1999-14 Inflammatorische Zytokine und Chemokine bei akuter

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Fortbildung
T. Geiser
Pneumologische Abteilung,
Inselspital, Bern
Schweiz Med Wochenschr 1999;129:540–6
Peer reviewed article
Inflammatorische Zytokine
und Chemokine bei akuter,
entzündlicher Lungenerkrankung
Summary
Inflammatory cytokines and chemokines
in acute inflammatory lung disease
Inflammatory cytokines play an important role
in the generation of the inflammatory response
leading to lung injury. The early response cytokines interleukin-1β and tumor necrosis
factor-α are produced by alveolar macrophages and induce the production of a variety
of cytokines and chemokines by both macrophages and mesenchymal cells (including
fibroblasts, epithelial and endothelial cells).
Chemokines are chemotactic cytokines and recruit leucocytes to the site of inflammation.
Some cytokines are proinflammatory and others are antiinflammatory. It is the balance between them that determines the net effect of the
inflammatory response. Some examples of proand antiinflammatory cytokines are discussed,
with consideration of their possible prognostic
and therapeutic values.
Keywords: inflammation; lung; cytokines;
chemokines
Zusammenfassung
Inflammatorische Zytokine spielen als Mediatoren bei entzündlichen Lungenerkrankungen
eine zentrale Rolle. Interleukin-1β und TumorNecrosis-Faktor-α werden von stimulierten
Alveolarmakrophagen gebildet und stehen als
«early response cytokines» am Anfang der inflammatorischen Kaskade. Sie induzieren die
Produktion von weiteren Zytokinen und Chemokinen durch Makrophagen und mesenchymale Zellen wie Fibroblasten, Epithel- und
Endothelzellen. Chemokine sind chemotaktische Zytokine und führen zur Akkumulation
von Leukozyten am Entzündungsort. Im Rah-
men der Entzündungsreaktion werden pround antiinflammatorische Zytokine gebildet.
Für den Verlauf ist die Balance zwischen pround antiinflammatorischen Mediatoren entscheidend. Es werden einige pro- und antiinflammatorische Zytokine und ihre Rolle bei
akuter, entzündlicher Lungenschädigung näher
diskutiert, unter besonderer Berücksichtigung
ihrer möglichen prognostischen und therapeutischen Bedeutung.
Keywords: Entzündung; Lunge; Zytokine;
Chemokine
Infektionen, Traumen, Gewebeschädigungen
durch Ischämie und anschliessende Reperfusion sowie Autoimmunerkrankungen sind Beispiele von klinischen Situationen, die zu einer
akuten Lungenschädigung mit entzündlicher
Reaktion führen können. An der Entzündungsreaktion sind Zellen des Immunsystems,
aber auch Epithel- und Endothelzellen sowie
Einleitung
Korrespondenz:
Thomas Geiser, MD,
CVRI, University of California, San Francisco,
505, Parnassus Avenue,
San Francisco, CA 94143-0130, USA
e-mail: [email protected]
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Fibroblasten beteiligt. Die Koordination zwischen den verschiedenen Zelltypen setzt ein
Kommunikationssystem voraus, das aus einer
Vielzahl von verschiedenen Mediatoren besteht. Dazu gehört neben den Lipiden (Leukotriene, Prostaglandine) und anderen Substanzen wie beispielsweise Histamin, Serotonin
und Stickoxid (NO) die grosse Gruppe der
Polypeptide. Unter den Polypeptiden stehen
neben Produkten der Komplementaktivierung
(C5a) und der Gerinnung die Zytokine im Vor-
dergrund. Aufgrund von Erkenntnissen aus der
Grundlagenforschung und von klinischen Studien der letzten Jahre haben inflammatorische
Zytokine eine zentrale Bedeutung im Ablauf
der Entzündungsreaktion und stellen daher
mögliche Ziele für neue Therapieformen dar.
Im folgenden soll auf die Rolle einiger ausgewählter Zytokine in der Entzündungsreaktion
und auf deren mögliche prognostische und
therapeutische Bedeutung näher eingegangen
werden.
Zytokine als Entzündungsmediatoren
Zytokine sind niedermolekulare Proteine, die
von verschiedensten Zelltypen gebildet werden. In der Lunge ist der Makrophage ein wichtiger Produzent von Zytokinen. Anderseits
können unter bestimmten Bedingungen auch
Epithelzellen, Endothelzellen und Fibroblasten
Zytokine produzieren und gleichzeitig als Effektorzellen durch Zytokine stimuliert werden.
