SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Wenn Schule Schule macht (3)
Mit Nele Freudenberger
Sendung: 01. Februar 2017
Redaktion: Dr. Ulla Zierau
Produktion: SWR 2017
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des
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Die Mannheimer Schule
Mit Nele Freudenberger, herzlich Willkommen! In unserer heutigen Folge „wenn
Schule Schule macht“ zieht es uns an einen deutschen Hof im heutigen SWR
Sendegebiet: die Mannheimer Schule ist unser Thema
Titelmelodie
Bei der Mannheimer Schule ist der Schul-Begriff weniger problematisch als bei den
anderen Schulen, die wir bisher in der SWR2 Musikstunde behandelt haben. Der
Begriff wird erstmals zu Zeiten der Mannheimer Schule verwendet, als Lehrer kann
ganz klar Johann Stamitz gelten und es gibt eine Reihe Musiker, die bei ihm studiert
und seine revolutionären Entwicklungen weitergedacht und natürlich auch umgesetzt
haben.
Die Änderungen sind zum Teil so fundamental, dass sie bis heute in unseren
musikalischen Alltag hineinreichen.
Die äußeren Rahmenbedingungen für eine so fruchtbare musikalische Arbeit schafft
Kurfürst Karl Philipp, als er die pfälzische Residenz von Heidelberg nach Mannheim
verlegt.
Ein musikalischer Höhepunkt von vielen – eher eine Art musikalischer Startschuss ist
die Hochzeit von Karl Philipps Neffen Kurprinz Karl Theodor, den er zu seinem
Nachfahren auserkoren hat, mit seiner Enkelin Elisabeth Augusta: neben
aufwändigen Opernproduktionen gibt es zu den Feierlichkeiten den neuen
Violinvirtuosen des Hofes zu hören: Johann Stamitz lässt mit seinem Spiel offenbar
keine Wünsche offen, wird die eigentliche Sensation der Feierlichkeiten
Musik1
Johann Stamitz:
Violinkonzert C-dur, 3. Satz Allegro
Thomas Füri, Violine und Leitung
Orchester Camerata Bern
Übernahme RBB
00113 / Archiv Produktion435738-2, Dauer: 5‘30
Thomas Füri mit der Camerata Bern und dem dritten Satz aus dem C-Dur
Violinkonzert von Johann Stamitz.
Johann Stamitz wird 1743 erster Hof Violinist – eine Position die sehr viel mehr
beinhaltet, als das reine Geigenspiel – im Grunde ist er bereits Hofkapellmeister,
denn er ist für das Orchester zuständig und er komponiert auch zahlreiche Werke.
Zunächst wollen wir uns das Umfeld anschauen, in das Stamitz da kommt. Während
Karl Philipp den Grundstein gelegt hat, führt der Kunst- und vor allem Musiksinnige
Karl Theodor das Mannheimer Erbe weiter, aus Mannheim eine Stadt von
internationaler Bedeutung zu machen. Wie wichtig seine Person dabei ist, wird
deutlich, als er 1778 nach München übersiedelt und Mannheim seinen damaligen
Stellenwert fast augenblickblich einbüßt.
Aber so weit sind wir ja noch nicht. Karl Theodor schafft in Mannheim ein Zentrum
geistigen und künstlerischen Lebens und auch das Leben bei Hofe steht unter dem
Motto „Klotzen nicht Kleckern“. Vierzig Jahre Bauzeit vergehen, bis das kurpfälzische
Schloß fertig gestellt ist – es ist die größte barocke Schlossanlage Deutschlands –
der berühmte britische Musikreisende Charles Burney ist beeindruckt – wiewohl
kritisch – und zieht einen Vergleich zu Versailles.
Die Zustände drum herum sind nicht minder beeindruckend: das prächtige
Opernhaus wird eröffnet, ein Jesuitencollegium, eine Akademie der Wissenschaften,
eine medizinische Akademie, eine Zeichenschule, ein botanischer Garten, ein
Meterologisches Kabinett, eine große Kunstsammlung gibt es – kurz: Mannheim wird
zu einem Zentrum der modernen Wissenschaft, Forschung und Kunst in all ihren
Sparten, zu einem Zentrum des Austauschs, zu einem Ort im Zeichen der
Aufklärung.
