Artikel als PDF-Datei - Rubin - Ruhr

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SCHWERPUNKT STRESS
Wann das Gedächtnis profitiert
Wie das Immunsystem reagiert
Wo er in der Schule lauert
# 24
Jahrgang
Nr. 2 | 2014
4,00 Euro
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RUBIN 2/14
Schwerpunkt · Stress
PSYCHISCH KRANK
DURCH DAUERSTRESS
RUBIN 2/14
Ein noch kleiner und neuerer Bereich der Forschung ist die
Psychoneuroimmunologie. Sie konzentriert sich auf die Rolle
des Immunsystems bei der Entstehung psychischer Krankheiten und versucht, die älteren Ansätze miteinander zu verbinden. „Ursprünglich wurden das Gehirn und das Immunsystem als zwei getrennte Systeme betrachtet“, erklärt Prof.
Dr. Georg Juckel, Ärztlicher Direktor der LWL-Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin
der RUB. „Man ging davon aus, dass das Gehirn vor Immunprozessen geschützt arbeitet und wenig mit dem Immunsystem
zu tun hat. Das stimmt aber nicht.“ Es gibt einerseits direkte
Nervenverbindungen vom Gehirn zu Organen des Immunsystems wie der Milz. Immunzellen wandern andersherum
auch ins Gehirn ein, und lokale Immunzellen versehen dort
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D
ie Suche nach den Ursachen psychischer Erkrankungen beschäftigt die Forschung seit Langem.
Verschiedene Hypothesen wurden dazu aufgestellt,
in den 1960er-Jahren zum Beispiel ging man von einer Störung der Gehirnchemie aus. Geraten Botenstoffe aus dem
Gleichgewicht? Spielen Hormone die Hauptrolle? Später
entdeckte man die sogenannte Neuroplastizität, die Anpassungsfähigkeit des Gehirns. Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, die Synapsen, können sich neu bilden, aber auch
verschwinden, Nervenzellen kommen hinzu oder sterben
ab. Solche Prozesse laufen beim Lernen und Trainieren ab
und sind völlig normal. Sie sind aber auch bei psychischen
Erkrankungen von Bedeutung. Und es zeigte sich: Therapien können diese Prozesse nachweislich beeinflussen.
Schwerpunkt · Stress
Aktiviert durch dauerhaften Stress entfalten Immunzellen im Gehirn eine zerstörerische
Wirkung und verändern es. Die Folge können psychische Erkrankungen sein.
Schwerpunkt · Stress
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Abb 1: Astrid Friebe und eine Kollegin betrachten einen Objektträger mit einem Hirnschnitt.
Abb. 2: Unter dem Mikroskop lässt sich erkennen, welche Aktivität verschiedene Immunzellen im Gehirn entfaltet haben.
vielfältige Aufgaben wie die Beseitigung defekter Nervenzellverbindungen. Und es gibt weitere Indizien für die Beteiligung des Immunsystems an Abläufen im Gehirn: Bei einigen
psychischen Erkrankungen sind Immunparameter der Patienten charakteristisch verändert. Die Behandlung mit Immunbotenstoffen wie Interferon alpha, das zum Beispiel gegen
Hepatitis C eingesetzt wird, führt bei 20 bis 30 Prozent der
Patienten zu Depressionen.
Welche Mechanismen dabei wirken, untersucht die Arbeitsgruppe von Dr. Astrid Friebe am LWL-Klinikum im Labor
(Abb. 1). Ihr Augenmerk richtet sich auf Mikrogliazellen.
Diese immunkompetenten Zellen, die zu den Fresszellen gehören, haben im Gehirn normalerweise die Aufgabe, synaptische Verbindungen zu reparieren, defekte Verbindungen zu
beseitigen und das Wachstum neuer Nervenzellen anzuregen.
