Angeborene Immunität bei akuten entzündlichen Darmerkrankungen

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Zychlinsky, Arturo | Angeborene Immunität bei akuten entzündlichen Darmerkrankungen
Tätigkeitsbericht 2006
Angeborene Immunität bei akuten entzündlichen Darmerkrankungen
Zychlinsky, Arturo
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
Abteilung - Zelluläre Mikrobiologie (Zychlinsky)
Korrespondierender Autor
Zychlinsky, Arturo, E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Bakterien der Gattung Shigella gehören zu den verbreitesten Verursachern entzündlicher Darmerkrankungen und sind Auslöser der Bakterienruhr (Dysenterie, Shigellose), einer schweren, blutigen Durchfallerkrankung, die insbesondere in Entwicklungsländern und Gebieten mit krisenbedingt schlechter
Wasserversorgung zu einem hohen Krankenstand und Sterblichkeit führt. Mit weltweit jährlich ca.
165 Millionen Shigellose-Fällen und mindestens 1,1 Millionen Todesfällen, vor allem bei Kindern,
ist sie ein gesundheitspolitisch ernst zu nehmendes Problem. Die meisten infizierten Menschen überleben eine Infektion, denn die durch Shigella ausgelöste Entzündungsreaktion ist durch eine hohe
Konzentration so genannter Neutrophile gekennzeichnet. Neutrophile sind, ebenso wie Makrophagen,
ein zellulärer Anteil des angeborenen Immunsystems und in der Lage, Shigellen mit hoher Effizienz
abzutöten. Wie von unserer Arbeitsgruppe vor kurzem entdeckt wurde, können Neutrophile überraschenderweise Bakterien auch außerhalb der Zelle bekämpfen, indem sie eine netzartige Struktur
produzieren (Neutrophil Extracellular Traps, NETs). In diesem Netz werden die Bakterien gefangen
und abgetötet.
Abstract
Shigella flexneri is the causative agent of Shigellosis, a severe form of bloody diarrhea which is prevalent in countries with poor sanitary conditions. Bacterial dysentery represents a severe health policy
problem: Worldwide, an estimated 165 million cases of shigellosis annually occur resulting in at least
1.1 million deaths mainly among children. Shigella, which is transmitted through the fecal-oral route,
is a remarkably virulent pathogen. In clinical trials, ten to a hundred bacteria are enough to trigger
disease. S. flexneri is responsible for most of the infections, while infections with S. dysenteriae, the
only species that produces Shigatoxin, are less common but can lead to devastating epidemics. The
inflammatory response elicited by Shigella is rich in neutrophils, which are, like macrophages, effective antibacterial cells. Interestingly, neutrophils can also attack and kill Shigella extracellularly by
producing net-like structures (Neutrophil Extracellular Traps, NETs).
Krankheitsverlauf
Shigellen werden über den fäkal-oralen Weg übertragen. Bereits zehn bis einhundert Bakterien reichen
bei klinischen Versuchen aus, um eine Erkrankung zu verursachen. Damit ist Shigella ein äußerst virulenter Krankheitserreger. Die meisten Infektionen werden durch Shigella flexneri verursacht. Allerdings sind Infektionen mit der eher seltenen Art Shigella dysenteriae nicht zu unterschätzen, da sie als
einzige das Shiga-Toxin sezernieren und zu verheerenden Epidemien führen können.
© 2006 Max-Planck-Gesellschaft
www.mpg.de
Tätigkeitsbericht 2006
Zychlinsky, Arturo | Angeborene Immunität bei akuten entzündlichen Darmerkrankungen
S. flexneri dringt zunächst in das Dickdarmepithel ein. Von dort gelangen die Bakterien in die Lymphoid-Follikel und treten in Kontakt mit den Gewebsmakrophagen (Abb. 1). Die Shigellen werden von
den Makrophagen aufgenommen und lösen innerhalb kurzer Zeit deren Zelltod aus (MakrophagenApoptose). Wenige Stunden nach Infektion löst S. flexneri eine akute Entzündung aus. Diese Entzündung beschädigt die Schleimhaut des Dickdarms und führt zu einer Verschlimmerung der Krankheit.
Bei schwerem Krankheitsverlauf führt die Dysenterie zu Austrocknung und schließlich zum Tod des
Erkrankten. Bei abgeschwächtem Krankheitsverlauf oder entsprechender medizinischer Versorgung
kann die Entzündungsreaktion jedoch zu einem Abklingen der Infektion führen. Auf diese Weise wird
bei der Shigellose, wie bei vielen anderen Infektionskrankheiten, durch die Entzündung zunächst ein
weit reichender Schaden verursacht, die Entzündungsantwort führt letztendlich aber zu einer Auflösung der Infektion.