Effektorzellen werden grundsätzlich entweder
auf endokrinem (via Blutstrom), parakrinem
(aus unmittelbarer Umgebung) oder autokrinem (Produktionszelle = Effektorzelle) Wege
stimuliert. Durch die Eigenschaft von Zytokinen, die Synthese von weiteren Zytokinen
zu induzieren, entsteht eine inflammatorische
Kaskade, welche die Entzündungsantwort weiter potenziert.
Im Verlauf des inflammatorischen Prozesses
werden proinflammatorische und antiinflammatorische Zytokine gebildet. Die Balance
zwischen den pro- und antiinflammatorischen
Mediatoren bestimmt im wesentlichen den
Verlauf der Entzündungsreaktion und ist daher
letztlich auch entscheidend für den klinischen
Verlauf.
Eine akute entzündliche Reaktion kann bei verschiedenen Lungenerkrankungen mit unter-
schiedlichem klinischem Schweregrad beobachtet werden. Histopathologisch steht sowohl
bei der akuten Bronchitis, der Pneumonie wie
auch beim oft lebensbedrohlichen «adult respiratory distress syndrome» (ARDS) die Akkumulation von neutrophilen Granulozyten im
Vordergrund. Im Falle des ARDS führt die Aktivierung der eingewanderten Granulozyten
zur Sekretion von Proteasen und Sauerstoffmetaboliten und dadurch zur Schädigung des
Kapillarendothels wie auch des Alveolarepithels und damit zum Funktionsausfall der
Alveolarschranke [1, 2]. Daraus resultiert ein
Permeabilitätslungenödem mit schwerer Ateminsuffizienz und radiologisch diffusen bilateralen Infiltraten. Im Gegensatz zur Pneumonie,
bei der oft eine vollständige Abheilung beobachtet werden kann, kommt es nach einem
ARDS häufig zum fibrotischen Umbau der
Lunge mit entsprechendem Lungenfunktionsausfall. Die Ursachen dieser unterschiedlichen
Verläufe sind noch weitgehend unklar. Es wird
spekuliert, dass Zytokine nicht nur bei der Entzündungsreaktion mit daraus resultierender
Gewebedestruktion, sondern auch bei den
anschliessenden Reparationsvorgängen eine
entscheidende Rolle spielen.
Proinflammatorische Zytokine und Chemokine
Bakterien oder bakterielle Produkte (Lipopolysaccharide [LPS]) aktivieren Makrophagen, die eine ganze Reihe von verschiedenen
inflammatorischen Zytokinen produzieren
und sezernieren [3]. Tumor-Nekrose-Faktor-α
(TNF-α) und Interleukin-1β (IL-1β) stehen am
Anfang der inflammatorischen Kaskade und
werden daher oft «early response cytokines»
genannt (s. Tab. 1). Sie aktivieren neben weiteren Makrophagen auch Fibroblasten, Epithelund Endothelzellen, die ihrerseits wieder inflammatorische Zytokine produzieren. Dabei
kommt es zur Freisetzung von Chemokinen,
die zu der Einwanderung der Leukozyten aus
dem Blutstrom an den Entzündungsort führen
(s. Abb. 1).
Chemokine sind eine Untergruppe der Zytokine. Die zwei Hauptgruppen, CXC-Chemokine und CC-Chemokine, unterscheiden sich
durch die Position der beiden ersten Cysteine
(C), die entweder durch eine Aminosäure (X)
getrennt oder direkt benachbart sind [4]. Interleukin-8 (IL-8) ist der Hauptvertreter der
CXC-Chemokine, die neutrophile Granulo541
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Tabelle 1
Aktivierung und Unterhaltung der Entzündungsreaktion («early response cytokines»)
Pro- und antiinflammatorische Zytokine
und deren Funktion
bei akuter, entzündlicher
Lungenerkrankung.
