Molekulares Docking von Substraten und Enzymen

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Proteindesign
Molekulares Docking von Substraten
und Enzymen
BENJAMIN JUHL, JÜRGEN PLEISS
INSTITUT FÜR TECHNISCHE BIOCHEMIE, UNIVERSITÄT STUTTGART
In der industriellen („weißen“) Biotechnologie werden Enzyme zur
Katalyse chemischer Reaktionen eingesetzt. An der Universität Stuttgart
wurde die Methode des „molekularen Docking“ weiterentwickelt, um verbesserte Biokatalysatoren zu entwickeln.
In industrial („white“) biotechnology, enzymes are applied as catalysts of
chemical reactions. At the University of Stuttgart the method of molecular docking was extended to develop improved biocatalysts.
ó Molekulares Docking wurde ursprünglich
zur Modellierung der Bindung von Inhibitoren
an medizinisch relevante Zielproteine entwickelt. Für die Untersuchung der Bindung von
Substraten an Enzyme und der enzymatischen Umsetzung dieser Substrate musste die
Methode in drei wichtigen Punkten modifiziert und erweitert werden.
Erstens behandeln konventionelle DockingProgramme Enzyme als starr, während sie in
Wirklichkeit flexibel sind und es vor und während der Substratbindung zu Konformationsänderungen im Enzym, insbesondere in der
Bindetasche, kommen kann. Außerdem liegen die verfügbaren Enzymstrukturen, die
für molekulares Docking benötigt werden,
nicht immer in einer Konformation vor, die
optimal für eine Substratbindung ist, da die
Bedingungen, unter denen die Enzymstruktur
aufgeklärt wurde, große Unterschiede zu den
Bedingungen, unter denen Enzymkatalyse
stattfindet, aufweisen. Die Berücksichtigung
der Enzymflexibilität verbessert deshalb nicht
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nur die Genauigkeit der Docking-Methode,
sondern ermöglicht es auch, Enzymstrukturen
zum Docking zu verwenden, die als starre
Modelle ungeeignet wären [1, 2].
Zweitens ist das Docking von Substraten in
ihrem Grundzustand nicht aussagekräftig, da
die für die Katalyse wesentlichen Interaktionen einen Zustand betreffen, der zwischen
der Struktur des Substrats und der des Produkts liegt. Im Unterschied zu Inhibitoren,
die in ihrem Grundzustand an das Enzym binden, muss ein Substrat in seinem Übergangszustand gedockt werden.
Und drittens ist die korrekte Positionierung
eines Substrats in der Bindungstasche Voraussetzung für dessen effiziente Umsetzung
durch das Enzym. Zur Überprüfung der spezifischen Interaktionen zwischen Enzym und
Substrat wurde für Lipasen und Esterasen ein
einfacher geometrischer Filter entwickelt
(Abb. 1), der es ermöglicht, gedockte Substrate in produktive und nicht-produktive Substratpositionen einzuteilen [1, 2].
˚ Abb. 1: Bindung von Ethylacetat (türkis;
Wasserstoffe hellgrau) an Lipase B aus Candida antarctica: geometrischer Filter, um
produktive Substratplatzierungen zu identifizieren. Das Substrat muss für eine effiziente
Hydrolyse vier charakteristische Wasserstoffbrücken (a–d, orange) mit dem Enzym
(grün; Wasserstoffe hellgrau) ausbilden.
Diese drei Erweiterungen des molekularen
Dockings wurden in ein mehrstufiges Verfahren integriert (Abb. 2). Dabei wird das Substrat zunächst in einem tetrahedralen Übergangszustand konstruiert und mit dem Programm FlexX [3] in das Enzym gedockt, wobei
eine kovalente Bindung zu dem katalytisch
aktiven Serin ausgebildet wird. Mit der bestbewerteten Substratposition wird dann jeweils
ein Enzym-Substrat-Komplex gebildet. Dieser
wird anschließend parametrisiert und mit
dem Programm Amber [4] durch Energieminimierung geometrisch optimiert, um Überlappungen zwischen Substrat- und Enzymatomen zu beseitigen. Das Substrat wird dann
aus dem optimierten Komplex entfernt und
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MET H ODE N & AN WE N DU NGEN
˚ Abb. 2: Dreistufiges Dockingverfahren: In einem ersten Schritt wird ein Substrat in eine Enzymstruktur gedockt. Der so entstandene Enzym-Substrat-Komplex (hellgrün) wird energieminimiert, um einen optimierten Komplex (dunkelgrün) zu erhalten. Aus diesem optimierten Komplex wird eine
optimierte Enzymstruktur (dunkelblau) extrahiert und für ein zweites Docking des gleichen Substrats (hellbraun) verwendet. Die resultierenden endgültigen Substratplatzierungen werden mittels eines geometrischen Filters klassifiziert und nach dem Docking-Score geordnet.
Triethylcitrat
Candida antarctica Lipase B
Candida rugosa Lipase
Alcaligenes sp. Esterase
˚ Abb. 3: Vergleich der relativen Aktivität von Candida antarctica-Lipase B, Candida rugosa-Lipase und Alcaligenes sp.-Esterase. Die relativen Aktivitäten sind auf die Aktivität für Methyllaurat
(blau) normiert. Die Esterase aus Alcaligenes sp. zeigt für Diethylmalat (rot) und Triethylcitrat die
höchste relative Aktivität.