Darüber hinaus erfüllen sie verschiedene, teils noch nicht
genau bekannte Stoffwechselaufgaben. Bei einer Bedrohung
werden die Mikrogliazellen allerdings aktiviert und in einen
zerstörerischen Zustand versetzt. In diesem aktiven Zustand
bewirken sie einen Entzündungsprozess und schütten Botenstoffe aus, die Nervenzellen schaden. „Wir sehen das ganz
deutlich bei Patienten mit Multipler Sklerose oder Alzheimer.
Rund um die von Entzündungen oder dem Abbau von Nervenzellen betroffenen Hirnbereiche findet sich eine Art Kranz
dieser Mikrogliazellen“, beschreibt Georg Juckel. Bei Schizophreniepatienten (Info) ist die Anzahl der Mikrogliazellen im
Gehirn verglichen mit gesunden Menschen deutlich erhöht.
Hier führen die Zellen zu einem Abbau von synaptischen Nervenzellverbindungen. Diese wiederum bilden die sogenannte
Graue Substanz, die bei Schizophreniepatienten verringert ist.
Die Aktivierung der Mikrogliazellen kann auch über das periphere Immunsystem erfolgen, also außerhalb des Gehirns.
Hier kommt der Stress ins Spiel: Er ist ein wichtiger Faktor,
der das Immunsystem beeinflusst. Akuter Stress regt das
Immunsystem an. „Das ergibt auch Sinn“, erläutert Astrid
Friebe: „Der Körper macht sich in Stresssituationen bereit
für Flucht oder Kampf, bereitet sich auch auf mögliche damit
verbundene Verletzungen vor.“ Was aber passiert bei dauerhaftem Stress? „Fest steht, dass die Mikrogliazellen eine Art
Gewöhnungseffekt zeigen. Je öfter sie durch Stress aktiviert
werden, desto eher neigen sie dazu, in diesem Zustand zu
bleiben. Erst dann werden die Mikrogliazellen für das Gehirn
gefährlich.“ Dauerstress ist also ein wichtiger Risikofaktor für
die Entstehung psychischer Erkrankungen.
Warum erkranken aber manche Menschen unter Dauerstress
psychisch und andere nicht? „Wir vermuten, dass der Ursprung einer Anfälligkeit für Schizophrenie in der Embryonalzeit liegt“, so Georg Juckel. Diese Vermutung geht auf eine
große US-Studie aus den 1950er-Jahren zurück. Sie ergab, dass
Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft eine
echte Virusgrippe durchgemacht hatten, ein siebenfach erhöhtes Risiko hatten, später an Schizophrenie zu erkranken. Im
Tiermodell konnten die Bochumer Forscher dies bestätigen.
Sie fanden auch heraus, dass im jungen Erwachsenenalter besonders viele aktivierte Mikrogliazellen im Gehirn vorkommen, also genau in dem Alter, in dem die Schizophrenie am häufigsten ausbricht. „Was genau im Embryo passiert,
wenn die Mutter an Grippe erkrankt, wissen wir nicht“, sagt
Abb. 3: Anhand von sehr
dünnen Hirnschnitten untersuchen die Forscher, was
bei psychischen Erkrankungen im Detail vor sich geht.
Schwerpunkt · Stress
Die Schizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung,
die relativ häufig auftritt. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe
des Lebens daran zu erkranken, liegt bei etwa einem Prozent. Die Erkrankung verläuft oft in Schüben und beginnt
meistens im jungen Erwachsenenalter. Typische Symptome
sind Übersteigerungen und Fehlinterpretationen des normalen Erlebens bis hin zu Halluzinationen (Positivsymptome),
Antriebsarmut, kognitive und motorische Defizite (Negativsymptome).
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Text: md, Fotos: mn
SCHIZOPHRENIE
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Astrid Friebe. „Der Embryo macht aber irgendeine Form von
Immunreaktion durch, die weitreichende Folgen hat und
wahrscheinlich das eigene Immunsystem vorprägt.“
Zurzeit untersucht ihre Arbeitsgruppe die Details der zerstörerischen Wirkung der aktivierten Mikrogliazellen (Abb. 2).