Für Bildung und Musik hat Karl Theodor immer ein offenes Ohr und fast noch
wichtiger: ein offenes Portemonnaie! Zumal er selbst – wie es heißt – „das Cello und
die Flöte traktierte“
Musik 2
Franz Xaver Richter:
Flötenkonter e-moll, 3. Satz
Martin Sandhoff, Travers-Flöte, Concerto Köln
M0015352 W04, live Aufnahme von den 15. Internationale Festtaged Alter Musik
Stuttgart 2002, 5‘40
Der dritte Satz aus Franz Xaver Richters Flötenkonzert in e-Moll. Martin Sandhoff
spielte die Travers-Flöte und wurde von Concerto Köln begleitet. Franz Xaver Richter
gehört zu den Musikern, die definitiv bei Johann Stamitz gelernt haben, denn Richter
ist seit 1747 Violinist der Mannheimer Hofkapelle – ist also auch von Stamitz
eingestellt worden und dessen Ansprüche an seine Geiger dürften ziemlich hoch
gewesen sein. Schon zu seinen Lebzeiten spricht man über die Mannheimer
Tonschule, andernorts heißt es Mannheimer Orchesterschule. Wie dem auch sei: die
Mannheimer Hofkapelle muss unter der Leitung von Johann Stamitz zu einem
unglaublichen Klangkörper avanciert sein und man kann sogar ohne weiteres
festmachen woran das liegt: das Orchester wird größer: die Zahl der Streicher
wächst von vierzehn auf vierundzwanzig, die der Bläser steigt von zehn auf zwölf.
Das Orchester bekommt unter Stamitz eine völlig neue Form der Disziplin. Erstmals
wird auf eine einheitliche Bogenführung geachtet. Etwas was uns heute
selbstverständlich ist und technisch vor allem einen einheitlicheren Klang, größere
Ruhe (optisch wie musikalisch) und dadurch größere Virtuosität des StreicherApparats ermöglicht.
Stamitz legt viel Wert auf eine präzise Artikulation, was eine größere Musikalität
zulässt und last but not least: der konzentrierte Blick auf den Konzertmeister wird
obligat: so kann das Orchester als homogener Klangkörper eine viel größere
dynamische Bandbreite spielen. Der Effekt muss auf die Zeitgenossen ungeheuerlich
sein. Christian Friedrich Daniel Schubart schreibt in seinen Ideen zu einer Ästhetik
der Tonkunst 1785 rückblickend: „Kein Orchester der Welt hat es je in der
Ausführung dem Mannheimer zuvorgetan. Sein Forte ist ein Donner, sein Crescendo
ein Catarakt, sein Diminuendo – ein in die Ferne hin plätschernder Krystallfluß, sein
Piano ein Frühlingshauch. Die blasenden Instrumente […] heben und tragen oder
füllen und beseelen den Sturm der Geigen!“,
so schreibt Schubart.
In dem Maße, in dem das Orchester mehr Ausdruck erzeugen kann, wird auch die
Musik immer mehr zum Ausdruck und zum Selbstzweck, drück aus, was Sprache
nicht vermag. Und damit rückt eine neue Gattung in den Fokus und wird später zum
Symbol absoluter Musik schlechthin: die Sinfonie!
Musik 3
Ignaz Fränzl:
Sinfonie Nr.5 C-dur. 2. Satz Andante
Concerto Köln
M0010785 W05, TELDEC CLASSICS, 428366-2, 5’00
Concerto Köln mit dem zweiten Satz aus der Sinfonie Nr. 5 in C-Dur von Ignaz
Fränzl. Die Sinfonie ist also die Hauptgattung der Mannheimer Schule. Vorher war
die Sinfonie einfach Instrumentalmusik. Ob als Ouvertüre zu einer Oper, ob als
sinfonia sacrae für den Kirchlichen gebrauch, eine Sinfonie war einfach eine Musik,
die meist einleitenden Charakter hatte.
