Forschung aktuell – Neue HIV-Impfstoffe Mit den eigenen Waffen schlagen Neue HIV-Impfstoffe im klinischen Test Die Entwicklung eines Impfstoffs, der das Immunsystem zum Kampf gegen HIV stimuliert, ist eine der größten Herausforderungen in der AIDS-Forschung. Dabei steht die Impfstoffforschung vor der großen Aufgabe, einen therapeutischen Impfstoff gegen eine schon bestehende Infektion zu entwickeln. Erste Erfolge erzielten Wissenschaftler nun am GSF-Institut für Molekulare Virologie mit einem Impfstoff auf Basis eines gentechnisch veränderten Vaccinia-Virus, der nun mit einem weiteren Impfstoff zu einer schlagkräftigen Verbindung kombiniert werden soll. Mit Hilfe solcher Kombi-Impfstoffe hoffen die Wissenschaftler, eines Tages Gesunde vor einer Infektion schützen zu können. 38 Forschung aktuell – Neue HIV-Impfstoffe rotz aller Aufklärungskampagnen ist AIDS weltweit auf dem Vormarsch. Vor allem im südlichen Afrika hat die Krankheit katastrophale Ausmaße angenommen, aber auch in zahlreichen anderen Ländern steigt die Zahl der Neuinfektionen rapide. Zwar gibt es mittlerweile hoch wirksame antivirale Therapien, aber besonders für Drittweltländer sind diese unerschwinglich weltweit stehen diese Medikamente nur etwa fünf Prozent aller Infizierten zur Verfügung. Zudem halten moderne Therapien (HAART – Hochaktive anti-retrovirale Therapie) die Viruslast zwar lange Zeit niedrig und verhindern damit einen Ausbruch der Krankheit, sie können jedoch das Virus nicht vollständig aus dem Körper entfernen. T HIV-Infektionsraten 2005 HIV-Infizierte, weltweit >>> 40,3 Mio (36,7-45,3 Mio) HIV-Neuinfektionen 2005 >>> 4,9 Mio (4,3-6,6 Mio) HIV-bedingte Todesfälle (2005) >>> 3,1 Mio (2,8-3,6 Mio) HI-Viren im Rasterelektronenmikroskop: Nach rasanter Vermehrung in den Zellen des menschlichen Immunsystems bahnen sich die HI-Viren den Weg zu neuen Wirtszellen. Vektor-Impfstoff mit speziellem Bauplan „Ziel einer Impfung muss es sein, das Immunsystem bereits HIV-infizierter Patienten mit Hilfe des Vektor-Impfstoffs so zu stimulieren, dass der Ausbruch von AIDS hinausgezögert oder sogar verhindert wird“, erklärt Professor Volker Erfle, kürzlich verabschiedeter Direktor des GSF-Instituts für Molekulare Virologie. Die Wissenschaftler des Instituts entwickelten dazu zunächst einen Vektor-Impfstoff auf der Basis harmloser gentechnisch veränderter MVA-Viren (modifiziertes Vacciniavi- rus Ankara), in die der Bauplan für das HIVProtein Nef eingeschleust wurde. Nef wurde gewählt, weil es im Lebenszyklus des Virus eine entscheidende Rolle spielt: Nef wird von infizierten Zellen bald nach der Infektion gebildet und sorgt für eine effektive Vermehrung des Virus. Ohne Nef bricht AIDS nicht aus. Funktioniert die Impfung, schlägt sie den Erreger mit seinen eigenen Waffen: Die eingeimpften Vektoren befallen Körperzellen und regen sie zur Bildung von Nef an, wodurch die Immunantwort gegen Nef stimuliert wird und dieses ausgeschaltet wird. Dabei werden sowohl Antikörper gegen Nef gebildet (= humorale Abwehr), als auch spezifische Abwehrzellen aktiviert, die infizierte Zellen zerstören (= zelluläre Abwehr). „Unsere Idee war, nach einer therapeutischen Impfung zu suchen, die die Immunantwort so stimuliert, dass die Zahl der virusspezifischen CD4-positiven T-Zellen hoch bleibt“, erklärt Dr. Antonio Cosma vom GSFInstitut für Molekulare Virologie. Allein im Jahr 2005 infizierten sich weltweit 4,9 Millionen Menschen mit dem HI-Virus. Als ersten Praxistest führte Erfle gemeinsam mit Professor Frank Goebel, dem Leiter der AIDS-Ambulanz an den Münchner Innenstadt-Kliniken und Wissenschaftlern des Münchner Klinikums rechts der Isar eine kli- 39 Forschung aktuell – Neue HIV-Impfstoffe Helferzellen im Einsatz Anstieg der HIV-Nef spezifischen CD4-T-Zellen nach Immunisierung () mit einer Vaccinia Virus (MVA)- basierten HIV-Nef-Vakzine Den Erreger mit seinen eigenen