Zirkulierende Tumormarker

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AUS DEM LABOR
Zirkulierende Tumormarker und ihre
Bedeutung im Klinischen Alltag
Die Vorstellung, anhand von biologischen Substanzen im Plasma
das Vorhandensein eines Tumors frühzeitig erkennen zu können,
ist verlockend und wird seit mehr als einem halben Jahrhundert
verfolgt. Die Tatsache, dass die meisten Marker auch von gesunden Zellen abgegeben werden, die geringe Freisetzung zu Beginn
der Tumorerkrankung, der Mangel an Organspezifität sowie die
Vielfalt der Tumorarten erschweren die Suche nach generell einsetzbaren krebsspezifischen Markern. Nichtsdestotrotz stellen
die heute bekannten, zirkulierenden Tumor-assoziierten Marker
nützliche Hilfsmittel bei der Therapie- und Verlaufskontrolle von
malignen Erkrankungen dar. Voraussetzung ist aber eine detaillierte Kenntnis ihrer Leistungsfähigkeit.
U
nter dem Begriff „Tumormarker“ werden generell zelluläre und/
oder humorale flüssige Bestandteile des menschlichen Organismus verstanden, die auf ein Tumorleiden hinweisen. Sie können zur
Charakterisierung des Tumors beitragen oder Hinweise zum Wachstum und Ansprechen auf eine Therapie geben. Für Tumorscreening
und Primärdiagnose sind die derzeit verfügbaren Tumormarker
grösstenteils ungeeignet. Dagegen ist eine Verlaufskontrolle und Rezidivüberwachung bei gesicherter Diagnose unter Zuhilfenahme von
Tumormarkern sinnvoll, weil damit Änderungen im Krankheitsverlauf oft früher angezeigt werden als mit anderen Methoden. Tumormarker sollten nur bei kurativem Behandlungskonzept angewandt
werden, bei palliativer Behandlung ist ihr Einsatz wenig sinnvoll.
Die bis heute bekannten Tumormarker sind nicht spezifisch für
malignes Wachstum. Sie werden auch bei benignen Erkrankungen
und teilweise sogar beim Gesunden in erhöhter Konzentration gefunden. Man sollte deshalb korrekterweise eigentlich von Tumor-assoziierten Markern sprechen. Tumormarker können Glykoproteine
und -lipide, die von der Oberfläche tumoröser Zellen abgeschilfert werden oder intrazelluläre Bestandteile, die aktiv sezerniert
oder passiv freigesetzt, darstellen. Neuere Tumormarker umfas-
Prof. Dr. Dr. h.c.
Walter F. Riesen
Diessenhofen
sen genetische und epigenetische Veränderungen. Insbesondere
können Mutationen von Onkogenen und Tumorsuppressorgenen
(1), Gen-Rearrangements (2) und Genamplifikationen, Mikrosatellitenalterationen (3) sowie tumorassoziierte Hypermethylierungen regulatorischer Gensequenzen in DNA-Material aus zellfreiem
Serum/Plasma analysiert werden. Beispielsweise gelang im Plasma
von Patienten mit malignem Melanom im Stadium der regionären
Metastasierung (Stadium III) der Nachweis tumorassoziierter Mikrosatelliten-DNA. Eine amerikanische Studie hat kürzlich gezeigt,
dass die Präsenz solcher Mikrosatelliten-DNA im Plasma mit einer
signifikant erhöhten Rezidivrate und einer verminderten Gesamtüberlebensrate einhergeht (4). Weiter gelang an Plasma-DNA von
Patienten mit Prostatakarzinomen bei über 70 Prozent der Fälle
der Nachweis einer tumorassoziierten Hypermethylierung spezifischer Gensequenzen. Vergleichbar hohe Anteile ergaben sich auch
bei anderen soliden Tumoren. Bei einem Grossteil der untersuchten
Blutproben wurden kritische Mutationen in Bereichen klassischer
Onkogene und Tumorsuppressorgene (K-ras, N-ras, p53) gefunden
(5–7). Der vorliegende Bericht befasst sich nur mit den im Plasma
zirkulierenden, konventionellen Tumormarkern.
Einflussgrössen auf Tumormarker
Das Ausmass, in dem ein Tumormarker im Blut vorhanden ist, wird
von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Dazu gehören, die zelluläre
Expression, die Freisetzung und Sekretion, die Tumordurchblutung,
der Katabolismus der Tumormarker und ihre Ausscheidung. Bei
_ 2014 _ der informierte arzt
2403 AUS DEM LABOR
Störungen der Ausscheidung können folglich erhöhte Tumormarker-Werte auftreten, z.B. bei Nieren- und Leberinsuffizienz
und insbesondere bei Cholestase (Choles­
tase allein kann eine CA 19.9-Serumkonzentration bis zu 30 000 U/ml erklären).
Auch iatrogene Einflüsse können Tumormarker-Werte wesentlich beeinflussen. So
z.B. die Erhöhung von PSA nach rektaler
Untersuchung/Zystokopie/Prostatabiopsie/
Harnblasenkatheterisierung/Prostatainfarkt/
Urinretention. Die Tumormarkerkonzentration wird aber auch durch Medikamente
mit Einfluss auf die Freisetzung beeinflusst.
Bekannt ist ferner der Einfluss des Rauchens auf die CEA-Werte im Serum. Raucher können CEA-Werte im Serum bis zu
10 mg/ml oder selten sogar mehr aufweisen, obschon sie nicht tumorkrank sind.
Neben diesen in-vivo-Störgrössen existieren auch in-vitro-Störgrössen. So beispielsweise die Lagerungsbedingungen der
Probe, Hämolyse (insbesondere bei NSE)
und analytische Interaktionen mit Medikamenten.