Erst bei den Mannheimern und zumal bei Stamitz wird die Sinfonie etwas, wo es sich
hinzuhören lohnt – ein autonomes Stück Musik, wenn Sie so wollen.
Stamitz prägt die Viersätzigkeit – die zugegebenermaßen schon in der nächsten
Komponistengeneration wieder aufgehoben wird, aber ihre Bedeutung ja später
wiedererlangt. Und wo die Sinfonie jetzt schon autonom ist, wird sie auch
selbstbewusst: beginnt prägnant, quasi mit einem Aufruf: he! Hör zu!
Etwas, was ebenfalls seine und die Mannheimer Sinfonik ausmacht, ist überhaupt
nur durch die Orchesterreform möglich geworden: weite Crescendo-Bögen und
scharfe, dynamische Kontraste, außerdem Crescendi, die sich nicht nur auf die
Lautstärke beziehen, sondern auch auf die Kompaktheit: Lautstärke wird durch
dynamisches Spiel und die Dichte der Besetzung erzeugt.
In kürzester Zeit wird die Sinfonie zum Markenzeichen der Mannheimer. Eine
Gattung, die für sich spricht, ohne zu sprechen.
Besonders beliebt sind die Sinfonien von Anton Filtz – er wird schnell berühmt für
seine Kompositionen – zugegeben, heute hält sich sein Bekanntheitsgrad in
Grenzen, aber damals ist die heitere Melodik seiner Werke ausgesprochen beliebt.
Auch Anton Filtz ist ein Schüler von Stamitz. Er kommt als Cellist in das Orchester in
Mannheim und hat etwa 40 Sinfonien hinterlassen.
Auch das übrigens eine Eigenart der Komponisten der Mannheimer Schule: sie sind
fast alle selbst ausgezeichnete Instrumentalisten und spielen in der Mannheimer
Hofkapelle. Das heißt: ihr Blick auf die Musik kommt nicht von außen, sondern von
innen: sie wissen, was auf ihren Instrumenten möglich ist und auch, was ihre
Kollegen mit anderen Instrumenten spielen können – herrscht Unsicherheit, können
Sie sich Rat aus erster Quelle holen.
Filtz steht kompositorisch dem Schaffen seines Lehrers am nächsten. Auch er kann
Europaweit Erfolge feiern – er wird allerdings nicht alt: Er stirbt mit 27 Jahren. Über
seine Erfolge gibt es ausreichend Quellen – Schubart hält ihn gar für den „besten
Symphonienschreiber“ aller Zeiten.
Hier also eine Probe seines Könnens: erste Satz aus Sinfonie in C-Dur
Musik 4
Anton Filtz:
Sifnoeni C-dur, 1. Satz
L'Orfeo Barockorchester / Michi Gaigg
M0024009 W01, cpo 999778-2, 3‘05
Hier hört man sehr schön die Dynamik, das Mannheimer Crescendo! In diesem
Ersten Satz aus der Sinfonie in C-Dur von Anton Filtz. Michi Gaigg leitete ihr L’Orfeo
Barockorchester in der SWR2 Musikstunde „wenn Schule Schule macht!“ Eine ganze
Reihe von Änderungen, die in Mannheim an der Sinfonie vorgenommen wurden,
haben wir bereits vorgestellt. Aber eine wirklich wichtige Änderung fehlt noch: die
Klarinette hält Einzug ins Orchester – sowohl als Instrument des Bläsersatzes, als
auch als Soloinstrument.
