Möglichkeiten und Grenzen, ethische Probleme in der Supervision zu bearbeiten Symposium Klinische Ethik in der Psychiatrie Donnerstag, 3. November 2016 Prof. Dr. phil. Beate Mitzscherlich Westsächsische Hochschule Zwickau Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 1 (Psychologische) Supervision in der Psychiatrie Etablierte Arbeitsform zur Verbesserung der Behandlungsqualität und Qualifikation professionellen Handelns durch Selbstreflexion, Austausch im Team, Reflexion professionellen Handelns und professioneller Rollen auf den Ebenen Person/Interaktion/Team/Organisation moderiert von externen SupervisorInnen (Voraussetzungen: Auftragsklärung, Schweigepflicht, Prozessverantwortung, Feldkompetenz) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 2 (Psychologische) Supervision in der Psychiatrie Systemisch, tiefenpsychologisch, verhaltenspsychologisch, sozialpsychologisch orientiert oder/und eklektizistisch, Fallsupervision/ Teamsupervision/themenzentrierte Supervision Prozessorientiert (reguläre Termine, min. 2 Jahre), Emotionale Inhalte, persönliche Erfahrungen/Bewertungen/Haltungen der MA und sind Gegenstand der Supervision Wichtige Funktion: Entlastung/Gesunderhaltung der Mitarbeitenden Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 3 Zunahme ethischer Konflikte in der Psychiatrie? oder zunehmende Sensibilisierung für ethische Konflikte? Hintergrund: Fallzahlenentwicklung, Verweildauern, Finanzierung (ökonomisch) Fachliche Entwicklungen (Genese ps. Krankheiten, medikamentöse Therapie, psychotherapeutische (systemische) Ansätze, neue Versorgungsmodelle) Ent-Stigmatisierung? Stärkerer Einfluss von Betroffenen und Angehörigen, Stärkung der Patientenrechte, Gesetzliche Entwicklungen: Behindertenrechtskonvention, Psychiatriegesetzgebung, Teilhabegesetz (Entwurf) ??? Gesamtgesellschaftliche globale Entwicklungen??? Fragen nach Verteilungsgerechtigkeit, Akzeptanz von Diversität, daraus entstehende Konflikte und Verunsicherungen spiegeln sich auch im Mikrokosmos Psychiatrie wieder Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 4 Themen: Zwang, Selbstbestimmmung, Schaden Wie ethische Konflikte in der Supervision formuliert werden? › Fallbeispiel 1; männlich, 27 , schizophrene Psychose, zum 2. Mal untergebracht, verweigert Neuroleptika-Behandlung › Wird als Team- bzw. Berufsgruppenkonflikt thematisiert (Pflege gg. Stationsarzt) Psychologisiert: wenig/viel Erfahrung? Im Wesentlichen auf der Ebene sozialer Konsequenzen verhandelt Solidarisierung zur Stärkung der eigenen Position (Pflege verbündet sich mit Mutter, Arzt mit CA) › › › Darf Patient gegen seinen Willen medikamentös zwangsbehandelt werden? Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 5 Themen: Patientenautonomie oder Kindeswohl? Wie ethische Konflikte in der Supervision formuliert werden? › › › › › Fallbeispiel 2; weiblich, 39 , lange Psychiatriekarriere mit Dauermedikation, unter wechselnden Diagnosen (zuletzt Persönlichkeitsstörung) Schwangerschaft, 1. Supervision im ambulanten Dienst/SPDi, In-Obhut-Nahme des Kindes durch Jugendamt kurz nach Kaiserschnittentbindung, zeitweise Rückführung im Zuge stationärer Aufnahme auf Mutter-Kind-Einheit Wird als «falsche Haltung»in Bezug auf die Berufsrolle thematisiert Wird als übergriffiges (oder passives) Handeln benachbarter Systeme (hier Jugendhilfe) thematisiert, (ohne direkt mit diesen in Kontakt zu treten) Wird nicht in dem klinischen Kontext thematisiert, wo Handlungs-bzw. Entscheidungskompetenz liegt (hier Entbindungsklinik) Darf Kind einer psychiatrischen Patientin dieser gegen ihren Willen entzogen werden bzw. Sie genötigt werden sich mit dem Kind in Mutter-Kind-Abteilung aufnehmen zu lassen? Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 6 Themen: Suizidalität/Entscheidung am Lebensende? Wie ethische Konflikte in der Supervision formuliert werden? › › › › Fallbeispiel 3; weiblich, über 65, seit ca. 15 Jahren schwere Depression, Suizidandrohung gegenüber behandelnder Ärztin/Bezugstherapeutin an anonymem Krisentelefon, Veranlassung der Unterbringung Wird zunächst als psychologisches bzw. Interaktionsproblem thematisiert («Vertrauensbruch») Berufsrolle, ärztliches Handeln/Berufsethik im Mittelpunkt Dahinter/darunter liegt allerdings Frage nach Selbstbestimmungsrecht des Patienten bez. eigenen Todes – Vergleich mit Somatik Darf Patient gegen seinen Willen am Leben gehalten/»gerettet» werden? Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 7 Ethische Konflikte werden in der Supervision - - eher indirekt thematisiert Tendenziell psychologisiert Sie treten oft an Schnittstellen der Systeme (Psychiatrie, Sucht, Jugendhilfe, Angehörigensystem auf) Manche scheinbaren Teamkonflikte basieren auf einem ethischen Konflikt, bei dem Teammitglieder auf verschiedene Seiten dieses Konfliktes gehen; der Wunsch nach schneller Harmonisierung oder «besserer Kommunikation» verwischt oft das Wesen des Konfliktes am falschen Ort oder/und zum falschen Zeitpunkt thematisiert? Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 8 Vergleich: Vorgehen in Supervision/Ethikkonsultation › › › › › › › Themen- Problemklärung Perspektiven auf Problem erkunden (Frage nach den Rechten) Erkennen bzw. Herausarbeiten eines Konfliktes als ethisch Handlungsoptionen/Alternativen u. U. Problemraumerweiterung Konsens oder auch nur Klärung gegensätzlicher Positionen und deren Begründung Prozessbezogene/interne Evaluation/Feed-back › › › › › › › › › (ausformulierte Anfrage) Perspektiven vollständig darstellen/wahrnehmen Frage nach den Rechten Ethische Analyse, EthikFokus herausarbeiten Behandlungsalternativen suchen und bewerten Konsensfindung und Entscheidung Massnahmen festlegen Dokumentation/Protokoll Feed-back Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 9 Vergleich: Vorgehen in Supervision/Ethikberatung Supervision Ethikberatung Einberufung Regulär, ritualisiert anlassbezogen «on demand» Gegenstand Psychologische bzw. IAoder Team-Konflikte Ethischer Konflikt in Bezug auf Behandlungsentscheidung Methode/Prozes s Prozessorientiert, intuitiv, assoziativ, Emotional? Induktiv? Ziel/entscheidungsorientiert Systematisch, strukturiert, Rational, Deduktiv Fokus Psychodynamik, IA Ethischer Konflikt Rolle des Beraters Moderierend, Strukturierend, Prozessstrukturierung, ethische Expertise, Ergebnis Vertiefte Reflexion, Entlastung Entscheidung/ Massnahmen Dokumentation Notizen, selten Protokolle Systematisches Protokoll zur Patientenakte Feedback/Evaluation Gelegentlich, prozessorientiert Systematisch, ergebnisorientiert Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 10 Thema: Fazit? Supervision oder/und Ethikberatung? 1. Ethische Konflikte werden auch (und vermutlich zunehmend) in der Supervision thematisiert; Supervision kann prinzipiell als Rahmen ethischer Reflexion genutzt werden und kann damit die Sensibilität der Mitarbeitenden für ethische Konflikte befördern. 2. Das setzt allerdings voraus, dass SupervisorInnen ethische Konflikte als solche erkennen und zumindest ansatzweise analysieren können. Dazu müssen sie nicht nur ethisch sensibel, sondern ethisch qualifiziert sein. 3. Wenn es um Entscheidungsfindung in ethischen Konfliktsituationen geht, ist die Ethikberatung durch ihr strukturiertes, systematisches und zielorientiertes Vorgehen besser geeignet. 4. Beide Ansätze sollten nicht als konkurrierende Angebote werden, sondern als sich ergänzende . Eine durch Supervision entwickelte Reflexivität und Kommunikationskultur ist eine gute Voraussetzung für Ethikberatung im Konfliktfall. Das Erkennen und Thematisieren ethischer Konflikte kann Supervision anreichern und intensivieren. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 11 Literatur › › › › › › › › › › › › › › Beauchamp TL, Childress JF. Principles of biomedical ethics. 6. Aufl. New York: Oxford University Press; 2009 Dörries, A., Neitzke G., Simon A. et al. Klinische Ethikberatung – ein Praxisbuch für Krankenhäuser und Einrichtungen der Atenpflege. Stuttgart Kohlhammer; 2010 Eichert HC. Entwicklung beruflicher Ressourcen durch Supervision. Eine Untersuchung im ambulanten psychiatrischen Bereich. Gruppendynamik und Organisationsberatung, 2005; 3: 285-302 Eichert HC. Supervision und Ressourcenentwicklung – Eine Untersuchung zur Supervision in der stationären Psychiatrie [Dissertation]. Köln, Universität Köln; 2008 Heltzel R. Supervision und Beratung in der Psychiatrie. Bonn: Psychiatrie Verlag; 2007 Krobath T, Heller A. Ethik organisieren. Handbuch der Organisationsethik. Freiburg: Lambertus; 2010 Mitzscherlich B. Wandel der Lebensformen in der Spätmoderne und Auswirkungen auf die seelische Gesundheit im Erwachsenenalter. In: Elgeti H Ziegenbein M Psychiatrie in Niedersachsen Band 7 2014 Mitzscherlich B. Ethische Konflikte in der Psychiatrie als Gegenstand von Supervisionsprozessen, Psychiatrische Praxis 2014, 7, 379-384 Pühl H. Handbuch der Supervision und Organisationsentwicklung. 3. Aktualisierte und erweiterte Auflage. Berlin: Springer VS Verlag für Managementwissen; 2009 Reiter-Theil S. Schürmann, J. und Schmeck, K. Klinische Ethik in der Psychiatrie- state of the art. Psychiatrische Praxis 2014, 41: 355-363 Reiter-Theil, S. et al. Evidence -competence-discourse: The theoretical framework of the multi-centre Clinical Ethics support project METAP, Bioethics 2011;25; 403-412 Reiter-Theil S. Ethikberatung in der Klinik – ein integratives Modell für die Praxis und ihre Reflexion. Therapeutische Umschau; 2008: 359-364 Schochow M, May AT Schnell D, et al. Implementierung klinischer Ethikberatung in deutschen Krankenhäusern Dtsch Medizinische Wochenschau 2014, 139, 2178-2183 Steger F. Klinische Ethikberatung. Grundlagen, Herausforderungen und Erfahrungen. Mentis Verlag Münster 2013 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 12 [email protected] [email protected] http://www.upkbs.ch Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.11.2016 13