht: Fußball, aus dem zweiten Akt des Ballets “Das goldene Zeitalter” von Dmitri Schostakowitsch, Gennady Rohdestvensky am Pult des königl. Philharmonischen Orchesters Stockholm. Die diesem Ballett zugrundeliegende Handlung reiht eine Absurdität an die Andere. Im Kern geht es im Stück um den ziemlich schrägen Besuch eines sowjetischen Fußballteams im Westen. Man kann das große Spiel als einen Kampf der politischen Systeme deuten, als ein Aufeinanderprallen unvereinbarer kultureller Unterschiede . Allerdings hat sich Schostakowitsch selbst wohl eher für die krude Handlung dieses politischen Ballets geschämt. 4 Mit dem Choreografen hatte er regelmäßig Krach wegen der Unvereinbarkeit von Musik und linientreuer Handlungsführung. Auch in sportlicher Hinsicht muss Schostakowitsch das als Stilmittel bewusst chaotisch gehaltene Gekicke auf der Ballett - Bühne missfallen haben. Schostakowitsch war in punkto Ballsport von pedantischer Genauigkeit und Planmäßigkeit. Er führte penible Statistiken über die Leistungen von Zenit St. Petersburg und rief vor einem wichtigen Spiel auch schon mal den Trainer an, zumindest um Glück zu wünschen. Soviel Expertise ist eine ganz schlechte Voraussetzung für das nächste Stück. Die folgende Nachhilfestunde in Sachen Fußball hätte Schostakowitsch vermutlich weder sportlich noch musikalisch gebraucht... Musik 5, 2.20 Fredl Fesl Fußball-Lied CD Eine Stunde mit Fredl Fesl CBS/Sony Music 4655432 Fredl Fesl, bayrischer Barde und Karl Valentin Preisträger mit seiner rhetorisch messerscharfen Analyse der schönsten Nebensache der Welt, eigentlich dem lieben Geld, aber der Fußball dreht sich eben auch ums Bankkonto im „FußballLied“. Ein waschechter Fußballfan mit einigem musikalischen Anspruch, Schostakowitsch zum Beispiel war ja nun ein solcher, mag jetzt einwenden, dass Fredl Fesls Lied sprachlich vielleicht durchaus einen wahren Kern hat, aber musikalisch der Schönheit und Komplexität des Spiels ganz und gar nicht gerecht wurde. Und tatsächlich: harmonisch gesehen war das gerade eher Standfußball, ein einziger Es Dur Akkord stand im Mittelfeld, auf den Flanken und im Sturm gabs rein spieltechnisch auch nicht viel mehr zu holen als die Tonika Es Dur. Catenaccio, wie der Fußballer sagt, nur das nötigste... Dass man sogar beim schlichten Betrachten eines Fußballfans auf der Tribüne komplexere und feinsinnigere musikalische Empfindungen haben kann, zeigt das nächste Stück. Es heißt „Schlachtenbummler – Menuett“ und kommt, wie sollte es anders sein, aus dem Land der musikalischen Fußballfans, der ehemaligen Sowjetunion... 5 Musik 6, 2.33min Alfred Schnittke, arr. Frank Strobel Aus Filmsuite „Sport, Sport, Sport“ zum Dokumentarfilm von Elem Klimov Schlachtenbummler – Menuett RSO Berlin, Frank Strobel Capriccio 5002 LC 08748 1970 schrieb der deutschrussische Komponist Alfred Schnittke dieses Menuett unter der Überschrift „Schlachtenbummler“ als Teil der Musik zur Dokumentarfilmpersiflage „Sport, Sport, Sport“, die uns im Verlaufe dieser Woche noch häufiger begegnen wird. Jedenfalls dürfte dieses zartmelancholische Stück kaum mit den herkömmlichen Empfindungen korrespondieren, die man normalerweise mit einem Schlachtenbummler beim Fußball verbindet, zeigt aber anschaulich, dass auch Verletzlichkeit und introvertierte Nachdenklichkeit im Herzen eines echten Fans Platz haben. Aus der inneren Vulnerabilität von Fußballfanatikern dürfte auch das nächste Stück geboren worden sein, auch wenn der Schmerz etwas weniger subtil geäußert wird. Es hat den aparten Titel „Ballack, Du geile Schnitte“ für Akkordeon und Sopran, und besteht zu großen Teilen aus vertonten Kommentaren von enttäuschten Fans, die Ende 2005 den Wechsel