Störung der Persönlichkeitsentwicklung

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ADHS und Persönlichkeitsentwicklung:
früh beginnende
Persönlichkeitsstörungen
ADHS Gipfel
Hamburg 28.01.2012
Klaus Schmeck
Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Potentielle Interessenskonflikte
Forschungsunterstützung, Mitarbeit in Advisory Boards,
Unterstützung von Tagungen:
› Astra-Zeneca
› Bristol-Myers-Squibb
› Celltech / UCB
› Janssen-Cilag (Adv.Board)
› Lilly (Adv.Board)
› Lundbeck
› Medice / Salmon Pharma
› Novartis
Vorbemerkung
Warum gibt es so viel Widerstand gegen die Diagnose einer
Persönlichkeitsstörung im Jugendalter?
Zwei Grundlegende Irrtümer:
1.
Entwicklung spielt sich in Kindheit und Jugend ab und
ist mit dem 18. Lebensjahr weitgehend abgeschlossen
2.
Persönlichkeitsstörungen sind unveränderbar
Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen
in verschiedenen Lebensabschnitten
Begrenzung durch Messfehler
Roberts & DelVecchio
Stabilität von Persönlichkeitsstörungen
Metaanalyse von Grilo & McGlashan (1999):
Stabilität und Verlauf von Persönlichkeitsstörungen
„Die vorhandenen Daten legen nahe, dass
Persönlichkeitsstörungen nur eine mittelgradige Stabilität
aufweisen und dass sie … sich über die Zeit hinweg
bessern können und von spezifischen Behandlungen
profitieren.“ (S.157)
› Höhere dimensionale als kategoriale Stabilität
› Höhere Stabilität von Persönlichkeitstraits (z.B. Impulsivität)
als von Symptomen (z.B. Selbstverletzendes Verhalten)
Allgemeine Diagnosekriterien für PS
› tief verwurzelte stabile Verhaltensmuster mit starren
Reaktionen auf unterschiedliche persönlich-soziale
Lebensbedingungen
› Auffälligkeiten im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in
der Beziehungsgestaltung
› Subjektives Leiden des Betroffenen und/oder seiner
Umwelt
› durch keine andere psychische oder hirnorganische
Störung bedingt
› Beginn in Kindheit oder Adoleszenz, Andauern bis ins
Erwachsenenalter
Leitlinien Persönlichkeitsstörung (Tress et al., 2002)
Borderline-Persönlichkeits-Störung
Allgemein: durchgehendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, Selbstbild und Gefühlen;
ausgeprägte Impulsivität
Weiterhin müssen mindestens fünf der folgenden Kriterien erfüllt
sein:
1.
verzweifeltes Bemühen, Alleinsein zu verhindern
2.
intensive, aber instabile zwischenmenschliche Beziehungen;
Wechsel zwischen Überidealisierung und Entwertung
3.
Identitätsstörung
4.
Impulsivität bei mindestens zwei potentiell selbstschädigenden
Aktivitäten
5.
wiederholte Suiziddrohungen oder –versuche,
Selbstverletzungen
6.
affektive Instabilität
7.
chronisches Gefühl der Leere
8.
übermäßig starke Wut; Unfähigkeit, Wut zu kontrollieren
9.
dissoziative Symptome; stressabhängige paranoide Phantasien
Diagnose, wenn 5 von 9 Kriterien erfüllt sind
Verschiedene Ebenen von Persönlichkeitspathologie
Symptome
sensitiv
impulsiv
zwanghaft
eifersüchtig
unverantwortlich
perfektionist.
kalt
ausbeuterisch
ängstlich
distanziert
verführerisch
besorgt
affektarm
arrogant
klammernd
Borderline
Spezifische
PersönlichkeitsStörungen
Cluster
Beeinträchtigung
PersönlichkeitsStruktur
paranoid
Antisozial
Anankast.
schizoid
Histrionisch
Ängstl.verm.
schizotyp
Narzisstisch
Dependent
B
C
A
Mangelnde Anpassung
in Selbstregulation und interpersonellen Beziehungen
Schmeck & Schlüter-Müller, 2009)
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Zusammenhang zwischen ADHS und
Persönlichkeitsstörungen?
Teilweise Überlappung der Symptomatik von ADHS und
Borderline-PS:
› Störungen der Kontrolle von Impulsen und Emotionen
(v.a. Ärger)
› Suche nach Stimulation
› Beeinträchtigtes Selbstbild
› Mangelndes Schuldbewusstsein und mangelnde
Übernahme von Verantwortung für das eigene
Verhalten
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ADHS und Antisoziale Persönlichkeitsstörungen
Frühe Kindheit
Angst
Opposition.