Waffen schlagen: Nach Immunisierung mit einer Vaccinia-virus (MVA-)basierten HIV-NefVakzine werden spezifische CD4-Abwehrzellen aktiviert, die infizierte Zellen zerstören. CD4-positive T-Zellen sind so genannte Helferzellen, die das Immunsystem stimulieren und für die Ausbildung schützender Immunantworten eine entscheidende Bedeutung haben. Bei Infektionen produziert das befallene Gewebe bestimmte Antigene, die von T-Zellen erkannt werden. Die Zahl der spezifisch auf das jeweilige Antigen reagierenden T-Zellen ist daher ein gutes Indiz für die Abwehrbereitschaft des Immunsystems. HIV attackiert diese Zellen, deswegen sinkt ihre Zahl nach einer Infektion in der Regel ab. Dass das Immunsystem prinzipiell HIV auch aus eigener Kraft kontrollieren kann, zeigen so genannte LNTP-Patienten („Long-term non-progressors“), bei denen AIDS auch ohne Therapie nicht ausbricht, obwohl sie teilweise seit mehr als 20 Jahren infiziert sind. Sie schaffen es, das Virus in Schach zu halten, weil ihr Immunsystem anders auf eine HIV-Infek- Prof. Dr. Volker Erfle, früherer Direktor des GSFInstituts für Molekulare Virologie (rechts im Bild) entwickelte mit der Vektorgruppe einen therapeutischen Impfstoff gegen HIV. Dieser stimuliert die Immunantwort dahingehend, dass die Zahl der virusspezifischen CD4-positiven Zellen hoch bleibt und infizierte Zellen zerstört werden. Dr. Antonio Cosma (links im Bild) führt bei den klinischen Studien das Immunmonitoring durch. 40 tion reagiert: Normalerweise steigt die Zahl der CD4-Zellen nach der Infektion zwar an, fällt dann aber auf sehr niedrige Werte ab. Im Gegensatz dazu bleibt bei LNTP-Patienten die Anzahl der CD4-positiven T-Zellen nach der Infektion konstant erhöht. nische Phase-I-Studie zur Impfung mit MVANef durch. Das Ergebnis war schon bei einmaliger Immunisierung ermutigend: Bei vier der zehn geimpften Patienten stieg die Zahl der Nef-spezifischen CD4-Zellen an. „Bei keinem Patienten war dieser Zelltyp vorher nachweisbar, es zeigte sich somit eine deutliche Immunreaktion auf die Zielstruktur HIVNef“ erklärt Cosma. Alle Probanden waren seit längerem HIV-infiziert und wurden mit HAART behandelt, was auch während der klinischen Studie zunächst fortgesetzt wurde. Nach der Impfung waren sieben der zehn Patienten damit einverstanden, die antivirale Therapie zu stoppen. Zwar nahm bei allen die Zahl der HI-Viren daraufhin zu, aber auch die Immunantwort gegen Nef steigerte sich – ein Beweis dafür, dass der Patient von der Impfung profitiert. Dennoch mussten sechs Patienten nach einigen Wochen die medikamentöse Therapie wieder aufnehmen. Impfstoff im Praxistest Der am besten auf die Impfung ansprechende Patient schafft es seit fast drei Jahren, das Forschung aktuell – Neue HIV-Impfstoffe Virus aus eigener Kraft zu kontrollieren. Bei diesem Patienten ist nicht nur die Zahl der CD4-Zellen hoch und stabil, sondern er zeigt auch eine starke CD8-Immunantwort. CD8-TZellen sind zytotoxische Zellen, die infizierte Zellen erkennen und vernichten. CD4-T-Zellen produzieren Wachstums- und Signalfaktoren, die dafür sorgen, dass CD8-T-Zellen gebildet und erhalten werden. Für eine erfolgreiche Immunabwehr müssen beide Zelltypen ausreichend vorhanden sein. „Dieser Patient ist für uns natürlich sehr interessant, denn wenn wir herausfinden, warum seine Immunantwort so stark ist, können wir eventuell auch anderen Patienten besser helfen“, erklärt Cosma. Die Immunantwort im Auge behalten Da sich am klinischen Zustand geimpfter Patienten oft wenig ändert, ist es wichtig, den Zustand des Immunsystems durch ein gutes Immunmonitoring zu erfassen. Um den Impferfolg zu bewerten und um Marker für die Immunantwort zu finden, entwickelten die Wissenschaftler neue Methoden, die einen tieferen Einblick in immunologische Vorgänge erlauben. „Mit Hilfe neuer Methoden der Durchflusszytometrie beispielsweise können wir den Phänotyp