des Spitzenfußballers Michael Ballack vom FC Bayern München zu einem ausländischen Verein nicht einfach so hinnehmen wollten. Als Wechseloptionen munkelte man damals von Real Madrid oder FC Chelsea...Ballack, Du geile Schnitte... Musik 7, 1.10 min Moritz Eggert „Ballack, Du geile Schnitte“ für Akkordeon und Sopran Aufnahme aus München vom 01.05.2006 , Fußballglobus Irene Kurka, sopr., Stefan Hippe, akk. München, Fussballglobus, Globusklänge Promotion CD des Sikorski Verlags, nur über Sikorski 6 Denen geht es doch nur um das Geld... Das Stück dauert noch einige Minuten länger, aber mit dieser Standard-Unterstellung beenden wir zunächst mal „Ballack, Du geile Schnitte“, gesungen bei der Uraufführung in München von Irene Kurka, Sopran, begleitet von Stefan Hippe am Akkodeon. Allfällige Musikzitate der deutschen Hymne waren keinesfalls zufällig und durchaus beabsichtigt. 2006, im Entstehungsjahr des Stückes, war Deutschland Fußballverrückt. WM im eigenen Land. Denk ich an Deutschland in einem Satz, denk ich, komisch, nur dritter Platz. Trotzdem oder gerade deshalb wurden damals Heine Anklänge zur Beschreibung der Atmosphäre bemüht, Stichwort Sommermärchen, das ganze Land feierte und veränderte den Ruf des Deutschen als Miesepeter und Technokraten schlechthin für alle Zukunft Moritz Eggert, Komponist des eben gehörten Stücks für Sopran und Akkordeon, schrieb in seiner Vorfreude schon 2005 gar ein ganzes Oratorium über Fußball. Benannt war das Bühnenwerk nach der Autobiografie des 70er Jahre Fußballgottes Günther Netzer: Die Tiefe des Raumes. Wer immer schon gesagt hatte, Fußball sei ohnehin nur großes Theater, bekam das ganze jetzt bildungsbürgerlich unterfüttert. Ein ganzer Opernchor sang Unisono: Jetzt geht’s lohos... Musik 8, 2.20 min Moritz Eggert „Jetzt geht’s lohos“ aus „Die Tiefe des Raumes“ Chor der Ruhrtriennale Bochumer Symphoniker Steven Sloane Promotion CD des Sikorski Verlags 2005 entstand diese Chorszene aus dem Fußballoratorium „Die Tiefe des Raumes“ von Moritz Eggert. Chor der Ruhrtriennale und Bochumer Sinfoniker wurden geleitet von Steven Sloane. Teile dieses in zwei Halbzeiten eingeteilten Oratoriums wurden später bei der gigantischen Eröffnungszeremonie zur WM 2006 in Deutschland wiederaufgeführt, so dass für den Komponisten Moritz Eggert nicht nur der Ball sondern auch der Rubel erfreulich rollte in diesem Jahr. 7 Eggert schrieb dann noch ein sogenanntes Fußballett für die Wiener Staatsoper und ein Kammersextett namens „Das Jahrhundertspiel“. Es wurde eben schon hörbar, kein Komponist hat wohl die Stadionatmosphäre so naturalistisch eingefangen wie Eggert, der bekennende Bayernfan. Als solcher kann er natürlich seine primäre Inspirationsquelle kaum verleugnen: Die Tribüne. Hier gelten musikalisch für gewöhnlich andere Qualitätsmaßstäbe als im Konzert. Was in Musik eher als simpler Satz gilt, markiert im Stadion das höchste der Gefühle. Alle sprechen oder brüllen mit einer Stimme. Unisono. Aber gibt auch im Fangesang handwerklichen, nennen wir ihn mundwerklichen Anspruch: Fangen wir mal ganz einfach an: Musik/Oton 9, 10 Sekunden frei Südkurve/Nordkurve FC Bayern Echoeffekt kleine Terz über „Baaaayyyern“ Internetressource, Autor über Klangkulisse : Effektvolle Doppelchörigkeit, Südurve und Nordkurve eines bekannten deutschen Fußballvereins. Der Text ist schnell gelernt: „Bayern“, und stört vermutlich viele eingefleischte Fans von anderen Vereinen, kann aber beliebig variiert werden. Musiktheoretisch hat man es hier mit strenger Imitation zu tun. Eine absteigende kleine Terz, g e, bei fast barock tiefer Stimmung des a um 435 Hz, je nach Position des Hörers im Klangraum kann die Imitation als dynamisches Spiel zwischen forte und piano wahrgenommen werden. Musik Nochmal hoch Das kann so gut wie jeder Verein. Text und Musik sind hier denkbar simpel gehalten. Als musikalisch versiertester Fanchor der Welt gilt allerdings der FC Liverpool von der britischen Insel In Liverpool schafft man melodisch auch schon mal einen gebrochenen Sixte Ajouté oder die Umkehrung als Moll Septakkord. Klingt kompliziert, wirkt aber ganz natürlich, permanente Übung machte Meister, zumindest gesanglich. 