Ihre Vorgängerin, das Chalumeau ist nicht viel Älter, wird Ende des 17. Jahrhunderts
entwickelt, konnte sich aber in der barocken Instrumentalmusik nicht wirklich
durchsetzen. Erst die Weiterentwicklung zur Klarinette bringt den Durchbruch. Die
Klarinette kann man nämlich im Gegensatz zum Chalumeau sowohl im überblasenen
Register als auch im tiefen Register spielen. Bis das intonatorisch zufriedenstellend
gelingt muss etwas experimentiert werden, aber die heutige Stellung der Klarinette in
der Musik spricht für sich. Ein weiterer Vorteil der Klarinette gegenüber dem
Chalumeau ist, dass sie lauter und klarer klingt, sich also gegen ein ganzes
Orchester behaupten kann.
Es ist wiederum Johann Stamitz, der die Klarinette ins Orchester bringt. Von ihm
stammt vermutlich auch das erste Klarinettenkonzert überhaupt. Eine Gattung, der
sich sein ältester Sohn Carl ebenfalls angenommen hat: elf Klarinettenkonzert von
ihm sind bekannt.
Carl Stamitz wächst ganz in der Tradition seines Vaters auf, obwohl dieser stirbt als
Carl gerade zwölf Jahre alt ist. Die Schüler von Johann Stamitz machen sich die
musikalische Ausbildung des Jungen zum Ziel. Carl Stamitz wird also fortan
unterrichtet von Cannabich, Holzbauer und Richter.
Wie es sich für einen echten Sohn der Mannheimer Schule gehört, spielt er
selbstverständlich in der Mannheimer Hofkapelle und zwar als zweiter Violinist. Die
Gelegenheit, spielend das komplette Mannheimer Repertoire kennenzulernen, das er
in den eigenen Kompositionen wiederum weiterentwickelt und in die eigene
Handschrift überträgt. 25-jährig kehrt er Mannheim den Rücken, geht zunächst nach
Paris, dann nach Den Haag, reist später nach England, durch Frankreich,
Deutschland und sogar bis nach St. Petersburg und sorgt so für die weitere
Verbreitung seines musikalischen Mannheimer Erbes.
Wir haben jetzt für Sie einen Satz aus seinem Klarinettenkonzert Nr. 10 ausgesucht,
der eigentlich schon klassisch und nicht mehr vorklassisch klingt
Musik 5
Carl Stamitz:
Klarinettenkonzert Nr. 10, 2. Satz Andante
Sabine Meyer, Academy of St. Martin in the Fields, Iona Brown
M0010187 W04 EMI Classics 754842-2, 5‘00
Der zweite Satz aus dem Klarinettenkonzert Nr. 10 in B-Dur von Carl Stamitz. Solistin
war Sabine Meyer und sie wurde von der Academy of St. Martin in the Fields unter
der Leitung von Iona Brown begleitet. Johann Stamitz ist es zu verdanken, dass die
Klarinette ihren Weg in das Orchester gefunden hat, Carl Stamitz hat die Gattung des
Klarinettenkonzerts mit seinen 11 Kompositionen zu diesem Genre weiterentwickelt.
Wolfgang Amadeus Mozart zeigt sich von dem farbigen Klang der Klarinetten im
Orchester sehr beeindruckt, wie Mannheim ihn überhaupt beeindruckt hat. In einigen
seiner Briefe beschreibt er die Mannheimer Musiker als lebenslustige Menschen mit
gutem Charakter, guter Bildung und vielfältigen Interessen, einer freien
Lebensanschauung, die sehr gut zum Leben des Hofes an dem sie beschäftigt
waren passen. Und auch zu der Musik, die sie spielen.
In Paris begegnet Mozart dem jüngeren Stamitzbruder: Anton. Allerdings ist sein
Urteil vernichtend: er nennt ihn in einem Brief Notenschmierer, Säufer und Spieler
und beteuert seinem Vater, mit ihm keinen Umgang zu pflegen.