Interleukin-1β (IL-1β)
Tumor-Necrose-Factor-α (TNF-α)
Leukozytenchemotaxis und -aktivierung
CXC-Chemokine für neutrophile Granulozyten
Interleukin-8 (IL-8)
neutrophil-activating peptide-2 (NAP-2)
GRO peptide
epithelial neutrophil-activating protein (ENA-78)
CC-Chemokine für Monozyten und Lymphozyten
monocyte chemoattractant proteins (MCP)
macrophage inflammatory proteins (MIP)
RANTES
Regulation der Leukozytenproduktion und -überlebenszeit
granulocyte colony-stimulating-factor (G-CSF)
granulocyte-macrophage colony-stimulating-factor (GM-CSF)
antiinflammatorische Zytokine, natürliche Zytokininhibitoren
Interleukin-10
Interleukin-13
Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist
solubler Tumor-Nekrose-Faktor-α-Rezeptor
Regeneration, Fibrosierung
keratinocyte growth factor (KGF)
basic fibroblast growth factor (bFGF)
transforming growth factor (TGF) α und β
platelet derived growth factor (PDGF)
zyten aktivieren, während CC-Chemokine
hauptsächlich auf Monozyten, Lymphozyten,
eosinophile und basophile Granulozyten wirken (s. Tab. 1). Die Chemokine weisen wie
auch andere Zytokine teils eine redundante
Wirkung auf. Unter Redundanz versteht man,
dass verschiedene Zytokine auf eine Zielzelle
die gleiche Wirkung haben können. So aktivieren beispielsweise neben Interleukin-8 auch
die strukturell homologen GROα, GROβ,
GROγ [5], «neutrophil-activating peptide»
(NAP)-2 und «epithelial neutrophil-activating
protein» (ENA-78) [6] neutrophile Granulozyten und tragen zur Akkumulation dieser Entzündungszellen bei akuter Lungenschädigung
bei [7]. Dieses Phänomen der Redundanz ist
noch weitgehend ungeklärt. Allfällige Eingriffe
in das Zytokinnetzwerk in therapeutischer Absicht werden erschwert, indem durch Inhibition eines einzelnen Zytokins der gewünschte
Effekt oft nicht oder nur ungenügend erreicht
werden kann.
Verschiedene tierexperimentelle und klinische
Studien haben in den letzten Jahren die Wichtigkeit der «early response cytokines» und der
Chemokine bei Patienten mit Sepsis und ARDS
aufgezeigt. Es konnten signifikant erhöhte
542
TNF-α- und IL-1β−Konzentrationen in der
Bronchiallavageflüssigkeit (BAL) von Patienten mit ARDS gemessen werden, wobei die
höchsten Werte in der Frühphase der Erkrankung aufgetreten sind [8]. Kürzlich konnte zudem gezeigt werden, dass hauptsächlich IL-1β
(und weniger TNF-α) für die inflammatorische
Aktivität beim ARDS verantwortlich zu sein
scheint [9]. In der Lungenödemflüssigkeit und
Bronchiallavage von Patienten mit ARDS wurden auch erhöhte Konzentrationen von IL-8
und anderen Chemokinen gefunden, die mit
der Neutrophilenzahl und der Schädigung der
Alveolarschranke korrelierten [10].
Für die Akkumulation von neutrophilen Granulozyten sind nicht nur chemotaktische Faktoren, sondern auch Adhäsionsmoleküle auf
den Endothelzellen und Leukozyten notwendig. Die «early response cytokines» regulieren
die Expression dieser Adhäsionsmoleküle im
und um den Entzündungsherd. Freigesetztes
IL-1β und TNF-α führen beispielsweise zur
Aufregulierung von Selektinen (z.B. E-Selektin)
undAdhäsionsmolekülen(z.B.«intercellularadhesion-molecule» [ICAM]-1) auf dem Gefässendothel. Selektine führen zum sogenannten
«rolling» der Leukozyten über das Endothel.
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Abbildung 1
Bakterien und bakterielles
Lipopolysaccharid (LPS) aktivieren Alveolarmakrophagen
(1) zur Freisetzung von IL-1β
und TNF-α. Diese «early response cytokines» stimulieren
einerseits die Alveolarmakrophagen, anderseits Epithelzellen (2), Fibroblasten (3)
und Endothelzellen (4) zur
Produktion von Chemokinen
wie beispielsweise Interleukin-8, dem Hauptvertreter
der CXC-Chemokine. Chemokine sind chemotaktische
Zytokine, die zur Akkumulation von Leukozyten am Entzündungsort führen.
Abbildung 2
Der Austritt von Leukozyten
aus der Blutbahn durch das
Endothel am Ort der Entzündung ist ein zytokin-abhängiger Prozess, indem die «early
response cytokines» IL-1β
und TNF-α zu einer Aufregulierung von Selektinen und
Adhäsionsmolekülen auf
der Endothelzelloberfläche
führen. Nach der festen
Adhäsion und anschliessendem Durchtritt durch das
Gefässendothel (Diapedese)
migrieren die Granulozyten
entlang eines chemotaktischen Gradienten zum Entzündungsort (Chemotaxis).
Selektine (E-Selektin)
Adhäsionsmoleküle (ICAM-1)
Die feste Adhäsion der Leukozyten ermöglicht
schliesslich den Durchtritt durch das Gefässendothel ins Interstitium (Diapedese), worauf
die Leukozyten entlang eines chemotaktischen
Gradienten an den Entzündungsherd migrieren
(s. Abb. 2). Der genaue Ablauf dieser Vorgänge
ist komplex und wird im Detail erforscht, auch
in der Hoffnung, in Zukunft die Leukozytendiapedese pharmakologisch beeinflussen zu
können.