8 Musik 10, 30 Sek. Frei Fans FC Liverpool, Stadionaufnahme, You´ll never walk Alone Der Fangesang des FC Liverpool ist zumindest im Bereich Fußball der meistkopierte in den Stadien der Welt. Es ist so etwas wie die universelle Kopf Hoch Hymne der Fußballkultur geworden: You ll never walk Alone, Du bist nicht allein, sozusagen die Aufforderung an die Mannschaft auf dem Platz, auch bei aussichtsloser Lage nicht zurückzustecken, Teamgeist, Kampfeswille, alles echt Fußball eben. Allein– der Liverpooler Fangesang hat eine recht unfußballerische Herkunft. Schlimmer noch, das zugrunde liegende Lied stammt aus einem Milieu, dessen Besuch vermutlich einen echten Liverpooler Fan als Warmduscher ausweisen würde – es ist eine Musical Nummer. An sich ist das kein Problem, aber welcher hartgesottene Hooligan mag sich eingestehen, dass ihn ein Musicalhit in Wallung bringt? You´ll never walk Alone ist die tränenreichste Nummer des ohnehin recht dicht am Wasser gebauten Musicals Carousel von Richard Rogers aus dem Jahre 1954. Im Musical geht es um den üblen Tunichgut Billy, der nach einem moralisch ausgesprochen flexiblen Dasein stirbt, und vor dem Himmelstor stehend eine letzte Chance bekommt: Billy darf für einen Tag auf die Erde zurück und alles wiedergutmachen. Ob sich Fußballfans hier wiedererkennen? Eine schöne Vorstellung, dass bei diesem zuckersüßen Stück selbst hartgesottensten britischen Fußballultras das Wasser in die Augen steigen dürfte. Musik 11, 3.05 min Richard Rodgers, Text Hammerstein „You´ll never walk alone” aus “Carousel”, Musical Bryn Terfel English Northern Philharmonia, Opera North Chorus, Paul Daniel CD: “Something Wonderful”, Terfel sings Rodgers/Hammerstein Deutsche Grammophon 9 Bryn Terfel, walisischer Opernstar, mit You`ll never Walk Alone von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein, begleitet von English Northern Philharmonia und Opera North Choir unter Paul Daniel. Am 10. Oktober 1963 war das Stück erstmals in den Stadionlautsprechern des FC Liverpool zu hören und das Wunder geschah: die Fans sangen mit, der FC Liverpool wurde Meister... Inzwischen steht die Liedzeile „You`ll never walk alone“ im Vereinswappen des FC Liverpool. Da sage noch einer, Fußballfans seien Kulturbanausen. Von der akustisch also durchaus reizvollen Kulisse eines Fußballstadions wurde 1924 auch der tschechische Komponist Bohuslav Martinu in Paris angeregt. Es war Sommer, Olympia, Martinu machte Ohren und Augen auf. Ganz Paris redete über wenig anderes als die überragende Mannschaft von Uruguay Fußball von einem anderen Kontinent, für viele von einem anderen Stern. Wahrscheinlich lieferten die „Urus“, das jahrelang den Weltfußball dominierende Team, diese „Brasilianer“ der Fußballfrühzeit, den exotischen Hintergrund zum wohl ersten sinfonischen Werk der Fußballmusikgeschichte. Half Time – Halbzeit, heisst das Stück, zu dem Martinu während eines Stadionbesuchs inspiriert wurde. Fanfare, Pauken, agressiv bellende Bässe und anstachelnde Trommelwirbel, dazu schrille Einwürfe von der Tribüne. Hier klingt Fußball so, wie er noch heute gerne verkauft wird – Gladiatorenspektakel, ganz großer Sport, das... Musik 12, 8.59 min Bohuslav Martinu Half Time Brno