Humorale Tumormarker - Deutsches Ärzteblatt

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M E D I Z I N
DISKUSSION
Humorale Tumormarker
Tumormarker bei
endokrinologischen
Tumoren
Daß Hormone gleichzeitig Tumormarker bei endokrinen Neoplasien sind, ist ärztliches Allgemeinwissen. Wesentlich für die Onkologie ist jedoch die Kenntnis der paraneoplastischen Hormonproduktion
durch nicht endokrine Tumoren. Die
Hormonbestimmung dient dann als
Tumormarker. Beispiele sind die
PTHrP-Produktion durch Bronchialkarzinome und andere solide Tumoren mit dem Resultat der Erzeugung einer Tumorhyperkalziämie,
ACTH-, MSH-, selten CRH-Produktion durch Bronchialkarzinome,
GH-/GRH-Produktion durch Pankreastumoren mit paraneoplastischer
Induktion
einer
Akromegalie,
ADH-Produktion mit der Folge der
Entstehung eines inappropriaten
ADH-Syndroms durch Bronchial-,
Duodenal-,
Pankreas-Karzinome
und Thymome, Produktion insulinähnlicher Wachstumsfaktoren
(IGF I und II) mit Induktion von
Hypoglykämien. Neben diesen häufigeren Formen gibt es natürlich Raritäten, die der Experte herausarbeiten muß.
Eine besondere Bedeutung für
die Struma maligna hat die Bestimmung von Kalcitonin und CEA beim
C-Zell-Karzinom, die Bestimmung
des Thyreoglobulins (TG) postoperativ beim follikulären beziehungsweise papillären Schilddrüsen-(Thyreozyten-)Karzinom. In der Verlaufskontrolle sind die Meßwerte
unerläßlich für das Staging und
eventuelle Interventionen.
Die Kenntnis, daß CEA auch
Marker eines C-Zell-Karzinoms sein
kann, ist für die Gastroenterologie
unerläßlich – in diesem Sinne müßte
in Tabelle 1 der Arbeit von Wolter
et al. in der Spalte des CEA unter
„kolorektales Karzinom, Mammakarzinom“ noch eingefügt werden:
„C-Zell-Karzinom“. Da dieser Zusatz leider immer wieder vergessen
wird, gehen Patienten mit C-ZellKarzinom nicht selten lange ga-
stroenterologisch-diagnostische Wege, die letztendlich überflüssig sind,
wenn rechtzeitig an die Möglichkeit
des C-Zell-Karzinoms gedacht wird
(1). Bei der Tabelle „Tumormarker
bei Thoraxtumoren“ sind die oben
erwähnten Hormone (ACTH) zu er-
Zu dem Beitrag von
Dr. med. Christian Wolter
Dr. med. habil. Peter Luppa
Priv.-Doz. Dr. med. Jürgen Breul
Prof. Dr. med. Ulrich Fink
Priv.-Doz. Dr. med.
Axel-Rainer Hanauske
Prof. Dr. med.
Heinz Wolfgang Präuer
Dr. med. Andreas Sendler
Dr. med. Dr. med. habil.
Olaf Wilhelm und
Prof. Dr. med. Dieter Neumeier
in Heft 50/1996
gänzen, sofern der entsprechende
Tumor paraneoplastisch endokrin
aktiv ist.
Literatur
1. Frank-Raue K, Buhr H, Raue F, Grauer A,
Pouw F, Ziegler R: Chronische Diarrhoe
und CEA-Erhöhung. Tumordiagnostik und
Therapie 1993; 14: 252–254.
Prof. Dr. med. Reinhard Ziegler
Priv.-Doz. Dr. med. Peter Nawroth
Abteilung Innere Medizin I
(Endokrinologie und Stoffwechsel)
Medizinische Universitätsklinik
und Poliklinik
Bergheimer Straße 58
69115 Heidelberg
Praxisorientierte
Indikationen
Enttäuschend ist die Empfehlung des Artikels über die humoralen Tumormarker, der doch so vielversprechend begonnen hatte: „. . .
dabei sollten die negativen Folgen
eines undifferenzierten Einsatzes“
A-1502 (50) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 22, 30. Mai 1997
(übrigens nicht nur bei Vorsorge und
Screening-Untersuchungen) „. . .
nicht unterschätzt werden“, und später heißt es absolut richtig: „Die
Durchführung eines Tumormarkertests ist grundsätzlich nur dann sinnvoll, wenn aus dem Ergebnis der Tumormarkerbestimmung Konsequenzen für die weitere Behandlung des
Patienten gezogen werden.“ Hätten
die Autoren doch diesen Satz bei der
Abfassung der folgenden beiden Seiten ihres Aufsatzes beherzigt. Schade, es folgt viel Wissen, was den Eindruck erweckt, die Bestimmung der
Tumormarker sei wichtig. Der handfeste Anfang endet in der wenig konkreten Schlußfolgerung, man solle
aufschreiben, wann was zu tun ist . . .