Antiinflammatorische Zytokine und natürliche Zytokininhibitoren
Die Wirkung der «early response cytokines»
wird in vivo durch ihre eigenen, natürlich vorkommenden Inhibitoren reguliert: TNF-α
durch Bindung an soluble TNF-Rezeptoren
und IL-1 durch Kompetition mit dem IL-1-Rezeptor-Antagonisten (IL-1 RA) und durch Bindung mit solublen IL-1-Rezeptoren. Ein anderer Mechanismus zur Verminderung der probzw. zur Erhöhung der antiinflammatorischen
Aktivität besteht in der Hemmung der Produktion von proinflammatorischen Zytokinen. So inhibieren beispielsweise die antiinflammatorischen Zytokine IL-10 und IL-13 die
Produktion von TNF-α, IL-1β und IL-6 durch
Alveolarmakrophagen nach deren Stimulation
mit LPS. Zudem erhöht IL-13 die Produktion
von IL-1 RA [11, 12]. Entsprechend konnte in
einem Tiermodell mit Immunkomplex-indu543
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zierter Lungenschädigung eine protektive Wirkung von IL-10 und IL-13 gefunden werden[13].
Zu betonen ist, dass nicht einzelne Zytokine
den Verlauf einer entzündlichen Reaktion prägen, sondern vielmehr die Balance zwischen
pro- und antiinflammatorischen Zytokinen
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bzw. Zytokininhibitoren ausschlaggebend ist.
Dabei tragen zusätzliche Faktoren wie Lipidmediatoren, Komplementprodukte, Sauerstoffmetaboliten, NO, Proteasen und Antiproteasen zu dem Verhältnis zwischen pro- und antiinflammatorischer Aktivität bei.
Zytokine als prognostische Marker?
Aus klinischer Sicht wären Zytokinbestimmungen mit prognostischem Wert bei Patienten mit akuter Lungenschädigung wünschbar,
um den weiteren klinischen Verlauf abschätzen
zu können. Viele entsprechende Studien wurden mit dieser Fragestellung durchgeführt und
kürzlich zusammengefasst [14]. Der Wert der
«early response cytokines» TNF-α und Interleukin-1β als prognostische Marker wird in der
Literatur kontrovers beurteilt. Zwar wurden
bei Patienten mit ARDS erhöhte Konzentrationen von TNF-α [8] und IL-1β [15] in der BAL
gefunden, hingegen lassen die Werte keine eindeutige Aussage über die Entwicklung eines
ARDS bei Risikopatienten oder über den klinischen Verlauf bei etabliertem ARDS zu. Hingegen scheint gemäss einer Studie, die noch bestätigt werden muss, eine Assoziation zwischen
der Mortalitätsrate und der Konzentration von
IL-1 RA und dem antiinflammatorischen IL-10
in der BAL von Patienten mit ARDS zu bestehen [16]. IL-8 hat möglicherweise ebenfalls ei-
nen prognostischen Wert, falls die Bestimmung
dieses Chemokins im frühen Krankheitsverlauf
in der BAL durchgeführt wird. Die mittlere
BAL-Konzentration von IL-8 war in ARDS-gefährdeten Patienten, die in der Folge tatsächlich ein ARDS entwickelten, signifikant erhöht
[17]. Bei Patienten mit voll ausgebildetem
ARDS liess sich jedoch keine Korrelation zwischen den IL-8-Werten in der Bronchiallavageflüssigkeit und dem Schweregrad der Ateminsuffizienz oder dem klinischen Verlauf nachweisen [18].
Meist weisen Zytokinbestimmungen in einem
definierten Patientenkollektiv eine grosse
Breite und teilweise einen beträchtlichen Overlap mit den Kontrollgruppen auf, so dass bei
akuten, inflammatorischen Erkrankungen in
der Lunge zum jetzigen Zeitpunkt weder in diagnostischer noch in prognostischer Sicht Zytokinbestimmungen generell empfohlen werden
können.
Zytokine als neue Therapieoption?
Vor allem dank neuen, molekularbiologischen
und gentechnischen Methoden ist es möglich
geworden, einerseits eine grosse Anzahl von
inflammatorischen Mediatoren neu zu entdecken und zu charakterisieren, anderseits ihre
funktionelle Bedeutung näher zu beschreiben.
Somit ist denkbar, dass es in Zukunft in therapeutischer Absicht gelingen wird, den Ablauf
der Entzündungsreaktion spezifischer und
damit effizienter zu beeinflussen.