State Philh. Orchestra Petr Vronsky CD “Works inspired by Jazz and Sport” Supraphon 3058 LC 0358 1924 komponierte der Tscheche Bohuslav Martinu dieses Werk unter dem Eindruck eines Fußballspiels. Offenbar war er dabei nicht nur beeinflusst vom Sport, sondern auch vom kompositorischen Schaffen der gerade kennen gelernten Pariser Avantgarde um Igor Stravinsky oder Albert Roussel. Das ganze musikalisch gesetzt in die Form eines Rondos, also wenn man es so 10 ausdrücken möchte mit wiederkehrenden Standardsituationen und eingestreuten Kontern. „Half Time“, Halbzeit, hier gespielt vom Brno State Philharmonic Orchestra unter Petr Vronsky. Im Stück wurden hörbar nicht nur die kämpferischen Fronten der sich gegenüberstehenden Mannschaften beschrieben, sondern mehr noch die Empfindungen des mitfiebernden Publikums während Spiel und Pause, es gab wie in jedem sportlichen Kontext verstiegene Philosophen und belehrende Besserwisser, euphorisierte Hysteriker und zerknitterte Melancholiker, kurz: das, was man gemeinhin als Fußballexperten bezeichnet, und dazu rechnet sich fast jeder Fußballfreund. Und damit sind wir im letzten Fünftel der Musikstunde dort angekommen, wo die Hauptaktion so manchen Fußballspiels angesiedelt ist – in der verbalen Aufbereitung des Spielgeschehens Es soll Menschen geben, die Fernsehfußball nur wegen der anschließenden Talkrunde schauen, in der jeder Spielzug von ungemein wichtigen Fußballkoryphäen diskutiert wird. Vom Feeling her hatte der Mittelfeldstar dann ein gutes Gefühl, Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien – hier in diesen Talkrunden wird Hirnsport zum Steilpass. 1970 wusste das offenbar auch schon Alfred Schnittke. Der erste Satz seiner Suite „Sport, Sport, Sport“ hieß: das Interview, und mischte Tiefsinniges mit Dahinplätscherndem. Musik 13, 1.42 min Alfred Schnittke, arr. Frank Strobel Aus Filmsuite „Sport, Sport, Sport“ zum Dokumentarfilm von Elem Klimov „Interview“ RSO Berlin, Frank Strobel Capriccio 5002 LC 08748 „Das Interview“ aus Alfred Schnittkes Suite zum sowjetischen Dokumentarfilm „Sport, Sport, Sport“, gespielt von einem Kammerensemble des Rundfunksinfonieorchesters Berlin unter Frank Strobel. Musik aus dieser Suite wird uns Ende dieser Woche noch einmal in einem sportpolitischen Zusammenhang begegnen, soviel sei hier schon einmal verraten. Auch morgen spielt die Musikstunde noch einmal mit runden Bällen und grünem Rasen, es wird unter anderem um Tennis, Golf und Cricket in der 11 Musikgeschichte gehen, aber für heute halten wir den Ball noch einmal flach und erinnern uns daran, wie viel Leidenschaft so ein Fußball in einem Musikerherzen entfachen kann. Schon Komponist Alban Berg fieberte bei jedem Spiel mit Rapid Wien. Bassbariton Thomas Quasthoff hält Fangesänge für eine schöne Form der Liedpflege, Pianist Daniel Barenboim ist leidenschaftlicher Fan der argentinischen Nationalmannschaft, Cellist Daniel Müller Schott wollte als Kind Fußballprofi werden und Geiger Nikolaj Znaider gibt Dienstags und Mittwochs keine Konzerte, denn dann sind seine Champions League Abende vor dem Fernseher. Und das war nur die Spitze des Eisberges. Machen wir den Test: wenn Sie es beim nächsten Stück schaffen, nicht an Fußball zu denken, dann sind sie Musikfreund und noch nicht vom Virus infiziert... Wenn Sie jetzt allerdings an die letzte EM denken oder an die nächste Sportschau, dann gibt es keine Heilung mehr. Das große Tor von Kiew. Musik 14, 5.40 Modest Moussorgski, Bearb. Maurice Ravel Bilder einer Ausstellung Das große Tor von Kiew London Symphony Orchestra, Claudio Abbado CD Deutsche Grammophon Masters, Moussorgsky: Pictures at an Exhibition LC 0173 Deutsche Grammophon 445 556-2 12