Dazu wäre dieser Aufsatz nicht
nötig gewesen. Es wäre doch wissenschaftlich viel zünftiger gewesen, die
Aussage von Kievit (2) zu widerlegen, in der behauptet wird, daß die
Bestimmung von CEA in der Nachsorge des Kolonkarzinoms keinen
Wert habe.
Müßig zu sagen, daß – abgesehen von einigen wenigen Indikationen – die klinische Konzequenz doch
durch das Ergebnis der Bestimmung
der Tumormarker nicht beeinflußt
wird. Das wissen auch die Autoren
des Artikels. Wir haben an drei Kliniken – in Bremen, Oldenburg und
Ulm – Fragebögen mit Szenarien
verteilt, in welchen durch Multiplechoice-Antworten die Konsequenzen bei Meßwerten der Tumormarker „im Normbereich“ (50 Prozent
der Fragebögen) oder bei eindeutig
erhöhten Werten (die anderen 50
Prozent der Fragebögen) genannt
werden sollten. Im Spektrum der gewählten Konsequenzen haben wir
zwischen den beiden Gruppen keinen Unterschied gesehen. Die Daten
haben wir nicht publiziert, weil es
wenig interessiert, wenn eben gar
nichts unterm Strich hängenbleibt;
wir hatten kein Szenario mit erwartetem positivem Ergebnis (zum Beispiel Hodentumor) eingeschlossen.
Eigene Erfahrungen haben
wohl noch eher die Chance zu überzeugen als die Geschichten anderer.
So könnte man doch eine Umfrage
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machen, in der nicht vorinformierte
Experten angeben sollen, bei welchem Tumor oder in welcher Situation sie einen Tumormarker bestimmen würden, wenn es nur mehr eine
einzige Indikation gäbe, in der die
Marker bezahlt werden. Es ist vorhersagbar, daß das Ergebnis homogen sein wird. In einer zweiten Frage
könnte man die Nennung zweier Indikationen und in einer dritten Frage die Nennung von drei Indikationen erbitten. Vielleicht wären dieses
Experiment und die Beschreibung
seines Ergebnisses wirkungsvoller
als noch ein Artikel über den erwarteten Nutzen der Tumormarker.
In einer Zeit spürbarer (gegeben
hat es sie schon immer, nur spürbar
war sie früher nicht) Ressourcen-Limitation quälen jeden Arzt die beiden Fragen: „Was kann ich weglassen, ohne die Qualität der Versorgung meiner Patienten zu beeinträchtigen?“ und „Welche Leistungen soll ich vermehrt/vermindert erbringen, um wirtschaftlich selbst zu
überleben und den größtmöglichen
Nutzen für den Patienten bei stabilen
Ausgaben zu erreichen?“
In einer Replik – auch wenn sie
erst Monate später kommt – sollten
plausible Antworten auf drei Fragen
stehen: Was sind – außer den Hodentumoren – die wichtigsten praxisorientierten Indikationen, bei welchen
Tumormarker bestimmt werden sollten? Wo kann man bei diesen Indikationen über den Nutzen für die
Patienten nachlesen? Weshalb wird
eine der wenigen kritischen Arbeiten zum Thema (1) nicht zitiert?
Literatur
1. Kievit J, van de Velde CJH: Utility and cost
of carcinoembryonic antigen monitoring in
colon cancer follow-up evaluation. A Markov analysis. Cancer 1990; 65: 2580–2587.
Prof. Dr. med. Franz Porzsolt
AG Klinische Ökonomik
Klinikum der Universität Ulm
89070 Ulm
Schlußwort
Die Anmerkungen der Herren
Ziegler und Nawroth zur paraneoplastischen Hormonproduktion stel-
len inhaltlich einen Extrakt der
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie dar,
dem wir uns inhaltlich anschließen
können (4).