Wer in diesem Brief vom 9. Juli 1778 aus Paris sehr viel besser wegkommt, ist ein
anderer Mannheimer: nämlich Cannabich. Über ihn schreibt Mozart:
ja wenn die Musique nur so bestellt wäre wie zu Mannheim! – Die subordination die
in diesem orchestre herscht! – Die auctorität die derCannabich hat – da wird alles
Ernsthaft verichtet;Cannabich, welcher der beste Director ist den ich je gesehen, hat
die liebe und forcht von seinen untergebenen. – er ist auch in der ganzen stadt
angesehen, und seine soldaten auch – sie führen sich aber auch anderst auf –
haben lebens-art, sind gut gekleidet, gehen nicht in die wirths-häuser und sauffen
Und tatsächlich ist Cannabich derjenige der Mannheimer, der die hohe Kunst der
Orchesterleitung zu ihrer damaligen Spitze geführt hat.
Schubart schreibt, dass Cannabich eine völlig neue Bogenlenkung erfunden habe –
wie genau die aussieht, verrät er leider nicht. Weiter schreibt er, dass er mit bloßen
Nicken des Kopfes und Zucken des Ellbogens das größte Orchester in Ordnung hält.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Dynamik eine bedeutend größere Rolle
eingenommen hat, ist es natürlich auch unerlässlich, dass auch die Orchesterleitung
präzise Zeichen gibt.
Mozart ist übrigens nicht der einzige, der militärisches Vokabular auf seinen später
engen Freund Christian Cannabich anwendet. Auch der Musikreisende Charles
Burney greift zu diesem Bild, um die Präzision des Orchesters zu verdeutlichen. Er
schreibt, die Mannheimer Hofkapelle gleiche einer Armee von Generälen, gleich
geschickt, einen Plan zu einer Schlacht zu entwerfen als darin zu fechten
Cannabich hat sich übrigens in einem Genre hervorgetan, das in unserer heutigen
SWR2 Musikstunde noch keine Rolle gespielt hat: das Ballett!
Natürlich hat er als echter Mannheimer auch Sinfonien komponiert – derer 90 aber
eben auch etwa 40 Ballette.
Hier ein Auszug aus der Ballettsuite „les fêtes du serailles“
Musik 6
Carl Cannabich:
Ausschnitt (Contredanse) aus „les fêtes du serailles“
Pera-Ensemble und das Orchester l'arte del mondo
Dirigent Werner Ehrhardt
M0234087 001 , 3‘45
Ein Auszug aus der Ballettsuite „les fetes du Serailles“ von Christian Cannabich.
Werner Erhardt leitet das Pera-Ensemble und l’arte del mondo.
Die Mannheimer Schule ist heute unser Thema in der SWR2 Musikstunde und sie
hat, viel deutlicher als die anderen Schulen über die wir schon gesprochen haben,
sehr konkrete stilistische Mittel erfunden: die Mannheimer Manieren – Effektfiguren.
Die Mannheimer Rakete ist so eine Effektfigur. Ein Motiv, das sich schnell aufwärts
bewegt, oft noch mit einem Crescendeo versehen, ist es eine Art Initialzündung, die
am Anfang eines Stückes stehen kann, oder auch am Anfang einer neuen Phrase –
auch Mozart hat diese Effekte noch häufig verwendet – zum Beispiel in seiner
Pariser Sinfonie!
Eine andere Effektfigur mit eröffnendem Charakter ist die Mannheimer Walze: eine
längere Crescendopassage, die über einer ostinaten Baßlinie eine aufsteigende
Sequenzierung eines Motivs hat – man kann hier natürlich noch weiter dozieren und
aufzählen, zu nennen wären noch die Bebung, der Vorhang und der Seufzer, wobei
die Figur des Seufzers auch früher schon in Italien benutzt wurde.
Eine kompositorische Neuerung wurde aber noch gar nicht erwähnt – ist aber auch
kein originär Mannheimer Phänomen: der Generalbaß verliert an Bedeutung.
Die Baßlinie wird zunehmend auskomponiert, fixer Teil der Komposition. In der
komplexen Sinfonik mit der optimierten Technik des Zusammenspiels ist ein fast frei
improvisierter Generalbass nicht realisierbar – und auch in der Kammermusik wird
die Baßlinie auskomponiert.