Trotzverhalten
Adoleszenz
Depression
Störung des
Sozialverhaltens
Erwachsenenalter
Substanzmißbrauch
Antisoziale
Persönlichkeitsstörung
Hyperkinetische
Störung
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nach Loeber et al. (2000)
Effects of diagnostic comorbidity and dimensional symptoms of
attention-deficit–hyperactivity disorder in men with antisocial
personality disorder (Semiz et al., Aust N Z J Psychiatry. 2008 42(5): 405–413)
Probanden: 105 männliche Straftäter (Alter 20-36 J.) mit Antisozialer PS
Hochbelastete Stichprobe:
› 92% Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung
› 92% Selbstverletzendes Verhalten
› 59% mindestens 1 Suizidversuch
› 79% Alkoholmissbrauch
› 77% Substanzmissbrauch
› 40% andere PS (v.a. Borderline und Narzissistische PS)
› 65% aktuelle ADHS-Diagnose
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History of Childhood Attention Deficit/Hyperactivity Disorder
Symptoms and Borderline Personality Disorder: A Controlled
Study (Fossati et al., Compr. Psychiatry 2002, 43(5):369-377)
› Retrospektive Erfassung von ADHD-Symptomen in der
Kindheit von erwachsenen psychiatrischen Patienten
mit
› Borderline PS
(N=42)
› andere Cluster-B PS
(N=38)
› andere Cluster-A oder -C PS
(N=38)
› keine PS
(N=69)
› Gesunde Kontrollpersonen
(N=210)
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History of Childhood Attention Deficit/Hyperactivity Disorder
Symptoms and Borderline Personality Disorder: A Controlled
Study (Fossati et al., Compr. Psychiatry 2002, 43(5):369-377)
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Attention-deficit hyperactivity disorder as a potentially
aggravating factor in borderline personality disorder
(Philipsen et al., Br J Psychiat 2008 192, 118–123)
Retrospektive klinische Studie, 118 Frauen mit Borderline PS
› 41,5 % ADHS in Kindheit und Jugend
› 16,1 % ADHS aktuell
› Schweregrad der Borderline-Symptomatik höher bei ADHS
› Mehr emotionaler Missbrauch in der Kindheit bei ADHS
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Childhood ADHD and the Emergence of Personality Disorders in
Adolescence: A Prospective Follow-up Study (Miller et al., 2008)
Ausgangsstichprobe:
› 96 Kinder mit ADHS (7 – 11 J.) vs. 85 Kinder ohne psych. Störungen
› Alter bei Follow-up: 16-26 J.
Ergebnisse:
› Kinder mit ADHS zu T1 zeigten zum Follow-up ein erhöhtes Risiko für
- Borderline PS
(OR = 13.16)
- Antisoziale PS
(OR = 3.03)
- Narzissistische PS
(OR = 8.69)
- Vermeidende PS
(OR =9.77)
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Persönlichkeitsstörungen und ADHS in der Kindheit
Bei persistierendem ADHS erhöhtes Risiko für
Antisoziale PS (OR = 5.26) und Paranoide PS (OR = 8.47)
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Childhood Antecedents of
Adolescent Personality Disorders
(Bernstein et al., Am J Psychiatry 1996; 153:907–91)
› 976 Kinder (1-10 J.) aus der Normalbevölkerung
(Children in the Community Study)
› Erfassung von kinder- und
jugendpsychiatrischen Störungen (Achse I) und
Persönlichkeitsstörungen (Achse II)
› Prospektive Longitudinalstudie über 10 Jahre
(N=641 zum letzten Messzeitpunkt)
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Influence of Child and Adolescent Psychiatric
Disorders on Young Adult Personality Disorder
(Kasen et al., Am J Psychiatry 1999; 156:1529–1535)
› 551 Kinder und Jugendliche (9-16 J.) aus der
Normalbevölkerung (Children in the Community
Study)
› Erfassung von kinder- und
jugendpsychiatrischen Störungen (Achse I) und
Persönlichkeitsstörungen (Achse II)
› Prospektive Longitudinalstudie über 10 Jahre
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Persönlichkeitsstörungen in Abhängigkeit
von der Anzahl früherer Diagnosen
(Kasen et al., Am J Psychiatry 1999; 156:1529–1535)
Anzahl Diagnosen
Cluster A
Cluster B
Cluster C
0
1
2-3
4+
(N=380) (N=96) (N=59) (N=16)
4.5%
11.6%
4.5%
15.6%
21.9%
10.4%
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20.3%
33.9%
20.3%
56.3%
50.0%
37.5%
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Frühe psychische Störungen und
spätere Persönlichkeitsstörung
Schwerwiegende psychiatrische Störungen in Kindheit und /
oder Adoleszenz können die Bewältigung von zentralen
Entwicklungsaufgaben beeinträchtigen
› Entwicklung einer stabilen Identität
› Entwicklung von interpersonellen Skills
Mögliche Folgen:
› Identitätsstörungen
› Mangelnde Fähigkeit zur sozialen Adaptation
› Zentrale Kriterien für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung im DSM V
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Veränderungen im DSM-V
Definition: Personality disorders represent the failure to develop a sense
of self-identity and the capacity for interpersonal functioning that
are adaptive in the context of the individual’s cultural norms and
expectations.