Abb. 1: Verlauf einer Shigella-Infektion. (1) Shigella flexneri dringt durch die M-Zellen in das Dickdarmepithel
ein. (2) Infektion und Apoptose des Makrophagen. (3) Infektion über die basolaterale Zellmembran und intrasowie interzelluläre Ausbreitung von S. flexneri mithilfe des Zytoskeletts der Wirtszelle. (4) Neutrophile durchdringen das Epithel und führen zu einer neuen Welle der bakeriellen Infektion.
Urheber: MPI Infektionsbiologie / Zychlinsky
Eindringen der Bakterien und Auflösung der Shigella-Infektion
Die Fähigkeit der Shigellen, in Zellen einzudringen und zytotoxisch zu wirken, ist auf einem 220
Kilobasenpaare umfassenden Plasmid kodiert. Stämme, die dieses Plasmid nicht besitzen, sind nicht
virulent. Die Virulenzgene wurden auf einem 31 Kilobasenpaar Bereich des Virulenzplasmids lokalisiert – diese genetischen Merkmale sind wichtig für das Eindringen von Shigella in den Makrophagen,
das Entweichen aus dem Phagosom und das Auslösen der Makrophagen-Apoptose.
Obwohl Shigella über verschiedene solcher Virulenzstrategien verfügt, überleben die meisten infizierten Menschen eine Infektion. Die durch Shigellen ausgelöste Entzündungsreaktion ist durch eine
hohe Konzentration von Neutrophilen gekennzeichnet. Ebenso wie Makrophagen sind Neutrophile ein
zellulärer Anteil des angeborenen Immunsystems. Da die Makrophagen im Laufe der Shigella-Infektion abgetötet werden, kommt den Neutrophilen bei der Auflösung der Infektion eine wichtige Funktion
zu, da sie in der Lage sind, Shigellen mit hoher Effizienz abzutöten.
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Tätigkeitsbericht 2006
Neutrophile fangen und töten Bakterien in Netzen
Wie von unserer Arbeitsgruppe erst vor kurzem entdeckt wurde, können Neutrophile überraschenderweise Bakterien auch außerhalb der Zelle bekämpfen, indem sie eine netzartige Struktur produzieren
(Neutrophil Extracellular Traps, NETs). In diesem Netz werden die Bakterien gefangen und abgetötet
(Abb. 2). NETs sind unter dem Raster-Elektronenmikroskop als feine Fasern zu erkennen. An den
Fasern kleben globuläre Partikel, über die sich die Fasern zu komplexen Strukturen verbinden. Ein
wesentlicher Bestandteil der NETs ist Chromatin. Den größten Teil der im Chromatin enthaltenen Proteine machen Histone aus, die für die geordnete Struktur der DNA zuständig sind, darüber hinaus aber
auch sehr wirksame bakterizide Eigenschaften aufweisen.
Abb. 2: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme stimulierter Neutrophile in Netzen (gelb) und darin gefangenen Shigellen (orange).
Urheber: MPI Infektionsbiologie / Zychlkinsky
Interessanterweise enthalten die NETs auch Proteine aus den Granula der Neutrophilen. Hierbei
handelt es sich unter anderem um dieselben anti-mikrobiellen Peptide, die auch der Entwaffnung der
Bakterien im Vorfeld dienen. In Zusammenarbeit mit Yvette Weinrauch von der New York University
konnten wir zeigen, dass NETs nicht nur Shigellen, sondern auch Salmonellen und Staphylokokken
mit hoher Effizienz abtöten können. NETs wurden nicht nur in experimentellen Zellkulturen, sondern
auch in von Bakterienruhr befallenen Gewebsproben und in Biopsiemateral von Patienten mit Blinddarm Entzündungen nachgewiesen.
Zukünftig wird sich die Arbeitsgruppe auf die Aufklärung der molekularen Struktur der NETs und die
detaillierte Funktionsanalyse konzentrieren.
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Literaturhinweise
[1] Urban, C. F., U. Reichard, V. Brinkmann, and A. Zychlinsky:
Neutrophil extracellular traps capture and kill Candida albicans yeast and hyphal forms.
Cellular Microbiology 8, 668-676 (2006).
[2] Brinkmann, V., U. Reichard, C. Goosmann, B. Fauler, Y. Uhlemann, D. S. Weiss, Y. Weinrauch,
and A. Zychlinsky:
Neutrophil extracellular traps kill bacteria.
Science 303, 1532-1535 (2004).
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