˚ Abb. 4: Darstellung von Lipase B aus Candida antarctica (PDB-ID: 1TCA; grün) mit den über das
Screening einer in silico-Mutantenbibliothek identifizierten Aminosäuren (orange), die die Bindung
sperriger Substrate verhindern. Außerdem ist ein gedocktes sperriges Substrat (2-Ethylhexansäureethylester, türkis) gezeigt.
in einem zweiten Dockingschritt nochmals in
die nun für die Substratbindung optimierte
Enzymstruktur kovalent gedockt. Die auf diese Weise generierten Substratpositionen in
der optimierten Enzymstruktur werden
mittels eines geometrischen Filters (Abb. 1)
in produktive und nicht-produktive Lösungen eingeteilt und anhand ihres Docking-Scores bewertet. Eine mithilfe dieses neuen Verfahrens durchgeführte Docking-Studie verschiedener Substrate in mehrere Lipasen und
Esterasen zeigte eine Trefferquote von 80 Prozent bei der Vorhersage von Substratspezifität und Stereoselektivität [1].
Die Methode wurde in einer Zusammenarbeit mit unserem Industriepartner Evonik
Industries AG zur Entwicklung von Biokatalysatoren zur Synthese von Tensiden und
anderen kosmetischen Inhaltsstoffen aus
nachwachsenden Rohstoffen eingesetzt. Zur
Entwicklung neuer Biokatalysatoren wurden
zwei Strategien verfolgt. Zum einen wurden
Enzymstrukturen von Lipasen und Esterasen,
in denen das aktive Zentrum annotiert war,
aus der „Lipase Engineering Database“ [5]
entnommen und mittels molekularem
Docking auf Substratbindung untersucht. Mit
den in der Datenbank hinterlegten Informationen über die katalytischen Aminosäuren
war es möglich, mehrere sperrige Substrate
automatisch in die Enzymstrukturen zu
docken und so ein in silico-Screening durchzuführen. Mit dieser Strategie konnte die Esterase aus Alcaligenes sp. identifiziert werden,
für die eine Aktivität gegen sperrige Substrate
vorhergesagt wurde. Eine experimentelle
Überprüfung bestätigte diese Vorhersage und
zeigte, dass diese Esterase eine hohe relative
Aktivität für das sperrige Substrat Diethylmalat besitzt und für das ebenfalls sperrige
Substrat Triethylcitrat zumindest eine Basisaktivität zeigt (Abb. 3). Im Gegensatz dazu
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besitzt die in der Biokatalyse häufig
eingesetzte Lipase B aus Candida
antarctica eine relativ niedrige Aktivität gegenüber dem sperrigen Diethylmalat und setzt Triethylcitrat nicht
um. Da Lipase B aus C. antarctica bei
hohen Temperaturen stabil ist und für
viele Substrate eine hohe Selektivität
besitzt, sollte das Enzym durch ProteinEngineering so verändert werden, dass
es auch sperrige Substrate umsetzt.
Daher wurden durch Docking diejenigen Aminosäuren in der Substratbindetasche identifiziert, die die Bindung
von sperrigen Substraten verhindern
(Abb. 4). Der Austausch dieser Aminosäuren sollte die katalytische Aktivität
gegenüber sperrigen Substraten
wesentlich erhöhen. Daher wurde
durch Aminosäureaustausch an fünf
Positionen eine in silico-Bibliothek mit
insgesamt 2.400 Strukturmodellen
angelegt, die alle möglichen Aminosäurekombinationen enthielt. Durch
Docking mehrerer sperriger Substrate
in diese Strukturmodelle wurden Aminosäureaustausche gefunden, die das
Docking von sperrigen Substraten besser unterstützten als der Wildtyp. Einzelmutanten, die auf diese Weise identifiziert wurden, zeigten für sperrige
Substrate im Experiment Aktivitätssteigerungen von bis zu 300 Prozent
gegenüber dem Wildtyp.
Fazit
Mit dieser Erweiterung der Methode
des molekularen Docking ist es möglich, Substratspezifität und Selektivität
von Enzymen zuverlässig vorherzusagen und damit die Entwicklung neuer
Biokatalysatoren zu unterstützen,
indem einerseits durch Screening von
Strukturdatenbanken mittels molekularem Docking neue Enzyme für industriell relevante Substrate identifiziert
werden können, andererseits molekulares Docking aber auch dazu eingesetzt werden kann, um Aminosäurepositionen in bereits bekannten Enzymen
zu identifizieren, bei denen ein Aminosäureaustausch zu einer Aktivitätssteigerung führt.
ó
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Literatur
[1] Juhl PB, Trodler P, Tyagi S et al. (2009) Modelling
substrate specificity and enantioselectivity for lipases
and esterases by substrate-imprinted docking. BMC
Struct Biol 9:39
[2] Tyagi S, Pleiss J (2006) Biochemical profiling in
silico – predicting substrate specificities of large
enzyme families. J Biotechnol 124:108–116
[3] Kramer B, Rarey M, Lengauer T (1999)
Evaluation of the FLEXX incremental construction
algorithm for protein-ligand docking. Proteins
37:228–241
[4] Case DA, Cheatham 3rd TE, Darden T et al.
(2005) The Amber biomolecular simulation programs. J Comput Chem 26:1668–1688
[5] Fischer M, Pleiss J (2003) The Lipase
Engineering Database: a navigation and analysis tool
for protein families. Nucleic Acids Res 31:319–321
1
2
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Jürgen Pleiss1
Benjamin Juhl2
Institute of Technical Biochemistry
Universität Stuttgart
Allmandring 31
D-70569 Stuttgart
Tel.: 0711-685-63191
Fax: 0711-685-63196
[email protected]
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