Einsatz von Tumormarkern
Tab. 1
Karzinome und die einsetzbaren Tumormarker im Serum
Tumor
Kolorektales CA
Marker
Screening Diagnose Verlaufs(Ersatz, Ergänzung)
kontrolle
–
±
+
CEA (CA 19-9)
Prognose
+
Lungen-CA
(kleinzellig)
Lungen-CA (nicht
kleinzellig)
Magen-CA
NSE
–
+
+
–
–
CYFRA 21-1
(CEA, SCC)
CA 72-4 (CEA)
–
+
+
–
–
–
–
+
–
–
Ösophagus-CA
–
–
+
–
–
Pankreas-CA
CEA
(SCC, CYFRA 21-1)
CA 19-9 (CEA)
–
+
+
±
–
Prostata-CA
PSA (fPSA)
–
+
+
+
–
Leberzell-CA
AFP
+
+
–
–
Blasen-CA
NMP-22
Risikogruppe
–
+
+
–
–
Mamma-CA
–
–
+
±
±
Ovarial-CA
CA 15-3
(CEA, HER 2-neu)
CA 125, HE4
–
+
+
+
–
Schilddrüsen-CA
HTG (CEA)
–
–
+
+
–
C-Zell-CA
Calcitonin, CEA
+
+
+
–
+
Chorion-CA
HCG
–
+
+
–
–
Cervix-CA
SCC (CEA)
–
–
+
–
–
Keimzell-CA
AFP, HCG, LDH
Risikogruppe
–
–
+
+
+
+
+
–
–
+
+
+
+
+
–
–
+
–
–
Malignes
S-100
Melanom
Multiples Myelom Ig, freie LK, b2MG
HNO-CA
SCC
(CYFRA 21-1, CEA)
Tumormarker sind im Allgemeinen wenig
organspezifisch. Eine Ausnahme bilden das
PSA (Prostata-CA), das Thyreoglobulin (differenziertes Schilddrüsenkarzinom), Beta-HCG/AFP (Keimzelltumoren) und Calcitonin
(medulläres Schilddrüsenkarzinom). Zur Tumorlokalisation sind
diese Marker mit Ausnahme der genannten Marker sowie des Prolactins beim Prolactinom und des TSH bei Hypophysentumoren,
unbrauchbar.
Der Hauptanwendungsbereich aller Tumormarker ist die
se­
rielle Bestimmung zur Verlaufsbeobachtung und der Kon­
trolle des Therapieansprechens (Operation und/oder Radiotherapie, Chemotherapie und Hormontherapie). Tumormarker eignen
sich zum Nachweis einer Veränderung des Tumor-Status, die sie
unter Umständen wesentlich früher als andere diagnostische Verfahren anzeigen können. Dabei ist die Tumormarker-Kinetik, d.h.
die Konzentrationsänderung im zeitlichen Verlauf von Bedeutung. Die Tumormarker-Kinetik erlaubt möglicherweise auch eine
Abgrenzung gegenüber benignen Erkrankungen. Diese zeigen im
Gegensatz zu den malignen Erkrankungen entweder nur transitorisch erhöhte Werte oder aber konstant leicht erhöhte Werte. Eine
wesentliche Voraussetzung ist dabei die strikte Beibehaltung einund derselben Messmethode (gleiche Reagenzien, gleiches Gerät).
In Tabelle 1 sind die gängigen Tumormarker bei verschiedenen
Karzinomen wiedergegeben.
Aktuelle Empfehlungen für den Einsatz von Tumormarkern
bei einzelnen Tumorerkrankungen (Keimzelltumoren, Prostatakarzinom, Kolonkarzinom, Brust- und Ovarialkarzinom) wurden von der National Academy of Clinical Biochemistry (NACB)
zusammengestellt (9). Dabei wurden die Guidelines verschiedener
Fachgesellschaften berücksichtigt und die Literatur nach evidenzbasierten Kriterien bewertet.
der informierte arzt _ 03 _ 2014
Stadieneinteilung
±
Labormethode von entscheidender Bedeutung
Die Messwerte von Tumormarkern sind stark von den verwendeten
Reagenzien abhängig. Die verwendeten Antikörperpaare und Unterschiede in der zu bestimmenden Epitopstruktur können zu erheblichen Unterschieden führen, die zu entsprechenden klinischen
Massnahmen führen können. Eine Korrelation der Werte mit der
alten und der neuen Messmethode sollte deshalb über den ganzen
Messbereich durchgeführt werden. Vergleichswerte sollten zudem
bei jedem einzelnen Patienten angestellt werden, da unter Umständen individuelle methodenbedingte Unterschiede auftreten können.
wwProf. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen
B Literatur beim Verfasser
Take-Home Message
◆Tumormarker (Tumor-assoziierte Marker) können eine wertvolle Hilfe
bei der Differentialdiagnose von Tumorerkrankungen, beim Monitoring
von Therapien und der Beurteilung der Therapiewirksamkeit, sowie
bei der frühzeitigen Rezidiverkennung und zum Teil bei der Abschätzung der Prognose sein
◆Bei Verlaufsuntersuchungen sind relative Veränderungen der indivi­
duellen Ausgangswerte aussagekräftiger als die Referenzwert-basierte
Interpretation
◆Testsystem und Methode sind möglichst beizubehalten. Methodenwechsel müssen am einzelnen Patienten überlappend dokumentiert werden
◆Der Nachweis von genetischen und epigenetischen Veränderungen
lässt eine höhere Empfindlichkeit und Spezifität erwarten und wird die
klassischen Serummarker ergänzen und möglicherweise ablösen
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