Einen wichtigen Vertreter der Mannheimer Schule haben wir noch nicht musikalisch
zu Wort kommen lassen: Ignaz Holzbauer. Der gebürtige Wiener kommt an die
Mannheimer Hofkapelle etwa vier Jahre vor Johann Stamitz Tod – er lernt ihn also
noch persönlich kennen, ist im weitesten Sinne sein Schüler obwohl er sechs Jahre
älter ist.
Wie die anderen Mannheimer auch komponiert Holzbauer zahlreiche Sinfonien und
Solokonzerte, aber auch Opern und Oratorien und Kammermusik.
Hier jetzt ein Satz aus dem Quintett für Flöte, Violine, Viola, Cello und Klavier Nr. 1 in
G-Dur
Musik 7
Ignaz Holzbauer:
Quintett für Flöte, Violine, Viola, Violoncello und Klavier Nr. 1 G-Dur,
1. Satz Andante spiritoso
Camerata Köln
M0364283 W04, cpo 999580-2, 4‘10
Der erste Satz aus dem Quintett für Flöte, Violine, Viola, Cello und Klavier Nr. 1 in GDur von Ignaz Holzbauer. Gespielt hat Camerata Köln. Die Blütejahre der
Mannheimer Schule gehen allmählich dem Ende entgegen. Einen Vertreter der
Mannheimer Schule den man erwähnen, sollte haben wir allerdings noch: Georg
Joseph Vogler – genannt Abbé Vogler. Zu Recht wird er so genannt, denn er beginnt
seine Mannheimer Karriere als Kaplan am Hofe Karl Theodors. Der –
bekanntermaßen immer ein großzügiger Förderer – schickt Vogler zum Studium
nach Italien. Dort erhält er nicht nur die Priesterweihe, sondern auch ein
Musikstudium und kehrt als Kapellmeister nach Mannheim zurück.
1776 gründet er die Mannheimer Tonschule – also zwei Jahre bevor Karl Theodor
nach München geht und Mannheim an Bedeutung verliert. Hier trägt die Mannheimer
Schule quasi offiziell den Namen „Schule“ und ist es doch eigentlich nicht mehr. Die
Vogler Variante ist tatsächlich „nur“ eine Musikschule. Abgesehen davon, dass
Vogler im Mannheimer Stil komponiert, besteht sein Verdienst für die Mannheimer
vor allem darin, dass er zahlreiche Musiktheoretische Schriften verfasst hat. Unter
anderem in seiner Zeitschrift „Betrachtungen der Mannheimer Tonschule“, in denen
er die Stilistik der Mannheimer Schule klar umreißt.
Aber wie schon angekündigt: mit dem Weggang von Karl Theodor aus Mannheim
endet auch die Blütezeit, die die Stadt unter ihm erlebt hat – auch Vogler hält es nicht
mehr lange dort und eine musikhistorische Ära geht zu Ende, die aber ihre Früchte
nach ganz Europa getragen hat.
Wenn Sie die heutige oder die vorangegangenen Sendungen der SWR2
Musikstunde „wenn Schule Schule macht“ noch einmal hören wollen, können Sie das
im Internet unter swr2.de – dort finden Sie auch die Manuskripte zum Nachlesen.
Mein Name ist Nele Freudenberger, ich sage Tschüss, wünsche Ihnen noch einen
schönen Tag und verabschiede mich mit Musik von Abbé Vogler, der als Geistlicher
natürlich auch reichlich Kirchenmusik komponiert hat: Hier ist ein Auszug aus seinem
Requiem.
Musik 8
Georg Joseph Vogler: Finale aus dem Requiem
Goetz, Sabine Sopran
Solist Grabowski, Barbara R. Alt
Solist Wittmann, Christoph Tenor
Solist Piernay, Rudolf Baß
Chor der Staatlichen Musikhochschule Mannheim
Orchester Kurpfälzisches Kammerorchester / Gerald Kegelmann
M0326037 W01, 03480 / Ariola Arte Nova Classics, 74321716632, 7‘00
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