Welche Moleküle schütten sie aus, die für Nervenzellen schädlich sind? „Wir vermuten einen Bezug zu Stickstoffmonoxid,
weil wir Hinweise gefunden haben, dass vermehrt Enzyme
gebildet werden, die Stickstoffmonoxid-Verbindungen produzieren“, sagt Astrid Friebe. Im nächsten Schritt müssten
die Forscher dann in Zellkulturen nachweisen, dass an dieser
Hypothese tatsächlich etwas dran ist.
Zeitgleich widmen sich die Wissenschaftler der Depression im
Tiermodell. Anhand dieser Erkrankung lassen sich die Immunund die Stresseffekte eindrücklich zusammenführen. „Depressionen können nämlich – bei Mäusen wie bei Menschen
– nicht nur durch die Gabe von Immunbotenstoffen wie Interferon alpha ausgelöst werden, sondern auch durch Stress
selbst. In beiden Fällen werden die Mikrogliazellen aktiviert“,
erklärt Astrid Friebe. Eine aktuelle Forschungsfrage ist nun,
wo genau die Zellen im Gehirn ihre zerstörerische Wirkung
entfalten (Abb. 3). „Zusammenfassend kann man sagen:
Stress ist ein Risikofaktor für die Aktivierung des vorgeprägten Immunsystems“, sagt Georg Juckel.
Foto: rs
REDAKTIONSSCHLUSS
F
ür RUBIN zu recherchieren wird nie langweilig. Immer neue Labore gilt es zu erkunden und spannende
Persönlichkeiten kennzulernen. Nicht selten passiert
dabei etwas völlig Unerwartetes. So zum Beispiel als wir
Biologiedidaktikerin Nina Minkley besucht haben, die Stress
im Schulunterricht erforscht (siehe Seite 30). Ihre Büronachbarn findet man nicht auf jedem Flur. Es waren nämlich Blattschneiderameisen.
Nicht nur das Verhalten von Menschen erforscht die Arbeitsgruppe Verhaltensbiologie und Didaktik der Biologie, geleitet von Prof. Dr. Wolfgang Kirchner. Auch für das Verhalten
sozialer Insekten interessieren sich die Wissenschaftler.
Zu diesem Zweck halten sie Tiere nicht nur auf den Fluren
der RUB. Sie pflegen auch Bienenvölker im Freiland oder begeben sich zur Feldforschung nach Südafrika. So vielfältig können Forschungseinheiten sein!
Was erforschen die Biologinnen und Biologen
an diesen Tieren? Die Antwort: http://rubin.rub.de/
de/ungewoehnliche-nachbarn
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Redaktionsschluss · Impressum
IMPRESSUM
HERAUSGEBER: Rektorat der Ruhr-Universität Bochum in Verbindung mit dem
Dezernat Hochschulkommunikation
POSTPRODUKTION: Jana Zöllner, RUB
WEBAUFTRITT: Andreas Rohden, Abteilung Markenbildung, RUB
WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT: Prof. Dr. Astrid Deuber-Mankowsky (Philologie), Prof. Dr. Reinhold Glei (Philologie), Prof. Dr. Achim von Keudell (Physik und
Astronomie), Prof. Dr. Ulrich Kück (Biologie), Prof. Dr.-Ing. Ulrich Kunze (Elektrotechnik/Informationstechnik), Prof. Dr. Alfred Ludwig (Maschinenbau), Prof. Dr.
Denise Manahan-Vaughan (Medizin), Prof. Dr. Käte Meyer-Drawe (Philosophie und
Erziehungswissenschaft), Prof. Dr. Christian Tapp (Katholische Theologie), Prof.
Dr. Klaus T. Überla (Medizin)
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REDAKTION: Dr. Julia Weiler (jwe, Redaktionsleitung), Meike Drießen (md)
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RUBIN erscheint zweimal im Jahr, ein Teil der Auflage als Beilage zur Universitätszeitschrift RUBENS.
BILDREDAKTION: Marion Nelle (mn), Roberto Schirdewahn (rs), RUB Agentur,
Dezernat Hochschulkommunikation
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