•
•
•
•
•
•
A. Adaptive failure is manifested in one or both of the following areas:
1. Impaired sense of self-identity
2. Failure to develop effective interpersonal functioning
B. Adaptive failure is associated with extreme levels of one or more
personality traits.
C. Adaptive failure is relatively stable across time and consistent
across situations with an onset that can be traced back at least to
adolescence.
D. Adaptive failure is not solely explained as a manifestation or
consequence of another mental disorder
E. Adaptive failure is not solely due to the direct physiological effects
of a substance (e.g., a drug of abuse, medication) or a general
medical condition (e.g., severe head trauma)
Veränderungen im DSM-V
A. Adaptive failure is manifested in one or both of the following areas:
•
1. Impaired sense of self-identity as evidenced by one or more
of the following:
•
i. Identity integration. Poorly integrated sense of self or identity (e.g.,
limited sense of personal unity and continuity; experiences shifting
self-states; believes that the self presented to the world is a façade)
•
ii. Integrity of self-concept. Impoverished and poorly differentiated
sense of self or identity (e.g., difficulty identifying and describing self
attributes; sense of inner emptiness; poorly delineated interpersonal
boundaries; definition of the self changes with social context)
•
iii. Self-directedness. Low self-directedness (e.g., unable to set and
attain satisfying and rewarding personal goals; lacks direction,
meaning, and purpose to life)
Störung der Persönlichkeitsentwicklung
Genetische
Prädisposition
Prä- / perinatale
Einflüsse
Allgemeine
Entwicklungsaufgaben
beeinträchtigte
neurobiologische /
psychologische
STRUKTUR
Traumatische
Erlebnisse (v.a.
Typ-II-Traumata)
„invalidierende“
psychosoz. Umgebung
unflexible und
dysfunktionale
Bewältigungsmuster
Psychosoziale
Überforderung
Interpersonelle
Krisen
zunehmende Störung der
Identitätsentwicklung
und Beziehungsregulation
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
Schmeck &
Schlüter-Müller, 2009)
AIDA
Assessment of Identity Development in Adolescence
(Goth, Schlüter-Müller, Foelsch, Schmeck, 2011)
Identitäts-Kontinuität
Identitäts-Kohärenz
• Stabilität in
Eigenschaften
› Gegensätzlichkeiten
• Stabilität in
Beziehungen
• Emotionale
Selbstreflektion
› Autonomie
› Kognitive Selbstreflexion
Behandlung von Persönlichkeitsstörungen
Spezielle Leitlinien für verschiedene Formen von PS
- Leitlinien Persönlichkeitsstörung (Tress et al., 2002)
- Leitlinien zur Behandlung von Borderline-PS (APA, 2005)
Bohus et al. (2009). S2 Praxisleitlinien in Psychiatrie und
Psychotherapie. Band 1 Behandlungsleitlinie Persönlichkeitsstörungen.
Darmstadt: Steinkopf-Verlag
Fokus der (langdauernden) Behandlung liegt auf der
Verbesserung von
• Affekt-Regulation
• Impuls-Kontrolle
• Identität und Selbstwertregulation
• Interpersonellen Problemen
Personality disorder in ADHD
(Williams et al., 2010; Robison et al., 2010; Reimherr et al., 2010)
•
•
•
•
RCT (doppelblind, Placebo-kontrolliert)
N=47 erwachsene Patienten mit ADHD
OROS-Methylphenidate vs. Placebo
Erfassung von Persönlichkeitsstörungen mit
SCID-II (Structured Clinical Interview for DSM-IV Axis II
Personality Disorders) und
WISPI-IV (Wisconsin Personality Inventory IV)
Personality disorder in ADHD
(Robison et al., Ann Clin Psychiatry. 2010 May;22(2):94-102)
45% PS-Diagnose (9% cluster A, 17% B, 28% C)
Gruppe 1: N=26 keine PS-Diagnose
Gruppe 2: N=11 eine PS-Diagnose
Gruppe 3: N=10 >1 PS-Diagnose
Behandlungserfolg
Gruppe 1
Gruppe 2
Gruppe 3
OROS MPH
40%
60%
26%
Placebo
7%
9%
23%
Zusammenfassung
• Kinder mit ADHS haben ein deutlich erhöhtes Risiko, im
Verlauf ihrer Entwicklung eine Persönlichkeitsstörung zu
entwickeln
• Behandlung sollte deshalb neben der ADHS-Symptomatik
auch zielen auf:
- Selbstwertprobleme
- Störungen der Identitätsentwicklung
- Beziehungsfähigkeit
- abnorme Lebensbedingungen
• bei schwerem ADHS sind sowohl Pharmakotherapie als
auch Psychotherapie notwendig, um gravierende
Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung zu
verhindern
DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT
[email protected]
www.upkbs.ch
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