einzelner T-Zellen erfassen und exakt bestimmen, welche Marker diese Zellen exprimieren – und zwar bis zu 13 Marker gleichzeitig“, erklärt Cosma. Auf diese Weise können die Wissenschaftler untersuchen, wie T-Zellen auf die Impfung reagieren und die Immunantwort einzelner Patienten charakterisieren. „Um Marker für eine besonders gute Immunantwort zu finden, wollen wir beispielsweise herausfinden, inwiefern sich die Immunantwort des Patienten, der am besten auf die HIV-Nef-Impfung reagierte, von der anderer Patienten unterscheidet“, so Cosma. T - Zellen besser charakterisieren Ein wesentlicher Durchbruch für das Monitoring von Immuntherapien war die Etablierung der MHC-Tetramer-Technologie durch die Klinische Kooperationsgruppe „Antigen-spezifi- sche Immuntherapie“ unter Leitung von Prof. Dr. Dirk Busch. Diese Methode zur Charakterisierung Antigen-spezifischer T-Zellpopulationen nutzt die so genannte MHC-Restriktion: T-Zellen erkennen Antigene nur, wenn diese durch ein MHC-Molekül präsentiert werden. Allerdings werden einzelne MHCAntigen-Komplexe nur schwach gebunden und dissoziieren schnell. Die Wissenschaftler vernetzen deshalb mehrere Komplexe miteinander, wodurch Strukturen mit stabilerer Bindung entstehen. In der Regel werden vier Komplexe zu so genannten Tetrameren zusammengeschlossen. An T-Zellen gebundene Tetramere wiederum können mit Hilfe von Fluoreszenz-Farbstoff direkt sichtbar gemacht werden. „Die Tetramer-Technologie ist Einen wesentlichen Durchbruch für die direkte Untersuchung von Antigen-spezifischen T-Zellen erzielte Prof. Dr. Dirk Busch mit seiner Klinischen Kooperationsgruppe „Antigen-Spezifische Immuntherapie“: Mit der von ihm entwickelten MHC-Multimer-Technologie ist es jetzt möglich, epitop-spezifische T-Zellen sichtbar zu machen und mit hoher Reinheit zu isolieren. Europaweite Suche nach therapeutischem Impfstoff Die Vakzinierungsstudien waren und sind Teil europäischer Kooperationen. Um nun die Entwicklung eines neuen Kombi-Impfstoffs gegen HIV noch besser zu koordinieren und Im Rahmen des europäischen zu beschleunigen, wurden europaweit alle Großprojekts AVIP (AIDS Vaccibestehenden und geplanten Aktivitäten in ne Integrated Project) arbeiten einem großen gemeinsamen Projekt Wissenschaftler des GSF-Instizusammengefasst. Im Rahmen von AVIP tuts für Molekulare Virologie an („AIDS Vaccine Integrated Project“) wollen der Entwicklung eines neuen Kombi-Impfstoffs. Er soll als the15 verschiedene Arbeitsgruppen und Institurapeutischer Impfstoff für infitionen, darunter auch eine Arbeitsgruppe zierte Patienten eingesetzt werdes GSF-Instituts für Molekulare Virologie, den, eines Tages aber auch vier neue Impfstoffe gegen HIV entwickeln Gesunde vor einer Infektion mit und in klinischen Phase-I- Studien mit gesunHIV schützen. den Probanden testen. Allen Impfstoffen gemeinsam ist die Kombination von regulatorischen und strukturellen HIV-Proteinen. 2009, wenn die fünfjährige Förderperiode endet, will AVIP eine Vakzine präsentieren, die sich für den Einsatz als therapeutischer Impfstoff in klinischen Phase-II- und -III-Studien bei HIV-infizierten Patienten eignet. Für dieses Ziel stehen dem AVIP-Konsortium insgesamt mehr als 20 Millionen Euro zur Verfügung, die Hälfte davon aus dem 6. Rahmenprogramm der EU. 41 Forschung aktuell – Neue HIV-Impfstoffe Patent für HIV-Diagnose im Frühstadium Wenn HIV-Impfstoffe bei infizierten Patienten erprobt werden, ist es besonders wichtig, den Verlauf der HIVInfektion im Auge zu behalten. Dies geschieht durch die regelmäßige Überprüfung der Viruslast im Blut, bei der die Genome der HI-Viren im Plasma quantitativ erfasst werden. Mit dieser Methode wird jedoch nur freies Virus nachgewiesen, die in Zellen „versteckten“ Viren werden so nicht entdeckt. Die Arbeitsgruppe von Dr. Ruth Brack-Werner, der neuen kommissarischen Leiterin des GSF-InstiMit einem neu bei der GSF