Unsere
Empfehlungen
beschränken sich demgegenüber bewußt auf diejenigen Tumormarker
im engeren Sinne, die hinsichtlich
des Einsatzbereiches weniger gut beschrieben sind und andererseits von
der Nutzungsproblematik her – nicht
nur an unserem Hause – eindeutig
im Vordergrund stehen. Nicht
berücksichtigt wurden von uns unter
anderem die Indikationen für die
Normierende Texte
Normierende Texte (Empfehlungen, Richtlinien, Leitlinien usw.)
können im Deutschen Ärzteblatt
nur dann publiziert werden, wenn
sie im Auftrage der Herausgeber
oder gemeinsam mit diesen erarbeitet und von den Herausgebern
als Bekanntgabe klassifiziert und
der Redaktion zugeleitet wurden.
Bestimmung spezieller Hormon-/
Stoffwechselprodukte bei gastrointestinalen Tumoren (zum Beispiel
Karzinoid, Insulinom, Gastrinom,
VIPom, Glukagonom, Somatostatinom, MEN Typ 1), die Bestimmung
von Tumormarkern bei Schilddrüsentumoren sowie die Tumormarkerbestimmungen in anderen Körperflüssigkeiten (zum Beispiel Aszites, Pleura- und Perikarderguß).
Bezugnehmend auf den Beitrag
von Herrn Porzsolt erscheint uns
derzeit unter Kosten/Nutzen-Gesichtspunkten in der klinischen Routine nur der Einsatz von AFP und
hCG bei Hoden- beziehungsweise
Keimzelltumoren, des PSA in der
Diagnostik und Verlaufskontrolle
des Prostatakarzinoms, des CA 125
beim Ovarialkarzinom sowie der
Einsatz der NSE in der Diagnostik
und Verlaufskontrolle des (kleinzelligen) Bronchialkarzinoms und bei
bestimmten neuroendokrinen Tumoren angezeigt. Bezüglich der Nutzung des CEA bleibt festzuhalten,
daß zumindest einzelne Patienten
mit solitären Lebermetastasen bei
Zustand nach kolorektalem Karzinom von der CEA-Bestimmung im
Rahmen der Nachsorge profitieren.
Die anderen humoralen Tumormarker sollten unseres Erachtens nur im
Rahmen kontrollierter Studien eingesetzt werden. Andere Indikationen für die oben aufgeführten Marker sollten gleichfalls nur im Rahmen kontrollierter Studien erprobt
werden.
Dieser Ansicht steht jedoch eine Versorgungsrealität mit Fachgesellschaften und Tumorzentren
gegenüber, die Empfehlungen zur
Diagnostik, Therapie und Nachsorge maligner Erkrankungen veröffentlichen, in denen auch die Nutzung anderer Tumormarker bei teilweise fragwürdigen Indikationen gefordert wird. Diese Empfehlungen
sorgen in der Patientenversorgung
für einen Handlungsdruck, dem sich
der betreuende Arzt nicht ohne weiteres entziehen kann. Vor diesem
Hintergrund erscheint es durchaus
sinnvoll, Basiswissen für den rationellen Einsatz „gebräuchlicher“ Tumormarker bereitzustellen, denn dadurch lassen sich zumindest die Häufigkeit grober Fehlgriffe und das
Ausmaß der potentiellen Ressourcenverschwendung bei der Anwendung dieser Labormeßgrößen eingrenzen. Das Literaturverzeichnis
im Sonderdruck unseres Artikels
wurde gezielt im Hinblick auf diese
Problematik zusammengestellt. Einen guten Überblick geben die unten zitierten Literaturstellen (1), (2)
und (3).
Literatur
1. Ammon A: Humorale Tumormarker. Basel: Editiones Roche, 1990.
2. Bates SE: Clinical applications of serum tumor markers. Ann Intern Med 1991; 115:
623–638.
3. Wagener C, Hossfeld DK: Analytische und
diagnostische Validität von Tumormarkern.
Onkologe 1996; 2: 278–286.
4. Ziegler R, Pickardt CR, Willig RP et al.:
Rationelle Diagnostik in der Endokrinologie einschließlich Diabetologie und Stoffwechsel. Stuttgart: Georg Thieme Verlag,
1993.
Dr. med. Christian Wolter
Institut für Klinische Chemie und
Pathobiochemie
Klinikum rechts der Isar
Ismaninger Straße 22
81675 München
Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 22, 30. Mai 1997 (51) A-1503
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