Neue Therapiekonzepte bestehen darin, die
Balance zwischen pro- und antiinflammatorischer Aktivität und damit den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen. Eingriffe in das
komplexe Zytokinnetzwerk sind allerdings
nicht unproblematisch, da beispielsweise bei
antiinflammatorischer Therapie das Infektrisiko erhöht werden kann. Aufgrund der
erwähnten Redundanz vieler Zytokine vermag
zudem die Hemmung oder Blockierung eines
544
einzelnen Zytokins die Entzündungskaskade
oft ungenügend zu beeinflussen. Entsprechende, randomisierte, kontrollierte Multizenterstudien, die bei Sepsispatienten durchgeführt wurden, fielen bisher eher enttäuschend
aus (beispielsweise die Verabreichung von
TNF-Antikörpern [19], solublen TNF-Rezeptoren [20], IL-1 RA [21]), wobei methodologische Probleme wie eine optimale Patientenselektion, die Dosierung, Verabreichungsart
sowie der optimale Zeitpunkt der jeweiligen
Zytokingaben möglicherweise zu den negativen Resultaten beigetragen haben.
Versuche, die Entzündungskaskade in der
Lunge weiter distal durch Inhibition von IL-8
durch blockierende Antikörper zu beeinflussen, zeigten in Tierversuchen teilweise vielversprechende Resultate [22, 23]. Entsprechende
klinische Studien wurden jedoch bisher am
Menschen nicht durchgeführt.
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Gentherapie bei entzündlichen Lungenerkrankungen?
Neben der Verabreichung von Zytokinen bzw.
deren Inhibitoren werden in den kommenden
Jahren voraussichtlich gentherapeutische Anwendungen an Bedeutung gewinnen. Während
bisher in gentherapeutischer Hinsicht Defekte
von einzelnen Genen angegangen wurden (beispielsweise zystische Fibrose, α1-Antitrypsinmangel), geht man heute davon aus, dass die
Gentherapie in absehbarer Zukunft möglicherweise auch bei komplexen entzündlichen
Prozessen wie COPD, Asthma oder ARDS
ihren Stellenwert haben könnte [24]. Die
Lunge ist via Luftwege und über das doppelte
Gefässsystem gut zugänglich und würde sich
daher als Organ für gentherapeutische Ansätze
eignen.
Erste Tierversuche wurden mit dem Ziel durchgeführt, durch gentherapeutische Überexpression von Zytokininhibitoren oder antiinflammatorischen Zytokinen den Ablauf der Entzündungsreaktion zu beeinflussen. So hat beispielsweise die Verabreichung von adenoviralen Vektoren, die den solublen TNF-α-Rezeptor kodieren und damit in vivo TNF-α inhibieren, zu einer verminderten inflammatorischen
Reaktion geführt, allerdings wurde im Rahmen
dieser Behandlung auch eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Listerien und Tuberkulose festgestellt [25, 26]. Grosse Hoffnungen bestehen
auch in der gentherapeutischen Überexpression von antiinflammatorischen Zytokinen,
wie beispielsweise IL-10 [27].
Zurzeit steht allerdings die Lösung von methodologischen Problemen im Vordergrund.
Hauptprobleme bestehen in einer teils ungenügenden Effizienz mit geringer oder kurzdauernder Expression des applizierten Gens, einer
zu unspezifischen Genexpression oder Nebenwirkungen im Sinne einer inflammatorischen
Reaktion, vor allem bei Anwendung von
Adenoviren als Trägersubstanzen (Vektoren).
In Zukunft gilt es daher, primär ein optimaleres
Wirkungs-/Nebenwirkungsprofil zu erreichen.
Gleichzeitig ist ein besseres Verständnis der
Mechanismen, die den Ablauf der inflammatorischen Reaktion in der Lunge bestimmen,
Voraussetzung zur Etablierung einer effizienten Therapie. Einerseits sind bessere Kenntnisse über die Pathomechanismen, die zur Gewebedestruktion im Rahmen des entzündlichen Prozesses führen, anzustreben. Anderseits sind auch Faktoren, welche die Regeneration des geschädigten Gewebes unterstützen,
von Interesse, da sie antiinflammatorische
Strategien vor allem im subakuten Stadium
möglicherweise sinnvoll ergänzen können.
Ein langer Weg steht bevor, bis konventionelle
oder gentherapeutische Verfahren zur Anwendung kommen werden, die auf der Modifikation des Zytokinnetzwerks bei entzündlichen
Lungenerkrankungen beruhen. Aufgrund der
heutigen Daten ist jedoch ein vorsichtiger Optimismus angebracht.
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