entwituts für Molekulare Virologie, entwickelte ckelten und bereits patentierten und patentierte deshalb ein Verfahren, um Verfahren lässt sich in frisch infiinfizierte Zellen im Blut von HIV-Patienten zierten Patientenzellen die Aktivität nachzuweisen. Dafür werden die Patien(im Bild rot) früher regulatorischer Proteine von HIV quantitativ erfastenzellen isoliert und gentechnisch sen. Dr. Ruth Brack-Werner, neue behandelt. In der Folge dieser Behandlung kommissarische Leiterin des GSFfärben sich infizierte Zellen, in denen die Instituts für Molekulare Virologie, frühen, regulatorischen Proteine von HIV will damit die Wirkung von HIVaktiv sind, rot und können somit quantitaImpfstoffen noch früher und exakter dokumentieren. tiv erfasst werden. „Diese hoch-sensitive Methode erlaubt zum ersten Mal den Nachweis einzelner HIV-infizierter Zellen, in denen die Virusproduktion gerade erst begonnen hat“, erklärt Brack-Werner, „sie wird uns helfen, die Wirkung HIVhemmender Substanzen oder Impfstoffe noch früher und exakter zu erfassen und zu dokumentieren.“ ein sehr nützliches Werkzeug, um virusspezifische T-Zellen zu finden, die anschließend weiter untersucht werden sollen“, erzählt Busch. Hoffnungen auf KombiImpfstoff Kontakt PD Dr. Ruth Brack-Werner GSF-Institut für Molekulare Virologie Tel.: 0 89/31 87-29 23 [email protected] 42 Ein Problem aller bisher entwickelten HIVImpfstoffe ist die Wandelbarkeit des Virus: Es mutiert sehr schnell und schon kleinste Veränderungen seiner Oberflächenproteine können dafür sorgen, dass es von T-Zellen nicht mehr erkannt wird. Um für die Zukunft einen noch wirksameren Impfstoff zu gewinnen, planen die Wissenschaftler daher, verschiedene HIV-Impfstoffe zu kombinieren, die das Virus auf unterschiedliche Art und Weise attackieren: Einige Impfstoffe enthalten strukturelle Virus-Bestandteile, andere wirken über regulatorische Proteine, die den Vermehrungszyklus des Virus oder die Ex- pression seiner Gene steuern. Enthält der neu entstandene Impfstoff sowohl strukturelle als auch regulatorische Bestandteile, liefert er dem Immunsystem ein breites Spektrum an Angriffspunkten, da der Körper eine Immunabwehr gegen alle geimpften Komponenten aufbaut. Die GSF-Wissenschaftler werden noch 2006 in einer neuen klinischen Studie die Kombination von MVA-Nef mit einem weiteren Impfstoff testen, der das Immunsystem mit dem HIV-Hüllprotein Env konfrontiert. „Auf diese Weise aktivieren wir das Immunsystem einerseits über Nef zu zellulären Abwehrmechanismen und verstärken andererseits über das Env-Protein die Antikörperbildung, denn das Hüllprotein wird auf der Oberfläche exprimiert und gibt daher ein gutes Ziel für spezifische Antikörper ab“, erklärt Cosma. In Zusammenarbeit mit Professor Goebel wird die klinische Studie mit 50 Probanden starten, die in kleine Gruppen aufgeteilt werden, um alle möglichen Kombinationen der Impfstoffe untersuchen zu können. „Wenn beides gemeinsam geimpft wird, ist oft ein Impfstoff dominant und der andere fällt unter den Tisch“, bedauert Cosma, „daher ist es besser, die verschiedenen Impfstoffe nach und nach zu impfen: Wenn ein Impfstoff angeschlagen hat, folgt die nächste Impfung“. Die neue Kombi-Impfung wird zunächst an gesunden Personen getestet. Während MVA-Nef als therapeutischer Impfstoff für bereits HIV-Infizierte gedacht war, hoffen die Wissenschaftler, mit den neuen Kombi-Impfungen eines Tages Gesunde vor Ansteckung schützen zu können. Ob es in absehbarer Zeit tatsächlich gelingt, solch einen wirksamen Impfschutz gegen HIV zu entwickeln, ist noch unsicher. Aber schon ein Impfstoff, der das Immunsystem so weit aktiviert, dass das Infektionsrisiko sinkt, wäre eine große Hilfe bei der Bekämpfung der AIDS-Pandemie – vor allem in Drittweltländern, wo die medikamentöse HIV-Therapie aus finanziellen und logistischen Gründen für die meisten Infizierten nicht in Frage kommt.